LIUDGER Ausgabe Januar 2020
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LiUDGER<br />
Das Magazin für Mitarbeitende im Bistum Münster<br />
FEBRUAR <strong>2020</strong><br />
PORTRAIT<br />
Grenzen<br />
Jörg Baden hat in seinem Leben viele Grenzen kennengelernt –<br />
und sich von ihnen nicht aufhalten lassen.<br />
HERAUSGEFORDERT<br />
HINGEHÖRT<br />
HINGESCHAUT<br />
Dr. Jochen Reidegeld<br />
zieht Konsequenzen<br />
Zwei Kapläne machen<br />
einen Podcast<br />
Das Bistum Münster<br />
steckt voller Grenzfälle
Inhalt und Vorwort<br />
INHALT<br />
EDITORIAL<br />
GRENZEN<br />
AUS DEN REGIONEN<br />
„Gott sei Dank“ – alles nur ein Fake. 4<br />
AB SEITE 16<br />
Ein Käfig aus Grenzen – ein Beitrag<br />
von Julia Geppert<br />
IMPRESSUM<br />
11. <strong>Ausgabe</strong><br />
HERAUSGEBER<br />
Bischöfliches Generalvikariat<br />
Domplatz 27, 48143 Münster<br />
VERANTWORTLICHE REDAKTEURIN<br />
Kerstin Bücker<br />
REDAKTIONSTEAM<br />
Mathias Albracht (MA), Christian Breuer (CB),<br />
Kerstin Bücker (KB), Julia Geppert (JG), Ludger Heuer (LH),<br />
Johannes Hörnemann (JH) Michaela Kiepe (MEK),<br />
Stephan Kronenburg (SK), Ann-Christin Ladermann (ACL),<br />
Anke Lucht (AL), Thomas Mollen (TOM), Tina Moorkamp (TIM),<br />
Gudrun Niewöhner (GN)<br />
GESTALTUNG<br />
goldmarie design, Münster<br />
DRUCK<br />
Druckerei Joh. Burlage, Münster, www.burlage.de<br />
FOTOS<br />
Bischöfliche Pressestelle, pixabay.com, unsplash.com<br />
KONTAKT<br />
liudger@bistum-muenster.de<br />
www.liudger-magazin.de<br />
LUIS GRENZEN<br />
The sky is the limit 6<br />
ZU MEINER FREUDE<br />
Gründerbüro für innovative Seelsorge 7<br />
PORTRAIT<br />
Jörg Baden überschreitet Grenzen 8<br />
INTERVIEW<br />
Dr. Jochen Reidegeld zieht Konsequenzen<br />
aus Grenzerfahrungen 12<br />
ERFAHRUNGSBERICHT<br />
Julia Geppert war in einem<br />
„Käfig aus Grenzen“ 16<br />
HINGEHÖRT<br />
Die Kapläne Christoph Hendrix und<br />
Ralf Meyer nehmen einen Podcast auf 18<br />
PRAXISBEISPIELE<br />
Neue Glaubensangebote<br />
im Bistum Münster 22<br />
HINGESCHAUT<br />
Ein Bistum voller Grenzfälle 26<br />
NACHGEFRAGT<br />
Meine Grenzen 28<br />
DAFÜR UND DAGEGEN<br />
Grenzen des politischen Protests 34<br />
Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen,<br />
die Älteren – man könnte auch freundlicher und neudeutsch „Die Best-Ager“ schreiben – unter uns erinnern<br />
sich: Bis 1989 verlief mitten durch Deutschland – und durch Europa – eine unüberwindliche Barriere<br />
zwischen zwei politischen Blöcken. Entlang dieser Barriere standen auf westlicher Seite unübersehbare<br />
Warnschilder: „Halt! Hier Grenze!“<br />
Diese Schilder haben seit 30 Jahren höchstens noch musealen Wert – Gott sei Dank. Vor dem inneren<br />
Auge allerdings scheint dennoch in verschiedenen Lebenssituationen immer mal wieder ein „Halt!<br />
Hier Grenze!“ auf, wenn auch glücklicherweise nicht verbunden mit Schießbefehlen, Minenfeldern<br />
und ähnlichen Lebensgefährlichkeiten.<br />
Diese inneren Warnungen vor persönlichen Grenzen können auf Erfahrungswerten oder auf Intuition<br />
beruhen. Sie können vor Reinfällen und Schlimmerem bewahren oder am Weiterkommen hindern.<br />
Umso wertvoller kann es sein, einmal auf „Grenzpatrouille“ zu gehen, sich der eigenen Grenzen<br />
bewusst zu werden: Warum sind sie da? Sind sie wichtige Warnung oder hinderlicher Bremsklotz?<br />
In dieser <strong>Ausgabe</strong> des Liudger geht es um Menschen an Grenzen. Manche überschreiten systemische<br />
Grenzen mit gutem Grund, wie die Seelsorgerinnen und Seelsorger, die Neues wagen. Manche geraten<br />
an persönliche Grenzen, etwa durch seelische Belastungen oder das Miterleben des menschlichen Leids<br />
Anderer, und wandeln sich dadurch. Davon und noch von einigen anderen „Grenzsituationen“ lesen Sie<br />
auf den folgenden Seiten.<br />
Apropos Grenzen: Manchmal sind auch Zuständigkeiten begrenzt. Für eine begrenzte Zeit wird ab der<br />
kommenden <strong>Ausgabe</strong> Anke Lucht die Zuständigkeit für den Liudger übernehmen. Kerstin Bücker geht<br />
in Mutterschutz und anschließend in Elternzeit.<br />
Wir wünschen Ihnen viel Freude und durchweg angenehme „Grenzerfahrungen“ beim Lesen<br />
dieses Liudger!<br />
Anke Lucht (links) und Kerstin Bücker (rechts) sowie das „Liudger“-Redaktionsteam<br />
Das verwendete Papier ist aus<br />
100 % Altpapier hergestellt.<br />
REZEPTE<br />
Ein Blick über den Tellerrand 36<br />
LESETIPPS<br />
Bücher zum Thema Grenzen 38<br />
Sie haben Fragen, Anregungen oder Kritik? Senden Sie uns eine E-Mail an liudger@bistum-muenster.de.<br />
Wir freuen uns auf Ihre Rückmeldungen. Weitere Infos finden Sie unter www.liudger-magazin.de<br />
2 3
Aus den Regionen<br />
„GOTT SEI DANK“<br />
– ALLES NUR EIN FAKE.<br />
Der<br />
COESFELD<br />
Michaela Kiepe<br />
Regionalredakteurin Coesfeld/Recklinghausen<br />
Irgendwie bleibt man immer das Kind seiner<br />
Eltern. Egal wie alt, egal wie erfahren. Besonders<br />
Mütter scheinen ihre Rolle nie abzulegen. So wie<br />
neulich bei einem Anruf, der eine Kollegin erreichte.<br />
Ihr Foto war auf der Bistumsseite im Internet<br />
veröffentlicht. In einer Mail schrieb ihr ihre<br />
Mutter, dass ihr das Foto gut gefalle. Scherzhaft<br />
antwortete die Kollegin: Ja, das sei ganz schön,<br />
doch in den vergangenen zwei Jahren sei sie<br />
deutlich gealtert. Die viele Arbeit und das Leben<br />
hätten Spuren in ihrem Gesicht hinterlassen.<br />
Eine Woche später ging das Telefon: „Ich muss<br />
dir was sagen“, hörte sie die Stimme ihrer Mutter<br />
am anderen Ende. Oh, es schien wichtig zu sein.<br />
Das Kopfkino startete. Dem Vater war etwas<br />
passiert? Der Bruder hatte einen Unfall? „Ich habe<br />
da eine tolle Creme. Hyaluron. Nur einen Tropfen<br />
jeden Tag im Gesicht verteilen, darüber die Tagescreme.<br />
Das hilft super gegen die Falten.“ Da blieb<br />
der Kollegin nur eine Reaktion: „Mama!“<br />
LOHNE<br />
Anke Lucht<br />
stellvertretende Pressesprecherin<br />
Wie sehr zwei Menschen in einer langen Ehe<br />
eine Einheit mit gleichen Interessen und Ansichten,<br />
ja sogar ähnlichem Auftreten werden können,<br />
weiß man nicht erst seit Queen Elizabeth und<br />
Prinz Philip. Entsprechend nahe liegt es, dass so<br />
lange miteinander verbundene Menschen auch<br />
die weniger angenehmen Dinge im Leben<br />
uneingeschränkt teilen.<br />
Neulich in einer Arztpraxis in Lohne. In unterschiedlichen<br />
Stadien der Geduld und der körperlichen<br />
Verfasstheit harren etwa fünfzehn Menschen<br />
verschiedenen Alters im Wartezimmer aus.<br />
Die Arzthelferin steckt ihren Kopf durch die Tür<br />
und ruft Frau X „zur Frau Doktor herein, bitte.“<br />
Frau X steht auf, ebenso – nahezu synchron – ihr<br />
Stuhlnachbar. Beide sind augenscheinlich jenseits<br />
der 70 und haben bis hierher lebhaft miteinander<br />
geplaudert. An ihren rechten Händen glänzt<br />
jeweils der gleiche schmale goldene Ring.<br />
Während die beobachtende Augenzeugin noch<br />
überlegt, ob Herr und Frau X möglicherweise von<br />
denselben Beschwerden heimgesucht wurden und<br />
im Interesse der Effizienz und der noch wartenden<br />
Mitpatienten eine zeitgleiche Behandlung wünschen,<br />
ereignet sich schon wenig später eine ähnliche<br />
Szene. Herr Y wird zur Ärztin gebeten. „Denn<br />
komm man“, sagt er zu der neben ihm sitzenden<br />
Frau. Diese hat sich indes bereits erhoben und<br />
strebt wie er dem Behandlungsraum zu. Vorher<br />
aber greifen sie quasi automatisch nacheinander,<br />
gehen händchenhaltend ins Sprechzimmer.<br />
Weitere zehn Minuten danach wird Herr Z<br />
aufgerufen. Auch mit ihm erhebt sich ohne weitere<br />
Worte zeitgleich die rechts von ihm wartende<br />
Frau, beide im Rentenalter, beide mit Ring.<br />
Er hält ihr die Tür auf. Sie trägt seine Jacke.<br />
In guten wie in schlechten Zeiten: Manchmal<br />
bekommt man sogar im Wartezimmer einen Eindruck<br />
davon, was das heißt. Und wie kostbar es ist.<br />
MÜNSTER<br />
Stephan Kronenburg<br />
Pressesprecher<br />
Die Kita (nicht katholisch!), die unser Sohn besucht,<br />
legt großen Wert auf eine gesunde<br />
Ernährung. Essen und Trinken sind zuckerfrei,<br />
es wird täglich frisch gekocht, natürlich gibt es nur<br />
regionale Kost, dass die Kids und Erzieherinnen<br />
sich vegetarisch ernähren, versteht sich von selbst.<br />
Und nur, falls es Zweifler geben sollte: Bei uns zu<br />
Hause ist das natürlich (nahezu) genauso!<br />
Umso erstaunter war ich, als sich vor kurzem beim<br />
Abholen aus der Kita der folgende Dialog entwickelte.<br />
Unser Sohn spielte noch mit seinem Kumpel.<br />
Irgendwie kamen wir aufs Essen zu sprechen,<br />
und ich stellte die Kita-ernährungstechnisch wohl<br />
nur halb politisch korrekte Frage: „Na, Jungs,<br />
welcher Käse schmeckt am besten: Gouda,<br />
Frischkäse oder Bergkäse?“ Spontane Antwort des<br />
Kumpels: „SALAMI“. Wir haben uns zu Hause dann<br />
abends erstmal zwei dick mit Kinderwurst belegte<br />
Brote reingezogen! ¡Viva la revolución!<br />
STEINFURT<br />
Gudrun Niewöhner<br />
Regionalredakteurin Borken/Steinfurt<br />
elektronische Hilferuf versetzt die<br />
Empfänger sekundenschnell in Schockstarre:<br />
Einer der emeritierten Pfarrer der Steinfurter<br />
Pfarrei meldet sich mit flehender Mail ...<br />
„Ich bin nach Ukraine verreist und habe meine<br />
Tasche verloren – samt Reisepass und Kreditkarte.<br />
Die Botschaft ist bereit, mir zu helfen, einen Flug<br />
ohne meinen Reisepass zu nehmen. Ohne meine<br />
Kreditkarte kann ich aber nicht auf mein Geld<br />
zugreifen. Ich wollte Dich fragen, ob Du mir so<br />
schnell wie möglich 1730 Euro leihen kannst.<br />
Ich gebe es Dir zurück, sobald ich wieder da bin.<br />
Ich warte auf Deine Antwort. Liebe Grüße.“ ...<br />
Im Pfarrbüro steht das Telefon kaum still.<br />
Besorgte Freunde und Bekannte melden sich,<br />
wollen wissen, ob der Pfarrer verreist ist. Ob es<br />
ihm gut geht. Das schlechte Deutsch in der Mail<br />
hat einige misstrauisch gemacht. Sind da Betrüger<br />
im Namen des Pfarrers aktiv?<br />
Die Pfarrsekretärinnen reagieren sofort.<br />
Eine von ihnen greift zum Telefonhörer, tippt die<br />
Nummer des Emeritus, der Luftlinie 300 Meter<br />
