urbanLab Magazin 2017 - Die Stadt der Zukunft
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
MAGAZIN<br />
FACHZEITSCHRIFT FÜR<br />
STADT- & REGIONALPLANUNG<br />
Ausgabe 02 | Juli <strong>2017</strong><br />
Ausblick in<br />
die Region<br />
*Wettbewerb Wachstum in Kooperation<br />
*Regionale 2022 „Das neue UrbanLand“<br />
Quartier<br />
<strong>der</strong> <strong>Zukunft</strong><br />
Wettbewerbsdokumentation<br />
des offenen studentischen<br />
Ideenwettbewerbs<br />
DIE STADT DER ZUKUNFT<br />
DIGITAL. GESUND. SOZIAL<br />
Dokumentation <strong>der</strong> interdisziplinären Veranstaltungsreihe<br />
des Regionalen Salons 2016/17
<strong>Die</strong> Wohnungswirtschaft Ostwestfalen-Lippe ist<br />
ein Zusammenschluss von Wohnungsbaugenossenschaften,<br />
kommunalen, kirchlichen und<br />
privaten Wohnungsunternehmen. Insgesamt arbeiten<br />
28 Unternehmen zusammen, um Ihnen<br />
sicheren und mo<strong>der</strong>nen Wohnraum zu fairen<br />
Preisen anbieten zu können.<br />
<strong>Die</strong> Unternehmen <strong>der</strong> Wohnungswirtschaft Ostwestfalen-Lippe<br />
sind dort zu Hause, wo auch Sie<br />
zu Hause sind.<br />
Mit Bauaufträgen in <strong>der</strong> Region von mehr als<br />
100 Millionen € im Jahr sichert die Wohnungswirtschaft<br />
OWL Arbeitsplätze in <strong>der</strong> Region.<br />
Gleichzeitig stellen die Unternehmen sicher,<br />
zeitgemäßen und guten Wohnraum anbieten zu<br />
können für Menschen, die hier leben.
Städte und Regionen verän<strong>der</strong>n sich<br />
Liebe Leserinnen und Leser,<br />
nicht erst seit dem Wissenschaftsjahr „<strong>Zukunft</strong>sstadt“ wird über die Vision zukünftigen Zusammenlebens und<br />
das Aussehen unserer Städte diskutiert. <strong>Die</strong> wichtige Auseinan<strong>der</strong>setzung mit <strong>der</strong> Weiterentwicklung und Verbesserung<br />
unserer alltäglichen Lebensräume darf dabei nicht nur in einer Verlängerung aktueller Trends münden,<br />
wie z.B. das technikgetriebene Leitbild <strong>der</strong> autogerechten <strong>Stadt</strong>, unter dessen Auswirkungen die meisten<br />
Räume noch heute leiden. Aus unserer Sicht bergen die heutigen großen gesellschaftlichen Verän<strong>der</strong>ungen<br />
ebenso die Gefahr technologieaffine Leitbil<strong>der</strong> zu erzeugen, die nicht den Menschen als Nutzer dieser Lebensräume<br />
in den Mittelpunkt stellen. Mit <strong>der</strong> voranschreitenden Digitalisierung und Vernetzung, sowie <strong>der</strong> Energiewende<br />
und neuen Mobilitätsformen werden womöglich die gleichen Fehler wie<strong>der</strong>holt.<br />
Sieht man die <strong>Stadt</strong> als lebendigen Organismus, als kompliziertes Netzwerk aus Abhängigkeiten und insbeson<strong>der</strong>e<br />
als menschlichen Lebensraum wird klar, dass die <strong>der</strong>zeitigen technischen Entwicklungen nicht zum Selbstzweck<br />
dienen, son<strong>der</strong>n eingebettet sein müssen in eine ganzheitliche Sicht, insbeson<strong>der</strong>e <strong>der</strong> planenden Disziplinen.<br />
Investitionen in die gebaute Umwelt sind einmalige planerische Entscheidungen, die kaum reversibel sind und entsprechend<br />
fundiert getroffen werden müssen. Mit unseren Aktivitäten im <strong>urbanLab</strong> und insbeson<strong>der</strong>e mit diesem<br />
<strong>Magazin</strong> möchten wir die wissensbasierte Gestaltung <strong>der</strong> menschlichen Umwelt för<strong>der</strong>n, mit dem Ziel nachhaltige,<br />
reslliente Lebensräume für uns Menschen in Städten, Dörfern und Quartieren zu schaffen.<br />
In diesem Sinne laden wir Sie herzlich ein mit diesem <strong>Magazin</strong> vor allem die Veranstaltungsreihe Regionaler Salon<br />
„<strong>Stadt</strong> <strong>der</strong> <strong>Zukunft</strong>“ nachzuvollziehen. Es werden drei wesentliche Bausteine einer resilienten <strong>Stadt</strong>entwicklung beleuchtet<br />
und ihre Auswirkungen, Herausfor<strong>der</strong>ungen und Potentiale auf unsere tägliche Lebenswelt thematisiert.<br />
Der erste Teil beschäftigt sich mit den Chancen und Risiken <strong>der</strong> voranschreitenden Digitalisierung. Im zweiten Teil<br />
geht es um die Gestaltung unserer täglichen Lebenswelt und ihre Auswirkungen auf Gesundheit, Wohlbefinden und<br />
Lebensqualität. Der dritte Teil rückt das Thema <strong>der</strong> Chancen(un)gleichheit und mögliche Handlungsansätze in den<br />
Fokus <strong>der</strong> Betrachtung.<br />
Darüber hinaus birgt dieses <strong>Magazin</strong> die Wettbewerbsdokumentation zu dem überaus erfolgreichen Wettbewerb<br />
„Quartier <strong>der</strong> <strong>Zukunft</strong>“. Der Wettbewerb, den wir zusammen mit <strong>der</strong> Wohnungswirtschaft Ostwestfalen-Lippe im<br />
vergangenen Wintersemester ausgelobt haben, stellte eine <strong>der</strong> drängendsten Aufgaben <strong>der</strong> nächsten Jahre in den<br />
Mittelpunkt: <strong>Die</strong> Schaffung von angemessenen dauerhaften und erschwinglichen Wohnraum, <strong>der</strong> über eine hohe<br />
Dichte und Durchmischung und dennoch über eine ausreichende Wohnqualität verfügt. Wichtig erschien uns dabei,<br />
dass die erfor<strong>der</strong>lichen Wohnungsbauaktivitäten nicht nur den Metropolen überlassen werden, son<strong>der</strong>n auch<br />
in metropolenfernen Regionen wie Ostwestfalen-Lippe stattfinden. Herausgekommen sind innovative Lösungen<br />
für zukünftige Quartiersentwicklungen, die zur weiteren Diskussion anregen und mit einer Vielfalt an fachlich fundierten<br />
Ansätzen eine gute Grundlage für den weiteren Entwicklungsprozess geschaffen haben.<br />
Darüber hinaus freuen wir uns Ihnen mit diesem <strong>Magazin</strong> auch die an<strong>der</strong>en Aktivitäten des <strong>urbanLab</strong> vorstellen zu<br />
können. Bundesweit für Aufsehen sorgte bereits das Projekt Heimatwerker in Nieheim. Wir berichten über den aktuellen<br />
Stand. Ein weiteres neues Reallabor, das Lastenrad dela, möchten wir Ihnen ebenfalls präsentieren. Darüber<br />
hinaus sind wir stolz Ihnen unser neues Haushebungsprojekt in Überschwemmungsgebieten (Brockwitz) vorstellen<br />
zu können.<br />
Für Furore sorgt in <strong>der</strong> Region OWL seit März <strong>der</strong> Zuschlag zur Regionale 2022. Damit stellen sich <strong>der</strong> Region<br />
zahlreiche Chancen zur Weiterentwicklung, aber auch die Herausfor<strong>der</strong>ung qualitätvolle und innovative Projekte<br />
hervorzubringen. Als Forschungsschwerpunkt <strong>der</strong> <strong>Stadt</strong>- und Regionalplanung sehen wir den nächsten Jahren<br />
natürlich mit beson<strong>der</strong>er Spannung entgegen. Deswegen möchten wir diese Ausgabe schließen, indem wir einen<br />
Ausblick auf die kommende Regionale wagen und in diesem Zusammenhang den aktuellen studentischen Wettbewerb<br />
Wachstum in Kooperation vorstellen, den wir im Auftrag <strong>der</strong> NRW.BANK durchführen und an dem gerade<br />
300 Studierende aus Deutschland, Österreich und den Nie<strong>der</strong>landen arbeiten.<br />
Wir hoffen Sie haben Freude an dieser interdisziplinären und umfangreichen Lektüre, die nicht zuletzt aufgrund <strong>der</strong> zahlreichen<br />
externen Referenten unserer Veranstaltungen zustande gekommen ist. Hierfür möchten wir uns recht herzlich bedanken!<br />
Prof. Oliver Hall Sprecher <strong>urbanLab</strong><br />
Marcel Cardinali Koordination <strong>urbanLab</strong>
(Klammer auf<br />
6 • <strong>Die</strong> <strong>Stadt</strong> <strong>der</strong> <strong>Zukunft</strong> - In ständiger Erneuerung<br />
Prof. Dr. Axel Häusler, Prof. Kathrin Volk,<br />
Prof. Dr. Reiner Staubach, • <strong>urbanLab</strong><br />
8 • Big Data, Datenschutz, Datensicherheit,<br />
Chancen & Risiken für Smart Cities<br />
Michael Lobeck • Universität Bonn, promediare.de<br />
10 • Smart Cities - Perspektiven für Mittelstädte<br />
Carolin Lauhoff • Lauhoff Architekten, Melle<br />
12 • Smart Country Side<br />
Dr. Klaus Schafmeister • Kreis Lippe/Hochschule OWL<br />
14 • Drei Thesen zur Digitalen <strong>Stadt</strong><br />
Benjamin Dally • Forschungsschwerpunkt nextPlace<br />
18 • Gesundheit in <strong>der</strong> <strong>Stadt</strong> von gestern, heute, morgen<br />
Dr. Hendrik Baumeister, Prof. Dr. Claudia Hornberg<br />
• Universität Bielefeld<br />
22 • Umweltgerechtigkeit und Gesundheit<br />
Anja Ritschel • <strong>Stadt</strong> Bielefeld, Dezernat Umwelt & Klimaschutz<br />
26 • Verän<strong>der</strong>ungen von Krankheitsbil<strong>der</strong>n<br />
bezogen auf den Wohnort<br />
Prof. Dr. Manfred Pilgramm • HNO-Arzt & Honorarprofessor<br />
28 • Human Centered Design -<br />
Wie Architektur unser Verhalten beeinflusst<br />
Marcel Cardinali • <strong>urbanLab</strong><br />
32 • Je<strong>der</strong> möchte etwes bewegen -<br />
Reallabor Detmol<strong>der</strong> Lastenrad<br />
Peter Gläsel Stiftung, ADFC Lippe,<br />
Lippe im Wandel, BUND Lippe, <strong>urbanLab</strong><br />
34 • HueBro: Haushebung in Überschwemmungsgebieten<br />
ConstructionLab, nextPlace, <strong>urbanLab</strong>
36 • Segregation, Angst und Konflikt in deutschen Städten<br />
Dr. Andreas Hüttermann • IKG, Universität Bielefeld<br />
40 • Soziale Integration im Quartier<br />
Ralf Zimmer-Hegmann • ILS, Dortmund<br />
44 • Soziale <strong>Stadt</strong>: Über die begrenzte<br />
Reichweite von Quartierspolitik<br />
Volker Kersting • <strong>Stadt</strong>forschung, Mülheim an <strong>der</strong> Ruhr<br />
48 • Reallabor - Wer baut <strong>der</strong> bleibt<br />
Integrationsprojekt Nieheim<br />
<strong>Stadt</strong>baukultur NRW, <strong>Stadt</strong> Nieheim, <strong>urbanLab</strong><br />
50 • Milieus und ihre Wohnanfor<strong>der</strong>ungen - Warum in<br />
<strong>der</strong> Sozialen <strong>Stadt</strong> wie<strong>der</strong> mehr gebaut werden muss<br />
Marcel Cardinali • <strong>urbanLab</strong><br />
56 • Lab of the Region: Detmold<br />
Peter-Gläsel Stiftung, Institut für Kompetenzentwicklung, <strong>urbanLab</strong><br />
58 • Studentischer Ideenwettbewerb WiSe 2016/17:<br />
Was macht ein Quartier <strong>der</strong> <strong>Zukunft</strong> aus?<br />
Wohnungswirtschaft OWL, <strong>urbanLab</strong><br />
))IDEAS((<br />
88 • <strong>Die</strong> <strong>Stadt</strong> <strong>der</strong> <strong>Zukunft</strong> - Resilienter Lebensraum<br />
Prof. Dr. Axel Häusler, Prof. Kathrin Volk ,<br />
Prof. Dr. Reiner Staubach • <strong>urbanLab</strong><br />
Klammer zu)<br />
92 • Studentischer Ideenwettbewerb SoSe <strong>2017</strong>:<br />
Wachstum in Kooperation<br />
NRW.BANK, <strong>urbanLab</strong>, ISB<br />
96 • Das neue urbanLand<br />
Prof. Dr. Axel Häusler, Prof. Kathrin Volk,<br />
Prof. Oliver Hall, Dr. Klaus Schafmeister<br />
• <strong>urbanLab</strong> & nextPlace
Prof. Dr. Axel Häusler, Prof. Kathrin Volk, Prof. Dr. Reiner Staubach<br />
6<br />
<strong>Die</strong> <strong>Stadt</strong> <strong>der</strong> <strong>Zukunft</strong> - IN STÄNDIGER ERNEUERUNG<br />
(Klammer auf<br />
<strong>Die</strong> <strong>Stadt</strong> ist unser alltägliches Lebensumfeld. Jeden<br />
Tag erleben, gestalten und erzeugen wir sie<br />
durch unser individuelles Handeln. Selbstverständlich<br />
müssen wir zwischen Räumen unterschiedlicher<br />
Dichte, nutzungsfunktionaler Prägung, Einwohnerzahl<br />
und den vielen weiteren Differenzierungsmerkmalen<br />
unterscheiden. Aber bei näherer Betrachtung<br />
stellt jedes städtische Umfeld ein mehr o<strong>der</strong> weniger<br />
komplexes System dar. Lokale und kleinteilige<br />
Än<strong>der</strong>ungen können unvorhersehbare Wechselwirkungen<br />
zwischen Einzelelementen an an<strong>der</strong>er Stelle<br />
hervorrufen.<br />
<strong>Die</strong> <strong>Stadt</strong> <strong>der</strong> <strong>Zukunft</strong><br />
In ständiger Erneuerung<br />
und transparent angegangen werden sollte. Neben<br />
einer stetig wachsenden Anzahl von Forschungsarbeiten<br />
wird dies auch durch jüngere Publikationen<br />
<strong>der</strong> Bundesministerien und die stetige Zunahme von<br />
Entwicklungsverträgen zwischen Kommunen und<br />
IT-Unternehmen belegt (vgl. Cisco <strong>2017</strong>).<br />
<strong>Die</strong> Kehrseite dieser Entwicklung besteht in <strong>der</strong><br />
wachsenden Abhängigkeit kommunaler Strukturen<br />
von Wirtschaftsunternehmen, <strong>der</strong> zunehmenden<br />
Perforation des privaten und öffentlichen Raums<br />
und in bisher noch ungelösten, datenschutzrechtlichen<br />
Konflikten. Folgt man den Prognosen einiger,<br />
anerkannter Wissenschaftler, wird aus dem jetzigen<br />
„Smart-City“-Konzept in nicht allzu ferner <strong>Zukunft</strong><br />
ein „Smart-Environment“, im Sinne einer ubiquitären<br />
Umgebungsintelligenz werden (vgl. Ratti 2014). Verknüpft<br />
man diese beiden Trends zu einer gemeinsamen<br />
Perspektive, stellt sich unser Alltag als ein informationstechnisch<br />
vernetztes Leben dar, in dem alle<br />
uns umgebenden Gegenstände, auf die eine o<strong>der</strong><br />
an<strong>der</strong>e Weise, mit uns kommunizieren können.<br />
<strong>Die</strong> intelligente Umgebung<br />
Derzeit ist zu beobachten, dass die Integration digitaler<br />
Infrastrukturen in weiten Teilen des städtischen<br />
Raums enorm vorangetrieben wird. So<br />
genannte Smart-Cities versprechen innovative Prozess-<br />
und Produktoptimierungen in den Bereichen<br />
Mobilität, Energiemanagement, Bürgerbeteiligung<br />
und Sicherheit. In <strong>der</strong> Regel ist hier eine disruptive<br />
Verän<strong>der</strong>ung bestehen<strong>der</strong> Prozesse zu beobachten.<br />
Damit ist gemeint, dass allgemeine Vorgänge und<br />
Verfahrensweisen im städtischen Alltag, z.B. die<br />
Parkplatzsuche, auf technologische Optimierungspotentiale<br />
überprüft werden.<br />
Bereits heute werden auf dem jährlichen „Smart<br />
City Expo World Congress“ (FIRA Barcelona <strong>2017</strong>)<br />
engagierte Städte mit dem „Smart City Award“ ausgezeichnet.<br />
Der Preis wird an Städte verliehen, die<br />
erfolgreich in einem o<strong>der</strong> mehreren <strong>der</strong> oben genannten<br />
Bereiche, digitale Prozesse im realen Umfeld<br />
umsetzen konnten.<br />
Es gibt wohl kaum einen Bereich, in dem seitens <strong>der</strong><br />
Industrie, <strong>der</strong> Politik und Verwaltung, sowie auch von<br />
Seiten <strong>der</strong> Forschung und Gesellschaft, soviel inhaltliche<br />
Übereinstimmung existiert, wie bei <strong>der</strong> For<strong>der</strong>ung,<br />
dass die digitale Transformation positiv, offen<br />
Der Faktor Mensch<br />
Daher ist die <strong>Stadt</strong> <strong>der</strong> <strong>Zukunft</strong> nicht vorhersehbar,<br />
linear weiterdenkbar o<strong>der</strong> planbar. <strong>Die</strong> Dynamik<br />
<strong>der</strong> gesellschaftlichen, ökonomischen und ökologischen<br />
Verän<strong>der</strong>ungen ist so enorm und vielfältig,<br />
dass die Anfor<strong>der</strong>ungen an den Lebensraum <strong>Stadt</strong><br />
immer anpassungsfähig und flexibel sein müssen.<br />
Idealstadtmodelle haben immer wie<strong>der</strong> versucht,<br />
die <strong>Stadt</strong> <strong>der</strong> <strong>Zukunft</strong> vorauszudenken und sind als<br />
starrer Masterplan ebenso oft gescheitert, und zwar<br />
meistens an den Menschen, die die <strong>Stadt</strong> beleben.<br />
Der Wunsch nach Aneignung, nach Mitgestaltung<br />
und dem Herstellen eigener <strong>Stadt</strong>atmosphären und<br />
Identitäten des Lebensumfeldes überformt und<br />
verän<strong>der</strong>t Planstädte und zeigt den Eigensinn <strong>der</strong>
Bewohner und ihren Wunsch nach Unverwechselbarkeit,<br />
Inbesitznahme und menschlichem Maßstab.<br />
Dass trotz solcher städtebaulichen Irrtümer<br />
unsere Städte funktionieren können, liegt an dynamisch-stabilen<br />
Strukturen, also Gebäuden und Freiräumen,<br />
die über Stabilität und gleichzeitig Offenheit<br />
verfügen (Baum 2012) und anpassungsfähige<br />
Orte im städtischen Transformationsprozess sind.<br />
Sie sind Aneignungs- und Handlungsräume für<br />
städtische Zukünfte. Und gleichzeitig zeigen diese<br />
Aneignungsprozesse, dass, mehr als bisher, eine<br />
„Ästhetik des Angenehmen“ (Tessin 2008) bereits<br />
im Denken und Entwerfen von <strong>Stadt</strong> berücksichtig<br />
werden muss.<br />
Durchstreift man Städte auf <strong>der</strong> Suche nach dem<br />
Angenehmen, so bewegen man sich zwischen Architektur,<br />
Infrastruktur und grünen Freiräumen. Es<br />
ist ein Raumgefüge, das <strong>der</strong> Einzelne kaum beeinflussen<br />
kann und das in seiner Funktionalität, Maßstäblichkeit<br />
und Komplexität den vielen Kriterien<br />
des Urbanen gehorcht. Doch, obwohl von und für<br />
Menschen gemacht, ist diese Raumgefüge nicht immer<br />
angenehm, denn es negiert den menschlichen<br />
Maßstab und ist trotz aller Gestaltungsbemühungen<br />
zu laut, zu hoch, zu breit, zu hart.<br />
Integriertes Handeln als praktische Transdisziplinarität<br />
Im Rahmen des inzwischen bewährten Formats des Regionalen<br />
Salons wurde aus unterschiedlichen Perspektiven<br />
erörtert, welche spezifischen Herausfor<strong>der</strong>ungen sich<br />
daraus ergeben, dass die Teilhabe- und Zugangschancen<br />
in den Städten bei den für die strukturelle Integration bedeutsamen<br />
Ressourcen offenbar nicht nur vom sozialen<br />
Status sowie <strong>der</strong> ethnisch-kulturellen Herkunft bestimmt<br />
sind, son<strong>der</strong>n auch von <strong>der</strong> „Wohnadresse“ abhängig sein<br />
können (vgl. El-Mafaalani u.a. 2015).<br />
In Deutschland wurden im Anschluss an Diskurse in den<br />
USA (siehe „urban un<strong>der</strong>class“ bei Wilson 1987; und „spatial<br />
racism“ bei Galster 1999) sowie in Frankreich (Dubet/<br />
Lapeyronnie 1994) spätestens mit dem Programm „Soziale<br />
<strong>Stadt</strong>“ die Folgen zunehmen<strong>der</strong> sozial-räumlicher Spaltungsprozesse<br />
thematisiert und in den Fokus politischer<br />
Interventionen gerückt. Nach <strong>der</strong> punktuellen Erweiterung<br />
<strong>der</strong> ursprünglich stark auf baulich-städtebauliche Erneuerung<br />
ausgerichteten För<strong>der</strong>kulisse um flankierende sozial-integrative<br />
Maßnahmen wurden in den letzten Jahren<br />
vermehrt auch die benachteiligenden Kontextbedingun-<br />
gen in den Quartieren adressiert (Dreier u.a. 2014). Dabei<br />
stellt sich nicht zuletzt die Frage, inwieweit ein integriertes<br />
Handeln (sprich „praktische Interdisziplinarität“; vgl. Mittelstraß<br />
2007) auf <strong>der</strong> Quartiersebene tatsächliche substanzielle<br />
Beiträge zu einem Mehr an Teilhabe- und Chancengerechtigkeit<br />
leisten kann.<br />
Zumindest für die innerstädtischen „Ankunftsstadtteile“<br />
(Saun<strong>der</strong>s 2011) spricht einiges dafür, dass angesichts<br />
eingeschränkter lokaler Perspektiven für Wohn- und<br />
Bildungskarrieren <strong>der</strong> integrative Wirkungserfolg integrierter<br />
För<strong>der</strong>ansätze <strong>der</strong> Sozialen <strong>Stadt</strong> häufig nicht<br />
primär den Programmgebieten selbst, son<strong>der</strong>n über die<br />
(vertikale) soziale und schließlich auch räumliche Mobilität<br />
von Bewohner/innen im Ergebnis eher den privilegierten<br />
<strong>Stadt</strong>teilen zu Gute kommt.<br />
Vor dem Hintergrund anhalten<strong>der</strong> Migrationsprozesse und<br />
<strong>der</strong> in <strong>der</strong> jüngsten Vergangenheit massiv gestiegenen<br />
Zuwan<strong>der</strong>ung Geflüchteter ist die Funktion <strong>der</strong> „Ankunftsstadtteile“<br />
als (transitorische) Integrationsschleusen für<br />
<strong>Stadt</strong> und Region sogar noch stärker in den Vor<strong>der</strong>grund<br />
getreten. In einigen Quartieren ist die Bevölkerung in Bezug<br />
auf die Herkunftslän<strong>der</strong> und –kulturen so heterogen<br />
geworden, dass sich dort längst nicht nur die Mehrheitsverhältnisse<br />
verschoben haben, son<strong>der</strong>n von „Hyper-Diversity“<br />
(Vertovec 2007) gesprochen werden muss. Im Hinblick auf<br />
den lokalen Zusammenhalt wird damit immer mehr die erfolgreiche<br />
Mo<strong>der</strong>ation von Intergruppen-Kontakten und –<br />
Konflikten zu einer drängenden <strong>Zukunft</strong>saufgabe.<br />
Baum, Martina (2012): <strong>Zukunft</strong>sfähigkeit braucht Wandlungsfähigkeit<br />
und Stabilität, in: Ziehl, Michael, Oßwald Sarah, Hansemann, Oliver,<br />
Schnier, Daniel (Hrsg.) (2012), Secondhandspaces, Berlin 2012<br />
Cisco (<strong>2017</strong>): Pave the way for a Smarter City - Manchester <br />
(abgerufen am 24.07.<strong>2017</strong>)<br />
Dreier, Peter/Mollenkopf, John/Swanston, Todd (2014): Place Matters<br />
– Metropolitics for the twenty-first Century (3. ed.), Lawrence KS/US<br />
Dubet, Francois/ Lapeyronnie, Didier (1994): Im Aus <strong>der</strong> Vorstädte.<br />
Der Zerfall <strong>der</strong> demokratischen Gesellschaft. Stuttgart 1994<br />
El-Mafaalani, Aladin/ Kurtenbach, Sebastian/ Strohmeier, Klaus<br />
Peter (Hrsg.)(2015): Auf die Adresse kommt es an… Segregierte <strong>Stadt</strong>teile<br />
als Problem- und Möglichkeitsräume begreifen. Weinheim 2015<br />
FIRA Barcelona (<strong>2017</strong>):, Smart City Expo World Congress, (abgerufen am 24.07.<strong>2017</strong>)<br />
Galster, George C. (1999): Open Housing, Integration, and the<br />
Reduction of Ghettoization; in: U.S. Department of Housing and Urban<br />
Development (Hrsg.): Cityscape: A Journal of Policy Development and<br />
Research, Volume 4, Number 3, 1999, S. 123 - 138<br />
Mittelstraß, Jürgen (2007): Methodische Transdisziplinarität; in:<br />
LIFIS ONLINE 05.11.07; http://www.leibniz-institut.de/archiv/mittelstrass_05_11_07.pdf<br />
| 15.01.<strong>2017</strong><br />
Ratti, Carlo (2014): Format C:ty, in: The European, Eine <strong>Stadt</strong> zum<br />
Experimentieren, Ausgabe 01/2014 <br />
(abgerufen am 24.07.<strong>2017</strong>)<br />
Saun<strong>der</strong>s, Doug (2011): Arrival City. München 2011<br />
Tessin, Wulf (2008): Ästhetik des Angenehmen. Städtische Freiräume<br />
zwischen professioneller Ästhetik und Laiengeschmack. Heidelberg 2008<br />
Vertovec, Steven (2007: Super-diversity and its implications. In: Ethnic<br />
and Racial Studies No. 30; London 2007, S. 1024 – 1054<br />
Wilson, William J. (1987): The Truly Disadvantaged – The Inner City,<br />
the Un<strong>der</strong>class and the Public Policy, Chicago/London 1987<br />
7<br />
<strong>Die</strong> <strong>Stadt</strong> <strong>der</strong> <strong>Zukunft</strong> - IN STÄNDIGER ERNEUERUNG
Michael Lobeck<br />
8<br />
Digitale <strong>Stadt</strong> - KEYNOTE<br />
Big Data, Datenschutz, Datensicherheit<br />
Chancen & Risiken für Smart Cities<br />
Smart City ist im Kern ein Marketingbegriff <strong>der</strong> IT-Industrie, <strong>der</strong> von Kommunen<br />
aufgegriffen wurde, um sich als fortschrittlich zu positionieren. <strong>Die</strong> mit dem Begriff<br />
verbundenen Versprechen werden — zumindest bisher — nicht eingelöst.<br />
Es gibt weniger Lösungen für Herausfor<strong>der</strong>ungen <strong>der</strong> <strong>Stadt</strong> als vielmehr eine<br />
Datenakkumulation bisher ungekannten Ausmaßes. Dagegen ist Wi<strong>der</strong>stand<br />
notwendig, um demokratiegefährdende Machtkonzentrationen zu bekämpfen.<br />
Wien, Foto: Alli Caulfield, flickr.com, Lizenz: CC-BY 2.0, https://creativecommons.org/licenses/by/2..0<br />
Big Data vs Miteinan<strong>der</strong> reden<br />
Das Thema Smart Cities ist von Werbeversprechen<br />
geprägt. Alle Probleme dieser Erde werden gelöst,<br />
wenn wir nur genug Daten erheben und diese miteinan<strong>der</strong><br />
in Beziehung setzen. <strong>Die</strong>se technokratische<br />
Sicht auf die Welt ignoriert, dass Menschen auf dieselbe<br />
Sache vollkommen unterschiedliche Blickweisen<br />
haben können. Vier Thesen zur Diskussion um<br />
Smart Cities:<br />
These 1: Es gibt keine BESTE Lösung, es gibt<br />
nur Interessenausgleich<br />
Wir haben alle unterschiedliche Bil<strong>der</strong> einer optimalen<br />
Welt. Auch künstliche Intelligenz, Big Data und<br />
Supercomputer werden uns den Streit um den richtigen<br />
Weg nicht abnehmen.<br />
These 2: Das Ziel bestimmt die (subjektive)<br />
Wahrheit<br />
Objektiv ist vielleicht, ob es regnet. <strong>Die</strong>s mag für den<br />
Landwirt gut, für den Freibadbesucher schlecht sein.<br />
Vor allem diese subjektive Wahrheit ist handlungsrelevant,<br />
wenger die objektive.<br />
These 3: Entscheidungen finden immer vor unvollständiger<br />
Information statt – die <strong>Zukunft</strong><br />
bleibt weiterhin unbekannt<br />
Der Traum <strong>der</strong> Virtualisierer ist vermutlich, den Planeten<br />
im Computer ein zweites Mal abzubilden und<br />
den Zustand jedes Atoms je<strong>der</strong>zeit zu kennen. Meine<br />
These: das bleibt ein Traum. Immer wie<strong>der</strong> müssen<br />
wir entscheiden, ohne alle Umstände zu kennen.<br />
These 4: <strong>Die</strong> Vergangenheit – egal wie viele Daten<br />
wir über sie haben – sagt nichts Verlässliches<br />
über die <strong>Zukunft</strong> aus.<br />
Der Truthahn, <strong>der</strong> smart ist und ein tolles neues<br />
Fitnessarmband hat, mag tolle Grafiken zu seiner<br />
Gewichtsentwicklung anschauen können. Nach<br />
Thanksgiving sieht die Sache plötzlich an<strong>der</strong>s aus.<br />
Vergangene Daten geben halt nur über die Vergangenheit<br />
Auskunft. Das än<strong>der</strong>t sich nicht durch die<br />
Menge <strong>der</strong> Daten und nicht durch künstliche Intel-
ligenz.<br />
Steuern vs Verhandeln<br />
Der Glaube an beste Lösungen, an die eine Wahrheit,<br />
an vollständige Information und an die Vorhersagbarkeit<br />
<strong>der</strong> <strong>Zukunft</strong> ist beson<strong>der</strong>s wichtig für diejenigen,<br />
die die Welt – und die Menschen in ihr – kontrollieren<br />
und steuern wollen.<br />
Grob lassen sich <strong>der</strong>zeitige Smart City Konzepte in zwei<br />
Kategorien einteilen: in technikgetriebene und in bürgergetriebene.<br />
Songdo in Südkorea soll als Beispiel für<br />
eine technikgetriebene <strong>Stadt</strong> mit vielen Sensoren im<br />
öffentlichen, halböffentlichen und privaten Raum dienen.<br />
Wien als Beispiel für die bürgergetriebene <strong>Stadt</strong>.<br />
<strong>Die</strong> eine – Songdo – entsteht neu auf freiem Feld und<br />
kann damit die zum Bauzeitpunkt neueste Technologie<br />
verwenden. <strong>Die</strong> an<strong>der</strong>e – Wien – existiert seit hun<strong>der</strong>ten<br />
von Jahren und zwingt zur Auseinan<strong>der</strong>setzung mit<br />
Vorhandenem.<br />
In Songdo plant ein Unternehmen eine überwachende<br />
<strong>Stadt</strong>, in Wien streiten sich die Leute um jede Verän<strong>der</strong>ung.<br />
Während <strong>der</strong> technisch orientierte Ansatz objektiv<br />
beste Lösungen verfolgt, schafft <strong>der</strong> bürgerorientierte<br />
Ansatz die beste Integration von Interessen. Irgendjemand<br />
steuert o<strong>der</strong> alle verhandeln. Es geht immer um<br />
unser Bestes.<br />
Panoptikum vs Autonomie<br />
Auch die Vertreter von Smart City Konzepten wie Songdo<br />
streben eine Erhöhung <strong>der</strong> Lebensqualität <strong>der</strong> Bewohnerinnen<br />
und Bewohner an. In Wien und vergleichbaren Städten<br />
geht man davon aus, dass Lebensqualität erst durch<br />
Auseinan<strong>der</strong>setzung verschiedener Interessen erzeugt<br />
wird und nicht objektiv definierbar ist.<br />
Beson<strong>der</strong>s Modelle, die von <strong>der</strong> demokratischen Auseinan<strong>der</strong>setzung<br />
leben, müssen sich mit <strong>der</strong> Frage nach dem<br />
Umgang mit Daten beschäftigen. Datenschutz, Datensicherheit<br />
und Datenhoheit sind die Stichworte.<br />
Informationen über mich, von denen ich nicht will, dass sie<br />
jemand an<strong>der</strong>es erfährt, müssen geschützt werden. Daten,<br />
die ich besitze, müssen vor Verän<strong>der</strong>ung und <strong>Die</strong>bstahl<br />
geschützt werden. Daten, die <strong>der</strong> Allgemeinheit gehören,<br />
dürfen nicht von Privaten beschlagnahmt werden.<br />
Datenschutz, Datensicherheit und Datenhoheit. <strong>Die</strong>se drei<br />
Aspekte des Umgangs mit Daten, die überall entstehen,<br />
seitdem wir unser Leben für Computer lesbar und ver-<br />
stehbar gemacht haben, sind Voraussetzung für Demokratie.<br />
Ohne die Kontrolle über die Daten, die mein Leben<br />
im Virtuellen abbilden, verliere ich meine Autonomie. Ohne<br />
Autonomie ist keine echte Demokratie möglich.<br />
)) Bestehen Sie auf Ihrer<br />
Autonomie. Es sind ihre Daten.<br />
Es ist ihr Leben. ((<br />
Lebensqualität lieber ohne Großen Bru<strong>der</strong><br />
Wir treiben die Digitalisierung unseres Lebens massiv<br />
voran. Mein Nachbar schaltet seine Steckdosen über<br />
eine App an und aus. Im Sommer fliegt eine Drohne über<br />
den Campingplatz und streamt Bil<strong>der</strong> in die Cloud. <strong>Die</strong><br />
Navigationsfunktion meines Handys weist mir den Weg.<br />
Wer muss sich darum kümmern, dass mit diesen Daten<br />
kein Unsinn passiert? Wir alle. Ja, auch Sie. Ja, auch <strong>der</strong><br />
Gesetzgeber. Aber auch wir alle.<br />
Was müssen wir tun? Zum einen müssen wir uns schlau<br />
machen, damit wir verstehen, was Datenschutz bedeutet<br />
und wofür er gut ist. Dann müssen wir ihn selbst einhalten.<br />
Wir müssen unsere Daten sicher verwahren und sie nicht<br />
einfach so irgendeinem dahergelaufenen Unternehmen<br />
schenken. Zum an<strong>der</strong>en müssen wir uns für Gesetze einsetzen,<br />
die unsere Daten schützen und sichern.<br />
Dipl.-Geogr. Michael Lobeck<br />
promediare.de<br />
arbeitet als freiberuflicher Mo<strong>der</strong>ator und Berater in <strong>der</strong> <strong>Stadt</strong>entwicklung.<br />
Er plädiert für die Abwägung von Chancen und Risiken <strong>der</strong><br />
Digitalisierung für eine gute <strong>Stadt</strong>entwicklung. In Vorträgen, Workshops<br />
und <strong>der</strong> Begleitung von Kommunen bringt er seine Erfahrungen<br />
aus Praxis und Theorie zusammen.<br />
9<br />
Digitale <strong>Stadt</strong> - KEYNOTE<br />
Empfohlene Literatur:<br />
BOYD, Danah (2014): It‘s Complicated. The Social Lives of Networked Teens.<br />
DANIELZYK, Rainer und LOBECK, Michael (2015): <strong>Die</strong> digitale <strong>Stadt</strong> <strong>der</strong> <strong>Zukunft</strong>. Düsseldorf. (SGK-Schriftenreihe, Bd. 34).<br />
HACKENBERG, Katharina u.a. (2015): Deutschlands Städte werden digital. Düsseldorf. Online verfügbar: http://bit.ly/unibonn_pwc<br />
HÜLSMANN, Werner (2015): Contra VDS: Überwachung gefährdet die Demokratie. Online verfügbar unter: https://www.bpb.de/dialog/netzdebatte/202175/contra-vds-ueberwachung-gefaehrdet-die-demokratie<br />
LOBECK, Michael (2016): Big Data, Datenschutz, Datensicherheit – Chancen und Risiken für Smart Cities. in: Arbeiterkammer Wien: WIEN<br />
WÄCHST – SMART CITY. Neues Konzept, offene Fragen. (<strong>Stadt</strong>punkte 22). Online Verfügbar: https://media.arbeiterkammer.at/wien/PDF/<br />
studien/<strong>Stadt</strong>punkte_22.pdf<br />
MAGISTRAT DER STADT WIEN (2014): Smart City Wien. Rahmenstrategie | Überblick. Online verfügbar: https://smartcity.wien.gv.at/site/<br />
files/2014/10/140924_KF_SCW_gesamt_DE.pdf<br />
MOROZOV, Evgeny (2014): Smarte neue Welt
Carolin Lauhoff<br />
10<br />
Digitale <strong>Stadt</strong> - AUS DER REGION<br />
Smart City<br />
Perspektiven für Mittelstädte im Strukturwandel<br />
Carolin Lauhoff ist Architektin und Mitgesellschafterin des Architekturbüros<br />
Lauhoff Architekten in Melle und Bünde. 2015 schloss sie den postgradualen<br />
Studiengang Urban Management an <strong>der</strong> Universität Leipzig mit <strong>der</strong> Thesis<br />
„Smart City - Perspektiven für Mittelstädte im Strukturwandel“ als Master of<br />
Science ab. Wir haben nach ihrem Vortrag beim Regionalen Salon zur „Digitalen<br />
<strong>Stadt</strong>“ mit ihr über die Perspektiven und Chancen von Mittelstädten gesprochen.<br />
Frau Lauhoff, vielen Dank für Ihren Vortrag! Vor<br />
welchen Herausfor<strong>der</strong>ungen stehen Mittelstädte?<br />
<strong>Die</strong> Mittelstädte nehmen in <strong>der</strong> räumlichen Struktur<br />
Deutschlands eine wichtige Stellung ein. 68%<br />
<strong>der</strong> Gesamtbevölkerung Deutschlands wohnen abseits<br />
<strong>der</strong> Großstädte. Sie stehen heute angesichts<br />
komplexer Entwicklungen vor vielfältigen Herausfor<strong>der</strong>ungen.<br />
Hierzu gehören Fragestellungen wie <strong>der</strong> demographische<br />
Wandel, die häufig defizitäre Haushaltslagen,<br />
die Technisierung <strong>der</strong> Arbeitswelt und <strong>der</strong><br />
Wettbewerbsdruck unter den Kommunen. Darüber<br />
hinaus erleben wir in vielen Kommunen eine kontinuierliche<br />
Abwan<strong>der</strong>ung qualifizierter Beschäftigter<br />
insbeson<strong>der</strong>e in die Großstädte, die aus Sicht<br />
<strong>der</strong> <strong>Stadt</strong>entwicklung und <strong>der</strong> gewachsenen Wirtschaftsstruktur<br />
vor Ort problematisch zu sehen ist.<br />
Dabei bietet das Leben in einer Mittelstadt viele<br />
Vorteile: günstige Lebenshaltungskosten im Bereich<br />
des Wohnen, eine große Erholungsvielfalt<br />
im natürlichen Umfeld, attraktive Gewerbeflächen<br />
und viele Bewohner können auf ein vorhandenes<br />
Netzwerk familiärer und nachbarschaftlicher Gemeinschaften<br />
zurückgreifen. <strong>Die</strong>se Faktoren sind<br />
als wichtige Potenziale <strong>der</strong> Mittelstädte zu werten,<br />
wir müssen aber auch zur Kenntnis nehmen, dass<br />
sie die Abwan<strong>der</strong>ung in die Großstädte nicht gänzlich<br />
aufhalten.<br />
Zur Sicherung ihrer <strong>Zukunft</strong>sfähigkeit ist daher bei<br />
vielen <strong>der</strong> Mittelstädte ein stadtentwicklungspolitischer<br />
Paradigmenwechsel notwendig.<br />
Welche Rolle spielt das Konzept <strong>der</strong> „Smart City“<br />
im Hinblick auf diese Herausfor<strong>der</strong>ungen?<br />
Das Konzept <strong>der</strong> Smart City wird in <strong>der</strong> Literatur in<br />
Verbindung mit <strong>der</strong> Informations- und Kommunikationstechnologie<br />
(IKT) genannt und als <strong>Zukunft</strong>svision<br />
für eine technologische, intelligente und nachhaltige<br />
<strong>Stadt</strong>entwicklung bezeichnet. Durch Vernetzung und<br />
Informationsaustausch soll die Lebensqualität gesteigert,<br />
Mobilität effizienter genutzt, Ressourcen geschont<br />
und die Zusammenarbeit zwischen verschiedenen<br />
Akteuren, insbeson<strong>der</strong>e die Einbeziehung von<br />
jungen Menschen, optimiert werden.<br />
Dabei sind die IKTs als Ergänzung o<strong>der</strong> zur Intensivierung<br />
<strong>der</strong> Kommunikations- und Austauschformen<br />
sowie einem Potenzieren von Leistungen zu interpretieren.<br />
Jedoch ist dabei zu berücksichtigen, dass die Komplexität<br />
<strong>der</strong> „unsichtbaren“ Ansätze und die ungenaue<br />
Definition <strong>der</strong> Begrifflichkeiten die Umsetzung in das<br />
„System <strong>Stadt</strong>“ schwierig machen. Der Begriff Smart<br />
City glie<strong>der</strong>t sich in 5 unterschiedliche Handlungsfel<strong>der</strong>:<br />
(1.) smarte Wirtschaft, (2.) smarte Infrastruktur,<br />
(3.) smarte Lebenswelt, (4.) smarte Verwaltung und<br />
(5.) smarte Umwelt.<br />
Welche Chancen sehen Sie konkret im Konzept<br />
<strong>der</strong> Smart Cities für die Mittelstädte?<br />
Der weitreichende Vernetzungsgrad durch die IKT<br />
bietet den dezentralen Mittelstädten neue Standortvorteile:<br />
Durch neue, digitale Arbeitsformen und Mobilitätskonzepte<br />
ist ein Arbeiten in peripher liegenden<br />
Gebieten erstmalig möglich, ohne jeden Tag pendeln<br />
zu müssen. Auch für die Partnersuche muss man nicht<br />
mehr in die Großstadt ziehen. Online-Partnervermittlungen<br />
sorgen dafür, dass Menschen sich an jedem<br />
Ort kennenlernen können. Durch Online-<strong>Die</strong>nste kann<br />
das niedrigere und großflächige Miet-u. Kaufangebote<br />
von Grundstücken und Büroräumen verbreitet<br />
werden, dieses kann zu Standortvorteilen für die Nie<strong>der</strong>lassung<br />
von Unternehmen und Startups genutzt<br />
werden. Online-Stellenanzeigen können international<br />
Mitarbeiter ansprechen. Standortunabhängig können<br />
durch innovative Ideen und Netzwerkstrukturen neue<br />
Quellen <strong>der</strong> Wertschöpfung entstehen.<br />
Gibt es auch Risiken für Mittelstädte durch die<br />
Digitalisierung?<br />
Wichtig ist, dass die Qualität des urbanen Raumes<br />
auch in Mittelstädte nicht verloren gehen. Denn die<br />
Identifikation <strong>der</strong> Bewohner mit ihrer <strong>Stadt</strong> wird in <strong>der</strong><br />
parallel verlaufenden realen und virtuellen Welt einen<br />
Ankerpunkt darstellen. Hinzu kommt, dass eine orts-
angepasste „innovative, nachhaltige <strong>Stadt</strong>entwicklung“<br />
forciert werden sollte, um die lokalen Potenziale<br />
zu nutzen bzw. zu erhalten. <strong>Die</strong> Mittelstädte sind jedoch<br />
in ihrer Struktur zu unterschiedlich, als dass ein<br />
einheitlicher Weg aufgezeigt werden könnte.<br />
Um den Anschluss an die Großstädte nicht zu verlieren,<br />
dynamisch zu bleiben und somit zukunftsfähig zu<br />
sein sind die <strong>Zukunft</strong>strends zu analysieren (E-Government,<br />
E-Health, E-Mobility, E-Learning, E-Energy,<br />
E-Work, E-Business , Silver Society, Femal Shift,<br />
Individualisierung etc.) und je nach den konkreten<br />
Voraussetzungen <strong>der</strong> einzelnen Städte strategisch zu<br />
implementieren.<br />
Städte sind komplexe soziale, gesellschaftliche<br />
Netzwerke. Können technologische Lösungen<br />
tatsächlich die Probleme <strong>der</strong> Städte lösen?<br />
Es ist darauf zu achten, dass sich die <strong>Stadt</strong>planer und<br />
Politiker nicht auf technische Universallösungen verlassen.<br />
<strong>Die</strong> Bürger sollten aktiv an diesem Prozess<br />
beteiligt werden. Denn eine <strong>Stadt</strong> kann nur in dem<br />
Maße „smart“ sein, wie sie die Intelligenz Ihrer Bürger<br />
und Akteure erschließt. Das Engagement <strong>der</strong> Bürger<br />
und die Nutzung <strong>der</strong> spezifischen Voraussetzungen<br />
entscheiden letztendlich über die <strong>Zukunft</strong>sfähigkeit<br />
einer <strong>Stadt</strong>.<br />
In Ihrem Vortrag sprachen Sie davon, dass die<br />
Belebung und Weiterentwicklung <strong>der</strong> peripher<br />
liegenden Gebiete eine zentrale <strong>Zukunft</strong>saufgabe<br />
ist. Können Sie uns bildhaft beschreiben, wie<br />
die <strong>Zukunft</strong> in den peripher gelegenen Gebieten<br />
zum Beispiel im Jahr 2030 aussieht – und welchen<br />
Beitrag das Smart City-Konzept hierzu konkret<br />
geleistet hat?<br />
Ich stelle mir eine fahrradfreundliche, auf die menschlichen<br />
Dimensionen zugeschnittene Mittelstadt vor,<br />
wo viele Kin<strong>der</strong> auf den Straßen spielen und in einem<br />
lebendigen <strong>Stadt</strong>kern individuelle Läden und Cafés<br />
von einer generationsübergreifenden Bevölkerung<br />
besucht werden. Wo bezahlbarer Wohnraum vorhanden<br />
ist und familienfreundliche Konzerne in den Gewerbegebieten<br />
ansässig sind. Durch eine offene und<br />
gelebte Partizipation ist ein starkes Gemeinschaftsgefühl<br />
entstanden. <strong>Die</strong> Akteure identifizieren sich mit<br />
Ihrer <strong>Stadt</strong> und fühlen sich für sie verantwortlich. <strong>Die</strong><br />
Smart City-Ansätze haben dafür den Grundstein gelegt.<br />
Kommunikationsplattformen für den innerstädtischen<br />
Austausch <strong>der</strong> Akteure wurden aufgebaut. So<br />
entstandene Ideen wurden und werden umgesetzt.<br />
<strong>Die</strong> <strong>Stadt</strong> ist ein kommunikativer, intelligenter Organismus.<br />
Das Online-Marketing <strong>der</strong> <strong>Stadt</strong> konnte die<br />
innovativen Ansätze herausstellen und somit Fachkräfte<br />
mit <strong>der</strong>en Familien in die <strong>Stadt</strong> holen. Auch<br />
junge Leute wurden durch zahlreiche Angebote wie<br />
z.B. Mitspracherecht, günstigen Wohnraum und flächendeckendes<br />
W-LAN davon angezogen. Mittelstädte<br />
können die Angebotsdichte einer Großstadt zwar<br />
nicht erreichen aber durch eine geschickte Nutzung<br />
Ihrer Potenziale eine attraktive Alternative schaffen.<br />
Vor welchen zentralen Herausfor<strong>der</strong>ungen stehen<br />
wir, wenn wir das von Ihnen skizzierte Bild in<br />
den Mittelstädten und peripheren Regionen voranbringen<br />
wollen?<br />
Als wichtigster Forschungsansatz gilt die Entwicklung<br />
von Operationalisierungsstrategien für die Akteure in<br />
Form von neuen Verfahren und Instrumenten für die<br />
urbane Teilhabe. In Anlehnung an die Kybernetik evolutionärer<br />
Systeme können Strategien des <strong>Stadt</strong>-und<br />
Regional-Managements aufgezeigt werden. Ziel ist es<br />
einen Weg zu skizzieren, Informationen weiterzugeben<br />
und eine finanzielle Unterstützung zu gewährleisten,<br />
um eine ortsangepasste IKT aufzubauen, die eine<br />
<strong>Zukunft</strong>sfähigkeit im Wettstreit mit den Ballungsräumen<br />
erst ermöglicht. Der Fokus <strong>der</strong> Forschung und<br />
<strong>der</strong> Politik ist auf die dezentralen Gebiete zu lenken,<br />
hier wohnen 55 Millionen Menschen auf 96% <strong>der</strong> Fläche<br />
Deutschlands. <strong>Die</strong> Gebäude- und Infrastruktur ist<br />
vorhanden. Warum werden in Randlagen von Großstädten<br />
neue <strong>Stadt</strong>gebiete erschlossen und eine Aufstockung<br />
vorhandener Gebäude angedacht, wo es in<br />
Mittelstädten Leerstände und Flächenpotenzial gibt?<br />
Durch die virtuelle Realität sind Standorte relativ geworden.<br />
<strong>Die</strong> peripheren Regionen müssen eine Chance<br />
bekommen ihre jeweiligen Vorzüge gegenüber den<br />
Metropolen herauszustellen und zu entwickeln.<br />
Architekten und <strong>Stadt</strong>planer sowohl in den Kommunen<br />
als auch in den freien Büros, Forscher aus<br />
Hochschulen und Forschungseinrichtungen und<br />
die IKT-Fachleute sind alle wichtige Spieler auf<br />
dem Weg zur „Smart City“. Vor welchen Aufgaben<br />
stehen diese einzelnen Gruppen, damit alle zusammen<br />
das Thema Smart City zu einem Erfolg<br />
bringen?<br />
Ideen entstehen in <strong>der</strong> Auseinan<strong>der</strong>setzung mit einem<br />
Thema und dafür ist es einfach wichtig, dass <strong>der</strong> Fokus<br />
von Politik und Forschung auf die Mittelstädte gelegt<br />
wird, die zurzeit im Schatten <strong>der</strong> Großstädte stehen.<br />
Darüber hinaus ist eine <strong>Stadt</strong> in dem Maße lebendig<br />
und aktiv, wie Ihre Bürger sich dafür engagieren. <strong>Die</strong>sen<br />
Schatz gilt es zu heben. <strong>Die</strong> Schatzkarte muss<br />
aber jede <strong>Stadt</strong> mit Ihren Akteuren selber zeichnen.<br />
