UNIon - Europa-Universität Viadrina Frankfurt
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Mit dem <strong>Viadrina</strong>-Preisträger 2011,<br />
Krzysztof Penderecki, sprach für „Uni on“<br />
FRANZISKA MYCK<br />
Wann waren Sie das erste Mal in Deutschland?<br />
Das war wegen einer Einladung zu den Donaueschinger<br />
Musiktagen. Ich bekam einen Auftrag<br />
vom Südwestrundfunk Baden-Baden. Jemand<br />
von der Musikabteilung war während<br />
des Festivals „Warschauer Herbst“ nach Polen<br />
gekommen und hörte dort das von mir damals<br />
uraufgeführte Stück „Strophen“. Ich bekam da -<br />
raufhin den Auftrag, ein Stück für die Donaueschinger<br />
Musiktage zu schreiben. Ich schrieb<br />
die „Anaklasis“ und wurde dann zu der Uraufführung<br />
nach Deutschland eingeladen. Ich<br />
kann mich noch sehr gut erinnern, dass es damals<br />
Probleme gab, einen Pass zu bekommen.<br />
Das dauerte drei oder vier Monate. Ich wusste<br />
bis kurz vor Beginn der Donaueschinger Musiktage<br />
nicht, ob ich fahren kann. Dann, in letzter<br />
Minute, bekam ich doch noch einen Pass. Ja,<br />
das war schon ein Abenteuer …<br />
Wie wichtig waren damals persönliche Kontakte,<br />
um Ihnen diese Reise nach Deutschland zu ermöglichen<br />
bzw. um einen Pass zu erhalten?<br />
Oder funktionierte das lediglich auf staatlicher<br />
Ebene?<br />
Später war es leichter, da bekamen wir die Pässe<br />
vom Kulturministerium. Aber damals am Anfang,<br />
das war noch in Krakau, da war es sehr<br />
schwierig. Junge Menschen – ich war damals<br />
ungefähr 25 Jahre alt – durften nicht reisen.<br />
Aber mir ist es dennoch gelungen. Das war<br />
meine erste Reise. Ich kam nach Baden-Baden,<br />
zunächst einmal für die Proben. Dann wurde<br />
ich nach Donaueschingen zur Uraufführung<br />
meines Werkes „Anaklasis“ gebracht, die damals<br />
ein sehr großer Erfolg war.<br />
Anschließend bekam ich von Herrn Dr. Heinrich<br />
Strobel, dem damaligen Musikabteilungschef<br />
des Südwestrundfunks Baden-Baden, der mich<br />
damals sehr unterstützte, jedes zweite Jahr einen<br />
Auftrag für ein neues Werk. Und dann kamen<br />
natürlich andere Rundfunkstationen, z.B.<br />
der Norddeutsche Rundfunk und der Westdeutsche<br />
Rundfunk. Ja, und etwas später kam dann<br />
der Auftrag für die „Lukas-Passion“, die ich für<br />
Münster geschrieben habe. So knüpfte ich<br />
mehr und mehr Kontakte nach Deutschland.<br />
Sie haben dann anschließend an der Folkwang<br />
Hochschule für Musik unterrichtet?<br />
Ja, das war nach der Uraufführung der „Lukas-<br />
Passion“, da bekam ich einen Lehrauftrag an<br />
der Musikhochschule in Essen. Dort arbeitete<br />
ich zwei Jahre.<br />
Haben Sie vorher Deutsch gelernt und gesprochen?<br />
Als Kind zuerst einmal ja, aber dann habe ich<br />
leider alles wieder vergessen. Mein Großvater<br />
war Deutscher. Als die Deutschen dann aber<br />
nach Polen kamen, wollte er kein Wort mehr<br />
Deutsch sprechen. Damals war ich fünf Jahre<br />
alt. Ich habe es dann später gelernt, aber eigentlich<br />
nie richtig im Sprachunterricht, sondern<br />
einfach nur über den Kontakt mit Deutschen,<br />
so vor allem in den zwei Jahren in Essen.<br />