entfernt vom Pfarrbüro seine Wohnung hat. Doch<br />
die Leitung – tot! Nach gefühlt ewig langer Stille<br />
nur: Der Teilnehmer ist nicht zu erreichen ...<br />
Auch wenn sie eigentlich sicher sind, dass beim<br />
Pfarrer alles in Ordnung ist, wird den Sekretärinnen<br />
mulmig. Sie versuchen es auf dem Handy:<br />
Die Mobilbox springt an. Sie bitten um möglichst<br />
zeitnahen Rückruf.<br />
Keine drei Minuten später klingelt das Telefon<br />
im Pfarrbüro. Der emeritierte Pfarrer ist in der<br />
Leitung. Gesund. Munter. In seiner Wohnung<br />
fast nebenan. Gott sei Dank – alles nur ein Fake.<br />
4 5
Luis Gedanken<br />
Zu meiner Freude<br />
LUIS GRENZEN –<br />
„THE SKY IS THE LIMIT“<br />
Grenzen waren für Lui schon immer ein Thema.<br />
Diese Entwicklung begann bereits in der Schulzeit.<br />
Das fassungslose „Dein mathematisches Verständnis<br />
ist wirklich eng begrenzt“ einer Lehrkraft mit<br />
möglicherweise ihrerseits begrenzten pädagogischen<br />
Fähigkeiten hallt noch heute unangenehm<br />
in Luis Ohren.<br />
Dann schon lieber schleichend verschobene<br />
Grenzen – wie beim Weihnachtsfest. Auch dessen<br />
jüngste Auflage hat für viele Menschen offenbar am<br />
dritten Advent begonnen. Denn schon da glänzten<br />
geschmückte und erleuchtete Tannenbäume in<br />
den Stuben, um im Gegenzug vielerorts am<br />
28. Dezember bereits wieder aussortiert zu werden.<br />
Im November 2019 stutzte ich<br />
über eine Meldung in meiner Facebook-<br />
Timeline: Das „Gründerbüro“ des Bistums Essen<br />
lud „Menschen mit Entdeckergeist“ zu einem Barcamp ein.<br />
Meine spontane Reaktion war: „Wow, da meint es aber jemand<br />
ernst auf der Suche nach pastoralen Innovationen“. Start-Up-Kultur, Barcamps,<br />
disruptive Innovation, konsequente Nutzer-Orientierung, Prototyping<br />
von Lösungsansätzen – all das sind Vokabeln, die uns in unseren kirchlichen<br />
Zusammenhängen oft neumodisch und fremd vorkommen. Besonders deshalb<br />
finde ich es bemerkenswert und mutig, dass unsere Nachbarn im Bistum Essen solche<br />
Wege beschreiten. Entwickelt als eines von 20 Projekten im bistumsweiten „Zukunftsbild“-Prozess<br />
soll das Gründerbüro pastorale Innovationen fördern und die Verantwortlichen<br />
unterstützen und vernetzen.<br />
Apropos Ohren: Seit Jahrzehnten hat Lui einen –<br />
sprichwörtlichen – Wurm in denselben, wenn es<br />
um Grenzen oder vielmehr um deren Nicht-<br />
Vorhanden-Sein geht. Schließlich muss laut<br />
einem aus Luis frühester Kindheit datierenden<br />
und unverändert populären Lied die Freiheit wohl<br />
grenzenlos sein – allerdings nur über den Wolken.<br />
Dem dortigen Genuss von Freiheit sind<br />
inzwischen durch klimawandel-begründete<br />
Bedenken enge ethische Grenzen gesetzt.<br />
Ländergrenzen wollen, beziehungsweise sollten<br />
heute anders überquert werden als im Flugzeug –<br />
wegen der Emissionen.<br />
So gleicht sich im Leben alles aus. Lui jedenfalls<br />
hat sich vorgenommen, im just begonnenen Jahr<br />
<strong>2020</strong> Grenzen nicht mehr allzu ernst zu nehmen.<br />
Schließlich gilt: „The sky is the limit“ – und für<br />
Christen eigentlich nicht mal das.<br />
(AL)<br />
Vielleicht findet das Gründerbüro Antworten auf die Fragen, die sich der Kirche im 21.<br />
Jahrhundert ihres Bestehens stellt: Wie gehen wir mit der Tatsache um, dass unsere<br />
Kirchen seit Jahrzehnten immer leerer und leerer werden, während offensichtlich viele<br />
Menschen weiterhin auf der Suche nach spirituellen Erfahrungen sind? Wie reagieren<br />
wir auf die Chancen und Notwendigkeiten und ja, auch auf die Risiken, die die<br />
digitale Transformation unserer Gesellschaft mit sich bringt?<br />
Wenn wir es schaffen, den Entdeckergeist in den Menschen zu wecken,<br />
wenn wir Innovationen vorantreiben und Neues ausprobieren,<br />
dann haben wir eine Zukunft. Toll, dass es Initiativen gibt, die<br />
damit einfach mal anfangen!<br />
Thomas Mollen<br />
Emissionen unterliegen ihrerseits Grenzen,<br />
genauer gesagt: Grenzwerten. Zwischen beiden<br />
gibt es nach Luis Erfahrung einen entscheidenden<br />
Unterschied: Im Gegensatz zu Grenzen kann man<br />
in Deutschland – insbesondere, wenn „man“<br />
eine namhafte Lobby bezeichnet – Grenzwerte<br />
unerlaubt überschreiten, ohne nennenswerte<br />
Konsequenzen fürchten zu müssen.<br />
Von einem derart laschen Umgang mit<br />
Grenzverletzungen kann Lui nur träumen.<br />
In Luis Welt manifestieren sich insbesondere<br />
die Überschreitungen der persönlichen Budget-<br />
Grenzen unmittelbar in unschönen Negativzahlen<br />
auf den Kontoauszügen und – schlimmer noch –<br />
in nachhaltigen atmosphärischen Störungen mit<br />
der besseren Hälfte.<br />
6 7
Portrait<br />
Ein Leben mit Grenzen<br />
„Mir ist bewusst,<br />
was es heißt,<br />
Menschen nicht<br />
an einer Grenze<br />
abzuweisen,<br />
sondern der<br />
humanistischen<br />
und christlichen<br />
Verpflichtung<br />
nachzukommen,<br />
sie aufzunehmen<br />
und zu helfen.“<br />
Von Christian Breuer<br />
Er hat als Kriegsflüchtling in Dänemark gelebt,<br />
mit niederländischen Zöllnern Schach gespielt,<br />
treibt leidenschaftlich den christlich-jüdischen<br />
Dialog voran und betrachtet spätestens seit einer<br />
schweren Operation jeden Tag als Geschenk:<br />
Jörg Baden, früherer Lehrer an der Gaesdonck,<br />
hat in seinem Leben viele Grenzen kennengelernt –<br />
und sich von ihnen nicht aufhalten lassen.<br />
DIE GRENZEN<br />
ÜBERSCHREITEN<br />
„Dem Jörgilein geht’s gesundheitlich gut, doch<br />
muß der kleine Schelm arg unter der Heimwehkrankheit<br />
leiden (…)“ – diesen Eintrag machte am<br />
8. Juli 1945 Eugen Tack in sein Tagebuch, in dem<br />
er die Flucht seiner Familie aus Warnemünde nach<br />
Dänemark beschreibt. Tack selbst ist damals 76<br />
Jahre alt, sein Enkel Jörg fünf. Der Junge liegt im<br />
Krankenhaus, mit Diphtherie.<br />
8 9
Portrait<br />
Ein Leben mit Grenzen<br />
<strong>Januar</strong> <strong>2020</strong> – Jörg Baden sitzt am Wohnzimmertisch seines Hauses im Gocher Ortsteil Gaesdonck,<br />
in dem er seit 1970 mit seiner Frau Ulla wohnt. Nur wenige Gehminuten entfernt liegt das Bischöfliche<br />
Internatsgymnasium Collegium Augustinianum Gaesdonck, an dem er 30 Jahre lang als Lehrer tätig war.<br />
Wenn Baden sich an die Zeit im dänischen Flüchtlingslager erinnert, dann lächelt er. Trotz der Kriegserlebnisse,<br />
obwohl das Leben beschwerlich war. Die Geschichte seiner Flucht hat er schon oft erzählt,<br />
hat mit Jugendlichen und Historikern gesprochen. Das, was damals passiert ist, soll nicht in Vergessenheit<br />
geraten. Für die Hilfe, die er und seine Familie in Dänemark erfahren haben, ist er bis heute dankbar.<br />
„Wir wurden trotz der schrecklichen Taten, die von den Nationalsozialisten in Dänemark verübt wurden,<br />
als Flüchtlinge aufgenommen“, sagt er und schlägt den Bogen in die Gegenwart: „Mir ist bewusst,<br />
was es heißt, Menschen nicht an einer Grenze abzuweisen, sondern der humanistischen und christlichen<br />
Verpflichtung nachzukommen, sie aufzunehmen und zu helfen.“<br />
„Und es ist so schön,<br />
dass man heute<br />
nach Dänemark,<br />
Frankreich oder<br />
Italien fahren kann<br />
und es an der<br />
Grenze genau so<br />
ist, als würde man<br />
von Nordrhein-<br />
Westfalen nach<br />
Rheinland-Pfalz<br />
fahren.“<br />
Das Leben an der Grenze kennt Baden.<br />
Nur wenige Schritte von der Haustür entfernt<br />
markiert ein rot-weiß gestrichener Schlagbaum die<br />
Grenze zu den Niederlanden. Seit Mitte der 1980er-<br />
Jahre das Schengen-Abkommen in Kraft getreten<br />
ist, ragt er lediglich symbolisch in die Höhe. Früher<br />
jedoch, erinnert sich Baden lachend zurück, wurde<br />
die Grenze von 22 bis 6 Uhr geschlossen. Wer dabei<br />
erwischt wurde, wie er um den Schlagbaum herum<br />
ging, musste mit einer Strafe rechnen – oder den<br />
Weg über die „grüne Grenze“ nehmen.<br />
„Uns kannten die Zöllner“, sagt Baden lachend und<br />
zwinkert mit den Augen, „die wussten, dass wir nicht<br />
schmuggeln. Und wenn wir dann doch mal eine<br />
Flasche Genever für Freunde gekauft haben, dann<br />
wurde nichts gesagt.“ Sogar richtige Freundschaften<br />
entstanden mit der Zeit, ein niederländischer Zöllner<br />
wurde Badens Schachpartner – im Fernduell. Baden<br />
warf einen Zettel mit seinem Zug beim Zollamt ein,<br />
nach seiner Schicht steckte der Zöllner den Zettel<br />
mit seinem Gegenzug an die Haustür.<br />
„Das war schon ein Stück europäische Geschichte,<br />
die wir hier miterlebt haben“, erklärt der ehemalige<br />
Lehrer, der mit Nachdruck betont, überzeugter<br />
Europäer zu sein. Er lacht. „Meine vier Kinder<br />
haben alle europäisch geheiratet“, sagt er schließlich,<br />
„und es ist so schön, dass man heute nach<br />
Dänemark, Frankreich oder Italien fahren kann und<br />
es an der Grenze genau so ist, als würde man von<br />
Nordrhein-Westfalen nach Rheinland-Pfalz fahren.“<br />
Umso schmerzlicher ist für ihn der Brexit, zumal der<br />
ehemalige Englisch-Lehrer viele gute Erinnerungen<br />
an das Vereinigte Königreich hat und dort Freunde<br />
der Badens leben. „Bei allen Problemen, die es in<br />
der EU gibt“, sagt er nachdenklich, „hat sie uns in<br />
Europa den Frieden gebracht.“<br />
Das Ehepaar Baden ist gerne auf Reisen,<br />
wer den beiden zuhört, versteht schnell, warum<br />
sie in aller Welt Freunde haben. Offen, aufmerksam<br />
und freundlich – so kamen sie 1989 nach<br />
einem Konzert an der Gaesdonck auch mit einem<br />
jüdischen Ehepaar in Kontakt. Der Mann, Jahrgang<br />
1926, arbeitete zu der Zeit in Kleve. Der Kontakt<br />
blieb bestehen, als das Paar zurück nach Israel<br />
zog, zehn Jahre später flogen Badens nach Tel Aviv,<br />
um die Freunde zu besuchen. „Ein Schlüsselerlebnis“,<br />
wie er heute sagt. Ihre Gespräche führen<br />
sie auf Englisch, zu sehr ist die deutsche Sprache<br />
mit schlimmen Erinnerungen verknüpft. Wie Jörg<br />
Baden erst nach einiger Zeit erfuhr, gehört sein<br />
jüdischer Freund zu den wenigen Überlebenden<br />
des Todesmarsches vom Konzentrationslager<br />
Buchenwald. Wenn Baden auf die Verbrechen der<br />
Nationalsozialisten zu sprechen kommt, bebt er<br />
