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urbanLab Magazin 2017 - Die Stadt der Zukunft

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MAGAZIN<br />

FACHZEITSCHRIFT FÜR<br />

STADT- & REGIONALPLANUNG<br />

Ausgabe 02 | Juli <strong>2017</strong><br />

Ausblick in<br />

die Region<br />

*Wettbewerb Wachstum in Kooperation<br />

*Regionale 2022 „Das neue UrbanLand“<br />

Quartier<br />

<strong>der</strong> <strong>Zukunft</strong><br />

Wettbewerbsdokumentation<br />

des offenen studentischen<br />

Ideenwettbewerbs<br />

DIE STADT DER ZUKUNFT<br />

DIGITAL. GESUND. SOZIAL<br />

Dokumentation <strong>der</strong> interdisziplinären Veranstaltungsreihe<br />

des Regionalen Salons 2016/17


<strong>Die</strong> Wohnungswirtschaft Ostwestfalen-Lippe ist<br />

ein Zusammenschluss von Wohnungsbaugenossenschaften,<br />

kommunalen, kirchlichen und<br />

privaten Wohnungsunternehmen. Insgesamt arbeiten<br />

28 Unternehmen zusammen, um Ihnen<br />

sicheren und mo<strong>der</strong>nen Wohnraum zu fairen<br />

Preisen anbieten zu können.<br />

<strong>Die</strong> Unternehmen <strong>der</strong> Wohnungswirtschaft Ostwestfalen-Lippe<br />

sind dort zu Hause, wo auch Sie<br />

zu Hause sind.<br />

Mit Bauaufträgen in <strong>der</strong> Region von mehr als<br />

100 Millionen € im Jahr sichert die Wohnungswirtschaft<br />

OWL Arbeitsplätze in <strong>der</strong> Region.<br />

Gleichzeitig stellen die Unternehmen sicher,<br />

zeitgemäßen und guten Wohnraum anbieten zu<br />

können für Menschen, die hier leben.


Städte und Regionen verän<strong>der</strong>n sich<br />

Liebe Leserinnen und Leser,<br />

nicht erst seit dem Wissenschaftsjahr „<strong>Zukunft</strong>sstadt“ wird über die Vision zukünftigen Zusammenlebens und<br />

das Aussehen unserer Städte diskutiert. <strong>Die</strong> wichtige Auseinan<strong>der</strong>setzung mit <strong>der</strong> Weiterentwicklung und Verbesserung<br />

unserer alltäglichen Lebensräume darf dabei nicht nur in einer Verlängerung aktueller Trends münden,<br />

wie z.B. das technikgetriebene Leitbild <strong>der</strong> autogerechten <strong>Stadt</strong>, unter dessen Auswirkungen die meisten<br />

Räume noch heute leiden. Aus unserer Sicht bergen die heutigen großen gesellschaftlichen Verän<strong>der</strong>ungen<br />

ebenso die Gefahr technologieaffine Leitbil<strong>der</strong> zu erzeugen, die nicht den Menschen als Nutzer dieser Lebensräume<br />

in den Mittelpunkt stellen. Mit <strong>der</strong> voranschreitenden Digitalisierung und Vernetzung, sowie <strong>der</strong> Energiewende<br />

und neuen Mobilitätsformen werden womöglich die gleichen Fehler wie<strong>der</strong>holt.<br />

Sieht man die <strong>Stadt</strong> als lebendigen Organismus, als kompliziertes Netzwerk aus Abhängigkeiten und insbeson<strong>der</strong>e<br />

als menschlichen Lebensraum wird klar, dass die <strong>der</strong>zeitigen technischen Entwicklungen nicht zum Selbstzweck<br />

dienen, son<strong>der</strong>n eingebettet sein müssen in eine ganzheitliche Sicht, insbeson<strong>der</strong>e <strong>der</strong> planenden Disziplinen.<br />

Investitionen in die gebaute Umwelt sind einmalige planerische Entscheidungen, die kaum reversibel sind und entsprechend<br />

fundiert getroffen werden müssen. Mit unseren Aktivitäten im <strong>urbanLab</strong> und insbeson<strong>der</strong>e mit diesem<br />

<strong>Magazin</strong> möchten wir die wissensbasierte Gestaltung <strong>der</strong> menschlichen Umwelt för<strong>der</strong>n, mit dem Ziel nachhaltige,<br />

reslliente Lebensräume für uns Menschen in Städten, Dörfern und Quartieren zu schaffen.<br />