[<strong>UNIon</strong>]<br />
Danach bekam ich ein Stipendium vom DAAD<br />
und lebte zwei Jahre mit meiner Familie in Berlin.<br />
Sie haben gerade Ihren Großvater erwähnt. Welche<br />
Erinnerungen haben Sie an Ihre Kindheit<br />
während des Krieges?<br />
Ich habe Glück gehabt, dass ich in einer kleinen<br />
Stadt, in Dębica, groß geworden bin. Das waren<br />
damals vielleicht 20.000 Einwohner. Mehr als<br />
die Hälfte waren Chassiden. Es war eine dieser<br />
ostgalizischen Städte in Polen, die östlich von<br />
Krakau bis Lemberg und weiter weg liegen.<br />
Dort gab es sehr viele Juden. Die sind dann eines<br />
Tages verschwunden, unter ihnen auch<br />
meine Mitschüler. Damals waren die Deutschen<br />
schon in Polen. In unserer Klasse waren<br />
erst noch Juden. Sie saßen auf der einen und<br />
wir auf der anderen Seite des Raumes. Dann<br />
kamen die Ghettos in ganz Polen und meine<br />
Kollegen waren weg.<br />
Da meine Familie auch sehr gelitten hat, habe<br />
ich die Kriegsjahre sehr stark in Erinnerung. Ein<br />
Onkel aus unserer Familie wurde von der Gestapo<br />
ermordet, weil er in einer antifaschistischen<br />
Organisation in Warschau war, und ein<br />
anderer Onkel, ein hoher Offizier, wurde von<br />
den Russen in Katyń ermordet. Und auch die<br />
Besatzung habe ich in Erinnerung, zuerst die<br />
deutsche und dann die russische. Die Russen<br />
kamen zwar, um uns zu befreien, aber danach<br />
blieben sie für mehr als 40 Jahre.<br />
Ich würde nun gerne auf Ihr Werk das „Polnische<br />
Requiem“, welches u.a. 2010 in Berlin aufgeführt<br />
wurde, eingehen. Weshalb haben Sie sich<br />
bei diesem Werk von zentralen Momenten und<br />
wichtigen Persönlichkeiten der jüngeren Geschichte<br />
Polens inspirieren lassen?<br />
Ich wollte das Werk für Polen schreiben, daher<br />
auch die Hauptwidmung „Polnisches Requiem“.<br />
Bei einem Satz des Werkes habe ich mich z.B.<br />
von der Geschichte Katyńs inspirieren lassen,<br />
wo ja auch mein Onkel umgekommen ist. Ein<br />
anderer Satz ist dem Aufstand in Warschau gewidmet,<br />
ein weiterer dem jüdischen Aufstand,<br />
der vorher war, dann einer für Maximilian Kolbe,<br />
der heilig gesprochen wurde, da er sein Leben<br />
für einen Häftling geopfert hat. Es ist ein<br />
Werk, das ich 25 Jahre lang komponiert habe.<br />
Ich schrieb zuerst einmal die Hälfte der Sätze,<br />
danach habe ich dann jedes Jahr einen weiteren<br />
Satz geschrieben. 2005, nach dem Tod des<br />
Papstes Johannes Paul II., schrieb ich außerdem<br />
noch ein „Sanctus“.<br />
In den schwierigen Zeiten, wo man z.B. in Polen<br />
über Katyń überhaupt nicht schreiben konnte,<br />
wurde mein Stück ohne Texte und Widmungen<br />
aufgeführt.<br />
Wie war es für Sie, in der Volksrepublik Polen zu<br />
leben? Wie fühlten Sie sich?<br />
Am Anfang war es natürlich sehr schwer. Wir<br />
waren komplett isoliert. Man kann es vielleicht<br />
ein wenig mit der DDR vergleichen, auch wenn<br />
es natürlich nicht genauso war, denn die Behörden<br />
dort waren strenger als unsere.<br />
Nach 1956, nach dem Aufstand in Ungarn und<br />
dem Regierungswechsel in Polen, wurde es<br />
schon etwas leichter, d.h., man konnte unter<br />
