56 | Rubrik FOKUS JUNIOREN «BEGABUNG ALLEIN REICHT NICHT FÜR DEN DURCHBRUCH» Alessandro Greco ist Leiter Spitzensport bei Swiss <strong>Tennis</strong> in Biel. Er kennt das Juniorengeschäft wie kein Zweiter und ist überzeugt, dass die Schweiz für die Zukunft gut aufgestellt ist. Wie man diese Spitzensportlerinnen und -sportler noch mehr fördern kann und wo er Nachteile für Schweizer <strong>Tennis</strong>junioren sieht, erklärt er im Interview.
<strong>Zürich</strong> <strong>Tennis</strong> <strong>Top</strong> <strong>Events</strong> 2019 | 57 Roger Federer und Stan Wawrinka befinden sich in der Endphase ihrer Karrieren. Wo stehen die jungen Schweizer <strong>Tennis</strong>talente zurzeit? Steht der nächste <strong>Tennis</strong>star schon in den Startlöchern? Spitzensportlerinnen und Spitzensportler sind Ausnahmetalente. Wir nennen sie intern oft «schwarze Schwäne», weil sie besonders auffallen. Aus Erfahrung kann ich sagen, dass Spitzensportler nicht mit einer linearen bzw. progressiven Kurve nach vorne kommen, es ist mathematisch betrachtet eine exponentielle Kurve. Gute Spielerinnen und Spieler sind plötzlich da und überraschen alle. Ein Beispiel ist der kanadische <strong>Top</strong>-Junior Felix Auger-Aliassime, der kürzlich für Furore gesorgt und in die <strong>Top</strong> 50 der ATP-Rangliste vorgedrungen ist. Jeder <strong>Tennis</strong>insider wusste, dass Felix sehr gut ist, die Allgemeinheit kennt ihn aber erst seit Kurzem. Dasselbe mit unserem <strong>Top</strong>-Junior Jérôme Kym, den niemand kannte und der alle beim Davis Cup gegen Russland überrascht hat. Wie sieht die Schweizer <strong>Tennis</strong>- Zukunft aus? Wenn man in die Zukunft blickt, leitet man automatisch viele Dinge aus der Vergangenheit ab. Wenn wir für die Zukunft Roger Federer als Massindex nehmen, dann werden wir mit Sicherheit enttäuscht sein. Wenn wir aber in die Zukunft schauen und feststellen, dass wir aktuell sieben Frauen in den <strong>Top</strong> 200 der WTA-Rangliste haben bzw. mindestens in der Quali eines Grand Slams vertreten sind, dann sind das sehr positive Aussichten. Weitere gute Indizien für die Zukunft sind einige Juniorinnen und Junioren, die in den letzten zwei Jahren an den Junioren Grand Slams sehr gut performt haben. Nach Roger Federer und Stan Wawrinka wird uns – mit einer sehr hohen Wahrscheinlichkeit – das Schweizer Frauentennis mehr Freude bereiten als das Männertennis. Aber oftmals kommt es im Spitzensport anders, als man denkt. Was braucht es, um ganz vorne mitmischen zu können? Man braucht eine gewisse Hartnäckigkeit, um nach vorne zu kommen. Zudem braucht es – meines Erachtens – einen sehr athletischen Körper, weil Spitzentennis mittlerweile körperlich sehr anspruchsvoll geworden ist, und es braucht ausgeprägte Stärken, womit man sich erstens von der Konkurrenz abheben kann und zweitens die Matches auch gewinnen will. Wie könnte man diese Leistung steigern? Gute Athletinnen und Athleten brauchen in der Regel ein gutes Umfeld. Was für den einen gut ist, ist für den anderen gegebenenfalls nicht zielführend. Ein gutes Umfeld muss sicher sehr flexibel sein und ein Gefühl für den jeweiligen Athleten entwickeln. Aber aufgepasst: Ein gutes bzw. ideales Umfeld muss nicht unbedingt ein harmonisches Umfeld sein. Man muss zudem auch über Geld