Handelsverband Journal RETAIL 3/2019
Handelsverband Journal RETAIL 3/2019
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— storys<br />
— storys<br />
Der Riese kommt unter Druck<br />
Amazon. Die rechtlichen Probleme des Onlineriesen nehmen zu.<br />
Weltweit können sich Händler nach einer Beschwerde des<br />
<strong>Handelsverband</strong>es über mehr Fairness am Marktplatz freuen.<br />
Die neuen Marktplatz-<br />
Bedingungen<br />
In folgenden Punkten hat der <strong>Handelsverband</strong><br />
mehr Fairness auf dem Marktplatz<br />
von Amazon erreicht:<br />
• Keine Kündigung oder Aussetzung<br />
von Verträgen mit sofortiger Wirkung<br />
und ohne Angabe von Gründen. Eine<br />
Kündigung erfolgt unter Einhaltung<br />
einer Frist von 30 Tagen.<br />
• Das Nutzungsrecht an den Materialien,<br />
die Händler bereitstellen und<br />
das Amazon für sich beansprucht,<br />
wird reduziert.<br />
• Freistellung/Entschädigung von<br />
Amazon durch Händler nur bei<br />
Gesetzesverletzungen.<br />
• Der Haftungsausschluss wird<br />
beschränkt.<br />
• Werden Bestimmungen geändert,<br />
muss Amazon dies 15 Tage zuvor<br />
ankündigen.<br />
• Auch andere Gerichtsstände als<br />
Luxemburg Stadt sind möglich.<br />
• Der weitgehende Haftungsausschluss<br />
bzw. die Haftungsfreistellung betreffend<br />
die Lagerhaltung im Programm<br />
„Versand durch Amazon“ werden<br />
gestrichen.<br />
• Verlängerung der dreitägigen Widerspruchsfrist<br />
für Marktplatzhändler bei<br />
durch Amazon gewährten Erstattungen<br />
im Rahmen der A–Z-Garantie.<br />
Mitte Juli hat Amazon bekannt gegeben,<br />
weltweit die Geschäftsbedingungen<br />
für seine Marktplätze<br />
zu ändern. Davon profitieren zahlreiche<br />
kleine Händler, die auf die Plattform des<br />
Online-Platzhirschen angewiesen sind<br />
und sich bereits lange über unfaire Praktiken<br />
beschwert hatten. Den erfreulichen<br />
Veränderungen vorausgegangen waren<br />
Untersuchungen des deutschen Kartellamts<br />
und der österreichischen Bundeswettbewerbsbehörde<br />
(BWB). Hauptbeschwerdeführer<br />
in Österreich war der<br />
<strong>Handelsverband</strong>, dessen Geschäftsführer<br />
Rainer Will sich über den Erfolg entsprechend<br />
erfreut zeigt: „Damit sind wir<br />
unserem Ziel, einen fairen Marktplatz für<br />
alle Händler und Konsumenten sicherzustellen,<br />
einen entscheidenden Schritt<br />
näher gekommen.“<br />
Umfrage beweist starke Abhängigkeit<br />
Durch die freiwillige Änderung der Bedingungen<br />
(Details siehe Kasten) konnte<br />
Amazon einem langwierigen Gerichtsverfahren<br />
vor dem Kartellgericht entgehen.<br />
Die vom <strong>Handelsverband</strong> vorgebrachte<br />
Beweislage scheint erdrückend<br />
gewesen zu sein. „Dieser Erfolg zeigt,<br />
dass der digitale Raum nicht rechtsfrei<br />
ist und sich auch digitale Giganten an<br />
die Gesetze halten müssen“, so Will.<br />
Der <strong>Handelsverband</strong> begrüßt zudem die<br />
Empfehlung der BWB an Amazon, in seinen<br />
Geschäftsbedingungen zumindest<br />
einen Ansprechpartner zu benennen,<br />
an den sich die heimischen Händler unmittelbar<br />
wenden können. Mangelhafte<br />
Kommunikation mit Amazon war ein<br />
wesentlicher Kritikpunkt der Marktplatz-Händler<br />
gewesen.<br />
Eine von der BWB durchgeführte<br />
Marktbefragung, bei der rund 400<br />
der umsatzstärksten österreichischen<br />
Marktplatzhändler am Amazon.de-<br />
Marktplatz befragt wurden, hat<br />
deutlich gezeigt: Die heimischen<br />
Marktplatzhändler sehen kaum<br />
relevante Alternativen zum Amazon<br />
Marketplace, um ihre Kunden online zu<br />
erreichen. Ein großer Teil der befragten<br />
Marktplatzhändler verkauft fast<br />
ausschließlich auf Amazon. Und auch<br />
jene Marktplatzhändler, die nach ihren<br />
Angaben über Alternativen verfügen,<br />
erwirtschaften den weitaus größten Teil<br />
ihres Umsatzes auf Amazon.de.<br />
Mehr Troubles in den USA und EU<br />
Damit sind die rechtlichen und politischen<br />
Probleme für Amazon aber bei<br />
Weitem nicht aus der Welt. Auch an<br />
anderen Fronten braut sich Ungemach<br />
zusammen. EU-Wettbewerbskommissarin<br />
Margrethe Vestager – die zumindest<br />
bis Oktober noch im Amt ist – will ein<br />
Kartellverfahren gegen Amazon einleiten.<br />