In diesem Sinne laden wir Sie herzlich ein mit diesem <strong>Magazin</strong> vor allem die Veranstaltungsreihe Regionaler Salon<br />

„<strong>Stadt</strong> <strong>der</strong> <strong>Zukunft</strong>“ nachzuvollziehen. Es werden drei wesentliche Bausteine einer resilienten <strong>Stadt</strong>entwicklung beleuchtet<br />

und ihre Auswirkungen, Herausfor<strong>der</strong>ungen und Potentiale auf unsere tägliche Lebenswelt thematisiert.<br />

Der erste Teil beschäftigt sich mit den Chancen und Risiken <strong>der</strong> voranschreitenden Digitalisierung. Im zweiten Teil<br />

geht es um die Gestaltung unserer täglichen Lebenswelt und ihre Auswirkungen auf Gesundheit, Wohlbefinden und<br />

Lebensqualität. Der dritte Teil rückt das Thema <strong>der</strong> Chancen(un)gleichheit und mögliche Handlungsansätze in den<br />

Fokus <strong>der</strong> Betrachtung.<br />

Darüber hinaus birgt dieses <strong>Magazin</strong> die Wettbewerbsdokumentation zu dem überaus erfolgreichen Wettbewerb<br />

„Quartier <strong>der</strong> <strong>Zukunft</strong>“. Der Wettbewerb, den wir zusammen mit <strong>der</strong> Wohnungswirtschaft Ostwestfalen-Lippe im<br />

vergangenen Wintersemester ausgelobt haben, stellte eine <strong>der</strong> drängendsten Aufgaben <strong>der</strong> nächsten Jahre in den<br />

Mittelpunkt: <strong>Die</strong> Schaffung von angemessenen dauerhaften und erschwinglichen Wohnraum, <strong>der</strong> über eine hohe<br />

Dichte und Durchmischung und dennoch über eine ausreichende Wohnqualität verfügt. Wichtig erschien uns dabei,<br />

dass die erfor<strong>der</strong>lichen Wohnungsbauaktivitäten nicht nur den Metropolen überlassen werden, son<strong>der</strong>n auch<br />

in metropolenfernen Regionen wie Ostwestfalen-Lippe stattfinden. Herausgekommen sind innovative Lösungen<br />

für zukünftige Quartiersentwicklungen, die zur weiteren Diskussion anregen und mit einer Vielfalt an fachlich fundierten<br />

Ansätzen eine gute Grundlage für den weiteren Entwicklungsprozess geschaffen haben.<br />

Darüber hinaus freuen wir uns Ihnen mit diesem <strong>Magazin</strong> auch die an<strong>der</strong>en Aktivitäten des <strong>urbanLab</strong> vorstellen zu<br />

können. Bundesweit für Aufsehen sorgte bereits das Projekt Heimatwerker in Nieheim. Wir berichten über den aktuellen<br />

Stand. Ein weiteres neues Reallabor, das Lastenrad dela, möchten wir Ihnen ebenfalls präsentieren. Darüber<br />

hinaus sind wir stolz Ihnen unser neues Haushebungsprojekt in Überschwemmungsgebieten (Brockwitz) vorstellen<br />

zu können.<br />

Für Furore sorgt in <strong>der</strong> Region OWL seit März <strong>der</strong> Zuschlag zur Regionale 2022. Damit stellen sich <strong>der</strong> Region<br />

zahlreiche Chancen zur Weiterentwicklung, aber auch die Herausfor<strong>der</strong>ung qualitätvolle und innovative Projekte<br />

hervorzubringen. Als Forschungsschwerpunkt <strong>der</strong> <strong>Stadt</strong>- und Regionalplanung sehen wir den nächsten Jahren<br />

natürlich mit beson<strong>der</strong>er Spannung entgegen. Deswegen möchten wir diese Ausgabe schließen, indem wir einen<br />

Ausblick auf die kommende Regionale wagen und in diesem Zusammenhang den aktuellen studentischen Wettbewerb<br />

Wachstum in Kooperation vorstellen, den wir im Auftrag <strong>der</strong> NRW.BANK durchführen und an dem gerade<br />