reden. <strong>Tennis</strong>spielen kostet Geld, ist aber im Breitensportbereich absolut tragbar geworden. Spitzensport zu betreiben, ist ein anderes Thema. Mangels der benötigten Finanzen gibt es viele Bewegungstalente, die nicht <strong>Tennis</strong>, sondern vielleicht Fussball spielen. Dagegen kann man aktuell nicht viel tun. Mir ist es aber wichtig, dass Juniorinnen und Junioren, die uns bereits aufgefallen sind und die sich bereits für den <strong>Tennis</strong>sport entschieden haben, ihren Traum leben können. Und ich behaupte jetzt, dass keine Karriere eines Ausnahmetalentes, das wir auf dem Radar haben, am Geld scheitern wird. Dafür ist Swiss <strong>Tennis</strong> – in enger Wechselwirkung mit vielen dezentralen Partnern – genug gut aufgestellt. Hat die kleine Schweiz einen Wettbewerbsnachteil, weil sie nicht so viele Spitzensportler hervorbringt? Dass die Schweiz sehr klein ist, ist einerseits eine unserer grossen Stärken. Gleichzeitig ist die Grösse auch der grösste Nachteil in Bezug auf die Anzahl Kinder pro Jahrgang, die intensiv <strong>Tennis</strong> spielen. Oftmals haben wir pro Jahrgang ein bis maximal zwei Spielerinnen und/oder Spieler, die ein Spitzensportpotenzial haben. Und genau diese kleinen Chancen müssen wir ausnutzen. Gelinde ausgedrückt ist das sehr anspruchsvoll. Wir müssen daher bei der Chancenauswertung sehr effizient sein. Es gibt immer wieder begabte <strong>Tennis</strong>kids. Woran fehlt es, dass sie den Durchbruch nicht schaffen? Begabt sein reicht nicht. <strong>Tennis</strong> ist sowohl eine globale als auch eine Ganzjahressportart. Die Konkurrenz ist also enorm hoch. Um vom <strong>Tennis</strong> leben zu können, braucht es eine Unmenge an Qualitäten und auch eine gesunde Portion Glück – so wie überall im Leben. Interview: Iris Rothacher TEURE TENNISKARRIERE Wer <strong>Tennis</strong> als Leistungssport betreibt, muss tief in die Tasche greifen. <strong>Tennis</strong>stunden, Platzmieten, Turniere, Reise- und Materialkosten: Die Kosten überschreiten das Budget so mancher Familie. Sie beginnt mit Kinder-<strong>Tennis</strong>unterricht und endet im besten Fall auf der Weltrangliste ganz weit vorne. Die Rede ist von einer <strong>Tennis</strong>karriere. Der Weg an die Spitze erfordert Durchhaltevermögen, sportlich und auch finanziell. Wie in einer vom britischen <strong>Tennis</strong>verband publizierten Studie berichtet wird, ist von der Vorschulzeit bis zur Volljährigkeit eine Investition von über 300 000 Franken nötig. Unterstützung gibt es kaum. Alessandro Greco, Leiter Spitzensport bei Swiss <strong>Tennis</strong> in Biel, glaubt, dass es mehr ist. «Wie viel genau kann ich nicht sagen. Das hängt von vielen Faktoren ab.» Auch Roger Vaissière, bei <strong>Zürich</strong> <strong>Tennis</strong> für das Junioren und Nachwuchswesen verantwortlich, kann keine genauen Zahlen nennen. «<strong>Tennis</strong>spielen kostet Geld, ist aber im Breitensportbereich nicht unbedingt teurer als jedes andere Hob<strong>by</strong>. Man hat die Wahl, wie viel Zeit und Geld man investieren möchte. Entschliesst sich ein Jugendlicher aber für eine Spitzensportkarriere, wird es teuer. Platzmiete, Trainerstunden, Materialkosten schlagen mit mehreren tausend Franken im Jahr zu Buche. Später kommen Reisen ins Ausland dazu. Das will gut überlegt sein.»