Frau Lauhoff, vielen Dank für Ihren Vortrag und das<br />
Gespräch! (Das Interview führte Benjamin Dally)<br />
MSc urban management Carolin Lauhoff<br />
Gesellschafterin Laufhoff Architekten Melle und Bünde<br />
11<br />
Digitale <strong>Stadt</strong> - AUS DER REGION
Dr. Klaus Schafmeister<br />
12<br />
Digitale <strong>Stadt</strong> - AUS DER REGION<br />
Smart Country Side<br />
Leben auf dem Land. In <strong>der</strong> Welt zuhause<br />
Der Ländliche Raum braucht<br />
soziale Innovation – Entstehung,<br />
Durchsetzung und Verbreiterung<br />
von neuen sozialen Praktiken in<br />
unterschiedlichen gesellschaftlichen<br />
Bereichen. Wie dies im<br />
Bereich Digitalisierung in den<br />
Kreisen Lippe und Höxter aussehen<br />
kann, soll das Projekt Smart<br />
Country Side aufzeigen. Dabei<br />
steht <strong>der</strong> Mensch mit seinen Bedarfen<br />
im Dorf im Mittelpunkt.<br />
Abbildung 1 „Smart Country Side“ © Kreis Lippe<br />
Ländliche Räume stehen vor beson<strong>der</strong>en gesellschaftlichen<br />
Herausfor<strong>der</strong>ungen zur Sicherung und Entwicklung<br />
ihrer <strong>Zukunft</strong>sfähigkeit. Ca. 70% <strong>der</strong> Bevölkerung<br />
Deutschlands lebt außerhalb von Großstädten und wird<br />
meist bei <strong>der</strong> Diskussion von Smart Cities außer Acht gelassen.<br />
Gerade hier kann die Digitalisierung eine Chance<br />
bieten. Aber viele innovative und vernetzte Projektansätze<br />
aus Metropolen lassen sich nicht ohne Anpassung auf<br />
den Ländlichen Raum übertragen, da es keine Standardlösungen<br />
für Dörfer gibt. Dabei sind gerade in ländlich<br />
strukturierten Regionen die Auswirkungen <strong>der</strong> demografischen<br />
Entwicklung deutlich zu spüren. Um im regionalen<br />
Wettbewerb zu bestehen, müssen die Herausfor<strong>der</strong>ung<br />
angenommen und die Chancen genutzten werden, die<br />
die Digitalisierung bietet. Der Alltag ist in den ländlichen<br />
Regionen dadurch gekennzeichnet, dass oft weite Wege<br />
überbrückt werden müssen, um Versorgungseinrichtungen,<br />
Arbeitsplätze und Orte <strong>der</strong> sozialen Interaktion zu erreichen.<br />
Um die <strong>Zukunft</strong>sfähigkeit <strong>der</strong> Ländlichen Räume<br />
zu sichern, sind vor allem in den Bereichen Infrastruktur<br />
und Daseinsvorsorge erhebliche Anpassungsprozesse<br />
notwendig. Das Voranschreiten <strong>der</strong> digitalen Technologien<br />
eröffnet ein weites Themenfeld zur Lösung von Demografieproblemen<br />
mithilfe smarter Ansätze.<br />
Das Projekt Smart Country Side sieht daher die Nutzung<br />
intelligenter und innovativer Lösungsansätze (z.B. für<br />
Smartphones o<strong>der</strong> PC) vor, die leicht nutzbarer und auf<br />
die Bedarfe und Anfor<strong>der</strong>ungen <strong>der</strong> Nutzer in ländlicher<br />
Umgebung zugeschnitten sind. <strong>Die</strong> sogenannte „Smart<br />
Country Services“ sollen in den vier projektrelevanten<br />
Handlungsfel<strong>der</strong>n Mobilität, Ehrenamt und E-Governance<br />
sowie E-Partizipation entstehen. <strong>Die</strong> Nutzer dieser<br />
<strong>Die</strong>nste stehen dabei im Mittelpunkt. Daher ist die direkte<br />
und persönliche Ansprache <strong>der</strong> Menschen vor Ort beson<strong>der</strong>s<br />
wichtig und entscheidend. Dabei soll die überdurchschnittlich<br />
hohe Bereitschaft <strong>der</strong> Bürgerinnen und Bürger<br />
zum ehrenamtlichen Engagement zur Entschärfung <strong>der</strong><br />
strukturbedingt problematischen Mobilität und Daseinsvorsorge<br />
genutzt werden. Durch diesen Prozess soll die<br />
Teilhabe und die Daseinsvorsorge verbessert und gestärkt<br />
werden. Ziel ist es mit den Bürgern, Kooperationspartnern<br />
und Stakehol<strong>der</strong>n innovative Lösungen im Dialog zu entwickeln,<br />
zu erproben und zu verstetigen, um sie erfolgreich<br />
als Modellprojekte umzusetzen, die nachfolgend auf an<strong>der</strong>e<br />
ländliche Regionen übertragbar sind. (siehe Abb. 1)<br />
Smart Country Side (SCS) ist ein von <strong>der</strong> Europäischen<br />
Union und dem Land Nordrhein-Westfalen geför<strong>der</strong>tes<br />
Kooperationsprojekt zwischen dem Kreis Lippe - <strong>Zukunft</strong>sbüro<br />
und <strong>der</strong> Gesellschaft für Wirtschaftsför<strong>der</strong>ung<br />
im Kreis Höxter mbH. Es ist eines von zehn Projekten des<br />
„Integrierten Handlungskonzeptes <strong>der</strong> Region Ostwestfalen-Lippe“.<br />
Zusammen wollen alle Akteure mit <strong>der</strong> Kampagne<br />
„Wir gestalten uns Morgen in Ostwestfalen-Lippe“<br />
die digitale Transformation in <strong>der</strong> Region vordenken, weiter<br />
vorantreiben, umsetzen und so die <strong>Zukunft</strong>sfähigkeit<br />
<strong>der</strong> Region sichern. (siehe Abb. 2)<br />
Seit dem Startschuss im Oktober 2016 lag <strong>der</strong> Fokus auf<br />
<strong>der</strong> Öffentlichkeitsarbeit und <strong>der</strong> Netzwerkbildung. Zudem<br />
fand ein intensiver Austausch mit unterschiedlichen laufenden<br />
Projekten und Initiativen statt, so dass Synergien<br />
identifiziert werden konnten. Bei <strong>der</strong> Auftaktveranstal-
13<br />
Digitale <strong>Stadt</strong> - AUS DER REGION<br />
Abbildung 2 „Wir gestalten unser Morgen in Ostwestfalen-Lippe“ © OstWestfalenLippe GmbH<br />
tung in Marienmüster galt es ein Projektverständnis für<br />
die weitere Arbeit zu erlangen und Kooperationspartner<br />
und Multiplikatoren zu gewinnen. (siehe Abb. 3) Ziel ist<br />
es nunmehr durch unterschiedliche Indikatoren Dörfer in<br />
Lippe und Höxter zu benennen, mit denen beispielhaft<br />
zusammengearbeitet werden kann. Welche Unterschiede<br />
gibt es in den Dörfern, wie lassen sich Dörfer definieren<br />
und kategorisieren? <strong>Die</strong>s sind u.a. Fragen, die im weiteren<br />
Prozess und durch die Entwicklung eines Methodenkoffers<br />
beantwortet werden sollen, so dass spezifische<br />
aus <strong>der</strong> Dorfbevölkerung gewachsene Ideen, umgesetzt<br />
werden. Hierfür sollen in Dorfkonferenzen und weiteren<br />
unterschiedlichen Formaten (Workshops, Befragungen,<br />
Interviews, Erhebungen, Statistiken u.a.) die Bedarfe im<br />
Dialog mit den Bürgern ermittelt, mit IKT-Experten smarte<br />
Lösungen erarbeitet und vor Ort in den Modelldörfern<br />
ausprobiert und im besten Fall verstetigt werden.<br />
Wichtig ist dabei, dass die Offenheit und Neugier für die<br />
Chancen <strong>der</strong> Digitalisierung bei den Bürgern geweckt<br />
wird. Beson<strong>der</strong>s ältere Menschen stehen dem Thema Digitalisierung<br />
oftmals unsicher und skeptisch gegenüber,<br />
da oft konkrete Berührungspunkte zum Alltag fehlen und<br />
die Begrifflichkeiten und Anglizismen wie z. B. E-Governance<br />
o<strong>der</strong> E-Partizipation schwer verständlich sind. <strong>Die</strong><br />
Frage, die im Raum steht, und beantwortet werden soll,<br />
lautet: „Was hat das alles mit mir/uns zu tun?“<br />
Wir möchten daher keine virtuellen Realitäten für die Modelldörfer<br />
schaffen, son<strong>der</strong>n digitale Lösungen als Instrument<br />
o<strong>der</strong> Hilfsmittel bedarfsorientiert nutzen, um die<br />
Lebensqualität, Daseinsvorsorge und Teilhabe <strong>der</strong> Bürger<br />
im ländlichen Raum nachhaltig zu verbessern. Wir wollen<br />
mit den Bürgerinnen und Bürgern das Dorf auf eine digital<br />
vernetzte <strong>Zukunft</strong> vorbereiten.<br />
Dr. oec. Klaus Schafmeister<br />
Wirtschaftsför<strong>der</strong>ung Kreis Lippe<br />
wurde 1959 in Lippe-Detmold geboren und studierte Volkswirtschaftslehre/economics<br />
an den Universitäten in Pa<strong>der</strong>born und in Urbana-Champaign,<br />
USA. Seinen Doktortitel für Wirtschafts- und Sozialwissenschaften<br />
erhielt er von <strong>der</strong> Universität Hohenheim in Stuttgart. Ab 2000 übte er für<br />
verschiedene öffentliche Organisationen in Lippe leitende Tätigkeiten aus,<br />
z.B. Geschäftsführer <strong>der</strong> Detmold Marketing GmbH, Leiter des Hermannbüro,<br />
<strong>der</strong> Wirtschaftsför<strong>der</strong>ung des Kreises Lippe und aktuell des <strong>Zukunft</strong>sbüros<br />
des Kreises Lippe. Zudem leitet er das Innovationszentrum für Elektromobilität<br />
und Erneuerbare Energie im Ländlichen Raum in Dörentrup, ist<br />
Geschäftsführer <strong>der</strong> InnoConsult OWL GmbH und leitet die Geschäftsstelle<br />
des Innovation Campus Lemgo.<br />
.Weitere Informationen zum integrierten Handlungskonzept OWL 4.0 und zum Projekt Smart Country Side erhalten Sie unter: www.owl40.de
Benjamin Dally<br />
14<br />
Digitale <strong>Stadt</strong> - STATEMENT NEXTPLACE<br />
Drei Thesen für die Diskussion über die Digitale <strong>Stadt</strong><br />
Digitale Geräte, smarte Anwendungen und darauf gestütztes Handeln verän<strong>der</strong>n<br />
unser Inanspruchnahme und Wahrnehmung von <strong>Stadt</strong> – und damit<br />
<strong>Stadt</strong> an sich. Den Erfor<strong>der</strong>nissen <strong>der</strong> <strong>Stadt</strong>entwicklung kann „das Digitale“<br />
zugegen o<strong>der</strong> zuwi<strong>der</strong> laufen o<strong>der</strong> einfach nur dazu zwingen, das eigene Handeln<br />
zu überprüfen und anzupassen. Als <strong>Stadt</strong>planer müssen wir uns dieser<br />
Verän<strong>der</strong>ungen daher bewusst werden und sie in unserem analytischen,<br />
strategischen und faktischen Handeln berücksichtigen und in unserem Sinne<br />
gestalten und nutzen. Für die Diskussion beim Regionalen Salon zur Digitalen<br />
<strong>Stadt</strong> wirft dieses Statement ein Schlaglicht auf drei aktuelle Themen bei <strong>der</strong><br />
Entwicklung hin zur digitalen <strong>Stadt</strong>.<br />
Silicon Valley in Kalifornien, USA. Während in den dortigen Konzernzentralen die Digitalisierung vorangetrieben werden,<br />
steht die ganze Region im Stau. Auch im digitalen Zeitalter ist realer Austausch unabdingbar.<br />
Silicon Valley, Foto: elf | talk , wikimedia.com, Lizenz: CC-BY-SA-3.0-migrated, https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/deed.de<br />
Foto: HS OWL<br />
<strong>Die</strong> Omnipräsenz des Digitalen<br />
Unser Handeln in <strong>der</strong> <strong>Stadt</strong> und unsere Wahrnehmung<br />
von <strong>Stadt</strong> sind immer stärker durch unsere<br />
Nutzung digitaler Werkzeuge geprägt. Während wir<br />
<strong>Stadt</strong>planer für unsere Bebauungspläne von Tusche<br />
auf CAD umgestiegen sind, begannen die „Benutzer“<br />
<strong>der</strong> <strong>Stadt</strong> sich Navigationsgeräte in die Frontscheibe<br />
zu kleben. Am heimischen Rechner nutzten sie das<br />
Mitmach-<strong>Stadt</strong>-Portal „Next Hamburg“, schrieben die<br />
Geschichte ihres <strong>Stadt</strong>teils bei Wikipedia auf o<strong>der</strong><br />
druckten sich Informationen über Reiseziele aus dem<br />
Internet aus. Mit <strong>der</strong> quasi ubiquitären Verbreitung<br />
von Smartphones und schnellem Internet im <strong>Stadt</strong>raum<br />
ist die digitale Sphäre zunehmend mit <strong>der</strong> realen<br />
Umwelt verwoben und beeinflusst diese auf nicht<br />
mehr wegzudenkende Art und Weise.<br />
Wir „benutzen“ <strong>Stadt</strong> immer häufiger basiert auf<br />
Smartphones und an<strong>der</strong>en digitalen Devices: <strong>der</strong><br />
Ortskundige nutzt Google Maps um zu schauen, ob<br />
die Lieblings-Burger Bar heute vielleicht ihren Ruhetag<br />
hat und schickt dem Freund, den man dorthin<br />
einladen möchte, 10 Minuten vor dem Treffen die Koordinaten<br />
direkt per Whatsapp – unsere Nutzung von<br />
<strong>Stadt</strong> wird zunehmend spontaner und flexibler. Der<br />
Ortsunkundige findet auf <strong>der</strong> Restaurantsuche möglicherweise<br />
die „4,8/5“-Sterne-Burger-Bar in einer<br />
Nebenstraße, in <strong>der</strong> er in <strong>der</strong> Vor-Smartphone-Ära<br />
möglicherweise nie nach einem Restaurant gesucht<br />
hätte – die Bedeutung <strong>der</strong> Lage in <strong>der</strong> <strong>Stadt</strong> verän<strong>der</strong>t<br />
sich. <strong>Die</strong>s gilt umso mehr im Hinblick auf eine<br />
Pluralisierung von Gesellschaft im Allgemeinen und<br />
Essgewohnheit im konkreten: wer regionale Produkte,<br />
glutenfreies Essen o<strong>der</strong> Craft Beer verkauft o<strong>der</strong><br />
konsumieren möchte, findet wahrscheinlich digital<br />
zusammen. Nur im Internet kann über Special Interests<br />
so schnell, flexibel, zielgruppenspezifisch und<br />
verlässlich informiert werden.<br />
<strong>Die</strong>s gilt umso mehr dann, wenn Informations-Services<br />
direkte Kanäle zur Kommunikation <strong>der</strong> Nutzer<br />
untereinan<strong>der</strong> schaffen und damit die Raumnutzung<br />
direkt beeinflussen, zum Beispiel über die schon an-
gesprochenen Konsumentenbewertungen. Genauso<br />
bestehen aber auch automatisierte Rückkanäle und<br />
das beste Routing basiert eben auf den Messungen<br />
hinsichtlich Verkehrsdichte und Reisegeschwindigkeit,<br />
die an<strong>der</strong>e Smartphones (o<strong>der</strong> Navigationsgeräte)<br />
gemacht haben, die bereits im Verkehr unterwegs<br />
sind. <strong>Die</strong>s führt im Staufall zu gänzlich neuen Routen<br />
o<strong>der</strong> <strong>der</strong> Erkenntnis, dass zumindest jetzt in diesem<br />
Moment Bus und Bahn o<strong>der</strong> das Fahrrad schneller<br />
sind. Auch bei <strong>der</strong> Navigation zwischen zwei gesetzten<br />
Punkten verän<strong>der</strong>n die Digitalen Werkzeuge also<br />
unsere Raumnutzung.<br />
Der Mobilitätssektor ist ganz beson<strong>der</strong>s von <strong>der</strong> Digitalisierung<br />
geprägt. Internet und Smartphones haben<br />
inzwischen selbst in <strong>der</strong> Schweiz das Kursbuch obsolet<br />
gemacht. Von einem Jahresfahrplan kann man auf<br />
vielen Bahnlinien nicht mehr sprechen, Bahn-Netzbetreiber<br />
nutzen das Potential zur „ad hoc-Information“<br />
für einen an<strong>der</strong>en Umgang beispielsweise mit Baustellen,<br />
häufig nur bedingt zum Vorteil des Kunden.<br />
Insbeson<strong>der</strong>e die neuen Sharing-Mobilitätskonzepte,<br />
die in vielen Großstädten insbeson<strong>der</strong>e in einzelnen<br />
Alterskohorten inzwischen relevante Marktanteile<br />
gewonnen haben, basieren stark auf dem Informationsaustausch<br />
übers Netz und mobile digitale Endgeräte:<br />
Bikesharing funktioniert zufriedenstellend nur,<br />
wenn die automatisierte Ausleihstation weiß, wie viele<br />
Fahrrä<strong>der</strong> zur Zeit zur Verfügung stehen kann und<br />
<strong>der</strong> Nutzer die nächste Station mit freien Fahrrä<strong>der</strong>n<br />
über sein Smartphone abfragen kann. Gleiches gilt<br />
für viele Carsharing-Konzepte wie car2go, bei <strong>der</strong><br />
das freie Fahrzeug in <strong>der</strong> Umgebung des Nutzers<br />
nicht nur über das Smartphone gefunden son<strong>der</strong>n<br />
auch direkt aufgeschlossen werden kann. Auffällig<br />
ist auch hier die Beiläufigkeit und Selbstverständlichkeit,<br />
mit <strong>der</strong> solche technischen Konzepte Einzug<br />
halten, ohne dass sie noch - ohne merkliche Komforteinschränkungen<br />
– rückholbar wären.<br />
These 1<br />
)) Wer/Was nicht in <strong>der</strong> digitalen Welt<br />
präsent ist – ist nicht präsent. ((<br />
Für die Städte und die <strong>Stadt</strong>planer heißt das: Wir<br />
müssen uns <strong>der</strong> „digitalen Brille“ <strong>der</strong> „Benutzer“ bewusst<br />
sein. Es lässt sich nicht ohne sie o<strong>der</strong> gegen<br />
sie planen. Und die Bürger werden sich Planungsprozessen<br />
nicht o<strong>der</strong> nur sehr selektiv widmen, wenn<br />
sie sich nicht digital erschließen lassen.<br />
<strong>Die</strong> Entgrenzung des Raums<br />
Am Forschungsschwerpunkt nextPlace haben wir<br />
uns in den letzten Monaten mit dem Pendelverhalten<br />
in <strong>der</strong> Region Ostwestfalen-Lippe beschäftigt.<br />
Auch wenn die Region kein Metropolraum mit einem<br />
Pendelverhalten wie Frankfurt o<strong>der</strong> München ist, so<br />
ist doch <strong>der</strong> räumliche Austausch in OWL erheblich<br />
(nextPlace 2016). Gerade die kleineren, weniger<br />
zentralen Gemeinden entleeren sich tagsüber – mit<br />
all den viel diskutierten negativen Folgen wie <strong>der</strong><br />
Schwächung <strong>der</strong> lokalen Nahversorgung, fehlenden<br />
Freiwilligen Feuerwehr-Leuten o<strong>der</strong> letztendlich <strong>der</strong><br />
Schrumpfung <strong>der</strong> ländlichen Bevölkerung.<br />
Eine Hoffnung vieler Aktiver in den Orten ist, dass<br />
ein Wandel in <strong>der</strong> Arbeitswelt die Arbeitnehmer zurück<br />
in die kleinen Gemeinden und Dörfer bringen:<br />
einer Umfrage des Branchenverbandes würde 21%<br />
<strong>der</strong> Bevölkerung lieber von zuhause arbeiten und<br />
weitere 41% zumindest einige Tage in <strong>der</strong> Woche.<br />
Von betrieblichen Hemmnissen und <strong>der</strong> weiterhin<br />
ausbauwürdigen Internetinfrastruktur einmal abgesehen<br />
gibt es jedoch weitere Gründe nicht von einem<br />
allzu naheliegenden Durchbruch <strong>der</strong> Telearbeit<br />
auszugehen: weltweit wachsen die großen Städte<br />
weiterhin und sie begründen ihre Stärke durch Agglomerationseffekte,<br />
durch Nähe und persönlichen<br />
Austausch zwischen den handelnden Akteuren. Das<br />
Silicon Valley ist kein virtueller Cyberraum einer die<br />
Telearbeit vorantreibenden IT-Elite, son<strong>der</strong>n ein realer<br />
<strong>Stadt</strong>raum mit all seinen Problemen wie überbordendem<br />
Verkehr. Wenn sich diese Branche schon<br />
schwer tut, sich von <strong>der</strong> tatsächlichen, persönlichen<br />
Nähe als Standortkriterium zu lösen, wie wahrscheinlich<br />
ist es dann, dass uns <strong>der</strong> Durchbruch bei <strong>der</strong> Telearbeit<br />
allzu bald gelingt?<br />
In <strong>der</strong> Region werden daher die lokalen Cluster in<br />
den großen Städten o<strong>der</strong> wie rund um den Campus<br />
Lemgo <strong>der</strong> Hochschule absehbar nicht an Bedeutung<br />
verlieren. <strong>Die</strong> Region wird weiterhin durch die<br />
Ströme zwischen attraktiven Wohnlagen und attraktiven<br />
Arbeitsstätten geprägt sein.<br />
These 2<br />
)) Wir müssen reale Räume für eine<br />
digital(isiert)e Gesellschaft schaffen. ((<br />
<strong>Die</strong> gleichbleibende Bedeutung <strong>der</strong> Nähe in einer<br />
digitalisierten Welt lässt sich ein stadtplanerisches<br />
Konzept überführen: die Anzahl <strong>der</strong> Arbeitsplätze in<br />
vielen Gemeinden mag abgenommen haben, trotzdem<br />
gibt es vor Ort Freiberufler, Angestellte, Kreative<br />
und zivilgesellschaftlich Aktive die über die ganze<br />
Woche o<strong>der</strong> an einzelnen Tagen am Wohnort arbeiten,<br />
entwe<strong>der</strong> vereinzelt o<strong>der</strong> nicht selten in eher<br />
seelenlosen Gewerbegebieten am Ortsrand. Hier<br />
sollten Angebote geschaffen werden, die die lokalen<br />
Gemeinden als Arbeitsorte ebenso stärken wie<br />
die Nähe zwischen diesen Personengruppen. In diesem<br />
Sinne können zum Beispiel Co-Working-Spaces<br />
auch eine Lösung für die ländlichen Räume sein:<br />
eingerichtet in attraktiver Lage in einem denkmalgeschützten<br />
Fachwerkhaus, ausgerüstet mit einer<br />
öffentlich zugänglichen Kaffeebar entstünden neue<br />
Potenziale für die Gemeinden. Sie würden ebenso einen<br />
Beitrag zur Entwicklung lokaler Netzwerke legen<br />
und unterschiedliche Disziplinen wie Entrepeneure,<br />
Kreative und Steuerberater zusammenbringen, von<br />
denen sowohl die Gemeinde wie auch die handelnden<br />
Personen selbst profitieren.<br />
15<br />
Digitale <strong>Stadt</strong> - STATEMENT NEXTPLACE
16<br />
Digitale <strong>Stadt</strong> - STATEMENT NEXTPLACE<br />
Co-Working-Spaces sind flexibel anmietbare Büroräume für Selbstständige, Freiberufler und Entrepreneure. Auch im ländlichen Raum<br />
lassen sich attraktive Räumlichkeiten schaffen, die diese Berufsgruppen vor Ort halten und miteinan<strong>der</strong> in den Kontakt bringen.<br />
Hub-Islington London, Foto: Impact Hub, flickr.com, Lizenz: CC-BY 2.0, https://creativecommons.org/licenses/by/2.0<br />
<strong>Die</strong> digitale Unübersichtlichkeit<br />
<strong>Die</strong> Digitalisierung bringt neue Chancen und stellt uns<br />
ebenso vor neue Herausfor<strong>der</strong>ungen. Das Deutsche Institut<br />
für Normung schätzte 2015 ab, dass nur 6% <strong>der</strong> in<br />
den Städten anfallenden Daten auch für das städtische<br />
Management genutzt werden. Gleichzeitig werden an die<br />
räumliche Planung vielfältige Anfor<strong>der</strong>ungen und Themen<br />
herangetragen, von Abwan<strong>der</strong>ung und Verstädterung bis<br />
hin zu Alterung, Flüchtlingsunterbringung und Energiewende<br />
– all dies immer unter dem Eindruck knapper Kassen.<br />
Das Management <strong>der</strong> Städte stärker datenbasiert aufzusetzen<br />
ist damit sowohl Herkulesaufgabe wie auch Chance.<br />
Am Forschungsschwerpunkt nextPlace haben wir in den<br />
letzten Monaten mit einem nie<strong>der</strong>sächsischen Landkreis<br />
an einem Tool für die Weiterentwicklung <strong>der</strong> ärztlichen<br />
Versorgung gearbeitet. Es ermöglicht, Verän<strong>der</strong>ungen<br />
bei den Praxisinhabern und die räumliche Absicherung<br />
<strong>der</strong> ärztlichen Versorgung mit Allgemeinmedizinern und<br />
Fachärzten ebenso im Blick zu behalten wie die Alters- und<br />
Bevölkerungsentwicklung in den Gemeinden/Ortsteilen.<br />
Aufgesetzt als webbasiertes Geoinformationssystem (GIS)<br />
ermöglicht es auch den Fachabteilungen einfache und unkomplizierte<br />
interaktive räumliche Planungsprozesse, ohne<br />
für jeden Schritt auf die Expertise eines GIS-Experten angewiesen<br />
zu sein. Der Fachplanung Gesundheitsversorgung<br />
wird es so beispielsweise ermöglicht, die Ausstattung<br />
des Planungsgebietes mit Kommunalen Gesundheitszentren<br />
anhand von Erreichbarkeiten zu entwickeln.<br />
These 3<br />
)) Digitale Werkzeuge schaffen neue<br />
Instrumente für die Entwicklung von<br />
<strong>Stadt</strong> und Region. ((<br />
<strong>Die</strong> Digitalisierung gibt <strong>der</strong> <strong>Stadt</strong>planung neue Möglichkeiten,<br />
Planungsprozesse zu visualisieren und empirisch<br />
zu fundieren. Wir sollten diese Chance nutzen!<br />
Kommunen, Forschung und För<strong>der</strong>mittelgeber müssen<br />
an einem Strang ziehen um Experimentierfel<strong>der</strong><br />
zu schaffen, in denen neue Anwendungen entwickelt<br />
und zur Anwendungsreife gebracht werden können.<br />
An die Kommunen stellt dies die Herausfor<strong>der</strong>ung,<br />
die Voraussetzungen zu schaffen, sich auf die neuen<br />
Technologien einzulassen. Gleichzeitig werden die zu<br />
entwickelnden neuen Instrumenten den Kommunen<br />
ermöglichen, auf die räumlichen Herausfor<strong>der</strong>ungen zu<br />
reagieren und aktiver als bisher damit umzugehen.<br />
Dipl.Ing. Benjamin Dally<br />
nextPlace - Koordination Forschung<br />
hat Raumplanung an <strong>der</strong> TU Dortmund und <strong>der</strong> Königlich-Technischen<br />
Hochschule, Stockholm, studiert und sich in seiner Abschlussarbeit<br />
mit <strong>der</strong> Integration von flexiblen Carsharing-Angeboten in kommunale<br />
Verkehrskonzepte beschäftigt. Seit 2013 arbeitet er an <strong>der</strong> Hochschule<br />
Ostwestfalen-Lippe, unter an<strong>der</strong>em für den Forschungsschwerpunkt<br />
<strong>urbanLab</strong>. Seit 2016 ist er Wissenschaftlicher Mitarbeiter am<br />
Forschungsschwerpunkt nextPlace, <strong>der</strong> sich mit „Raum-Zeit-Mustern<br />
intelligenter Mobilität“ beschäftigt. Seine Tätigkeitsschwerpunkte sind<br />
Regionalentwicklung und Mobilität in den ländlichen Räumen.<br />
nextPlace (2016): Fahren wie ein Pendler
17<br />
RAUM-ZEIT-MUSTER<br />
DER INTELLIGENTEN MOBILITÄT<br />
Interdisziplinärer Forschungsschwerpunkt<br />
an <strong>der</strong> Hochschule Ostwestfalen-Lippe<br />
Bereits jetzt erzeugen viele Räume und Gegenstände unseres Alltags ihre eigenen Daten. Mit dem Fortschreiten<br />
<strong>der</strong> Digitalisierung werden sowohl die Datenquantität und -qualität, als auch die dadurch resultierende Beeinflussung<br />
unseres Raum- und Mobilitätsverhaltens stark zunehmen. <strong>Die</strong>se Tatsache wird bei Planungsentscheidungen<br />
zur Raum- und Infrastrukturentwicklung bislang unzureichend berücksichtigt, da kaum Werkzeuge zur Verarbeitung<br />
und Sichtbarmachung <strong>der</strong>artiger Informationen existieren. Der Forschungsschwerpunkt setzt genau an dieser<br />
Stelle an und verknüpft Methoden <strong>der</strong> Geoinformatik mit digitalen Simulations- und Visualisierungsverfahren,<br />
um neue Bil<strong>der</strong> und Lesbarkeiten unseres Mobilitätsverhaltens in <strong>Stadt</strong> und Region zu ermöglichen. Damit wird<br />
ein neuer Weg zur einfachen Vermittlung komplexer Mobilitätsentscheidungen beschritten und bessere Voraussetzungen<br />
für das Verständnis raumbezogener Verhaltensweisen geschaffen.<br />
Erfahren Sie mehr über unser Team und unsere Projekte: www.nextplacelab.de<br />
Ansprechpartner: Prof. Dr. Axel Häusler | axel.haeusler(at)hs-owl.de | 05231 769-6968
Dr. Hendrik Baumeister, Univ.-Prof. Dr. Claudia Hornberg<br />
18<br />
Gesunde <strong>Stadt</strong> - KEYNOTE<br />
Gesundheit in <strong>der</strong> <strong>Stadt</strong><br />
von gestern, heute, morgen<br />
Seit <strong>der</strong> Entstehung erster menschlicher Ansiedlungen spielt die menschliche<br />
Gesundheit eine grundlegende Rolle, die bis zur <strong>Stadt</strong>entwicklung von<br />
heute zunehmend an Bedeutung (wie<strong>der</strong>)gewinnt. Mit <strong>der</strong> Zeit wuchs das<br />
Verständnis über die Zusammenhänge von Umwelt und Gesundheit stetig<br />
an und macht die „Gesunde <strong>Stadt</strong>“ zu einem gesamtgesellschaftlich komplexen<br />
und dynamischen Themenfeld. Dabei wird immer deutlicher, dass<br />
traditionelle Verfahren und Kooperationsstrukturen in <strong>der</strong> <strong>Stadt</strong>entwicklung<br />
kaum noch ausreichen, um dem aktuellen Gesundheitsverständnis gerecht<br />
werden zu können. Demnach bedarf es innovativer inter- und transdisziplinärer<br />
Strategien und Allianzen, um den Herausfor<strong>der</strong>ungen für eine gesunde<br />
<strong>Stadt</strong> <strong>der</strong> <strong>Zukunft</strong> erfolgreich zu begegnen.<br />
Foto: Thomas Claßen<br />
Städte und die Gesundheit <strong>der</strong> Menschen stehen seit<br />
jeher in enger Beziehung. Mit <strong>der</strong> Neolithischen Revolution<br />
zum Ende <strong>der</strong> Eiszeit vor etwa 12.000 Jahren<br />
erfuhr die Menschheit einen Wandel und entwickelte<br />
sich vom Nomadentum zu einer sesshaft werdenden<br />
Gesellschaft. Erste Dörfer entstanden nicht zufällig,<br />
son<strong>der</strong>n wiesen bereits deutliche Bezüge zu einer<br />
bewussten Siedlungsplanung auf, die nicht zuletzt<br />
aus gesundheitlichen Grundbedürfnissen, wie einer<br />
gesicherten Versorgung mit Nahrungsmitteln sowie<br />
Schutz vor Witterung, wilden Tieren und Gewalt resultierte.<br />
Der Erfolg dieser beginnenden Verstädterung<br />
zeigte sich schon früh in einer Steigerung <strong>der</strong><br />
Fruchtbarkeit und Lebenserwartung <strong>der</strong> Menschen<br />
und beför<strong>der</strong>te die demografische, gesellschaftliche<br />
und kulturelle Entwicklung <strong>der</strong> Menschheit (Benevolo<br />
2000, Uerpmann 2007).<br />
Gesundheit in <strong>der</strong> <strong>Stadt</strong> von gestern<br />
In <strong>der</strong> griechischen Antike fasste Hippokrates die bisherigen<br />
Erfahrungen über die Zusammenhänge von Umwelt<br />
und Gesundheit zusammen und übertrug sie auf die<br />
Vier-Säfte-Lehre <strong>der</strong> griechischen Medizin. Hippokrates<br />
thematisierte dabei vor allem klimatische Umweltfaktoren<br />
wie kalte Winde o<strong>der</strong> verunreinigte Luft, die das Gleichgewicht<br />
<strong>der</strong> vier Säfte im menschlichen Körper aus dem<br />
Gleichgewicht bringen und Krankheiten hervorrufen können<br />
(Rodenstein 2012). Vitruv griff diese Erkenntnisse ca.<br />
33–22 v. Chr. in seinen „10 Büchern über Architektur“<br />
auf und leitete daraus Ansätze für die <strong>Stadt</strong>gestaltung ab.<br />
Als eine Grundlage <strong>der</strong> römischen Baukultur lassen sich<br />
diese Ansätze auch heute noch z. B. in Form von schachbrettartigen<br />
Strukturen in den Grundrissen vieler Städte<br />
erkennen (Benevolo 2000, Vituvius 2008).
Trotz offensichtlicher Zusammenhänge zwischen einwirkenden<br />
Umweltfaktoren und <strong>der</strong> menschlichen Gesundheit<br />
verstärkte sich das medizinische Interesse an <strong>der</strong><br />
städtischen Umwelt erst wie<strong>der</strong> zur Zeit <strong>der</strong> Renaissance<br />
im 15.–17. Jahrhun<strong>der</strong>t. Sinken<strong>der</strong> Lebensstandard und<br />
vermehrt auftretende Infektionskrankheiten führten zu<br />
immer geringeren Lebenserwartungen in den Städten,<br />
sodass erste hygienische Standards und Vorschriften zur<br />
<strong>Stadt</strong>reinigung festgelegt wurden. Mit beginnen<strong>der</strong> Industrialisierung<br />
und <strong>der</strong> damit einhergehenden Urbanisierung<br />
ab Mitte des 19. Jahrhun<strong>der</strong>ts stiegen die gesundheitlichen<br />
und sozialen Problemlagen in Städten dennoch<br />
drastisch weiter an. <strong>Die</strong>s führte vermehrt zu gesundheitlichen<br />
Reformbewegungen durch Umwelthygieniker wie<br />
Max von Pettenkofer, Johann Peter Frank o<strong>der</strong> Robert<br />
Koch, durch die z. B. die Weiterentwicklung von unterirdischer<br />
Kanalisation, Wasserklosetts und Frischwasserversorgung<br />
angeregt wurde (Dye 2008, Rodenstein 2012).<br />
Zudem wurden verstärkt breite Straßenzüge, Freiräume<br />
und Grünanlagen als städtebauliche Elemente verwendet,<br />
um mehr Licht und Luft zwischen die dichte Bebauung<br />
<strong>der</strong> Städte gelangen zu lassen. <strong>Die</strong> Sichtachsen- und<br />
Grünraumkonzepte von Georges-Eugène Haussmann,<br />
die Bewegung <strong>der</strong> englischen Gartenstadt unter Sir Ebenezer<br />
Howard o<strong>der</strong> die Entwicklung <strong>der</strong> Schrebergärten<br />
stellten Ende des 19. Jahrhun<strong>der</strong>ts wichtige städtebauliche<br />
Ansätze dar, um Gesundheit <strong>der</strong> <strong>Stadt</strong>bevölkerung zu<br />
verbessern (Behrens 2006, Benevolo 2000).<br />
Gesundheit in <strong>der</strong> <strong>Stadt</strong> von heute<br />
Trotz aller städtebaulichen Reformbewegungen herrschen<br />
in Städten aber auch heute noch spezifische<br />
Merkmale vor, die – neben zahlreichen positiven Eigenschaften<br />
– hohe gesundheitliche Risiken für die <strong>Stadt</strong>bevölkerung<br />
bedeuten können (z. B. hohe Bebauungsdichte,<br />
Luftverschmutzung, Lärmbelastung) (Galea/Vlahov<br />
2005). Hinzu kommen die bisherigen Auswirkungen des<br />
Klimawandels (z. B. steigende Temperaturen, erhöhtes<br />
Aufkommen von Extremwetterereignissen), die weitere<br />
gesundheitliche Belastungen für die <strong>Stadt</strong>bevölkerung<br />
(WHO 2008) darstellen können. Ebenso können die sozio-demografischen<br />
Entwicklungen innerhalb <strong>der</strong> Städte<br />
zu einer multikulturellen und alternden Gesellschaft mit<br />
einem sich verän<strong>der</strong>nden Krankheitsspektrum (z. B. mit<br />
einem verstärkten Auftreten altersbedingter Erkrankungen<br />
wie Herzkreislauferkrankungen o<strong>der</strong> Diabetes mellitus<br />
Typ 2) führen (DESTATIS/RKI 2009). Nicht zuletzt<br />
können strukturelle Verän<strong>der</strong>ungen in den Städten zu<br />
sozial-räumlichen Disparitäten führen, die hohe Herausfor<strong>der</strong>ungen<br />
an eine umweltgerechte Verteilung von<br />
sowohl gesundheitsbelastenden als auch -för<strong>der</strong>lichen<br />
Faktoren darstellen (Hornberg/Pauli 2009).<br />
In <strong>der</strong> <strong>Stadt</strong> von heute existieren demnach zahlreiche<br />
gesundheitliche Faktoren, die zudem kumulieren können,<br />
indem z. B. ältere o<strong>der</strong> vorerkrankte Menschen<br />
beson<strong>der</strong>e Empfindlichkeiten gegenüber gesundheitlichen<br />
Belastungen in Städten aufweisen können<br />
(Hornberg/Claßen/Brodner 2016). Daraus resultiert<br />
eine Vielfalt an gesundheitlichen Zusammenhängen,<br />
die auch eine Reflexion des Verständnisses über den<br />
Begriff Gesundheit erfor<strong>der</strong>t.<br />
Was ist Gesundheit?<br />
Zu ihrer Gründung 1946 definierte die Weltgesundheitsorganisation<br />
(WHO) Gesundheit wie folgt:<br />
„Health is a state of complete physical, mental and social<br />
well-being and not merely the absence of disease and infirmity.“<br />
(WHO 1946: 2)<br />
Über diese ganzheitliche Definition erscheint Gesundheit<br />
als multidimensionales und dynamisches Konstrukt,<br />
welches in Abhängigkeit von zahlreichen subjektiven und<br />
kaum zu operationalisierenden Faktoren wie Wohlbefinden<br />
und Lebensqualität steht (Meyer/Sauter 2000).<br />
Dennoch basiert dieses Gesundheitsmodell <strong>der</strong> WHO<br />
auf einer pathogenetisch orientierten Dichotomie von Gesundheit<br />
und Krankheit.<br />
Das Modell <strong>der</strong> Salutogenese<br />
In <strong>der</strong> Annahme, dass Menschen – trotzdem sie hohen<br />
gesundheitlichen Belastungen wie Stress o<strong>der</strong> körperlichen<br />
Einschränkungen ausgesetzt sind – über ein hohes<br />
Wohlbefinden verfügen und somit auch gesund (bzw.<br />
nicht krank) sein können, entwickelte <strong>der</strong> Medizinsoziologe<br />
Antonovsky (1932–1994) das Modell <strong>der</strong> Salutogenese<br />
(salus (lat.): gesundheitliche Unverletzlichkeit, Glück,<br />
Heil; genesis (griech.): Ursprung, Entstehung). Er fokussierte<br />
mit dem Modell Faktoren und Mechanismen, die zur<br />
Entstehung und Bewahrung von Gesundheit bzw. Wohlbefinden<br />
beitragen können. Er spannte damit ein gesundheitliches<br />
Kontinuum zwischen den beiden Endpunkten<br />
Gesundheit und Krankheit auf, zwischen denen sich <strong>der</strong><br />
Mensch mit seinem Gesundheitszustand bewegt. <strong>Die</strong> Position<br />
des Menschen innerhalb dieses Kontinuums hängt<br />
dabei von zahlreichen Faktoren ab, die dessen Gesundheit<br />
und Wohlbefinden positiv o<strong>der</strong> negativ beeinflussen<br />
können (Antonovsky/Franke 1997). Darauf aufbauend<br />
definierten Hurrelmann und Franzkowiak (2005):<br />
„Gesundheit ist ein Stadium des Gleichgewichts von Risikofaktoren<br />
und Schutzfaktoren, das eintritt, wenn einem<br />
Menschen eine Bewältigung sowohl <strong>der</strong> inneren (körperlichen<br />
und psychischen) als auch äußeren (sozialen<br />
und materiellen) Anfor<strong>der</strong>ungen gelingt.“ (Hurrelmann &<br />
Franzkowiak 2006: 52)<br />
<strong>Die</strong>ses weite Verständnis über Gesundheit macht Gesundheit<br />
in <strong>der</strong> <strong>Stadt</strong> zu einem komplexen multidimensionalen<br />
Geflecht aus zahlreichen Faktoren mit vielfältigen Wechselwirkungen.<br />
<strong>Die</strong> städtische Umwelt stellt somit vielschichtige<br />
Herausfor<strong>der</strong>ungen auf allen Ebenen des umweltbezogenen<br />
Gesundheitsschutzes sowie <strong>der</strong> ökologischen Gesundheitsför<strong>der</strong>ung<br />
und steht demnach vermehrt im Fokus<br />
bevölkerungs- und risikogruppenbezogener Ansätze von<br />
Umweltmedizin und Public-Health-Forschung.<br />
Gesundheitsdeterminanten im Siedlungsraum<br />
Um die zahlreichen Faktoren, welche die Gesundheit<br />
<strong>der</strong> <strong>Stadt</strong>bevölkerung beeinflussen, in Beziehung zueinan<strong>der</strong><br />
setzen zu können, entwickelten Barton und<br />
Grant (2006) das „Humanökologische Modell <strong>der</strong> Gesundheitsdeterminanten<br />
im Siedlungsraum“. Mit dem<br />
Modell werden die komplexen Zusammenhänge zwischen<br />
dem Menschen und seiner Umwelt in Siedlungs-<br />
19<br />
Gesunde <strong>Stadt</strong> - KEYNOTE
20<br />
Gesunde <strong>Stadt</strong> - KEYNOTE<br />
Abbildung 1: Humanökologisches Modell<br />
<strong>der</strong> Gesundheitsdeterminanten im Siedlungsraum<br />
(Barton/Grant 2006, 252, erweitert nach Whitehead/Dahlgren 1991)<br />
gebieten visualisiert. Der Mensch mit seinen individuellen<br />
Faktoren (z. B. Geschlecht, Alter, Herkunft) befindet<br />
sich im Zentrum des Modells. Um ihn herum befinden<br />
sich verschiedene Ebenen, welche die sozialen, ökologischen<br />
und ökonomischen Systeme, welche auf die<br />
menschliche Gesundheit im Siedlungsraum direkt und<br />
indirekt einwirken, darstellen. <strong>Die</strong> bebaute Umwelt als<br />
maßgeblicher Gesundheitsfaktor, <strong>der</strong> über die <strong>Stadt</strong>entwicklung<br />
beeinflusst werden kann, wird hier ebenfalls<br />
explizit dargestellt und in Beziehung zu weiteren Determinanten<br />
gesetzt (Barton/Grant 2006) (s. Abbildung 1).<br />
Barton und Grant gelingt es mit ihrem Modell aber nicht<br />
nur, die Vielfalt und Wechselbeziehungen <strong>der</strong> gesundheitlichen<br />
Determinanten im Siedlungsraum darzustellen.<br />
Darüber hinaus verdeutlicht das Modell auch, dass die erfolgreiche<br />
Entwicklung gesun<strong>der</strong> Städte ein integratives<br />
und interdisziplinäres Zusammenwirken aller Akteure, die<br />
sich mit den jeweiligen Faktoren des Modells assoziieren<br />
lassen, inklusive <strong>der</strong> Bevölkerung unabdingbar macht.<br />
Governance-Strukturen in <strong>der</strong><br />
gesunden <strong>Stadt</strong> von heute<br />
<strong>Die</strong> Wechselwirkungen zwischen städtischer Umwelt<br />
und menschlicher Gesundheit sind vielfältig und stellen<br />
somit große Herausfor<strong>der</strong>ungen sowohl für alle Bereiche<br />
<strong>der</strong> <strong>Stadt</strong>entwicklung und Architektur als auch für<br />
Umweltmedizin, Public Health und des Öffentlichen Gesundheitsdienstes<br />
(ÖGD) dar. <strong>Die</strong> Strukturen <strong>der</strong> Kooperation<br />
und Koordination (Governance-Strukturen)<br />
zwischen diesen Akteuren weisen jedoch vielfältige Limitationen<br />
auf, die eine integrative und gesundheitsför<strong>der</strong>liche<br />
<strong>Stadt</strong>entwicklung beeinträchtigen können.<br />
<strong>Die</strong> zahlreichen zivilen, administrativen und politischen Interessenvertreter<br />
und Fachdisziplinen <strong>der</strong> <strong>Stadt</strong>entwicklung<br />
agieren oft in hoch sektoralisierten und hierarchisierten<br />
Strukturen, die ein integratives und interdisziplinäres Arbeiten<br />
stark einschränken. Zudem erscheinen viele Bereiche<br />
<strong>der</strong> <strong>Stadt</strong>entwicklung geprägt von personellem sowie finanziellem<br />
Ressourcenmangel, aus dem ein stark an Pflichtaufgaben<br />
orientiertes Handeln resultiert. Innerhalb <strong>der</strong> einzelnen<br />
Sektoren herrschen zudem verschiedenen Fachsprachen<br />
und -qualifikationen sowie unterschiedliche Verständnisse<br />
über den Gesundheitsbegriff vor (Baumeister <strong>2017</strong>, Böhme/<br />
Preuss/Bunzel et al. 2014, MUNLV 2005).<br />
Dadurch entstehen „Operative Inseln“ mit deutlich voneinan<strong>der</strong><br />
abgegrenzten Aufgabenprofilen. Innovative und<br />
integrative Themenfel<strong>der</strong> – wie das einer Gesunden <strong>Stadt</strong><br />
analog des weiten Gesundheitsverständnisses – lassen<br />
sich hier nicht eindeutig verorten und entfallen somit den<br />
traditionell gewachsenen Tätigkeits- und Verantwortungsbereichen.<br />
<strong>Die</strong>s führt zu einer unzureichenden Beachtung<br />
gesundheitlicher Belange in <strong>der</strong> <strong>Stadt</strong>entwicklung<br />
sowie zu einer Fokussierung oft als wichtiger erachteter<br />
Belange (z. B. Investoreninteressen, Ressourceneinsatz).<br />
Entsprechend herrschen innerhalb <strong>der</strong> Governance-Strukturen<br />
in <strong>der</strong> integrierten gesundheitsför<strong>der</strong>lichen<br />
<strong>Stadt</strong>entwicklung oft Informationsdefizite vor sowie eine<br />
unzureichende Einbindung von Akteuren aus gesundheitlichen<br />
Versorgungsbereichen (Baumeister <strong>2017</strong>, Böhme/<br />
Preuss/Bunzel et al. 2014, MUNLV 2005).<br />
Gesundheit in <strong>der</strong> <strong>Stadt</strong> von morgen<br />
<strong>Die</strong> aktuellen umwelt- und gesundheitspolitischen Diskurse<br />
ranken sich immer stärker um das Thema Gesundheit<br />
in <strong>der</strong> <strong>Stadt</strong>. So wurden in den vergangenen Jahren und<br />
insbeson<strong>der</strong>e Monaten vermehrt För<strong>der</strong>mittel erweitert<br />
und neu geschaffen, um die Beachtung gesundheitlicher<br />
Aspekte in Projekten zur <strong>Stadt</strong>entwicklung zu unterstützen.<br />
Beispielsweise erfolgte eine Aufstockung städtebaulicher<br />
För<strong>der</strong>mittel für die Integration von Belangen <strong>der</strong> Gesundheit,<br />
Prävention und Umweltgerechtigkeit in Projekte zur<br />
<strong>Stadt</strong>entwicklung (BMUB 2016) o<strong>der</strong> die Ausarbeitung<br />
des „Gesetzes zur Stärkung <strong>der</strong> Gesundheitsför<strong>der</strong>ung und<br />
Prävention“ unter an<strong>der</strong>em im Setting „Kommune“ (PrävG).<br />
<strong>Die</strong>se För<strong>der</strong>mittel werden ihre Ziele jedoch verfehlen,<br />
wenn die Governance-Strukturen in <strong>der</strong> <strong>Stadt</strong>entwicklung<br />
nicht in Richtung einer „Good Urban Governance for Health“<br />
reflektiert und angepasst werden. Effektive und nachhaltige<br />
Interventionen hinsichtlich einer gesunden <strong>Stadt</strong><br />
von morgen werden nur mittels neuartiger Kooperationen<br />
entstehen können. Dafür gilt es zunächst, die im vorherigen<br />
Abschnitt benannten Barrieren aufzubrechen und ressortund<br />
disziplinenübergreifende Strategien zu entwickeln, innerhalb<br />
<strong>der</strong>er gesundheitliche Belange in ihrem vollen Umfang<br />
positioniert und integriert werden (Baumeister <strong>2017</strong>,<br />
Böhme/Preuss/Bunzel et al. 2014).<br />
Des Weiteren bedarf es einer Abstimmung von Fachsprachen<br />
und Qualifikationen sowie einer offenen Mo<strong>der</strong>ation<br />
abseits traditioneller und formeller an Pflichtaufgaben orientierten<br />
Steuerungsparadigmen zwischen allen Beteiligten<br />
sowie möglichen neuen Akteuren wie Krankenkassen<br />
o<strong>der</strong> dem ÖGD (Baumeister 2016). Zudem müssen klassische<br />
disziplinäre und projektbezogene Ansätze aufgebrochen<br />
und zunächst gesamtstädtische Anpassung- und<br />
Entwicklungsstrategien reflektiert und hinsichtlich <strong>der</strong><br />
aktuellen strukturellen, demografischen, klimatischen und<br />
gesundheitlichen Herausfor<strong>der</strong>ungen in den Städten angepasst<br />
und entwickelt werden.
