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UNIon - Europa-Universität Viadrina Frankfurt

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[<strong>UNIon</strong>]<br />

Alte Schriften, schöne Bücher, schlaue Mönche –<br />

Ein Seminarbesuch im Archiv der <strong>Frankfurt</strong>er St.-Gertraud-Kirche<br />

Im vergangenen Sommersemester konnten<br />

sich Studierende im Einführungsseminar Kulturgeschichte<br />

aus dem Bereich der Mittelalterlichen<br />

Geschichte dem Thema „Bildung im Mittelalter“<br />

von zwei Seiten nähern, von den mittelalterlichen<br />

Gelehrten einerseits und von den<br />

Büchern, in denen ihre Werke überliefert sind,<br />

andererseits. Zur Veranschaulichung fand ein<br />

Besuch im Archiv der evangelischen St.-Gertraud-Kirche<br />

<strong>Frankfurt</strong> (Oder) statt.<br />

Im Verlauf des Seminars „Schriftkultur und Gelehrsamkeit<br />

im Mittelalter“ referierten Studierende<br />

über bekannte Gelehrte des Mittelalters,<br />

wie Augustinus von Hippo oder Thomas von<br />

Aquin, ergänzt durch kurze Vorträge über bedeutende<br />

Schriftsteller, darunter Hildegard von<br />

Bingen, bis hin zu Nikolaus Kopernikus. Im Anschluss<br />

daran wurden Werke der Autoren in Autographen,<br />

Handschriften oder frühen Drucken<br />

anhand von Faksimile-Abbildungen gelesen,<br />

die zuvor über das Portal iversity den Teilnehmern<br />

zugänglich gemacht worden waren. Dazu<br />

war es notwendig, die wichtigsten Schriften<br />

des Mittelalters lesen zu lernen, was ebenfalls<br />

im Rahmen des Seminars erfolgte. Zusätzlich<br />

wurde in Schlaglichtern auch das Umfeld thematisiert,<br />

in welchem im Mittelalter die Weitergabe<br />

höherer Bildung erfolgte, hier vor allem<br />

Klosterschulen und <strong>Universität</strong>en.<br />

Als praktische Ergänzung zum Seminar war im<br />

letzten Drittel des Semesters ein Besuch im Archiv<br />

der St.-Gertraud-Kirche in <strong>Frankfurt</strong> (Oder)<br />

eingeplant, um den Studierenden den „Zauber“<br />

mittelalterlicher und frühneuzeitlicher Bücher,<br />

aber auch die Probleme im Umgang mit ihnen<br />

nahe zu bringen. Ermöglicht wurde dies durch<br />

das engagierte und überaus freundliche Entgegenkommen<br />

von Pfarrer i. R. W. Töppen, dem<br />

dafür nochmals herzlich gedankt sei.<br />

So konnten wir am 18. Juni 2012 als kleine<br />

Gruppe von 13 Personen in einem Gemeinderaum<br />

neben dem Archivtresor die Bücherschätze<br />

bewundern, die Herr Töppen nach vorheriger<br />

Absprache bereitgestellt hatte.<br />

In mehr oder weniger chronologischer Reihenfolge<br />

betrachteten wir Bücher unterschiedlichsten<br />

Inhalts, angefangen von einem handgeschriebenen<br />

Missale des 15. Jh. aus der Marienkirche<br />

im Vergleich mit einem Anfang des 16.<br />

Jh. in <strong>Frankfurt</strong> (Oder) gedruckten Messbuch,<br />

von dem weltweit nur noch wenige Exemplare<br />

erhalten sind. Ein Unikat ist eine Ausgabe der<br />

Summa theologica des Thomas von Aquin, da<br />

lediglich der mittlere Teil um 1460 – also noch<br />

zu Lebzeiten Gutenbergs – in Straßburg gedruckt<br />

wurde, der Rest wurde per Hand wohl<br />

im <strong>Frankfurt</strong>er Karthäuserkloster wenige Jahre<br />

später nachgetragen.<br />

Einen beeindruckenden Kontrast zu diesem<br />

sehr nüchtern gehaltenen, wissenschaftlichen<br />

Werk bildet der Schatzbehalter des Franziskaners<br />

Stephan Fridolin, ein 1491 in Nürnberg gedrucktes,<br />

schon auf deutsch verfasstes Andachtsbuch,<br />

das reich mit handkolorierten<br />

Holzschnitten ausgestattet ist. Etwas früher,<br />

FOTOS: PRIVAT<br />

1483, entstand in der gleichen Druckerei eine<br />

zweibändige Bibelausgabe, die als Biblia nona<br />

Germanica bezeichnet wird, da sie die neunte,<br />

vor Luther gedruckte deutsche Bibelübersetzung<br />

darstellt. Martin Luthers besondere Leistung<br />

und Sprachbegabung wurde anhand eines<br />

Vergleichs von Psalm 23 mit seiner Bibelausgabe<br />

von 1544 deutlich.<br />

Danach wandten wir uns weltlicheren Themen<br />

zu. Außer einer Edition des Sachsenspiegels<br />

von 1561 interessierten uns v. a. Werke und Dokumente<br />

zur Geschichte <strong>Frankfurt</strong>s und Brandenburgs,<br />

wie alte Marktordnungen aus <strong>Frankfurt</strong><br />

(Oder), Edikte des Kurfürsten Friedrich Wilhelm<br />

aus dem 17. Jh. oder die Historische Beschreibung<br />

der Chur und Mark Brandenburg<br />

von J. Chr. Bekmann (1751-53). Aus der Feder<br />

des gleichen Autors gab es auch die Festschrift<br />

zum 200-jährigen Jubiläum der alten <strong>Viadrina</strong>,<br />

erschienen 1707, in der wir zum Abschluss unseres<br />

Besuches einen Kupferstich des festlichen<br />

Feuerwerks von 1706 bewundern konnten.<br />

Auch sehenswert sind die zahlreichen, meist<br />

aus der Entstehungszeit der Bücher stammenden<br />

Einbände, die häufig mit aufwendigen Prägungen<br />

und zum Teilkunstvollen Beschlägen<br />

verziert sind.<br />

Aufgrund der niedrigen Teilnehmerzahl konnten<br />

alle Studierenden aus angemessener Entfernung<br />

die Bücher betrachten und mit wachsendem<br />

Ehrgeiz die nicht immer leicht zu entziffernden<br />

Texte vorlesen. Insofern war der Seminarbesuch<br />

auch als Hinführung der Studierenden<br />

zum Umgang mit historischen Buchbeständen<br />

gedacht, damit sie derartige Quellen<br />

auch für Qualifikationsarbeiten oder freie Forschungen<br />

nutzen können.<br />

Gotthard Kemmether (l.) und Jan Gestewitz bei Ihrer Arbeit im Archiv.<br />

Publikationen<br />

Die Bestände der Kirchenbibliothek wurden bereits<br />

in einem Online-Katalog erfasst und demnächst<br />

beginnt die Digitalisierung der wichtigsten<br />

Bücher.<br />

GOTTHARD KEMMETHER

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