auch heute noch vor Wut, dann wird seine sonst<br />
so ruhige Stimme lauter, bis er sich nach wenigen<br />
Sekunden wieder fängt.<br />
Auch deshalb hat er sich in den vergangenen<br />
Jahren immer mehr mit der jüdischen Religion<br />
beschäftigt. Und mit dem problematischen historischen<br />
Verhältnis zwischen Christen und Juden,<br />
dem Antisemitismus, der so lange nicht überwunden<br />
wurde und der, daran lässt Baden keinen<br />
Zweifel, noch dringend aufgearbeitet werden muss.<br />
Dass es zwischen Juden und Christen eine Grenze<br />
gibt, durch die so viel Leid verursacht wurde,<br />
das kann und will er nicht akzeptieren.<br />
Entsprechend stark setzen sich er und seine<br />
Frau für den jüdisch-christlichen Dialog ein.<br />
Es ist eine Herzensangelegenheit.<br />
Auch wenn Baden seit 20 Jahren im Ruhestand<br />
ist, er will weiter Grenzen überschreiten und<br />
etwas bewegen. Vor ein paar Jahren zeigte ihm<br />
sein Körper eigene Grenzen auf. Er wurde schwer<br />
krank, doch die Ärzte retteten ihm das Leben.<br />
Baden lächelt: „Seither betrachte ich jeden Tag<br />
noch mehr als ein Geschenk.“<br />
Fotos: Christian Breuer<br />
10 11
Interview<br />
GRENZEN,<br />
DIE VERÄNDERN<br />
DR. JOCHEN REIDEGELD ZIEHT KONSEQUENZEN<br />
Jochen Reidegeld auf dem Friedhof der Gefallenen des Kampfes gegen den IS in Kobane<br />
Von Ann-Christin Ladermann<br />
Vor fünf Jahren hat er den Verein „Aktion Hoffnungsschimmer“ mitbegründet, der Flüchtlingen –<br />
insbesondere Jesiden im Nordirak und in Syrien – hilft. Was Dr. Jochen Reidegeld bei seinen Reisen in<br />
die Grenzgebiete erlebt, bringt den ehemals stellvertretenden Generalvikar und jetzt leitenden Pfarrer<br />
in Steinfurt an seine eigenen Grenzen.<br />
Ihren Namen konnte man in den vergangenen Wochen an verschiedenen Stellen lesen. Zum einen<br />
haben Sie im September mit der „Aktion Hoffnungsschimmer“ ein Flüchtlingslager im Nordosten<br />
Syriens besucht, zum anderen wurde bekannt gegeben, dass Sie das Bischöfliche Generalvikariat<br />
verlassen und leitender Pfarrer in der Pfarrei St. Nikomedes in Steinfurt werden. Hängen diese beiden<br />
Anlässe miteinander zusammen?<br />
Reidegeld: Ja. Bei meinen Besuchen in Syrien und im Irak bin ich mit so viel Leid konfrontiert worden,<br />
habe existenzielle Situationen erlebt und Grenzerfahrungen gemacht. Das hat bei mir Fragen aufgeworfen,<br />
was ich mit meinem Leben anfangen möchte, was mir wirklich wichtig ist und wofür ich brenne.<br />
Daraufhin habe ich den Bischof gebeten, wieder in die Seelsorge zurückgehen zu dürfen.<br />
Wie kann man sich auf eine Reise in Krisenregionen vorbereiten?<br />
Reidegeld: Man muss die Sicherheitslage mit den Projektpartnern vor Ort besprechen, kann sich aber<br />
letztlich nicht vollständig darauf vorbereiten. Erst vor Ort spürt man: Es gibt keine Garantie.<br />
Ein Menschenleben zählt in dieser Region quasi nichts. Man muss damit rechnen, dass es einen Bombenanschlag<br />
oder Luftangriff gibt. Ich muss zugeben: Diese Erkenntnis trifft einen wie einen Schlag.<br />
Zusätzlich muss man viele bürokratische Hürden überwinden, beispielsweise um an die entsprechenden<br />
Visa zu kommen. Denn die Regierungen sehen es nicht gerne, wenn man als Europäer einreist – das gilt<br />
zum Teil für den Irak und noch mehr für Syrien.<br />
Ist es für Sie als Priester gefährlicher, in diese Gebiete zu reisen, als für Menschen anderer Berufsgruppen?<br />
Reidegeld: Ja, als Priester ist man für bestimmte Gruppen ein bevorzugtes Ziel. Darum sollte man auch<br />
nicht immer sofort als Priester zu erkennen sein. In der vergangenen Woche ist auf einer Strecke, wo wir im<br />
September noch unterwegs waren, ein Priester von einer IS-Schläferzelle erschossen worden. Das macht<br />
nachdenklich, aber: Ich lebe vielleicht zwei Wochen mit diesem Risiko, die Menschen dort jeden Tag.<br />
Das kann man nicht miteinander vergleichen. Was mich viel stärker belastet, ist die Tatsache, dass ich die<br />
Menschen kenne, die durch den völkerrechtswidrigen Angriff der Türkei auf das Gebiet vertrieben worden sind.<br />
12 13
Interview<br />
Ambulanz des Kurdischen Roten Halbmonds<br />
Ich kenne Sanitäter, die bei den Einsätzen ums Leben gekommen sind, ich kenne die Leibwachen, die jetzt<br />
in den militärischen Konflikt involviert sind. Dadurch kommt der Krieg viel näher, und die eigene Empörung<br />
und Verzweiflung über das Unrecht, das dort geschieht, wachsen.<br />
Was hat Sie bei Ihrem letzten Besuch in der Grenzregion besonders erschüttert?<br />
Reidegeld: Mit eigenen Augen zu sehen, was dieser Krieg, dieser islamistische Terror, für einzelne<br />
Menschen bedeutet. Wenn mir ein befreundeter Arzt unter Tränen erzählt, wie ihm ein elfjähriges<br />
Mädchen, das in Gefangenschaft war und durch Vergewaltigung schwanger geworden ist, unter den<br />
Händen weggestorben ist, macht mich das fassungslos. Oder Eltern, die erfahren, dass ihr von<br />
IS-Familien entführtes Kind lebt, aber nicht zurückkehren darf, weil die türkische Regierung ihm eine<br />
neue Identität gegeben hat. Dann ist das ein Ausmaß an Verzweiflung, das mich noch Wochen nach<br />
dem Besuch in meinen Träumen und Gedanken begleitet. Dieses Ausmaß an Leid übersteigt einfach<br />
das Vorstellungsvermögen und auch das, was man begreifen möchte.<br />
Menschen haben Ihnen vor Ort die Frage gestellt: „Warum bleiben wir mit unserem Leid alleine?“<br />
Was antworten Sie denen?<br />
Reidegeld: Unser Besuch dient der humanitären Hilfe, möchte aber auch eine Antwort auf diese Frage sein.<br />
Wir möchten deutlich machen: „Ihr seid nicht allein, ihr seid nicht vergessen, es gibt Menschen in Europa,<br />
die sich an eure Seite stellen, für die es wichtig ist, dass ihr euch eine neue Hoffnung aufbauen könnt.“<br />
Aber das ist in der Tat nur ein Hoffnungsschimmer. Wer wirklich Licht in dieses Dunkel bringen könnte, wäre<br />
die internationale, die europäische und die deutsche Politik. Und das bleibt diese Politik schuldig. Für mich<br />
ist es unbegreiflich, wie in unserer Zeit militärische Mittel wieder zum allgemeinen und akzeptierten<br />
Instrument der Politik werden konnten. Wir möchten den Menschen im Kriegsgebiet eine Stimme geben.<br />
Die Empörung, was da passiert, darf nicht aufhören. Ich betrachte es als meine Aufgabe, politischen<br />
Vertretern vor Augen zu führen, dass die Realpolitik nicht mehr funktioniert. Die einzige Realität,<br />
die sich dort abbildet, zeigt, dass wirtschaftliche Interessen über Menschenrechten stehen.<br />
aufgeklärte Frau werde ich nicht aufhören,<br />
meinen Dienst zu tun, und hoffe, dass diese<br />
Frauen dadurch ein anderes Frauenbild erleben<br />
und meine Zuwendung trotz ihres Hasses sie von<br />
ihrem Weg abbringen wird.“<br />
Nicht jeder hat die Möglichkeit, in solche Krisenregionen<br />
zu reisen. Wie können Menschen von<br />
Deutschland aus helfen?<br />
Reidegeld: Indem sie beispielsweise kleine<br />
Initiativen oder große Hilfswerke, die in den Krisenregionen<br />
gute Arbeit leisten, finanziell unterstützen.<br />
Und indem sie in ihrem eigenen Umfeld das leben,<br />
was Helferinnen und Helfer vor Ort umsetzen.<br />
Auch hier gibt es viele Geflüchtete, die Kontakt zu<br />
deutschen Familien suchen. Diese Brücke zu<br />
schlagen, das kann ich aus eigener Erfahrung sagen,<br />
bereichert einen selbst unglaublich stark.<br />
Außerdem möchte ich dazu ermutigen, auf die<br />
politisch Verantwortlichen zuzugehen und nicht zu<br />
sagen: „Das ist weit weg, das ist nicht meine Sache.“<br />
Oder noch schlimmer: „Da kann ich sowieso nichts<br />
tun.“ Es ist immer die erste Pflicht, sich zu informieren.<br />
Und man kann versuchen, die Verantwortlichen<br />
zu einer anderen Politik zu bewegen. Denn sie<br />
hören sehr wohl auf Rückmeldungen, die von den<br />
Bürgerinnen und Bürgern kommen.<br />
Sie haben aus diesen Grenzerfahrungen den<br />
Schluss gezogen, wieder stärker in der Seelsorge<br />
arbeiten zu wollen. Was heißt das für Sie konkret?<br />
Reidegeld: Ich habe immer gerne im Generalvikariat<br />
gearbeitet. Aber wenn ich die Familien in<br />
Nordsyrien und dem Irak besucht habe, wenn ich<br />
Krankenstation im Camp Hol<br />
deren Not angehört und versucht habe, Hoffnung<br />
zu stiften – mit praktischer Hilfe, aber eben auch<br />
mit der Bereitschaft, diese Not nach Deutschland<br />
zu tragen –, dann habe ich gemerkt: Da, wo ich<br />
diese Nähe zu den Menschen habe, wo ich sie<br />
begleiten kann in ihrer Not, in ihrer Hoffnung,<br />
da bin ich zu Hause. Dafür bin ich Priester geworden.<br />
Worauf freuen Sie sich mit Blick auf Ihre neue<br />
Aufgabe in Steinfurt besonders?<br />
Reidegeld: Es hört sich banal an, aber ich freue mich<br />
darauf, mit den Menschen zu leben, ihnen im<br />
Einkaufszentrum, auf dem Fußballplatz, auf der<br />
Straße zu begegnen. Ich bin überzeugt, dass aus<br />
diesen Begegnungen heraus Seelsorge<br />
wachsen kann.<br />
Wo muss die katholische Kirche insgesamt in<br />
dieser Hinsicht dazulernen?<br />
Reidegeld: Sie braucht die Bereitschaft zum<br />
Zuhören. Wir sind in vielen Teilen immer noch<br />
eine Kirche, die meint, den Menschen sagen zu<br />
müssen, wie sie zu leben haben. Wir brauchen<br />
eine Seelsorge, ein Auftreten als Kirche, das den<br />
Menschen viel mehr zutraut. Wir müssen von<br />
unserem Podest heruntersteigen, weil nur so ein<br />
Dialog auf Augenhöhe stattfinden kann. Wenn uns<br />
das gelingt, werden wir vielleicht auch das<br />
Vertrauen der Menschen zurückgewinnen.<br />
An einer solchen Kirche möchte ich mitwirken und<br />
meine Erfahrungen einbringen, die ich bei meinen<br />
Reisen in die Grenzgebiete gemacht habe.<br />
Fotos: Dr. Jochen Reidegeld/privat<br />
Besuch beim Verband der Freien Frauen in Nordsyrien<br />
„Hoffnungsschimmer“ heißt Ihre Initiative. Kann man zwischen all dem Leid überhaupt<br />
Hoffnung entdecken?<br />
Reidegeld: Ja, in den wunderbaren Menschen dort, die uns – trotz ihrer Situation – immer wieder zum<br />
Lachen bringen. Zum Beispiel, wenn sie meinen Mitreisenden – ein Arzt, bekennender Anarchist – und<br />
mich immer nur „Don Camillo und Peppone“ genannt haben, wenn wir irgendwo unterwegs waren. Beeindruckt<br />