21<br />
Dr. PH Hendrik Baumeister<br />
Arbeitsgruppe 7 Umwelt & Gesundheit, Fakultät für<br />
Gesundheitswissenschaften, Universität Bielefeld<br />
Als Innenarchitekt, Architekt und Gesundheitswissenschaftler ist<br />
Hendrik Baumeister an <strong>der</strong> Universität Bielefeld seit 2010 mit interund<br />
transdisziplinär ausgerichteten Lehr- und Forschungsprojekten<br />
an <strong>der</strong> Schnittstelle zwischen Umweltgestaltung und menschlicher<br />
Gesundheit tätig. Im Mittelpunkt seiner Arbeit stehen dabei die gesundheitliche<br />
Bedeutung städtischen Lebenswelten und urbaner<br />
Naturräume für Gesundheit und Wohlbefinden <strong>der</strong> Bevölkerung<br />
sowie die Berücksichtigung gesundheitlicher Belange in <strong>der</strong> räumlichen<br />
Planung. Mit dem in mehrfacher Hinsicht innovativen Ansatz<br />
seines Promotionsvorhabens untersuchte er erfolgreich die Governance-Strukturen<br />
in <strong>der</strong> gesundheitsför<strong>der</strong>lichen <strong>Stadt</strong>entwicklung<br />
am Beispiel <strong>der</strong> Entwicklung urbaner Gewässer.<br />
Univ.-Prof. Dr. med. Claudia Hornberg<br />
Arbeitsgruppe 7 Umwelt & Gesundheit, Fakultät für<br />
Gesundheitswissenschaften, Universität Bielefeld<br />
Claudia Hornberg ist seit 2001 Inhaberin <strong>der</strong> Professur für Umwelt<br />
und Gesundheit an <strong>der</strong> Fakultät für Gesundheitswissenschaften <strong>der</strong><br />
Universität Bielefeld. Sie ist Vorsitzende des Sachverständigenrates<br />
für Umweltfragen und Mitglied <strong>der</strong> Kommission Umweltmedizin und<br />
Environmental Public Health, die das Robert Koch-Institut (RKI) und<br />
das Umweltbundesamt (UBA) durch sachverständige Beratung und<br />
eigenständige Empfehlungen auf dem Gebiet des umweltbezogenen<br />
Gesundheitsschutzes unterstützt. Ihre Schwerpunkte sind Public Health,<br />
Toxikologie und Umweltgerechtigkeit. Sie arbeitet zu Grundsatzfragen<br />
in den vorgenannten Themenfel<strong>der</strong>n sowie speziellen Themen<br />
<strong>der</strong> umweltmedizinischen Forschung und Praxis, wobei die bevölkerungsbezogene/präventive<br />
Umweltmedizin im Vor<strong>der</strong>grund steht.<br />
Gesunde <strong>Stadt</strong> - KEYNOTE<br />
Antonovsky, A. & Franke, A. (1997): Salutogenese: Zur Entmystifizierung <strong>der</strong> Gesundheit. Tübingen: DGVT-Verlag.<br />
Barton, H. & Grant, M. (2006): A health map for the local human habitat. Journal of The Royal Society for the Promotion of Health, 126 (6), 252–253.<br />
Baumeister, H. (<strong>2017</strong>): Blue Governance – Chance für eine gesundheitsför<strong>der</strong>liche <strong>Stadt</strong>entwicklung. Bielefeld: Universität Bielefeld.<br />
Behrens, H. (2006): „Freiraum“ und „Freifläche“ in <strong>der</strong> Geschichte <strong>der</strong> räumlichen Planung des Naturschutzes. In: H. Baier, F. Erdmann, R. Holz & A. Waterstraat<br />
(Hrsg.), Freiraum und Naturschutz – <strong>Die</strong> Wirkungen von Störungen und Zerschneidungen in <strong>der</strong> Landschaft (S. 81–102). Berlin, Heidelberg, New York: Springer.<br />
Benevolo, L. (2000): <strong>Die</strong> Geschichte <strong>der</strong> <strong>Stadt</strong> (8. Aufl.). Frankfurt am Main: Campus-Verlag.<br />
BMUB – Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit (Hrsg.) (2016): Umweltgerechtigkeit in <strong>der</strong> Sozialen <strong>Stadt</strong>. Gute<br />
Praxis an <strong>der</strong> Schnittstelle von Umwelt, Gesundheit und sozialer Lage. Berlin.<br />
Böhme, C., Preuß, T., Bunzel, A., Reimann, B., Landua, D. & Seidel-Schulze, A. (2014): Umweltgerechtigkeit im städtischen Raum. Entwicklung von praxistauglichen<br />
Strategien und Maßnahmen zur Min<strong>der</strong>ung sozial ungleich verteilter Umweltbelastungen. Umwelt und Gesundheit 01/2015, Umweltbundesamt. Berlin.<br />
DESTATIS – Statistisches Bundesamt Deutschland, Deutsches Zentrum für Altersfragen & Robert Koch-Institut (RKI) (Hrsg.) (2009): Gesundheit<br />
und Krankheit im Alter. Beiträge zur Gesundheitsberichterstattung des Bundes. RKI. Berlin.<br />
Dye, C. (2008): Health and urban living. Science, 319 (5864), 766–769.<br />
Hornberg, C. & Pauli, A. (Hrsg.) (2009): Umweltgerechtigkeit – die soziale Verteilung von gesundheitsrelevanten Umweltbelastungen. Bielefeld: Universität Bielefeld.<br />
Hornberg, C., Claßen, T. & Brodner, B. (2016): Umweltbelastungen, Umweltressourcen und Gesundheit. In: Senatsverwaltung für <strong>Stadt</strong>entwicklung und<br />
Umwelt & Amt für Statistik Berlin-Brandenburg (Hrsg.): Umweltgerechtigkeit im Land Berlin – Arbeits- und Entscheidungsgrundlagen für die sozialräumliche<br />
Umweltpolitik: Basisbericht 2016 (Entwurf). Berlin: 65–80.<br />
Hurrelmann, K. & Franzkowiak, P. (2006): Gesundheit. In: BZgA – Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) (Hrsg.), Leitbegriffe <strong>der</strong> Gesundheitsför<strong>der</strong>ung.<br />
Glossar zu Konzepten, Strategien und Methoden in <strong>der</strong> Gesundheitsför<strong>der</strong>ung (S. 52–55). Schwabenheim a. d. Selz.<br />
Meyer, R. & Sauter, A. (2000): Gesundheitsför<strong>der</strong>ung statt Risikoprävention? Umweltbeeinflusste Erkrankungen als politische Herausfor<strong>der</strong>ung. Studien<br />
des Büros für Technikfolgen-Abschätzung beim Deutschen Bundestag. Berlin: Sigma.<br />
MUNLV NRW – Ministerium für Umwelt und Naturschutz, Landwirtschaft und Verbraucherschutz des Landes Nordrhein-Westfalen (Hrsg.) (2005):<br />
Kommunale Zusammenarbeitsstrukturen zur Berücksichtigung von Umwelt- und Gesundheitsbelangen in Planverfahren. Endbericht. Aktionsprogramm<br />
Umwelt und Gesundheit Nordrhein-Westfalen (APUG NRW). Düsseldorf.<br />
PrävG – Gesetz zur Stärkung <strong>der</strong> Gesundheitsför<strong>der</strong>ung und <strong>der</strong> Prävention in <strong>der</strong> Fassung <strong>der</strong> Bekanntmachung vom 17. Juli 2015 (BGBl. 2015, 1 (31),<br />
ausgegeben am 24. Juli 2015.<br />
Rodenstein, M. (2012): <strong>Stadt</strong>planung und Gesundheit – Ein Rückblick auf Theorie und Praxis. In: C. Böhme, C. Kliemke, B. Reimann & W. Süß (Hrsg.),<br />
Handbuch <strong>Stadt</strong>planung und Gesundheit (S. 15–26). Bern: Hans Huber.<br />
Uerpmann, H.-P. (2007): Von Wildbeutern zu Ackerbauern – <strong>Die</strong> Neolithische Revolution <strong>der</strong> menschlichen Subsistenz. Mitteilungen <strong>der</strong> Gesellschaft für<br />
Urgeschichte (16), 55–74.<br />
Vitruvius, M.P. (2008): Zehn Bücher über Architektur / De architectura libri decem. C. Fensterbusch (Übers. und Hrsg.) (6. Aufl.). Darmstadt: Wissenschaftliche<br />
Buchgesellschaft.<br />
WHO – World Health Organization (Hrsg.) (1946): Constitution of the World Health Organization. New York. Zugriff am 03.8.2013. Verfügbar unter:<br />
http://whqlibdoc.who.int/hist/official_records/constitution.pdf<br />
WHO – World Health Organization (Hrsg.) (2008): Protecting Health from Climate Change – World Health Day 2008. WHO, Genf.
Anja Ritschel<br />
22<br />
Gesunde <strong>Stadt</strong> - AUS DER REGION<br />
Umweltgerechtigkeit und Gesundheit<br />
Ein Praxisbericht aus Bielefeld<br />
Gesundheit ist als eigenständiges Handlungsfeld auf <strong>der</strong> kommunalen<br />
Ebene kaum auszumachen. Doch ist sie hinter allem verborgen. Es wird<br />
ein ganzheitliches Denken in allen Politikbereichen und Handlungsebenen<br />
gefor<strong>der</strong>t, um insbeson<strong>der</strong>e <strong>der</strong> Umwelt(un-)gerechtigkeit zu begegnen.<br />
Der Praxisbericht zeigt exemplarisch, welche Bemühungen existieren und<br />
wieviel Arbeit noch vor uns allen liegt.<br />
Abb. 1: Modell <strong>der</strong> Gesundheitsdeterminanten (Dahlgren & Whitehead, 1991)<br />
Wer sich auf <strong>der</strong> kommunalen Ebene engagiert, wird<br />
auf viele spannende Themen treffen. <strong>Die</strong> Entwicklung<br />
neuer Wohnquartiere, die Ausweisung von Gewerbeflächen,<br />
Grünstrukturen o<strong>der</strong> auch die Mobilität sind<br />
wesentliche Aspekte <strong>der</strong> <strong>Stadt</strong>entwicklung. Luftreinhaltung,<br />
Lärmschutz und Maßnahmen gegen den Klimawandel<br />
werden unter dem Begriff Umweltschutz subsummiert.<br />
Kin<strong>der</strong>armut, Arbeitslosigkeit und Prävention<br />
prägen wie<strong>der</strong>um die Sozialpolitik einer <strong>Stadt</strong>. All das<br />
eben Genannte hat Auswirkungen auf die menschliche<br />
Gesundheit – aber so wird es nur selten benannt.<br />
Gesundheit ist unser wichtigstes Gut; dennoch kommt<br />
Gesundheit als eigenständiges Handlungsfeld auf <strong>der</strong><br />
kommunalen Ebene kaum vor.<br />
Gesundheit – was ist das?<br />
Was meint Gesundheit in diesem Kontext? „Health is<br />
a state of complete physical, mental and social wellbeing<br />
and not merely the absence of disease or infirmity“(WHO<br />
<strong>2017</strong>), also: Gesundheit ist ein Zustand<br />
des vollständigen körperlichen, geistigen und sozialen<br />
Wohlergehens und nicht nur das Fehlen von Krankheit<br />
o<strong>der</strong> Gebrechen. Mit dieser Definition hat die Weltgesundheitsorganisation<br />
WHO schon 1946 ein positiv<br />
und ganzheitlich orientiertes Gesundheitsverständnis<br />
in <strong>der</strong> Politik, <strong>der</strong> Fachwelt und <strong>der</strong> Bevölkerung zu verbreiten<br />
versucht. <strong>Die</strong> Gesundheit unserer Bevölkerung<br />
wird sowohl durch individuelle Faktoren als auch durch<br />
die Lebens- und Umweltbedingungen in <strong>der</strong> <strong>Stadt</strong> beeinflusst.<br />
<strong>Die</strong> Verantwortung für Gesundheit und Gesundheitsför<strong>der</strong>ung<br />
liegt folglich nicht nur bei den Individuen<br />
und dem Gesundheitssektor, son<strong>der</strong>n bei allen<br />
Politikbereichen und zielt damit über die Entwicklung<br />
gesün<strong>der</strong>er Lebensweisen hinaus auf die För<strong>der</strong>ung<br />
eines Lebensumfeldes, das diesem Gesundheitsbegriff<br />
gerecht wird (siehe Abb. 1).<br />
Soweit die sehr richtige Theorie. Gleichwohl fristet<br />
<strong>der</strong> Themenkomplex Gesundheit in <strong>der</strong> kommunalen<br />
Praxis oftmals ein Schattendasein. Gesundheit wird<br />
sicherlich irgendwie „mitgedacht“ Aber um ein Gesundheitsziel<br />
im Sinne <strong>der</strong> WHO zu erreichen, braucht<br />
es mehr – auch mehr als das, was <strong>der</strong> öffentliche Gesundheitsdienst<br />
und die medizinische Versorgung in<br />
einer <strong>Stadt</strong> leisten (können).<br />
Armut als Gesundheitsrisiko<br />
Hinzu kommt, dass es nachgewiesenermaßen Zusammenhänge<br />
zwischen Sozialer Lage, Umweltqualität und Ge-
sundheit gibt (Umweltbundesamt <strong>2017</strong>). Bei Menschen mit<br />
geringem Einkommen und niedrigem Sozialstatus besteht<br />
eine Tendenz zur stärkeren gesundheitlichen Beeinträchtigung<br />
durch negative Umwelteinflüsse – u.a. Herzkreislaufund<br />
Atemwegserkrankungen, Schlafstörungen. <strong>Die</strong> Diagnose<br />
lautet also: „Armut ist ein Gesundheitsrisiko“. Und das<br />
ist nicht gerecht! Unser Ziel muss es sein, gesundheitsrelevante<br />
Umweltbelastungen zu minimieren und die sozial bedingte<br />
Ungleichheit von Gesundheitschancen aufzuheben.<br />
<strong>Die</strong>ser Prozess wird mit dem Begriff <strong>der</strong> Umweltgerechtigkeit<br />
beschrieben. Bedeutung haben dabei aber nicht nur<br />
Belange des Umweltschutzes, son<strong>der</strong>n es geht um die integrierte<br />
Betrachtung komplexer Zusammenhänge von Umweltqualität,<br />
sozialer Lage und Gesundheit.<br />
Vor dem Hintergrund des räumlichen Zusammenhangs von<br />
niedrigem Sozialstatus, geringer Umweltqualität und höheren<br />
Gesundheitsrisiken ist es zwingend notwendig, die Schnittstellen<br />
von <strong>Stadt</strong>entwicklung, Sozial-, Umwelt- und Gesundheitspolitik<br />
noch stärker als bisher in den Blick zu nehmen.<br />
För<strong>der</strong>programme als ein Ansatz<br />
Gleichwohl ist Umweltgerechtigkeit als Ziel <strong>der</strong> <strong>Stadt</strong>entwicklung<br />
und als Grundlage für kommunales Handeln bislang<br />
noch wenig etabliert. Aber es gibt hierfür gute Unterstützungsangebote<br />
durch För<strong>der</strong>programme des Bundes,<br />
die es vielen Kommunen oftmals überhaupt erst ermöglichen,<br />
belastete Quartiere konkret zu verbessern. Zu nennen<br />
sind hier die Integrierten Städtebauliche Entwicklungskonzepte<br />
(ISEK) und das Städtebauför<strong>der</strong>ungsprogramm<br />
Soziale <strong>Stadt</strong>.<br />
Ein ISEK schafft konkrete, langfristig wirksame und vor<br />
allem lokal abgestimmte Lösungen für zum Beispiel städtebauliche,<br />
funktionale o<strong>der</strong> sozialräumliche Defizite (Bundesministerium<br />
für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit<br />
2016). Ein ISEK zeigt diese Problembereiche<br />
für einen konkreten Teilraum auf und bearbeitet sie ergebnisorientiert.<br />
Dabei berücksichtigt es regionale und gesamtstädtische<br />
Rahmenbedingungen.<br />
Mit dem Städtebauför<strong>der</strong>ungsprogramm „Soziale <strong>Stadt</strong>“<br />
unterstützt <strong>der</strong> Bund seit 1999 die Stabilisierung und Aufwertung<br />
städtebaulich, wirtschaftlich und sozial benachteiligter<br />
und strukturschwacher <strong>Stadt</strong>- und Ortsteile (BMUB<br />
<strong>2017</strong>). Städtebauliche Investitionen in das Wohnumfeld, in<br />
die Infrastrukturausstattung und in die Qualität des Wohnens<br />
sorgen für mehr Generationengerechtigkeit sowie<br />
Familienfreundlichkeit im Quartier und verbessern die<br />
Chancen <strong>der</strong> dort Lebenden auf Teilhabe und Integration.<br />
Ziel ist es, vor allem lebendige Nachbarschaften zu beför<strong>der</strong>n<br />
und den sozialen Zusammenhalt zu stärken.<br />
Masterplan Umwelt und Gesundheit<br />
turen und Prozesse geschaffen und/ o<strong>der</strong> weiterentwickelt<br />
werden, die zu einer Verbesserung des umweltbezogenen<br />
Gesundheitsschutzes erfor<strong>der</strong>lich sind.<br />
Der Fokus des Masterplans Umwelt und Gesundheit liegt<br />
insbeson<strong>der</strong>e auf <strong>der</strong> Unterstützung von Kommunen bei<br />
<strong>der</strong> Verknüpfung von Umwelt- und Gesundheitsthemen<br />
und <strong>der</strong> Umsetzung in praktische Maßnahmen und Projekte.<br />
So gab es im Zuge <strong>der</strong> Erstellung des Masterplans<br />
ein Planspiel „Lärmaktionsplanung“ (MKULNV 2015). Hieran<br />
hat neben den Städten Aachen, Bochum, Bottrop und<br />
Köln auch die <strong>Stadt</strong> Bielefeld mit Vertreter/innen aus Verwaltungsressorts<br />
für Umwelt, Gesundheit, Bauen, Verkehr,<br />
Geoinformation und Soziales teilgenommen.<br />
Nicht ganz überraschend, aber eben in diesem Falle durch<br />
entsprechende Daten deutlich belegbar, zeigte sich für Bielefeld,<br />
dass in Gebieten, die durch soziale Problemlagen<br />
und ungünstige Lebensverhältnisse gekennzeichnet sind,<br />
gleichzeitig auch hohe Umgebungslärmbelastungen vorliegen<br />
(siehe Abb. 2). Durch das Planspiel wurde deutlich,<br />
dass im Ergebnis ein Mehrwert und Informationsgewinn<br />
durch integrierte Datenverknüpfung entsteht, <strong>der</strong> für die<br />
verschiedenen Fachdisziplinen hilfreich ist. <strong>Die</strong>se Art <strong>der</strong><br />
Zusammenarbeit gilt es nun zu verstetigen.<br />
Dabei kann die Fachkompetenz <strong>der</strong> Hochschulen und an<strong>der</strong>er<br />
Institutionen hilfreich sein. Denn inzwischen gibt es<br />
schon eine Vielzahl von Studien zum Thema Umweltgerechtigkeit.<br />
Exemplarisch sei <strong>der</strong> Leitfaden „Umweltgerechtigkeit<br />
im städtischen Raum – Expertise „Instrumente zur<br />
Erhaltung und Schaffung von Umweltgerechtigkeit“ des<br />
Deutschen Instituts für Urbanistik DIfU genannt (Böhme,<br />
Ch.; Bunzel, A. DIfU 2014). Das DIfU untersuchte in dem<br />
Forschungsprojekt, wie die Kommunen in ihrer Arbeit für<br />
mehr lokale Umweltgerechtigkeit unterstützt werden können.<br />
Das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, Bau<br />
und Reaktorsicherheit (BMUB) und das Umweltbundesamt<br />
(UBA) haben dieses Projekt geför<strong>der</strong>t.<br />
23<br />
Gesunde <strong>Stadt</strong> - AUS DER REGION<br />
Auch das Land NRW hat den Zusammenhang zwischen<br />
Umwelt und Gesundheit schon früh aufgegriffen. Bereits<br />
im Jahr 2000 wurde das erste Aktionsprogramm Umwelt<br />
und Gesundheit (APUG) veröffentlicht (MKULNV 2016).<br />
2016 wurde daran anknüpfend <strong>der</strong> „Masterplan Umwelt<br />
und Gesundheit NRW“ verabschiedet (MKULNV II 2016).<br />
Er versteht sich als integriertes Handlungskonzept zum<br />
Schutz von Mensch und Umwelt und enthält Handlungsempfehlungen<br />
o<strong>der</strong> reißt sie zumindest an. Es sollen Struk-<br />
Abb.2 Ausschnitt aus <strong>der</strong> „Lärmkartierung 2012 nach 34.<br />
BImSchV für Gesamtstraßenverkehr“ (Quelle: <strong>Stadt</strong> Bielefeld<br />
(2015), Zweiter Lärmaktionsplan, Anlage 7. Bielefeld)
24<br />
Gesunde <strong>Stadt</strong> - AUS DER REGION<br />
Bielefel<strong>der</strong> Aktivitäten<br />
Auch in Bielefeld haben wir uns auf den Weg gemacht, das<br />
Thema Umwelt und Gesundheit stärker miteinan<strong>der</strong> zu verzahnen<br />
und die Umweltgerechtigkeit voranzubringen. Dabei<br />
können wir auf gute kommunale Grundlagen zurückgreifen<br />
wie z.B. den Bericht zur Kommunalen Naturhaushaltswirtschaft<br />
(<strong>Stadt</strong> Bielefeld, Umweltamt 2014), den Lebenslagenbericht<br />
(<strong>Stadt</strong> Bielefeld, Dezernat für Soziales 2016) und die<br />
Bielefel<strong>der</strong> Gesundheitsziele (<strong>Stadt</strong> Bielefeld, Dezernat für<br />
Umwelt und Klimaschutz 2011). Letztere hatten von Beginn<br />
an als einen Handlungsschwerpunkt die gesundheitliche<br />
Chancengleichheit definiert. Derzeit sollen die Gesundheitsziele<br />
für die nächsten fünf Jahre fortgeschrieben werden. Der<br />
Auftaktworkshop für diesen Prozess machte bereits deutlich,<br />
dass <strong>der</strong> genannte Handlungsschwerpunkt nichts von seiner<br />
Aktualität verloren hat. Bielefeld hat zudem die bereits<br />
erwähnten För<strong>der</strong>programme genutzt. 2008 fasste <strong>der</strong> Rat<br />
den Beschluss für integrierte städtebauliche Entwicklungskonzepte.<br />
Anlass waren <strong>der</strong> demografischer Wandel sowie<br />
<strong>der</strong> wirtschaftliche Strukturwandel in <strong>der</strong> <strong>Stadt</strong> und den<br />
<strong>Stadt</strong>teilen. Seitdem sind vier Bereiche <strong>der</strong> <strong>Stadt</strong> in diesem<br />
Sinne entwickelt worden; teilweise befinden wir uns schon in<br />
<strong>der</strong> Fortschreibung (<strong>Stadt</strong> Bielefeld <strong>2017</strong>).<br />
Ohnehin bleibt dies ein dauerhafter Prozess, <strong>der</strong> immer wie<strong>der</strong><br />
auf neue Entwicklungen eingehen muss. Angesichts des<br />
Flüchtlingszustroms in 2015 wurde <strong>der</strong> Arbeitsprozess „Bielefeld<br />
integriert“ unter breiter Beteiligung vieler Akteure initiiert<br />
(<strong>Stadt</strong> Bielefeld II <strong>2017</strong>). Das neue Präventionsgesetz (BGBI<br />
2015) bietet Chancen für Gesundheitsför<strong>der</strong>ung und Prävention<br />
– noch ist aber unklar, wie wir auf kommunaler Ebene<br />
bestmöglich davon profitieren können. Und die Bielefel<strong>der</strong><br />
Aktivitäten im Klimaschutz müssen um eine Klimawandel-Anpassungsstrategie<br />
ergänzt werden. Hierzu läuft ein För<strong>der</strong>antrag,<br />
auf dessen positiven Bescheid wir <strong>der</strong>zeit warten.<br />
Es liegt also noch viel Arbeit vor uns – und lei<strong>der</strong> auch<br />
so manche Hürde. Was braucht es also, um den Prozess<br />
hin zu einer umweltgerechten <strong>Stadt</strong> gut voranzubringen?<br />
<strong>Die</strong>s sind insbeson<strong>der</strong>e:<br />
• Ressortübergreifendes Denken und Handeln als<br />
Grundvoraussetzung für ein erfolgreiches integriertes<br />
Handeln<br />
• Verbesserte (z.B. kleinräumige) und besser aufbereitete<br />
Daten; auch im Sinne einer Verschneidung und Zusammenführung<br />
unterschiedlicher Berichterstattungen auf<br />
kommunaler Ebene<br />
• Netzwerke (gerne auch mit <strong>der</strong> Wissenschaft), um die<br />
überall begrenzten Ressourcen zu bündeln und voneinan<strong>der</strong><br />
zu profitieren<br />
• Personelle wie finanzielle Ressourcen in den Kommunen<br />
(insb. auch im öffentlichen Gesundheitsdienst) sowie<br />
• Echte Partizipation aller Bevölkerungsgruppen<br />
Dann kann gelingen, was ich mir für Bielefeld wünsche und<br />
was auch an<strong>der</strong>norts unser Ziel sein sollte: In meiner STADT<br />
DER ZUKUNFT ist Umweltgerechtigkeit ein wesentlicher<br />
Maßstab für kommunale Entscheidungen und Gesundheit<br />
ein eigenständiges und kompetent besetztes Handlungsfeld,<br />
das mit den Ressorts <strong>Stadt</strong>entwicklung, Umweltschutz<br />
und sozialem Handeln eng verzahnt ist.<br />
Dipl.-Ing. Landespflege Anja Ritschel<br />
Beigeordnete für Umwelt und Klimaschutz <strong>der</strong> <strong>Stadt</strong> Bielefeld<br />
Erste Beigeordnete allgemeine Vertreterin des Oberbürgermeisters<br />
hat in Hannover studiert. Sie war erst als Landschaftsplanerin in einem<br />
Planungsbüro tätig und hatte dann die Geschäftsführung <strong>der</strong><br />
Grünen Ratsfraktion Hannover inne, bevor sie im Jahr 2000 in die<br />
<strong>Stadt</strong>verwaltung Hannover wechselte. Dort war sie zunächst persönliche<br />
Referentin des dortigen Umweltdezernenten und Ersten <strong>Stadt</strong>rates,<br />
anschließend übernahm sie die Leitung des Bereichs Forsten,<br />
Landschaftsräume und Naturschutz <strong>der</strong> Landeshauptstadt Hannover.<br />
Seit 2008 ist sie Beigeordnete für Umwelt und Klimaschutz <strong>der</strong> <strong>Stadt</strong><br />
Bielefeld und seit 2016 zudem als Erste Beigeordnete allgemeine<br />
Vertreterin des Oberbürgermeisters. Zu ihrem Verantwortungsbereich<br />
gehören neben allen kommunalen Umweltaufgaben auch die<br />
Ressorts Gesundheit, Ordnung und Feuerwehr.<br />
BGBI 2015: Gesetz zur Stärkung <strong>der</strong> Gesundheitsför<strong>der</strong>ung und <strong>der</strong> Prävention<br />
(Präventionsgesetz – PrävG) v. 17.07.2015, BGBl Jahrgang 2015,<br />
Teil I, Nr.31 Bonn 24.07.2015<br />
BMUB (<strong>2017</strong>): Soziale <strong>Stadt</strong> (letzter<br />
Zugriff am 23.01.<strong>2017</strong>)<br />
Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit<br />
(2016): Integrierte städtebauliche Entwicklungskonzepte in <strong>der</strong><br />
Städtebauför<strong>der</strong>ung. Berlin<br />
Böhme, Ch.; Bunzel, A. DIfU (2014): Umweltgerechtigkeit im städtischen<br />
Raum – Expertise „Instrumente zur Erhaltung und Schaffung von<br />
Umweltgerechtigkeit“<br />
MKULNV (2016) : Aktionsprogramm Umwelt und Gesundheit (letzter Zugriff: 23.01.<strong>2017</strong>)<br />
MKULNV II (2016): Masterplan Umwelt und Gesundheit NRW. Düsseldorf<br />
MKULNV (2015): Planspiel „Lärmaktionsplanung“ im Rahmen des Masterplans<br />
Umwelt und Gesundheit NRW – Abschlussbericht. Düsseldorf<br />
<strong>Stadt</strong> Bielefeld, Dezernat für Soziales (2016): Lebenslagen und soziale<br />
Leistungen 2014/2015. Bielefeld<br />
<strong>Stadt</strong> Bielefeld, Dezernat für Umwelt und Klimaschutz (2011): Bielefel<strong>der</strong><br />
Gesundheitsziele 2015. Bielefeld<br />
<strong>Stadt</strong> Bielefeld (<strong>2017</strong>): <strong>Stadt</strong>umbau - Soziale <strong>Stadt</strong> - Sanierung (letzter Zugriff: 23.01.<strong>2017</strong>)<br />
<strong>Stadt</strong> Bielefeld II (<strong>2017</strong>): Handlungskonzept „Bielefeld integriert“ (letzter Zugriff: 23.01.<strong>2017</strong>)<br />
<strong>Stadt</strong> Bielefeld, Umweltamt (2014): Kommunale Naturhaushaltswirtschaft<br />
2014. Bielefeld<br />
Umweltbundesamt (<strong>2017</strong>): Soziale Verteilung von Umweltbelastungen<br />
(letzter Zugriff<br />
23.01.<strong>2017</strong>)<br />
WHO (<strong>2017</strong>): Constition of WHO: Principles (letzter Zugriff 23.01.<strong>2017</strong>)
25<br />
Gesunde <strong>Stadt</strong> - KEYNOTE<br />
REGIO<br />
NALER<br />
SALON<br />
\Der Regionale Salon stärkt den inhaltlichen Austausch in <strong>der</strong><br />
Region. In angenehmer Atmosphäre stellen wir <strong>Zukunft</strong>sfragen<br />
zwischen Forschern, Planern, Politikern, Künstlern und<br />
Aktiven aus <strong>der</strong> Region sowie überregionalen Impulsgebern<br />
zur Diskussion. Der Regionale Salon baut auf den Dialog zwischen<br />
Forschern des <strong>urbanLab</strong>s, Referenten und Publikum<br />
und entwickelt interdisziplinäre Lösungsansätze für aktuelle<br />
Fragestellungen durch ganz unterschiedliche Blickwinkel.<br />
www.hs-owl.de/regionalersalon
Hon.-Prof. Dr. med. Manfred Pilgramm<br />
26<br />
Gesunde <strong>Stadt</strong> - AUS DER PRAXIS<br />
Verän<strong>der</strong>ungen von Krankheitsbil<strong>der</strong>n<br />
bezogen auf den Wohnort<br />
In zwei vergleichbaren HNO-Praxen wurden verschiedene Krankheitsbil<strong>der</strong> in<br />
20-jährigem Rhythmus (1974, 1994, 2014) aufgrund von Aktenstudien miteinan<strong>der</strong><br />
verglichen. Dabei konnte klar herausgearbeitet werden, das die tägliche<br />
Patientenzahl zunimmt, dabei aber die Zahl <strong>der</strong> Schwerkranken (z. B. Tumore,<br />
schwerwiegende Entzündungen etc.) gleichbleibt. Demgegenüber nimmt die<br />
Zahl <strong>der</strong> wohnmedizinisch Kranken (z. B. Entzündungen <strong>der</strong> oberen Luftwege)<br />
und die Anzahl <strong>der</strong> „Befindlichkeitsstörungen“ (kurzfristig nicht erkennbare<br />
Symptome) stark zu. Außerdem ist auffällig, dass in den verglichenen Praxen <strong>der</strong><br />
Sozialstatus keinen Einfluss auf die Befindlichkeitsstörungen hat. Vielmehr spielen<br />
die familiäre und umwelthygienische Einsamkeit eine zunehmende Rolle. Es<br />
zeigt sich immer mehr, dass die Wohnung und das Wohnumfeld einen großen<br />
Einfluss auf die Zufriedenheit, und somit auf die Gesundheit ausüben.<br />
Spezifische Krankheitsbil<strong>der</strong> wurden in zwei<br />
HNO-Praxen über 40 Jahre (Messung in 20-jährigem<br />
Rhythmus) im Rahmen ihrer Häufigkeit miteinan<strong>der</strong><br />
verglichen. <strong>Die</strong> Entwicklung einzelner Krankheitsbil<strong>der</strong>,<br />
insbeson<strong>der</strong>e bei <strong>der</strong> letzten Messung (2014),<br />
überrascht, so dass eine Untersuchung (2016) des<br />
Wohnortes angeschlossen wurde.<br />
In zwei vergleichbaren HNO-Praxen wurden an<br />
drei Tagen innerhalb von 40 Jahren im Rahmen einer<br />
retrospektiven Untersuchung die Diagnosen zusammengezählt.<br />
<strong>Die</strong>ses erfolgte am 01.08.1974, am<br />
28.07.1994 sowie am 31.07.2014. Es handelte sich<br />
jeweils um einen Donnerstag innerhalb <strong>der</strong> Sommerferien.<br />
An dem jeweiligen Tag wurde durch einen<br />
Facharzt 9 Stunden lang eine Bestell- und Akutpraxis<br />
betrieben. 1974 erfolgte die Zählung in einer<br />
HNO-Praxis in Bamberg (Landkreis Bamberg, damals<br />
etwa 167.000 Einwohner, vier HNO-Ärzte). 1994<br />
und 2014 erfolgte die Zählung in einer HNO-Praxis<br />
in Detmold (Landkreis Lippe, damals etwa 350.000<br />
Einwohner, 12 HNO-Ärzte).<br />
Abb. 1 zeigt die absolute Patientenzahl am Zähltag,<br />
die Zahl <strong>der</strong> Patienten, die nach einer Operation im<br />
HNO-Bereich vorstellig wurden, weiterhin die Patienten,<br />
die mit diagnostizierten, bzw. behandelten Tumoren<br />
im HNO-Bereich erschienen, sowie die Patienten<br />
mit Praxis-Erstkontakt. Dabei gilt es zu beachten, dass<br />
die Praxis in Bamberg (1974) schon 20 Jahre vom selben<br />
HNO-Arzt betrieben wurde, die Praxis in Detmold<br />
(1994 und 2014) ein Jahr (!) bzw. 21 Jahre vom selben<br />
HNO-Arzt betrieben wurde. <strong>Die</strong>se Tatsache erklärt die<br />
relativ niedrige Patientenzahl <strong>der</strong> behandelten Patienten<br />
am 28.07.1994, da es sich bei Beginn <strong>der</strong> Praxistätigkeit<br />
1993 um eine Neugründung handelte.<br />
Betrachtet man die gesamten Zahlen, so kann man<br />
erkennen, dass relativ gesehen die Zahlen <strong>der</strong> operierten<br />
und Tumor-Patienten konstant bleiben, die<br />
Gesamtzahl <strong>der</strong> behandelten Patienten sowie die<br />
Patienten mit Arztkontakt aber relativ zunehmen. <strong>Die</strong>ses<br />
Ergebnis ist nach Rücksprache mit dem Statistischen<br />
Bundesamt sowie mit <strong>der</strong> Geschäftsstelle des<br />
HNO-Berufsverbandes nahezu vollständig mit <strong>der</strong><br />
Gesamtentwicklung in <strong>der</strong> BRD vergleichbar (Statistisches<br />
Bundesamt Wiesbaden 2016, HNO-Berufsverband<br />
Neumünster 2016). Lediglich nehmen in toto<br />
(BRD) die Tumorpatienten über die Jahre vermehrter<br />
zu als in Abb. 1 dargestellt.<br />
Aus diesen Zahlen kann aber klar gefolgert werden,<br />
dass die beiden Praxen in Bamberg (Pilgramm-Vater)<br />
und Detmold (Pilgramm-Sohn) vergleichbar sind.<br />
Des Weiteren (Abb. 2) wurden zwei weitere Eingangsdiagnosen<br />
ausgezählt:<br />
• Immer wie<strong>der</strong> auftretendes Nasenbluten<br />
• Kontinuierlich immer wie<strong>der</strong> auftretende entzündliche<br />
Verän<strong>der</strong>ungen <strong>der</strong> Nasennebenhöhlen<br />
Dabei handelt es sich um Symptome, die häufig mit<br />
dem übermäßigen Vorkommen von Innenraumschadstoffen<br />
(z. B. Formaldehyd und an<strong>der</strong>e flüchtig-organische<br />
Substanzen, Holzschutzmittel, Rauchen etc.) in<br />
Verbindung stehen (Fiedler 1997).<br />
Schließlich wurden Symptome zusammengezählt<br />
(Symptome), für die man häufig keine Erklärung im<br />
HNO-Bereich findet. Zu diesen „Symptomen“ zählen<br />
speziell: Tinnitus, unklarer Schwindel, Kopfdruck, Halsdruck,<br />
Schleimfluss im Rachenbereich.<br />
Das Ergebnis, welches vollständig mit den Zahlen des<br />
Statistischen Bundesamtes sowie des HNO-Berufsverbandes<br />
1 und 2 in Deutschland übereinstimmt,<br />
zeigt, dass Symptome, die durchaus <strong>der</strong> Wohnmedizin<br />
zuzuordnen sind, zunehmen, bei gleichzeitig sehr starker<br />
Zunahme vom Symptomen (von 2% 1974 auf 34%<br />
2014) ohne schnelle Erklärung.
