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immobilia 2019/07 - SVIT

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Rechnung zu tragen, kann ein Baugesuch trotz überschrittener<br />

Immissionsgrenzwerte mit einer Ausnahmebewilligung<br />

gutgeheissen werden. Der Kanton<br />

Aargau hat hierzu ein spezielles Verfahren und die<br />

entsprechenden Vorgaben mit dem Titel «Bauen im<br />

Lärm» erarbeitet. Solche Ausnahmebewilligungen<br />

sind an verschiedene Bedingungen geknüpft. Wenn<br />

die Einhaltung der Grenzwerte in städtebaulich befriedigender<br />

Weise nicht zu erreichen ist, aber mit<br />

lärmoptimierten Lüftungsmöglichkeiten (z. B. Lüftungsfenster)<br />

und weiteren Massnahmen ein angemessener<br />

Wohnkomfort sichergestellt wird, so ist<br />

eine Ausnahmebewilligung zu erteilen. Mit geeigneter<br />

Gebäudeanordnung und -form sowie Grundrissgestaltung<br />

sind die Lärmbelastungen auf die Fenster<br />

zu minimieren. Bei lärmempfindlichen Räumen, wo<br />

dies nicht möglich ist, sind lärmabgewandte Belüftungsmöglichkeiten<br />

zu schaffen.<br />

AUCH EINE FRAGE DES RECHTS<br />

Schliesslich ein Beispiel aus der Praxis – mit weitreichender<br />

Wirkung. Im März 2016 fällte das Bundesgericht<br />

ein richtungsweisendes Urteil zur sogenannten<br />

Lüftungsfenster-Praxis. Der Entscheid verlangt<br />

die Einhaltung der Immissionsgrenzen an allen Fenstern<br />

lärmempfindlicher Räume. Bisher waren nur die<br />

Grenzwerte am ruhigsten Fenster einzuhalten. Die<br />

Lausanner Richter stützen mit ihrem Urteil den Aargauer<br />

Vollzug im Bereich «Bauen im Lärm». Die bisherige<br />

Lüftungsfenster-Praxis, die den Lärm nur am<br />

geringsten belasteten Fenster beurteilt, und die viele<br />

Kantone praktizieren, sei nicht bundesgesetzkonform.<br />

Die angestrebte Verdichtung von Siedlungsräumen<br />

wird dadurch eingeschränkt und erschwert.<br />

Betrachte man den engmaschigen Lärmkataster der<br />

Stadt Zürich, so sei das gesellschaftliche Ziel der Verdichtung<br />

nach innen entlang lärmbelasteter Strassen<br />

ohne Ausnahmebewilligung kaum mehr möglich, reklamieren<br />

Planer und Architekten.<br />

Um dem raumplanerischen Anliegen einer<br />

hochwertigen Siedlungsentwicklung nach innen<br />

ZWEIFELHAFTE OBJEKTLOBHUDELEI<br />

Die Problematik zwischen Siedlungsentwicklung<br />

bzw. Verdichtung und Lärmschutz zeigt ein weiteres<br />

Beispiel. In der «Sonntagszeitung» erschien anfangs<br />

Juni auf der Architekturseite ein Bericht über ein in<br />

vielerlei Hinsicht heikles Gebäude. Eine eher eigenartige<br />

Objektbeschreibung mit Lob in höchsten Tönen.<br />

Bereits der Titel hat es in sich: «Verkehr macht<br />

Architektur». Was, wie bitte? «Autos, Züge und Busse<br />

kesseln den Neubau Schlossberg beim Bahnhof Baden<br />

ein», lautete hingegen zutreffend der erste Satz<br />

im Lead. Der Artikeleinstieg bringt es auf den Punkt:<br />

«Der Verkehr hat diesen Ersatzneubau beim Bahnhof<br />

Baden im Würgegriff. Unten führt ein Durchgang die<br />

Fussgänger von der Gewerbe- auf die Altstadtseite der<br />

Gleise. Hinten brausen Züge und Autos auf drei Ebenen<br />

vorbei und verschwinden im Schlossbergtunnel.<br />

Vor dem Haus halten die Busse, die danach ebenfalls<br />

der Berg verschluckt.»<br />

Das selbstbewusste Haus erinnere an das Bürogebäude,<br />

das vorher an gleicher Stelle stand, schreibt<br />

der Autor. Und es sei ein Extrembeispiel für die allgemeine<br />

Entwicklung im Lande: zu viele Büroflächen,<br />

aber zu wenig Wohnungen an zentraler Lage. Dann<br />

eine weitere Plattitüde: «Wer klug verdichtet, macht<br />

die Architektur abwechslungsreicher». Die Architekten<br />

organisierten die Wohnungen vertikal, damit entkomme<br />

man dem Lärm. Nach einer euphorisch-enthusiastischen<br />

Objekt- und Baubeschreibung, an den<br />

wirklich wichtigen Problemen wie Standort, Lärm<br />

und Lärmschutz vorbei, folgt im letzten Abschnitt:<br />

«Ein Patio (Terrasse, kleiner Innenhof ) im Obergeschoss<br />

sorgt für lauschige Sommerabende und ruhige<br />

Frischluft: Da die Bahnseite zu laut ist, kann man hier<br />

durchs Fenster lüften – und der Grillchefin aus dem<br />

Wohnzimmer zurufen, wenn das Essen fertig ist.» Na<br />

dann, «en Guete» und ein Prosit auf Verdichtung und<br />

Lärmschutz.<br />

*ANGELO<br />

ZOPPET-<br />

BETSCHART<br />

Der Autor ist<br />

Bauingenieur und<br />

Fachjournalist und<br />

lebt in Goldau.<br />

IMMOBILIA / Juli <strong>2019</strong> 39

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