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Touring September 2019

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Wenn Eltern und Lehrer vor<br />

der Schule Schlange stehen<br />

Zu viele Elterntaxis; motorisierte Lehrer, die mit einer<br />

Verknappung der Parkplätze zu kämpfen haben, welche<br />

für viele nicht mehr umsonst sind: Der Schulanfang<br />

ist mancherorts zu einem Prüfstein für die beteiligten<br />

Erwachsenen geworden, vor allem in der Agglomeration.<br />

TEXT JÉRÔME LATHION | FOTO PIA NEUENSCHWANDER | ILLUSTRATION NICOLAS KRISTEN<br />

Elterntaxis? «Manche würden<br />

mit dem Auto ins Schulgebäude<br />

fahren, wenn sie könnten»,<br />

scherzt Jean-Marc Haller, Generalsekretär<br />

der Westschweizer Lehrergewerkschaft<br />

(SER), die acht kantonale<br />

Verbände und 7000 Mitglieder in<br />

der französischsprachigen Schweiz<br />

vereint. Wenn er vom Gefühl der Unsicherheit<br />

hört, das ein solches Verhalten<br />

auslöst – Angst vor Unfall, Entführung<br />

oder Schlägereien zwischen<br />

Schulkindern –, beklagt er eine Situation,<br />

die nicht immer gerechtfertigt ist<br />

(siehe Kasten). Die Lehrerschaft ihrerseits<br />

muss sich mit wachsenden Parkplatzproblemen<br />

herumschlagen. Die<br />

Zeiten, in denen die von der Gemeinde<br />

entlohnten Lehrer gleichzeitig als<br />

Hausabwarte fungierten und über eine<br />

Dienstwohnung im Schulgebäude verfügten,<br />

sind nämlich vorbei. «Angesichts<br />

der damaligen Gehälter stellte<br />

diese Unterkunft bis in die 70er-Jahre<br />

ein Privileg bei einer Anstellung dar»,<br />

erläutert Jean-Marc Haller. Heute sind<br />

Primarlehrer Staatsangestellte und<br />

müssen nicht mehr auf dem Gemeindegebiet<br />

wohnen. Die Folge davon:<br />

«Das Pendeln hat zugenommen, wobei<br />

regional Unterschiede bestehen, die<br />

von verschiedenen Faktoren wie etwa<br />

den Wohnkosten abhängen.»<br />

Mobile Lehrer<br />

Da statistische Daten fehlen, ist die<br />

SER nicht in der Lage, den Anteil des<br />

Lehrpersonals, das lieber mit dem<br />

Auto zur Arbeit fährt, zu beziffern.<br />

Doch manchmal ist ein Fahrzeug<br />

schlicht unverzichtbar, vor allem<br />

wenn pädagogisches Material oder<br />

eine Vielzahl von Heften zum Korrigieren<br />

transportiert werden muss. Gewisse<br />

Lehrer unterrichten nämlich an<br />

mehreren Standorten, und nicht alle<br />

Schulgebäude – von denen einige übrigens<br />

früh schliessen – verfügen über<br />

Räume, die es gestatten, das Pensum<br />

nach den Schulstunden vor Ort zu erfüllen.<br />

«Ich schätze, dass etwa 15 Prozent<br />

des Lehrpersonals gezwungen<br />

sind, tagsüber berufshalber ein Fahrzeug<br />

zu benutzen», gesteht der Generalsekretär,<br />

der in diesem Zusammenhang<br />

eine sich langsam ausbreitende<br />

Tendenz beklagt: «Was einmal gratis<br />

war, muss nun bezahlt werden.»<br />

Die Abnahme guter<br />

Parkmöglichkeiten in der<br />

Nähe von Schulen wird seiner<br />

Ansicht nach durch die Entwicklung<br />

der Teilzeitarbeit<br />

verschärft, da stets mehr Personen<br />

mehr Autos parkieren<br />

wollen. «Etwas mehr Flexibilität<br />

seitens der Behörden wäre<br />