27<br />
Abb. 1: Patientenstatistik I<br />
Als Fazit <strong>der</strong> nachuntersuchten Patientenakten von 1974,<br />
1994 und 2014 bleibt festzuhalten:<br />
• <strong>Die</strong> tägliche Patientenzahl in den deutschen<br />
HNO-Praxen nimmt kontinuierlich zu.<br />
• <strong>Die</strong> relative Zahl <strong>der</strong> „wirklich Kranken“ ist nahezu<br />
gleich geblieben.<br />
• <strong>Die</strong> Zahl <strong>der</strong> wohnmedizinisch Kranken nimmt mit hoher<br />
Wahrscheinlichkeit zu.<br />
• <strong>Die</strong> Zahl <strong>der</strong> HNO-ärztlich kurzfristig nicht erklärbaren<br />
Symptome (Befindlichkeitsstörungen) nimmt<br />
stark zu.<br />
In damaliger Unkenntnis <strong>der</strong> Zahlen <strong>der</strong> öffentlichen Stellen<br />
1 und 2 waren wir von diesem Ergebnis sehr überrascht,<br />
insbeson<strong>der</strong>e über die übermäßige Zunahme <strong>der</strong><br />
Befindlichkeitsstörungen. Da nicht selten diese Symptome<br />
auf Unzufriedenheit im Wohnumfeld zurückgeführt<br />
werden, wollten wir die Detmol<strong>der</strong> Situation überprüfen.<br />
Somit wurden alle Fälle mit <strong>der</strong> Diagnose: ‚Unklare Befindlichkeitsstörung<br />
ohne erkennbare Ursachen‘ vom<br />
01.06.2016 bis 31.08.2016 in <strong>der</strong> Detmol<strong>der</strong> Praxis<br />
nachuntersucht. Im Einzelnen handelt es sich um folgende<br />
Diagnosen:<br />
• Unklarer Schwindel (ohne Ursache)<br />
• Unklarer Ohrdruck (ohne Ursache)<br />
• Halsdruck / Globusgefühl (ohne Ursache)<br />
• Unklarer Schleimfluss (ohne bakterielle Besiedelung)<br />
Abb. 2: Patientenstatistik II<br />
<strong>Die</strong> nähere Untersuchung von 3. ergab fast ausschließlich<br />
Frauen im Alter zwischen 40 und 60 Jahren. Unsere Patientenkarten<br />
nach Bearbeitung, die keinen Anspruch erhebt,<br />
statistisch aussagekräftig zu sein, weist auf folgende<br />
Missstände hin:<br />
• <strong>Die</strong> Patientenzahlen in HNO-Praxen nehmen kontinuierlich<br />
zu. Es stellt sich die Frage, ob für die einzelnen<br />
Patienten noch genügend Zeit für ein persönliches<br />
und zielführendes Gespräch bleibt.<br />
• <strong>Die</strong> Verdachtsfälle mit „wohnmedizinischem Hintergrund“<br />
nehmen ebenfalls zu. <strong>Die</strong> Umweltmedizin, wie<br />
auch die Wohnmedizin, finden jedoch innerhalb <strong>der</strong><br />
Ärzteschaft auch aufgrund fehlen<strong>der</strong> Abrechnungsmöglichkeiten<br />
keine Anerkennung. <strong>Die</strong> Fortbildungsanfragen<br />
sind daher gering.<br />
• Befindlichkeitsstörungen haben häufig einen psychosomatischen<br />
Hintergrund (nicht immer!!). <strong>Die</strong>ses<br />
trifft wohl nicht nur für die eine Hälfte <strong>der</strong> Gesellschaft<br />
zu, son<strong>der</strong>n auch für die an<strong>der</strong>e Hälfte, insbeson<strong>der</strong>e<br />
wenn sie sich einsam fühlt.<br />
Gesunde <strong>Stadt</strong> - AUS DER PRAXIS<br />
529 Patientenkarten (alle Teilnehmer über 18 Jahre alt)<br />
wurden ausgewertet, dabei handelt es sich um 344 Frauen<br />
(etwa 65%) und 185 Männer (etwa 35%). Eine weit<br />
überdurchschnittliche Häufung dieser Symptome fand<br />
man im Detmol<strong>der</strong> Raum an drei Stellen:<br />
• In zwei Straßenzügen mit nahezu ausschließlich einkommensschwachen<br />
Familien<br />
• In zwei Straßenzügen mit einer Vielzahl von Flüchtlingsunterkünften<br />
• In einem <strong>Stadt</strong>teil mit Familien und Einzelpersonen<br />
mit weit überdurchschnittlichem Einkommen<br />
Hon.-Prof. Dr. med. Manfred Pilgramm<br />
HNO-Arzt & Hon.-Prof. Wohnmedizin HS OWL<br />
ist Humanmediziner und HNO-Arzt seit 1989 in Detmold tätig. Als leiten<strong>der</strong><br />
Arzt beschäftigt er in seiner HNO-Praxis und Praxisklinik mit 6 Standorten<br />
47 Mitarbeiter. Seine wissenschaftlichen Schwerpunkte liegen im<br />
Bereich Innenohr und Tinnitus. Seit 2010 verantwortet er außerdem das<br />
Lehrgebiet Wohnmedizin am FB1 <strong>der</strong> Hochschule Ostwestfalen-Lippe<br />
mit <strong>der</strong> Philosophie: <strong>Die</strong> Medizin kann immer mehr Krankheiten erkennen<br />
und heilen, Architektur und Innenarchitektur können immer mehr Krankheiten<br />
verhin<strong>der</strong>n. 2016 erfolgte die Ernennung zum Honorarprofessor.<br />
Fiedler, Klaus (1997): Alles über gesundes Wohnen. Wohnmedizin im Alltag. Beck-Verlag München 1997<br />
HNO-Berufsverband Neumünster 2016: Anfrage HNO-Berufsverband Neumünster 12.09.2016<br />
Statistisches Bundesamt Wiesbaden 2016: Anfrage Statistisches Bundesamt Wiesbaden 12.09.2016
Marcel Cardinali<br />
28<br />
Gesunde <strong>Stadt</strong> - STATEMENTE URBANLAB<br />
Human Centered Design<br />
Wie Architektur unser Verhalten beeinflusst<br />
Das Thema Gesundheit wird traditionell eher aus gesundheitswissenschaftlicher<br />
und medizinischer Perspektive betrachtet und untersucht. Nun sind es<br />
aber Architekten, <strong>Stadt</strong>planer und an<strong>der</strong>e planende Disziplinen, die unsere<br />
tägliche Lebenswelt formen. Mit dem Ansatz des Human Centered Design,<br />
wird diese Verantwortung gewürdigt und Einwirkungen und Auswirkungen <strong>der</strong><br />
gebauten Umwelt auf den Menschen, auf unsere Gesundheit und auf unser<br />
Wohlempfinden aufgezeigt.<br />
I-83 Baltimore, Foto: Eli Pousson, flickr.com, Lizenz: CC-BY 2.0, https://creativecommons.org/licenses/by/2..0<br />
Wir haben erlebt, wie in <strong>der</strong> Nachkriegszeit eindimensionale<br />
technisch orientierte Leitbil<strong>der</strong>, wie das <strong>der</strong><br />
autogerechten <strong>Stadt</strong>, unseren Alltag und das <strong>Stadt</strong>bild<br />
von Grund auf verän<strong>der</strong>t haben. Heute kämpfen<br />
wir mit den Auswirkungen. Deswegen ist es nach all<br />
diesen Erfahrungen erstaunlich, wie wenig Wissen<br />
über Einwirkungen und Auswirkungen <strong>der</strong> gebauten<br />
Umwelt auf den Menschen, auf unsere Gesundheit<br />
und auf unser Wohlempfinden bei den planenden<br />
Disziplinen verankert ist.<br />
)) Manchmal glaube ich, dass wir<br />
heute mehr über einen guten Lebensraum<br />
für Gorillas o<strong>der</strong> sibirische<br />
Tiger wissen, als über einen<br />
guten Lebensraum für Menschen. ((<br />
Enrique Penalosa, Bürgermeister von Bogota (1995-1998)<br />
Ziel ist es unter Berücksichtigung <strong>der</strong> Wirkung des<br />
Raumes auf den Menschen, auf unterschiedlichen<br />
Maßstabsebenen baulich-räumliche Ansätze zu<br />
formulieren, die nachweislich positive Auswirkungen<br />
auf die Gesundheit und das Wohlergehen <strong>der</strong><br />
Menschen haben, und sie schließlich in die Praxis<br />
zu implementieren. Gesundheit wird dabei im Sinne<br />
<strong>der</strong> WHO-Definition als „Zustand des vollständigen<br />
körperlichen, geistigen und sozialen Wohlergehens“<br />
verstanden (World Health Organization, 2014).<br />
Effizientere Gesundheitspolitik<br />
Um Gesundheit und Wohlergehen zu för<strong>der</strong>n, braucht<br />
es einen Lebensraum, eine gebaute Umwelt, die die<br />
Sinne und Bedürfnisse des Menschen ernst nimmt.<br />
Im Ergebnis entstehen mehr Bewegungen und Aufenthaltsqualitäten<br />
im öffentlichen Raum. <strong>Die</strong> Kenntnis<br />
über die Auswirkungen <strong>der</strong> gebauten Umwelt auf das<br />
Verhalten <strong>der</strong> Menschen erlauben <strong>der</strong> Architektur die<br />
Alltagsentscheidungen ihrer Nutzer in hohem Maße zu<br />
beeinflussen. <strong>Die</strong> gebaute Umwelt entscheidet, ob wir<br />
zu Fuß gehen, mit dem Fahrrad fahren o<strong>der</strong> das Auto<br />
nehmen. Sie entscheidet darüber wie häufig wir uns<br />
im Freien aufhalten und frische Luft einatmen o<strong>der</strong><br />
in unserem privaten Umfeld verbleiben. Insofern entscheidet<br />
die Qualität des öffentlichen Raums auch
über die Häufigkeit <strong>der</strong> (zufälligen) sozialen Kontakte<br />
in <strong>der</strong> Nachbarschaft und damit <strong>der</strong> Stabilität eines<br />
Quartiers, einer <strong>Stadt</strong>, einer Gesellschaft. <strong>Die</strong>se enorme<br />
Verantwortung, die sich für die planenden Disziplinen<br />
abzeichnet, wird noch dadurch verstärkt, dass Investitionen<br />
in die gebaute Umwelt in <strong>der</strong> Regel kaum<br />
reversibel sind und eine enorm lange Haltbarkeit mit<br />
sich bringen. <strong>Die</strong>s führt dazu, dass fehlerhafte Entscheidungen<br />
<strong>der</strong> Planer kaum korrigierbar sind – zumindest<br />
nicht ohne einen extrem hohen planerischen<br />
und finanziellen Aufwand. Auf <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Seite aber<br />
impliziert dies auch, dass gesundheitsför<strong>der</strong>nde einmalige<br />
Investitionen in die gebaute Umwelt permanent<br />
wirken und damit eine <strong>der</strong> effektivsten Mittel <strong>der</strong><br />
Gesundheitspolitik sein können (Gehl 2015: 20).<br />
)) Verbesserungen zugunsten <strong>der</strong><br />
Städter sind <strong>der</strong> direkte Weg zur Verwirklichung<br />
<strong>der</strong> <strong>Zukunft</strong>svision einer<br />
lebendigen, sicheren, nachhaltigen<br />
und gesunden <strong>Stadt</strong>. Verglichen mit<br />
an<strong>der</strong>en sozialen Investitionen – insbeson<strong>der</strong>e<br />
in das Gesundheitswesen<br />
[...] – sind die Kosten einer diesbezüglichen<br />
<strong>Stadt</strong>planung so gering,<br />
dass Städte überall auf <strong>der</strong> Welt sie<br />
finanzieren können, ungeachtet des<br />
Entwicklungsstandes und <strong>der</strong> Finanzkraft<br />
<strong>der</strong> jeweiligen Län<strong>der</strong>. ((<br />
Gehl 2015: 20<br />
Bei räumlichen Beiträgen zur Gesundheitspolitik<br />
handelt es sich zudem in <strong>der</strong> Regel um einmalige,<br />
aber permanent wirksame, Investitionen. Somit sind<br />
sie auf Dauer vergleichsweise günstige, präventive<br />
und nachhaltige Maßnahmen für die Erhaltung<br />
<strong>der</strong> Gesundheit, etwa durch die Eindämmung von<br />
Zivilisationskrankheiten und altersbedingt eingeschränkter<br />
Mobilität.<br />
Alternative räumliche Strategien und Konzepte <strong>der</strong><br />
Gesundheitsför<strong>der</strong>ung nehmen aufgrund neuer<br />
medizinischer Ansätze und zunehmen<strong>der</strong> Finanzierungsprobleme<br />
im Gesundheitswesen einen immer<br />
größeren Stellenwert ein. Das neue Präventionsgesetz,<br />
dass die Krankenkassen verpflichtet einen<br />
Pauschalbetrag je Versicherten in die Gesundheitsför<strong>der</strong>ung<br />
verschiedener Lebenswelten zu investieren<br />
ist eine erste spürbare Folge dieser Entwicklung.<br />
Damit werden die Krankenkassen aus dem<br />
Stand zu einem wichtigen Akteur in <strong>der</strong> Architektur<br />
und <strong>Stadt</strong>planung.<br />
Architektur kann Bewegung, Kommunikation und<br />
Wahrnehmung in allen Maßstäben und Lebensräumen<br />
beeinflussen. Daher sollte es das Ziel sein, den<br />
Auffor<strong>der</strong>ungscharakter von Architektur zu erforschen,<br />
zu vermitteln und zur Gesundheitsför<strong>der</strong>ung<br />
und Prävention einzusetzen. Auf diese Weise lässt<br />
sich die Aktivität <strong>der</strong> Menschen unbemerkt und natürlich<br />
in den Alltag integrieren.<br />
Effekte und Phänomene des menschlichen<br />
Verhaltens durch die Gestaltung von Räumen<br />
Es liegen zahlreiche Informationen und Ergebnisse<br />
aus verschiedenen Fachrichtungen vor, die bereits<br />
aufzeigen wie eine gute und sinnvolle Gestaltung<br />
<strong>der</strong> Umgebung für verschiedene Nutzergruppen<br />
aussehen kann.<br />
<strong>Die</strong> Erkenntnis, dass Räume maßgeblich zur Gesundheitsför<strong>der</strong>ung<br />
beitragen, ist bereits im Bereich<br />
<strong>der</strong> Sozialmedizin in den 1950er Jahren<br />
diskutiert worden: Viele <strong>der</strong> gesundheitlichen Verbesserungen<br />
im 19. und 20. Jahrhun<strong>der</strong>t seien<br />
nicht auf eine verbesserte medizinische Versorgung<br />
zurückzuführen, son<strong>der</strong>n auf Verbesserungen<br />
<strong>der</strong> Umwelt, wie einer ausgebauten Infrastruktur,<br />
lebenswerteren Wohnräumen und -umfel<strong>der</strong>n,<br />
sauberem Trinkwasser, Nahrungsmitteln und Transportsystemen<br />
(Frumkin, 2005). In den USA begann<br />
in den 1980er Jahren die „Public Health Debate“,<br />
die sich schwerpunktmäßig mit umweltbezogener<br />
Gesundheitsforschung, <strong>der</strong> Suche nach Lösungen<br />
zur Min<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Gesundheitsrisiken sowie Nachhaltigkeits-<br />
und Ökosystemforschung auseinan<strong>der</strong>gesetzt<br />
hat (Körner, Nagel, & Bellin-Har<strong>der</strong>, 2008).<br />
Seit den 1990er Jahren widmet sich die Forschung<br />
verstärkt <strong>der</strong> Betrachtung individueller Gesundheit<br />
zur Gesundheitsför<strong>der</strong>ung (Abraham, Sommerhal<strong>der</strong>,<br />
Bolliger-Salzmann, & Abel, 2007).<br />
Auf die engen Wechselbeziehungen zwischen<br />
Mensch und Umwelt in Form von Wahrnehmung<br />
und Interaktion als Ansatz zur Gesundheitsför<strong>der</strong>ung<br />
haben bereits Jokusch 1996 mit <strong>der</strong> „Umwelttherapie“<br />
und Ulrich 1997 mit dem „Supportive<br />
Design“ aufmerksam gemacht (Jokusch, 1996).<br />
<strong>Die</strong>se Handlungsmöglichkeiten o<strong>der</strong> Einschränkungen<br />
<strong>der</strong> gebauten Umwelt besitzen einen Auffor<strong>der</strong>ungscharakter<br />
und werden von Gibson als<br />
Affordanzen bezeichnet. Affordanzen beeinflussen<br />
auf diese Weise unser tägliches Handeln und in <strong>der</strong><br />
Folge unsere körperliche Aktivität (Richter, 2008).<br />
Flade konstatiert weiterhin, „dass die Beziehungen<br />
zwischen Gesundheitswesen und Architektur noch<br />
unterentwickelt seien“. <strong>Die</strong> Mensch-Umwelt-Beziehung<br />
als wesentlichen Gesundheitsfaktor zu<br />
verstehen und darauf aufbauend Konzepte und<br />
gestalterische Maßnahmen zu entwickeln, wird als<br />
großes Potential gesehen (Flade, 2008).<br />
Natur und Gesundheit<br />
Auf dieser Basis werden seit einigen Jahren (neben<br />
<strong>der</strong> psychologischen Betrachtungsebene), die<br />
Auswirkungen von „Grün“ auf die physische Gesundheit<br />
und soziale Integration untersucht. Es<br />
handelte sich um einen auf neun Jahre angelegten<br />
Vergleich <strong>der</strong> Genesungsdauer von Patienten mit<br />
Blick auf belaubte Bäume und solchen ohne Blick<br />
ins „Grün“. Für die Freiraumplanung entscheidend<br />
ist, dass Patienten mit Blick ins „Grün“ bei gleichem<br />
Operationsgrund einen um einen Tag kürzeren<br />
postoperativen Aufenthalt haben als Patien-<br />
29<br />
Gesunde <strong>Stadt</strong> - STATEMENTE URBANLAB
30<br />
Gesunde <strong>Stadt</strong> - STATEMENTE URBANLAB<br />
Verona , Foto: Cardinali<br />
ten ohne Blick ins „Grün“. Auch <strong>der</strong> Einsatz von<br />
Schmerzmitteln fällt in <strong>der</strong> Versuchsgruppe „Grün“<br />
geringer aus als in <strong>der</strong> Gruppe, die keinen Blick<br />
ins „Grün“ hat (Ulrich, 1984). Ähnliche Ergebnisse<br />
werden 1991 mit einem Versuch im Labor bestätigt,<br />
bei dem Probanden Naturszenen betrachten<br />
(Ulrich u. a., 1991).<br />
Öffentlicher Raum und Gesundheit<br />
Ebenso hat Aschwanden einen Zusammenhang<br />
zwischen <strong>der</strong> Qualität <strong>der</strong> Fußgängererschließung<br />
und <strong>der</strong> Anzahl von Herzinfarkten feststellen können.<br />
Weil städtische Strukturen einen Einfluss auf<br />
die gesundheitsschädigende Luftverschmutzung<br />
haben, konnten auch Verbindungen zwischen Gesundheit<br />
und städtischer Form gefunden werden<br />
(Aschwanden, 2012).<br />
Um herauszufinden, wie Menschen sich im <strong>Stadt</strong>raum<br />
bewegen und wie wir unseren Lebensraum<br />
nutzen, untersucht <strong>der</strong> <strong>Stadt</strong>planer Jan Gehl als<br />
Vorreiter bereits seit den 1960er Jahren das<br />
menschliche Verhalten. Er kommt zu dem Schluss,<br />
dass es notwendige Aktivitäten, freiwillige Aktivitäten<br />
und soziale Aktivitäten gibt. Er fand heraus,<br />
dass sich die Häufigkeit <strong>der</strong> notwendigen Aktivitäten<br />
nicht steigert, wenn die gebaute Umwelt eine<br />
hohe Qualität aufweist. Das leuchtet ein. Einkäufe<br />
und Besorgungen sind nicht davon abhängig, wie<br />
wohl wir uns in <strong>der</strong> <strong>Stadt</strong> fühlen. Einen signifikanten<br />
Anstieg gibt es dagegen bei den freiwilligen<br />
und sozialen Aktivitäten. <strong>Die</strong>se finden nur in Lebensräumen<br />
mit hoher Qualität statt (2015: 23).<br />
Nimmt man hinzu, dass die Qualität <strong>der</strong> gebauten<br />
Umwelt zwar nicht die Häufigkeit <strong>der</strong> notwendigen<br />
Aktivitäten erhöhen, wohl aber die Verkehrsmittelwahl<br />
verän<strong>der</strong>n kann, wird deutlich welch enormes<br />
gesundheitsför<strong>der</strong>ndes Potential den planenden<br />
Disziplinen innewohnt.<br />
Architektur und Wohlbefinden<br />
In <strong>der</strong> Architekturpsychologie, <strong>der</strong> Lehre vom Verhalten<br />
und Erleben des Menschen in <strong>der</strong> räumlichen<br />
Umwelt, weist Flade in ihren Publikationen darauf<br />
hin, dass die gebaute Umwelt wesentlicher Faktor<br />
zum psychischen Wohlbefinden und damit <strong>der</strong><br />
Gesundheit ist. Ungünstige Wohnbedingungen, die<br />
Stress auslösen, führen im Laufe <strong>der</strong> Zeit zu psychosomatischen<br />
und psychischen Erkrankungen<br />
(Evans & Stecker, 2004). Auf den positiven Einfluss<br />
einer guten Wohnqualität auf die psychische Gesundheit<br />
weisen Evans, Wells, Chan und Saltzman<br />
hin (Evans, Wells, Chan, & Saltzman, 2000).<br />
Experimente in den USA haben gezeigt, dass<br />
Menschen vor den gefrosteten Glasscheiben <strong>der</strong><br />
Shoppingmalls schneller gehen, weil sie sich dort<br />
scheinbar unbehaglich fühlen (Montgomery 2014).<br />
In Seattle hat ein Versuch gezeigt, dass sich die<br />
Menschen vor solchen Fassaden im Vergleich zu<br />
offenen Nutzungen, wie z.B. ein Café, unsozialer<br />
verhalten (ebd.). Eine Studie aus Kopenhagen er-
gibt, dass vor abwechslungsreich gestalteten Fassaden,<br />
vor weichen Übergängen zwischen öffentlichem<br />
Raum und Gebäude, bis zu siebenmal mehr<br />
Aktivitäten stattfinden (Gehl 2006).<br />
Jan Gehl bezeichnet diese Phänomene als Randeffekt.<br />
Je weicher die Übergänge zwischen Gebäude<br />
und öffentlichem Raum sind, desto aktiver<br />
wird <strong>der</strong> Raum davor genutzt. Eine weitere Studie<br />
von Gehl in Melbourne spricht von <strong>der</strong> zwei- bis<br />
dreifachen Anzahl an sozialen Kontakten, wenn<br />
Wohnsiedlungen weiche Übergänge (Vorgärten)<br />
besitzen (1977).<br />
Das Zusammenspiel von Innen und Außen eines Gebäudes<br />
thematisieren auch Huttner et. al und zeigen<br />
auf, dass die technische Komponente einer Fassade<br />
immer auch Auswirkungen auf das Mikroklima<br />
im Umfeld hat. Sie fanden heraus, dass die stark reflektierenden<br />
Materialien und Farben, die <strong>der</strong>zeit verwendet<br />
werden, den Kühlbedarf von Gebäuden zwar<br />
senken, aber auch gleichzeitig zu einer Verschlechterung<br />
des thermischen Komforts im Außenbereich<br />
führen (Huttner, Bruse, Dostal, & Katzschner, 2009).<br />
Der Kompass: Human Centered Design<br />
Bedingt durch die lange Haltbarkeit räumlicher<br />
Infrastrukturen und die Allgegenwärtigkeit räumlicher<br />
Einflussfaktoren ist eine gesundheitsför<strong>der</strong>nde<br />
Gestaltung von Räumen im Sinne eines Human<br />
Centered Design beson<strong>der</strong>s geeignet, nachhaltig<br />
Wohlergehen zu för<strong>der</strong>n und Gesundheitskosten<br />
zu minimieren. Gleichzeitig kann <strong>der</strong> Fokus auf die<br />
menschlichen Sinne, ein angenehmes Mikroklima<br />
und die För<strong>der</strong>ung des Aufenthalts im <strong>Stadt</strong>raum ein<br />
Kompass für die planenden DIsziplinen sein. <strong>Die</strong>ser<br />
Kompass ist die Grundvoraussetzung für eine resiliente<br />
und damit nachhaltige gebaute Umwelt.<br />
<strong>Die</strong> planenden Disziplinen sind nun angehalten sehr<br />
genau darauf zu achten, ob mit <strong>der</strong> Digitalisierung<br />
die Bezugsgröße Mensch in <strong>der</strong> Planung, nach <strong>der</strong><br />
Industrialisierung und <strong>der</strong> autogerechten <strong>Stadt</strong> ein<br />
weiteres Mal verlassen wird. So dass in <strong>der</strong> Folge<br />
ein weiteres Mal Lebensräume entstehen, die nicht<br />
o<strong>der</strong> nur bedingt für Menschen geeignet sind. Der<br />
Mensch als Bezugsgröße hingegen würde die planenden<br />
Disziplinen wie<strong>der</strong> in die Lage versetzen,<br />
vorausschauend und nachhaltiger zu planen. Im<br />
Gegensatz zu den vorhergesagten Trends und Weiterentwicklungen<br />
verän<strong>der</strong>n sich unsere Sinne und<br />
Fähigkeiten nicht. Wir werden auch morgen noch<br />
gleich groß sein, in <strong>der</strong> selben Geschwindigkeit gehen<br />
und genauso weit gucken können.<br />
B.A. Marcel Cardinali<br />
<strong>urbanLab</strong> - Koordination Forschung<br />
koordiniert als Wissenschaftlicher Mitarbeiter im <strong>urbanLab</strong> an <strong>der</strong><br />
Hochschule OWL die Forschungs- und Projektarbeit. Bereits seit seiner<br />
mit dem Preis <strong>der</strong> <strong>Stadt</strong> Detmold ausgezeichneten Bachelorthesis<br />
„Netzwerk“ beschäftigt er sich mit den Auswirkungen von gebautem<br />
Raum auf die menschliche Umwelt und plädiert für eine soziale<br />
Architektur, die ihre Verantwortung für den menschlich geformten<br />
Lebensraum ernst nimmt. Neben seiner Tätigkeit im <strong>urbanLab</strong> studiert<br />
er im Master Städtebau NRW in Köln.<br />
31<br />
Gesunde <strong>Stadt</strong> - STATEMENTE URBANLAB<br />
Abraham, A., Sommerhal<strong>der</strong>, K., Bolliger-Salzmann, H., & Abel, T. (2007, April): Landschaft und Gesundheit. Das Potential einer Verbindung<br />
zweier Konzepte. Universität Bern. Abteilung Gesundheitsforschung.<br />
Aschwanden, G. (2012): Agent-Based Social Pedestrian Simulation for the Validation of Urban Planning Recommendations. Gehalten auf <strong>der</strong> SIGRADI.<br />
Evans, G. W., & Stecker, R. (2004): Motivational consequences of environmental stress. Journal of Environmental Psychology, 24(2), 143–165.<br />
(abgerufen am 24.07.<strong>2017</strong>)<br />
Evans, G. W., Wells, N. M., Chan, H.-Y. E., & Saltzman, H. (2000): Housing quality and mental health. Journal of Consulting and Clinical Psychology,<br />
68(3), 526–530. (abgerufen am 24.07.<strong>2017</strong>)<br />
Flade, A. (2008): Architektur psychologisch betrachtet. Bern: Huber.<br />
Frumkin, H. (2005): Health, Equity, and the Built Environment (Guest Editorial). Environmental Health Perspectives, 113(5), A290–A291.<br />
Gehl, J. (1977): The Interface Between Public and rivate Territories in Residential Areas. Melbourne 1977<br />
Gehl, J. (2006): Close Encounters with Buildings. In: Urban Design International, Nr. 1 (2006), S.29-47<br />
Gehl, J. (2015): Städte für Menschen. Berlin: Jovis.<br />
Jokusch, P. (1996): Gebrauchsarchitektur. In Ökologische Psychologie. Ein Handbuch in Schlüsselbegriffen (2. Aufl., S. 601–607). Weinheim: Beltz PVU.<br />
Körner, S., Nagel, A., & Bellin-Har<strong>der</strong>, F. (2008, September): Grün und Gesundheit. Literaturstudie. Universität Kassel, Fachgebiet Landschaftsbau/Vegetationstechnik.<br />
Montgomery (2014): Seattle - The happy city experiment | Charles Montgomery | TEDxVancouver<br />
Richter, P. G. (Hrsg.). (2008): Architekturpsychologie: Eine Einführung (3. überarb. u. erw. Aufl.). Lengerich: Pabst Science Publishers.<br />
Ulrich, R. (1984): View through a window may influence recovery from surgery. Science, 224(4647), 420–421. <br />
(abgerufen am 24.07.<strong>2017</strong>)<br />
Ulrich, R., Simons, R. F., Losito, B. D., Fiorito, E., Miles, M. A., & Zelson, M. (1991): Stress recovery during exposure to natural and urban environments.<br />
Journal of Environmental Psychology, 11(3), 201–230. (abgerufen am 24..07.<strong>2017</strong>)<br />
World Health Organization (Hrsg.). (2014): WHO World Health Statistics 2014. <br />
(abgerufen am 24.07.<strong>2017</strong>)
Benjamin Dally<br />
32<br />
Gesunde <strong>Stadt</strong> - REALLABOR<br />
Je<strong>der</strong> möchte etwas bewegen<br />
Reallabor Detmol<strong>der</strong> Lastenrad<br />
Wer einmal Lastenrad gefahren ist möchte nie wie<strong>der</strong> „Lasten“ auf an<strong>der</strong>e Art<br />
und Weise durch die <strong>Stadt</strong> transportieren. Das Projekt „Detmol<strong>der</strong> Lastenrad“<br />
(dela) will noch mehr Menschen von Lastenrä<strong>der</strong>n begeistern und bietet seit<br />
<strong>2017</strong> Lastenrä<strong>der</strong> zur Ausleihe an. Für den Kooperationspartner <strong>urbanLab</strong> ist<br />
dela ein Reallabor zur Entwicklung innovativer Mobilitätskonzepte.<br />
Foto: Benjamin Dally<br />
Fahrradfahren macht Spaß und im städtischen Umfeld ist das<br />
Rad häufig das schnellste und komfortabelste Verkehrsmittel.<br />
Das entdecken auch immer mehr Verkehrsteilnehmer: in<br />
Deutschland steigt <strong>der</strong> Anteil <strong>der</strong> Fahrradfahrten und in <strong>der</strong><br />
Vorbildstadt Kopenhagen wird bereits je<strong>der</strong> zweite Arbeitsweg<br />
mit dem Fahrrad zurückgelegt. Aber auch wer häufig<br />
Kin<strong>der</strong>, größere Einkäufe o<strong>der</strong> Arbeitsgeräte transportieren<br />
will muss nicht gleich Auto fahren, son<strong>der</strong>n findet die Lösung<br />
im wachsenden Markt für Lastenrä<strong>der</strong>.<br />
Freie Lastenrä<strong>der</strong><br />
Wer sich ein Lastenrad nicht sofort selber kaufen möchte<br />
o<strong>der</strong> zuhause keinen Platz für die sichere Abstellung hat<br />
findet in immer mehr Großstädten „freie Lastenrä<strong>der</strong>“: Verleihsysteme<br />
für Lastenrä<strong>der</strong>, betrieben von lokalen Initiativen.<br />
<strong>Die</strong> freien Lastenrä<strong>der</strong> reihen sich ein in das wachsende Angebot<br />
alternativer Mobilitätsangebote und geteilter Mobilität<br />
wie Carsharing o<strong>der</strong> Fahrradverleihsysteme. <strong>Die</strong> Gesamtheit<br />
des Angebotes aus Fuß- und Radverkehr, Bus und Bahn<br />
sowie Sharingangeboten ermöglicht „multimodales Verkehrsverhalten“:<br />
genutzt wird das Verkehrsmittel, das gerade<br />
je nach aktuellem Bedarf am billigsten, schnellsten o<strong>der</strong><br />
komfortabelsten ist. Auf ein eigenes Auto kann hingegen gut<br />
verzichtet werden. Und weil gerade Autobesitz dazu verleitet,<br />
das eigene Auto viel zu bewegen und die Alternativen links<br />
liegen zu lassen, werden solche Lastenrad- und Sharingangebote,<br />
die echte Alternativen zum eigenen PKW schaffen,<br />
von <strong>Stadt</strong>- und Verkehrsplanern erfreut aufgenommen.<br />
„dela“: Ein Lastenrad für Detmold<br />
„Ein Lastenrad-Angebot wollen wir auch in Detmold“ haben<br />
sich Aktive von fünf Detmol<strong>der</strong> Initiativen (BUND Kreis Lippe,<br />
Lippe im Wandel, ADFC Kreis Lippe, Peter Gläsel Stiftung,<br />
Forschungsschwerpunkt <strong>urbanLab</strong>) beim „Lab of the Region“<br />
2015 (siehe Seite 56) gesagt. Eine <strong>Stadt</strong> von <strong>der</strong> Größe<br />
Detmolds eignet sich hervorragend fürs Fahrradfahren, gerade<br />
rund um den mittelalterlichen <strong>Stadt</strong>kern ist man mit dem<br />
Rad oft auch schneller unterwegs als mit an<strong>der</strong>en Verkehrsmitteln.<br />
Durch die <strong>Stadt</strong>größe, das für eine Mittelstadt von <strong>der</strong><br />
Größe Detmolds gute Busangebot, ein bereits existierendes
Carsharing-Angebot und den attraktiven Bahnhof mit Radstation<br />
bietet die <strong>Stadt</strong> bereits gute Voraussetzungen für ein<br />
Leben ohne eigenes Auto.<br />
<strong>Die</strong> Arbeit in <strong>der</strong> Projektgruppe ging schnell voran, Sponsoren<br />
konnten ebenso gefunden werden wie ein erster interessierter<br />
Standortbetreiber für das Lastenrad. Im Sommer<br />
2016 wurde ein För<strong>der</strong>antrag im Programm „Kurze Wege für<br />
den Klimaschutz“ im Rahmen <strong>der</strong> Nationalen Klimaschutzinitiative<br />
gestellt und im Frühjahr <strong>2017</strong> bewilligt. Der konkrete<br />
Betrieb bedarf einiger Vorarbeit: AGBs müssen ausgearbeitet<br />
werden, Versicherungsangebote eingeholt werden, eine<br />
Website aufgebaut werden o<strong>der</strong> ein Ausleihproze<strong>der</strong>e entwickelt<br />
werden. Eine große Hilfe hierbei ist das bundesweite<br />
Netzwerk freier Lastenrä<strong>der</strong>.<br />
Auch eine Entscheidung für ein konkretes Lastenradmodell<br />
musste fallen: das dela-Team entschied sich für das Packster<br />
von Riese und Müller, angesichts <strong>der</strong> Topographie in Detmold<br />
natürlich elektrisch unterstützt. Bislang ist die Projektgruppe<br />
mit dem Lastenrad äußerst zufrieden.<br />
Zum 23.6. war es soweit: das erste Lastenrad „dela“ steht bei<br />
einem örtlichen Bioladen zur Ausleihe bereit. <strong>Die</strong> ersten Nutzer<br />
sind eine 30 Personen starke „Testfahrer“-Gruppe, die die<br />
Ausleihprozesse, das Buchungssystem und auch den täglichen<br />
Betrieb des Lastenrads auf Herz und Nieren überprüfen.<br />
Richtig los geht es ab dem Frühjahr 2018 mit einem größeren<br />
Nutzerkreis und mit einem zweiten Lastenrad, für den<br />
noch ein Ausleihort gefunden werden muss. Hierbei denkt<br />
die Projektgruppe an Standorte in <strong>der</strong> Innenstadt von Detmold<br />
o<strong>der</strong> den Wohnvororten <strong>der</strong> <strong>Stadt</strong>, möglich wäre auch<br />
ein wechseln<strong>der</strong> Standort. Mit dem Auslaufen des Projektes<br />
2019 muss sich <strong>der</strong> Betrieb, also vor allem die Wartung, des<br />
bislang kostenlosen Lastenfahrrads durch Spenden selbst<br />
tragen. Mit einer aktiven Nutzergruppe lassen sich aber möglicherweise<br />
auch weitere Lastenrä<strong>der</strong> anschaffen.<br />
Zielsetzung<br />
Was können wir für Sie tun?<br />
Was können Sie für uns tun?<br />
Sie wohnen in Detmold: Werden Sie dela-Nutzer! Vernetzen<br />
Sie sich mit uns! Kaufen Sie sich ein Lastenrad!<br />
Sie sind Gewerbetreiben<strong>der</strong> in Detmold: Probieren Sie<br />
aus, wie ein Lastenrad Ihre Fahrzeugflotte erweitern kann!<br />
Werden Sie Ausleihstandort für dela (ab Frühjahr 2018)!<br />
Sie sind nicht aus Detmold, aber begeistert: Im Sinne eines<br />
Informationsaustauschs tritt das <strong>urbanLab</strong> und die dela-Projektgruppe<br />
gerne mit Ihnen in Kontakt!<br />
Du bist Student an <strong>der</strong> Hochschule OWL: auch <strong>der</strong> AStA<br />
verleiht am Campus Detmold ein Lastenrad!<br />
Weblinks<br />
www.dela.bike<br />
http://lastenrad.vcd.org/startseite/<br />
http://www.dein-lastenrad.de/<br />
https://www.klimaschutz.de/<br />
http://www.lz.de/lippe/detmold/21793017_Detmold-verfuegt-ab-sofort-ueber-ein-Lastenrad.html<br />
http://www.hs-owl.de/fb1/forschung/urbanlab/veranstaltungen/<br />
regionaler-salon/lokale-gemeinschaftsmobilitaet.html<br />
Eine Kooperation von:<br />
33<br />
Gesunde <strong>Stadt</strong> - REALLABOR<br />
Mit dela wollen die beteiligten Initiativen und Ehrenamtlichen<br />
ein neues Mobilitätsangebot in Detmold schaffen, das<br />
klimaneutral, nachhaltig und günstig ist und die Fahrradnutzung<br />
in Detmold weiter voranbringt. Das Lastenrad soll<br />
nicht nur als Sharing-Angebot einen Beitrag leisten, son<strong>der</strong>n<br />
auch die Möglichkeit geben, auszuprobieren, ob nicht<br />
die Anschaffung eines privaten Lastenrades eine gute Alternative<br />
ist. Auch für viele Gewerbetreibende ist ein Lastenrad<br />
genau das richtige, die Lastenradinitiative informiert<br />
gerne mögliche Interessenten.<br />
Der Forschungsschwerpunkt <strong>urbanLab</strong> ist Ideengeber und<br />
seit Start <strong>der</strong> Initiative stolzes Mitglied <strong>der</strong> dela-Projektgruppe.<br />
Das 1:1-Projekt Leih-Lastenrad gibt die Möglichkeit, im<br />
Sinne eines Reallabors innovative Mobilitätsprojekte aus<br />
den Metropolen zu übertragen, weiterzuentwickeln und<br />
die Umsetzung zu begleiten und evaluieren. Auch die Zusammenarbeit<br />
von lokalen Akteuren und Ehrenamtlichen<br />
ist ein spannendes Forschungsfeld, Projekte wie freie Lastenrä<strong>der</strong><br />
o<strong>der</strong> Dorfautos spielen eine wichtige Rolle für die<br />
Weiterentwicklung und Ergänzung des Mobilitätsangebotes<br />
(vgl. auch Regionaler Salon vom April 2015 „Lokale Gemeinschaftsmobilität“).<br />
Geför<strong>der</strong>t durch:<br />
Kontakt:<br />
<strong>urbanLab</strong> / Hochschule OWL<br />
Projektkoordination Benjamin Dally<br />
benjamin.dally(at)hs-owl.de<br />
Bundesland/Ort
Benjamin Dally<br />
34<br />
Gesunde <strong>Stadt</strong> - REALLABOR<br />
Haushebung in Überschwemmungsgebieten<br />
am Beispiel des Elbe-Dorfes Brockwitz<br />
Bedingt durch den anthropogenen Klimawandel wird es zu einer größeren<br />
Zahl extremer Unwetter kommen. Für Siedlungen entlang <strong>der</strong> Flüsse führt<br />
dies zu einer steigenden Bedrohung durch Überschwemmungen. Nicht<br />
immer lassen sich die Siedlungen durch konventionelle Hochwassermaßnahmen<br />
wie Deiche schützen – o<strong>der</strong> diese Maßnahmen sind aus wirtschaftlichen,<br />
technischen, stadtgestalterischen o<strong>der</strong> freiraumplanerischen<br />
Gründen nicht opportun. Am Beispiel des Ortes Brockwitz wird im Rahmen<br />
des Forschungsprojektes HueBro untersucht, wie die aus dem Bergbau stammende<br />
Technik <strong>der</strong> Haushebung zum Hochwasserschutz beitragen kann.<br />
Im Forschungsprojekt „Haushebung in Ueberschwemmungsgebieten<br />
am Beispiel des Elbe-Dorfes Brockwitz“<br />
(HueBro) forscht das <strong>urbanLab</strong> seit April <strong>2017</strong> gemeinsam<br />
mit Partnern zur Haushebung als Instrument des Hochwasserschutzes.<br />
Geför<strong>der</strong>t durch das Bundesumweltministerium<br />
als Modellprojekt für innovative Maßnahmen im Umgang mit<br />
dem Klimawandel wird untersucht, wie die aus dem Bergbau<br />
stammende Methode <strong>der</strong> Haushebung für Gebäude und<br />
Siedlungen an Flüssen verwendet werden kann. Brockwitz,<br />
ein Ortsteil <strong>der</strong> sächsischen <strong>Stadt</strong> Coswig, etwas unterhalb<br />
von Dresden an <strong>der</strong> Elbe gelegen, ist aufgrund seiner spezifischen<br />
Problemstellungen Beispielkommune: seit 2013<br />
mehrmals von Hochwassern betroffen ist eine Abdeichung<br />
aufgrund des im weiten Elbvorland liegenden Lockwitzbaches,<br />
hier verlaufen<strong>der</strong> technischer Infrastrukturen und<br />
des hohen freiraumplanerischen Wertes des Vorlandes nur<br />
schwer möglich. Es ist daher zu untersuchen, ob eine Hebung<br />
<strong>der</strong> Häuser an <strong>der</strong> Nie<strong>der</strong>seite des Ortes wirtschaftlicher<br />
und aus Sicht des Hochwasserschutzes, <strong>der</strong> Orts- und<br />
Freiraumplanung und <strong>der</strong> Belange <strong>der</strong> Anwohner verträglicher<br />
ist. Aus den Untersuchungen in Brockwitz werden anschließend<br />
Leitlinien für vergleichbare Projekte entwickelt.<br />
Das <strong>urbanLab</strong> führt das interdisziplinäre Projekt HueBro<br />
gemeinsam mit seinen Forschungspartnern (siehe Infokasten)<br />
durch und übernimmt die Arbeitspakete Orts- und<br />
Freiraumplanung. <strong>Die</strong>s umfasst auch einen Planungsworkshop<br />
mit den Bewohnern von Brockwitz zum Jahreswechsel<br />
<strong>2017</strong>/2018. An <strong>der</strong> Hochschule OWL sind weiterhin die<br />
Forschungsschwerpunkte nextPlace (Datenbasierte Ortsbild-Analyse)<br />
und ConstructionLab (Gebäudetypologien und<br />
Hebungsverfahren, Baukonstruktion und Gebäudetechnik)<br />
beteiligt. An <strong>der</strong> Hochschule OWL sind die Professoren Dr.<br />
Axel Häusler, Michel Melenhorst, Dr. Uta Pottgiesser und Kathrin<br />
Volk in das Projekt involviert.<br />
Kontakt:<br />
ConstructionLab, <strong>urbanLab</strong>, nextPlace<br />
HS OWL Projektkoordination: Prof. Michel Melenhorst<br />
michel.melenhorst(at)hs-owl.de<br />
HUe Bro<br />
Haushebung in Ueberschwemmungsgebieten am Beispiel des Elbe-Dorfes Brockwitz<br />
Projektname: HUeBro - Haushebung in<br />
Ueberschwemmungsgebieten am Beispiel<br />
des Elbe-Dorfes Brockwitz<br />
För<strong>der</strong>mittelgeber: Bundesministerium für Umwelt,<br />
Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit (För<strong>der</strong>linie:<br />
För<strong>der</strong>ung von Maßnahmen zur Anpassung an den<br />
Klimawandel)<br />
Laufzeit: 04/<strong>2017</strong> - 03/2019<br />
ConstructionLab<br />
Projektpartner:<br />
• Technische Universität Dresden, Institut für<br />
Hydrologie und Meterorologie (IHM),<br />
• Technische Hochschule Nürnberg GSO, Labor<br />
für Wasserbau (LWN) (Projektkoordination)<br />
• Leibniz-Institut für ökologische<br />
Raumentwicklung (IÖR),<br />
• Technische Universität Dresden, Insitut für<br />
Baugeschichte, Architekturtheorie und<br />
Denkmalpflege (IBAD)<br />
• <strong>Stadt</strong> Coswig
a project by<br />
ein Projekt von<br />
هذا المشروع برعاية<br />
یك پروژه توسط<br />
وطن بساز Heimatwerker<br />
بناة الوطن Homeworker<br />
Detmol<strong>der</strong> Schule für Architektur<br />
und Innenarchitektur
Dr. Jörg Hüttermann<br />
36<br />
Soziale <strong>Stadt</strong> - KEYNOTE<br />
Segregation, Angst und Konflikt in deutschen Städten<br />
Der vorliegende Artikel nimmt eine konfliktsoziologische Perspektive ein, um die<br />
Frage zu beantworten, ob und inwieweit sozialstrukturelle und ethnische Segregation<br />
hierzulande den Ausbruch gewaltförmiger Intergruppenkonflikte in Städten<br />
bewirken können. Indem <strong>der</strong> Autor zum einen grundsätzliche konfliktsoziologische<br />
Erkenntnisse zum Problemnexus von Segregation und Konflikt referiert<br />
und zum an<strong>der</strong>en auch empirische Befunde zur Segregation in urbanen Räumen<br />
anführt, tritt er dafür ein, übertriebenen Ängsten und den kursierenden Zerfallsszenarien<br />
entgegenzutreten. Dessen ungeachtet spricht seiner Auffassung nach<br />
dennoch einiges dafür, das Fortschreiten <strong>der</strong> Segregation zu stoppen; denn Segregation<br />
in urbanen Räumen hat unerwünschte Nebenfolgen, die durch die Konfliktdebatte<br />
zu unrecht aus dem öffentlichen Bewusstsein verdrängt werden.<br />
Abbildung 1 : Harlem 1970<br />
Segregation und Angst<br />
In den 80er und 90er Jahren des letzten Jahrhun<strong>der</strong>ts<br />
beginnt die Öffentlichkeit in <strong>der</strong> Bundesrepublik<br />
den Zusammenhang von Migration und Gesellschaft<br />
mit an<strong>der</strong>en Augen zu betrachten. In diesem Zeitraum<br />
werden aus vermeintlichen „Gastarbeitern“ sogenannte<br />
„Mitbürger“ (vor allem nichtmuslimische Gastarbeiternachfahren)<br />
und „Fremde“ (vor allem muslimische<br />
Gastarbeiternachfahren) (vgl. Hüttermann 2011). Zugleich<br />
nimmt sich die Gesellschaft immer weniger als<br />
„Gastgeber“ son<strong>der</strong>n als Einwan<strong>der</strong>ungsland wahr –<br />
ein Land, das mit Problemen und Konflikten <strong>der</strong> Integration<br />
konfrontiert ist, die den Lebensalltag nachhaltig<br />
verän<strong>der</strong>n. In dieser Phase wird auch das Thema Segregation<br />
neu gerahmt. Hat man das Segregationsthema<br />
zuvor vornehmlich als einen Aspekt <strong>der</strong> beinahe schon<br />
traditionellen sozialen Frage des Industriekapitalismus<br />
betrachtet und es als auf den Wohnort bezogene Materialisierung<br />
sozialer Ungleichheit und Ungerechtigkeit<br />
begriffen, so wird Segregation jetzt auch als Ausdruck<br />
von nicht min<strong>der</strong> problematisch erscheinenden,<br />
unüberbrückbaren Kulturdifferenzen verstanden. Vor<br />
dem Hintergrund <strong>der</strong> verän<strong>der</strong>ten Problemwahrnehmung,<br />
verbreitet sich die Ansicht, dass die gewohnten<br />
wohlfahrtsstaatlichen Maßnahmen nicht hinreichen,<br />
um mit <strong>der</strong> neuen Problemlage fertig zu werden. Wissenschaft<br />
und Medien läuten die Alarmglocken. „Auslän<strong>der</strong><br />
und Deutsche: Gefährlich fremd. Das Scheitern<br />
<strong>der</strong> multikulturellen Gesellschaft“, lautet beispielsweise<br />
ein Titel <strong>der</strong> „Spiegel-Ausgabe“ (vgl. 16/1997). Der<br />
darin enthaltene mit „Zeitbomben in den Vorstädten“<br />
überschriebene Leitartikel behandelt das vermeintlich<br />
verhängnisvolle Zusammenspiel von Migration, Deindustrialisierung,<br />
Ungleichheit, Kriminalität, Fanatismus<br />
und residenzieller Segregation. Er hält fest, dass „im-
mer mehr Türken <strong>der</strong> zweiten und dritten Generation<br />
[auf Deindustrialisierung und Arbeitslosigkeit] mit einer<br />
Art Selbstghettoisierung [reagieren].“ <strong>Die</strong> Autoren warnen<br />
schließlich in den Worten des Konfliktsoziologen<br />
Wilhelm Heitmeyers vor <strong>der</strong> Gefahr <strong>der</strong> „Ethnisierung<br />
sozialer Konflikte“. <strong>Die</strong> Titelbildmontage geht noch einen<br />
Schritt weiter. Sie nimmt Anleihen bei Eugène Delacroixs<br />
Gemälde La liberté guidant le peuple (1830),<br />
das längst zum Kanon des deutschen Geschichtsunterrichts<br />
über die französische Revolution gehörte, und<br />
beschwört so die historische Angst <strong>der</strong> Deutschen vor<br />
revolutionären Unruhen und Zwietracht.<br />