Ehrungen<br />
Fragen einer <strong>Viadrina</strong>-Studentin an den <strong>Viadrina</strong>-<br />
Umständen schon einen Pass bekommen. Mit<br />
den Jahren wurde es dann eigentlich immer<br />
freier.<br />
Das größte Festival der Neuen Musik, der „Warschauer<br />
Herbst“, wurde gegründet. Dieses blieb<br />
auch während der schwierigen Jahre erhalten.<br />
Es war ein Fenster für den Westen und ermöglichte<br />
den Austausch. Viele Komponisten aus<br />
dem Westen haben in Warschau gespielt und<br />
unsere Musik wurde im Westen gespielt. Das<br />
alles hat mit dem „Warschauer Herbst“ angefangen.<br />
Bis heute ist es das größte Festival der<br />
modernen Musik. In den ersten zehn bis fünfzehn<br />
Jahren waren fast alle meine Werke Aufträge<br />
für Deutschland und wurden dort uraufgeführt.<br />
Haben die politischen Umwälzungen 1989 ihre<br />
Arbeit beeinflusst?<br />
Wir waren in Polen damals eigentlich schon<br />
sehr frei. In den 1980er Jahren existierten keine<br />
Restriktionen mehr. Das war eigentlich so wie<br />
im Westen. Dieser Machtwechsel hatte für den<br />
Bereich der Kultur keine große Bedeutung.<br />
Weshalb sehen Sie sich nicht als einen politischen<br />
Komponisten?<br />
Nein, davon habe ich mich ferngehalten. Ich<br />
war nie Mitglied einer Partei, nur des Komponistenverbandes.<br />
Das war damals gar nicht so<br />
leicht in Polen. Wäre ich ein Mitglied der Partei<br />
gewesen, hätte ich natürlich schon viel früher<br />
frei reisen können. Wir haben erkämpft, dass<br />
wir im sozialistischen Block freier waren und<br />
das machen konnten, was in anderen Ländern<br />
des sozialistischen Blocks nicht möglich war.<br />
Was sind die Wurzeln Ihrer Musik?<br />
In den Jahren der wütenden Avantgarde, in den<br />
1960er und 70er Jahren, da schrieb niemand<br />
Melodien. Man versuchte, Musik ohne Melodien,<br />
ohne Form, zu schreiben. Aber ich blieb eigentlich<br />
immer sehr bei meinen Wurzeln. Meine<br />
Ausbildung war sehr klassisch.<br />
Eine Offenbarung für mich war damals die Berührung<br />
mit der elektronischen Musik. 1956<br />
oder 1957 wurde in Warschau ein elektronisches<br />
Studio eröffnet, der Warschauer Rundfunk.<br />
Ich war dann ständig in Warschau, mindestens<br />
zwei, drei Jahre lang. Die Elektronik hat<br />
meine Musik sehr beeinflusst. Früher schrieb<br />
ich keine Melodien, weil es nicht die Zeit war,<br />
Melodien zu schreiben. Dann aber allmählich<br />
schon wieder. Das „Polnische Requiem“ ist ein<br />
Werk, das zwei Stunden dauert. Ohne Melodien<br />
wäre es undenkbar.<br />
Sie erhielten nun den <strong>Viadrina</strong>-Preis, weil Sie dazu<br />
beigetragen haben, nach dem Zweiten Weltkrieg<br />
kulturelle Brücken zwischen Deutschland<br />
und Polen zu bauen. Wie kann man sich diese<br />
deutsch-polnische Verständigung im Bereich der<br />
Musik konkret vorstellen?<br />
Ich bin nicht der erste Preisträger, da waren vor<br />
mir sehr viele andere wichtige Personen, die<br />
diesen Preis erhalten haben, so z.B. Karl Dedecius,<br />
der geniale Übersetzer der polnischen und<br />
russischen Literatur, dann Günter Grass, Adam<br />
Michnik und Tadeusz Mazowiecki.