zu begrüssen, zumindest für<br />

Spezialfälle», seufzt Jean-<br />

Marc Haller. «Eins ist sicher:<br />

Der Umstieg auf die sanfte<br />

Mobilität ist für unseren Beruf<br />

nicht leicht.»<br />

Problem: Parkplätze<br />

Philippe Lemière von der Generaldirektion<br />

für allgemeine<br />

Schulpflicht des Kantons Genf nimmt<br />

die Klagen ernst: «Die Parkplätze sind<br />

ein Problem, doch die Schulgebäude<br />

gehören den Gemeinden», ruft er<br />

vorab in Erinnerung. «Wir können<br />

den Lehrern also nur raten, an die Gemeindebehörden<br />

zu gelangen, um<br />

möglichst ein Arrangement bezüglich<br />

Parkplätzen zu finden. Es ist vorauszuschicken,<br />

dass die sanfte Mobilität<br />

vom Regierungsrat stark unterstützt<br />

wird und dass der Kanton als Arbeitgeber<br />

grundsätzlich keine Parkplätze für<br />

Fahrten zwischen Wohn- und Arbeitsort<br />

bereitzustellen hat. Auch die Gemeinden<br />

sind nicht dazu verpflichtet.»<br />

Genf kennt alle Aspekte des Problems.<br />

Beim nächsten Schulanfang gibt es<br />

hier 58 schulische Einrichtungen mit<br />

165 Gebäuden, wovon ein Drittel im<br />

Stadtzentrum liegt; es werden 2400<br />

Primarschullehrer und 36 500 Schulkinder<br />

– 800 mehr als letztes Jahr – erwartet.<br />

«Im Zentrum bereitet den Lehrern<br />

nicht nur das Parkieren, sondern<br />

auch die Verkehrsverhältnisse Mühe.<br />

Viele von ihnen entscheiden sich für<br />

ein Zweirad oder den öffentlichen Verkehr.<br />

In den Gemeinden auf dem Land<br />

ist dies schwieriger, da die tiefere Verbindungsfrequenz<br />

zuweilen schwer<br />

mit den Stundenplänen vereinbar ist»,<br />

fährt Philippe Lemière fort. «Wir berücksichtigen<br />

nach Möglichkeit die<br />

Wünsche der Angestellten nach Nähe<br />

zum Arbeitsplatz. Doch unser Handlungsspielraum<br />

ist<br />

beschränkt, da wir<br />

in erster Linie auf<br />

die Bedürfnisse<br />

der Einrichtungen<br />

eingehen müssen.»<br />

«Das Pendeln hat zugenommen,<br />

wobei es<br />

regional Unterschiede<br />

gibt, etwa bei den<br />

Wohnkosten»<br />

Jean-Marc Haller,<br />

Generalsekretär der Westschweizer<br />

Lehrergewerkschaft (SER)<br />

In den ländlich geprägten<br />

Kantonen<br />

scheint die Situation<br />

weniger angespannt<br />

zu sein. Fabien<br />

Kohler, Leiter<br />

der Verwaltungsstelle<br />

des jurassischen<br />

Bildungswesens,<br />

bestätigt<br />

dies. Von den rund<br />

600 erfassten Primarschullehrern<br />

arbeiten mehr als 400 ausserhalb der<br />

beiden städtischen Zentren Delsberg<br />

und Pruntrut. Das heisst, dass die<br />

meisten auf ein Auto angewiesen sind:<br />

«An unseren Gesprächen mit den<br />

Schulleitungen erhalten wir keine<br />

nennenswerten Rückmeldungen über<br />

Unzufriedenheit, abgesehen vom Problem<br />

des Ein- und Ausladens der Kinder<br />

durch die Eltern», gesteht der Verantwortliche.<br />

Die jurassischen Behörden<br />

konzentrieren sich also vor allem auf<br />

die sanfte Mobilität der Schulkinder,<br />

indem sie den Schulweg zu Fuss oder<br />

im Pedibus fördern. ◆<br />

18 touring | <strong>September</strong> <strong>2019</strong>

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