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MAX PORTER<br />
Leuchtspuren<br />
der Erinnerung<br />
Foto: Christian Jungwirth<br />
Sich zu erinnern, sei die Sendung des Menschen auf Erden,<br />
heißt es. Barbara Frischmuth tut dies in „Verschüttete Milch“<br />
auf ebenso berührende wie magische Weise.<br />
Afrikaforscherin wollte die Erzählerin,<br />
Julia genannt, einmal<br />
werden. Später verlagert sie ihre<br />
Forscherlust nach Asien. In Wahrheit<br />
aber versucht sie, vorwiegend<br />
anhand von Fotos, ungeordnet in<br />
Kartons aufbewahrt, ihre eigenen<br />
Kindheitserlebnisse und Erinnerung<br />
in ein neues, anderes Licht zu<br />
rücken. Und die haben ihre Wurzeln<br />
in einem Ort, der vor allem eines<br />
will: Idylle ausstrahlen, die reichlich<br />
vorhandene, natürliche Schönheit<br />
wahren und über alles andere den<br />
Mantel des Schweigens oder raschen<br />
Vergessens zu breiten.<br />
Der Schauplatz ist Altaussee, der<br />
Geburtsort der Autorin, die Geschichte<br />
der Kindheits- und frühen<br />
Jugendjahre, die Julia rekonstruiert,<br />
deckt sich vielfach mit jener<br />
der Dichterin, aber eigentlich ist das<br />
bedeutunglos. „Verschüttete Milch“<br />
ist ein enorm vielschichtiger Entwicklungsroman.<br />
Oder, um Barbara<br />
Frischmuths kleinen ironischen<br />
Einschub über sprachliches „Upgrading“<br />
aufzugreifen, eine Coming<br />
of Age-Geschichte. Und es ist ein<br />
Beleg dafür, das der Einfluss des Ortes<br />
auch das Bewusstsein entscheidend<br />
prägen kann – „jenes Ortes, an<br />
dem Heil und Unheil Tisch an Tisch<br />
zur Sommerfrische saßen (und wohl<br />
noch immer sitzen)“, wie es in einer<br />
Passage heißt. Die Fotos, die Julia,<br />
anfangs „Kleine“ und später „Juli“<br />
gerufen, oft nach anscheinendem<br />
Zufallsprinzip zur Hand nimmt, aus<br />
den Kriegsjahren, aus den Zeiten des<br />
Umbruchs, oder die Bilder ihrer Eltern,<br />
einstigen Freunde und Freundinnen<br />
summieren sich zu Leuchtspuren<br />
der Erinnerungen. Eine zum<br />
Teil verlorene Kindheit spielt darin<br />
ebenso eine bedeutsame Rolle wie<br />
eine außergewöhnliche Familiengeschichte<br />
in Zeiten „angepasster<br />
Wahrheitsfindung“. Barbara Frischmuth<br />
glückten vieldimensionale Zustandsbilder,<br />
die allein schon durch<br />
ihre Intensität aus jedem konventionellen<br />
Rahmen fallen.<br />
Barbara Frischmuth<br />
Verschüttete Milch<br />
Aufbau, 286 Seiten<br />
Euro 22,00<br />
ISBN 978-3-351-03710-9<br />
E-Book 9783841217318<br />
Foto © Lucy Dickens<br />
978-3-0369-5793-7<br />
Die berührende<br />
Geschichte eines<br />
ungewöhnlichen<br />
Jungen.<br />
»Max Porter ist anders<br />
als alles, was man<br />
bisher gelesen hat.«<br />
The Guardian<br />
Buchmedia <strong>Magazin</strong> 37<br />
9<br />
KEIN & ABER