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Wenn private<br />
Fesseln fallen<br />
Coming-of-Age-Romane stehen<br />
hoch im Kurs, dennoch<br />
schuf sich der junge italienische<br />
Autor Simone Somekh mit<br />
seinem Erstling „Weitwinkel“<br />
auf Anhieb einen Sonderstatus.<br />
Zahlreiche Literaturpreise<br />
belegen den außerordentlichen<br />
Stellenwert. Der Protagonist der<br />
ereignisreichen Story heißt Ezra<br />
Kamer, er besucht eine konservative<br />
jüdische High School in<br />
Boston, fühlt sich aber reichlich<br />
eingeengt. Denn er träumt von<br />
einer Karriere als Fotograf in<br />
New York. Ein Eklat katapultiert<br />
ihn von der High School, Ezra ist<br />
gezwungen, auf eigenen Beinen<br />
zu stehen. Durch das Objektiv<br />
der Kamera erlebt er die Welt aus<br />
einer völlig neuen Perspektive.<br />
Dennoch bleiben Zweifel, vor allem<br />
wegen der Glaubensgemeinschaft.<br />
Eindringlich, intensiv und<br />
glaubwürdig zeichnet der Autor<br />
Ezras Aufbruch in die Freiheit,<br />
der natürlich auch bedeutet, einstige<br />
Geborgenheit hinter sich zu<br />
lassen. Ein großartiges Plädoyer<br />
für Selbstbestimmung und den<br />
Glauben an die eigene, künstlerische<br />
Kraft.<br />
Simone Somekh<br />
Weitwinkel<br />
Übers. v. Anna<br />
Rottensteiner<br />
Haymon, 200 Seiten<br />
Euro 19,00<br />
ISBN 978-3-7099-3447-0<br />
E-Book 978-3-7099-3880-5<br />
Trip, Trip, hurra!<br />
Der US-Kultautor T. C. Boyle lädt ein zum Psycho-Trip.<br />
Als Reiseleiter mit dabei: der legendäre LSD-Guru<br />
und Erleuchtungs-Prediger Timothy Leary.<br />
Sein System hat Methode. Reihenweise<br />
knöpft sich T. C. Boyle<br />
vermeintliche Säulenheilige vor, die<br />
keineswegs nur auf die US-Gesellschaft<br />
maßgeblichen Einfluss hatten.<br />
Dem Klistier-Fanatiker Kellogg<br />
pfefferte er dessen Cornflakes um<br />
die Ohren, der Sexforscher Kinsey<br />
bekam etliche Seitenhiebe ab, ebenso<br />
der Stararchitekt Frank Lloyd Wright.<br />
Jetzt nahm er sich in seinem Roman<br />
„Das Licht“ Timothy Leary zur Brust,<br />
einstmals umtriebiger LSD-Guru und<br />
Hohepriester der Bewusstseinserweiterung.<br />
Wobei ja keineswegs auszuschließen<br />
ist, dass Boyle in dieser<br />
Causa auch über einen eigenen Erfahrungsfundus<br />
verfügt.<br />
Der Roman „Das Licht“ führt zurück<br />
ins Jahr 1943, als in der Schweiz Albert<br />
Hofmann die halluzinogene Wirkung<br />
eines Lysergsäurederivats entdeckte<br />
und emsig damit herumexperimentierte.<br />
Dann folgt ein Sprung ins Jahr<br />
1962. Der Psychologe Timothy Leary<br />
schart einen „inneren Kreis“ um sich,<br />
dem – als fiktives Gespann – alsbald<br />
auch der Student Fitz und dessen<br />
Ehefrau samt Sohn angehören. Die<br />
anfangs seriös klingenden Versuche<br />
mit der Droge arten recht rasch zu<br />
exzessiven Rausch-Orgien aus, zusätzlich<br />
befeuert durch Alkohol. Aber<br />
Leary schwärmt immer enthusiastischer<br />
von einer medizinischen und<br />
sozialen Revolution, er wechselt mit<br />
dem elitären Kreis an Anhängern<br />
und Anhängerinnen nach Mexiko<br />
und dann in die berühmte Kommune<br />
in Millbrock. Dort häufen sich auch<br />
die sexuellen Orgien. Vermeintlicher<br />
Erleuchtung steht die private Ernüchterung<br />
gegenüber.<br />
T. C. Boyles Rückkehr in die wilden<br />
Sechzigerjahre gleicht einem knallbunten<br />
psychedelischen Trip, der bis<br />
zu den Grenzen des Wahnsinns führt,<br />
Horrortrips inklusive, und frei nach<br />
der Maxime: Der Letzte macht das<br />
Licht aus.<br />
T.C. Boyle<br />
Das Licht<br />
Roman<br />
Übers. v. Dirk Gunsteren<br />
Hanser, 384 Seiten<br />
Euro 25,70<br />
ISBN 978-3-446-26164-8<br />
E-Book 978-3-446-26285-0<br />
Foto: unsplash, Peter-Andreas Hassiepen<br />
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