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MONEYINSIDE<br />
Foto: D. Gust/FOCUS-MONEY<br />
Hasskommentare<br />
Ich kann Michel Friedman nicht leiden. Ich finde ihn arrogant,<br />
anmaßend und unsymphatisch. Auf unserem<br />
YouTube-Kanal Mission Money haben die Kollegen<br />
kürzlich ein Interview mit Michel Friedman veröffentlicht.<br />
Sie hatten auch schon Interviews mit Thomas Middelhoff,<br />
Thilo Sarrazin, Sahra Wagenknecht oder Max Otte<br />
– eben Menschen, die polarisieren. Über die Resonanz auf<br />
das Friedman-Interview war ich entsetzt. Haufenweise<br />
YouTube-Abo-Kündigungen und Kommentare nach dem<br />
Muster eines Users namens „Guy Inkognito“ (so nennt<br />
er sich wirklich in den sozialen Medien): „Da bekomme<br />
ich die Nachricht, dass Mission Money ein neues Video<br />
am Start hat, und einen Moment später sehe ich Paolo<br />
Pinkel im Großformat in meinem Wohnzimmer.“ Rechte<br />
Hasskommentare!<br />
Ich würde auch nie einen offenen Brief an Greta Thunberg<br />
auf Facebook publizieren. Dazu wäre mir meine Zeit<br />
zu schade. Ein User namens Martin Graf hat es dennoch<br />
getan – sein gutes Recht. Über einen „Like“ eines Schulkameraden,<br />
mit dem ich auf Facebook vernetzt bin, wurde<br />
der Brief auch mir zugetragen. Er ist sachlich, nicht polemisch,<br />
argumentativ – man muss die Argumente nicht teilen,<br />
aber man kann sie lesen. Thomas Dettbarn nennt den<br />
Briefschreiber in seinem Kommentar einen „Volksverpetzer“<br />
und fügt noch das zugehörige Twitter # dazu, Janne<br />
Erdfrau nennt ihn einen „alten weißen Mann“. Johannes<br />
Auersberg beschimpft ihn in Großbuchstaben: „SIE MIT<br />
IHREM AUFGEBLASENEN, IGNORANTEN GESCHWA-<br />
FEL!“ Und Markus Dreiser schließt mit: „Ihr verblödeten<br />
Arschgeigen.“ Linke Hasskommentare!<br />
Der französische Philosoph Voltaire soll einmal gesagt<br />
haben: „Mein Herr, ich teile Ihre Meinung nicht, aber<br />
ich würde mein Leben dafür einsetzen, dass Sie sie äußern<br />
dürfen.“ Das gilt heute offensichtlich nicht mehr,<br />
weder in den sozialen Medien noch in den öffentlichrechtlichen.<br />
Wie anders wäre es zu erklären, dass weder<br />
ich noch irgendein anderer meiner Redaktionskollegen<br />
in den Nachrichten auf folgende Meldung aufmerksam<br />
geworden ist: „There ist no climate emergency“ (Es gibt<br />
keinen Klimanotstand). „Climate science should be less<br />
political, while climate policies should be more scientific.<br />
Scientists should openly address the uncertainties and ex-<br />
Frank Pöpsel,<br />
Chefredakteur<br />
aggerations in their predictions of global warming.“ (Klimaforscher<br />
sollten weniger politisch agieren und Politiker<br />
sollten wissenschaftlicher handeln. Die Wissenschaftler<br />
sollten offen darlegen, welche Unsicherheiten und Übertreibungen<br />
ihren Voraussagen zu Grunde liegen; https://<br />
clintel.nl/wp-content/uploads/<strong>2019</strong>/09/ED-brochureversieNWA4.pdf.)<br />
Unterzeichner des Appells sind 500 Wissenschaftler<br />
und Experten aus ganz Europa.<br />
Wer nicht offen ist für einen echten Diskurs, wird auch<br />
keine neuen, innovativen Lösungen finden. In einem Gastbeitrag<br />
für „Die Zeit“ etwa plädiert Rainer Klute, Diplom-<br />
Informatiker und Physiker, für neue Atomkraftwerke in<br />
Deutschland. „Inzwischen gibt es moderne Reaktoren,<br />
die Energie aus bereits angefallenem Atommüll gewinnen<br />
können. Allein aus den gebrauchten Brennelementen in<br />
den verschiedenen Zwischenlagern könnte Deutschland<br />
250 Jahre lang komplett mit Strom versorgt werden.“ Warum<br />
reden wir nicht einmal darüber? Oder über die Frage,<br />
ob wir die 54 Milliarden Euro, die das deutsche Klimapaket<br />
kostet, nicht anderswo besser investieren könnten:<br />
In Indien etwa werden derzeit Kohlekraftwerke mit einer<br />
Kapazität von 94 000 Megawatt geplant oder gebaut. Mit<br />
den 54 Milliarden Euro könnte man in Indien 75 000 Megawatt<br />
Solarkapazität errichten. Natürlich kann man das<br />
nicht eins zu eins miteinander verrechnen, aber es zeigt<br />
die Größenordnung bei denkbaren innovativen Lösungen.<br />
Wie unsere Gesellschaft durch die nicht vorhandene<br />
Klimadiskussion in Lager zerfällt, zeigt auch die Wortwahl<br />
der beiden Seiten. „Ökofaschisten“ nennt die rechte<br />
Seite die linke – sogar ein FDP-Bundestagskandidat<br />
gebrauchte einmal diesen Begriff. Als „Klimaleugner“<br />
beschimpft die linke Seite die rechte. Haben Sie einmal<br />
darüber nachgedacht, in welchem Zusammenhang das<br />
Substantiv „Leugner“ in der deutschen Sprache üblicherweise<br />
sonst verwendet wird? Ich kenne es nur im Begriff<br />
„Holocaust-Leugner“ und bin entsetzt.<br />
FOCUS-MONEY <strong>43</strong>/<strong>2019</strong><br />
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