Hintergrund ist die Doppelrolle<br />
des Unternehmens als Einzelhändler<br />
und Onlinemarktplatz, auf dem andere<br />
Händler ihre Produkte verkaufen. Im<br />
Fokus stehen vor allem die Daten, die<br />
Amazon auf seinem Marktplatz sammelt<br />
und für die Optimierung seiner<br />
eigenen Verkaufstätigkeiten nutzen<br />
könnte. Amazon erwirtschaftet mittlerweile<br />
58 Prozent seines weltweiten<br />
Umsatzes mit dem Marketplace.<br />
Auch die US-Regierung will schärfer<br />
gegen die Marktmacht der großen<br />
Internetkonzerne vorgehen. Im Visier<br />
stünden „Suchmaschinenanbieter,<br />
soziale Netzwerke und Onlinehändler“,<br />
wie es in einer offiziellen Mitteilung<br />
heißt. Das Justizministerium untersucht<br />
nun, ob durch die marktbeherrschende<br />
Stellung der Wettbewerb unterdrückt,<br />
Innovationen behindert oder den Konsumenten<br />
auf andere Weise Schaden<br />
zugefügt wird.<br />
„Auch wir werden uns weiterhin mit<br />
aller Kraft für Fair Commerce einsetzen,<br />
um Wertschöpfung und Arbeitsplätze<br />
in Österreich zu sichern und<br />
damit die Chancen der Digitalisierung<br />
zu nutzen", so <strong>Handelsverband</strong>-Geschäftsführer<br />
Will.<br />
Illustration: Shutterstock/Titima Ongkantong<br />
„In erster Linie moralisch verwerflich“<br />
Personal. Strenge Überwachung, absurde Bestrafungen: Kaum hat Österreich<br />
ein Amazon-Logistikzentrum, folgen Klagen über die Arbeitsbedingungen.<br />
Seit Oktober vergangenen Jahres hat<br />
auch Österreich ein eigenes Amazon-<br />
Logistikzentrum, in Großebersdorf<br />
nordöstlich von Wien. Nur wenige<br />
Monate später setzte scharfe Kritik der<br />
Gewerkschaft an den Arbeitsbedingungen<br />
ein, nachdem ein Mitarbeiter<br />
des Amazon-Lagers Einblick in seinen<br />
Arbeitsalltag gewährt hatte:<br />
• Überwachung: Der Scanner, der als<br />
Arbeitsgerät benutzt wird, registriert<br />
genau die Arbeitsleistung der einzelnen<br />
Beschäftigten. Zugriff auf die<br />
Daten haben diese jedoch nicht.<br />
• Disziplinierungen: Leistet sich ein<br />
Mitarbeiter ein Fehlverhalten, etwa<br />
falsche Bekleidung oder zu geringe<br />
Arbeitsleistung, dann muss er zur<br />
Strafe jedes Paket unter Aufsicht<br />
einzeln scannen, obwohl es die<br />
Möglichkeit eines gruppierten<br />
Scannens gibt.<br />
• Strenge Vorschriften und Misstrauen:<br />
In der Arbeitszeit darf man keine<br />
persönlichen Gegenstände mit sich<br />
führen, etwa Uhren, Gürtel, Handys<br />
oder Kaugummi.<br />
• Gefährlicher Arbeitsplatz: Die Regale<br />
sind angeblich sehr hoch und nicht am<br />
Boden befestigt, gleichzeitig seien die<br />
Gänge zwischen den Regalen sehr eng.<br />
• Leiharbeit: Von den mehr als 150<br />
Mitarbeitern sind laut der zuständigen<br />
Gewerkschaft GPA nur 16 direkt<br />
bei Amazon angestellt, der Rest sind<br />
Leiharbeitskräfte.<br />
Kommt Begrenzung von Leiharbeit?<br />
Das klingt alles nicht sonderlich<br />
sympathisch – aber ist es auch gesetzwidrig?<br />
Amazon bewege sich hart an<br />
der Grenze, sagt GPA-Pressesprecher<br />
Daniel Gürtler zu „retail“: „Bei zentralen<br />
Vorwürfen bezüglich Überwachung,<br />
Strafaktionen bei Fehlverhalten und<br />
fragwürdiger Bekleidungsvorschriften<br />
hat Amazon nichts geändert. Solche<br />
Vorgaben sind wohl nicht gesetzeswidrig,<br />
sondern tatsächlich in erster Linie<br />
moralisch verwerflich.“ Die Halle wurde<br />
angeblich nach einer Überprüfung<br />
durch das Arbeitsinspektorat umgebaut.<br />
Der Konzern streitet freilich sämtliche<br />
Anschuldigungen ab: „Wir denken nicht,<br />
dass die Vorwürfe die Wirklichkeit in<br />
unseren Gebäuden widerspiegeln“, hieß<br />
es in einem Statement.<br />
„Spannend wird noch, ob die Initiative<br />
zur Begrenzung der Zahl der eingesetzten<br />
Leiharbeitskräfte konkrete<br />
Ergebnisse bringt“, so Gürtler. „Hier<br />
ist auf unsere Anregung hin das<br />
Sozialministerium aktiv geworden.“<br />
Leiharbeitskräfte dienen eigentlich dem<br />
Abdecken von Auftragsspitzen. Wenn<br />
der Verdacht von Missbrauch besteht,<br />
könnte eine Verordnung die Anzahl der<br />
Leiharbeitskräfte bei Amazon Österreich<br />
begrenzen. ▪ Gerhard Mészáros<br />
22 — September <strong>2019</strong> September <strong>2019</strong> — 23