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der gemeinderat Mai 2020

Unsere Themen in der Mai-Ausgabe: Titelthema Corona, Extra Personalmanagement, Beschaffung: Digitale Instrumente schaffen Transparenz, Beleuchtung: Smart City leuchtet mit LED-Technologie

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Politik & Gesellschaft<br />

Corona<br />

Politik & Gesellschaft<br />

ONLINE<br />

Mehr zum Thema finden Sie<br />

auf www.treffpunkt-kommune.de ><br />

Online-Spezial > Corona<br />

ZUR PERSON<br />

Dr. Thomas Nitzsche, Jahrgang 1975,<br />

ist seit 2018 Oberbürgermeister <strong>der</strong><br />

Universitätsstadt Jena in Thüringen<br />

(oberbuergermeister@jena.de). Zuvor<br />

war <strong>der</strong> promovierte Politikwissenschaftler<br />

Fachreferent an <strong>der</strong> Thüringer<br />

Universitäts- und Landesbibliothek in<br />

Jena. Nitzsche ist verheiratet und hat<br />

zwei Kin<strong>der</strong>.<br />

„Die Pandemie zwingt uns,<br />

eher schneller als vorgesehen<br />

über unseren Schatten zu<br />

springen“<br />

Thomas Nitsche<br />

Jena<br />

„Offener Austausch<br />

<strong>der</strong> Argumente“<br />

Die Stadt Jena hat als erste deutsche Kommune die Maskenpflicht zum Corona-<br />

Infektionsschutz erlassen. Oberbürgermeister Thomas Nitzsche bilanziert die<br />

Maßnahme, schil<strong>der</strong>t die Reaktion <strong>der</strong> Verwaltung auf die Ausnahmesituation<br />

und gibt einen Einblick in die finanzielle Lage und Perspektive seiner Stadt.<br />

Herr Oberbürgermeister, Jena war die erste<br />

Stadt in Deutschland, die Anfang April die<br />

Maskenpflicht eingeführt hat. Warum sind<br />

Sie mit dieser Maßnahme vorangegangen?<br />

Nitzsche: Jena ist stark international vernetzt,<br />

da findet sehr viel Austausch statt.<br />

Unsere zu Beginn <strong>der</strong> Pandemie steil nach<br />

oben geschnellten Zahlen haben wir mit<br />

strikten Maßnahmen früh wie<strong>der</strong> eingebremst.<br />

Mit den Quarantäne-Anordnungen<br />

für Reiserückkehrer sind wir bezüglich <strong>der</strong><br />

Risikogebiete dem Robert-Koch-Institut<br />

mitunter sogar vorausgeeilt. Als zweite<br />

Stufe wollten wir die Verbreitung des Virus<br />

auch innerhalb <strong>der</strong> Stadt konsequent unterbinden.<br />

Dafür haben wir schrittweise<br />

das Tragen einer Mund-Nase-Bedeckung<br />

als Pflicht in geschlossenen Räumen eingeführt,<br />

zuerst bei körpernahen Dienstleistungen,<br />

dann im ÖPNV und beim Einkaufen,<br />

nach Ostern dann auch im Arbeitsumfeld,<br />

wenn dort nicht genügend Raum<br />

gegeben ist.<br />

Foto: Stadt Jena<br />

Wie hat sich das Infektionsgeschehen in<br />

Ihrer Stadt seither entwickelt?<br />

Nitzsche: Zu Ostern waren unsere 155 Fälle<br />

trauriger Rekord in Thüringen, sowohl in<br />

absoluten Zahlen als auch pro Kopf. Am<br />

13. <strong>Mai</strong> standen wir bei 159 Fällen, die<br />

Maßnahmen scheinen also Wirkung zu<br />

haben. Unsere Kurve ist nicht nur abgeflacht,<br />

son<strong>der</strong>n praktisch waagerecht. Wie<br />

sich das mit <strong>der</strong> nun breit beginnenden<br />

Öffnung weiter entwickelt, bleibt abzuwarten.<br />

In jedem Fall aber haben die Jenaer<br />

die Trias Abstand plus Hygiene plus<br />

Maske gut verinnerlicht, daher bleibe ich<br />

zuversichtlich.<br />

Das Verwaltungsgericht Gera hatte die Zulässigkeit<br />

dieser Allgemeinverfügung bestätigt.<br />

Welche Rückmeldungen haben Sie<br />

aus <strong>der</strong> Bevölkerung bekommen?<br />

Nitzsche: Es dauerte etwas, bis wir das Wissen<br />

durchkommuniziert hatten, dass die<br />

Masken nicht dem Eigen-, son<strong>der</strong>n dem<br />

kollektiven Fremdschutz dienen. Auch gab<br />

es Skepsis, ob sich eine ganze Stadt so aktivieren<br />

lässt, dass die Menschen für sich<br />

selbst und für an<strong>der</strong>e Masken schnei<strong>der</strong>n.<br />

Aber es hat funktioniert, die Akzeptanz<br />

war von Beginn an überwältigend. Mit <strong>der</strong><br />

im Lockdown wachsenden Ungeduld kam<br />

aber auch Kritik auf, vor allem wenn die<br />

Maske über längere Zeit getragen werden<br />

sollte. 45 Minuten Unterricht mit Maske<br />

war in den Augen vieler Eltern unverhältnismäßig<br />

– und auch für das Verwaltungsgericht<br />

Gera. Nach zuvor drei gewonnenen<br />

Verfahren mussten wir hier mit einem Hygiene-<br />

und Lüftungskonzept an<strong>der</strong>s nachsteuern.<br />

Sie haben früh reagiert, um <strong>der</strong> Pandemie<br />

entgegenzuwirken. Welches Tempo halten<br />

Sie bei <strong>der</strong> weiteren Lockerung <strong>der</strong> Einschränkungen<br />