hat mich auch eine Krankenschwester, die seit vier Jahren im Flüchtlingscamp Al Hol arbeitet.<br />
Sie hat erlebt, dass islamistische Frauen sie mit Messern angegriffen haben, weil die Ideologie des<br />
Hasses so tief in sie eingepflanzt worden ist. Und trotzdem sagt diese Krankenschwester: „Als moderne,<br />
14 15
Erfahrungsbericht<br />
„EIN KÄFIG<br />
AUS<br />
GRENZEN“<br />
Von Julia Geppert<br />
Mir geht’s gut, ehrlich. Diesen Satz konnte ich<br />
lange nicht aus vollem Herzen sagen.<br />
Warum das so war – dabei spielten Grenzen die<br />
entscheidende Rolle. Die wichtigste war wohl<br />
die zwischen Leben und Tod.<br />
Busfahren, Treppensteigen im Büro, eine Radtour<br />
machen, zu Fuß zum Bäcker gehen, durch<br />
die Stadt bummeln, im Supermarkt einkaufen,<br />
das Stadtfest besuchen, ins Kino gehen, zum<br />
Badesee fahren – alles normale Dinge, die ich<br />
gerne mache und eigentlich auch immer gerne<br />
gemacht habe. Die ich aber lange Zeit nicht<br />
machen konnte, ohne täglich über Grenzen zu<br />
gehen. „Wo ein Wille ist, da ist auch ein Weg“,<br />
„Was muss, das muss“ und „Aufgeben gilt nicht“,<br />
sagt man. Stimmt. Aber es kostet wahnsinnig<br />
viel Kraft. Denn: Trotz allem haben nur sehr<br />
wenige Menschen bemerken können und sollen,<br />
was los war.<br />
Mein Alltag war bestimmt von Grenzen. Das<br />
war nicht etwa ein außergewöhnlicher Zustand,<br />
sondern die Regel. Ich hatte Angst, dass, wenn ich sie<br />
überwinde, mein Herz wieder anfängt zu rasen, zu<br />
stolpern, das Zittern wieder nicht aufhören will und<br />
ich wieder schweißgebadet, mich schämend und<br />
erschöpft, als sei ich einen Marathon gelaufen, zu<br />
Hause auf dem Sofa liege. Ich hatte Angst, dass mir<br />
auf dem Fahrrad so schwindelig wird, dass ich mit<br />
dem Krankenwagen in die Uniklinik gebracht werden<br />
muss. Ich hatte Angst, dass ich im Supermarkt an der<br />
Kasse nicht bis zum Bezahlen warten kann und den<br />
vollen Korb einmal mehr stehenlassen und hastig<br />
den Laden verlassen muss. Wie peinlich.<br />
„Die Jule ist fußfaul, Fahrrad fährt die nie, die<br />
faule Socke, und feiern geht sie auch nicht gerne –<br />
wie langweilig.“ Stimmt alles nicht. Aber ich nahm<br />
dieses Bild von mir, das sich für Einige ergab,<br />
in Kauf, um mir Verschnaufpausen innerhalb<br />
meiner Grenzen zu sichern.<br />
Jahre später habe ich gelernt, dass das Gefühl<br />
der Handlungsunfähigkeit Grundlage für diese<br />
Panikattacken war. Woher kam das?<br />
Heute weiß ich: Bedingt durch den Tod meiner<br />
Mutter hatte sich das Gefühl des Ohnmächtig-<br />
Seins so in mein Bewusstsein und ins Unterbewusstsein<br />
gefressen, dass es sich auf alltägliche<br />
Situationen übertrug. Nicht selbst Herrin der<br />
Situation sein zu können – das war es, was mich<br />
in Grenzen presste. In diese Grenzen, die keine<br />
sind für normale Menschen. Ich konnte das selbst<br />
lange nicht verstehen, habe mich medizinisch<br />
durchchecken lassen von Kopf bis Fuß – nichts.<br />
Ich sehnte mich zeitweise nach einer klaren<br />
Diagnose, die ich dann – pragmatisch, wie ich<br />
eigentlich war und heute wieder bin – anpacken<br />
konnte. Das Wischiwaschi, die Unsicherheit,<br />
wann ich wieder einer Panikattacke bekommen<br />
würde, setzten mir zu. Es gab nicht das klassische<br />
Ursache-Wirkung-Prinzip wie bei einem Schlag mit<br />
dem Hammer auf den Daumen – „draufgehauen,<br />
jetzt tut's weh“. Die Grenzen bremsten mich<br />
unvermittelt aus. Aus heiterem Himmel.<br />
„Schwindel und Herzrasen – das ist bei jungen,<br />
schlanken Frauen manchmal so. Treiben Sie Sport,<br />
essen Sie gesund. Dann wird das wieder.“<br />
Eigentlich eine schöne Aussage der Ärzte. Besser,<br />
als wenn es „Wir müssen Sie operieren“ oder<br />
„Nehmen Sie jeden Tag drei Tabletten“ gewesen<br />
wäre. Trotzdem war mir das zu schwammig.<br />
Ich wollte klare Aussagen.<br />
Auch wenn ich einige Male kurz davor war:<br />
Aufgegeben hab ich nie. Ich war über 30 Jahre alt,<br />
ich wollte mich nicht in Grenzen ergeben, die<br />
mich so einschränkten. Ich war trotzig. Zum Glück.<br />
Ich wollte das machen, was andere auch machen.<br />
Ich wollte nicht aus heiterem Himmel von Ängsten<br />
überfallen werden: Schwindelattacke am Computer,<br />
im Kino, im Supermarkt.<br />
Ich wollte das<br />
einfach nicht<br />
(mehr). Ich suchte<br />
mir Hilfe. Ging zu<br />
einer Psychotherapeutin,<br />
die mir in der<br />
ersten Zeit half. Bis ich<br />
das „Jetzt bist du irre,<br />
weil du dahin gehst“<br />
ablegen konnte,<br />
hat es eine Weile<br />
gedauert … Es wurde<br />
besser, aber nicht<br />
gut genug. Ich merkte,<br />
dass ich so nicht leben<br />
muss, ich kann das<br />
alles ändern. Ich bin<br />
handlungsfähig, ich kann<br />
die Grenzen einreißen, da<br />
geht was.<br />
Mit dem Jobwechsel zum<br />
Bistum packte ich den Käfig<br />
aus Grenzen final an. Ich nahm<br />
an einer Studie der Uniklinik in<br />
Münster teil, die sich mit dem<br />
Thema der Posttraumatischen<br />
Belastungsstörungen befasste.<br />
Als ich zum ersten Mal da war,<br />
hatten meine Grenzen noch<br />
gar nicht diesen Namen.<br />
Als ich nach vier Stunden<br />
Sitzung rausging, konnte ich<br />
sie benennen. Da war sie,<br />
die Diagnose.<br />
Der Anfang war gemacht. Mein Trotz und mein<br />
Wille, ein Umfeld, das mich unterstützte,<br />
wöchentlich eine Sitzung in der Uniklinik und ein<br />
Fragebogen mit Themen, die zu meiner Situation<br />
passten wie die Faust auf's Auge – so überwand<br />
ich die Grenzen, die mich jahrelang gegängelt<br />
hatten. Ich lernte, dass ich in jeder Situation<br />
handlungsfähig bin. Ich kann die Situation nicht<br />
ändern, aber ich kann mich im entscheidenden<br />
Moment fragen: „Was brauche ich jetzt?“.<br />
Ich merkte von Woche zu Woche, dass es besser<br />
wurde. Eines Morgens saß ich im Bus auf dem<br />
Weg ins Büro und merkte plötzlich, dass ich gar<br />
nicht darüber nachgedacht hatte, dass ich mit<br />
dem Bus fahre. Ich glaube, die anderen Passagiere<br />
hielten mich für bescheuert, weil ich so grinsen<br />
musste. Ich freute mich über die für mich neu<br />
gewonnene Freiheit. Denn genauso fühlte es<br />
sich an: Freiheit.<br />
Man kann sich ein Bein brechen oder den Arm,<br />
man kann eine Blinddarmentzündung bekommen<br />
oder eine Grippe – dann holt man sich die Hilfe,<br />
die man benötigt, und zwar so lange,<br />
bis es wieder in Ordnung ist.<br />
Auch die Seele kann brechen,<br />
eingegrenzt sein, und auch<br />
dann sollte man nicht<br />
aufgeben, so lange nach<br />
Hilfe zu suchen, bis man<br />
sie gefunden hat; bis die<br />
Grenzen gesprengt<br />
werden, und die Seele<br />
wieder heilt. Das ist<br />
keine Schwäche,<br />
das ist Stärke.<br />
Und es lohnt sich,<br />
diese Grenze zu<br />
überwinden.<br />
16 17
Hingehört<br />
Von Gudrun Niewöhner<br />
WO<br />
BLEIBEN<br />
DIE<br />
JUNGS<br />
MIT<br />
DEN<br />
KRONEN?<br />
KAPLAN RALF MEYER UND<br />
KAPLAN CHRISTOPH HENDRIX<br />
NEHMEN NEUEN PODCAST AUF<br />
Gut, dass sie nicht meckern können. Maria und<br />
Josef stehen auf der weißen Raufasertapete,<br />
die Ralf Meyer über das blaue Tischtuch<br />
gelegt hat, und warten geduldig. „Ich mache den<br />
Engel, weil ich besser reimen kann als du“,<br />
wirft Christoph Hendrix, den alle nur Jimi<br />
nennen, mit einem Grinsen im Gesicht ein –<br />
während er sich in Meyers Wohnzimmer mit<br />
Studentencharme geschickt das Headset auf die<br />
Ohren setzt. Der Akku leuchtet grün. Wenn Ralf<br />
Meyer dann mal das Küchenradio per Handy<br />
ausgeknipst hat, kann es endlich losgehen mit<br />
dem Podcast-Weihnachtsspecial der „Taufbolde“.<br />
Als solche treten die beiden jungen katholischen<br />
Priester in ihren humorvollen Audio-Beiträgen<br />
(„mit Bildungsauftrag“) fürs Internet auf.<br />
„Tach und Moin.“ Hendrix, 30 Jahre, und Meyer,<br />
32 Jahre, schon ewig miteinander befreundet, sitzen<br />
sich am großen Esstisch entspannt gegenüber –<br />
und plaudern drauf los. Aufgezeichnet wird ihr Podcast<br />
immer da, wo die jungen Priester gerade sind<br />
und es passt. Beim Musikfestival im Zelt, in Hendrix'<br />
Wohnung in Damme im niedersächsischen Teil des<br />
Bistums, im französischen Gebetsort Taizé oder bei<br />
Kaplan Meyer in Greven.<br />
„Heute reden wir darüber, wie Gott in die Welt<br />
kam“, sagt der Grevener Kaplan – und erklärt seinen<br />
Zuhörern, was genau gemeint ist: „Wir improvisieren<br />
die Weihnachtsgeschichte.“ Weil ausnahmsweise<br />
ein Fotograf mit Kamera dabei ist, haben die<br />
kreativen Kapläne auch was fürs Auge vorbereitet<br />
und Krippenfiguren auf dem Tisch platziert, die je<br />
nach Situation über das Raufaser-Spielfeld<br />
wandern, besser gesagt, gewandert werden.<br />
PODCAST<br />
18 19
Hingehört<br />
„Wir haben schon immer<br />
über alle möglichen<br />
Themen diskutiert.<br />
Irgendwann haben wir uns<br />
überlegt, die Gespräche<br />
aufzuzeichnen.“<br />
Ralf Meyer und Christoph Hendrix<br />
Podcast mit Erfolg: Mehr als 300 Abrufe haben<br />
die Kapläne aus Greven und Damme, die als<br />
einzige bislang dieses Medium als neues<br />
Verkündigungsformat für sich entdeckt haben.<br />
Der Engel tritt als Erster in Aktion, um Maria die Geburt des Gottessohnes zu verkünden: „Äh, was<br />
antwortet Maria noch mal ...?“ Hilfesuchend schaut Ralf Meyer seinen Mitbruder an: „Mir geschehe nach<br />
deinem Wort ...“ Natürlich. Meyer wiederholt den Satz mit piepsiger Stimme. Die skurrile Szene erinnert<br />
an den Kult-Film „Das Leben des Brian.“ Doch die Kapläne bleiben nah dran am biblischen Geschehen vor<br />
mehr als 2000 Jahren.<br />
„O mei ...“ Josef ist auch in Greven gewohnt wortkarg. Wenn Marias Verlobter aber etwas sagt, dann im<br />
tiefsten bayerischen Akzent ... Mit der Sprache zu spielen, das macht Hendrix und Meyer Spaß.<br />
Hendrix, gebürtig vom Niederrhein, noch mehr als dem Münsterländer Meyer.<br />
Sprung: „Josef und Maria machen sich auf nach<br />
Bethlehem ...“ „Warum? Das muss man erklären.“<br />
Christoph Hendrix ist überzeugt, dass längst nicht<br />
mehr jeder weiß, warum sich das Paar gegen jede<br />