Betrachtet man diesen für die Entwicklung des Diskurses<br />
über Migration und Segregation in Deutschland<br />
bedeutsamen Artikel, so fällt auf, dass er die in <strong>der</strong><br />
Nachkriegszeit etablierte und wohl nicht nur aus den<br />
USA importierte Angst <strong>der</strong> deutschen Öffentlichkeit vor<br />
dem Entstehen vermeintlich „fremdrassiger“ Elendsquartiere<br />
mit <strong>der</strong> hierzulande historisch verwurzelten<br />
Furcht vor Religionskriegen und Revolutionsängsten<br />
kombiniert. <strong>Die</strong> mit dem afroamerikanischem Ghetto<br />
assoziierten Schrecken von Armut, Anomie, Gang-Kriminalität,<br />
Teenagerschwangerschaften, Gewalt, Drogenkonsum,<br />
organisierte Kriminalität sowie Krankheit<br />
und <strong>der</strong> Schrecken des Krieges werden im Zerfallsnarrativ<br />
des Spiegel zu etwas Größerem addiert, das mehr<br />
ist als die Summe seiner Teile. Interessanterweise verzichten<br />
die Autoren des Spiegelartikels im Jahre 1997<br />
noch darauf, den von Wilhelm Heitmeyer geprägten<br />
Begriff <strong>der</strong> Parallelgesellschaft zur Benennung dieses<br />
Größeren zu verwenden. Denn Heitmeyer hatte ihn damals<br />
noch für religiös-nationalistische Organisationen<br />
Türkeistämmiger Migranten reserviert. Darüber hinaus<br />
hat er ihn eher intuitiv als analytisch benutzt. Doch im<br />
Gefolge <strong>der</strong> nun aufbrandenden öffentlichen Debatte<br />
wurde <strong>der</strong> Begriff seinem Schöpfer gewissermaßen<br />
entrissen, um das beinahe apokalyptische Szenario<br />
des vermeintlich gescheiterten Multikulturalismus auf<br />
einen geflügelten Begriff zu bringen. In den Augen <strong>der</strong><br />
verän<strong>der</strong>ten öffentlichen Wahrnehmung beschreibt <strong>der</strong><br />
Begriff „Parallelgesellschaft“ dann so etwas wie ein rhizombildendes<br />
soziales Gewächs, welches das ihm ursprünglich<br />
zugedachte Territorium (Ghetto) verlässt, um<br />
über es hinauszuwachsen, sich überörtlich zu vernetzen<br />
und schließlich eine Art fünfte Kolonne des globalen<br />
politischen Islam auszubilden. In seinem Verhältnis zur<br />
Mehrheitsgesellschaft schlägt all dies dann in einen<br />
permanenten Landfriedensbruch um.<br />
Bei allen Problemen, die es hierzulande in <strong>der</strong> Interaktion<br />
zwischen Menschen mit und ohne Migrationshintergrund<br />
gegeben hat, gibt es einstweilen aber keine wissenschaftlich<br />
belastbaren Befunde, welche die Angst<br />
vor segregationsbedingten gewaltförmigen Intergruppenkonflikten<br />
o<strong>der</strong> vor segregationsbedingten Gewaltausbrüchen<br />
rechtfertigen könnten, wie sie in den USA<br />
o<strong>der</strong> in Frankreich erfolgt sind. Den ersten Anhaltspunkt<br />
für diese Entwarnungshypothese liefert schon<br />
die Tatsache, dass Bürgerprotest und Konflikte wegen<br />
<strong>der</strong> Ansiedlung von Geflüchteten in Deutschland nicht<br />
primär in den Großstädten eskalieren, son<strong>der</strong>n sich<br />
eher in ländlich-provinziellen Regionen entzünden, dort<br />
also, wo die Diversität <strong>der</strong> Einwan<strong>der</strong>ungsgesellschaft<br />
bislang kaum erlebbar war und dort, wo von migrationsbezogener<br />
Segregation mangels Masse und angesichts<br />
kleinstädtischer Siedlungsstrukturen kaum die<br />
Rede sein kann. Dass die Angst vor den bisherigen<br />
Ausmaßen sozialstrukturelle und ethnischer Segregation,<br />
wie wir sie hierzulande kennen, übertrieben ist, wird<br />
aber auch deutlich, wenn man sich einige grundsätzliche<br />
Zusammenhänge über das Verhältnis von Segregation<br />
und Konflikt vor Augen hält und dabei schließlich<br />
auch auf internationale Erfahrungen rekurriert.<br />
Segregation und Konflikt:<br />
Grundsätzliche Zusammenhänge<br />
Allgemein betrachtet ist Segregation ein Prozess <strong>der</strong><br />
Entmischung und <strong>der</strong> räumlichen Aufteilung sozialer<br />
Akteure gemäß bestimmter Eigenschaften. Alle nur<br />
erdenklichen zugeschriebenen Eigenschaften von<br />
Personen können auf den unterschiedlichsten Interaktionsfel<strong>der</strong>n<br />
<strong>der</strong> Gesellschaft (Sport, Heiratsmarkt, Arbeitsleben<br />
etc.) zum Anlass genommen werden, Entmischung<br />
und Polarisierung hervorzubringen. Wenn aber<br />
von Segregation in urbanen Räumen die Rede ist, dann<br />
ist in <strong>der</strong> Regel die Entmischung <strong>der</strong> Wohnortwahl bzw.<br />
des Wohnens angesprochen – mithin die residenzielle<br />
Segregation. Im Vor<strong>der</strong>grund stehen dabei Entmischungsprozesse,<br />
die gemäß sozialstrukturellem Status<br />
(Einkommen, Beruf und Bildung) und/o<strong>der</strong> gemäß<br />
Migrationshintergrund (Ethnizität/Staatsbürgerschaft)<br />
erfolgen. In angelsächsischen Län<strong>der</strong>n kommt schließlich<br />
noch das Entscheidungsmerkmal „Race“ hinzu.<br />
Schaut man sich nun den Zusammenhang zwischen<br />
sozialstruktureller Segregation und Konflikten zwischen<br />
urbanen Gruppen am Beispiel US-amerikanischer<br />
Großstädte an, dann zeigt sich, dass es keinen<br />
direkten Zusammenhang zwischen sozialstrukturell<br />
bedingter Segregation und <strong>der</strong> Genese gewaltsamer<br />
Konflikte gibt. Vergleicht man etwa die zehn höchstsegregierten<br />
US-amerikanischen Großstädte bzw.<br />
Metropolregionen mit den zehn am geringsten sozialstrukturell<br />
segregierten Großstädten (vgl. Florida<br />
2015) unter dem Gesichtspunkt, ob dort im 20. o<strong>der</strong><br />
im 21. Jahrhun<strong>der</strong>t mindestens einmal massenhafte<br />
Rassengewalt („Mass Racial Violence“) stattgefunden<br />
hat o<strong>der</strong> nicht, dann wird deutlich, dass hoch und<br />
niedrigsegregierte Städte in den USA sich in dieser<br />
Hinsicht nicht voneinan<strong>der</strong> unterscheiden. Jeweils<br />
sechs von zehn Städten/Metropolregionen sind von<br />
entsprechenden Gewaltausbrüchen betroffen (eigene<br />
Recherche) – gleich ob sie relativ stark o<strong>der</strong> verhältnismäßig<br />
wenig segregiert sind. Geht man weiterhin<br />
davon aus, dass sozialstrukturelle und ethnische<br />
Segregation (bzw. Segregation gemäß „Race“) in den<br />
USA weitgehend miteinan<strong>der</strong> korrespondieren, dann<br />
ist anzunehmen, dass auch ethnische Segregation<br />
nicht per se zur Konflikteskalation führt. Daher müssen<br />
entwe<strong>der</strong> an<strong>der</strong>e als sozialstrukturelle und/o<strong>der</strong><br />
ethnische Segregation für die besagten Ereignisse<br />
kollektiver Gewalt ausschlaggebend gewesen sein,<br />
37<br />
Soziale <strong>Stadt</strong> - KEYNOTE
38<br />
Soziale <strong>Stadt</strong> - KEYNOTE<br />
o<strong>der</strong> diese an<strong>der</strong>en Faktoren müssen mit den zuerst<br />
genannten in irgendeiner Weise zusammengewirkt<br />
haben.<br />
Vor dem Hintergrund eigener Forschungen in urbanen<br />
Räumen <strong>der</strong> deutschen Einwan<strong>der</strong>ungsgesellschaft<br />
(vgl. Hüttermann 2006; 2010) und auf<br />
<strong>der</strong> Grundlage internationaler Forschungen (vgl.<br />
Horowitz 2001, Varshney) nimmt die mo<strong>der</strong>ne Konfliktforschung<br />
an, dass mehrere Strukturen, Prozesse<br />
und Ereignisse zusammenspielen müssen, um die<br />
Genese urbaner Intergruppenkonflikte zu erklären.<br />
Insbeson<strong>der</strong>e dann, wenn das Zusammenspiel solcher<br />
Faktoren lokalen Verschwörungstheorien bzw.<br />
Gerüchten über einen bevorstehenden Übergriff <strong>der</strong><br />
Gegenseite Nahrung gibt, verstärken sich stadtgesellschaftliche<br />
Konfliktpotenziale.<br />
Ein an<strong>der</strong>er Verstärkermechanismus greift dann, wenn<br />
Segregationsprozesse soziale Gruppen nicht nur auf<br />
einem einzigen Feld – etwa dem Wohnungsmarkt –<br />
voneinan<strong>der</strong> scheiden, son<strong>der</strong>n die gleichen Gruppen<br />
zur gleichen Zeit auch auf an<strong>der</strong>en lokalen Fel<strong>der</strong>n <strong>der</strong><br />
<strong>Stadt</strong>gesellschaft einan<strong>der</strong> gegenüberstehen. Wenn<br />
also homologe Segregationsprozesse neben dem<br />
Wohnungsmarkt zusätzlich auch im lokalen Schulsystem,<br />
im Freizeitbereich, auf dem örtlichen Heirats- und<br />
Flirtmärkten, in <strong>der</strong> organisierten Kriminalität, im lokalen<br />
Konsum und in <strong>der</strong> Lokalpolitik wirken und dadurch<br />
in vielen Bereichen des stadtgesellschaftlichen<br />
Intergruppenlebens homologe Gruppenkonstellationen<br />
entstehen, dann können Konfliktereignisse auf einem<br />
Interaktionsfeld schnell auch auf an<strong>der</strong>e Interaktionsfel<strong>der</strong><br />
übergreifen. Weil sich auf allen diesen Fel<strong>der</strong>n<br />
gleichförmige segregationsbedingte Intergruppenkonstellationen<br />
herausgebildet haben, können sich schon<br />
aus relativ geringem Anlass und ohne großen Mobilisierungsaufwand<br />
Fronten ausbilden die wie<strong>der</strong>um weitere<br />
Konfliktereignisse provozieren.<br />
Auch das schiere Tempo des lokalen sozialen Wandels<br />
mag eine Rolle für die Genese urbaner Intergruppenkonflikte<br />
spielen: Verän<strong>der</strong>n sich in einer <strong>Stadt</strong>gesellschaft<br />
durch Abstiegs– und Aufstiegsbewegungen<br />
sozialer Gruppen (im Verhältnis zu an<strong>der</strong>en sozialen<br />
Gruppen) schnell (etwa innerhalb einer Generation) die<br />
Hierarchien, so ist <strong>der</strong> Wechsel <strong>der</strong> Machtdifferenziale<br />
zwischen sozialen Gruppen unmittelbarer erlebbar, als<br />
in einer größeren, mehrere Generationen umfassenden<br />
Zeitspanne. <strong>Die</strong> Enttäuschungen auf <strong>der</strong> einen und die<br />
Überlegenheitsgefühle auf <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Seite speisen<br />
sich dann gewissermaßen aus relativ frischen Erfahrungen.<br />
Dahingegen bietet ein allmählicher sozialer Wandel<br />
im Verhältnis <strong>der</strong> Intergruppenbeziehungen und<br />
-hierarchien die Gelegenheit für Gewöhnungseffekte<br />
und das Abklingen von Emotionen, aus denen Konflikteskalationen<br />
schöpfen.<br />
Desweiteren spielt zumindest im Län<strong>der</strong>vergleich<br />
(z.B. Deutschland-Frankreich) <strong>der</strong> Bildungserfolg von<br />
Migrantengruppen eine gewisse Rolle. Denn je höher<br />
Zuwan<strong>der</strong>er und ihre Nachfahren gebildet sind, desto<br />
höher sind ihre Erwartungen mit Blick auf den eigenen<br />
beruflichen Erfolg. Weil etwa die relativ hohen<br />
Erwartungen <strong>der</strong> – im Vergleich zu Türkeistämmigen<br />
<strong>Stadt</strong>bewohnern Deutschlands – relativ gut ausgebildeten<br />
maghrebinischen Jugendlichen in Frankreich<br />
nicht erfüllt werden, kann dies immer wie<strong>der</strong> gewaltsame<br />
Protestbewegungen o<strong>der</strong> Angriffe gegen urbane<br />
Sündenböcke (z. B. französische Juden) o<strong>der</strong> Symbole<br />
generieren (vgl. Dubet 2002: 1180).<br />
Neben den genannten kommen noch viele an<strong>der</strong>e Faktoren<br />
(Strukturen, Prozesse, Ereignisse) hinzu, die in Interaktion<br />
mit wie<strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Faktoren urbane Konflikteskalationen<br />
erklären können. So unterscheiden sich<br />
<strong>Stadt</strong>gesellschaften nach Maßgabe ihrer historisch gewachsenen<br />
Konfliktkultur bzw. Konfliktvermeidungskultur<br />
(vgl. Hüttermann 2010). Gerade <strong>Stadt</strong>gesellschaften,<br />
welche die Austragung von Intergruppenkonflikten<br />
angesichts eines im kollektiven lokalen Gedächtnisses<br />
stark ausgeprägten Harmonieideals verdrängen, müssen<br />
mit Konflikteskalationen rechnen, weil sie Präventions-<br />
und Mediationspotenziale übersehen und<br />
unausgeschöpft lassen. Ferner macht es einen großen<br />
Unterschied ob Alteingesessene und Migranten(-nachfahren)<br />
kollektive Verletzungen und Vorurteile kultivieren,<br />
die dem Kontext des Kolonialismus bzw. <strong>der</strong> Dekolonialisierung<br />
entstammen. Während Maghrebiner<br />
in Frankreich und Pakistanstämmige in Großbritannien<br />
solche historischen Ressentiments <strong>der</strong> Kolonialzeit in<br />
vielen Intergruppenkonflikten mit Alteingesessenen<br />
zur Sprache bringen, findet man hierzulande bei Türkeistämmigen<br />
keine Entsprechung. Weiterhin sind so<br />
genannte entzündungsfähige Ereignisse anzusprechen.<br />
So kann ein einziger dramatischer Vorfall (z. B.<br />
ein Gewaltereignis, Mord, Vergewaltigung etc.) auch<br />
vergleichsweise mo<strong>der</strong>ate Intergruppenspannungen<br />
eskalieren lassen. Auch unterschiedliche lokal und sozialräumlich<br />
ausgeprägte Polizeistrategien und -kulturen<br />
sind ebenfalls als potenzielle Konfliktfaktoren zu<br />
betrachten. In vielen Städten <strong>der</strong> USA und Frankreichs<br />
fungieren denn auch Vorfälle im Wirkungskreis <strong>der</strong> Polizei<br />
gewissermaßen als Zündfunke für die oben angesprochene<br />
sogenannte Mass Racial Violence. Und im<br />
Zeitalter <strong>der</strong> Globalisierung wirken schließlich auch globale<br />
Ereignisse auf den je beson<strong>der</strong>en lokalen Kontext<br />
in je beson<strong>der</strong>er, lokal gefilterter Weise auf städtische<br />
Konfliktkonstellationen ein (vgl. Hüttermann 2010).<br />
Entwarnung?<br />
<strong>Die</strong> Furcht vor segregationsbedingter Konflikteskalation<br />
ist nicht nur aufgrund <strong>der</strong> grundsätzlichen Erkenntnisse<br />
über den Zusammenhang von Segregation<br />
und Konfliktgenese unbegründet. Sie erscheint auch<br />
deshalb abwegig, weil die migrationsbezogenen Siedlungsstrukturen<br />
in Deutschland ein weitaus geringeres<br />
Ausmaß an räumlicher Konzentration aufweisen als<br />
vergleichbare Siedlungsstrukturen in den USA aber<br />
auch als in Großbritannien, in Frankreich und selbst<br />
noch in den Nie<strong>der</strong>landen (vgl. Schönwäl<strong>der</strong>/Söhn<br />
2009). Bedenkt man, dass Wissenschaftler*innen in<br />
den USA und in Kanada erst dann von „ethnic neighborhoods“<br />
sprechen, wenn eine ethnische Gruppe etwa<br />
30 bis 40% <strong>der</strong> Einwohner eines Viertels ausmacht,
dann greift dieses Konzept in Deutschland nicht. So<br />
ergibt eine auf <strong>der</strong> Grundlage von Daten <strong>der</strong> Innerstädtischen<br />
Raumbeobachtung erfolgende Recherche (vgl.<br />
Schönwäl<strong>der</strong>/Söhn 2009), dass nur 15 <strong>der</strong> dort erfassten<br />
1810 statistischen Einheiten (mit durchschnittlich<br />
jeweils 7.500 E.) eine migrationsbezogene ethnische<br />
Bevölkerungsgruppe aufweisen, die einen Anteil von<br />
20 o<strong>der</strong> mehr Prozent an <strong>der</strong> Gesamtbevölkerung <strong>der</strong><br />
betreffenden statistischen Einheit hat.<br />
Solche Befunde bedeuten aber nicht, dass wir uns<br />
hierzulande zurücklehnen und das Segregationsthema<br />
vernachlässigen können. Denn es gibt noch an<strong>der</strong>e<br />
Gründe als die Angst vor <strong>der</strong> gewaltsamen Eskalation<br />
von Intergruppenkonflikten, sich gegen fortschreitende<br />
sozialstrukturelle und ethnische Segregation zu wehren.<br />
So hat die internationale Forschung zu Kontexteffekten<br />
nachgewiesen, dass benachteiligte segregierte<br />
<strong>Stadt</strong>gebiete zur Verstetigung abweichen<strong>der</strong> Normen<br />
und aufgrund entsprechen<strong>der</strong> Opportunitätsstrukturen<br />
zu Delinquenz im Sozialraum führen kann (vgl.<br />
zusammenfassend dazu Kurtenbach 2016). Zudem<br />
vermag Segregation gerade in benachteiligten Quartieren,<br />
das Gefühl <strong>der</strong> Verletzlichkeit zu erhöhen sowie<br />
Ohnmachtsgefühle zu wecken und nicht zuletzt Kriminalitätsfurcht<br />
und Stressempfinden zu steigern. Zum<br />
an<strong>der</strong>en bleibt gerade mit Blick auf die obigen Ausführungen<br />
zur Kausalbeziehung zwischen Segregation<br />
und Konflikteskalation ein Wehrmutstropfen. Denn<br />
wenn die konfliktsoziologische Beobachtung richtig<br />
ist, dass Intergruppenkonflikte nicht allein auf nur eine<br />
Ursache zurückzuführen sind – sei es ein Ereignis, ein<br />
Prozess o<strong>der</strong> eine Struktur –, dann kann auch nicht<br />
ausgeschlossen werden, dass die hier angesprochenen<br />
Segregationsprozesse zumindest indirekt bzw. in ihrem<br />
Zusammenwirken mit an<strong>der</strong>en Faktoren zur Eskalation<br />
von Intergruppenkonflikten beitragen mögen. <strong>Die</strong><br />
Eingrenzung von Segregation könnte somit indirekt zur<br />
Konfliktprävention beitragen.<br />
Und schließlich gilt es, noch aus einem dritten Grund<br />
wachsam zu bleiben – einen Grund, den man auf den<br />
bekannten Gemeinspruch bringen könnte, wonach<br />
das, was nicht ist, noch werden könnte. So gibt es<br />
Anhaltspunkte dafür, dass die sozialstrukturelle Segregation<br />
in ganz Europa gegenwärtig auf dem Vormarsch<br />
ist; dies zumindest ergeben Längsschnittuntersuchungen<br />
zur Entwicklung in 13 europäischen<br />
Hauptstädten, die auf Datensätzen beruhen, welche<br />
auf <strong>der</strong> Grundlage von Volkszählungen zustande kamen<br />
(vgl. Musterd et al.: 2015) . Demnach hat die sozialstrukturelle<br />
Segregation in zwölf <strong>der</strong> untersuchten<br />
13 Hauptstädte in den vergangen zehn Jahren deutlich<br />
zugenommen. Ob es uns langfristig amerikanische<br />
Ausmaße <strong>der</strong> Segregation bescheren wird, ist offen<br />
und hängt letztlich von uns allen ab; nicht zuletzt aber<br />
auch davon, ob wir dazu in <strong>der</strong> Lage sind, übertriebene<br />
Ängste abzubauen und den Mut aufzubringen,<br />
uns dem Marktradikalismus entgegenzustellen und<br />
beispielsweise den sozialen Wohnungsbau zu stärken.<br />
Dr. rer. Soc. Jörg Hüttermann<br />
Assoziierter Wissenschaftler<br />
Institut für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung<br />
Jörg Hüttermann studierte Soziologie und Geschichte in Wuppertal, Bonn,<br />
Bielefeld und Madrid. Seit 2015 ist er Mitarbeiter am Institut für Islamische<br />
Theologie <strong>der</strong> Universität Osnabrück. Zuvor wirkte er im Max-Planck-Institut<br />
zur Erforschung multiethnischer und multireligiöser Gesellschaften/MPI-<br />
MMG, Göttingen (2012-2014) sowie im Institut für Interdisziplinäre Konfliktund<br />
Gewaltforschung/IKG, Bielefeld (1996-2012). Ab 09/<strong>2017</strong> wird er<br />
wie<strong>der</strong> am IKG tätig sein. Seine ethnographisch ansetzenden Forschungen<br />
fokussieren insbeson<strong>der</strong>e auf Konflikte in urbanen Räumen westlicher Einwan<strong>der</strong>ungsgesellschaften.<br />
Er promovierte im Jahr 1998 im Fachbereich Soziologie<br />
<strong>der</strong> Universität Bielefeld mit einer Milieustudie zum Thema „Islamische<br />
Mystik in Deutschland“.<br />
39<br />
Soziale <strong>Stadt</strong> - KEYNOTE<br />
Dubet, Francois (1997): <strong>Die</strong> Logik <strong>der</strong> Jugendgewalt. S. 220-234 in: T. von Trotha (Hrsg.): Soziologie <strong>der</strong> Gewalt. Opladen/Wiesbaden (Son<strong>der</strong>heft<br />
37 <strong>der</strong> KZfSS).<br />
Florida, Richard & Charlotta Mellanda (2015): Segregated City: The Geography of Economic Segregation in America’s Metros. Toronto: Martin<br />
Prosperity Institute.<br />
Horowitz, Donald L. (2001): The Deadly Ethnic Riot. Berkeley, Los Angeles and London: University of California Press.<br />
Hüttermann, Jörg (2006): Das Minarett: Zur politischen Kultur des Konflikts um islamische Symbole. Weinheim/München: Juventa.<br />
Hüttermann, Jörg (2010): Entzündungsfähige Konfliktkonstellationen: Eskalations- und Integrationspotentiale in Kleinstädten <strong>der</strong> Einwan<strong>der</strong>ungsgesellschaft<br />
(Mit einem Beitrag von Alexan<strong>der</strong> Mewes. Weinheim & München: Juventa.<br />
Hüttermann, Jörg (2011): Moscheekonflikte im Figurationsprozess <strong>der</strong> Einwan<strong>der</strong>ungsgesellschaft: Eine soziologische Analyse. S. 39-82 in: W. Schiffauer<br />
Hrsg.) Migrationsreport 2010. Fakten - Analysen - Perspektiven. Frankfurt a.M. & New York: Campus.<br />
Kurtenbach, Sebastian (2016): Leben in herausfor<strong>der</strong>nden Nachbarschaften. Wiesbaden: Springer VS.<br />
Musterd, Sako & Szymon Marcińczak, Maarten van Ham, Tiit Tammaru (2015): Socio-Economic Segregation in European Capital Cities. Bonn:<br />
Forschungsinstitut zur <strong>Zukunft</strong> <strong>der</strong> Arbeit/Institute for the Study of Labor.<br />
Schönwäl<strong>der</strong>, Karen & Janina Söhn (2009): „Immigrant Settlement Structures in Germany: General Patterns and Urban Levels of Concentration of Major<br />
Groups.“ Urban Studies 46(7): 1439-60.<br />
Varshney, Ashutosh 2002: Ethnic conflict and civic life: Hindus and Muslims in India New Haven: Yale Univ. Press.
Ralf Zimmer-Hegmann<br />
40<br />
Soziale <strong>Stadt</strong> - KEYNOTE<br />
Soziale Integration im Quartier:<br />
Eine vorläufige Bilanz <strong>der</strong> „Sozialen <strong>Stadt</strong>“<br />
Seit nunmehr fast 20 Jahren wird auf Bundesebene das Städtebauför<strong>der</strong>programm<br />
„Soziale <strong>Stadt</strong>“ umgesetzt. Seine Zielsetzung ist die Stabilisierung,<br />
aber auch Aufwertung von benachteiligten <strong>Stadt</strong>teilen und Quartieren. Damit<br />
wurde ein doppelter Integrationsanspruch in <strong>der</strong> <strong>Stadt</strong>entwicklungspolitik<br />
eingeführt: die soziale Integration von benachteiligten Personengruppen in die<br />
lokalen Gemeinwesen von <strong>Stadt</strong>teilen und Quartieren sowie ein funktional integrierter<br />
Politikanspruch, <strong>der</strong> unterschiedliche Fachpolitiken und Ressourcen<br />
bündeln und eindimensionale sektorale Handlungsansätze überwinden soll.<br />
Berlin, Foto: Sascha Kohlmann, flickr.com, Lizenz: CC-BY 2.0, https://creativecommons.org/licenses/by/2..0<br />
Wir beobachten in den letzten Jahrzehnten einen<br />
deutlichen Bedeutungszuwachs in <strong>der</strong> Wahrnehmung<br />
des Lokalen. Der bekannte Soziologe Richard<br />
Sennett (1998: 189) beschreibt das als Wunsch<br />
vieler Menschen, den Anfor<strong>der</strong>ungen des neoliberalen<br />
Kapitalismus nach mehr Flexibilität und <strong>der</strong><br />
Entgrenzung von Zeit und Raum ein Stück weit zu<br />
entgehen: „Eine <strong>der</strong> unbeabsichtigten Folgen des<br />
mo<strong>der</strong>nen Kapitalismus ist die Stärkung des Ortes,<br />
die Sehnsucht <strong>der</strong> Menschen nach <strong>der</strong> Verwurzelung<br />
in einer Gemeinde.“ Neben einer neuen bürgerlichen<br />
Rückbesinnung auf den städtischen Nahraum,<br />
<strong>der</strong> sich in einem verstärkten ortsbezogenen bürgerschaftlichen<br />
Engagement ausdrückt (vgl. Rauterberg<br />
2013), wird das Quartier aber insbeson<strong>der</strong>e<br />
als eine wichtige Ressource für die Bewältigung von<br />
Armut und sozialer Benachteiligung gesehen. Dabei<br />
ist zu berücksichtigen, dass benachteiligte Bevölkerungsgruppen<br />
u.a. aufgrund ihrer eingeschränkten<br />
finanziellen Möglichkeiten eine geringere Mobilität<br />
als beispielsweise Mittelschichtangehörige aufweisen.<br />
Sie sind somit beson<strong>der</strong>s auf die Ressourcen<br />
ihres unmittelbaren Wohnumfeldes zur Bewältigung<br />
ihres Lebensalltages angewiesen. Herlyn et al.<br />
(1991) unterscheiden in ihrer Studie zur Bedeutung<br />
des Wohnmilieus für die Lebenslage und -bewältigung<br />
<strong>der</strong> Quartiersbewohner vier Teilressourcen;<br />
sie sehen den <strong>Stadt</strong>teil als Chance <strong>der</strong> Existenzsicherung<br />
durch Arbeit, als Ort des Wohnens, als Ort<br />
des sozialen Austauschs und als Ort <strong>der</strong> Teilhabe an<br />
gesellschaftlichen Einrichtungen. Das Wohnquartier<br />
bietet am ehesten Möglichkeiten für Gelegenheitsarbeit<br />
sowie für stundenweise, wohnungsnahe Tätigkeit,<br />
die eine Vereinbarkeit von Erwerbstätigkeit
und Kin<strong>der</strong>betreuung erleichtert. Der Wohnbereich<br />
und das Wohnumfeld haben gerade für marginalisierte<br />
und arbeitslose Bevölkerungsgruppen eine<br />
so hohe Bedeutung im Lebensalltag, da sie den<br />
überwiegenden Teil ihrer Zeit hier verbringen. Aus<br />
zahlreichen Untersuchungen ist bekannt, dass das<br />
informelle Beziehungsnetz zu Freunden, Verwandten<br />
und Nachbarn von hoher Wichtigkeit ist, da ein<br />
Großteil <strong>der</strong> Unterstützung im Alltag über diese<br />
Kontakte und nahräumlichen Netzwerke erfolgt.<br />
Schließlich ist gerade für benachteiligte Gruppen<br />
die Nähe von Beratungs- und Freizeiteinrichtungen<br />
relevant, um <strong>der</strong>en Nutzung zu ermöglichen und<br />
eine Inanspruchnahme zu för<strong>der</strong>n.<br />
Das Mitte <strong>der</strong> 1990er Jahre in Deutschland eingeführte<br />
Städtebauför<strong>der</strong>ungsprogramm „Soziale<br />
<strong>Stadt</strong>“ ist in diesem Zusammenhang als Antwort auf<br />
die Konzentration und Kumulation unterschiedlicher<br />
sozialer, ökonomischer und städtebaulicher Problemlagen<br />
in bestimmten <strong>Stadt</strong>teilen und Quartieren<br />
zu verstehen, die mit rein sektoralen Politikansätzen<br />
nicht mehr gelöst werden können. Damit folgte die<br />
Politik in Deutschland Erfahrungen mit ähnlichen<br />
Ansätzen in Großbritannien, den Nie<strong>der</strong>landen und<br />
Frankreich, die dort schon seit den 1980er Jahren<br />
praktiziert werden. Spätestens mit <strong>der</strong> Leipzig-Charta<br />
<strong>der</strong> EU im Jahre 2007 haben sich solche<br />
integrierten und stadtteilbezogenen Ansätze<br />
in ganz Europa etabliert. Sie folgen auch bewusst<br />
dem „ressourcenorientierten“ Politikverständnis, bei<br />
dem gerade die Stärkung von Nachbarschaften und<br />
Quartieren zur Lebensbewältigung von benachteiligten<br />
Bevölkerungsgruppen in den Mittelpunkt gerückt<br />
werden.<br />
Erfolge <strong>der</strong> „Sozialen <strong>Stadt</strong>“...<br />
Grundsätzlich zeigt sich, dass das Programm „Soziale<br />
<strong>Stadt</strong>“ mit seinem integrierten Handlungsansatz<br />
in hohem Maße den multiplen Problemlagen von<br />
benachteiligten <strong>Stadt</strong>teilen und Quartieren sowie<br />
den Herausfor<strong>der</strong>ungen einer zunehmenden sozialräumlichen<br />
Polarisierung in unseren Städten entspricht.<br />
Auch die verschiedenen Evaluationen des<br />
Programms „Soziale <strong>Stadt</strong>“ auf Ebene von Bund und<br />
Län<strong>der</strong>n bestätigen, dass dieser Ansatz im Rahmen<br />
seiner – auch finanziellen – Möglichkeiten richtig<br />
und erfolgreich ist (Zimmer-Hegmann/Sucato<br />
2007). Dabei zeigt sich, dass <strong>der</strong> bisherige Erfolg<br />
des Programms vor allem in <strong>der</strong> städtebaulichen Erneuerung<br />
und <strong>der</strong> Schaffung von tragfähigen Netzwerken<br />
vor Ort liegt. Durch eine Verbesserung des<br />
städtebaulichen Erscheinungsbildes sind in vielen<br />
<strong>Stadt</strong>teilen Aufwertungsprozesse in Gang gesetzt<br />
worden, die auch zu einer langfristigen Imageverbesserung<br />
<strong>der</strong> Gebiete führen können, die meist<br />
unter einer negativen Stigmatisierung leiden. Allerdings<br />
zeigen die gerade in den letzten Jahren zu beobachtenden<br />
Verän<strong>der</strong>ungen und Engpässe auf den<br />
Wohnungsmärkten insbeson<strong>der</strong>e in <strong>der</strong> Mehrzahl<br />
<strong>der</strong> Großstädte, dass solche Aufwertungsprozesse<br />
immer in ihrem jeweiligen stadtentwicklungspolitischen<br />
Kontext betrachtet werden müssen. Während<br />
nach wie vor in den schrumpfenden Städten gerade<br />
die benachteiligten <strong>Stadt</strong>teile und Quartiere von<br />
mangeln<strong>der</strong> Nachfrage und Abwan<strong>der</strong>ung betroffen<br />
sind, rückt in den angespannten Wohnungsmärkten<br />
das Thema „Gentrifizierung“ und damit letztlich die<br />
Gefahr <strong>der</strong> Verdrängung von sozial benachteiligten<br />
Bevölkerungsgruppen wie<strong>der</strong> auf die Tagesordnung.<br />
Städtebauliche Aufwertungsprozesse gerade<br />
durch das Programm „Soziale <strong>Stadt</strong>“ müssen daher<br />
immer in ihren spezifischen Wirkungszusammenhängen<br />
von Städten zwischen Schrumpfung und<br />
Wachstum betrachtet werden. So muss die städtebauliche<br />
Aufwertung in bestimmten angespannten<br />
Gebietskulissen nicht immer die erste und beste<br />
Antwort sein, wenn sozial stabilisierende Maßnahmen<br />
und Projekte im Sinne <strong>der</strong> Unterstützung <strong>der</strong><br />
angestammten Bewohnerschaft hier wesentlich<br />
wirksamer sein können, wozu aber insbeson<strong>der</strong>e<br />
auch Investitionen in die soziale Infrastruktur gehören.<br />
Deswegen muss das Programm mehr als ein<br />
städtebauliches Investitionsprogramm sein. Investitionen<br />
in Personal sind ebenso erfor<strong>der</strong>lich, aber<br />
über das städtebauliche Programm nur in begrenztem<br />
Umfang för<strong>der</strong>fähig. Ein integrierter Programmansatz<br />
müsste eine differenzierte Anwendung unterschiedlicher<br />
Instrumente ermöglichen.<br />
Zentrale Erfolgsfaktoren des Programms „Soziale<br />
<strong>Stadt</strong>“ sind daneben die Verfahrens- und Prozessqualitäten.<br />
<strong>Die</strong> Vernetzung aller relevanten Akteure<br />
in den Gebieten und die Schaffung bzw. Festigung<br />
von gemeinsamen Arbeits- und Kooperationsstrukturen<br />
sind zentrale Voraussetzung für eine nachhaltige<br />
Stabilisierung <strong>der</strong> <strong>Stadt</strong>teile und Quartiere.<br />
Insbeson<strong>der</strong>e die lokalen Quartiersmanagements<br />
haben sich als entscheidende steuernde und koordinierende<br />
Instanzen erwiesen. Allerdings ist auch<br />
auf die fragile Stabilität dieser neu geschaffenen<br />
Strukturen hinzuweisen, die oftmals auch nach Auslaufen<br />
<strong>der</strong> För<strong>der</strong>ung durch das Programm „Soziale<br />
<strong>Stadt</strong>“ erfor<strong>der</strong>lich sind und weiterhin <strong>der</strong> Unterstützung<br />
bedürfen. <strong>Die</strong> neu geschaffenen Arbeits- und<br />
Kooperationsstrukturen haben in vielen Fällen zu<br />
einer deutlichen Verbesserung <strong>der</strong> Zusammenarbeit<br />
zwischen öffentlichen und privaten Akteuren<br />
sowie innerhalb <strong>der</strong> Verwaltungen geführt. Ob sich<br />
daraus dauerhaft Strukturen <strong>der</strong> integrierten Zusammenarbeit<br />
entwickeln, ist stark von den örtlichen<br />
politischen Gegebenheiten und <strong>der</strong> gelebten<br />
Verwaltungskultur abhängig. Allerdings zeigt sich,<br />
dass <strong>der</strong> integrierte Programmansatz strukturell<br />
die Kooperation unterschiedlicher Akteure – auch<br />
innerhalb <strong>der</strong> Verwaltung – immer wie<strong>der</strong> erzwingt<br />
und sich insofern deutlich för<strong>der</strong>nd auf solche kooperativen<br />
Arbeitsstrukturen auswirkt.<br />
... und Begrenzungen<br />
Im Grunde ist <strong>der</strong> För<strong>der</strong>ansatz <strong>der</strong> „Sozialen <strong>Stadt</strong>“<br />
seinem Anspruch nach sozialraumbezogener Ausdruck<br />
einer präventiven Politik, <strong>der</strong> es darum geht<br />
41<br />
Soziale <strong>Stadt</strong> - KEYNOTE
42<br />
Soziale <strong>Stadt</strong> - KEYNOTE<br />
Berlin, Foto: Daniel Ullrich, flickr.com, Lizenz: CC-BY 2.0, https://creativecommons.org/licenses/by/2.0<br />
wohnortbezogene soziale Netzwerke zu stärken und<br />
den <strong>Stadt</strong>teil bzw. das Quartier als Ressource gerade<br />
für benachteiligte Bevölkerungsgruppen (z.B. Arme,<br />
Alleinerziehende, Alte) zu begreifen, die beson<strong>der</strong>s<br />
in ihrer täglichen Lebensführung auf den Nahraum<br />
orientiert und angewiesen sind. Das Programm hat<br />
mit seinem gebietsbezogenen und integrierten Anspruch<br />
dazu beigetragen, dass Prinzipien <strong>der</strong> Sozialraumorientierung<br />
auch in an<strong>der</strong>en Fachpolitiken (z.B.<br />
Jugendhilfe, Gesundheit, Kriminalprävention) eingezogen<br />
sind bzw. dort eine Stärkung erfahren haben.<br />
Auch die Instrumente <strong>der</strong> integrierten Quartiersentwicklung,<br />
v.a. das Quartiersmanagement haben sich<br />
durch die positiven Erfahrungen längst auf an<strong>der</strong>e<br />
Bereiche (z.B. Wohnen im Alter, Integration) übertragen.<br />
Gleichwohl muss konstatiert werden, dass solche<br />
sozialraumbezogenen Ansätze im gesamten Bereich<br />
des Verwaltungshandelns und <strong>der</strong> Ausrichtung<br />
von För<strong>der</strong>programmen, die überwiegend keinen<br />
Gebietsbezug aufweisen und stärker zielgruppenorientiert<br />
ausgerichtet sind, noch in <strong>der</strong> Min<strong>der</strong>heit sind.<br />
Es zeigt sich auch, dass die Wirkungen des Programms<br />
insbeson<strong>der</strong>e in sozialer und ökonomischer<br />
Hinsicht bislang eher begrenzt sind. Zwar konnten<br />
durch das Programm vielfach soziale Netzwerke gestärkt<br />
und auch Personen sozial stabilisiert werden,<br />
aber an <strong>der</strong> kritischen sozialen Lage <strong>der</strong> Mehrheit<br />
<strong>der</strong> benachteiligten Bevölkerung in den Gebieten<br />
konnte das Programm aufgrund seiner begrenzten<br />
Ressourcen und Reichweite bislang nur wenig än<strong>der</strong>n.<br />
Hier spielen negative gesamtgesellschaftliche<br />
Einflüsse auf die soziale Lage <strong>der</strong> betroffenen Bevölkerung<br />
eine größere Rolle (konjunkturelle ökonomische<br />
Entwicklungen, Zunahme von Armut und<br />
Arbeitslosigkeit, Sozial- und Arbeitsmarktgesetzgebung<br />
etc.). Das gilt auch für die ökonomische Lage<br />
in den Gebieten. Zwar existiert eine Vielzahl von<br />
sehr positiven Projekten und Ansätzen im Bereich<br />
<strong>der</strong> För<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Lokalen Ökonomie. <strong>Die</strong>se Ansätze<br />
können aber z.B. die Arbeitsplatzverluste durch<br />
den industriellen Strukturwandel nur sehr begrenzt<br />
kompensieren. <strong>Die</strong> Gebiete <strong>der</strong> „Sozialen <strong>Stadt</strong>“<br />
weisen noch überwiegend eine überdurchschnittliche<br />
Arbeitslosigkeit auf, so dass hier weiterhin<br />
deutlicher Handlungsbedarf besteht.<br />
Neue för<strong>der</strong>politische Schwerpunkte<br />
Im Grunde braucht es eine sozialraumbezogene<br />
Neuausrichtung <strong>der</strong> För<strong>der</strong>politiken. Es bedarf insbeson<strong>der</strong>e<br />
einer strukturpolitischen, bildungs- und<br />
integrationspolitischen sowie wohnungspolitischen<br />
Ergänzung des Ansatzes <strong>der</strong> „Sozialen <strong>Stadt</strong>“:<br />
Vor allem die Verknüpfung von Maßnahmen <strong>der</strong><br />
Struktur- und Wirtschaftspolitik mit Arbeitsmarktför<strong>der</strong>ung<br />
und Sozialpolitik auf die Belange benachteiligter<br />
<strong>Stadt</strong>teile und <strong>der</strong> dort lebenden Zielgruppen<br />
von Arbeitsmarkt- und Beschäftigungsför<strong>der</strong>ungsmaßnahmen<br />
ist beson<strong>der</strong>s erfolgversprechend. Hier<br />
sind gerade in <strong>der</strong> EU-Kohesionspolitik mit <strong>der</strong> Verknüpfung<br />
von EFFRE- und ESF-För<strong>der</strong>ung durchaus<br />
richtige Ansätze entstanden, die allerdings in<br />
den Kommunen häufig als konzeptionell zu aufwändig<br />
und in <strong>der</strong> Abwicklung als zu bürokratisch wahrgenommen<br />
werden.
Aufgrund einer höheren Zuwan<strong>der</strong>ung durch<br />
Flucht- und Arbeitsmigration wird <strong>der</strong> Anteil von<br />
Menschen mit Migrationshintergrund in den Städten<br />
und insbeson<strong>der</strong>e in den Gebieten <strong>der</strong> „Sozialen<br />
<strong>Stadt</strong>“ bzw. vergleichbarer städtischer Gebiete<br />
weiter steigen. Das macht verstärkte Anstrengungen<br />
zur spezifischen Ansprache, För<strong>der</strong>ung und<br />
Integration <strong>der</strong> Betroffenen erfor<strong>der</strong>lich. Dabei haben<br />
die Städte und Gemeinden eine doppelte soziale<br />
Integrationsaufgabe zu lösen. Einerseits die<br />
Neubürger zu versorgen und in die kommunalen<br />
Gemeinwesen zu integrieren, ohne dass es zu sozialen<br />
Konflikten kommt und an<strong>der</strong>erseits die soziale<br />
und räumliche Spaltung <strong>der</strong> <strong>Stadt</strong> zu verhin<strong>der</strong>n.<br />
Denn schon heute macht die Zunahme von<br />
Armut und sozialer Ungleichheit den sozialen und<br />
räumlichen Zusammenhalt nicht einfach. Gerade<br />
auch die vielfach schlechten Bildungschancen von<br />
Kin<strong>der</strong>n mit Migrationshintergrund – aber auch vieler<br />
deutschstämmiger Kin<strong>der</strong> aus sozial instabilen<br />
Familien – machen in den Gebieten <strong>der</strong> „Sozialen<br />
<strong>Stadt</strong>“ verstärkte Anstrengungen zur Verbesserung<br />
<strong>der</strong> Bildungssituation notwendig. Hier hat <strong>der</strong> Bund<br />
mit seinem neuen Investitionspakt „Soziale Integration<br />
im Quartier“ reagiert, <strong>der</strong> den Neubau und die<br />
Mo<strong>der</strong>nisierung von sozialer Infrastruktur in den Mittelpunkt<br />
stellt (Schulen, Kitas, Begegnungsstätten<br />
etc.). Doch auch hier zeigt sich ein Schwachpunkt <strong>der</strong><br />
„Sozialen <strong>Stadt</strong>“: es ist primär ein bauliches Investitionsprogramm.<br />
Letztendlich verlangen die sozialen<br />
Herausfor<strong>der</strong>ungen eben auch eine deutlich bessere<br />
Personal- und Ressourcenausstattung von Schulen<br />
in diesen Gebieten, aber auch Strategien für eine<br />
bessere „Lastenverteilung“ zwischen den Schulen.<br />
versorgen können und daher benachteiligte Quartiere<br />
verlassen, beschäftigt uns auf den wachsenden<br />
und angespannten Wohnungsmärkten stärker<br />
das Problem <strong>der</strong> sozialen Verdrängung. <strong>Die</strong> zum<br />
Teil dramatische Verteuerung von Wohnraum in den<br />
Innenstädten führt dazu, dass einkommensschwächere<br />
Bevölkerungsgruppen an den (<strong>Stadt</strong>-)Rand<br />
gedrängt werden. Hier bedarf es kommunaler wohnungspolitischer<br />
Konzepte und Investitionen, die mit<br />
<strong>der</strong> Schaffung von bezahlbarem Wohnraum gerade<br />
auch in soziökonomisch besser gestellten Quartieren<br />
für eine ausgewogene räumliche Entwicklung in<br />
den Städten sorgen.<br />
Das setzt aber die vollumfängliche finanzielle Handlungsfähigkeit<br />
<strong>der</strong> Kommunen voraus, was gegenwärtig<br />
nicht <strong>der</strong> Fall ist. Dazu brauchen wir eine<br />
breite gesellschaftliche Debatte über die Ursachen<br />
und Auswirkungen <strong>der</strong> sozialen Ungleichheit in unseren<br />
Städten. Dazu gehört, dass ein solch richtiger<br />
sozialraumbezogener Ansatz wie die „Soziale <strong>Stadt</strong>“<br />
durch eine Politik flankiert werden muss, die Armut<br />
und soziale Ungleichheit als gesamtgesellschaftliche<br />
Aufgabe auf allen staatlichen Ebenen begreift<br />
und zurückführt.<br />
43<br />
Soziale <strong>Stadt</strong> - KEYNOTE<br />
Außerdem zeigt sich, dass die Probleme vieler benachteiligter<br />
Quartiere und <strong>Stadt</strong>teile nicht in begrenzten<br />
Zeiträumen gelöst werden können, dazu<br />
sind die strukturellen Problemlagen häufig zu<br />
persistent. Quartiersentwicklung bleibt insofern<br />
eine kommunale Daueraufgabe. Der stadtteilbezogene<br />
Lösungsansatz ist dabei zwar richtig, aber<br />
nicht ausreichend. Soziale <strong>Stadt</strong>entwicklung sollte<br />
daher stärker als gesamtstädtische Aufgabe definiert<br />
werden und <strong>der</strong> sozialraumbezogene Ansatz<br />
sollte auch in an<strong>der</strong>en kommunalen Politikfel<strong>der</strong>n<br />
verankert und eingebettet sein. Neben Prozessen<br />
<strong>der</strong> sozialen Ungleichheitsentwicklung in <strong>der</strong> Gesellschaft<br />
sind es vor allem die Entwicklungen auf<br />
den Wohnungsmärkten, die soziale Entmischungsprozesse<br />
verursachen. Während auf stagnierenden<br />
und schrumpfenden Wohnungsmärkten ein Überangebot<br />
an Wohnraum dazu führt, dass auch Durchschnittsverdiener<br />
sich gut auf dem Wohnungsmarkt<br />
Dipl.-Soz. Ralf Zimmer-Hegmann<br />
ILS - Institut für Landes- und<br />
<strong>Stadt</strong>entwicklungsforschung<br />
leitet die Forschungsgruppe Sozialraum <strong>Stadt</strong> im Institut für Landesund<br />
<strong>Stadt</strong>entwicklungsforschung (ILS) in Dortmund. Forschungsschwerpunkte:<br />
Sozialräumliche Disparitäten und gesellschaftliche<br />
Inklusion, Integrierte Konzepte <strong>der</strong> <strong>Stadt</strong>- und Quartiersentwicklung<br />
sowie Evaluation von För<strong>der</strong>programmen und Monitoring kleinräumiger<br />
städtischer Entwicklungen. Mitglied <strong>der</strong> Expertengruppe zur<br />
Evaluation des Programms „Soziale <strong>Stadt</strong>“ beim BMUB, wie auch<br />
schon 2002-2004 beim BMVBW.<br />
Herlyn, U./ Lakemann, U./ Lettko, B. (1991): Armut und Milieu. Benachteiligte Bewohner in großstädtischen Quartieren. Basel, Boston, Berlin.<br />
Rauterberg, H. (2013): Wir sind die <strong>Stadt</strong>! Urbanes Leben in <strong>der</strong> Digitalmo<strong>der</strong>ne. Berlin.<br />
Sennett, R. (1998): Der flexible Mensch. <strong>Die</strong> Kultur des neuen Kapitalismus. Frankfurt, Berlin.<br />
Zimmer-Hegmann, R./ Sucato, E. (2007): Evaluation in <strong>der</strong> Sozialen <strong>Stadt</strong> – Ein Überblick aus Län<strong>der</strong>perspektive. In: Zeitschrift für Evaluation,<br />
Heft 1/2007, S. 79-107.
