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KreuzundQuer Ausgabe 04-2019

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Wie der Klimawandel auch

das Sauerland verändert

Naturschutzwartetagung 2019 nimmt Wald

und Borkenkäfer in den Fokus

Bei der Naturschutzwartetagung wurden die Auswirkungen von Sturm, Dürre und Borkenkäfern vor Ort beleuchtet.

Friedrich Johannes Krächter (stv. Leiter des Forstamts Soest-Sauerland, Foto unten) nahm die Teilnehmer mit auf

einen informativen Spaziergang durch den Wald.

Das Sauerland unterliegt derzeit drastischen Veränderungen. Dürre

und Borkenkäfer setzen dem Wald zu. Das sommerliche Grün der

Bäume wandelte sich vielerorts schon im August zu einem tristen

Braun. Einst dicht bewaldete Berghänge müssen kahlgeschlagen

werden. Auf der Tagung der SGV-Naturschutzwarte und Bezirksfachreferenten

Anfang Oktober standen deshalb die Zusammenhänge

im Blickpunkt. Eine theoretische Einführung dazu gab Hauptnaturschutzwart Olaf

Ikenmeyer. Friedrich Johannes Krächter, stv. Leiter des Forstamts Soest-Sauerland,

nahm die Naturschutzwarte mit auf eine Wanderung durch den sterbenden Wald.

Sterbender Wald:

In den kommenden Jahren müssen große Anstrengungen

unternommen werden, um kahle Flächen zu bewalden.

Schon lange bevor Greta Thunberg beschloss, sich statt

in ein Klassenzimmer vor das schwedische Parlament

zu setzen, haben Wissenschaftler vor dem gewarnt, was

wir heute als Klimawandel kennen. Was 2018 zunächst

noch als „Supersommer“ gefeiert wurde, war der

Anfang einer der größten Katastrophen für den Wald in

Nordrhein-Westfalen seit Ende des Zweiten Weltkriegs,

deren Ausmaß das des Jahrhundertsturms Kyrill von

2007 noch übertreffen wird.

Wie konnte es so weit kommen?

Eine der prognostizierten Folgen des Phänomens ist

eine Zunahme von Extremwetterereignissen. Dazu

zählen auch heftige Stürme. In einer Folge von etwa

zehn Jahren werden Jahrhundertstürme erwartet.

Genau elf Jahre nach Kyrill fegte am 18. Januar

2018 das Sturmtief Friederike über Deutschland.

Millionen Bäume – in erster Linie Fichten – wurden in

einer Nacht geworfen. Auch wenn unmittelbar damit

begonnen wurde, das Holz aufzuarbeiten und die

Schäden zu beseitigen, lagen noch tausende Bäume

in jenem Supersommer im Wald. Und eben diese

wurden dann von Borkenkäfern der Arten Buchdrucker

und Kupferstecher besiedelt. Als Schwächeparasiten

befallen sie angeschlagene Bäume und bringen diese

durch ihren Fraß und ihr Brutgeschäft unter der Rinde

zum Absterben, indem sie die Leitungsbahnen des

Baumes und damit den lebenswichtigen Stofftransport

unterbrechen.

Welche Rolle spielte der

Supersommer 2018?

Borkenkäfer benötigen neben dem Brutmaterial,

von dem nach dem Sturm reichlich vorhanden war,

eine trocken-warme Witterung für eine optimale

Entwicklung. „Ist ein Baum erfolgreich besiedelt, legt

ein Buchdruckerweibchen bis zu 100 Eier unter die

Rinde. Aus den Eiern schlüpfen Larven, die in mehreren

Wochen bis zu ihrer Verpuppung ein charakteristisches

Gefällte Bäume soweit das Auge reicht

– die aktuelle Lage in deutschen Wäldern.

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Fraßbild anlegen“,

erläutert Olaf Ikenmeyer.

Je nach Witterung

schlüpfen 6-10 Wochen

nach der Eiablage die

Jungkäfer. Diese fressen

noch einige Zeit unter

der der Rinde weiter, man

spricht dabei vom „Reifungsfraß“, bevor sie den Baum

verlassen, um den nächsten zu befallen. So kann es zu

zwei bis drei Generationen und einem entsprechenden

exponentiellen Wachstum der Population kommen.

Es werden immer mehr Käfer und diese befallen in

der Folge auch umstehende gesunde Fichten. „Der

natürliche Abwehrmechanismus der Fichte ist eine

Reaktion mit erhöhter Harzbildung und ein sogenanntes

,Ausharzen‘ der Käfer. Für die Harzbildung benötigen die

Bäume Wasser. Das Jahr 2018 war jetzt nicht nur 3-4°C

wärmer als der langjährige Durchschnitt, sondern auch

extrem trocken“, erklärt Friedrich Johannes Krächter. So

konnten in diesem Sommer lediglich etwa die Hälfte

der normalen Niederschlagsmengen in NRW gemessen

werden. Die Fichten waren unterversorgt und konnten

sich nicht gegen den massiven Käferbefall wehren.