Vernunft so kurz vor der Geburt auf den weiten<br />
Weg macht: „Kaiser Augustus hatte befohlen,<br />
dass sich jeder in seiner Stadt in eine Steuerliste<br />
eintragen lassen muss. Und Josef stammt aus<br />
Bethlehem.“ Verstanden.<br />
Dort angekommen, beginnt die Herbergssuche –<br />
auf rheinländisch: „Määädschen, watt kann ich för<br />
dich toon?“ Erst der dritte Herbergsvater bietet<br />
Maria und Josef einen Stall als Unterkunft an:<br />
„Thomas-Cook-Erlebnis-Urlaub auf dem Bauernhof“,<br />
muss Christoph Hendrix bei dieser Wortfindung<br />
selbst lachen ... Doch sofort geht die Geschichte<br />
weiter. Stille ist bei Audio-Beiträgen tödlich.<br />
„Wo bleiben die Jungs mit den Kronen?“, fragt<br />
Hendrix in die Runde. „Wenn ich jetzt schon<br />
losmüsste, hätte ich den Papp auf“, mault Ralf<br />
Meyer, schnappt sich aber trotzdem Caspar, Melchior<br />
und Balthasar – und rückt die drei Könige ein paar<br />
Zentimeter auf der Tapete vor. Die drei Kronenträger<br />
wiederholen übrigens alles Gesagte – dreimal.<br />
Eine „gestaltete Mitte“ ist in jedem Podcast ein<br />
wichtiges Element, weil sie so herrlich katholisch<br />
ist. Statt mit Tuch, Kerzen und thematischem<br />
Gedöns hübsch im Stuhlkreis drapiert, liegt die<br />
Mitte bei Hendrix und Meyer eher in der zeitlichen<br />
Mitte des Podcast. Und wenn schon mal Pressemenschen<br />
im Raum sind, sollen sie auch was zum<br />
Inhalt beitragen. Vier auf links gedrehte Kronen<br />
einer bekannten amerikanischen Fastfood-Kette<br />
kreisen über fünf Köpfe – wer keine hat, wenn die<br />
Musik aufhört zu spielen, ist raus. Gleiches Spiel<br />
wie bei der „Reise nach Jerusalem“. Nach vier<br />
Runden gewinnt Christoph Hendrix. Stolz lässt er<br />
die Krone auf.<br />
Musik gibt es bei den „Taufbolden“ übrigens<br />
genauso live und in echt wie alles andere.<br />
Es spielt das Mini-Orchester von Kaplan Meyer –<br />
mit Tambourin, Klangstäben, Maracas<br />
und Glöckchen.<br />
Dass die Hirten, die nach der Geburt zur Krippe<br />
eilen, lispeln, dient nur der Stimmendifferenzierung:<br />
„Wir machen uns über niemanden lustig“, betont<br />
Kaplan Meyer das erste Mal so richtig ernst.<br />
Am Ende steht die „Happy Holy Family“<br />
umringt von allen wichtigen Krippenfiguren auf<br />
dem Spielfeld. „Maria muss das Schlusswort<br />
sprechen, ich möchte dich so gerne noch mal<br />
quietschen hören ...“ Doch Ralf Meyer fällt nach<br />
34 Minuten nichts mehr ein. „Tschööö ...“<br />
Die „Taufbolde“ verabschieden sich. Das Mikro ist aus.<br />
Der Grevener Kaplan sinkt in den Stuhl:<br />
„Boah, war das anstrengend.“<br />
Geschnitten wird an der Aufnahme nichts,<br />
versichern die Priester. Dass ihr Podcast „Taufbolde“<br />
heißt, ist eher Zufall: „Wir kebbeln uns bei manchen<br />
Themen schon mal verbal – wie Raufbolde. Und da<br />
wir beide dienstlich taufen ...“<br />
Alle Episoden der „Taufbolde“-Reihe können bei<br />
Deezer, Google Play, Itunes, podcast.de und<br />
Spotify kostenfrei angehört und abonniert werden.<br />
Der Podcast richtet sich an junge Menschen<br />
zwischen 16 und 30 Jahren.<br />
Fotos: Gudrun Niewöhner<br />
20<br />
21
Praxisbeispiele<br />
Hier steht eine Kapitleüberschrift<br />
EINE GEMEINDE<br />
FÜR DEN MOMENT<br />
INSTAGRAM-FORMAT #MONTAGSKERZE<br />
BRINGT BITTEN DER NUTZER VOR GOTT<br />
„INFLUENCER FÜR GOTT“<br />
HANNO ROTHER IST SEELSORGER IN EINER VIRTUELLEN COMMUNITY<br />
Von Gudrun Niewöhner<br />
Von Ann-Christin Ladermann<br />
„Für meine Schwester Johanna.“ „Für alle Paare mit einem unerfüllten Kinderwunsch.“ „Dass es Oma<br />
Heidi jetzt besser geht und die Familie Kraft und Ruhe findet.“ „Für meinen Freund und mich, dass wir es<br />
noch schaffen, unsere Beziehung zu retten.“ „Für eine gute und harmonische neue Woche.“<br />
Es sind Bitten, die den 5.370 Abonnenten des institutionellen Instagram-Kanals @bistummuenster am<br />
Herzen liegen. Kleine und große Bitten – unverstellt und echt formuliert. Seit rund zwei Jahren bekommen<br />
die Nutzer jeden Montag die Möglichkeit, ihre Anliegen anonym mitzuteilen. Sie antworten damit auf das<br />
Format #montagskerze, das jeden Montag in der Instagram-Story des Bistums dazu einlädt. Am Ende steht<br />
das Versprechen „Am Nachmittag zünden wir eine Kerze an für eure Bitten.“<br />
Pastoralreferent Mathias Albracht, in der Medien- und Öffentlichkeitsabteilung<br />
des Bistums für die Verkündigungsformate zuständig, weiß,<br />
warum die #montagskerze den Nerv der Instagram-Community trifft:<br />
„Uns erreichen viele Bitten von Menschen in Grenzsituationen –<br />
konfrontiert mit Krankheit und Tod, mit Prüfungen, Beziehungsproblemen,<br />
aber auch mit Geburt oder Liebesglück. Wir bieten ihnen an, das, was sie<br />
beschäftigt, in einen Rahmen zu bringen – in den Kontext des Gebets.“<br />
„Wofür soll die #montagskerze heute brennen?“ lautet die Einladung<br />
über den Fragebutton. Rund 70 Bitten erreichen die Verantwortlichen im<br />
Schnitt, die Antworten werden tagsüber in der Story ergänzt.<br />
Vor Feiertagen oder zu besonderen Anlässen sind es deutlich mehr:<br />
Bis zu 100 Folien – das durch Instagram vorgegebene Limit – erscheinen<br />
dann in der Story. Für Albracht sind die Zahlen ein Zeichen dafür, dass das<br />
Format die Menschen erreicht: „Kirche ist schon immer da entstanden,<br />
wo Menschen waren. Wir dürfen nicht warten, bis die Kirchen wieder<br />
voller werden, sondern müssen dort präsent sein, wo Menschen sich mit<br />
ihren Sorgen, Sehnsüchten und Gebeten aufhalten. Und das sind auch<br />
die sozialen Netzwerke.“<br />
Beendet wird jede #montagskerze mit einem kurzen Video, in dem<br />
eine Hand ein Opferlicht entzündet. „Das Format lässt eine Gemeinde für<br />
den Moment entstehen“, verdeutlicht der Pastoralreferent. „Ich kann mit<br />
denen fühlen, die ihre Bitte über Instagram mitteilen und weiß: Ich stehe<br />
mit dieser Person und den vielen anderen Nutzern vor dem gleichen<br />
Gott, dem wir gemeinsam unsere Anliegen anvertrauen.“<br />
Die meisten Mitglieder seiner virtuellen<br />
Community kennt Hanno Rother nur aus dem<br />
Chat. Und trotzdem ist unter den 1.300, die es<br />
inzwischen sind, eine Gemeinschaft entstanden,<br />
in der munter miteinander geplaudert und<br />
kontrovers diskutiert wird – über Gott, die Welt<br />
und andere Themen. Drei- bis fünfmal in der<br />
Woche setzt sich der Kaplan an der Jugendburg<br />
Gemen, der nach Ostern Pfarrer in Recklinghausen<br />
wird, vor die PC-Kamera. Meistens abends, nach<br />
Ende aller dienstlichen Verpflichtungen, oder<br />
freitagmorgens, wenn er frei hat. Seelsorge 2.0.<br />
Wer den Burgkaplan sucht, findet ihn im Stream auf<br />
seinem eigenen Kanal unter twitch.tv/kirchendude.<br />
Kirchendude, Rothers Name im Netz, ist in<br />
der Szene längst bekannt. Angefangen hat alles<br />
vor ein paar Jahren mit seiner Leidenschaft für<br />
„Pen & Paper“, eine Mischung aus Online-Gesellschaftsspiel,<br />
Erzählung und Improvisationstheater.<br />
Die Mitwirkenden schlüpfen in fiktive Rollen und<br />
erleben so abenteuerliche Geschichten.<br />
Ein Spielleiter setzt den Handlungsrahmen.<br />
Die Zuschauer können sich per Live-Chat und<br />
Twitter beteiligen. „Nach den Übertragungen habe<br />
ich viele positive Rückmeldungen bekommen“,<br />
erinnert sich Rother. „Mit der katholischen Kirche<br />
haben viele nichts am Hut, aber mich als Typen<br />
fanden sie anscheinend ganz cool“, fügt er mit<br />
einem Schmunzeln an. Diese Sympathieerklärungen<br />
wollte der Burgkaplan pastoral nutzen.<br />
Und als social-media- und gaming-affiner Theologe<br />
lag die Idee eines eigenen Streams ziemlich nahe.<br />
„Es geht dabei nicht um Antworten“, erklärt<br />
Rother. Die Community-Mitglieder, die übrigens<br />
aus der gesamten Bundesrepublik und teilweise<br />
aus Österreich kommen, wollen darüber sprechen,<br />
besser gesagt schreiben, was sie bewegt:<br />
„Ich möchte deutlich machen, dass wir als<br />
Christen eine Botschaft haben, dass unsere<br />
Werte gut für das Miteinander in der Welt sind.“<br />
Bei Glaubensfragen teilt Rother auch persönliche<br />
Zweifel, persönliches Unverständnis, aber auch seine<br />
große Hoffnung und sein großes Gottvertrauen.<br />
„Wer eine Haltung hat und Argumente bringt, der<br />
wird in der Szene akzeptiert“, weiß Rother.<br />
Das allerwichtigste: „Man muss authentisch sein.“<br />
Drei, vier Stunden sind ruckzuck vorbei,<br />
wenn Rother vor dem Computer sitzt.<br />
Zeitverschwendung ist das nicht:<br />
„Ich mache Lobbyarbeit für die Kirche,<br />
ich bin so etwas wie ein Influencer,<br />
ein Werbeträger, für Gott.“<br />
22 23
Praxisbeispiele<br />
THEOLOGIE<br />
AN DER THEKE<br />
MIT GOTT<br />
AM KÜCHENTISCH<br />
CHRISTIAN OLDING BIETET NEUE FORMATE<br />
DER GLAUBENSWEITERGABE AN<br />
Von Gudrun Niewöhner<br />
Mit anderen um den Tisch sitzen, gut essen –<br />
und dabei über Gott sprechen. Das funktioniert,<br />
weiß Christian Olding. Nicht nur aus der Bibel<br />
(„Jesus selbst hat meistens bei einer Mahlgemeinschaft<br />
gepredigt“), sondern auch aus der eigenen,<br />
ganz praktischen Erfahrung. Der Pastor aus der<br />
Pfarrei St. Maria Magdalena in Geldern am<br />
Niederrhein ist bekannt für ungewöhnliche Formate<br />
bei der Glaubensweitergabe. Neben den religiösen<br />
Kochevents gehören auch Kinoabende und<br />
Glaubensgespräche dazu.<br />
Mit dem klassischen, katholischen Gottesdienst<br />
können viele Suchende nicht viel anfangen.<br />
Diese Rückmeldung hat Olding immer wieder<br />
bekommen. Für den 36-Jährigen ist das Motivation,<br />
nach neuen Angeboten zu schauen und zu<br />
experimentieren, wie Glaube und Gemeinschaft<br />
für die, die es wollen, erfahrbar werden können.<br />
Olding und sein Team lassen sich buchen:<br />
„Wir kommen immer zu zweit.“ Bis maximal eine<br />
Stunde Fahrtzeit nehmen sie dafür auf sich.<br />
Der Gastgeber bestimmt das dreigängige Menü,<br />
das religiöse Thema – und wer am Tisch Platz<br />
nimmt. Acht bis zwölf Leute dürfen es sein:<br />
„Die Vorbereitung des Themas ist dann unsere<br />
Sache“, erklärt Olding. Geredet wird nicht über<br />
kirchenpolitische Dauerbrenner wie das Frauenpriestertum<br />
oder den Zölibat. Am Tisch geht es<br />