Volker Kersting<br />
44<br />
Soziale <strong>Stadt</strong> - AUS DER PRAXIS<br />
Soziale <strong>Stadt</strong>:<br />
Über Armut und die begrenzte Reichweite von Quartierspolitik<br />
Mit bescheidenen Etats leistet Quartierspolitik, wie sie z.B. in <strong>der</strong> „Sozialen <strong>Stadt</strong>“<br />
erfolgt, unbestritten einen erheblichen Beitrag zur Integration benachteiligter<br />
Bevölkerungsgruppen. Betrachtet man die Quartiersprojekte jedoch als Instrument<br />
zur „Armutsbekämpfung“, wird das Thema verfehlt und <strong>Stadt</strong>teilpolitik gerät<br />
schnell zum Ausfallbürgen für fehlende gesamtgesellschaftliche Konzepte. Dass<br />
trotz erfolgreicher Quartiersarbeit <strong>der</strong> Armutsdruck auf die Quartiere zunimmt und<br />
daher ein messbarer Abbau <strong>der</strong> Armut in diesen Quartieren nicht zu erwarten ist,<br />
soll am Beispiel <strong>der</strong> Entwicklung <strong>der</strong> Zahlen <strong>der</strong> von Hartz IV betroffenen Menschen<br />
verdeutlicht werden. 1 Es zeigt sich, dass Armut in den ohnehin bereits davon<br />
stark belasteten Räumen steigt und sich zunehmend räumlich verdichtet. Ein<br />
beson<strong>der</strong>es Interesse gilt in diesem Beitrag <strong>der</strong> Entwicklung <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong>armut.<br />
Berlin, Foto: Sascha Kohlmann, flickr.com, Lizenz: CC-BY 2.0, https://creativecommons.org/licenses/by/2.0<br />
Drastisch steigende (Kin<strong>der</strong>-) Armut<br />
Seit den Jahren 2010/2011 steigt die Armut und Transferabhängigkeit<br />
vor allem von Kin<strong>der</strong>n 2 in den Großstädten<br />
Nordrhein-Westfalens wie<strong>der</strong> deutlich an, z.T. drastisch.<br />
<strong>Die</strong> großräumigen regionalen Unterschiede und die<br />
Varianz verdeutlichen die Karten 1 und 2 für den Zeitraum<br />
zwischen 2007-2016, also für die Phase nach Einführung<br />
<strong>der</strong> Hartz-Gesetze, die mit Daten gut belegt werden kann.<br />
Zwischen den Jahren 2010 und 2016 verzeichnen etliche<br />
Großstädte in NRW Zunahmen um ein Drittel bzw. um<br />
mehrere tausend Kin<strong>der</strong> pro <strong>Stadt</strong>, die auf SGBII-Leistungen<br />
angewiesen sind. <strong>Die</strong>ser Anstieg findet zu einer Zeit<br />
statt, in <strong>der</strong> ohnehin bereits in vielen Städten jedes dritte<br />
bis vierte Kind unter 15 Jahren in Armut aufwächst! Im<br />
Durchschnitt <strong>der</strong> jeweiligen Städte! Da es aber bekanntlich<br />
„nirgendwo so ist wie im Durchschnitt“, finden wir auf<br />
<strong>Stadt</strong>teilebene weit höhere Quoten. Mitunter ist die Hälfe<br />
o<strong>der</strong> mehr als die Hälfte <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong> unter 15 Jahren auf<br />
<strong>Stadt</strong>teilebene von Sozialgeld (SGBII) abhängig.<br />
Auch die SGBII-Quoten für die Bevölkerung unter 65<br />
Jahren liegen mittlerweile auf <strong>Stadt</strong>teilebene nicht selten<br />
bei 30% o<strong>der</strong> mehr. <strong>Die</strong> Zunahme <strong>der</strong> Armut trifft vielfach<br />
beson<strong>der</strong>s die <strong>Stadt</strong>teile, die ohnehin benachteiligt und<br />
durch hohe Einkommensarmut betroffen sind – mithin<br />
<strong>Stadt</strong>teile <strong>der</strong> Sozialen <strong>Stadt</strong>.<br />
Segregation – nimmt sie zu?<br />
Als Instrument zur Dauerbeobachtung bieten die nicht veröffentlichten<br />
Daten <strong>der</strong> sogenannten „Innerstädtischen<br />
Raumbeobachtung IRB“ des BBSR eine einzigartige Quelle<br />
zur kleinräumigen Diagnose von Segregation (BBSR <strong>2017</strong>).<br />
Momentan beteiligen sich 53 Großstädte mit knapp 3000
45<br />
Soziale <strong>Stadt</strong> - AUS DER PRAXIS<br />
Abb. 1: Regionale Sozialgeldquoten und Verän<strong>der</strong>ung seit 2007: Kreise und kreisfreie Städte - Sozialgeldquote Kin<strong>der</strong> unter 15 Jahren 2016 (links)<br />
Mülheim an <strong>der</strong> Ruhr<br />
Karte 1 / Abb. 2: Sozialgeldbezug <strong>der</strong> unter 15-jährigen<br />
Bevölkerung auf Stimmbezirksebene 2009<br />
und Verän<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Sozialgeldquote Kin<strong>der</strong> unter 15 Jahren 30.06.2007 - 30.06.2016 (rechts)<br />
Mülheim an <strong>der</strong> Ruhr<br />
Karte 2 / Abb. 4: Sozialgeldbezug <strong>der</strong> unter 15-jährigen<br />
Bevölkerung auf Stimmbezirksebene 2013<br />
Sozialgeldbezieher in % <strong>der</strong><br />
unter 15-jährigen Bevölkerung<br />
bis unter 10 % (31)<br />
10 bis unter 20 % (25)<br />
20 bis unter 30 % (27)<br />
30 bis unter 40 % (19)<br />
40 bis unter 50 % (9)<br />
50 bis unter 60 % (8)<br />
kein Sozialgeldbezug (3)<br />
MH: 22.6 %<br />
<strong>Stadt</strong>forschung und Statistik<br />
Sozialgeldbezieher in % <strong>der</strong><br />
unter 15-jährigen Bevölkerung<br />
bis unter 10 % (30)<br />
10 bis unter 20 % (27)<br />
20 bis unter 30 % (18)<br />
30 bis unter 40 % (19)<br />
40 bis unter 50 % (15)<br />
50 bis unter 60 % (8)<br />
60 bis unter 70 % (1)<br />
kein Sozialgeldbezug (2)<br />
MH: 25.2 %<br />
<strong>Stadt</strong>forschung und Statistik<br />
Abb 2: Räumliche Verdichtung <strong>der</strong> Kindearmut: Mülheim an <strong>der</strong> Ruhr - Sozialgeldbezug <strong>der</strong> unter 15-jährigen 2009 (links) und 2013 (rechts)
46<br />
Soziale <strong>Stadt</strong> - AUS DER PRAXIS<br />
Abb 3: Kin<strong>der</strong>armut Kitas und Räume: Kin<strong>der</strong> unter 6 Jahren im SGB-II-Bezug (links)<br />
und mit SGB-II-Quote in den Kitas (rechts) in Mülheim an <strong>der</strong> Ruhr<br />
<strong>Stadt</strong>teilen an <strong>der</strong> Erhebung. <strong>Die</strong> Bevölkerungsgröße (Mittelwerte<br />
zwischen ca. 2.000 und 18.000) und die Raumzuschnitte<br />
<strong>der</strong> <strong>Stadt</strong>teile unterscheiden sich jedoch von Kommune zu<br />
Kommune erheblich, so dass eine vergleichende Betrachtung<br />
zwischen den Städten nur sehr bedingt sinnvoll ist.<br />
Aufschlussreich ist allerdings die Analyse <strong>der</strong> zeitlichen Verläufe<br />
<strong>der</strong> Segregation. <strong>Die</strong> eigenen Auswertungen für die<br />
Städte, für die längerfristig Daten vorliegen (2007 -2015),<br />
ergeben ein relativ eindeutiges Bild. Sowohl die Segregation<br />
<strong>der</strong> Bevölkerung mit ausschließlich ausländischer Staatsangehörigkeit,<br />
wie auch jener, die zwei Staatsangehörigkeiten<br />
besitzen, nimmt in <strong>der</strong> weit überwiegenden Zahl <strong>der</strong> Städte<br />
ab. <strong>Die</strong> Armutssegregation hingegen steigt bis auf wenige<br />
Ausnahmen an – mitunter sehr deutlich. Mit zunehmen<strong>der</strong><br />
Tendenz in jüngster Zeit. Arme Menschen konzentrieren sich<br />
somit immer mehr in benachteiligten und benachteiligenden<br />
Nachbarschaften.<br />
Hat sich Segregation parallel zur<br />
Armutsentwicklung erhöht?<br />
<strong>Die</strong> vorliegenden Daten zeigen über den beobachteten Zeitraum<br />
eine uneinheitliche Entwicklung. Generell ergibt sich in<br />
bundesweiter Perspektive kein statistischer Zusammenhang<br />
zwischen <strong>der</strong> Entwicklung <strong>der</strong> Armut (Daten des Wegweisers<br />
Kommune) 3 und <strong>der</strong> Armutssegregation (Daten <strong>der</strong><br />
IRB). In den Städten <strong>der</strong> neuen Bundeslän<strong>der</strong> sinken die Armutsquoten.<br />
In den westlichen Län<strong>der</strong>n treten beson<strong>der</strong>s die<br />
nordrhein-westfälischen und die Ruhrgebietsstädte demgegenüber<br />
sehr negativ hervor. Korreliert man die Entwicklung<br />
<strong>der</strong> gesamtstädtischen Armutsquoten mit <strong>der</strong> Entwicklung<br />
<strong>der</strong> Armutssegregation auf kleinräumiger Ebene für die<br />
Städte, für die solche Informationen vorliegen, fällt vor allem<br />
eines auf: <strong>Die</strong> meisten Städte des Ruhrgebiets bilden ein<br />
sehr exponiertes Cluster. Es ist gekennzeichnet durch eine<br />
beson<strong>der</strong>s starke Entwicklung <strong>der</strong> Armut bei zugleich starker<br />
Zunahme <strong>der</strong> Segregation.<br />
Wodurch steigt die Armut in den <strong>Stadt</strong>teilen?<br />
Zu den beson<strong>der</strong>s auffälligen Städten zählt Mülheim an<br />
<strong>der</strong> Ruhr. <strong>Die</strong> Mülheimer <strong>Stadt</strong>forschung ist <strong>der</strong> Frage <strong>der</strong><br />
Entstehung und Segregation von Kin<strong>der</strong>armut mit Daten<br />
aus kommunalen Verwaltungsprozessen erstmals genauer<br />
nachgegangen (Kersting / Kurosch 2016). Auf diese Weise<br />
können anhand von Individualdaten Entstehungsprozesse<br />
differenzierter untersucht werden, die sich mit Aggregatdaten<br />
<strong>der</strong> <strong>Stadt</strong>teile nicht erklären lassen. <strong>Die</strong> Auswertungen<br />
erfolgten auf <strong>der</strong> räumlichen Ebene <strong>der</strong> 123 Stimmbezirke<br />
für den Zeitraum 2009 - 2013. <strong>Die</strong> Stimmbezirke wurden<br />
alternativ zu den wesentlich größeren 28 Statistischen Bezirken<br />
als Analyseeinheit ausgewählt, da sie eine kleinräumige<br />
Gebietseinteilung darstellen, die sowohl hinreichend<br />
große als auch relativ vergleichbare Bevölkerungszahlen (ca.<br />
1.600) aufweisen. Weil die Bevölkerungszahl und die Ausdehnung<br />
dennoch „überschaubar“ sind, sind Stimmbezirke<br />
auch „Nachbarschaften“, die als soziale Kontexte direkten<br />
Einfluss auf Kin<strong>der</strong> ausüben können. 4<br />
Exemplarisch lassen sich als Befunde festhalten: Deutlich<br />
verän<strong>der</strong>t hat sich im Untersuchungszeitraum <strong>der</strong> Anteil<br />
von Sozialgeld beziehenden Kin<strong>der</strong>n, die in Stimmbezirken<br />
mit hohen Sozialgeldquoten leben. Lebte 2009 etwas<br />
mehr als ein Drittel (37,1 %) <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong> in Bezirken<br />
mit Sozialgeldquoten von 40 % und mehr, waren es 2013
ereits fast die Hälfte (48,7 %). <strong>Die</strong> Entwicklung offenbart<br />
eine deutliche Tendenz zur Konzentration (Abb. 2).<br />
Zugleich belegen die Auswertungen aber auch, dass fast 30<br />
% <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong> mit Sozialgeldbezug in nicht extrem belasteten<br />
o<strong>der</strong> gar unauffälligen Bezirken wohnten. <strong>Die</strong>s kann als Hinweis<br />
auf die eingeschränkte Reichweite primär „sozialräumlicher<br />
Ansätze“ gewertet werden, die ihre Aufmerksamkeit<br />
häufig nur auf wenige „Fokusquartiere“ richtet.<br />
<strong>Die</strong> vorgenommene Auswertung von personen- und<br />
haushaltsbezogenen „Bewegungsdaten“ (Geburt und<br />
Wan<strong>der</strong>ung) ermöglicht auch eine genauere Sicht auf<br />
die Dynamik und die sozialen Hintergründe <strong>der</strong> zwischen<br />
2009 und 2013 neu als arm registrierten Kin<strong>der</strong>. Festgestellt<br />
werden kann, dass es sich bei fast <strong>der</strong> Hälfte um<br />
Neugeborene handelte (1.199 bzw. 45,3%), ein weiteres<br />
Drittel (31,3%) <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong> war aus an<strong>der</strong>en Gemeinden<br />
o<strong>der</strong> dem Ausland nach Mülheim gezogen, etwas weniger<br />
als ein Viertel (23,0 %) lebte bereits in <strong>der</strong> <strong>Stadt</strong>, war aber<br />
2009 noch nicht auf Sozialgeld angewiesen.<br />
Zwei Drittel <strong>der</strong> neu Sozialgeld beziehenden Kin<strong>der</strong> lebten in<br />
Wohngebieten, die bereits 2009 durch überdurchschnittliche<br />
Sozialgeldquoten von mehr als 30 % gekennzeichnet waren.<br />
Kin<strong>der</strong>tageseinrichtungen stärker streut als zwischen den<br />
Statistischen Bezirken. Wesentlich ist aber vor allem, dass<br />
Kin<strong>der</strong>tageseinrichtungen nicht per se Repräsentanten ihres<br />
räumlichen Wohnumfeldes sind. Nicht selten unterscheiden<br />
sie sich deutlich von ihrem Wohnumfeld. <strong>Die</strong>s illustriert Karte<br />
3 (Abb. 3). Erkennbar sind Einrichtungen mit einem sehr<br />
hohen Armutsanteil, die in Bezirken mit durchschnittlichen<br />
Armutsquoten liegen, wie auch Kin<strong>der</strong>tageseinrichtungen<br />
mit vergleichsweise niedriger Armut in Bezirken mit einem<br />
hohen Anteil armer Kin<strong>der</strong>. Eine primär an „sozialräumlichen<br />
Indikatoren“ orientierte För<strong>der</strong>ung von Kita wäre daher unzureichend<br />
und würde in etlichen Fällen zur Fehlallokation von<br />
Ressourcen führen.<br />
47<br />
Soziale <strong>Stadt</strong> - AUS DER PRAXIS<br />
Der Tiefenblick auf Settings<br />
Wenig Aufmerksamkeit wird in <strong>der</strong> Debatte um die Entwicklung<br />
und die Folgen von Segregation den Kin<strong>der</strong>tageseinrichtungen<br />
und Schulen gewidmet. Spätestens mit dem<br />
Eintritt in eine Kin<strong>der</strong>tageseinrichtung spielt dieses Setting<br />
eine wesentliche Rolle für die Sozialisation <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong>. Ihre<br />
Effekte für die kindliche Entwicklung sind höher einzuschätzen<br />
als die <strong>der</strong> Nachbarschaften (Groos / Jehles 2014). 5<br />
Beispielhaft konnte im Rahmen <strong>der</strong> KEKIZ-Evaluation gezeigt<br />
werden, dass <strong>der</strong> Anteil armer Kin<strong>der</strong> zwischen den<br />
Dipl.-Soz. Volker Kersting<br />
Soziologe und Sozialarbeiter<br />
arbeitet u.a. am Zentrum für interdisziplinäre Ruhrgebietsforschung<br />
(ZEFIR) <strong>der</strong> Ruhr-Universität Bochum als Projektleiter für den Bereich<br />
Evaluation und Wirkungsforschung. Zuvor hat er die „<strong>Stadt</strong>forschung<br />
und Statistik“ <strong>der</strong> <strong>Stadt</strong> Mülheim an <strong>der</strong> Ruhr geleitet.<br />
1<br />
„Armut“ wird hier über den Bezug von SGBII-Leistungen definiert, wohl wissend, dass damit Einkommensarmut nur unzureichend erfasst wird. Differenzierte<br />
intra- und interkommunale Analysen sind jedoch nur mit dieser Quelle möglich. <strong>Die</strong> Definitionen weichen je nach Quelle voneinan<strong>der</strong> ab (siehe dort).<br />
2<br />
Wenn im weiteren Text von Kin<strong>der</strong>n in Armut die Rede ist, sind damit unter 15-jährige Personen gemeint, die von Sozialgeld (SGBII) leben müssen.<br />
3<br />
Der Wegweiser Kommune <strong>der</strong> Bertelsmann Stiftung bietet für alle deutschen Kommunen ab 5.000 Einwohner einen umfangreichen Indikatorensatz,<br />
auch in Form von Zeitreihen: https://www.wegweiser-kommune.de/<br />
4<br />
Im Rahmen <strong>der</strong> Mülheimer KEKIZ-Evaluation konnte gezeigt werden, dass „Nachbarschafen“ unmittelbaren Einfluss auf die Kompetenzen<br />
von Schulneulingen ausüben. Bei größeren Einheiten (<strong>Stadt</strong>teile, sogenannte „Sozialräume“ etc.) mit mehreren Tausend Einwohnern sind solche<br />
eigenständigen Effekte nicht mehr zu erkennen (vgl. Groos / Kersting 2015; Groos / Jehles 2014).<br />
5<br />
<strong>Die</strong> Bedeutung und <strong>der</strong> Umfang von Segregation in Nachbarschaft, Kita und Schule im frühkindlichen Bereich wurden ausführlich untersucht<br />
in <strong>der</strong> „Mikrodaten-Evaluation“ im Rahmen von KEKIZ. Dokumentiert sind die Ergebnisse u.a. in zahlreichen Werkstattberichten: https://www.<br />
muelheim-ruhr.de/cms/kekiz_-_kein_kind_zuruecklassen.html (letzter Zugriff: 19.07.<strong>2017</strong>)<br />
BBSR <strong>2017</strong>: Bundesinstitut für Bau-, <strong>Stadt</strong>- und Raumforschung (BBSR): Vergleichende <strong>Stadt</strong>beobachtung http://www.bbsr.bund.de/BBSR/<br />
DE/Raumbeobachtung/UeberRaumbeobachtung/Komponenten/Vergleichende<strong>Stadt</strong>beobachtung/vergleichendestadtbeobachtung_node.html;jsessionid=AC2D5FBCE2CEDF37EF8F6566CA7F589F.live11293#doc444772bodyText2<br />
(letzter Zugriff: 16.07.<strong>2017</strong>)<br />
Groos, Thomas / Jehles, Nora (2014): Der Einfluss von Armut auf die Entwicklung von Kin<strong>der</strong>n. Bertelsmann Stiftung; KeKiz. Gütersloh. Online<br />
verfügbar unter https://www.bertelsmann-stiftung.de/de/publikationen/publikation/did/<strong>der</strong>-einfluss-von-armut-auf-die-entwicklung-von-kin<strong>der</strong>n<br />
(letzter Zugriff: 16.07.<strong>2017</strong>).<br />
Groos, Thomas / Trappmann, Carolin/ Jehles, Nora (<strong>2017</strong> i.E.): „Keine Kita für alle“ Zum Ausmaß und den Ursachen von Kitasegregation.<br />
Bertelsmann Stiftung; KEKIZ. Gütersloh.<br />
Groos, Thomas / Kersting, Volker (2015): Segregierte Kin<strong>der</strong>armut und Gesundheit. In: Aladin El-Mafaalani, Sebastian Kurtenbach und Klaus<br />
Peter Strohmeier (Hg.): Auf die Adresse kommt es an. Segregierte <strong>Stadt</strong>teile als Problem- und Möglichkeitsräume begreifen. 1. Aufl. Weinheim,<br />
Bergstr: Beltz Juventa, S. 76–107.<br />
Kersting, Volker / Kurosch, Ingo (2016): Sozialbericht NRW 2016 - Armuts- und Reichtumsbericht - Kommunaler Beitrag <strong>der</strong> <strong>Stadt</strong> Mülheim<br />
an <strong>der</strong> Ruhr - <strong>Die</strong> Dynamik des Sozialgeldbezuges zwischen 2009 und 2013. Hg. v. Ministerium für Arbeit, Integration und Soziales Landes Nordrhein-Westfalen<br />
(MAIS). Düsseldorf. Online verfügbar unter http://www.sozialberichte.nrw.de/sozialberichterstattung_nrw/aktuelle_berichte/<br />
SB2016.pdf (letzter Zugriff: 16.07.<strong>2017</strong>)
Prof. Oliver Hall<br />
48<br />
Soziale <strong>Stadt</strong> - REALLABOR<br />
Heimatwerker: Wer baut <strong>der</strong> bleibt!<br />
Über das Reallabor in Nieheim<br />
Mit Heimatwerker startete im September 2016 ein ungewöhnliches<br />
Modellprojekt in <strong>der</strong> <strong>Stadt</strong> Nieheim (Landkreis Höxter). Ein altes, von<br />
Leerstand bedrohtes Ackerbürgerhaus im historischen <strong>Stadt</strong>kern wird<br />
mit vereinten Kräften von Geflüchteten, Studierenden <strong>der</strong> Hochschule<br />
OWL und Anwohnern saniert. Während des Umbaus <strong>der</strong> Immobilie (April<br />
<strong>2017</strong>–Ende 2018) erwerben die Projektteilnehmer auf <strong>der</strong> Baustelle und<br />
in begleitenden Kursen handwerkliche Kenntnissen, die später etwa im<br />
Baugewerbe nützlich sind. Bei <strong>der</strong> Planung und <strong>der</strong> Sanierung werden<br />
die Heimatwerker fachkundig angeleitet.<br />
Bei <strong>der</strong> Arbeit, Foto: <strong>Stadt</strong>BauKultur NRW<br />
Nach Fertigstellung des Umbaus kann die Werkstatt<br />
von allen Bewohnerinnen und Bewohnern <strong>der</strong> <strong>Stadt</strong><br />
Nieheim für handwerkliche und kreative Tätigkeiten<br />
sowie für an<strong>der</strong>e gemeinschaftliche Zwecke genutzt<br />
werden. <strong>Die</strong>se Idee wurde in einer gemeinsamen<br />
Projektwoche entwickelt, an <strong>der</strong> rund 50 Personen<br />
– Geflüchtete, Studierende, Schüler, ehrenamtlich<br />
aktive Nieheimer – mitwirkten.<br />
Von dem Modellprojekt Heimatwerker sollen alle Beteiligten<br />
profitieren: <strong>Die</strong> Asylsuchenden können sich<br />
beruflich qualifizieren, ihre Sprachkenntnisse verbessern<br />
und erhalten die Möglichkeit, sich aktiv zu<br />
integrieren; die Gewerbetreibenden aus <strong>der</strong> lokalen<br />
Baubranche generieren beruflichen Nachwuchs; die<br />
Studierenden sammeln fachliche und soziale Erfahrungen;<br />
die <strong>Stadt</strong> Nieheim erhält historische Bausubstanz<br />
und schafft Bleibeperspektiven für die Asylsuchenden;<br />
den Bewohnerinnen und Bewohnern von<br />
Nieheim werden Räume für handwerkliche und kreative<br />
Tätigkeiten zur Verfügung gestellt.<br />
)) Durchgeführt wird das Projekt<br />
von <strong>der</strong> Landesinitiative <strong>Stadt</strong>-<br />
BauKultur NRW 2020, <strong>der</strong> <strong>Stadt</strong><br />
Nieheim und <strong>der</strong> Hochschule Ostwestfalen-Lippe<br />
koordiniert durch<br />
das <strong>urbanLab</strong>. Es hat eine Gesamtlaufzeit<br />
von 10 Jahren und soll bei<br />
Erfolg auch auf an<strong>der</strong>e Kommunen<br />
übertragen werden. ((<br />
<strong>Die</strong> Sanierung des Hauses wird finanziert durch das Städtebau-Son<strong>der</strong>för<strong>der</strong>programm<br />
des Ministeriums für Bauen,<br />
Wohnen, <strong>Stadt</strong>entwicklung und Verkehr des Landes<br />
Nordrhein-Westfalen und einen Eigenanteil <strong>der</strong> <strong>Stadt</strong> Nieheim.<br />
Weitere Kosten für Organisation, Öffentlichkeitsarbeit,<br />
Veranstaltungen und Dokumentation trägt <strong>Stadt</strong>Bau-<br />
Kultur NRW. Darüber hinaus sollen für den Umbau und
49<br />
Soziale <strong>Stadt</strong> - REALLABOR<br />
För<strong>der</strong>mittelübergabe, Foto: <strong>Stadt</strong>BauKultur NRW<br />
die langfristige Nutzung des Gebäudes weitere För<strong>der</strong>geber,<br />
Sponsoren und Spenden gewonnen werden.<br />
Heimatwerker ist dabei ein Pilotprojekt zur Integration<br />
von Flüchtlingen auf dem Land, aber auch zur Bekämpfung<br />
des teilweise stadtbildprägenden Leerstands in historischen<br />
Ortskernen. <strong>Die</strong> Strategie zur Schaffung von<br />
Bleibeperspektiven für Geflohene sind Praktische Qualifizierungsmaßnahmen<br />
vor Ort und das „Selber machen<br />
lassen“. <strong>Die</strong>s beinhaltet von Beginn an einen praktischen<br />
Anteil <strong>der</strong> Studierenden, von denen schon einige Leistungen<br />
erbracht worden sind. Außerdem betrachtet das<br />
<strong>urbanLab</strong> die Heimatwerker als Reallabor und überprüft<br />
die These „Wer selber baut, <strong>der</strong> bleibt“.<br />
Ein gemeinsames Projekt von:<br />
Beitrag <strong>der</strong> Hochschule OWL<br />
FB Architektur und Innenarchitektur<br />
• Fachliche Unterstützung durch Lehrmodule und<br />
Thesisarbeiten aus Architektur, Innenarchitektur<br />
und <strong>Stadt</strong>planung: (z.B. Bauantragspläne, Tragwerksuntersuchung,<br />
Brandschutz, Bauphysik, ein<br />
modulares Möbelkonzept, sowie <strong>Stadt</strong>entwicklungsstrategien)<br />
• Studierende und Flüchtlinge arbeiten und lernen<br />
zusammen: (z.B. in Entwurfs-Workshops und praktischen<br />
Seminaren)<br />
• Kostenmin<strong>der</strong>ung im Projekt durch „geistige und<br />
physische Muskelhypothek“ <strong>der</strong> Beteiligten<br />
• Freundschaftliche Kontakte beim „Selberbauen“<br />
för<strong>der</strong>n den interkulturellen Austausch und ein<br />
wachsendes Heimatgefühl : (z.B. Kinoabende, gemeinsame<br />
Dinner, Whatsapp-Gruppe)<br />
• Vereinsgründung Heimatwerker e.V. (Oliver<br />
Hall ist Mitgrün<strong>der</strong> und stellv. Vorsitzen<strong>der</strong>)<br />
Wissenschaftliche Begleitung durch den Forschungsschwerpunkts<br />
<strong>urbanLab</strong> von Beginn an:<br />
• Reallabor für die These: „Wer (selber) baut, <strong>der</strong> bleibt !“<br />
• Forschungsinteresse des <strong>urbanLab</strong>: Ländlicher Raum<br />
und Kleinstadtproblematik (Strategien gegen Schrumpfung,<br />
Leerstand und Demografischer Wandel).<br />
• Unterstützung bei <strong>der</strong> För<strong>der</strong>mittelbewerbung<br />
und Projektevaluation<br />
• Wissenstransfer (z.B. auf Westf. Kulturkonferenz),<br />
• Fachartikel (z.B. <strong>Stadt</strong>Bauwelt 41/2016 u.a.)
Marcel Cardinali<br />
50<br />
Soziale <strong>Stadt</strong> - STATEMENT URBANLAB<br />
Milieus und ihre Wohnanfor<strong>der</strong>ungen<br />
Warum in <strong>der</strong> Sozialen <strong>Stadt</strong> wie<strong>der</strong> mehr gebaut werden muss<br />
Der vorliegende Artikel beleuchtet die Bedeutung von sozial heterogenen Quartieren<br />
zur Verhin<strong>der</strong>ung von Armutsrepdroduktion. In diesem Zusammenhang<br />
werden Unterschiede und Gemeinsamkeiten von Sozialraum und Quartiersraum<br />
bei verschiedenen Gruppen herausgestellt. Daraus folgt, dass insbeson<strong>der</strong>e<br />
Kin<strong>der</strong> und Jugendliche von einer heterogenen Quartierszusammensetzung<br />
profitieren. <strong>Die</strong> Analyse <strong>der</strong> Abläufe und Abhängigkeiten <strong>der</strong> Problemstellungen<br />
im Quartier zeigt schließlich, dass die Interventionspunkte des Programms Soziale<br />
<strong>Stadt</strong> zwar richtig erkannt wurden, aber allein nicht geeignet sind einen<br />
Weg aus <strong>der</strong> Daueraufgabe Soziale <strong>Stadt</strong> zu ermöglichen. So zeigt sich, dass<br />
es <strong>der</strong> Ressourcen an<strong>der</strong>er Milieus bedarf, um die Armutsfalle benachteiligter<br />
Quartiere aufzulösen.<br />
ehem. Arbeiterquartiere<br />
Strukturwandel<br />
Großwohnsiedlungen<br />
Städtebauliche Leitbil<strong>der</strong><br />
Abb. 1: Benachteiligte <strong>Stadt</strong>teile im <strong>Stadt</strong>grundriss (Cardinali)<br />
Unfreiwillige Konzentration<br />
<strong>Die</strong> räumliche Verteilung von bestimmten Milieus und<br />
Gruppen geschieht nicht zufällig. Eine sozialräumliche<br />
Segregation ist bei einem freien Markt die logische Folge<br />
- eine Folge von Angebot und Nachfrage. Sie wird<br />
gesteuert durch den Wohnungsmarkt und insbeson<strong>der</strong>e<br />
durch die Ansprüche an den Wohnraum, sowie das Wohnumfeld<br />
(vgl. Volkmann 2012: 14). Nur wer entsprechende<br />
Mittel zur Verfügung hat, kann die stark nachgefragten<br />
Wohnstandorte, mit viel Platz, guter Anbindung, gutem<br />
Nachbarschaftsklima und einem Gefühl von Sicherheit<br />
auch in Anspruch nehmen. <strong>Die</strong> weniger nachgefragten<br />
Räume werden zu einem entsprechend niedrigen Preis<br />
angeboten und bieten damit den einzig möglichen Platz<br />
für Menschen mit geringen Ressourcen. <strong>Die</strong> logische Folge<br />
ist eine Konzentration von status- und milieuähnlichen<br />
Gruppen im <strong>Stadt</strong>raum.<br />
)) <strong>Die</strong> räumliche Verteilung von<br />
bestimmten Milieus und Gruppen<br />
geschieht nicht zufällig. Eine<br />
sozialräumliche Segregation ist<br />
bei einem freien Markt die<br />
logische Folge. ((
Derzeit lassen sich vor allem zwei beson<strong>der</strong>s häufig<br />
betroffene Quartierstypen beobachten. <strong>Die</strong> Großwohnsiedlungen<br />
mit ihren großen, monostrukturierten<br />
Wohnsiedlungen, die heute kaum noch nachgefragt<br />
werden und entsprechend Milieus anziehen, die sich<br />
keine an<strong>der</strong>en Standorte leisten können, auch wenn es<br />
sich hierbei inzwischen oft nicht mehr um Sozialwohnungen<br />
handelt. Ein zweites häufig zu beobachtendes<br />
Phänomen sind die ehemaligen Arbeiterquartiere, die<br />
<strong>der</strong> Strukturwandel von <strong>der</strong> Industrie- zur <strong>Die</strong>nstleistungsgesellschaft<br />
in relativ kurzer Zeit zu zu Arbeitslosenquartieren<br />
machte (vgl. Häußermann 2004). Der<br />
wirtschaftliche Strukturwandel hatte Arbeitslosigkeit,<br />
Armut und Kaufkraftverlust im Quartier zur Folge und<br />
setzte eine Abwärtsspirale in Gang, so dass die Haushalte,<br />
die noch über entsprechende Mittel verfügten,<br />
vielfach in einen funktionierenden <strong>Stadt</strong>teil umzogen<br />
und so die residentielle Segregation weiter verschärften.<br />
<strong>Die</strong>se <strong>Stadt</strong>teile sind vielfach leicht im <strong>Stadt</strong>grundriss<br />
ablesbar und werden i.d.R. von finanzstärkeren Milieus,<br />
die sich die Ansprüche an ihren Wohnraum und<br />
ihr Wohnumfeld leisten können, gemieden (siehe Abb.<br />
1). An vielen Stellen zeigt sich also, dass Segregation<br />
nicht zufällig passiert und i.d.R. auf monofunktionale<br />
Wohnungsstrukturen, die heute kaum mehr nachgefragt<br />
werden, zurückzuführen ist. Vernachlässigte und<br />
nur bedingt marktfähige Lebensräume werden so zur<br />
Sammelstelle für den Teil <strong>der</strong> <strong>Stadt</strong>bevölkerung, <strong>der</strong><br />
sich nichts an<strong>der</strong>es leisten kann.<br />
<strong>Die</strong>se Sichtbarkeit und Dominanz einzelner sozial<br />
benachteiligter Gruppen in einem bestimmten Raum<br />
führte schließlich zu <strong>der</strong> Einführung <strong>der</strong> För<strong>der</strong>kulisse<br />
Soziale <strong>Stadt</strong>, die sich dann auch größtenteils<br />
auf die vorher benannten Gebietstypen fokussierte.<br />
Volkmann stellte in ihrer Arbeit zusammen, dass<br />
gleich mehrere namenhafte Autoren (vgl. Farwick<br />
2002; Häußermann/Kronauer 2005; Schnur 2008)<br />
von einer zunehmenden Polarisierung <strong>der</strong> Schichten<br />
und Einkommen auf gesamtgesellschaftlicher Ebene<br />
ausgehen, was sich wie<strong>der</strong>um in einem immer stärkeren<br />
Auseinan<strong>der</strong>driften <strong>der</strong> <strong>Stadt</strong> in „Armutsquartiere“<br />
und „stabile Quartiere“ wi<strong>der</strong>spiegelt (vgl. Volkmann<br />
2012: 14). Neben <strong>der</strong> reinen Konzentration bestimmter<br />
Milieus, weisen diese Quartiere meist weitere Auffälligkeiten<br />
auf, wie Vandalismus, Drogenmissbrauch<br />
und (Jugend-)Kriminalität. Blickt man auf die städtebauliche<br />
Struktur so lassen sich außerdem regelmäßig<br />
eine vernachlässigte Bausubstanz, einseitige Wohnangebote<br />
und eine geringe Qualität des Wohnumfelds<br />
feststellen. Kritisch diskutiert wird dabei die Frage, ob<br />
<strong>der</strong> Raum selbst einen benachteiligten Effekt aufweist<br />
o<strong>der</strong> ob es sich bei den „Armutsquartieren“ nur im die<br />
Konzentration und damit die gebündelte Sichtbarkeit<br />
von Armut in <strong>der</strong> (<strong>Stadt</strong>-)Gesellschaft handelt.<br />
Ein Blick auf die sozialen Beziehungen, Bezugsgruppen<br />
und Interaktionen in solchen Quartieren offenbart,<br />
dass es sich tatsächlich um eine Armutsfalle für viele<br />
im Quartier handeln könnte. Zwar ist es bisher nicht<br />
gelungen einen pauschalen Effekt <strong>der</strong> physischen<br />
Ausstattung eines Quartiers auf die Reproduktion von<br />
Armut nachzuweisen (vgl. Volkmann 2012: 9). <strong>Die</strong>s<br />
ist jedoch auch gar nicht notwendig. Wie eingangs<br />
erläutert, entscheidet die Ausstattung des Quartiers<br />
und dessen Image, über dessen soziale Zusammensetzung.<br />
In <strong>der</strong> Folge ist es nicht mehr notwendig<br />
einen Effekt des Raums als solches auf die Armut<br />
nachzuweisen. Es genügt, die Auswirkungen <strong>der</strong> sich<br />
verän<strong>der</strong>enden persönlichen Netzwerke aufzuzeigen.<br />
Hierfür muss zwischen Quartiersraum (räumlich) und<br />
Sozialraum (persönliche Beziehungen) unterschieden<br />
werden. Je größer die Übereinstimmung zwischen<br />
Quartiersraum und Sozialraum, desto mehr kann über<br />
die Ausstattung des Quartiers und damit auf die vor-<br />
51<br />
Soziale <strong>Stadt</strong> - STATEMENT URBANLAB<br />
Erwachsene<br />
mobil<br />
Jugendliche<br />
Kin<strong>der</strong><br />
immobil<br />
Abb. 2: Überlageurng Sozialraum & Quartiersraum (Cardinali)
52<br />
Soziale <strong>Stadt</strong> - STATEMENT URBANLAB<br />
Abb. 3: Wirkungszusammenhänge im Quartier (Cardinali)<br />
handenen Milieus und Bezugsgruppen, in die persönlichen<br />
Netzwerke eingegriffen werden.<br />
Es zeigt sich, dass insbeson<strong>der</strong>e die Netzwerke <strong>der</strong><br />
stark quartiersbezogenen Gruppen, wie Kin<strong>der</strong>, Jugendliche,<br />
aber auch Arbeitslose in hohem Maße von<br />
einer heterogenen Zusammensetzung im Quartier<br />
profitieren können. Wohingegen im Beruf stehende<br />
Erwachsene kaum Auswirkungen auf ihren Sozialraum,<br />
durch die Verän<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Zusammensetzung<br />
im Quartier spüren (siehe Abb. 2).<br />
Kin<strong>der</strong> und Jugendliche<br />
Kin<strong>der</strong> und Jugendliche werden durch ihre Bezugsgruppen<br />
(Peers) positiv und negativ beeinflusst. <strong>Die</strong><br />
Zusammensetzung <strong>der</strong> Peers entscheidet sich wi<strong>der</strong>um<br />
durch die Angebote in <strong>der</strong> Nachbarschaft und<br />
im Schulkontext. Wissenschaftler stellen außerdem<br />
klar, dass <strong>der</strong> Kontakt mit delinquenten (straffälligen)<br />
Freunden, zumindest im Jugendalter, einen <strong>der</strong> wichtigsten<br />
Einflussfaktoren zur Entwicklung delinquenten<br />
Verhaltens darstellt. (Baier et al. 2010)<br />
Auch Sutherland verdeutlicht, dass unser gesamtes<br />
Verhalten - abweichendes o<strong>der</strong> konformes - auf einem<br />
Lernvorgang beruht (vgl. Sutherland 1974). <strong>Die</strong>ses<br />
Modelllernen kann aus dem Grundbedürfnis heraus<br />
abgeleitet werden, einer Gemeinschaft zugehörig zu<br />
sein und tritt bereits bei sehr kleinen Kin<strong>der</strong>n auf (Varbelow<br />
2000). Im Sinne <strong>der</strong> kindlichen Entwicklung gilt<br />
es also die Dominanz negativer Verhaltensvorbil<strong>der</strong> zu<br />
verhin<strong>der</strong>n. Homogene Nachbarschaften werden in<br />
diesem Zusammenhang als ein wesentlicher Faktor<br />
betrachtet (BMVBS 2013: 104). Hierzu konstatieren<br />
Schlack und Hölling, dass Jugendliche mit niedrigem<br />
sozialökonomischen Status beinahe doppelt so häufig<br />
Gewalttaten gegenüber Jugendlichen aus an<strong>der</strong>en<br />
sozialen Schichten verüben. Gleichzeitig stellen sie<br />
aber auch klar, dass <strong>der</strong> soziale Status nichts über die<br />
kriminelle Energie aussagt, son<strong>der</strong>n nur unterschiedliche<br />
Deliktarten häufiger auftreten, wie körperliche<br />
Gewalt und Beschaffungskriminalität in den sozial<br />
schwachen Milieus und Steuerhinterziehung in den<br />
sozial starken Schichten (Schlack und Hölling 2007).<br />
<strong>Die</strong> Sichtbarkeit <strong>der</strong> Kriminalitätsformen <strong>der</strong> sozialen<br />
schwachen Milieus führt jedoch im Gegensatz zu den<br />
Quartieren an<strong>der</strong>er Milieus zu einem Bild hoher Verrohung<br />
und Kriminalität in den öffentlichen Räumen<br />
<strong>der</strong> benachteiligten <strong>Stadt</strong>teile, was sich wie<strong>der</strong>um in<br />
einem niedrigeren Sicherheitsgefühl äußert. Das Forscherteam<br />
um Elliott stützen außerdem die „Broken<br />
Windows Theory“ und stellen einen Zusammenhang<br />
zwischen <strong>der</strong> Ausstattung des Quartiers und <strong>der</strong> Benachteiligung<br />
<strong>der</strong> Bewohner fest. Ein Quartier mit<br />
physischen und städtebaulichen Mängeln hat eine höhere<br />
Rate an Kriminalität, delinquentem Verhalten und<br />
Drogengebrauch. (vgl. Elliott et al. 2006: 277)<br />
Neben dem Quartier als Lernraum und <strong>der</strong> Familie als<br />
zentralen Erziehungspunkt können Schulen als beson<strong>der</strong>e<br />
Schlüsselinstitution für Kin<strong>der</strong> und auch für<br />
Jugendliche gewertet werden. Formale Institutionen
53<br />
Soziale <strong>Stadt</strong> - STATEMENT URBANLAB<br />
Abb. 4: Handlungsansätze <strong>der</strong> Sozialen <strong>Stadt</strong> und Creaming Effekte (Cardinali)<br />
im Quartier, vor allem Schulen, aber auch Freizeiteinrichtungen<br />
und Vereine verringern die Wahrscheinlichkeit<br />
für das Etablieren und Erstarken von negativen<br />
Gruppendynamiken (vgl. Elliott et al. 2006: 101).<br />
Sie konstatieren, dass <strong>der</strong> Sozialraum von Kin<strong>der</strong>n und<br />
Jugendlichen in den untersuchten Quartieren weitestgehend<br />
deckungsgleich mit dem Quartiersraum ist.<br />
(2006: 203f). In <strong>der</strong> Folge entscheidet die Existenz<br />
unterschiedlicher Wohnraumangebote über die Netzwerke<br />
<strong>der</strong> Kin<strong>der</strong> und Jugendlichen und damit über<br />
die Bezugsgruppen in Schule, Sport und Freizeit.<br />
Eine Beson<strong>der</strong>heit des Landes Nordrhein-Westfalen<br />
ist die Aufhebung <strong>der</strong> Grundschulbezirksbindung, so<br />
dass die Steuerungsmöglichkeit <strong>der</strong> Zusammensetzung<br />
in <strong>der</strong> Schule über die Wohnangebote im Quartier<br />
nicht eins zu eins wirken kann. Viele Studien belegen<br />
inzwischen, dass die freie Grundschulwahl Segregationseffekte<br />
stark verstärkt. Unter dem Titel „Gleich und<br />
gleich gesellt sich gern“ stellen Bertelsmann Stiftung<br />
und ZEFIR klar, dass die Schulsegregation weitaus<br />
höher ist also die ohnehin schon vorhandene residentielle<br />
Segregation (vgl. Groos 2015).<br />
Wirkungszusammenhänge im Quartier<br />
Auch wenn kein isolierter und pauschaler Zusammenhang<br />
zwischen <strong>der</strong> pyhsischen Ausstattung eines<br />
Quartier und <strong>der</strong> Benachteiligung <strong>der</strong> Bewohner festgestellt<br />
werden kann, zeigen die vorangegangen Ausführungen<br />
doch, dass es vielfältige Wirkungszusammenhänge<br />
zwischen <strong>der</strong> sozialen (und ethnischen)<br />
Zusammensetzung bestimmter Institutionen und Netzwerke<br />
einerseits und den individuellen Entwicklungschancen<br />
von Kin<strong>der</strong>n und Jugendlichen auf <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en<br />
Seite gibt. Auch für immobile Gruppen können<br />
einige Zusammenhänge hergestellt werden. Dabei<br />
entscheidet die physische Austattung eines Quartiers<br />
nicht direkt über Chancen und Potentiale eines Individuums,<br />
aber sie entscheidet darüber, welche an<strong>der</strong>en<br />
Gruppen vor Ort sind. Wie zuvor herausgestellt ist die<br />
räumliche Nähe zu an<strong>der</strong>en sozialen Gruppen insbeson<strong>der</strong>e<br />
im Kindes- und Jugendalter entwicklungsprägend.<br />
Das persönliche Umfeld entscheidet darüber<br />
welche potentiellen Netzwerkpartner vorhanden sind,<br />
welche Verhaltensmuster dominieren und welche sozialen<br />
Ressourcen zur Verfügung stehen. <strong>Die</strong> Alltagsaktivitäten<br />
die aus bestimmten Gruppendynamiken<br />
im Quartier entstehen, sorgen nicht zuletzt dafür, dass<br />
die (gefühlte) Sicherheit abnimmt und die Etablierung<br />
an<strong>der</strong>er resourcenstärkerer Milieus behin<strong>der</strong>t.<br />
Durch die vorher beschriebenen Effekte entsteht<br />
ein sogenanntes Creaming. Sozial stabile o<strong>der</strong><br />
durch die Soziale <strong>Stadt</strong> stabilisierte Gruppen<br />
wan<strong>der</strong>n ab. Ökonomische Ressourcen zieht es<br />
ebenfalls aus dem <strong>Stadt</strong>teil, weil die Kaufkraft im<br />
Quartier fehlt. Dadurch entstehen weitere Abwertungsdynamiken,<br />
so dass das Quartier den Wohnanfor<strong>der</strong>ungen<br />
ressourcenstarker Milieus nicht<br />
(mehr) genügt (siehe Abb. 4). Dem Gegenüber ziehen<br />
immer wie<strong>der</strong> ressourcenschwache Gruppen
54<br />
Soziale <strong>Stadt</strong> - STATEMENT URBANLAB<br />
nach, weil sie nicht die Finanzkraft haben, um sich<br />
an<strong>der</strong>e Wohnansprüche zu erfüllen, o<strong>der</strong> weil sie<br />
als Geflüchtete die Nähe ihrer ethnischen Gruppe<br />
suchen. Auf diese Weise bleiben die Gebiete<br />
<strong>der</strong> Sozialen <strong>Stadt</strong> trotz aller Anstrengungen und<br />
stabiliserenden Maßnahmen Ankunftsstadtteil und<br />
Durchlauferhitzer. Das Programm Soziale <strong>Stadt</strong><br />
wird so zur Daueraufgabe.<br />
<strong>Die</strong> Bedeutung <strong>der</strong> heterogenen<br />
Zusammensetzung des Quartiers<br />
Der Blick auf die Effekte <strong>der</strong> sozialen Zusammensetzung,<br />
insbeson<strong>der</strong>e auf Kin<strong>der</strong> und Jugendliche,<br />
offenbart wirksame Hebel für die Programmgebiete<br />
<strong>der</strong> Sozialen <strong>Stadt</strong>. Zahlreiche negative<br />
Kreisläufe, die zu einer ständigen Erneuerung <strong>der</strong><br />
Konzentration von sozial schwachen Gruppen in<br />
einem <strong>Stadt</strong>teil geführt haben, könnten so unterbrochen<br />
werden (siehe Abb. 5).<br />
Um die benachteiligten <strong>Stadt</strong>teile mit an<strong>der</strong>en Milieus<br />
anzureichern, die die sozialen Netzwerke verän<strong>der</strong>n<br />
und die lokale Kaufkraft wie<strong>der</strong> erhöhen,<br />
müssen die Ansprüche an den Wohnraum dieser<br />
Milieus gewährleistet sein. Gerade im Moment besteht<br />
durch den anhaltenden Druck auf den Wohnungsmarkt<br />
ein enormes Potential, diese Wohnanfor<strong>der</strong>ungen<br />
auch erfolgreich in den Gebieten <strong>der</strong><br />
sozialen <strong>Stadt</strong> abzubilden. Als Exitstrategie bedarf<br />
es in <strong>der</strong> Folge gezielte investive Maßnahmen in<br />
differenzierte Wohnraumangebote. <strong>Die</strong> Evaluierungen<br />
des Programms haben gezeigt, dass die<br />
baulichen Investitionen bisher häufig entwe<strong>der</strong> in<br />
den öffentlichen Raum o<strong>der</strong> aber in die Hände <strong>der</strong><br />
großen Wohnungsbaugesellschaften geflossen<br />
sind. Quartiere mit einer kleinteiligeren Eigentümerstruktur<br />
haben bisher das Nachsehen. Dabei<br />
sind differenzierte Wohnraumangebote nicht nur<br />
wichtig, um neue Milieus zu etablieren, sie sind<br />
auch notwendig um Wohnkarrieren im <strong>Stadt</strong>teil zu<br />
ermöglichen und Bleibeperspektiven zu schaffen.<br />
<strong>Die</strong> Folge wäre eine sich nicht mehr so schnell<br />
verän<strong>der</strong>nde Nachbarschaft und hätte damit eine<br />
zusätzliche stabilsierende Wirkung.<br />
)) <strong>Die</strong> Verän<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> sozialen<br />
Zusammensetzung, als<br />
ursprünglichem Indikator für<br />
das Einleiten <strong>der</strong> För<strong>der</strong>kulisse,<br />
ist auch <strong>der</strong> Ausweg aus <strong>der</strong><br />
Daueraufgabe Soziale <strong>Stadt</strong>. ((<br />
Eine heterogenere soziale Zusammensetzung im<br />
Quartier bringt eine ganze Reihe von Effekten mit<br />
sich. <strong>Die</strong> Zusammensetzung <strong>der</strong> Schulklassen verän<strong>der</strong>t<br />
sich. <strong>Die</strong> Kaufkraft vor Ort steigt durch die neuen<br />
finanzkräftigeren Milieus. <strong>Die</strong> Heterogenität ermöglicht<br />
ein zufälliges Begegnen und Erfahren von Leuten<br />
ganz unterschiedlicher Kulturen und Lebensstile, was<br />
als Grundvorraussetzung für Integration, einer weiteren<br />
großen Aufgabe unserer Zeit, verstanden werden<br />
kann. <strong>Die</strong> Steuerung <strong>der</strong> sozialen Zusammensetzung<br />
über gezielte Angebote kann dabei helfen die Reproduktion<br />
von Armut einzudämmen und für ein Stück<br />
Chancengleichheit und einer Möglichkeit zur Teilhabe<br />
in den sozial schwachen Milieus sorgen. Und das dort<br />
wo bisher die Chancenungleichheit beginnt - im Frühkindesalter<br />
in <strong>der</strong> Grundschule.<br />
Um diese zu erreichen sind die Handlungsfel<strong>der</strong> <strong>der</strong><br />
Sozialen <strong>Stadt</strong> eine wichtige Grundvoraussetzung.<br />
Abb. 5: Wirkungszusammenhänge in heterogenen Quartieren (Cardinali)
<strong>Die</strong> stabilsierende Wirkung, die das Programm bis<br />
jetzt entfalten konnte, hilft dabei das Negativimage<br />
<strong>der</strong> <strong>Stadt</strong>teile abzustreifen und einen in <strong>der</strong> Außenwarhnehmung<br />
sicheren <strong>Stadt</strong>teil zu erzeugen. Damit<br />
bilden die Handlungsansätze <strong>der</strong> sozialen <strong>Stadt</strong> die<br />
Grundlage für die Etablierung vieler weiterer Milieus.<br />
Bisher hat es den Anschein, dass sich das Programm<br />
damit zufrieden gibt, die negativen Folgen einer sozialräumlichen<br />
Polarisierung einzudämmen, nicht aber<br />
die sozialräumliche Konzentration einzelner Gruppen<br />
an sich zu än<strong>der</strong>n. Während sich insbeson<strong>der</strong>e die<br />
Akteure auf <strong>der</strong> lokalen Ebene aufgrund <strong>der</strong> stabilisierenden<br />
Wirkung oft zufrieden zeigen, ist damit<br />
noch kein Ausweg aus <strong>der</strong> Daueraufgabe Soziale<br />
<strong>Stadt</strong> vorhanden. Eine Steuerungsmöglichkeit hierfür<br />
sind die Wohnanfor<strong>der</strong>ungen <strong>der</strong> einzelnen Gruppen.<br />
<strong>Die</strong> vorangegangenen Ausführungen haben gezeigt,<br />
dass vielfältige Effekte für Kin<strong>der</strong> und Jugendliche<br />
insbeson<strong>der</strong>e, aber auch für die lokale Versorgung<br />
zu erwarten sind. <strong>Die</strong> Soziale Durchmischung kann<br />
damit nicht die Armut verhin<strong>der</strong>n, doch lassen sich<br />
zahlreiche Hinweis ableiten, dass sie gegen die Repdroduktion<br />
von Armut wirken kann und damit dem<br />
Quartier als Armutsfalle entgegenwirkt.<br />
Hieraus folgernd kann es nicht nur die Aufgabe<br />
des freien Marktes sein, die Wohnungsnachfrage<br />
abzubilden. Insbeson<strong>der</strong>e durch aktive Eingriffe<br />
mit För<strong>der</strong>programmen wie <strong>der</strong> sozialen <strong>Stadt</strong>,<br />
aber auch mit dem sozialen Wohnungsbau für eine<br />
bessere Verteilung <strong>der</strong> Milieus im <strong>Stadt</strong>raum, kann<br />
auf die Zusammensetzung <strong>der</strong> Quartiere eingewirkt<br />
werden. Für die benachteiligten Quartiere,<br />
kann dies ein Ausweg, aus <strong>der</strong> Daueraufgabe Soziale<br />
<strong>Stadt</strong> sein. Wird dieser Hebel nicht genutzt,<br />
verschärft sich die sozialräumliche Segregation jedoch<br />
zwangsläufig durch das Angebot und Nachfrageprinzip<br />
des freien Wohnungsmarkts.<br />
B.A. Marcel Cardinali<br />
<strong>urbanLab</strong> - Koordination Forschung<br />
ist Mitglied im <strong>urbanLab</strong> an <strong>der</strong> Hochschule OWL und koordiniert dort<br />
als Wissenschaftlicher Mitarbeiter die Forschungs- und Projektarbeit.<br />
Bereits seit seiner mit dem Preis <strong>der</strong> <strong>Stadt</strong> Detmold ausgezeichneten<br />
Bachelorthesis „Netzwerk“ beschäftigt er sich mit den Auswirkungen<br />
von gebautem Raum auf die menschliche Umwelt und plädiert für<br />
eine soziale Architektur, die ihre Verantwortung für den menschlich<br />
geformten Lebensraum ernst nimmt. Neben seiner Tätigkeit im <strong>urbanLab</strong><br />
studiert er den Master Städtebau NRW in Köln.<br />
55<br />
Soziale <strong>Stadt</strong> - STATEMENT URBANLAB<br />
BMVBS, Bundesministerium für Verkehr, Bau und <strong>Stadt</strong>entwicklung (Hg) (2013): Gewalt und Kriminalprävention in <strong>der</strong> Sozialen <strong>Stadt</strong>.<br />
BMVBS-Online-Publikation 17/2013. Abrufbar unter: http://www.bbsr.bund.de/BBSR/DE/Veroeffentlichungen/BMVBS/Online/2013/DL_<br />
ON172013.pdf?__blob=publicationFile&v=2%20 (abgerufen am 17.03.<strong>2017</strong>)<br />
Baier, Dirk; Pfeiffer, Christian; Rabold, Susann; Simonson, Julia; Kappes, Cathleen (2010): Kin<strong>der</strong> und Jugendliche in Deutschland: Gewalterfahrungen,<br />
Integration, Medienkonsum. Zweiter Bericht zum gemeinsamen Forschungsprojekt des Bundesministeriums des Innern und des<br />
KFN. Hannover: Kriminologischen Forschungsinstitut Nie<strong>der</strong>sachsen e.V. (KFN).<br />
Elliott, Delbert S. / Menard, Scott / Rankin, Bruce / Elliott, Amanda / Wilson, William Julius / Huizinga, Davis (2006): Good Kids from<br />
Bad Neighborhoods. Successful Development in Social Context. Cambridge u.a.: Cambridge University Press<br />
Farwick, Andreas (2002): Segregierte Armut und soziale Benachteiligung. Empirische Befunde und theoretische Re exionen zum Einfluss von Wohnquartieren<br />
auf die Dauer von Sozialhilfebedürftigkeit. In: Mayr, Alois/Meurer, Manfred/ Vogt, Joachim (Hrsg.): <strong>Stadt</strong> und Region. Dynamik von Lebenswelten.<br />
Leipzig: Deutsche Gesellschaft für Geographie, S. 292-305<br />
Groos, Thomas (2015): Gleich und gleich gesellt sich gern. Zu den Folgen freier Grundschulwahl. Schriftenreihe Arbeitspapiere wissenschaftliche Begleitforschung<br />
„Kein Kind zurücklassen!“ von ZEFIR und Bertelsmann Stiftung, Band 5, Gütersloh<br />
Güntner, Simon (2006): Soziale <strong>Stadt</strong>politik: Policy-Making und Institutionalisierung. Dissertation. Berlin<br />
Güntner, Simon; Walther, Uwe-Jens (2013): Aufstieg und Fall <strong>der</strong> sozialen <strong>Stadt</strong>politik in Europa – Das Ende einer Ära? In: Kronauer, Martin;<br />
Siebel, Walter (Hg.): Polarisierte Städte. Soziale Ungleichheit als Herausfor<strong>der</strong>ung für die <strong>Stadt</strong>politik. Frankfurt am Main/ New-York, S. 287–308<br />
Häußermann, Hartmut / Siebel, Walther (2004): <strong>Stadt</strong>soziologie. Eine Einführung. Frankfurt am Main/ New York: Campus.<br />
Häußermann, Hartmut / Kronauer, Martin / Siebel, Walter (2004): <strong>Stadt</strong> am Rand. Armut und Ausgrenzung. In: ebd. (Hrsg.): An den Rän<strong>der</strong>n<br />
<strong>der</strong> Städte. Frankfurt am Main: Suhrkamp, S. 11- 40<br />
Schlack R, Hölling H (2007): Gewalterfahrungen von Kin<strong>der</strong>n und Ju- gendlichen im subjektiven Selbstbericht. Erste Ergebnisse aus dem<br />
Kin<strong>der</strong>- und Jugendgesundheitssurvey (KiGGS). Bundesgesundheitsbl-Gesundheitsforsch-Gesundheitsschutz 50: 819-826<br />
Schnur, Olaf (2008): Quartiersforschung im Überblick: Konzepte, Definitionen und aktuelle Perspektiven. In: Ebd. (Hrsg.): Quartiersforschung.<br />
Zwischen Theorie und Praxis. Wiesbaden: Verlag für Sozialwissenschaften, S. 19-51<br />
Sutherland, Edwin Hardin (1974): Criminology (9th ed.). Philadelphia: Lippincott.<br />
Varbelow, Dirk (2000): Aggressionen im Kin<strong>der</strong>- und Jugendalter. Marburg: Tectum Verlag<br />
Volkmann, Anne (2012): Quartierseffekte in <strong>der</strong> <strong>Stadt</strong>forschung und in <strong>der</strong> sozialen <strong>Stadt</strong>politik. <strong>Die</strong> Rolle des Raumes bei <strong>der</strong> Reproduktion<br />
sozialer Ungleichheit. Graue Reihe des Instituts für <strong>Stadt</strong>- und Regionalplanung, Technische Universität Berlin. Berlin
Benjamin Dally<br />
56<br />
Soziale <strong>Stadt</strong> - LAB OF THE REGION<br />
Lab of the Region: Detmold<br />
Je<strong>der</strong> ist willkommen. <strong>Stadt</strong>, Region, Wandel.<br />
Das Lab of the Region bringt Menschen aus <strong>der</strong> Region zusammen, die anpacken<br />
wollen: für mehr Nachhaltigkeit, in kleinen Projekten, konkret, vor Ort, zusammen<br />
mit an<strong>der</strong>en Begeisterten. An einem halben Tag haben die Teilnehmer<br />
des Labs die Möglichkeit, Projektideen vorzustellen, Mitstreiter zu finden und<br />
die Projektidee voranzubringen. 2016 führten die Peter Gläsel Stiftung und das<br />
<strong>urbanLab</strong> das Format zum zweiten Mal durch. Gleich mehrere realisierte Projekte<br />
sind aus dem Format entstanden.<br />
Impressionen (Cardinali)<br />
Das Format Lab of the Region wurde 2015 von <strong>der</strong><br />
Peter Gläsel Stiftung, dem Karmakonsum-Netzwerk<br />
und dem <strong>urbanLab</strong> entwickelt. Für die zweite<br />
Veranstaltung 2016 stieß noch das Institut für<br />
Kompetenzentwicklung (zukünftig: Institut für Wissenschaftsdialog)<br />
<strong>der</strong> Hochschule OWL hinzu. Das<br />
Lab dient <strong>der</strong> Vernetzung zu Projekten <strong>der</strong> nachhaltigen<br />
Entwicklung und ist als gemeinschaftlicher,<br />
offener Ideen- und Innovationsprozesses<br />
aufgesetzt, und kann somit als Vernetzungs- und<br />
Transferplattform für eine zukunftsfähige <strong>Stadt</strong>und<br />
Regionalentwicklung verstanden werden.<br />
Durchgeführt wurde die Veranstaltung immer in<br />
enger Anbindung an die „b-wusst“-Woche <strong>der</strong> Peter<br />
Gläsel Stiftung, die bereits bestehende lokale<br />
Nachhaltigkeitsinitiativen in Detmold und <strong>der</strong> Region<br />
sichtbar macht und damit anregt, im Rahmen<br />
des Lab of the Regions neue Initiativen zu starten.<br />
<strong>Die</strong> Veranstaltung ist als drei- bis vierstündiger<br />
Open-Space-Prozess aufgesetzt. Projektgruppen,<br />
die im Rahmen <strong>der</strong> Veranstaltung entstehen,<br />
werden durch das Veranstalterteam im folgenden<br />
Jahr kontinuierlich weiter bei <strong>der</strong> Umsetzung unterstützt.<br />
Das Konzept sieht vor „Nachhaltigkeitsinnovatoren“<br />
aus den Bereichen Zivilgesellschaft und „Social<br />
Entrepreneurs“ mit „Ermöglichern“ (Enabler)<br />
aus den Bereichen Politik, Wirtschaft und Finanzen<br />
im Detmol<strong>der</strong> Rathaus zusammen zu bringen.<br />
Je<strong>der</strong> Teilnehmer <strong>der</strong> Veranstaltung kann dabei<br />
sowohl Innovator wie auch Enabler sein: mit dem<br />
Beitragen einer Projektidee, als aktiver Unterstützer<br />
einer fremden Projektidee, mit Rat, Tat, Wissen,<br />
Kontakten o<strong>der</strong> einem Beitrag zur Finanzierung.<br />
Gesucht werden niedrigschwellige, kleine o<strong>der</strong><br />
auch mittelgroße Projekte zur Stärkung <strong>der</strong> Nachhaltigkeit<br />
in <strong>Stadt</strong> und Region. Das können Geschäftsideen,<br />
soziale Projekte o<strong>der</strong> künstlerische<br />
Interventionen sein: die Herstellung veganen Käses,<br />
Yogakurse für Flüchtlinge o<strong>der</strong> eine Lichtinstallation.<br />
Dabei ist das Lab of the Region auch eine inzwischen<br />
gerne genutzte Möglichkeit für öffentliche<br />
Verwaltungen, innovative Projektideen aufzunehmen,<br />
zu unterstützen o<strong>der</strong> selber Mitstreiter für die<br />
eigenen Ziele zu finden. In diesem Sinne wird die<br />
Veranstaltung dankenswerterweise aktiv von <strong>der</strong>
57<br />
Soziale <strong>Stadt</strong> - LAB OF THE REGION<br />
visuelles Protokoll (Cardinali)<br />
DIE REGION VERÄNDERN<br />
Sie wollen Ihre <strong>Stadt</strong> und Ihre Region lebenswerter,<br />
intelligenter, nachhaltiger o<strong>der</strong> schöner<br />
machen? Sie möchten Orte haben, die Sie<br />
begeistern, zum Lächeln o<strong>der</strong> zum Nachdenken<br />
bringen? Sie glauben, dass genau hier<br />
<strong>der</strong> richtige Ort ist um Ihre Produktidee voranzubringen,<br />
die unser Leben besser macht?<br />
Sie suchen Leute, mit denen Sie Verän<strong>der</strong>ung<br />
vorantreiben können?<br />
Das Lab of the Region ist das Labor für die<br />
<strong>Zukunft</strong> <strong>der</strong> <strong>Stadt</strong> Detmold und <strong>der</strong> Region.<br />
Bringen Sie Ideen mit o<strong>der</strong> unterstützen Sie<br />
die Ideen Ihrer Mitstreiter. Gemeinsam entwickeln<br />
wir kleine Projekte, die <strong>Stadt</strong> und<br />
Region Schritt für Schritt verän<strong>der</strong>n. Und das<br />
Lab of the Region-Netzwerk unterstützt Ihre<br />
Gruppe dabei, aus Ihren Ideen Realität werden<br />
zu lassen und Kontakte in <strong>Stadt</strong> und Region<br />
zu knüpfen.<br />
<strong>Stadt</strong> Detmold unterstützt, unter an<strong>der</strong>em konnte<br />
sie im Rathaus (2015) und in <strong>der</strong> <strong>Stadt</strong>halle (2016)<br />
durchgeführt werden.<br />
Mit dem Lab of the Region tragen die Projektpartner<br />
zur Vernetzung von Personen und Ideen in <strong>der</strong><br />
Region bei. Für das <strong>urbanLab</strong> ist das Format ein<br />
Beitrag zur sogenannten „Third Mission“ <strong>der</strong> Hochschule,<br />
indem sich <strong>der</strong> Forschungsschwerpunkt<br />
aktiv in die Gesellschaft einbringt und den beidseitigen<br />
Wissenstransfer zwischen Hochschule und<br />
Gesellschaft för<strong>der</strong>t. Es trägt darüber hinaus zur<br />
Vernetzung des <strong>urbanLab</strong> in <strong>der</strong> Region mit Verwaltungen,<br />
Institutionen und Zivilgesellschaft bei.<br />
In Kooperation mit <strong>der</strong><br />
AUSWAHL LAUFENDER ODER<br />
UMGESETZTER PROJEKTE<br />
• Detmol<strong>der</strong> Lastenrad (siehe Seite 28)<br />
• „Sitz!“ Sitzmöglichkeiten im öffentlichen<br />
Raum<br />
• Pfandbecherprojekt (Kreis Lippe/BUND)<br />
• Terra Preta-Kompostierung bei Yoga Vidya Bad<br />
Meinberg<br />
Kontakt:<br />
<strong>urbanLab</strong> / Hochschule OWL<br />
Projektkoordination Benjamin Dally<br />
benjamin.dally(at)hs-owl.de
?!