für sinnvoll?<br />

Nitzsche: Der Weg in den Lockdown hinein<br />

war <strong>der</strong> weniger schwere. Beim Lockern<br />

dürfen keine Fehler passieren, denn sie<br />

stellen sich erst zwei Wochen später als<br />

solche heraus. Ohne Impfstoff und ohne<br />

Medikamente gehört vor je<strong>der</strong> Öffnung<br />

eines infektionssensiblen Bereiches eigentlich<br />

die Frage gestellt, wie sich die üblichen<br />

Abläufe so neu gestalten lassen, dass<br />

selbst ein unbemerkt Covid-Infizierter das<br />

Virus nicht an an<strong>der</strong>e weitergeben würde.<br />

Das kommt mir aktuell deutlich zu kurz.<br />

Die Bürgermeister geraten gerade in eine<br />

unschöne Sandwich-Position zwischen<br />

den Wünschen <strong>der</strong> Bevölkerung und den<br />

Entscheidungen auf Bundes- und Landesebene,<br />

die beide von <strong>der</strong> operativen Verantwortung<br />

für den Infektionsschutz einen<br />

halben Schritt zu weit entfernt sind.<br />

Mit wem beraten Sie sich in dieser Zeit?<br />

Woher beziehen Sie das Fachwissen, um<br />

situationsgerecht entscheiden zu können?<br />

Nitzsche: Wir hatten unseren Stab schon<br />

einberufen, bevor es den ersten Fall in <strong>der</strong><br />

Stadt gab. Wir werden dort fachlich beraten<br />

unter an<strong>der</strong>em von Kollegen des Jenaer<br />

Uniklinikums und von <strong>der</strong> Kassenärztlichen<br />

Vereinigung. Taktgeber ist unser Gesundheitsamt.<br />

Von Anfang an mit aktuellstem<br />

Fachwissen und außerordentlichem<br />

Engagement dabei, haben wir die gesamte<br />

Verwaltung so aufgestellt, dass diese Kolleginnen<br />

alle Unterstützung bekommen,<br />

die sie brauchen, und vom „Schreibkram“<br />

weitgehend entlastet sind. Wo es politisch<br />

wird, entscheide ich – im Stab wie sonst<br />

auch – nicht isoliert, son<strong>der</strong>n nach offenem<br />

Austausch <strong>der</strong> Argumente.<br />

Wie hat die Stadtverwaltung sich auf die<br />

Beschränkungen eingestellt? Konnte etwa<br />

Homeoffice für die Beschäftigten in nennenswertem<br />

Umfang eingerichtet werden?<br />

Nitzsche: Wir haben in kürzester Zeit eine<br />

große Anzahl Laptops beschafft und unsere<br />

Serverkapazitäten ausgeweitet, sodass<br />

inzwischen 20 Prozent <strong>der</strong> Kollegen<br />

die Option des mobilen Arbeitens nutzen.<br />

Zur Bewältigung <strong>der</strong> Krise haben wir die<br />

Verwaltung aber noch weiter umgebaut.<br />

Weit über 100 Kollegen helfen <strong>der</strong>zeit fachfremd<br />

aus. Sie sitzen an den Bürgerhotlines,<br />

beantworten Anfragen, die uns per<br />

<strong>Mai</strong>l erreichen – zu Spitzenzeiten 2500 am<br />

Tag –, und unterstützen das Gesundheitsamt<br />

bei <strong>der</strong> Erstellung <strong>der</strong> Bescheide.<br />

Für wie bedeutend halten Sie den Schub,<br />

den die Corona-Zeit <strong>der</strong> Verwaltungsmo<strong>der</strong>nisierung<br />