eher fromm zu.<br />
„Den meisten ist es anfangs eher fremd,<br />
sich über Religiöses zu unterhalten.“ Doch Olding<br />
und sein Team wissen inzwischen, dass sich beim<br />
Essen die Atmosphäre schnell lockert. Was nicht<br />
nur am Wein liegt. Während es zum Hauptgang<br />
eine biblische Lesung gibt, wird zum Nachtisch<br />
ein Impuls serviert, der beliebig lange weiter<br />
diskutiert wird.<br />
103 Hausbesuche in zwei Jahren – das Kochkonzept<br />
ist beliebt und lässt sich in Zahlen<br />
belegen. Weil sie längst eine Warteliste haben,<br />
hat Christian Olding noch zwei weitere Formate<br />
entwickelt. Regelmäßig bietet er Kinoabende an,<br />
bei denen nach dem Film die christliche<br />
Perspektivbrille aufgesetzt und darüber<br />
gesprochen wird. Einmal im Monat findet<br />
außerdem ein Glaubensabend statt.<br />
Den Teilnehmenden will Olding in einem<br />
einstündigen Vortrag religiöses Grundwissen<br />
vermitteln: „Zum Beispiel: Wie bete ich?<br />
Wie gestalte ich aus dem Glauben heraus mein<br />
Leben?“ Selbstverständlich werden am Ende<br />
Fragen beantwortet.<br />
„Uns geht es darum, den Menschen zu zeigen,<br />
dass der Glaube eine neue Perspektive auf den<br />
Alltag bietet“, beschreibt Olding, was ihn und sein<br />
Team antreibt: „Als Christen sind wir mit denselben<br />
Problemen konfrontiert wie alle anderen.<br />
Nur unser Umgang mit ihnen ist ein anderer.“<br />
PFARREI ST. AGATHA IN GRONAU-EPE GEHT<br />
MIT SEELSORGE-EXPERIMENT AN GRENZEN<br />
Von Ann-Christin Ladermann<br />
Freibier oder Freibibel? Mit dieser Frage hat die Pfarrei St. Agatha in Gronau-Epe ein Experiment gewagt.<br />
Erstmals lud ein Vorbereitungsteam um Pastoralreferentin Anne Grothe in eine Kneipe ein – Theologie an<br />
der Theke sozusagen. „Die Bibel begleitet uns manchmal zu wenig in unserem Tun“, erklärt Grothe das Fazit<br />
eines Gesprächs im Pfarreirat. Die Idee: Weg von den klassischen Bibelgesprächsabenden, hinein in eine<br />
neue Umgebung, in die Kneipe – mit der Bibel im Gepäck.<br />
Mehr als 30 Interessierte zwischen 19 und 80 Jahren folgten der Einladung zur Premiere. „Das war<br />
schon die erste Grenze, die wir mit der Aktion überschritten haben“, ist sich Grothe sicher. Denn wo sonst<br />
kommt ein junger Erwachsener mit einem Senior über die Jungfrauengeburt ins Gespräch? Diese Bibelstelle<br />
aus dem Matthäusevangelium nämlich hatte das Team für den Abend ausgewählt. In den Versen 18<br />
bis 25 des ersten Kapitels möchte Josef Maria verlassen, weil diese ein Kind erwartet – das nicht von ihm<br />
ist. Im Traum erscheint ihm ein Engel, der Josef ankündigt, dass der Heilige Geist dieses Kind schenkt und<br />
er Maria zur Seite stehen soll. Josef folgt dem Rat. „Aus unserer Sicht passt diese familiäre Ausnahmesituation<br />
ins echte Leben. Auch heute stehen immer wieder Männer vor einer ähnlichen Entscheidung,<br />
vor der damals auch Josef stand“, begründet Grothe die Auswahl. Auch die Diskussion über die<br />
Jungfrauengeburt hatte das Team erwartet.<br />
Bevor das Gespräch in Fahrt kam, hatte jeder Gast die Wahl: Bier oder Bibel kostenlos. „Erstaunlicherweise<br />
hat sich etwa die Hälfe für die Bibel und die andere Hälfte für das Bier entschieden“, berichtet die<br />
Pastoralreferentin. Nach einem kurzen Gebet war der Ring frei: Ohne spezielle Vorgaben wurde in den<br />
Kleingruppen am Tisch oder in der großen Runde diskutiert. Welche Gefühle herrschten bei Josef vor?<br />
Ist das Phänomen der Jungfrauengeburt nur symbolisch zu verstehen? „Bei so einer großen Gruppe<br />
braucht es beim nächsten Mal vielleicht doch etwas mehr Methode“, fasst Grothe einige der<br />
Rückmeldungen zusammen. Und ein nächstes Mal wird es sehr wahrscheinlich geben:<br />
„Sicherlich nicht jeden Monat, aber vielleicht ein bis zweimal pro Jahr“, kündigt sie an.<br />
Dass die Pfarrei mit diesem Experiment klassische Grenzen der Seelsorge überschritten hat, da ist sich<br />
die Pastoralreferentin sicher. „Neben dem Aspekt des Alters sind wir auch an konfessionelle Grenzen<br />
gegangen. Baptisten haben mit Katholiken und Protestanten über das richtige Verständnis biblischer<br />
Texte diskutiert.“ Mit der Wahl der Kneipe als Veranstaltungsort sei außerdem eine räumliche<br />
Grenze überschritten worden. Grenzen hin oder her: „Eigentlich“, findet Grothe,<br />
„sollte die Bibel doch in all unserem Tun, also auch im Gespräch<br />
in der Kneipe, eine Rolle spielen.“<br />
24 25
Hingeschaut<br />
EIN BISTUM VOLLER GRENZFÄLLE<br />
KREISDEKANAT WARENDORF<br />
KREISDEKANAT BORKEN<br />
Bei Suderwick verläuft, 13 Kilometer von der<br />
Stadtmitte entfernt, nicht nur die Stadtgrenze der<br />
Stadt Bocholt, sondern auch die Staatsgrenze<br />
zwischen Deutschland und den Niederlanden.<br />
Auf niederländischer Seite im Norden grenzt das<br />
größere Dinxperlo direkt an Suderwick und bildet<br />
mit diesem scheinbar einen zusammenhängenden<br />
Ort. Ebenso grenzt Suderwick an die Bocholter<br />
Stadtteile Spork und Liedern sowie an Bocholts<br />
Nachbarstadt Isselburg. Klare Grenzen sind hier<br />
aber nicht sichtbar, da das weitläufige Gebiet<br />
vornehmlich durch die Landwirtschaft geprägt wird.<br />
KREISDEKANAT KLEVE<br />
Weite Teile des Kreises Kleve grenzen an die<br />
Niederlande. Besonders erwähnenswert ist der<br />
Emmericher Stadtteil Elten mit der St.-Vitus-<br />
Kirche, der nach dem Krieg einige Jahre unter<br />
niederländischer Verwaltung stand und in dem<br />
nach wie vor zahlreiche Niederländer leben.<br />
Aber auch die Wallfahrt Kevelaer zum Beispiel<br />
ist eng mit den Niederlanden verbunden, niederländische<br />
Pilger werden etwa vor den Hochämtern<br />
in ihrer Muttersprache begrüßt.<br />
NIEDERRHEIN<br />
Der Rhein ist eine ganz entscheidende Grenze,<br />
nicht nur in Köln wird zwischen links- und<br />
rechtsrheinisch unterschieden. Auf beiden Seiten<br />
wird behauptet, man wohne auf der jeweils<br />
„richtigen“ Seite.<br />
Die Stadt Hamm ist durch die Lippe geteilt.<br />
Der südliche Teil gehört zum Erzbistum Paderborn,<br />
der nördliche Teil (Dekanat Hamm-Nord) zum<br />
Bistum Münster.<br />
KREISDEKANAT RECKLINGHAUSEN<br />
Im Norden der Stadt Bottrop (Kirchhellen) gehört die<br />
Pfarrei Johannes der Täufer zum Bistum Münster.<br />
Die übrigen katholischen Gemeinden in Bottrop<br />
gehören zum Bistum Essen.<br />
KREISDEKANAT WESEL<br />
In Duisburg gehören einige Stadtteile zum Bistum<br />
Münster, andere zum Bistum Essen.<br />
KREISDEKANAT WARENDORF<br />
Die Pfarrei St. Margareta besteht aus den<br />
fünf Gemeinden St. Antonius in Benteler,<br />
St. Nikolaus in Diestedde, Ss. Cosmas und<br />
Damian in Liesborn, St. Josef in Bad Waldliesborn<br />
und St. Margareta in Wadersloh.<br />
Sie umfasst die Gemeinde Wadersloh,<br />
den Ortsteil Bad Waldliesborn der Stadt<br />
Lippstadt sowie den Ortsteil<br />
Benteler der Gemeinde<br />
Langenberg und fällt damit<br />
in die Zuständigkeit der drei<br />
Landkreise Warendorf,<br />
Soest und Gütersloh.<br />
KREISDEKANAT COESFELD<br />
In Lünen gehört die Pfarrei St. Marien nördlich<br />
der Lippe zum Bistum Münster, der Bereich südlich<br />
der Lippe gehört als „Pastoraler Raum Lünen“<br />
zum Erzbistum Paderborn.<br />
KREISDEKANAT RECKLINGHAUSEN<br />
Ebenso wird Henrichenburg dem Bistum Münster<br />
zugerechnet, während Castrop-Rauxel zum<br />
Erzbistum Paderborn gehört.<br />
KREISDEKANAT OLDENBURG<br />
Das Bistum Münster setzt sich sogar über Bundesländer-Grenzen<br />
hinweg. Denn es besteht aus<br />
einem nordrhein-westfälischen und einem niedersächsischen<br />
Teil, dem Offizialatsbezirk Oldenburg.<br />
Beide sind durch einen Teil des Bistums Osnabrück<br />
räumlich voneinander getrennt. Dahinter steht<br />
ein kirchenpolitisch einmaliges Konstrukt. Dessen<br />
Ursprung liegt – verkürzt dargestellt – in der Neuordnung<br />
Europas durch den Wiener Kongress im<br />
19. Jahrhundert.<br />
KREISDEKANAT WARENDORF<br />
Der Pastorale Raum (PR) Lippetal besteht aus zwei<br />
selbstständigen Pfarreien, die von den zuständigen<br />
Diözesanbischöfen am 1. <strong>Januar</strong> 2012 neu errichtet<br />
wurden. Die Fusion der vormals eigenständigen<br />
Pfarreien St. Ida Herzfeld und Ss. Cornelius und<br />
Cyprian Lippborg im Bistum Münster und die der<br />
Pfarreien St. Barbara Hultrop und St. Stephanus<br />
Oestinghausen und der Pfarrvikarie St. Albertus<br />
Magnus Hovestadt mit der Kapellengemeinde St.<br />
Johannes der Täufer in Schoneberg im Erzbistum<br />
Paderborn waren Voraussetzung für die Bildung<br />
des PR. Dieser bildet mit seiner sehr überschaubaren<br />
Größe in beiden Bistümern eine Ausnahme.<br />
Seither tragen die beiden folgende Namen: nördlich<br />
der Lippe im Bistum Münster Pfarrei St. Ida in<br />
Herzfeld und Lippborg (2015: circa 4.400 Gemeindemitglieder)<br />
und südlich der Lippe im Erzbistum<br />
Paderborn Pfarrei Jesus Christus Lippetal (2015:<br />
circa 3.580 Gemeindemitglieder). Beide Pfarreien<br />
umfassen zusammen die gesamte am 1. Juli 1969<br />
gegründete Kommune Lippetal im Kreis Soest<br />
und verbinden die beiden Bistümer Münster<br />
und Paderborn.<br />
26 27
Nachgefragt<br />
MEINE GRENZEN<br />
Grenzen sind eine Trennlinie, die jeder für sich unterschiedlich setzt.<br />
Wir haben uns bei den Kolleginnen und Kollegen in unserem<br />
Bistum umgehört, was sie selbst an die eigenen<br />
Grenzen bringt.<br />
Desirée Kaiser<br />
St. Josef, Moers<br />
„Meine persönliche Grenze beginnt dort,<br />
wo im beruflichen Kontext oder im privaten<br />
Umfeld ein faires Miteinander aufhört beziehungsweise<br />
nicht mehr möglich zu sein scheint und<br />
Kommunikation und Transparenz versagen.<br />
Diese Situationen machen mich nachdenklich,<br />
sprach- und oftmals auch ratlos. Ich durfte aber<br />
auch die Erfahrung machen, dass diese Grenzen<br />
überwunden werden können, wenn die Faktoren<br />
Zeit, Geduld, überlegtes Handeln und Rat von<br />
außen zusammenpassen.“<br />
Sara Krüßel<br />
St. Mauritius, Ibbenbüren<br />
„Ich stoße an meine Grenzen, wenn die an mich<br />
gestellten Erwartungen, Aufgaben, Pflichten und<br />
Verantwortungshorizonte (durch mich oder andere,<br />
beruflich oder privat) zu viel werden, zu dicht<br />