Wettbewerbsdokumentation<br />
Quartier<br />
<strong>der</strong> <strong>Zukunft</strong>
Prof. Oliver Hall, Marcel Cardinali<br />
60<br />
Ideen - QUARTIER DER ZUKUNFT<br />
Quartier <strong>der</strong> <strong>Zukunft</strong><br />
Offener studentischer Ideenwettbewerb<br />
Studierende aus den Studiengängen <strong>der</strong> Architektur, des Städtebaus und <strong>der</strong><br />
Landschaftsarchitektur waren aufgefor<strong>der</strong>t für eines von zwei ausgelobten<br />
Plangebieten in Bielefeld und Lippstadt ein Quartier zu entwerfen, welches den<br />
zukünftigen Herausfor<strong>der</strong>ungen gewachsen ist. Gefragt war ein Quartier <strong>der</strong><br />
<strong>Zukunft</strong>, welches ein überzeugendes Bild des zukünftigen Zusammenlebens<br />
in Vielfalt ermöglicht und dabei die großen gesellschaftlichen Verän<strong>der</strong>ungen<br />
unserer Zeit, wie den demografischen Wandel, die Verän<strong>der</strong>ungen in <strong>der</strong> Arbeitswelt<br />
und die vielerorts stark gestiegene Wohnungsnachfrage, mit berücksichtigt.<br />
<strong>Die</strong>ser herausfor<strong>der</strong>ten Aufgabe <strong>der</strong> Wohnungswirtschaft Ostwestfalen-Lippe<br />
und des <strong>urbanLab</strong> stellten sich Studierende aus ganz Deutschland<br />
und kamen zu bemerkenswerten Ergebnissen.<br />
Anlass<br />
In den nächsten Jahren zeichnen sich zahlreiche<br />
gesellschaftliche Verän<strong>der</strong>ungen und Herausfor<strong>der</strong>ungen<br />
ab, die sich unmittelbar auf den täglichen<br />
Lebensraum und damit auf alle Formen <strong>der</strong> Architektur<br />
auswirken. Zukünftige Quartiere müssen den<br />
allgegenwärtigen demografischen Wandel genauso<br />
berücksichtigen, wie die Verän<strong>der</strong>ungen in <strong>der</strong> Arbeitswelt<br />
durch ZeroEmission und Industrie 4.0. <strong>Die</strong> Urbanisierungswelle,<br />
aber auch <strong>der</strong> ressourcenschonende<br />
Verbrauch mit Land und Boden führen dabei zu einer<br />
immer größeren Verdichtung. Entsprechend wird es in<br />
den nächsten Jahren eine <strong>der</strong> drängendsten Aufgaben<br />
sein, angemessenen, dauerhaften Wohnraum bereitzustellen,<br />
<strong>der</strong> über eine hohe Dichte und Durchmischung<br />
und dennoch über eine ausreichende Wohnqualität verfügt.<br />
Und das nicht nur, aber auch für einen Großteil <strong>der</strong><br />
eine Million Geflüchteten die in 2015 zu uns gekommen<br />
sind. Zukünftige Quartiersentwicklungen stehen<br />
deswegen vor <strong>der</strong> Aufgabe geeignete Lösungen für<br />
die ausdifferenzierten Lebensstile und Kulturen auf<br />
engstem Raum anzubieten. Nicht zuletzt ist die europäische<br />
<strong>Stadt</strong> von morgen bereits heute weitgehend<br />
gebaut und erfor<strong>der</strong>t i.d.R. innovative und individuelle<br />
Lösungen für die genannten Herausfor<strong>der</strong>ungen im<br />
Bestand.<br />
<strong>Die</strong> dazu erfor<strong>der</strong>lichen Wohnungsbauaktivitäten<br />
und Weiterentwicklungen <strong>der</strong> gebauten <strong>Stadt</strong> können<br />
aus diesem Grund nicht nur den Metropolen<br />
überlassen, son<strong>der</strong>n müssen auch in Regionen wie<br />
Ostwestfalen Lippe, die durch kleinere Großstädte,<br />
Mittelstädte und ländliche Räume geprägt sind, getätigt<br />
werden.
Wettbewerbsaufgabe<br />
Erwartet wurde ein sensibler Umgang mit den städtebaulichen<br />
Anfor<strong>der</strong>ungen aus <strong>der</strong> Umgebung und<br />
einer möglichen höheren Verdichtung, sowie die<br />
Auseinan<strong>der</strong>setzung mit den Herausfor<strong>der</strong>ungen<br />
<strong>der</strong> Zuwan<strong>der</strong>ungsthematik und <strong>der</strong> Schaffung von<br />
erschwinglichen Wohnungen auch für weniger zahlungskräftige<br />
Haushalte, darunter jene die ihre Heimat<br />
wegen Krieg und Verfolgung verlassen haben.<br />
Bei <strong>der</strong> Entwicklung zukunftsgerichteter Quartiere<br />
waren die Belange von Alteingesessenen natürlich<br />
ebenso zu berücksichtigen, wie die <strong>der</strong> Zugewan<strong>der</strong>ten.<br />
Im besten Fall sollte ein Szenario entwickelt<br />
werden, in denen sich die verschiedensten Teile <strong>der</strong><br />
Gesellschaft als Teil einer Nachbarschaft fühlen und<br />
das Quartier als ihre Heimat anerkennen können.<br />
)) Der bundesweit ausgelobte<br />
studentische Ideenwettbewerb<br />
fragte nach nicht weniger, als<br />
einem überzeugendes Bild des<br />
zukünftigen sozialen Zusammenlebens<br />
in Vielfalt, welches durch ein<br />
stimmiges Gesamtkonzept<br />
unterlegt ist. ((<br />
Gefor<strong>der</strong>t war demnach ein Quartiers-Entwurf an<br />
<strong>der</strong> Schnittstelle von <strong>Stadt</strong>/Siedlung, Freiraum und<br />
Architektur, <strong>der</strong> zeigt wie zukünftig Menschen unterschiedlicher<br />
Herkunft, Milieuzugehörigkeit und<br />
sozialem Status zusammen wohnen und gemeinsam<br />
in einem Quartier leben können. <strong>Die</strong>s manifestiert<br />
sich nicht nur in guten auf die jeweiligen Bedürfnisse<br />
zugeschnittenen Wohnungsgrundrissen<br />
son<strong>der</strong>n auch im wohnungsnahen und quartiersbezogenen<br />
Freiraum, in <strong>der</strong> klugen Anordnung von<br />
Gemeinbedarfseinrichtungen und Begegnungsräumen,<br />
sowie intelligenten Mobilitätsangeboten, insbeson<strong>der</strong>e<br />
wenn eigene PKWs nicht zur Verfügung<br />
stehen. Ziel sind modellhafte und visionäre Konzepte<br />
zu Quartieren <strong>der</strong> <strong>Zukunft</strong>, die den unterschiedlichen<br />
Lebensstilen und -modellen <strong>der</strong> genannten<br />
Zielgruppen gerecht werden, und Ideen für lebenswerte<br />
Quartiere einer sich än<strong>der</strong>nden Gesellschaft<br />
kreieren.<br />
<strong>Die</strong> Standorte<br />
<strong>Die</strong> Wettbewerbsaufgabe berücksichtigte dabei<br />
die unterschiedlichen Anfor<strong>der</strong>ungen <strong>der</strong> Region<br />
und war in zwei unterschiedlichen städtebaulichen<br />
Situationen verortet. <strong>Die</strong> vorgeschlagenen<br />
Standorte <strong>der</strong> Wohnungswirtschaft OWL zeigen<br />
exemplarisch die Bandbreite <strong>der</strong> Standorte und<br />
verdeutlichen den vielfältigen und komplexen<br />
Handlungsdruck unter dem die Wohnungsbaugesellschaften<br />
aufgrund <strong>der</strong> aktuellen gesellschaftlichen<br />
Verän<strong>der</strong>ungsprozesse stehen.<br />
Bielefeld - Altenhagen:<br />
Das Quartier Brockeiche wurde 1956 gebaut<br />
und beinhaltet 66 Wohneinheiten, die bislang<br />
auf wenige Grundrisstypen beschränkt sind. Mit<br />
einer durchschnittlichen Kaltmiete von 4,88€/<br />
m 2 gehört das 3376m 2 große Areal bislang zu<br />
einem <strong>der</strong> günstigsten Wohnstandorte in Bielefeld.<br />
Neuen Aufschwung erhält das Quartier und<br />
<strong>der</strong> ganze <strong>Stadt</strong>teil Milse/Altenhagen nun durch<br />
die Verlängerung <strong>der</strong> <strong>Stadt</strong>bahnlinie 2. <strong>Die</strong> neue<br />
Endhaltestelle liegt in fußläufiger Entfernung und<br />
bietet auch für das Quartier an <strong>der</strong> Brockeiche<br />
nach 60 Jahren das Potential zur Weiterentwicklung.<br />
Bislang sind die Wohnungen überwiegend<br />
an 1-Personenhaushalte vermietet. Es gibt <strong>der</strong>zeit<br />
nur wenige Wohnungen die an zwei Personen<br />
vermietet sind. In diesen Fällen handelt es<br />
sich stets um alleinerziehende Eltern mit einem<br />
Kind. Das direkte Wohnumfeld ist dagegen geprägt<br />
von Ein- bis Zweifamilienhäusern, die überwiegend<br />
in eigener Nutzung sind. Als typisches<br />
und tausendfach anzutreffendes monofunktionales<br />
Quartier <strong>der</strong> Nachkriegszeit stellt sich immer<br />
drängen<strong>der</strong> die Frage, wie dieser Art von Wohnraum<br />
langfristig in Wert gesetzt werden kann.<br />
61<br />
Ideen - QUARTIER DER ZUKUNFT
62<br />
Ideen - QUARTIER DER ZUKUNFT<br />
Lippstadt - Kernstadt:<br />
Das Areal <strong>der</strong> <strong>Stadt</strong>verwaltung/Feuerwehr liegt in <strong>der</strong><br />
östlichen Kernstadt Lippstadts und ist etwa 6 ha groß.<br />
Der Vertiefungsbereich des Plangebietes mit dem<br />
Hauptgebäude <strong>der</strong> <strong>Stadt</strong>verwaltung und <strong>der</strong> Feuerwehr<br />
umfasst ca. 2,5 ha. <strong>Die</strong> zahlreichen öffentlichen<br />
Gebäude <strong>der</strong> <strong>Stadt</strong>verwaltung und perspektivisch <strong>der</strong><br />
Feuerwehr inklusive <strong>der</strong> Stellplatzanlagen stehen durch<br />
einen potentiellen Neubau an an<strong>der</strong>er Stelle für eine<br />
Überplanung zur Verfügung. So ergeben sich günstige<br />
Flächen für eine Neubebauung, Nachverdichtung und<br />
Umnutzung.<br />
Das Gebiet zeichnet sich durch eine vielfältige, kleinteilige<br />
Nutzungsmischung aus. Es ist geprägt durch<br />
Gastronomie, gewerbliche Nutzungen, Wohnen (ca.<br />
80 Wohneinheiten), Einzelhandel, öffentliche Gebäude<br />
sowie Freiflächen und bietet sich daher für ein „Urbanes<br />
Mischgebiet“ mit verdichtetem Wohnungsbau an.<br />
Durch die Lage des Areals ergeben sich mehrere<br />
Möglichkeiten <strong>der</strong> Einbindung in das Umfeld. So<br />
liegt die Haupteinkaufsstraße nur 200m entfernt<br />
zum Plangebiet. Auch <strong>der</strong> Hauptbahnhof/ZOB ist<br />
mit einer Entfernung von 300m schnell zu erreichen,<br />
sodass eine gute Anbindung an den öffentlichen<br />
Nah- und Fernverkehr gesichert ist. <strong>Die</strong> Nähe zur<br />
Grünanlage „Grüner Winkel“ wertet die Lage des<br />
Quartiers weiter auf.<br />
<strong>Die</strong> Studierenden konnten ihrer Kreativität und<br />
ihren innovativen Lösungen in Lippstadt und Bielefeld<br />
freien Lauf lassen. Dabei spiegelte das<br />
Plangebiet in Lippstadt eine Innenstadtrandlage<br />
wie<strong>der</strong>, die durch eine anstehende Nutzungsän<strong>der</strong>ung<br />
nun weitestgehend frei überplant werden<br />
konnte, was die Studierenden jedoch nicht davon<br />
abhielt Teile des vorhandenen Bestands als identitätsstiftende<br />
Struktur mit in das neue Quartier zu<br />
integrieren.<br />
Dem gegenüber hatten die Studierenden in Bielefeld<br />
Altenhagen die Möglichkeit innovative Lösungen<br />
zu entwickeln um bestehende Strukturen zukunftsfähig<br />
zu machen. <strong>Die</strong> überwiegend homogene<br />
Wohnstruktur <strong>der</strong> bis dato suburbanen Siedlung am<br />
<strong>Stadt</strong>rand ist seit kurzer Zeit durch einen neuen<br />
<strong>Stadt</strong>bahnanschluss mit <strong>der</strong> Innenstadt verbunden<br />
und bietet den nötigen Impuls zur Weiterentwicklung<br />
des <strong>Stadt</strong>teils.<br />
<strong>Die</strong> innovativen Lösungen <strong>der</strong> Studenten<br />
Im April traf sich in Lippstadt ein hochkarätig besetztes<br />
Preisgericht aus Vertretern <strong>der</strong> Wohnungswirtschaft,<br />
<strong>der</strong> beteiligten Städte sowie aus Vertretern<br />
<strong>der</strong> Hochschul- und Planungspraxis, um aus<br />
den etwa fünfzig anonym eingereichten Arbeiten<br />
die Siegerentwürfe auszuwählen. <strong>Die</strong> Entscheidungsfindung<br />
fiel durchaus schwer, am Ende verteilten<br />
sich die Preise und Anerkennungen auf Studierende<br />
<strong>der</strong> Hochschulen aus Dortmund, Hamburg,<br />
Detmold und Koblenz.<br />
Für Lippstadt zeigen die Entwürfe <strong>der</strong> Studierenden<br />
so nah an <strong>der</strong> Innenstadt eine erwartet hohe Dichte.<br />
<strong>Die</strong> Arbeiten durchmischen Wohnungsgrößen<br />
und bieten meist im Erdgeschoss vielfältige <strong>Die</strong>nstleistungsangebote<br />
an. Dabei greifen sie oft auf<br />
Blockstrukturen zurück, die trotz <strong>der</strong> hohen Dichte<br />
geeignet sind, private Rückzugsräume zu ermöglichen.<br />
Auch in die Höhe werden fleißig Nutzungen<br />
gestapelt. Exemplarisch ist hier die Arbeit Vielfalt<br />
(er)leben (S. 64), die eine schlüssige städtebauliche<br />
Figur mit hoher Dichte wählt, die gleichzeitig die<br />
Vernetzung mit mit Natur und Landschaft ermöglicht,<br />
so dass ein insgesamt attraktives Wohnumfeld<br />
entsteht, welches alle Bedürfnisse des Alltags - von<br />
Besorgungen, bis zu Spaziergängen mit Kind und/<br />
o<strong>der</strong> Hund bewältigen kann.<br />
Dabei sind klassische Blockformen bei manch an<strong>der</strong>en<br />
Arbeiten nicht das Mittel <strong>der</strong> Wahl. Insbeson<strong>der</strong>e<br />
die Arbeit EW Quartier (S. 70) erschafft innovative Gemeinschaftliche<br />
Räume, die zur Diskussion anregen.<br />
Sie provozieren und verlangen Gemeinschaft und lassen<br />
ein ganz an<strong>der</strong>es Zusammenleben vor dem geistigen<br />
Auge entstehen.<br />
Dabei drängt sich spästestens die Frage auf, ob die<br />
verschiedenen Gruppen und Milieus überhaupt zusammen<br />
wohnen und leben wollen. Ein Blick auf die<br />
<strong>der</strong>zeitige Situation in den Städten zeigt eine natürliche<br />
residentielle Segregation, die zwar größtenteils
63<br />
auf marktwirtschaftliche Gesetzmäßigkeiten zurückzuführen<br />
ist, aber nicht nur. Nicht je<strong>der</strong> möchte mit jedem<br />
zusammen leben. <strong>Die</strong>sem Aspekt widmet sich die<br />
Arbeit Neo-Agora (S. 74), die eine Gesamtlösung entwickelt,<br />
die gezielt verschiedene Milieus in einer solidarischen<br />
Baugemeinschaft zusammenbringt. Durch<br />
das Solidarprinzip werden die Teilnehmer je nach Einkommen<br />
unterschiedlich stark belastet, so dass auch<br />
finanzschwächere Milieus den Zugang zu solchen,<br />
ihnen sonst verschlossenen Baugemeinschaften, erhalten.<br />
Auch <strong>der</strong> Frage <strong>der</strong> Ablesbarkeit von Armut<br />
widmen sich die Studierenden. Sie schlagen vor, die<br />
Außengestaltung <strong>der</strong> Fassaden einheitlich zu gestalten<br />
und nur den Innenausbau in unterschiedlichen<br />
Standards anzubieten.<br />
Einen weiteren wichtigen Aspekt liefert die bis ins<br />
Detail durchdachte Arbeit <strong>der</strong> Wettbewerbssieger<br />
Kleine Experimente in Lippstadt (S. 60). Mit ihrem<br />
sehr gut ausgearbeiteten Entwurf und insbeson<strong>der</strong>e<br />
ihrem Prozess einer geleiteten selbstgemachten<br />
<strong>Stadt</strong>, ermöglichen sie den Nutzern selbst ihre<br />
Nachbarschaft zu gestalten. In einer Zeit, in <strong>der</strong> immer<br />
mehr Beteiligung und Selbstbestimmung gefor<strong>der</strong>t<br />
wird, ein nicht zu unterschätzen<strong>der</strong> Faktor für<br />
zukünftige Quartiere.<br />
<strong>Die</strong> Bestandsituation in Bielefeld führte bei den Studierenden<br />
zu an<strong>der</strong>en Ansätzen. Einig waren sich die<br />
allermeisten Beiträge, das nahe <strong>der</strong> Endhaltestelle ein<br />
zentraler <strong>Stadt</strong>teilplatz als neuer Treff- und Identifikationspunkt<br />
entstehen sollte, den Altenhagen bisher nicht<br />
hat. <strong>Die</strong> Arbeit Zwischenräume (S. 72) zeigt außerdem<br />
exemplarisch zwei vielversprechende Ansätze für die<br />
Zeilenbauten im Bestand, indem sie einerseits durch<br />
das Hinzufügen einzelner Winkelelemente Räume bildet,<br />
die die Ablesbarkeit und die Aufenthaltsqualität<br />
<strong>der</strong> Freiräume deutliche erhöhen kann. An<strong>der</strong>erseits<br />
bedient sie sich architektonischer Hochpunkte in den<br />
einzelnen Quartieren, die sich nicht nur in <strong>der</strong> Höhe<br />
son<strong>der</strong>n auch in ihrer Materialität unterscheiden, so<br />
dass, in Anlehnung an Kirchen, gemeinschaftlich nutzbare<br />
Räume entstehen, die die Identifikation und die<br />
Nachbarschaft im Quartier verbessern.<br />
Preisverleihung Mai <strong>2017</strong> <strong>Stadt</strong>entwicklungstage Bielefeld (fotogen, Meik Schulz)<br />
Und jetzt?<br />
Das <strong>urbanLab</strong>, die Wohnungswirtschaft Ostwestfalen-Lippe<br />
und die beteiligten Kommunen sind sich einig:<br />
Das war ein Erfolg. <strong>Die</strong> vielfältigen Lösungsansätze<br />
zeigen einmal mehr warum Wettbewerbsverfahren zum<br />
guten Ton in <strong>der</strong> Planung gehören. <strong>Die</strong> große Bandbreite<br />
an Ansätzen und Lösungswegen ergeben zusammen<br />
mit den Aspekten, die immer wie<strong>der</strong> auftauchen, den<br />
Weg zur Weiterentwicklung <strong>der</strong> Quartiere vor. Sie sind<br />
das Fundament für weitere Diskussionen und erschaffen<br />
komplexe Raumbil<strong>der</strong>, die weiterentwickelt werden<br />
wollen. Immer an <strong>der</strong> Frage ausgerichtet, wie wollen wir<br />
in <strong>Zukunft</strong> - angesichts unserer bestehenden Städte<br />
und <strong>der</strong> <strong>der</strong>zeitigen Verän<strong>der</strong>ungen - wohnen?<br />
Nicht zuletzt durch die positiv entschiedene Regionale<br />
Bewerbung 2022 für unsere Region, besteht nun aus<br />
Sicht <strong>der</strong> Wohnungswirtschaft und des <strong>urbanLab</strong> die<br />
Chance etwas Neues zu wagen und auch umzusetzen.<br />
Wir freuen uns darauf die Ideen weiterzuentwickeln!<br />
Vorbereitung, Koordination und Dokumentation:<br />
In Kooperation mit <strong>der</strong><br />
Kontakt:<br />
<strong>urbanLab</strong> / Hochschule OWL<br />
Projektkoordination Marcel Cardinali<br />
marcel.cardinali(at)hs-owl.de<br />
Ideen - QUARTIER DER ZUKUNFT
64<br />
Ideen - QUARTIER DER ZUKUNFT<br />
Jakob Langner, Philipp Kuhlenkötter,<br />
Timon Schwafert, Mattia de Virgilio (TU Dortmund, Master Raumplanung)<br />
Kleine Experimente in Lippstadt<br />
1. Platz - 1.100 Euro Preisgeld<br />
Entwurfsszenario<br />
Beurteilung des Preisgerichtes<br />
<strong>Die</strong> Verfasser gehen von einem vollkommen an<strong>der</strong>en<br />
Planungs- und Umnutzungsprozess aus und erhalten<br />
so zunächst den Bestand. Sie zeigen mit ihrem innovativen<br />
Beitrag eine Entwicklung unter starker Beteiligung<br />
<strong>der</strong> Betroffenen, die ein plausibles Bild einer<br />
nutzergetragenen Transformation des Plangebiets entwirft.<br />
Das tragfähige und nachvollziehbare Konzept als<br />
Raumlabor wird begrüßt. Hervorzuheben ist die Nachvollziehbarkeit<br />
des komplexen Transformationsprozesses.<br />
In gelungenen Plandarstellungen werden Raumbil<strong>der</strong><br />
erzeugt, die Impulse für die Debatte um mögliche<br />
neue Quartiersentwürfe bieten. <strong>Die</strong> entstehende architektonische<br />
Vielfalt im Entwurfsszenario erscheint angemessen<br />
für den Standort und bietet vielfältige Nutzungsmöglichkeiten.<br />
Das Mobilitätstool als Bestandteil<br />
des Konzepts wird ebenfalls begrüßt erscheint aber in<br />
seiner Wirkung zu optimistisch.<br />
Ebenen <strong>der</strong> Quartiersgesellschaft
65<br />
Ideen - QUARTIER DER ZUKUNFT<br />
Städtebaulicher Entwurf o.M:
66<br />
Ideen - QUARTIER DER ZUKUNFT<br />
Perspektive Begegnungsort am Kletterturm<br />
Perspektive Begegnungsort Baumscheibenpark
67<br />
Ideen - QUARTIER DER ZUKUNFT<br />
Prinzipgrundrisse Vertiefungsbereich
Julia Tesch (TU Dortmund, Master Raumplanung)<br />
68<br />
Ideen - QUARTIER DER ZUKUNFT<br />
Vielfalt (er)leben<br />
1. Platz - 1.100 Euro Preisgeld<br />
Städtebaulicher Entwurf o.M.<br />
Städtebaulicher Entwurf o.M:
Beurteilung des Preisgerichtes<br />
Der Entwurf erzeugt mittels klarer und präziser Gestaltungsstrukturen<br />
ein verdichtetes und nutzungsgemischtes<br />
Quartier. Durch die Ausbildung zweier Achsen<br />
mit durchdachten Dichten und Nutzungsprofilen<br />
entsteht ein Quartiersplatz im Achsenkreuz <strong>der</strong> in seiner<br />
Dimension und Ausprägung auch durch die baulich<br />
gesetzten Hochpunkte für den Standort angemessen<br />
erscheint. <strong>Die</strong> klare städtebauliche Figur schafft im Vertiefungsbereich<br />
vier Blöcke, die baulich unterschiedlich<br />
gefasst sind. <strong>Die</strong> erzeugten gemeinschaftlichen Höfe<br />
erzeugen ein plausibles Bild von Begegnungsräumen<br />
in <strong>der</strong> Nachbarschaft und eine angemessene Trennung<br />
zwischen öffentlichen und privaten Räumen. <strong>Die</strong> Fortführung<br />
<strong>der</strong> städtebaulichen Gestaltungsstrukturen<br />
über das Vertiefungsgebiet hinaus ist gelungen und<br />
erzeugt eine harmonische Einpassung in den <strong>Stadt</strong>körper.<br />
Modellfoto<br />
69<br />
Ideen - QUARTIER DER ZUKUNFT
70<br />
Ideen - QUARTIER DER ZUKUNFT<br />
Perspektive Quartiersplatz
71<br />
Ideen - QUARTIER DER ZUKUNFT<br />
Vertiefungsbereich o.M.
Jannik Cirkusch, Max Glaser, Joel Prang, Pia Sophie Schwanenberg,<br />
Mette Siedler, Lennart Werblow (HCU Hamburg, Bachelor <strong>Stadt</strong>planung)<br />
72<br />
Ideen - QUARTIER DER ZUKUNFT<br />
Quartier Feuerwache<br />
2. Platz - 850 Euro Preisgeld<br />
Perspektive Platz an <strong>der</strong> Feuerwache<br />
Beurteilung des Preisgerichtes<br />
<strong>Die</strong> Arbeit entspricht konzeptionell dem Ziel des Bildes<br />
eines zukünftigen sozialen Lebens in Vielfalt. <strong>Die</strong> räumliche<br />
Integration auch unter Berücksichtigung <strong>der</strong> höheren<br />
Verdichtung ist gelungen und för<strong>der</strong>t vermutlich<br />
die zu lösenden Fragen aufgrund <strong>der</strong> Zuwan<strong>der</strong>ungsthematik.<br />
<strong>Die</strong> vorgeschlagenen Architekturformen lassen<br />
die Entwicklung von erschwinglichem Wohnraum<br />
zu. Der Entwurf fügt sich angemessen in die Umgebung<br />
ein und bereichert auch das Quartiersumfeld<br />
durch zusätzliche Angebote und Begegnungsmöglichkeiten.<br />
Insbeson<strong>der</strong>e die Einbindung des Grünen Winkels<br />
im Norden des Plangebiets wird begrüßt und verbindet<br />
das Quartier plausibel mit den nahegelegenen<br />
Naherholungsmöglichkeiten. <strong>Die</strong> Fragen <strong>der</strong> Mobilität<br />
werden plausibel, aber konventionell gelöst. Insgesamt<br />
wird die Arbeit als plausible städtebauliche Antwort auf<br />
die Anfor<strong>der</strong>ungen in Lippstadt gewürdigt<br />
Aktionsflächen o.M.
73<br />
Ideen - QUARTIER DER ZUKUNFT<br />
Städtebaulicher Entwurf o.M.<br />
Prinzipschnitt o.M.
Carina Fahl, Anna Holthenrich (HS OWL, Master Architektur)<br />
74<br />
Ideen - QUARTIER DER ZUKUNFT<br />
EW Quartier<br />
3. Platz - 600 Euro Preisgeld<br />
Perspektive<br />
Beurteilung des Preisgerichte<br />
Der Entwurf besticht durch seine städtebauliche Struktur,<br />
die die grenzgenau zonierten Freiflächen zugunsten<br />
von Allmen<strong>der</strong>äumen und Gemeinschaftsflächen weitestgehend<br />
aufgibt und damit einen diskussionswürdigen<br />
Beitrag zur Leitfrage des Wettbewerbs leistet. <strong>Die</strong><br />
Erdgeschosslagen sind überwiegend als Produktionsund<br />
Verkaufsflächen vorgesehen und bieten damit<br />
Raum für StartUps und PopUp Stores, die zusammen<br />
mit Angeboten für kleine Produktionsbetriebe ein urban<br />
manufacturing ermöglichen und damit den öffentlichen<br />
Raum beleben. Kritisch diskutiert wird, ob die<br />
angestrebte Durchmischung und Urbanität sichergestellt<br />
werden kann, ohne genauer festzulegen, welche<br />
Art von gewerblicher Nutzung an welcher Stelle möglich<br />
ist. Insgesamt wird die vorgeschlagene Struktur<br />
als komplexes Zusammenspiel zwischen öffentlichen<br />
und gemeinschaftlichen, wie privaten Räumen begrüßt,<br />
dass insbeson<strong>der</strong>e eine detaillierte Aufbereitung möglicher<br />
Grundrisse liefert. <strong>Die</strong> Bearbeitung <strong>der</strong> öffentlichen<br />
Räume und Freiräume, sowie die Einbindung in<br />
das Umfeld ist hingegen nicht in gleicher Qualität ausgearbeitet.<br />
Prinzipgrundrisse Vertiefungsbereich o.M.
75<br />
Nutzungen<br />
Ideen - QUARTIER DER ZUKUNFT<br />
Städtebaulicher Entwurf o.M.<br />
Prinzipschnitt o.M.
Eva Reidl, Dorina Kranzmann (HS OWL, Bachelor <strong>Stadt</strong>planung)<br />
76<br />
Ideen - QUARTIER DER ZUKUNFT<br />
ZWISCHENRÄUME - Sozial. Nachhaltig. Flexibel.<br />
3. Platz - 600 Euro Preisgeld<br />
Perspektive Ankunftsplatz<br />
Beurteilung des Preisgerichtes<br />
<strong>Die</strong> Arbeit „Zwischenräume“ geht von <strong>der</strong> Grundannahme<br />
aus, dass bei <strong>der</strong> Gestaltung eines zukunftsfähigen<br />
Quartiers den Kriterien Flexibilität, Nachhaltigkeit und<br />
soziale Ausformung gleichermaßen Rechnung zu tragen<br />
ist und entwickelt im Entwurf diese zentralen Aspekte<br />
einer nachhaltigen <strong>Stadt</strong>entwicklung zu einem<br />
grundsätzlich überzeugenden Gesamtbild. Der landschaftliche<br />
Rahmen am Bielefel<strong>der</strong> <strong>Stadt</strong>rand sowie<br />
die vorhandene Umgebungsbebauung werden sinnvoll<br />
aufgegriffen und unter den vorgenannten Prämissen<br />
nachvollziehbar weiterentwickelt. Wesentlicher Schwerpunkt<br />
sowohl des Neubaus wie <strong>der</strong> mo<strong>der</strong>nisierten und<br />
baulich ergänzten Bestandsgebäude ist die Schaffung<br />
von funktionierenden Nachbarschaften in den Zwischenräumen.<br />
<strong>Die</strong> MitMachHäuser als bauliche Hochpunkte<br />
wirken identitäts- und gemeinschaftsbildend<br />
und können überzeugen. Das Quartier Brockeiche erscheint<br />
in seiner angestrebten sozialen Durchmischung<br />
plausibel und grundsätzlich baulich umsetzbar, auch<br />
wenn die konkrete Grundrissumsetzung nur angedeutet<br />
wird. Zur Reduzierung des Individualverkehrs wird<br />
ein reduzierter Stellplatzschüssel von 0,4 angenommen.<br />
Eine konkrete Ausgestaltung <strong>der</strong> verkehrlichen<br />
Erschließung im Vertiefungsbereich bleibt lei<strong>der</strong> offen.<br />
Prinzipgrafik o.M.
77<br />
Ideen - QUARTIER DER ZUKUNFT<br />
Prinzipgrundrisse Vertiefungsbereich o.M.<br />
Prinzipgrafik o.M.<br />
Städtebaulicher Entwurf o.M.<br />
Prinzipschnitt
Jan Belger, Irina Oshkai, Verena von Ohlen, Thorsten Walper (HS OWL, Bachelor <strong>Stadt</strong>planung)<br />
78<br />
Ideen - QUARTIER DER ZUKUNFT<br />
Neo-Agora<br />
Anerkennung - 250 Euro Preisgeld<br />
Prinzipgrafiken
Beurteilung des Preisgerichtes<br />
Der Entwurf Neo Agora hat sich <strong>der</strong> Inklusion und<br />
dem gemeinschaftsbasierten Zusammenleben von<br />
Menschen unterschiedlicher kultureller und sozialer<br />
Herkunft verschrieben. Vor diesem Hintergrund erscheint<br />
die räumlich-funktionale Geschossausbildung,<br />
wie auch die Freiraumgestaltung mit einer plausiblen<br />
Mischung von öffentlichen, gemeinschaftlichen und privaten<br />
Räumen angemessen. <strong>Die</strong> Stärke des Entwurfs<br />
Neo Agora liegt in <strong>der</strong> konsequenten Ausformulierung<br />
eines gemeinwohlorientierten Wohnungs- und Städtebaus.<br />
<strong>Die</strong> innovative Projektentwicklung mit einem<br />
Anteil von 40% Sozialwohnungen basiert auf einem<br />
abgewandelten Baugruppenprinzip, welches das erfor<strong>der</strong>liche<br />
Finanz- und Sozialkapital mobilisieren soll<br />
kann grundsätzlich überzeugen. Es wird jedoch darauf<br />
hingewiesen, dass für eine Realisierung ein hohes Maß<br />
an kommunalen und bürgerschaftlichen Engagements<br />
notwendig erscheint. <strong>Die</strong> Höhenentwicklung, Dichte<br />
und Zahl <strong>der</strong> Wohneinheiten ist dem städtebaulichen<br />
Kontext angemessen. <strong>Die</strong> introvertierte Anmutung des<br />
Entwurfs erscheint hingegen kontraproduktiv für die<br />
Einbindung in die Gesamtstadt. Auch die Fragen <strong>der</strong><br />
Perspektive zentraler Platz<br />
79<br />
Ideen - QUARTIER DER ZUKUNFT<br />
städtebaulicher Entwurf o.M.
Jektaria Balles, Galina Heimbuch, EmineYercel-Yasar (HS Koblenz, Master Bauwesen-Architektur)<br />
80<br />
Ideen - QUARTIER DER ZUKUNFT<br />
Quartier Plus<br />
Anerkennung - 250 Euro Preisgeld<br />
Perspektive URBANE Achse<br />
Beurteilung des Preisgerichtes<br />
Der Entwurf basiert sowohl auf einer Mischung von<br />
stadträumlichen und quartierstypischen Funktionen, als<br />
auch privater Flächen im Verhältnis zu teilöffentlichem<br />
und öffentlichem Raum. <strong>Die</strong> Freiraumachse welche<br />
das Gebiet von Süd nach Nord durchzieht und in einer<br />
neuen Brücke über die Lippe seine konsequente Fortsetzung<br />
findet, hat städtebauliches Potential und wird<br />
ausdrücklich begrüßt. <strong>Die</strong> urbane Achse von West (aus<br />
<strong>der</strong> Altstadt kommend) nach Ost findet in einem neuen<br />
Quartiersplatz im Kreuzungspunkt <strong>der</strong> Nord-Südachse<br />
seinen Endpunkt. Ob die hier angedachten Funktionen<br />
ausreichen werden, den Platz zu einem zentralen<br />
Punkt des neuen <strong>Stadt</strong>quartiers auszuprägen, wird angezweifelt.<br />
Der Entwurf sieht ein komplett autofreies<br />
engeres Plangebiet vor und schlägt ein Turm Schacht<br />
System im Nord Westen vor um den Stellplatzbedarf<br />
im Quartier abzubilden. Das Preisgericht stellt in Frage,<br />
ob diese Form für die Größe des Quartiers geeignet ist.<br />
<strong>Die</strong> Anmutung <strong>der</strong> gewählten Gebäudetypologie orientiert<br />
sich im Wesentlichen an bekannte städtebauliche<br />
Muster einer Mittelstadt wie Lippstadt und passt sich<br />
maßstäblich in die Umgebung ein. <strong>Die</strong> Innovationskraft<br />
des Beitrages könnte stärker herausgestellt werdendennoch<br />
würdigt das Preisgericht die Arbeit als gute<br />
städtebauliche Antwort.<br />
Prinzipgrafiken
81<br />
Prinzipgrafiken<br />
Perspektive Innenhof<br />
Ideen - QUARTIER DER ZUKUNFT<br />
städtebaulicher Entwurf o.M.<br />
Prinzipschnitt o.M.