womöglich gibt – Stichwort<br />

Digitalisierung?<br />

Nitzsche: Es gibt diesen Schub, ohne Zweifel.<br />

Die Pandemie zwingt uns, eher schneller<br />

als vorgesehen über unseren Schatten<br />

zu springen. Neue Wege in <strong>der</strong> Kommunikation<br />

wie Telefon- o<strong>der</strong> Videokonferenz<br />

sind zunächst ungewohnt, aber effizient.<br />

Die elektronische Aktenführung erfährt im<br />

Rollout so vielleicht einen unerwarteten<br />

Schub, ebenso die Online-Serviceleistungen.<br />

Ich kann mir außerdem vorstellen,<br />

dass in Anlehnung an die guten Erfahrungen<br />

mit mobilem Arbeiten sogar das notorische<br />

Raumproblem <strong>der</strong> Verwaltung beherrschbar<br />

wird. Unsere Digitalisierungsstrategie,<br />

aufgesetzt ein halbes Jahr früher,<br />

ist durch die akute Krise zwar zunächst<br />

heruntergebremst worden, wird mit <strong>der</strong>en<br />

Bewältigung aber mit umso mehr Verve<br />

verfolgt werden.<br />

Mit welchen finanziellen Belastungen für<br />

den städtischen Haushalt durch die Bekämpfung<br />

<strong>der</strong> Pandemie rechnen Sie in<br />

diesem Jahr?<br />

Nitzsche: Corona trifft die Kommunen existentiell.<br />

Ich glaube, dass aktuell ohne massive<br />

Unterstützung nahezu keine Gemeinde<br />

in Thüringen einen genehmigungsfähigen<br />

Haushalt aufstellen kann. In<br />

Jena werden uns, bei einem Haushalt von<br />

etwas über 300 Millionen Euro, in <strong>2020</strong><br />

und 2021 je 50 Millionen Euro fehlen –<br />

durch Ausfälle bei <strong>der</strong> Gewerbesteuer, bei<br />

den Anteilen von Einkommen- und Umsatzsteuer,<br />

und durch direkt o<strong>der</strong> sekundär<br />

coronabedingte Mehrausgaben. Ich habe<br />

mit einer Haushaltssperre reagieren müssen.<br />

Obwohl wir als Stadt immer solide<br />

und wirtschaftlich stark waren – die vollständige<br />

Entschuldung war für 2023 angestrebt<br />

– müssten wir ohne einen kommunalen<br />

Rettungsschirm 2021 wohl in die<br />

Haushaltssicherung gehen.<br />

Mit welchen Aktionen und Maßnahmen<br />

unterstützt die Stadtverwaltung die lokale<br />

Wirtschaft, Mittelstand und Handel?<br />

Nitzsche: Wir können selbst keine Rettungspakete<br />

schnüren. Unser partieller Verzicht<br />

zum Beispiel auf die Son<strong>der</strong>nutzungsgebühren<br />

für gastronomische Außenbewirtschaftung<br />

ist da eher eine symbolische<br />

Unterstützung – in dieser Zeit aber auch<br />

nicht unwichtig. Wir helfen vor allem<br />

durch Bündelung und Vernetzung. Die<br />

städtische Wirtschaftsför<strong>der</strong>ung berät gerade<br />

kleine Akteure zu den För<strong>der</strong>programmen.<br />

Große Unsicherheit besteht oft<br />

bezüglich <strong>der</strong> jeweils aktuellen Regelungen<br />

durch das Land o<strong>der</strong> die Stadt, beson<strong>der</strong>s<br />

was die Hygieneauflagen betrifft.<br />

Ziel unserer Beratung ist es, auch die vielen<br />

kleinen Geschäfte sicher durch die<br />

Krise zu bringen, denn sie machen den<br />

Charme unserer Stadt aus.<br />

Wie sehen Sie Deutschland im Blick auf die<br />

kritischen Infrastrukturen aufgestellt, namentlich<br />

in <strong>der</strong> Gesundheitsversorgung?<br />

Nitzsche: Die Lage ist heterogen. Jena hat<br />

Glück: Mit dem Universitätsklinikum gibt<br />

es einen überregionalen Maximalversorger<br />

am Ort, das städtische Gesundheitsamt<br />

agiert epidemiologisch auf dem Stand <strong>der</strong><br />

Forschung. Es gibt aber auch Gebietskörperschaften,<br />

die schon seit Jahren gar keinen<br />

o<strong>der</strong> keinen Mediziner als Amtsarzt<br />

haben. Die von <strong>der</strong> Bundesregierung gefor<strong>der</strong>te<br />

Relation von fünf Mitarbeitern pro<br />

20 000 Einwohner für die Kontaktnachverfolgung<br />

werden viele Gesundheitsämter<br />

nur mit Hilfe von außen erreichen. Insgesamt<br />

muss Deutschland zwar den internationalen<br />

Vergleich nicht scheuen. In <strong>der</strong><br />

Binnensicht aber hätten die Gesundheitsämter<br />

schon vor <strong>der</strong> Krise mehr Aufmerksamkeit<br />

verdient gehabt.<br />

Der Oberbürgermeister ist auch Mensch –<br />

was verschafft Ihnen Ausgleich während<br />

des Krisenmanagements?<br />

Nitzsche: Nun gibt es ja wie<strong>der</strong> Wochenenden.<br />

Dann ist Zeit für Familie und Sport<br />

– wenn Frau und Kin<strong>der</strong> mögen, gern auch<br />

beides zugleich. Fahrradtouren durchs<br />

schöne Saaletal gehen gut gemeinsam, die<br />

Jena umgebenden Berge hinauf geht’s eher<br />

allein.<br />

Interview: Jörg Benzing<br />

12 <strong>der</strong> gemein<strong>der</strong>at 5/20<br />

<strong>der</strong> gemein<strong>der</strong>at 5/20<br />

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