aufeinanderfolgen und Pausen fehlen. Dann hilft<br />
es mir oft, innerlich einen Schritt zurückzutreten,<br />
kurz durchzuatmen, um wieder in meine Energie<br />
zu kommen und Prioritäten zu setzen.“<br />
Oliver Kelch<br />
St. Antonius, Herten<br />
„Seit zwei Jahren studiere ich Theologie im<br />
Fernkurs. Studieren mit 48 kann ab und zu ganz<br />
schön anstrengend sein. Das immer wieder neu<br />
gewonnene Wissen hat mich aber darin bestärkt,<br />
nach dem erfolgreich abgeschlossenen Grundkurs<br />
nun das Aufbaustudium anzuschließen.“<br />
Sigrun Bogers<br />
Ehe-, Familien- und Lebensberatungsstelle, Kevelaer<br />
„Meine persönliche Grenze spüre ich, wenn<br />
jemand keine Verantwortung für sich übernehmen<br />
will in Bereichen, wo es ihm oder ihr durchaus<br />
möglich wäre. Wenn ich spüre, dass mich jemand<br />
vor seinen oder ihren Karren spannen möchte.<br />
Wenn ich den Eindruck habe, ich werde verzweckt<br />
und ausgenutzt.“<br />
28 29
Nachgefragt<br />
Theresia Klinke<br />
St. Andreas, Cloppenburg<br />
„An und über Grenzen - Was bringt mich an meine Grenzen?<br />
Das ist doch ganz einfach, denke ich im ersten Moment, denn wer<br />
hat denn nicht kürzlich in der Adventszeit hin und wieder zu viel<br />
Druck gespürt? Über meine Grenzen nachdenken, passt jetzt gar<br />
nicht in meinen Plan! Bin ja auch gerade wieder ehrenamtlich<br />
beschäftigt, unter anderem auch als Pfarreiratsvorsitzende, was ist<br />
denn da meine Grenze? Eben noch ganz viel Zeit und Mühe in ein<br />
Projekt gesteckt, und dann kommt der oder die Nächste und fordert<br />
etwas ein oder trifft mit Kritik voll den wunden Punkt. Und ein Bild<br />
kommt mir in den Sinn. „…springt voll über meinen Grenzzaun“, den<br />
sollte ich ja schnellstens verstärken und höher bauen!? Und wie<br />
reiße ich den Zaun, der mich lähmt und einengt, wieder ein?<br />
Ein Lied aus dem Gotteslob kommt mir in den Sinn: „Meine engen<br />
Grenzen, meine kurze Sicht bringe ich vor dich. Wandle sie in Weite,<br />
Herr erbarme dich“. Gott vertrauen, etwas Gott anvertrauen und<br />
überlassen. Einen Schritt zurücktreten, etwas Zeit ins Land gehen<br />
lassen, ausreichend schlafen und siehe da, ich sehe plötzlich,<br />
dass der Grenzzaun auch eine Pforte zum Durchgehen hat.“<br />
Torsten Oster<br />
St. Nikomedes, Steinfurt<br />
„Was mich an meine Grenzen bringt, sind<br />
Sitzungen, bei denen sich die Diskussionen im<br />
Kreis drehen und lange diskutiert wird, ohne einer<br />
Lösung näher gekommen zu sein. Auch Menschen<br />
im pastoralen Alltag, die keinerlei VerändeRung<br />
wollen und permanent gegen solche Veränderungen<br />
arbeiten, bringen mich an meine Grenzen.“<br />
Arnold Kalvelage<br />
Bischöflich Münstersches Offizialat (BMO), Vechta<br />
„Die deutlichsten Grenzen erlebe ich immer<br />
dann, wenn ich in Gesprächen oder auch in der<br />
politischen Diskussion auf Menschen stoße,<br />
die mit ihren Meinungen und Haltungen<br />
festgefahren sind. Wenn die Fähigkeit fehlt,<br />
die Einstellung anderer Menschen gelten zu lassen,<br />
wenn Ignoranz und Verbohrtheit vor Offenheit und<br />
Toleranz gehen, komme ich an Grenzen.<br />
Die Unfähigkeit, sich unter anderem auch in der<br />
politischen Debatte auf Kompromisse einlassen zu<br />
können, zum Wohle eines erfolgreichen Großen<br />
und Ganzen, vergiftet ein gutes Miteinander,<br />
fördert Politikverdrossenheit und verhindert<br />
den Aufbau einer menschlichen Gesellschaft.“<br />
30 31
Nachgefragt<br />
Rita Holtmann-Bückers<br />
Ehe-, Familien- und Lebensberatungsstelle, Kevelaer<br />
„Meine persönliche Grenze wäre, wenn man<br />
mich nicht respektvoll behandelt, zum Beispiel<br />
durch Demütigungen, durch Beleidigungen,<br />
bewusste Ausgrenzung oder aber mich entwertet.<br />
Auch ist für mich eine Grenze überschritten,<br />
wenn man mich in meinen Freiheiten einschränken<br />
will, mir willkürliche Vorschriften macht, keine<br />
Rücksichtnahme übt und mir sagt, was ich zu tun<br />
und zu lassen habe. An meine persönliche Grenze<br />
stößt man, wenn meine Familie bedroht oder sie<br />
in irgendeiner Form gefährdet ist.“<br />
Claudia Bruker<br />
Zentralrendantur, Werne<br />
„Wo stoße ich an Grenzen? Eine existenzphilosophische Frage!<br />
In einem Buch über die Geschichte der Garten- und Landschaftsarchitektur<br />
habe ich mal gelesen, dass es nur die Mauer<br />
(als Grenze) ist, die den Garten von der Wildnis unterscheidet.<br />
Streng genommen ist also eine Grenze erstmal nur eine<br />
(willkürlich oder geplant gezogene) Linie zwischen zwei Elementen.<br />
Bei einer Entwurfsaufgabe fällt es mir leichter, mit Vorgaben und<br />
Einschränkungen umzugehen, als wenn es heißt: Alles ist erlaubt.<br />
Also in der Folge: Lieber „bauen im Bestand“ als „visionärer Entwurf“.<br />
Im Arbeitsalltag stoße ich an Grenzen, wenn mir klar wird, dass ich<br />
etwas nicht mache: Dies und das wäre jetzt zwar noch wichtig oder<br />
notwendig, aber die Grenze meines Arbeitsauftrages ist erreicht.“<br />
Stephan Orth<br />
St. Lamberti, Münster<br />
„Was mich an meine persönlichen Grenzen<br />
bringt? Das ist ganz unterschiedlich, mal ist es<br />
die Ungeduld und eigene Ansprüche, mal andere<br />
Menschen und immer wieder auch die Suche<br />
nach Gott im Alltag. Was mich allerdings<br />
wirklich regelmäßig an meine Grenzen bringt,<br />
ist es Unrecht zu erleben und gleichzeitig die<br />
eigenen Grenzen – auch in den begrenzten<br />
Handlungsmöglichkeiten – anzunehmen.“<br />
Egbert Schlotmann<br />
St. Willehad, Wangerooge<br />
„Immer wieder werde ich gefragt, wie es im Winter<br />
auf Wangerooge sei und ob ich in dieser Zeit dann<br />
keinen Inselkollaps bekommen würde. Gerade im Winter<br />
kann ich die Weite der Insel intensiver wahrnehmen.<br />
Zu allen Himmelsrichtungen entdecke ich in dieser<br />
Jahreszeit kaum Begrenzungen. Die Weite der Insel ist<br />
für mich ein Geschenk, spricht diese doch einen für mich<br />
entscheidenden Gedanken der frohen Botschaft aus:<br />
Gott führt hinaus in die Weite, er befreit (vgl. Ps 18,20).<br />
Wo Menschen die befreiende Weite in unserer Welt<br />
und Kirche nicht erleben können, bringt mich das an<br />
die Grenzen meines Lebens und Wirkens.“<br />
32 33
Dafür / Dagegen<br />
GRENZEN DES<br />
POLITISCHEN PROTESTS<br />
Von Julia Geppert<br />
Gibt es Grenzen des politischen Protests in Politik und Gesellschaft? Ja, die gibt es.<br />
Und zwar nicht erst dort, wo ein berechtigtes Aufbegehren gegen Missstände in die Illegalität<br />
abzurutschen droht. Grenzenloser Protest – er ist der Sache, dem inhaltlichen Kern des<br />
Anliegens, in den wenigsten Fällen zuträglich.<br />
Warum? Weil er droht, sich in Bedeutungslosigkeit zu verlieren, nervt, die breite Masse das<br />
Anliegen und die Streiter für die gute Sache belächelt. Weil sich nichts bewegt. Weil unerbittlich<br />
auf einem Standpunkt beharrt wird, der dem Gegenüber keine Möglichkeit gibt, sich zu bewegen.<br />
Heißt auch: Es gibt keine Möglichkeit des Konsens, der Lösung, des Kompromisses, mit dem beide<br />
Seite vorangehen können. Nicht um des eigenen Egos Willen, sondern um der Sache Willen.<br />
Protest ist wichtig, richtig, soll und muss an die Grenzen gehen – an Schmerzgrenzen,<br />
an gesellschaftliche Grenzen, auch an die Grenzen von Legalität. Die Kunst aber besteht darin,<br />
Grenzen zu erkennen, nicht verbissen auf einem Standpunkt zu beharren, sondern sich durch<br />
Dialogbereitschaft, Augenhöhe, Abgeklärtheit und ohne sich in blinder Hysterie zu verrennen<br />
für eine Sache einzusetzen. So entsteht ein Druck, der zu Veränderungen führen kann.<br />
Von Stephan Kronenburg<br />
Demonstranten, die in Hongkong oder Südamerika Barrikaden in Brand setzen;<br />
Klima-Aktivisten, die Kreuzfahrtschiffe am Auslaufen hindern; Hunderte Menschen, die mit<br />
einer Blockade eine Lesung des früheren Bundesinnenministers verhindern. Der politische<br />
Protest nimmt zu. Auch in der Kirche wird protestiert: Frauen gehen nicht in die Sonntagsmesse,<br />
weil sie sich Geschlechtergerechtigkeit wünschen.<br />
Oft kommt bei Protesten die Frage auf, wo die Grenzen liegen. Zunächst scheint es plausibel,<br />
dass sie da sind, wo Gesetze verletzt werden, Gewalt zur Anwendung kommt, andere Menschen<br />
massiv behindert werden.<br />
Doch so einfach ist es nicht. Wer würde jenseits von rechtsradikalen Kreisen behaupten,<br />
dass die Widerständler des 20. Juli 1944 zu weit gegangen sind? Sicher ist nur, sie standen vor<br />
einem moralischen Dilemma, das ihnen durchaus bewusst war: „Darf man Hitler umbringen?“<br />
Und sie entschieden sich, die Tötung des Tyrannen als letztmögliches Mittel in Kauf zu nehmen.<br />
Es ist leicht, Proteste, die rechtliche Grenzen überschreiten oder gar gewaltsam sind,<br />
zu verurteilen. Oft macht die Wirklichkeit aber eine Gewissensentscheidung notwendig,<br />
die viele nicht leichtfertig treffen. Sie kann dazu führen, dass grundsätzlich gebotene sittliche<br />
oder rechtliche Grenzen überschritten werden. Der Widerstandskämpfer Roland von Hößlin,<br />
der mit 29 Jahren im Oktober 1944 erhängt wurde, schrieb Minuten vor seiner Hinrichtung in<br />
einem Abschiedsbrief an seine Familie: „Mit Gott habe ich abgerechnet, er hat mir dafür seinen<br />
Frieden und seine himmlische Ruhe ins Herz geschenkt.“<br />
34 35
Rezepte<br />
Rezepte aus aller Welt<br />
Beim Essen glauben Einige, dass guter Geschmack Grenzen hat. Schauen Sie doch einmal über<br />
Ihren eigenen Tellerrand hinaus und probieren etwas Neues und Exotisches aus. Wir haben von zwei<br />
Gemeinden anderer Muttersprachen im Bistum Münster Rezepte aus ihren Herkunftsländern erhalten.<br />
Beide haben eines gemeinsam: Sie sind einfach nachzumachen.<br />
Arepas aus Venezuela<br />
Arepas sind runde Maisfladen, die hauptsächlich in Kolumbien und Venezuela,<br />
aber auch in Panama traditionell zu fast allen Mahlzeiten gegessen.<br />
Zutaten fur den Teig<br />
Zutaten fur die Fullung<br />
Mujaddara aus Syrien<br />
250 g vorgekochtes Maismehl<br />
etwa 375 ml Wasser<br />
1/2 TL Salz<br />
(oder mehr nach Geschmack)<br />
Für die Füllung kann man alles mögliche Vorgegarte<br />
nehmen, außer Süßes: zum Beispiel Rindfleisch,<br />
