Burgblatt-2019-11
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STIFTUNG KULTURELLE ERNEUERUNG<br />
Demokratie<br />
von Meinhard Miegel<br />
Wieder einmal ist die Demokratie Gegenstand<br />
lebhafter Kontroversen. Ist sie<br />
in der Lage, notwendige Entscheidungen<br />
herbeizuführen? Kann sie gegenwärtige<br />
Menschheitsprobleme wie Klimawandel,<br />
Migrationsströme oder Verletzungen<br />
von Menschenrechten lösen? Vermag<br />
sie binnengesellschaftliche und globale<br />
Gerechtigkeit herzustellen? Und was die<br />
Mehrheit am meisten beschäftigt: Kann<br />
sie materiellen Wohlstand schaffen und<br />
dauerhaft sichern?<br />
Die ehrliche Antwort ist: Die Demokratie<br />
kann nichts von alledem. Denn wie alle<br />
menschlichen Konstrukte ist sie immer<br />
nur so gut, aber eben auch so schlecht wie<br />
die Menschen, die sie mit Leben erfüllen.<br />
Es kann nicht oft genug wiederholt werden:<br />
Demokratie ist Herrschaft des Volkes.<br />
Wer sich gegen diese Herrschaft wendet,<br />
wendet sich unvermeidlich auch gegen<br />
sich selbst. Nun heißt das nicht, dass es Individuen,<br />
gesellschaftliche Gruppen oder<br />
institutionelle Arrangements gibt, die diese<br />
Herrschaft befördern, belasten oder gar<br />
unterminieren. Es gibt so etwas wie eine<br />
demokratische Gesinnung, die demokratisches<br />
Handeln beflügelt. Und es gibt das<br />
Gegenteil: Denk- und Handlungsweisen,<br />
die die Demokratie zersetzen.<br />
Letzteres trifft nicht nur auf die erklärten<br />
Feinde der Demokratie zu. Diese sind sogar<br />
vergleichsweise leicht abzuwehren,<br />
wecken sie doch gewollt oder ungewollt<br />
Widerstandskräfte. Ungleich problematischer<br />
sind jene, die sich zwar selbst für<br />
gute Demokraten halten, zugleich aber<br />
– gelegentlich in aller Unschuld – Lebensstile<br />
praktizieren, die mit Demokratie<br />
schwerlich vereinbar sind.<br />
Die Demokratie gründet auf einer Gemeinschaft<br />
von Menschen mit gleichen<br />
Rechten und Pflichten. Wo es diese Rechte-<br />
und Pflichtengleichheit nicht gibt, gibt<br />
es auch keine Demokratie. Anders gewendet:<br />
Demokratie und Privilegien schließen<br />
einander aus. Privilegien sind das Attribut<br />
feudaler Ordnungen. In Demokratien ist<br />
für sie kein Raum. Und doch gieren auch<br />
in Demokratien nicht wenige nach eben<br />
solchen Privilegien. Das beginnt scheinbar<br />
harmlos mit einem Geldschein, der in einem<br />
gut besuchten Restaurant einen besonders<br />
schönen Tisch sichern soll, setzt<br />
sich fort über den Bekannten, der im Krankenhaus<br />
doch noch eines der begehrten<br />
Einzelzimmer ergattern kann und steigert<br />
sich zu schamloser Vorteilsnahme bis hin<br />
zu Korruption.<br />
Auf wenig reagiert ein demokratisch verfasstes<br />
Gemeinwesen so empfindlich wie<br />
auf diese Art von Verhalten. Wer es gut<br />
mit der Demokratie meint, wird deshalb<br />
peinlich darauf achten, dass er nicht selbst<br />
zum Ärgernis wird. Unterschiede, die auch<br />
nur den Verdacht einer Privilegierung wecken<br />
könnten, bedürfen der sorgsamen<br />
Begründung. Das ist nicht immer einfach.<br />
Lässt sich beispielsweise ein aufwendiger<br />
Lebensstil, der mit einer reichen Erbschaft<br />
einhergehen könnte, wirklich überzeugend<br />
begründen? Oder die Masse herausgehobener<br />
Positionen in Wirtschaft und<br />
Politik? Wer selbstkritisch ist, wird bekennen,<br />
dass es hier mit Begründungen mitunter<br />
nicht weit her ist. Durch demokratisches<br />
Gewand blitzt nicht selten purster<br />
Feudalismus.<br />
Doch ob begründbar oder nicht: Die von<br />
irdischem Glück Begünstigten tun in einem<br />
demokratisch verfassten Gemeinwesen<br />
gut daran, wo immer es geht zu teilen.<br />
Wo eine Kultur des Teilens herrscht, wird<br />
sich Unmut über die Demokratie in engen<br />
Grenzen halten. Denn dieser Unmut speist<br />
sich vor allem aus dem Gefühl ungerechtfertigter<br />
Benachteiligung. Es liegt bei den<br />
Begünstigten, diesem Gefühl die Grundlage<br />
zu entziehen.<br />
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<strong>11</strong> | <strong>2019</strong><br />
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