Jan-Hendrik Kühn, Henning Verst (HS OWL, Bachelor Architektur)<br />
82<br />
Ideen - QUARTIER DER ZUKUNFT<br />
Quartier am alten Feuerwehrturm<br />
Anerkennung - 250 Euro Preisgeld<br />
städtebaulicher Entwurf o.M.<br />
Freiraumvernetzung+Grünflächen o.M.<br />
Straßen+Wege o.M.
Preisgerichtsurteil<br />
Das städtebauliche Konzept sieht eine Teilung des Bearbeitungsgebietes<br />
in vier Teilflächen vor und erreicht<br />
so eine adäquate Maßstäblichkeit und einen fließenden<br />
Übergang zur näheren Umgebung. Dabei werden zwei<br />
Quartiersachsen ausgebildet. <strong>Die</strong> Nord-Süd-Achsewird<br />
entlang <strong>der</strong> nördlich angrenzenden Fläche bis zum<br />
Flusslauf weiterentwickelt und konsequent als Brücke<br />
über die Lippe geführt. <strong>Die</strong> Anbindung des „Grünen<br />
Winkels“ wird begrüßt. <strong>Die</strong> West-Ost-Achse mündet<br />
in den trapezförmigen Quartiersplatz, <strong>der</strong> durch einenfünfgeschossigen<br />
Kopfbau abgeschlossen wird. <strong>Die</strong><br />
denkmalgeschützte Bausubstanz <strong>der</strong> alten Feuerwache<br />
wird erhalten und bildet mit einem verlängerndem<br />
Ergänzungsbau die prägende Nordseite des Platzes.<br />
Der Kreuzungspunkt <strong>der</strong> beiden Achsen wird durch<br />
überhöhte Eckgebäude markiert. Dabei glie<strong>der</strong>t sich<br />
<strong>der</strong> alte Schlauchturm in das neue Quartier ein und<br />
bleibt als Identitätsmerkmal erhalten. Bemängelt wird,<br />
dass das denkmalgeschützte Gebäude im südlichen<br />
Teil des Quartiers nicht in <strong>der</strong> Neukonzeption berücksichtigt<br />
wurde. <strong>Die</strong> vertiefende Bearbeitung zeigt eine<br />
nachvollziehbare Aufteilung in einzelne Nutzungseinheiten,<br />
wobei die Antworten zu den Anfor<strong>der</strong>ungskriterien<br />
Integration und Vielfalt nicht in gleicher Qualität<br />
ausgearbeitet sind.<br />
83<br />
Ideen - QUARTIER DER ZUKUNFT<br />
Nutzungen EG o.M.<br />
Vertiefungsbereich o.M.<br />
Nutzungen OG o.M.<br />
Gebäudehöhen o.M.
Ronja Fischer, Nazan-Zeynep Tekin (HS OWL, Master Architektur)<br />
84<br />
Ideen - QUARTIER DER ZUKUNFT<br />
Quartier Plus. Das Plus an Wohnen<br />
Engere Wahl<br />
Beurteilung des Preisgerichtes<br />
<strong>Stadt</strong>räumlich bindet <strong>der</strong> Entwurf das Quartier über die<br />
Luchtenstraße an die Fußgängerzone als Erweiterung<br />
an. Der sich aus <strong>der</strong> Luchtenstraße entwickelnde, durch<br />
die umgenutzten Feuerwehrgebäude abgeschlossene<br />
Dreiecksplatz wird dabei als Ergänzung zu den vorhandenen<br />
<strong>Stadt</strong>plätzen verstanden und ist nachvollziehbar.<br />
<strong>Die</strong> Belegung <strong>der</strong> Gebäude am Platz zumindest im EG<br />
mit Einzelhandel, Gastronomie, Sportangeboten und<br />
einer „Offenen Werkstatt“ ist folgerichtig. Dass <strong>der</strong> Bedarf<br />
an solchen Nutzungen in dieser Größenordnung<br />
<strong>der</strong>zeit nicht gegeben ist, berücksichtigt <strong>der</strong> Entwurf<br />
durch plausible Baustufen von Westen her. <strong>Die</strong> Blockstruktur<br />
wird aus <strong>der</strong> Analyse konsequent abgeleitet,<br />
und sieht eine starke Mischung von Nutzungen und<br />
Wohnformen mit vielen Gemeinschaftselementen vor.<br />
<strong>Die</strong> Entwicklung teils sechsgeschossiger Bebauung<br />
sieht das Preisgericht kritisch, da es die angestrebten<br />
Qualitäten des Freiraums gefährdet. <strong>Die</strong> Dimension <strong>der</strong><br />
zweispurige Straße in Nord-Südrichtung mit abgesetzten<br />
Gehwegen wird hinterfragt. Insgesamt entwickeln<br />
die Verfasser einen städtebaulich plausiblen und in<br />
sinnvollen Baustufen umzusetzenden Entwurf, <strong>der</strong> allerdings<br />
hinsichtlich <strong>der</strong> Erschließungsstruktur, <strong>der</strong> Einbindung<br />
in die Umgebung und seinem Innovationspotential<br />
Fragen offen lässt.<br />
städtebaulicher Entwurf o.M.<br />
Analysegrafiken o.M.
85<br />
Promenadenansicht o.M.<br />
Ideen - QUARTIER DER ZUKUNFT<br />
Bauabschnitt I<br />
Bauabschnitt II<br />
Bauabschnitt III<br />
Bauabschnitt IV<br />
Prinzipschnitt o.M.
Joleen Winter, Lena Sievers (HS OWL, Bachelor <strong>Stadt</strong>planung)<br />
86<br />
Ideen - QUARTIER DER ZUKUNFT<br />
BEGEGNEN und BELEBEN Gemeinsam <strong>Zukunft</strong> gestalten<br />
Engere Wahl<br />
Beurteilung des Preisgerichtes<br />
<strong>Die</strong> Arbeit „Begegnen und Beleben“ überzeugt durch<br />
ihre solide Ausarbeitung auf dem städtebaulichen Maßstab.<br />
Ausgehend von <strong>der</strong> neuen Endhaltestelle baut sie<br />
eine verkehrliche Erschließungsachse nachvollziehbar<br />
von West nach Ost auf, welche das Quartier sinnvoll erschließt<br />
und zusammenbindet. Das dargestellte Nachverdichtungskonzept,<br />
welches Neu- und Altbebauung<br />
zu Hofstrukturen zusammenbindet, stellt ein funktionierendes<br />
Miteinan<strong>der</strong> <strong>der</strong> neuen und alten Bewohnerschaft<br />
sicher und stärkt das soziale Miteinan<strong>der</strong> durch<br />
die zentralen Gemeinschaftsbereiche. Positiv wird auch<br />
die Verankerung gewerblicher Nahversorgung im Zentrum,<br />
nahe <strong>der</strong> Endhaltestelle, bewertet. In Kombination<br />
mit dem vorgeschlagenen Quartiersplatz kann hier eine<br />
neue Mitte als Identifikationsort entstehen. Dagegen<br />
wird die Aufreihung weiterer gewerblicher Flächen<br />
Richtung Westen kritisch betrachtet. Sie schwächt aus<br />
<strong>der</strong> Sicht des Preisgerichts den Zentrumsgedanken<br />
und wird vermutlich nicht ausreichend frequentiert. <strong>Die</strong><br />
Grundrisse des Vertiefungsbereichs erscheinen nicht in<br />
gleicher Qualität ausgearbeitet und erreichen nicht den<br />
im Erläuterungsbericht formulierten Anspruch.<br />
Perspektive Blick in den Innenhof<br />
Leitziele
87<br />
Ideen - QUARTIER DER ZUKUNFT<br />
Vertiefungsbereich o.M.<br />
Perspektive zentraler Begegnungsraum<br />
städtebaulicher Entwurf o.M.<br />
Prinzipschnitt o.M.
Prof. Dr. Axel Häusler, Prof. Kathrin Volk, Prof. Dr. Reiner Staubach<br />
88<br />
<strong>Die</strong> <strong>Stadt</strong> <strong>der</strong> <strong>Zukunft</strong> - RESILIENTER LEBENSRAUM<br />
<strong>Die</strong> <strong>Stadt</strong> <strong>der</strong> <strong>Zukunft</strong><br />
Resilienter Lebensraum<br />
Digitale Unübersichtlichkeit<br />
In den letzten Jahren, spätestens seit Einführung des Smartphones,<br />
haben wir uns schon daran gewöhnt, unsere Geräte<br />
durch eine geleitete Assistenzführung zu bedienen. Wir nutzen<br />
selbstverständlich vorbereitete Kommunikationskanäle,<br />
akzeptieren weitestgehend gefilterte Informationsanfragen<br />
und wollen die Bequemlichkeitsvorteile einer geleiteten Wegeführung<br />
durch Fahrzeugnavigation nicht mehr missen.<br />
Da die meisten technischen Entwicklungen eine beson<strong>der</strong>s<br />
anwendungsfreundliche Benutzeroberfläche und ein intuitives<br />
Produktdesign aufweisen, werden die vorgeschlagenen<br />
Informationen, Routen o<strong>der</strong> Assistenzvorschläge selten in<br />
Frage gestellt. Hinzu kommt, dass viele digitale Innovationen<br />
auf eine zunehmende Personalisierung <strong>der</strong> bereitgestellten<br />
<strong>Die</strong>nste abzielen. Es ist allgemein bekannt, dass zwei<br />
Personen, die das gleiche Suchwort eingeben, mit hoher<br />
Wahrscheinlichkeit unterschiedliche Ergebnisse erhalten.<br />
Zum Beispiel ist es nicht unüblich, dass eine kartenbasierte<br />
Smartphone-App einem Touristen auf <strong>der</strong> ersten Ebene bestimmte<br />
Restaurants empfiehlt, die einem an<strong>der</strong>en Touristen<br />
dagegen erst nach längerem, mehrmaligem Recherchieren<br />
angezeigt werden. Skaliert auf eine städtische Maßstabsebene,<br />
bedeutet dies, dass sich urbane Räume nur noch selektiv-individuell<br />
erfahren lassen. Insbeson<strong>der</strong>e bei Karten und<br />
geografischen Inhalten kommt dies einer Zerbröselung <strong>der</strong><br />
intuitiv erwarteten Objektivität gleich.<br />
Es stellt sich also die Frage, ob durch die Integration digitaler,<br />
personalisierter <strong>Die</strong>nste und die Automatisierung bestehen<strong>der</strong><br />
Alltagsprozesse die Komplexität städtischer Systeme insgesamt<br />
reduziert wird. O<strong>der</strong> ob eher von einer zunehmenden,<br />
„digitalen Unübersichtlichkeit“ und von wachsenden Orientierungsschwierigkeiten<br />
auszugehen ist (vgl. Kraft 2016).<br />
Auch werden wir uns in <strong>der</strong> Raumforschung damit beschäftigen<br />
müssen, ob sich Städte in ihrer Funktionsweise und<br />
Benutzbarkeit zukünftig immer mehr aneinan<strong>der</strong> angleichen<br />
o<strong>der</strong> ob sich <strong>der</strong> klassische „Genius Loci“ in an<strong>der</strong>en uns<br />
noch unbekannten Bereichen bemerkbar macht.<br />
Klammer zu)<br />
Bamberg, Foto: Matthias Ripp, flickr.com, Lizenz: CC-BY 2.0, https://creativecommons.org/licenses/by/2..0<br />
Räume im menschlichen Maßstab<br />
Trotz <strong>der</strong> interdisziplinären Mischung an Referenten sind<br />
sich die Beiträge einig, dass Gesundheitsför<strong>der</strong>ung in<br />
starkem Zusammenhang mit allgemeinem Wohlbefinden<br />
steht und daraus resultierend die Verän<strong>der</strong>ung des Raums<br />
im Sinne des Settings-Ansatz das richtige Werkzeug auf<br />
dem Weg zur gesunden <strong>Stadt</strong> ist. Durch ein Gesundheitsverständnis,<br />
welches nicht mehr nur die Abwesenheit von<br />
Krankheit definiert, son<strong>der</strong>n ein körperliches und soziales<br />
Wohlbefinden ausdrückt, ergeben sich ganz neue Zugänge<br />
und Möglichkeiten für die Planungsdisziplinen, um ihrer<br />
Verantwortung für den alltäglichen Lebensraum gerecht zu<br />
werden. Mit <strong>der</strong> Verabschiedung des Präventionsgesetzes<br />
<strong>der</strong> Bundesregierung sind nun erstmals auch die Krankenkassen<br />
verpflichtet genau hier zu investieren.<br />
So zeigen die unterschiedlichen Fachvorträge zwar verschiedene<br />
Herangehensweisen an ein und dieselbe Thematik,<br />
machen dabei aber auch deutlich, wie wertvoll jede<br />
einzelne dieser Herangehensweisen und <strong>der</strong> jeweilige<br />
Blickwinkel ist. Denn <strong>Stadt</strong> ist ein komplexes System und<br />
ihre Wechselwirkungen vielfältig. <strong>Die</strong> Determinanten zur<br />
Gesundheit sind vielfältig und stehen in komplexer Verbindung<br />
zueinan<strong>der</strong>, so dass die <strong>Stadt</strong>planer den Weg zur<br />
gesunden <strong>Stadt</strong> nicht alleine gehen können. Was wir als generalistische<br />
Disziplin jedoch leisten können, ist die notwendigen<br />
Akteure zusammenzuführen und die Ein- und Auswirkungen<br />
von gebauter Umwelt auf den Menschen weiter<br />
zu untersuchen. Schlussendlich gilt es Räume zu schaffen,<br />
in denen sich das Leben entfalten kann.<br />
Das „Quartier“ als Interventionsebene<br />
Quartier und Nachbarschaft haben zweifelsohne Konjunktur.<br />
<strong>Die</strong>s wurde in allen Fachbeiträgen im Rahmen<br />
des Regionalen Salons mehr als deutlich. Generell kann<br />
das Programm „Soziale <strong>Stadt</strong>“ heute als etablierter Politikansatz<br />
gelten. <strong>Die</strong> Landesregierung in Nordrhein-West-
falen hat das Quartier sogar zu einer zentralen För<strong>der</strong>kategorie<br />
erhoben. Mit dem aktuellen Zuschnitt eines<br />
Ministeriums für Heimat, Kommunales, Bau und Gleichstellung<br />
wird diese Fokussierung offenbar fortgesetzt.<br />
In seiner konfliktsoziologischen Betrachtung reflektiert<br />
Dr. Jörg Hüttermann die Ambivalenzen von Segregation<br />
im städtischen Kontext und hinterfragt die oftmals<br />
dominierende Engführung des Diskurses auf die sozialräumliche<br />
Konzentration bestimmter ethnisch-religiöser<br />
Minoritäten, heute zunehmend solchen muslimischen<br />
Glaubens. Gefahren <strong>der</strong> Ethnisierung sozialer<br />
Ungleichheit und <strong>der</strong> Zuspitzung von Konfliktpotenzialen<br />
sieht er vor allem dann, wenn sich Erfahrungen<br />
fehlen<strong>der</strong> Teilhabe und Diskriminierung in verschiedenen<br />
gesellschaftlichen Bereichen (z.B. Arbeits- und<br />
Wohnungsmarkt, politische Partizipation) miteinan<strong>der</strong><br />
verschränken und verstärken.<br />
In seiner Bilanz des Programms „Soziale <strong>Stadt</strong>“ stellt Ralf<br />
Zimmer-Hegmann sowohl die Chancen als auch die Restriktionen<br />
<strong>der</strong> Quartiersebene für die soziale Integration<br />
insbeson<strong>der</strong>e <strong>der</strong> von Marginalisierung betroffenen Individuen<br />
und Gruppen heraus. Der Sozialraum bezogene<br />
Ansatz wird grundsätzlich als zielführend betrachtet,<br />
wenn auch dessen Reichweite in struktureller Hinsicht<br />
als begrenzt gelten muss. Insbeson<strong>der</strong>e die finanzielle<br />
Handlungsfähigkeit <strong>der</strong> Kommunen und deutlichere gesamt-gesellschaftliche<br />
politische Prioritätensetzungen in<br />
<strong>der</strong> Armutsbekämpfung werden als Voraussetzung für<br />
den Wirkungserfolg von Quartierspolitik gesehen.<br />
Zwar würdigt Volker Kersting die integrativen Beiträge<br />
des Programms Soziale <strong>Stadt</strong>. Er sieht angesichts <strong>der</strong><br />
starken Zunahme von Kin<strong>der</strong>armut insbeson<strong>der</strong>e in<br />
Städten des Ruhrgebiets und <strong>der</strong> vergleichsweise eher<br />
homöopathischen Dosierung darin aber kein Instrument<br />
zur Armutsbekämpfung. Trotz erkennbar zunehmen<strong>der</strong><br />
Armutskonzentration in benachteiligten und benachteiligenden<br />
Nachbarschaften darf dennoch die disperse<br />
Armut in den Städten nicht aus dem Blick geraten.<br />
Auf <strong>der</strong> Suche nach Ansatzpunkten zur politischen Gegen-steuerung<br />
bei residentieller Armutssegregation setzt<br />
Marcel Cardinali bei den push- und pull-Faktoren für sozial<br />
selektive Zu- und Wegzüge in <strong>der</strong> „Sozialen <strong>Stadt</strong>“ an.<br />
Ohne sich in reduktionistischer Weise dem traditionellen<br />
„Container“-Verständnis von Raum zu verschreiben,<br />
kommt sein Beitrag einem Plädoyer für baulich- städtebauliche<br />
Qualitätsverbesserungen gleich, da er nur so<br />
eine Adressierung auch <strong>der</strong> benachteiligenden Umfeldbedingungen<br />
gewährleistet sieht. Während ihre Chancen<br />
beschränkenden Wirkungen minimiert werden, soll durch<br />
zusätzliche Attraktoren (z.B. lokale Bildungslandschaft,<br />
heterogene Wohnkarrieren, gruppenübergreifende Begegnungsorte)<br />
das Quartier als Chancen generierendes<br />
(„gesundes“) Lebensumfeld und sozialer Erfahrungsraum<br />
für unterschiedliche Milieus entwickelt werden.<br />
Letztlich betonen alle Referenten, dass substanzielle<br />
Wirkungserfolge bei <strong>der</strong> Armutsbekämpfung und einer<br />
anti-segregativen <strong>Stadt</strong>politik nicht ohne stabile<br />
sozialstaatliche Sicherungssysteme und eine aktive<br />
öffentliche För<strong>der</strong>ung des sozialen Wohnungsbaus zu<br />
erreichen sind.<br />
Prof. Dr. rer. nat. Axel Häusler<br />
<strong>Stadt</strong>planer und Architekt<br />
Lehrgebiet Digitale Medien & Entwerfen, Mitglied <strong>urbanLab</strong><br />
lehrt seit September 2014 das Fach Digitale Medien und Entwerfen<br />
im Studiengang <strong>Stadt</strong>planung an <strong>der</strong> Hochschule OWL.<br />
Er initiierte u.a. den fachübergreifenden Forschungsschwerpunkt<br />
‚nextPlace’, <strong>der</strong> sich intensiv mit technologischen Innovationen im<br />
räumlichen Umfeld und Smart-City-Strategien beschäftigt. Das<br />
Ziel von ‚nextPlace’ ist die Sichtbarmachung unterschiedlicher Mobilitätsverhaltensmuster<br />
und die Visualisierung des dynamischen<br />
Zusammenspiels von Menschen, Gütern und Informationen im<br />
Raum anhand interaktiver Karten und Simulationsmodelle.<br />
Prof. Kathrin Volk<br />
Landschaftsarchitektin,<br />
Lehrgebiet Landschaftsarchitektur & Entwerfen, Mitglied <strong>urbanLab</strong><br />
lehrt seit September 2003 an <strong>der</strong> Hochschule OWL. Sie ist Mitinitiatorin<br />
des Bachelor Studiengangs <strong>Stadt</strong>planung an <strong>der</strong> Detmol<strong>der</strong><br />
Schule für Architektur und Innenarchitektur und vertritt das<br />
Lehrgebiet „Landschaftsarchitektur und Entwerfen“. Sie ist Mitglied<br />
des <strong>urbanLab</strong> mit einem beson<strong>der</strong>en Interesse an <strong>der</strong> Frage<br />
nach urbanen Lebensstilen im ländlichen Raum und <strong>der</strong> Ästhetik<br />
des Unvollkommen. Seit 2016 ist sie Prodekanin <strong>der</strong> Detmol<strong>der</strong><br />
Schule für Architektur und Innenarchitektur für den Bereich Forschung<br />
und Internationales.<br />
Prof. Dr. rer. pol. Reiner Staubach<br />
<strong>Stadt</strong>planer AKNW, Lehrgebiet Planungsbezogene Soziologie,<br />
Planungstheorie und -methodik, Mitglied <strong>urbanLab</strong><br />
studierte Raumplanung und Pädagogik an <strong>der</strong> Universität Dortmund<br />
und lehrt seit 1997 an <strong>der</strong> Hochschule OWL, sowie seit<br />
2007 zusätzlich im Master Städtebau NRW. Er engagiert sich seit<br />
1982 als Gründungs- und Vorstandsmitglied des Planerladen e.V.<br />
in <strong>der</strong> Dortmun<strong>der</strong> Nordstadt.<br />
89<br />
<strong>Die</strong> <strong>Stadt</strong> <strong>der</strong> <strong>Zukunft</strong> - RESILIENTER LEBENSRAUM<br />
Kraft, Sabine (2016): Planetary Urbanism, Arch+ 223, 2016
\
AUSBLICK<br />
Regionen<br />
<strong>der</strong> <strong>Zukunft</strong>
Marcel Cardinali<br />
92<br />
Ideen - WACHSTUM IN KOOPERATION<br />
Wachstum in Kooperation<br />
internationaler eingeladener studentischer Ideenwettbewerb<br />
<strong>Die</strong> NRW.BANK hat zusammen mit dem <strong>urbanLab</strong> und dem ISB aus Leipzig einen<br />
internationalen Wettbewerb in drei Regionen Nordrhein-Westfalens ausgelobt.<br />
Neun eingeladene Hochschulen und damit 300 Studierende aus Deutschland,<br />
Österreich und den Nie<strong>der</strong>landen haben nun noch bis zum 31.08.<strong>2017</strong> Zeit, um<br />
den drei regionalen Preisgerichten eine überzeugende Strategie für zukünftige<br />
Flächenausweisungen in den Regionen, welche durch ein differenziertes Angebot<br />
an Wohn-, Arbeits-, <strong>Die</strong>nstleistungs- und Mobilitätsangeboten unterlegt ist, vorzulegen.<br />
<strong>Die</strong> spannenden Ergebnisse werden auf dem NRW.Symposium „Wachstum<br />
in Kooperation - urbanes Wohnen im Umland“ am 30.11.<strong>2017</strong> vorgestellt.<br />
Anlass<br />
<strong>Die</strong> Zeichen stehen in einigen Regionen Nordrhein-Westfalens<br />
ganz klar wie<strong>der</strong> auf Wachstum.<br />
Durch Binnenwan<strong>der</strong>ung, Zuwan<strong>der</strong>ung von Arbeitskräften<br />
sowie den Zuzug von Flüchtlingen entsteht<br />
eine Wohnungsnachfrage, die in vielen Fällen nicht<br />
allein durch Nachverdichtung gedeckt werden kann.<br />
Für alle Regionen, die stellvertretend an diesem studentischen<br />
Wettbewerb teilnehmen, kommt eine Modellrechnung<br />
des ehemaligen Ministeriums für Bauen,<br />
Wohnen, <strong>Stadt</strong>entwicklung und Verkehr des Landes<br />
NRW (MBWSV) und <strong>der</strong> NRW.BANK zu dem Ergebnis,<br />
dass eine Steigerung des jährlichen Netto-Neubauniveaus<br />
um ein Vielfaches des bisher Realisierten<br />
zwingend erfor<strong>der</strong>lich ist.<br />
In unserer <strong>Die</strong>nstleistungs- und Wissensgesellschaft<br />
konzentriert sich <strong>der</strong> Nachfragedruck auf den Wohnungsmärkten<br />
dabei nach wie vor auf die regionalen<br />
Zentren, weil sie Arbeit, Kultur, Freizeit und Bildung<br />
in erreichbarer Nähe vorhalten, allerdings mit zunehmenden<br />
und auch spürbaren Auswirkungen in <strong>der</strong> jeweiligen<br />
Region. <strong>Die</strong> erhebliche Nachfrage nach neuem<br />
Wohnraum kann nicht von den regionalen Zentren<br />
alleine getragen werden. Ihre Flächenreserven sind<br />
begrenzt. <strong>Die</strong> Nachverdichtung bestehen<strong>der</strong> Quartiere<br />
o<strong>der</strong> die Nutzung vorhandener Baulandreserven<br />
reichen bei Weitem nicht mehr aus, so dass sich <strong>der</strong><br />
Blick inzwischen deutlich auf die Nachbarkommunen<br />
<strong>der</strong> Kernstädte in den Regionen richtet.<br />
Der enorme Druck auf die Wohnungsmärkte macht<br />
es erfor<strong>der</strong>lich, <strong>Stadt</strong>- und Siedlungserweiterungen<br />
wie<strong>der</strong> als Lösungsbausteine in Betracht zu ziehen,<br />
obwohl sie in Zeiten <strong>der</strong> Schrumpfung, aber auch <strong>der</strong><br />
Nachhaltigkeit und dem Leitbild <strong>der</strong> <strong>Stadt</strong> <strong>der</strong> kurzen<br />
Wege oft als nicht zeitgemäß und konsensfähig<br />
galten. Gleichzeitig steht <strong>der</strong> Neuentwicklung von<br />
Bauland das Flächenziel <strong>der</strong> Bundesregierung entgegen,<br />
die Neuversiegelung auf 30 Hektar am Tag<br />
zu begrenzen. Insbeson<strong>der</strong>e Siedlungserweiterungen<br />
werden jedoch meist mit einem hohen Versiegelungsgrad,<br />
<strong>der</strong> Inanspruchnahme von Naturräumen<br />
und einem starken Individualverkehr in Verbindung
gebracht. In <strong>der</strong> zweiten Hälfte des 20. Jahrhun<strong>der</strong>ts<br />
sind so vielerorts monofunktionale Einfamilienhausgebiete<br />
in den Regionen entstanden, die kaum einen<br />
Bezug zu ihren Kernstädten haben, auch wenn<br />
die Anziehungskraft dieser Räume in <strong>der</strong> Regel <strong>der</strong><br />
Grund ist, warum sie entstanden sind.<br />
Zukünftige Quartiersentwicklungen stehen demzufolge<br />
vor <strong>der</strong> Herausfor<strong>der</strong>ung, die täglichen Bedürfnisse<br />
<strong>der</strong> Bewohner auch abseits <strong>der</strong> regionalen<br />
Zentren glaubhaft abzubilden und die Abhängigkeit<br />
dieser Gebiete vom motorisierten Individualverkehr<br />
zu verringern. Gerade auch vor dem Hintergrund,<br />
dass das Wohnen in den klassischen <strong>Stadt</strong>erweiterungen<br />
ansonsten nur für wenige Milieus und Lebensstile<br />
in Frage kommt und so die Ausdifferenzierung<br />
<strong>der</strong> Gesellschaft auch im regionalen Maßstab<br />
immer weiter för<strong>der</strong>t. Nicht zuletzt gilt es, eine angemessene<br />
Urbanität und Durchmischung zu erzeugen,<br />
die einhergehen mit einer hohen Wohnqualität,<br />
schonendem Umgang mit Grund und Boden sowie<br />
minimaler Flächenversiegelung.<br />
<strong>Die</strong> aktuell erfor<strong>der</strong>lichen Wohnungsbauaktivitäten<br />
dürfen sich deswegen nicht auf sich selbst und den<br />
Ort beschränken, son<strong>der</strong>n müssen die Vernetzung<br />
mit ihrer Region und <strong>der</strong> ihr innewohnenden Qualitäten<br />
mitdenken und för<strong>der</strong>n. Nur so kann die gesamte<br />
Region dauerhaft von den aktuellen Entwicklungen<br />
profitieren und <strong>der</strong> Nachfragedruck innerhalb <strong>der</strong><br />
Region verteilt werden. Gleichzeitig besteht so die<br />
Möglichkeit, regionaler Segregation entgegenzuwirken<br />
und die hohen Miet- und Kaufpreise <strong>der</strong> Zentren<br />
abzufe<strong>der</strong>n. Für die Nachbarkommunen <strong>der</strong> Kernstädte<br />
in den Regionen bietet sich zudem die Chance,<br />
ihre Wohnungsangebote zu heterogenisieren und<br />
dabei Verdichtungspotentiale innerhalb ihrer <strong>Stadt</strong>und<br />
Siedlungskerne zu nutzen.<br />
93<br />
Ideen - WACHSTUM IN KOOPERATION<br />
)) <strong>Die</strong> zahlreichen Vorgespräche in den Kommunen<br />
<strong>der</strong> Wettbewerbsregionen haben uns als NRW.BANK<br />
darin bestärkt, dass das für den Wettbewerb ausgewählte<br />
Thema genau zur richtigen Zeit kommt.<br />
Der fachliche Dialog zu kooperativen Ansätzen <strong>der</strong><br />
Wohnbaulandentwicklung ist in Nordrhein-Westfalen<br />
bereits angestoßen. Jetzt bedarf es guter Bil<strong>der</strong> und<br />
Beispiele für eine breit angelegte Diskussion mit<br />
einer Vielzahl von Akteuren. ((<br />
<strong>Die</strong>trich Suhlrie, Vorstand NRW.BANK
94<br />
AUSBLICK - WACHSTUM IN KOOPERATION<br />
Region Bielefeld<br />
Region Düsseldorf<br />
Region Münster
Wettbewerbsaufgabe<br />
Studierende aus Studiengängen <strong>der</strong> Architektur, des<br />
Städtebaus o<strong>der</strong> <strong>der</strong> Landschaftsarchitektur aus neun<br />
ausgewählten Hochschulen in Deutschland, Österreich<br />
und den Nie<strong>der</strong>landen sind aufgefor<strong>der</strong>t für eines <strong>der</strong><br />
ausgelobten Plangebiete eine Lösung zu entwerfen, die<br />
die Potentiale und Ressourcen des Entwurfsgebiets,<br />
seiner Umgebung und <strong>der</strong> Region zu einer nachhaltigen<br />
Gesamtlösung führt. Es gilt eine Strategie zu entwickeln,<br />
die das Quartier mit <strong>der</strong> Region und <strong>der</strong> Umgebung sinnvoll<br />
verknüpft und ein resilientes und innovatives Konzept<br />
für zukünftige Flächenausweisungen aufzeigt.<br />
)) Aus meiner Sicht bietet das<br />
Format des Studierendenwettbewerbs<br />
den großen Vorteil, dass die<br />
Debatte zunächst ergebnisoffen,<br />
ohne Vorfestlegungen und Restriktionen<br />
geführt werden kann,<br />
gleichzeitig jedoch auf eine fundierte<br />
fachliche Basis gestellt<br />
wird. Alle zukünftigen Diskussionen<br />
werden von diesen Überlegungen<br />
profitieren können, davon<br />
bin ich überzeugt. ((<br />
<strong>Die</strong>trich Suhlrie, Vorstand NRW.BANK<br />
Erwartet wird ein sensibler Umgang mit den Anfor<strong>der</strong>ungen<br />
verschiedenster Nutzer und ihrer Wohnbedürfnisse sowie<br />
den Anfor<strong>der</strong>ungen und Angeboten von <strong>Stadt</strong> und Region.<br />
Gleichzeitig bedarf es einer individuellen Auseinan<strong>der</strong>setzung<br />
mit <strong>der</strong> Thematik <strong>der</strong> Wachstumsprozesse und einer<br />
an den konkreten Standort angepassten Dichte. Im besten<br />
Fall entsteht ein Szenario, das die Vorzüge <strong>der</strong> Region mit<br />
denen <strong>der</strong> Kernstadt nachvollziehbar miteinan<strong>der</strong> verknüpft<br />
und so eine differenzierte und nachfragegerechte Wohnraumversorgung<br />
verschiedenster Milieus über kommunale<br />
Grenzen hinweg sicherstellt.<br />
Gefor<strong>der</strong>t ist ein Entwurf an <strong>der</strong> Schnittstelle von <strong>Stadt</strong>,<br />
Freiraum und Architektur, <strong>der</strong> zeigt, wie die unterschiedlichen<br />
Anfor<strong>der</strong>ungen an Wohnraum von Kernstadt und<br />
Nachbarkommunen in Beziehung gesetzt werden können<br />
und wie sowohl die regionalen Zentren als auch die unmittelbar<br />
angrenzenden Kommunen davon profitieren. <strong>Die</strong>s<br />
manifestiert sich in <strong>der</strong> klugen Anordnung von Nutz- und<br />
Wohnräumen sowie intelligenten Mobilitätsangeboten, insbeson<strong>der</strong>e<br />
wenn eigene PKWs nicht zur Verfügung stehen,<br />
aber auch in differenzierten Grundrissen, unterschiedlichen<br />
Bauformen, in wohnungsnahen und quartiersbezogenen<br />
Freiräumen sowie ausgewählten <strong>Die</strong>nstleistungsangeboten.<br />
Ziel sind modellhafte und visionäre Konzepte für zukünftige<br />
Flächenausweisungen in den Regionen, die auf<br />
<strong>der</strong> Ebene des Quartiers mögliche Handlungs-, Lösungsund<br />
Entwicklungsansätze aufzeigen.<br />
<strong>Die</strong> Wettbewerbsaufgabe reagiert auf die unterschiedlichen<br />
Anfor<strong>der</strong>ungen <strong>der</strong> Regionen in Nordrhein-Westfalen.<br />
Dabei stehen die drei Wettbewerbsregionen stellvertretend<br />
für die unter- schiedlichen Wachstumstypen: <strong>Die</strong> Region<br />
Düsseldorf für den Typ stark wachsende, stark verdichtete<br />
Agglomeration; die Region Münster für den Typ einer<br />
stabilen und prosperierenden Kernstadt in einem ländlich<br />
geprägten Umfeld sowie die Region Bielefeld stellvertretend<br />
für eine Regiopole mit mehreren städtischen Wachstumskernen.<br />
Bei all den regionalen Unterschieden stehen zukünftige<br />
Flächenausweisungen und Quartiersentwicklungen dennoch<br />
vor ähnlichen Herausfor<strong>der</strong>ungen: Wie lässt sich eine<br />
soziale und nachfragegerechte Wohnraumversorgung über<br />
<strong>Stadt</strong>grenzen hinweg sicherstellen? Wie können zukünftige<br />
Quartiere in <strong>der</strong> Region auf die Verän<strong>der</strong>ungen <strong>der</strong> Arbeitswelt,<br />
<strong>der</strong> Mobilität und <strong>der</strong> Lebensstile reagieren und sie<br />
zu ihrem Vorteil nutzen? Welche Vorzüge <strong>der</strong> Region müssen<br />
dafür gestärkt werden? Welche Elemente sind hierfür<br />
anzupassen? Welche Potenziale bieten die angrenzende<br />
Landschaft, <strong>der</strong> Freiraum, um die Region mit ihrem Zentrum<br />
zu verweben? Wie kann eine angemessene Dichte und<br />
Urbanität angepasst an die jeweilige Gemeindegröße vor<br />
dem Hintergrund des Flächenziels <strong>der</strong> Bundesregierung<br />
erreicht werden? Welche Faktoren (zentrale Elemente des<br />
Entwurfs, Schlüsselakteure o.ä.) begünstigen eine positive<br />
Entwicklung <strong>der</strong> Quartiere?<br />
<strong>Die</strong> nächsten Schritte<br />
<strong>Die</strong> Studenten haben nun noch bis zum 31.08.<strong>2017</strong> Zeit,<br />
um ihre Ergebnisse einzureichen. Danach tagen die regionalen<br />
Preisgerichte. Das Preisgericht wird jeweils regional<br />
über die Preisvergabe entscheiden. Es setzt sich jeweils<br />
aus Vertretern <strong>der</strong> Kommunen, von Hochschulen, <strong>der</strong><br />
Wohnungswirtschaft, von Investoren, des Ministeriums für<br />
Heimat, Kommunales, Bau und Gleichstellung des Landes<br />
NRW sowie weiteren Fachleuten zusammen.<br />
Am 30.11.<strong>2017</strong> werden die Ergebnisse im feierlichen<br />
Rahmen und unter zahlreichem Fachpublikum auf dem<br />
NRW.Symposium „Wachstum in Kooperation - urbanes<br />
Wohnen im Umland“ in Düsseldorf vorgestellt und gemeinsam<br />
diskutiert.<br />
Auslober:<br />
Wettbewerbsorganisation und -koordination:<br />
in Kooperation mit dem:<br />
ISB<br />
Kontakt:<br />
Institut für <strong>Stadt</strong>entwicklung und<br />
Bauwirtschaft - Universität Leipzig<br />
<strong>urbanLab</strong> / Hochschule OWL<br />
Projektkoordination Marcel Cardinali<br />
marcel.cardinali(at)hs-owl.de<br />
95<br />
AUSBLICK - WACHSTUM IN KOOPERATION
Prof. Dr. Axel Häusler, Prof. Kathrin Volk, Prof. Oliver Hall, Dr. Klaus Schafmeister<br />
96<br />
Ausblick - Das neue UrbanLand<br />
Das neue UrbanLand<br />
<strong>Die</strong> Regionale OstWestfalenLippe 2022<br />
Seit dem positiven Bescheid über die Bewerbung <strong>der</strong> Region Ostwestfalen-Lippe<br />
ist eine gespannte Vorfreude und Tatendrang in <strong>der</strong> ganzen Region<br />
zu spüren. Aber auch die Ansprüche an die Region sind groß. Im Laufe <strong>der</strong><br />
nächsten Jahre wird sich deshalb nicht nur zeigen, wie gut Ostwestfalen-Lippe<br />
zusammen arbeiten kann, son<strong>der</strong>n auch wie mutig, innovativ und nachhaltig<br />
die Projekte im neuen UrbanLand sein werden. Allein <strong>der</strong> Begriff weckt Erwartungen,<br />
die erfüllt werden wollen.<br />
Quelle: OstWestfalenLippe GmbH
Ostwestfalen-Lippe wird nun als erste Region ein<br />
zweites Mal eine Regionale ausrichten und kann<br />
auf entsprechend gewachsene Strukturen zurückgreifen.<br />
Auf <strong>der</strong> Infoveranstaltung am 13.07. machte<br />
Karl Jasper als Vertreter des neuen Ministeriums für<br />
Heimat, Kommunales, Bau und Gleichstellung des<br />
Landes NRW aber auch klar, dass dadurch seitens<br />
<strong>der</strong> Landesregierung beson<strong>der</strong>s hohe Erwartungen<br />
an das neue UrbanLand bestehen. Während sich die<br />
Region gerade aufstellt, sowie Strukturen und Abläufe<br />
finalisiert, steigen nicht nur die Erwartungen in<br />
Düsseldorf, son<strong>der</strong>n auch in <strong>der</strong> Region.<br />
)) Der Begriff UrbanLand ist einerseits<br />
eine Vision und meint Lebensqualität<br />
in <strong>Stadt</strong> und Land. An<strong>der</strong>erseits<br />
ist er ein Konzept und ein<br />
motivieren<strong>der</strong> Appell. Also lassen<br />
Sie uns etwas neues wagen! ((<br />
Herbert Weber, Geschäftsführer OWL GmbH, Infoverstaltung 13.07.<br />
<strong>Die</strong> Regionale hat nicht weniger zu lösen, als die Überwindung<br />
von Entfernungen. Das neue UrbanLand hat<br />
es sich zur Aufgabe gemacht, das je<strong>der</strong> so leben kann<br />
wie er will und trotzdem einen Arbeitsplatz in annehmbarer<br />
Entfernung erreicht. <strong>Die</strong> gute Nachricht ist, dass<br />
Ostwestfalen-Lippe mit seiner polyzentrischen Struktur<br />
genau dafür bereits jetzt beson<strong>der</strong>s gut geeignet<br />
ist. Für viele in <strong>der</strong> Region ist ein solches Leben schon<br />
heute möglich. <strong>Stadt</strong> und Land gehen rund um den<br />
Teutoburger Wald ineinan<strong>der</strong> über und erlauben den<br />
Genuss von Landschaft und die Attraktivität urbaner<br />
Räume. Das Ziel muss es sein, diese Attraktivität auszuweiten<br />
und die Randlagen, wie weite Teile des Kreises<br />
Höxter o<strong>der</strong> Teile von Minden-Lübecke, mit einzubeziehen.<br />
Dabei gilt es auch über den Tellerrand von OWL<br />
hinauszuschauen und Anknüpfungspunkte in benachbarte<br />
Regionen und Bundeslän<strong>der</strong> zu suchen. Hierfür<br />
braucht es neue Konzepte, die eine multimodale Mobilität<br />
ermöglichen. Das bedeutet, ohne beson<strong>der</strong>s oft<br />
umsteigen o<strong>der</strong> lange Wartezeiten in Kauf nehmen zu<br />
müssen. Als ICE-Haltepunkt und Oberzentrum ist Bielefeld<br />
damit ein unumstößlicher Kern, an dem viele Fragestellungen<br />
zusammenkommen. So zum Beispiel:<br />
<strong>Die</strong> neue Mobilität<br />
Wie komme ich möglichst direkt in<br />
die Zentren - zu Arbeitsplätzen, Kultur-<br />
und Freizeitangeboten?<br />
Neben dem Aspekt <strong>der</strong> Mobilität, erwächst die Herausfor<strong>der</strong>ung<br />
geeignete Wohnraumangebote für die Region<br />
zu entwickeln. Orte, die auch abseits <strong>der</strong> regionalen<br />
Zentren die Vorzüge des urbanen Lebens ermöglichen.<br />
O<strong>der</strong> umgekehrt ausgedrückt, dass auch in den regionalen<br />
Zentren die Vorzüge des ländlichen Raums spürbar<br />
sein sollten. Nur wenn uns dies in den kommenden<br />
Jahren gelingt, kann <strong>der</strong> Begriff des UrbanLands nachhaltig<br />
mit Leben gefüllt werden und als BestPractice<br />
Beispiel für weitere Regionen dienen.<br />
Das neue <strong>Stadt</strong> Land Quartier<br />
Wie kann eine Urbanität im ländlichen<br />
Raum hergestellt werden,<br />
ohne dabei die Vorzüge dieser<br />
Räume zu verlieren?<br />
Eine weitere Frage gilt den Arbeitsplätzen in <strong>der</strong> Region.<br />
Unser selbst gestellter Anspruch ist es, überall<br />
in <strong>der</strong> Region zukunftsfähige und qualitativ hochwertige<br />
Arbeitsplätze anzubieten. Nicht in allen Gebietsteilen<br />
ist eine flächendeckende und ausreichende<br />
Zahl an Unternehmen vorhanden. Deshalb ist es<br />
notwendig und mit <strong>der</strong> Digitalisierung auch möglich,<br />
neue Wege zu gehen.<br />
Der neue Mittelstand<br />
Wenn die Menschen nicht zur Arbeit<br />
kommen, wie kann <strong>der</strong> Arbeitsplatz<br />
zu den Menschen kommen?<br />
Um die Regionale 2022 zu einem Erfolg werden zu<br />
lassen, bedarf es Kommunen, die eine noch stärkere<br />
Vernetzung mit ihrer Region eingehen und die ihr innewohnenden<br />
Qualitäten mitdenken und för<strong>der</strong>n können.<br />
<strong>Die</strong>s steht auch nicht im Wi<strong>der</strong>spruch zur Stärkung <strong>der</strong><br />
eigenen, kommunalen Identitäten. Nur wenn individuelle<br />
und gemeinschaftliche Qualitäten auch gemeinsam<br />
gedacht werden, kann die gesamte Region dauerhaft<br />
von den aktuellen Entwicklungen profitieren.<br />
<strong>Die</strong> neuen Kommunen ohne Grenzen<br />
Wie können wir als Region weiterzusammenwachsen,<br />
uns gegenseitig<br />
stärken und voneinan<strong>der</strong> profitieren?<br />
<strong>Die</strong> Kommunen sind aufgefor<strong>der</strong>t von konkurrierendem<br />
(Win-Loss) Verhalten zu kooperierendem (Win-<br />
Win) Verhalten überzugehen. Ein erster Schritt ist die<br />
Stärken des an<strong>der</strong>en zu akzeptieren und sich <strong>der</strong> eigenen<br />
Stärken und Schwächen bewusst zu werden.<br />
<strong>Die</strong>s gilt auch für die Akteure in <strong>der</strong> Region. Wir sind<br />
bereit unsere Stärken als Forschungsschwerpunkte<br />
<strong>der</strong> Mobilität-, <strong>Stadt</strong>- und Regionalentwicklung einzubringen,<br />
sind aber auf Ihre Mitwirkung angewiesen,<br />
um diesen gesellschaftlichen Herausfor<strong>der</strong>ungen<br />
begegnen zu können.<br />
Wir freuen uns auf die anstehenden Aufgaben mit<br />
und für die Region und blicken mit Spannung auf die<br />
kommenden Monate und Jahre. Lassen Sie uns gemeinsam<br />
etwas neues wagen!<br />
97<br />
Ausblick - Das neue UrbanLand
Das <strong>urbanLab</strong> ist ein Forschungsschwerpunkt <strong>der</strong><br />
Fachbereiche 1 (Detmol<strong>der</strong> Schule für Architektur<br />
und Innenarchitektur), 3 (Bauingenieurwesen) und<br />
9 (Landschaftsarchitektur und Umweltplanung) <strong>der</strong><br />
Hochschule Ostwestfalen-Lippe.<br />
Impressum<br />
Herausgeber<br />
Hochschule Ostwestfalen-Lippe<br />
Forschungsschwerpunkt <strong>urbanLab</strong><br />
Emilienstraße 45<br />
32756 Detmold<br />
Verantwortlich (<strong>Magazin</strong>)<br />
Prof. Oliver Hall<br />
Organisation <strong>der</strong> Reihe <strong>Stadt</strong> <strong>der</strong> <strong>Zukunft</strong><br />
Prof. Dr. Axel Häusler<br />
Prof. Kathrin Volk<br />
Prof. Dr. Reiner Staubach<br />
Marcel Cardinali<br />
Benjamin Dally<br />
Redaktion, Layout & Grafik<br />
Marcel Cardinali<br />
Druck<br />
K2-Druck GmbH, Lage<br />
Auflage<br />
2.000 Exemplare<br />
Abbildungen<br />
<strong>Die</strong> Abbildungen sind soweit nicht an<strong>der</strong>s<br />
gekennzeichnet Eigentum <strong>der</strong> jeweiligen Verfasser<br />
Titel und Rückseite<br />
Fotograf Jan Danielzok<br />
<strong>Die</strong> Ausgabe und die Veranstaltungsreihe<br />
wurde ermöglicht durch:<br />
Weiterführende Informationen:<br />
www.hs-owl.de/urbanlab<br />
facebook:<br />
www.facebook.com/HochschuleOWL
<strong>Die</strong> Wohnungswirtschaft Ostwestfalen-Lippe<br />
ist ein Zusammenschluss von<br />
Wohnungsbaugenossenschaften, kommunalen,<br />
kirchlichen und privaten Wohnungsunternehmen.<br />
Insgesamt arbeiten<br />
28 Unternehmen zusammen, um Ihnen<br />
sicheren und mo<strong>der</strong>nen Wohnraum zu<br />
fairen Preisen anbieten zu können.<br />
<strong>Die</strong> Unternehmen <strong>der</strong> Wohnungswirtschaft<br />
Ostwestfalen-Lippe sind dort zu<br />
Hause, wo auch Sie zu Hause sind.<br />
Mit Bauaufträgen in <strong>der</strong> Region von mehr<br />
als 100 Millionen € im Jahr sichert die<br />
Wohnungswirtschaft OWL Arbeitsplätze<br />
in <strong>der</strong> Region. Gleichzeitig stellen die<br />
Unternehmen sicher, zeitgemäßen und<br />
guten Wohnraum anbieten zu können für<br />
Menschen, die hier leben.
Print:<br />
Web:<br />
Das <strong>urbanLab</strong> ist ein Forschungsschwerpunkt <strong>der</strong> Fachbereiche<br />
1 (Detmol<strong>der</strong> Schule für Architektur und Innenarchitektur), 3<br />
(Bauingenieurwesen) und 9 (Landschaftsarchitektur und Umweltplanung)<br />
<strong>der</strong> Hochschule Ostwestfalen-Lippe.