300 Studierende aus Deutschland, Österreich und den Nie<strong>der</strong>landen arbeiten.<br />

Wir hoffen Sie haben Freude an dieser interdisziplinären und umfangreichen Lektüre, die nicht zuletzt aufgrund <strong>der</strong> zahlreichen<br />

externen Referenten unserer Veranstaltungen zustande gekommen ist. Hierfür möchten wir uns recht herzlich bedanken!<br />

Prof. Oliver Hall Sprecher <strong>urbanLab</strong><br />

Marcel Cardinali Koordination <strong>urbanLab</strong>


(Klammer auf<br />

6 • <strong>Die</strong> <strong>Stadt</strong> <strong>der</strong> <strong>Zukunft</strong> - In ständiger Erneuerung<br />

Prof. Dr. Axel Häusler, Prof. Kathrin Volk,<br />

Prof. Dr. Reiner Staubach, • <strong>urbanLab</strong><br />

8 • Big Data, Datenschutz, Datensicherheit,<br />

Chancen & Risiken für Smart Cities<br />

Michael Lobeck • Universität Bonn, promediare.de<br />

10 • Smart Cities - Perspektiven für Mittelstädte<br />

Carolin Lauhoff • Lauhoff Architekten, Melle<br />

12 • Smart Country Side<br />

Dr. Klaus Schafmeister • Kreis Lippe/Hochschule OWL<br />

14 • Drei Thesen zur Digitalen <strong>Stadt</strong><br />

Benjamin Dally • Forschungsschwerpunkt nextPlace<br />

18 • Gesundheit in <strong>der</strong> <strong>Stadt</strong> von gestern, heute, morgen<br />

Dr. Hendrik Baumeister, Prof. Dr. Claudia Hornberg<br />

• Universität Bielefeld<br />

22 • Umweltgerechtigkeit und Gesundheit<br />

Anja Ritschel • <strong>Stadt</strong> Bielefeld, Dezernat Umwelt & Klimaschutz<br />

26 • Verän<strong>der</strong>ungen von Krankheitsbil<strong>der</strong>n<br />

bezogen auf den Wohnort<br />

Prof. Dr. Manfred Pilgramm • HNO-Arzt & Honorarprofessor<br />

28 • Human Centered Design -<br />

Wie Architektur unser Verhalten beeinflusst<br />

Marcel Cardinali • <strong>urbanLab</strong><br />

32 • Je<strong>der</strong> möchte etwes bewegen -<br />

Reallabor Detmol<strong>der</strong> Lastenrad<br />

Peter Gläsel Stiftung, ADFC Lippe,<br />

Lippe im Wandel, BUND Lippe, <strong>urbanLab</strong><br />

34 • HueBro: Haushebung in Überschwemmungsgebieten<br />

ConstructionLab, nextPlace, <strong>urbanLab</strong>


36 • Segregation, Angst und Konflikt in deutschen Städten<br />

Dr. Andreas Hüttermann • IKG, Universität Bielefeld<br />

40 • Soziale Integration im Quartier<br />

Ralf Zimmer-Hegmann • ILS, Dortmund<br />

44 • Soziale <strong>Stadt</strong>: Über die begrenzte<br />

Reichweite von Quartierspolitik<br />

Volker Kersting • <strong>Stadt</strong>forschung, Mülheim an <strong>der</strong> Ruhr<br />

48 • Reallabor - Wer baut <strong>der</strong> bleibt<br />

Integrationsprojekt Nieheim<br />

<strong>Stadt</strong>baukultur NRW, <strong>Stadt</strong> Nieheim, <strong>urbanLab</strong><br />

50 • Milieus und ihre Wohnanfor<strong>der</strong>ungen - Warum in<br />

<strong>der</strong> Sozialen <strong>Stadt</strong> wie<strong>der</strong> mehr gebaut werden muss<br />

Marcel Cardinali • <strong>urbanLab</strong><br />

56 • Lab of the Region: Detmold<br />

Peter-Gläsel Stiftung, Institut für Kompetenzentwicklung, <strong>urbanLab</strong><br />

58 • Studentischer Ideenwettbewerb WiSe 2016/17:<br />

Was macht ein Quartier <strong>der</strong> <strong>Zukunft</strong> aus?<br />

Wohnungswirtschaft OWL, <strong>urbanLab</strong><br />

))IDEAS((<br />

88 • <strong>Die</strong> <strong>Stadt</strong> <strong>der</strong> <strong>Zukunft</strong> - Resilienter Lebensraum<br />

