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Handelsverband Journal RETAIL 4/2019

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— persönlich<br />

„Online-Riesen werden<br />

nicht kontrolliert,<br />

aber KMU schikaniert“<br />

Interview. Heini Staudinger<br />

wird gerne als „Rebell“ bezeichnet.<br />

Dabei hat er nur<br />

einen ausgeprägten Sinn für<br />

Gerechtigkeit und ist immer<br />

wieder bereit, dafür auch auf<br />

die Barrikaden zu steigen.<br />

retail: Sie weigern sich seit September,<br />

die Mehrwertsteuer auf Speisen und<br />

Getränke in Ihrem Gasthaus zur Sonne<br />

in Schrems abzuführen – warum?<br />

Heini Staudinger: Das ist meine persönliche<br />

Form des Protests gegen die<br />

22-Euro-Einfuhrumsatzsteuer-Freigrenze<br />

für Waren aus Drittstaaten. Daher habe<br />

ich meinen eigenen „Online-Giganten“<br />

gea-baba.com – in Anlehnung an den<br />

chinesischen Onlinehändler Alibaba –<br />

gegründet und führe bei Bestellungen bis<br />

zu 22 Euro keine Mehrwertsteuer mehr<br />

ab. Dieses Geld landet nicht in der Kassa.<br />

Als mich der Vertreter der Finanzpolizei<br />

fragte, wo es ist, antwortete ich ihm: Ich<br />

sag’s ihm, wenn er mir verrät, wo Jack Ma<br />

von Alibaba sein Geld hintut! Natürlich<br />

wird man mich dafür strafen, aber ich<br />

weiß schon, was ich dem Richter sagen<br />

werde: dass nämlich die Gleichheit vor<br />

dem Gesetz eine der Säulen unserer Republik<br />

ist und Gerechtigkeit die Grundlage<br />

für sozialen Frieden. Was für unsere<br />

Klein- und Mittelbetriebe gilt, muss auch<br />

für Alibaba gelten!<br />

Nun ist aber die Abschaffung der<br />

Freigrenze im Nationalrat bereits<br />

beschlossen worden. Wozu dann<br />

noch Ihre Aktion?<br />

Weil das Datum der Abschaffung nicht<br />

feststeht, weil der österreichische Zoll weder<br />

personell noch vom Know-how her in<br />

der Lage wäre, die tatsächlichen Warenwerte<br />

dieser unglaublichen Paketflut zu<br />

kontrollieren, und weil nicht klar ist, ob<br />

das Ganze EU-weit überhaupt durchgeht.<br />

Mir kommt das so vor, als würde der Heini<br />

Staudinger eines Tages beschließen,<br />

gegen Mike Tyson anzutreten, und dafür<br />

isst er jetzt recht viel Knödel und trainiert<br />

sich ein paar Muskeln an.<br />

Der für die heimische Wirtschaft<br />

unhaltbare Zustand besteht ja<br />

bereits seit Längerem …<br />

Stimmt, der Schaden ist schon längst<br />

entstanden. Die KMU haben jetzt 25 Jahre<br />

lang – seit Österreichs EU-Beitritt – unter<br />

der Situation gelitten, dass sie die Umsatzsteuer<br />

abführen mussten, die Händler<br />

aus Drittstaaten aber ihre Freigrenze<br />

hatten. Alleine aus China sind das im<br />

Jahr rund sieben Millionen Pakete – 90<br />

Prozent davon sind falsch deklariert.<br />

Was wäre zu tun?<br />

Eigentlich sollten die KMU die Republik<br />

wegen Wettbewerbsverzerrung klagen<br />

und die in all den Jahren abgeführte<br />

Umsatzsteuer zurückfordern. Das wäre<br />

eine zaghafte Wiedergutmachung.<br />

Amazon hat, um ein Beispiel zu nennen,<br />

den heimischen Buchhandel fast umgebracht.<br />

Aber es ist ja vielfach schon zu<br />

spät, weil so viele KMU bereits in Konkurs<br />

gehen mussten. In vielen Dörfern ist die<br />

Infrastruktur – das Kleingewerbe, das<br />

Gasthaus, der Greißler, die Handwerker –<br />

tot. Das ist ein gesamtgesellschaftlicher<br />

Schaden, der kaum wiedergutzumachen<br />

ist. Die meisten hätten überleben können,<br />

wenn das Steuersystem seiner Aufgabe<br />

nachgekommen wäre: zu steuern. Stattdessen<br />

werden die heimischen KMU – die<br />

dringend zu entlasten wären – schikaniert<br />

und die Online-Riesen nicht kontrolliert.<br />

Wenn der Lenkungseffekt darin besteht,<br />

dass die KMU kaputtgemacht werden und<br />

auf der anderen Seite der Chef von Amazon<br />

der reichste Mann der Welt ist, dann<br />

ist das grundverkehrt. ▪ Harald Sager<br />

Heini Staudingers und Paul Tritschers<br />

Waldviertler Werkstätten produzieren Taschen,<br />

Schuhe und Möbel und betreiben eine<br />

Akademie sowie das Hotel und Gasthaus zur<br />

Sonne in Schrems. Sie beschäftigen rund 170<br />

Menschen und erwirtschafteten zuletzt (2016)<br />

knapp 19 Millionen Euro. Unter dem Namen<br />

GEA betreibt das Unternehmen 44 GEA-Shops<br />

in Österreich, Deutschland und der Schweiz.<br />

Foto: Manuel Gruber<br />

50 — Dezember <strong>2019</strong>

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