Tausende Hektar toter Wälder prägen bereits heute das

Landschaftsbild im Arnsberger Wald.

Ist die Forstwirtschaft

schuld an der Misere?

Wäre die Anlage von Mischwald nicht klüger gewesen,

anstatt auf Reinbestände zu setzen? Um diesen

Fragen auf den Grund zu gehen, lohnt sich ein Blick

in die Geschichte auf die Ursprünge der Fichte im

Sauerland. Dabei sind zwei große Aufforstungsphasen zu

unterscheiden. Die erste begann vor etwa 150 Jahren.

Bilder und Fotografien aus der Zeit zeigen, dass die

1000 Berge Mitte des 19. Jahrhunderts nicht bewaldet,

sondern kahl waren. Namen wie „Kahler Asten“ oder

„Kahler Pön“ zeugen noch heute davon. Die Böden

waren vielfach durch intensive Nutzung ausgehagert, so

dass für die Anpflanzung nur anspruchslose Baumarten

infrage kamen. Eine solche ist die Fichte. Ohne große

Standortansprüche wächst sie so ziemlich überall, wo

sie genug Wasser bekommt.

Die zweite große Fichtenaufforstung begann vor

etwa 70 Jahren. Nach Ende des Zweiten Weltkrieges

musste Deutschland erhebliche Reparationszahlungen

an die Siegermächte leisten. Diese nahmen auch

Holz zur Begleichung der Reparationsschuld. Es

kam zu erheblichen Kahlschlägen – den sog.

Reparationshieben –, die ähnlich wie heute ganze

Landstriche entwaldeten. Die junge Republik brauchte

dringend Holz für den Wiederaufbau und Saat- und

Pflanzgut der meisten Baumarten waren knapp. Also

wurde für die Wiederaufforstungen auf die reichlich zur

Verfügung stehende und schnell zu vermehrende Fichte

zurückgegriffen.

Dass die so begründeten Bestände nicht der Weisheit

letzter Schluss waren, ist nichts Neues. Die Risiken

vorzeitiger Ausfälle durch Stürme, Käferfraß und

andere Kalamitäten sind bekannt. Und so wurde schon

vor über 30 Jahren damit begonnen, die Wälder

behutsam umzubauen. Weitere Baumarten wurden

unter die Altbestände gepflanzt. Zusammen mit

natürlich hinzukommender Verjüngung entstehen so

Mischbestände unterschiedlicher Baumarten, denen

eine größere Klimaresilienz zugeschrieben wird.

Allein – es dauert zu lange. Ein langlebiges Ökosystem

wie einen Wald umzubauen, benötigt viel Zeit und

die gewährt der immer schneller voranschreitende

Klimawandel derzeit nicht.

Was passiert jetzt mit

den Wäldern?

Während es in manchen Gebieten wie dem Arnsberger

Wald unweigerlich zu einem kompletten

Absterben der Fichtenwälder kommt,

besteht beispielsweise im Hochsauerland

noch die Möglichkeit, mit Maßnahmen

des integrierten Forstschutzes den Wald

zu retten. Wo das nicht gelingt, werden

in den kommenden Jahren große

Anstrengungen unternommen werden,

um die Flächen wieder zu bewalden.

Bundes- und Landesregierung haben

bereits hunderte Millionen Euro für

Hilfsprogramme zugesagt. Dabei soll

nicht wieder nur auf eine Baumart

gesetzt werden. Mischwälder sollen

entstehen.

Multitalent Wald

Olaf Ikenmeyer, SGV-Hauptnaturschutzwart,

erklärte den

Teilnehmern der Naturschutzwartetagung

die aktuelle Lage in

den deutschen Wäldern und wie

es dazu kam.

Unzweifelhaft haben wir – der eine mehr, der andere

weniger – eine sehr emotionale Bindung zum Wald.

„Wir durchwandern ihn. Er spendet Schatten in der

Hitze und Ruhe in einer immer hektischeren Welt. Doch

daneben gibt es noch einige sehr rationale Gründe,

unseren Wald erhalten zu wollen“, so Ikenmeyer. Neben

der Tatsache, dass es sich um das intakteste und

artenreichste Ökosystem handelt, das wir in NRW haben,

sorgt er für Luftreinhaltung und Trinkwasserspende,

schützt den Boden vor Erosion und bindet durch das

Wachstum von Holz CO 2

. So kann der Wald, der gerade

jetzt unter den Auswirkungen des Klimawandels leidet,

in dessen Bewältigung eine wichtige Rolle spielen. Es

bleibt zu hoffen, dass die Zeit dafür ausreicht.

Text: Olaf Ikenmeyer, Fotos: SGV ©

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