Schweinefleisch, Hühnerfleisch, Käse, Schinken,<br />
Thunfisch, Bohnen etc.<br />
Mujaddara ist ein sehr köstliches syrisches Linsen-Reis-Gericht, das nicht nur einfach und<br />
preiswert, sondern auch vegan und glutenfrei ist.<br />
Zutaten<br />
Vorbereitung<br />
2 Tassen braune Linsen<br />
1 Tasse Basmatireis<br />
2 große Zwiebeln<br />
1 TL Salz<br />
1 TL gemahlener Kreuzkümmel<br />
3 EL Olivenöl<br />
Teigzubereitung<br />
Alle Zutaten gut miteinander vermischen,<br />
den Teig fünf Minuten ziehen lassen.<br />
Nach fünf Minuten noch einmal kneten.<br />
Den Teig nicht zu lange stehen lassen und sofort<br />
verarbeiten, ansonsten wird er zu trocken.<br />
5 Tassen Wasser Die Arepas frittieren<br />
Vorbereitungszeit: 10 Minuten<br />
Kochzeit: 40 Minuten<br />
für 4 Personen<br />
Die Linsen in einem Sieb gut durchspülen.<br />
Den Reis in eine Schüssel geben und mit<br />
kaltem Wasser so oft waschen, bis das Wasser<br />
beim Abgießen klar ist.<br />
Zwiebeln schälen, halbieren und dann in<br />
kleine Würfel schneiden.<br />
Zubereitung<br />
Das Olivenöl in einem Topf erhitzen, die Zwiebeln<br />
dazu geben und gut frittieren bis sie etwas braun<br />
werden. Die Linsen mit dem Wasser in einen<br />
anderen Topf geben. Salz und Kreuzkümmel hinzufügen<br />
und Topf bedecken. Alles auf hoher Stufe<br />
aufkochen lassen. Dann die Hitze reduzieren und<br />
die Linsen ca. zehn Minuten leicht köcheln lassen.<br />
Anschließend die Hitze wieder erhöhen und den<br />
Reis hinzugeben. Kurz warten bis das Wasser<br />
kocht, dann die Hitze wieder reduzieren. Leicht<br />
köcheln lassen, bis das Wasser verkocht ist.<br />
Servieren nach Geschmack<br />
Die Röstzwiebel und das Olivenöl werden auf das<br />
fertig Reis-Linsen-Gericht als Garnierung gegeben.<br />
Das Mujaddara kann als vegane Variante ohne<br />
Beigabe oder mit Joghurt oder saurer Sahne<br />
serviert werden.<br />
Als Beilage ist ein Blattsalat mit Öl-Essig-Dressing<br />
sehr zu empfehlen.<br />
Zwei Möglichkeiten, die Arepas zuzubereiten:<br />
Viel Öl in eine Pfanne geben und sehr heiß werden<br />
lassen. Dann die Temperatur auf die mittlere Stufe<br />
stellen. Die geformten Arepas werden in das heiße<br />
Öl gelegt und nach fünf Minuten gewendet.<br />
Nun etwa zehn Minuten auf dieser Seite frittieren.<br />
Dann noch einmal wenden und für eine kurze Zeit<br />
garen lassen.<br />
Egal für welche Variante man sich entscheidet:<br />
Wenn man die Arepas in das heiße Öl legt,<br />
vorsichtig und langsam vorgehen!<br />
Die Arepas formen<br />
Die Hände mit etwas Wasser anfeuchten, muss<br />
aber nicht unbedingt sein. Dann eine Portion vom<br />
Teig nehmen und die Masse in den Händen zu<br />
einem kleinen Ball formen.<br />
Anschließend den Ball zwischen den Händen<br />
etwas flach drücken. Die Arepas müssen eine<br />
runde, etwas flache Form haben.<br />
Die fettarme Variante<br />
Für fettarme Arepas nur ein wenig Öl in die Pfanne<br />
geben. Mit einem Papier von der Haushaltsrolle<br />
das Öl in der Pfanne verteilen. Das Öl heiß werden<br />
lassen und dann die Temperatur auf die mittlere<br />
Stufe stellen. Ebenfalls von beiden Seiten knusprig<br />
anbraten und garen. Bei dieser Variante sind<br />
die Arepas schneller fertig.<br />
Marie Maaz<br />
Gemeinde der Arabisch-Sprechenden Christen, Münster<br />
Cynthia Delgado de Viera<br />
Spanischsprachige Mission, Münster<br />
36 37
Lesetipps<br />
LESETIPPS!<br />
Flüchtlingsdrama, Leistungsdruck, menschliche Tragödie und Geschlechterkampf – Grenzerfahrungen in<br />
ganz unterschiedlichen Lebenslagen. Die Kolleginnen und Kollegen aus der Fachstelle Büchereien haben<br />
Büchertipps zum Thema Grenzüberschreitungen herausgesucht.<br />
Fulton, Kristen<br />
Mit dem Ballon<br />
in die Freiheit<br />
Peter lebt mit seiner Familie in der DDR.<br />
Er kennt den Unterschied zwischen Ostdeutschland<br />
und Westdeutschland, und er weiß, dass<br />
seine Eltern einen geheimen Plan haben. Ein Jahr<br />
lang sieht Peter abends Licht unter der Tür der<br />
Werkstatt seines Vaters und hört das Rattern der<br />
Nähmaschine seiner Mutter. Eines Nachts wird<br />
Peter geweckt und startet mit seiner Familie in<br />
einem selbstgebauten Heißluftballon die Flucht<br />
Richtung Westen. Die Stasi ist ihnen auf den Fersen.<br />
Doch der Ballon steigt höher und höher. Als das<br />
Gas aufgebraucht ist und der Ballon wieder sinkt,<br />
wissen sie nicht, ob sie die Grenze schon überquert<br />
haben. Doch Peters Vater gibt Entwarnung:<br />
Er hat ein westdeutsches Auto gesehen. Sie sind<br />
also tatsächlich im Westen gelandet.<br />
Das Bilderbuch erzählt die wahre Geschichte<br />
der Familien Wetzel und Strelzky, die am 16.<br />
September 1979 ihre Flucht aus der DDR mit<br />
einem selbstgemachten Heißluftballon antreten.<br />
Diese kindgerecht erzählte deutsch-deutsche<br />
Geschichte erklärt im Anhang auch, wie es zur<br />
Teilung Deutschlands kam, wie das Leben auf beiden<br />
Seiten der Mauer aussah und weitere Details<br />
zum Ballonbau und der Flucht.<br />
Pletzinger, Thomas<br />
The Great<br />
Nowitzki<br />
Ein Basketballbuch zum Thema Grenzen?<br />
Geht das?<br />
Ja … denn das Buch von Thomas Pletzinger ist<br />
mehr als ein Basketballbuch, mehr als eine<br />
Sportlerbiographie. Es zeichnet Dirk Nowitzkis<br />
Karriere nach – von den Anfängen in seiner<br />
Heimatstadt Würzburg, die erste Begegnung mit<br />
Holger Geschwinder, den Start in Dallas, die Siege,<br />
aber auch die Niederlagen.<br />
Und es zeigt, wie Nowitzki die Grenzen des<br />
Sports verschiebt – zusammen mit seinem Mentor<br />
arbeitet er daran, als 2,13 Meter-Riese nicht nur<br />
unter dem Korb auf den Ball zu warten, sondern<br />
selber zu dribbeln und zu werfen, europäische<br />
Taktik mit amerikanischer Spielweise zu<br />
verbinden. Nowitzki, schreibt Pletzinger, „hatte<br />
ein amerikanisches Spiel grundlegend verändert,<br />
er hatte es revolutioniert. Basketball seit Nowitzki<br />
war anders als Basketball vor ihm: beweglicher,<br />
variabler, weniger erwartbar, feiner, raffinierter“.<br />
Dafür quälte er sich in zahllosen Stunden in einer<br />
kleinen, stickigen Turnhalle in Deutschland, um fit<br />
für die neue Saison zu sein, um die Grenzen des<br />
körperlich Möglichen zu verschieben.<br />
Ein Buch, das auf beeindruckende Weise zeigt,<br />
was mit Talent, aber auch Wille und Fleiß möglich ist.<br />
Die Verlage haben uns jeweils ein<br />
Rezensionsexemplar der Bücher<br />
zur Verfügung gestellt, das wir<br />
gerne an Sie verlosen möchten.<br />
Schreiben Sie uns dafür einfach<br />
bis zum 28. Februar eine E-Mail an<br />
liudger@bistum-muenster.de<br />
mit den Namen des Wunschtitels.<br />
Die ausgelosten Gewinner werden<br />
von uns benachrichtigt und<br />
erklären sich bereit, in der<br />
nächsten Liudger-<strong>Ausgabe</strong><br />
namentlich genannt zu werden.<br />
Colfer, Eoin<br />
Illegal<br />
Die Geschichte<br />
einer Flucht<br />
Warum werden Landesgrenzen illegal überschritten?<br />
Weil die Not so groß ist, dass kein<br />
anderer Ausweg mehr bleibt!<br />
Mit diesem Comic erhält das Flüchtlingsdrama<br />
auf dem Mittelmeer ein Gesicht. Ein Dorf irgendwo<br />
in Afrika – der zwölfjährige Ebo ist ganz allein.<br />
Nach dem Tod der Mutter hat sich erst seine<br />
Schwester und dann sein Bruder auf der Suche<br />
nach einem besseren Leben auf den gefährlichen<br />
Weg nach Europa gemacht. Der Bruder will ihm<br />
Geld schicken, damit er nachkommen kann. Aber<br />
Ebo bleibt nicht im Dorf in seiner hoffnungslosen<br />
Lage allein, sondern folgt ihm, findet Kwame mit<br />
Glück schließlich in Libyen. Die beiden Brüder<br />
machen sich dann mit anderen Flüchtlingen in<br />
einem maroden Schlauchboot auf den Weg über<br />
das Mittelmeer. Aber nur einer wird von der<br />
italienischen Küstenwache gerettet.<br />
Eine berührende und beeindruckende<br />
Geschichte, die die Strapazen einer Flucht und<br />
die dahinter stehenden menschlichen Tragödien<br />
erlebbar macht.<br />
Yousafzai, Ziauddin<br />
Lasst sie fliegen<br />
Wie Malalas Vater<br />
seiner Tochter ein<br />
selbstbestimmtes<br />
Leben ermöglichte<br />
Pakistan ist ein seit Jahrhunderten streng<br />
patriarchalisches Land. Die Trennung der<br />
Geschlechter ist naturgegeben, die Frau findet<br />
ihren Lebensinhalt darin, ihrem Mann zu dienen<br />
und den Haushalt zu führen. Mädchen gehen<br />
nicht zur Schule. Ziauddin Yousafzai, der Vater<br />
der Friedensnobelpreisträgerin Malala, wächst in<br />
dieser für die Frauen sehr begrenzten Gesellschaft<br />
auf, empfindet sie als privilegierter Mann aber als<br />
zunehmend ungerecht. Seiner eigenen Tochter<br />
Malala ermöglicht er Bildung und vermittelt<br />
ihr zusammen mit seiner Frau das Gefühl,<br />
als Mädchen absolut gleichwertig zu sein.<br />
Die gewaltsame Talibanisierung des Swat-Tals,<br />
in dem die Familie lebt, beginnt 2007, die gesellschaftlichen<br />
Regeln werden noch strenger.<br />
Übertretungen werden geahndet, die Bevölkerung<br />
lebt in Angst. Ab <strong>Januar</strong> 2009 dürfen keine<br />
Mädchen mehr zur Schule gehen. Als die selbstbewusste<br />
und mutige Malala, die über ihren Blog<br />
inzwischen auch international bekannt ist,<br />
dagegen aufbegehrt, wird 2012 ein Attentat auf<br />
sie verübt, das sie nur knapp überlebt.<br />
Ziauddin Yousafzai hat seine Tochter immer<br />
unterstützt. Er setzt sich dafür ein, dass Mädchen<br />
Bildung erhalten, dass sie gleichwertig sind,<br />
dass sie fliegen lernen und ihnen nicht schon früh<br />
die Flügel gestutzt werden. Ein mutiger Mann,<br />
der dazu beiträgt, dass sich starre gesellschaftliche<br />
Grenzen und Ungerechtigkeiten lockern und<br />
irgendwann hoffentlich auch in Pakistan auflösen.<br />
ISBN 978-3-473-44719-0<br />
20 Euro<br />
ISBN 9783462047325<br />
26 Euro<br />
ISBN 978-3499-21806-4<br />
16,99 Euro<br />
ISBN 978-3446262621<br />
15 Euro<br />
38 39
Finsternis soll mich<br />
verschlingen und das<br />
Licht um mich herum<br />
soll Nacht sein!<br />
Auch die Finsternis ist<br />
nicht finster vor dir,<br />
die Nacht leuchtet wie<br />
der Tag, wie das Licht<br />
wird die Finsternis.<br />
Ps 139, 11f.