Prof. Dr. Axel Häusler, Prof. Kathrin Volk ,<br />

Prof. Dr. Reiner Staubach • <strong>urbanLab</strong><br />

Klammer zu)<br />

92 • Studentischer Ideenwettbewerb SoSe <strong>2017</strong>:<br />

Wachstum in Kooperation<br />

NRW.BANK, <strong>urbanLab</strong>, ISB<br />

96 • Das neue urbanLand<br />

Prof. Dr. Axel Häusler, Prof. Kathrin Volk,<br />

Prof. Oliver Hall, Dr. Klaus Schafmeister<br />

• <strong>urbanLab</strong> & nextPlace


Prof. Dr. Axel Häusler, Prof. Kathrin Volk, Prof. Dr. Reiner Staubach<br />

6<br />

<strong>Die</strong> <strong>Stadt</strong> <strong>der</strong> <strong>Zukunft</strong> - IN STÄNDIGER ERNEUERUNG<br />

(Klammer auf<br />

<strong>Die</strong> <strong>Stadt</strong> ist unser alltägliches Lebensumfeld. Jeden<br />

Tag erleben, gestalten und erzeugen wir sie<br />

durch unser individuelles Handeln. Selbstverständlich<br />

müssen wir zwischen Räumen unterschiedlicher<br />

Dichte, nutzungsfunktionaler Prägung, Einwohnerzahl<br />

und den vielen weiteren Differenzierungsmerkmalen<br />

unterscheiden. Aber bei näherer Betrachtung<br />

stellt jedes städtische Umfeld ein mehr o<strong>der</strong> weniger<br />

komplexes System dar. Lokale und kleinteilige<br />

Än<strong>der</strong>ungen können unvorhersehbare Wechselwirkungen<br />

zwischen Einzelelementen an an<strong>der</strong>er Stelle<br />

hervorrufen.<br />

<strong>Die</strong> <strong>Stadt</strong> <strong>der</strong> <strong>Zukunft</strong><br />

In ständiger Erneuerung<br />

und transparent angegangen werden sollte. Neben<br />

einer stetig wachsenden Anzahl von Forschungsarbeiten<br />

wird dies auch durch jüngere Publikationen<br />

<strong>der</strong> Bundesministerien und die stetige Zunahme von<br />

Entwicklungsverträgen zwischen Kommunen und<br />

IT-Unternehmen belegt (vgl. Cisco <strong>2017</strong>).<br />

<strong>Die</strong> Kehrseite dieser Entwicklung besteht in <strong>der</strong><br />

wachsenden Abhängigkeit kommunaler Strukturen<br />

von Wirtschaftsunternehmen, <strong>der</strong> zunehmenden<br />

Perforation des privaten und öffentlichen Raums<br />

und in bisher noch ungelösten, datenschutzrechtlichen<br />

Konflikten. Folgt man den Prognosen einiger,<br />

anerkannter Wissenschaftler, wird aus dem jetzigen<br />

„Smart-City“-Konzept in nicht allzu ferner <strong>Zukunft</strong><br />

ein „Smart-Environment“, im Sinne einer ubiquitären<br />

Umgebungsintelligenz werden (vgl. Ratti 2014). Verknüpft<br />

man diese beiden Trends zu einer gemeinsamen<br />

Perspektive, stellt sich unser Alltag als ein informationstechnisch<br />

vernetztes Leben dar, in dem alle<br />

uns umgebenden Gegenstände, auf die eine o<strong>der</strong><br />

an<strong>der</strong>e Weise, mit uns kommunizieren können.<br />

<strong>Die</strong> intelligente Umgebung<br />

Derzeit ist zu beobachten, dass die Integration digitaler<br />

Infrastrukturen in weiten Teilen des städtischen<br />

Raums enorm vorangetrieben wird. So<br />

genannte Smart-Cities versprechen innovative Prozess-<br />

und Produktoptimierungen in den Bereichen<br />

Mobilität, Energiemanagement, Bürgerbeteiligung<br />

und Sicherheit. In <strong>der</strong> Regel ist hier eine disruptive<br />

Verän<strong>der</strong>ung bestehen<strong>der</strong> Prozesse zu beobachten.<br />

