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LIUDGER Ausgabe Januar 2020

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Portrait<br />

Ein Leben mit Grenzen<br />

<strong>Januar</strong> <strong>2020</strong> – Jörg Baden sitzt am Wohnzimmertisch seines Hauses im Gocher Ortsteil Gaesdonck,<br />

in dem er seit 1970 mit seiner Frau Ulla wohnt. Nur wenige Gehminuten entfernt liegt das Bischöfliche<br />

Internatsgymnasium Collegium Augustinianum Gaesdonck, an dem er 30 Jahre lang als Lehrer tätig war.<br />

Wenn Baden sich an die Zeit im dänischen Flüchtlingslager erinnert, dann lächelt er. Trotz der Kriegserlebnisse,<br />

obwohl das Leben beschwerlich war. Die Geschichte seiner Flucht hat er schon oft erzählt,<br />

hat mit Jugendlichen und Historikern gesprochen. Das, was damals passiert ist, soll nicht in Vergessenheit<br />

geraten. Für die Hilfe, die er und seine Familie in Dänemark erfahren haben, ist er bis heute dankbar.<br />

„Wir wurden trotz der schrecklichen Taten, die von den Nationalsozialisten in Dänemark verübt wurden,<br />

als Flüchtlinge aufgenommen“, sagt er und schlägt den Bogen in die Gegenwart: „Mir ist bewusst,<br />

was es heißt, Menschen nicht an einer Grenze abzuweisen, sondern der humanistischen und christlichen<br />

Verpflichtung nachzukommen, sie aufzunehmen und zu helfen.“<br />

„Und es ist so schön,<br />

dass man heute<br />

nach Dänemark,<br />

Frankreich oder<br />

Italien fahren kann<br />

und es an der<br />

Grenze genau so<br />

ist, als würde man<br />

von Nordrhein-<br />

Westfalen nach<br />

Rheinland-Pfalz<br />

fahren.“<br />

Das Leben an der Grenze kennt Baden.<br />

Nur wenige Schritte von der Haustür entfernt<br />

markiert ein rot-weiß gestrichener Schlagbaum die<br />

Grenze zu den Niederlanden. Seit Mitte der 1980er-<br />

Jahre das Schengen-Abkommen in Kraft getreten<br />

ist, ragt er lediglich symbolisch in die Höhe. Früher<br />

jedoch, erinnert sich Baden lachend zurück, wurde<br />

die Grenze von 22 bis 6 Uhr geschlossen. Wer dabei<br />

erwischt wurde, wie er um den Schlagbaum herum<br />

ging, musste mit einer Strafe rechnen – oder den<br />

Weg über die „grüne Grenze“ nehmen.<br />

„Uns kannten die Zöllner“, sagt Baden lachend und<br />

zwinkert mit den Augen, „die wussten, dass wir nicht<br />

schmuggeln. Und wenn wir dann doch mal eine<br />

Flasche Genever für Freunde gekauft haben, dann<br />

wurde nichts gesagt.“ Sogar richtige Freundschaften<br />

entstanden mit der Zeit, ein niederländischer Zöllner<br />

wurde Badens Schachpartner – im Fernduell. Baden<br />

warf einen Zettel mit seinem Zug beim Zollamt ein,<br />

nach seiner Schicht steckte der Zöllner den Zettel<br />

mit seinem Gegenzug an die Haustür.<br />

„Das war schon ein Stück europäische Geschichte,<br />

die wir hier miterlebt haben“, erklärt der ehemalige<br />

Lehrer, der mit Nachdruck betont, überzeugter<br />

Europäer zu sein. Er lacht. „Meine vier Kinder<br />

haben alle europäisch geheiratet“, sagt er schließlich,<br />

„und es ist so schön, dass man heute nach<br />

Dänemark, Frankreich oder Italien fahren kann und<br />

es an der Grenze genau so ist, als würde man von<br />

Nordrhein-Westfalen nach Rheinland-Pfalz fahren.“<br />

Umso schmerzlicher ist für ihn der Brexit, zumal der<br />

ehemalige Englisch-Lehrer viele gute Erinnerungen<br />

an das Vereinigte Königreich hat und dort Freunde<br />

der Badens leben. „Bei allen Problemen, die es in<br />

der EU gibt“, sagt er nachdenklich, „hat sie uns in<br />

Europa den Frieden gebracht.“<br />

Das Ehepaar Baden ist gerne auf Reisen,<br />

wer den beiden zuhört, versteht schnell, warum<br />

sie in aller Welt Freunde haben. Offen, aufmerksam<br />

und freundlich – so kamen sie 1989 nach<br />

einem Konzert an der Gaesdonck auch mit einem<br />

jüdischen Ehepaar in Kontakt. Der Mann, Jahrgang<br />

1926, arbeitete zu der Zeit in Kleve. Der Kontakt<br />

blieb bestehen, als das Paar zurück nach Israel<br />

zog, zehn Jahre später flogen Badens nach Tel Aviv,<br />

um die Freunde zu besuchen. „Ein Schlüsselerlebnis“,<br />

wie er heute sagt. Ihre Gespräche führen<br />

sie auf Englisch, zu sehr ist die deutsche Sprache<br />

mit schlimmen Erinnerungen verknüpft. Wie Jörg<br />

Baden erst nach einiger Zeit erfuhr, gehört sein<br />

jüdischer Freund zu den wenigen Überlebenden<br />

des Todesmarsches vom Konzentrationslager<br />

Buchenwald. Wenn Baden auf die Verbrechen der<br />

Nationalsozialisten zu sprechen kommt, bebt er<br />

auch heute noch vor Wut, dann wird seine sonst<br />

so ruhige Stimme lauter, bis er sich nach wenigen<br />

Sekunden wieder fängt.<br />

Auch deshalb hat er sich in den vergangenen<br />

Jahren immer mehr mit der jüdischen Religion<br />

beschäftigt. Und mit dem problematischen historischen<br />

Verhältnis zwischen Christen und Juden,<br />

dem Antisemitismus, der so lange nicht überwunden<br />

wurde und der, daran lässt Baden keinen<br />

Zweifel, noch dringend aufgearbeitet werden muss.<br />

Dass es zwischen Juden und Christen eine Grenze<br />

gibt, durch die so viel Leid verursacht wurde,<br />

das kann und will er nicht akzeptieren.<br />

Entsprechend stark setzen sich er und seine<br />

Frau für den jüdisch-christlichen Dialog ein.<br />

Es ist eine Herzensangelegenheit.<br />

Auch wenn Baden seit 20 Jahren im Ruhestand<br />

ist, er will weiter Grenzen überschreiten und<br />

etwas bewegen. Vor ein paar Jahren zeigte ihm<br />

sein Körper eigene Grenzen auf. Er wurde schwer<br />

krank, doch die Ärzte retteten ihm das Leben.<br />

Baden lächelt: „Seither betrachte ich jeden Tag<br />

noch mehr als ein Geschenk.“<br />

Fotos: Christian Breuer<br />

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