Damit ist gemeint, dass allgemeine Vorgänge und<br />

Verfahrensweisen im städtischen Alltag, z.B. die<br />

Parkplatzsuche, auf technologische Optimierungspotentiale<br />

überprüft werden.<br />

Bereits heute werden auf dem jährlichen „Smart<br />

City Expo World Congress“ (FIRA Barcelona <strong>2017</strong>)<br />

engagierte Städte mit dem „Smart City Award“ ausgezeichnet.<br />

Der Preis wird an Städte verliehen, die<br />

erfolgreich in einem o<strong>der</strong> mehreren <strong>der</strong> oben genannten<br />

Bereiche, digitale Prozesse im realen Umfeld<br />

umsetzen konnten.<br />

Es gibt wohl kaum einen Bereich, in dem seitens <strong>der</strong><br />

Industrie, <strong>der</strong> Politik und Verwaltung, sowie auch von<br />

Seiten <strong>der</strong> Forschung und Gesellschaft, soviel inhaltliche<br />

Übereinstimmung existiert, wie bei <strong>der</strong> For<strong>der</strong>ung,<br />

dass die digitale Transformation positiv, offen<br />

Der Faktor Mensch<br />

Daher ist die <strong>Stadt</strong> <strong>der</strong> <strong>Zukunft</strong> nicht vorhersehbar,<br />

linear weiterdenkbar o<strong>der</strong> planbar. <strong>Die</strong> Dynamik<br />

<strong>der</strong> gesellschaftlichen, ökonomischen und ökologischen<br />

Verän<strong>der</strong>ungen ist so enorm und vielfältig,<br />

dass die Anfor<strong>der</strong>ungen an den Lebensraum <strong>Stadt</strong><br />

immer anpassungsfähig und flexibel sein müssen.<br />

Idealstadtmodelle haben immer wie<strong>der</strong> versucht,<br />

die <strong>Stadt</strong> <strong>der</strong> <strong>Zukunft</strong> vorauszudenken und sind als<br />

starrer Masterplan ebenso oft gescheitert, und zwar<br />

meistens an den Menschen, die die <strong>Stadt</strong> beleben.<br />

Der Wunsch nach Aneignung, nach Mitgestaltung<br />

und dem Herstellen eigener <strong>Stadt</strong>atmosphären und<br />

Identitäten des Lebensumfeldes überformt und<br />

verän<strong>der</strong>t Planstädte und zeigt den Eigensinn <strong>der</strong>


Bewohner und ihren Wunsch nach Unverwechselbarkeit,<br />

Inbesitznahme und menschlichem Maßstab.<br />

Dass trotz solcher städtebaulichen Irrtümer<br />

unsere Städte funktionieren können, liegt an dynamisch-stabilen<br />

Strukturen, also Gebäuden und Freiräumen,<br />

die über Stabilität und gleichzeitig Offenheit<br />

verfügen (Baum 2012) und anpassungsfähige<br />

Orte im städtischen Transformationsprozess sind.<br />

Sie sind Aneignungs- und Handlungsräume für<br />

städtische Zukünfte. Und gleichzeitig zeigen diese<br />

Aneignungsprozesse, dass, mehr als bisher, eine<br />

„Ästhetik des Angenehmen“ (Tessin 2008) bereits<br />

im Denken und Entwerfen von <strong>Stadt</strong> berücksichtig<br />

werden muss.<br />

Durchstreift man Städte auf <strong>der</strong> Suche nach dem<br />

Angenehmen, so bewegen man sich zwischen Architektur,<br />

Infrastruktur und grünen Freiräumen. Es<br />

ist ein Raumgefüge, das <strong>der</strong> Einzelne kaum beeinflussen<br />

kann und das in seiner Funktionalität, Maßstäblichkeit<br />

und Komplexität den vielen Kriterien<br />

des Urbanen gehorcht. Doch, obwohl von und für<br />

Menschen gemacht, ist diese Raumgefüge nicht immer<br />

angenehm, denn es negiert den menschlichen<br />

Maßstab und ist trotz aller Gestaltungsbemühungen<br />

zu laut, zu hoch, zu breit, zu hart.<br />

Integriertes Handeln als praktische Transdisziplinarität<br />

Im Rahmen des inzwischen bewährten Formats des Regionalen<br />

Salons wurde aus unterschiedlichen Perspektiven<br />

erörtert, welche spezifischen Herausfor<strong>der</strong>ungen sich<br />

daraus ergeben, dass die Teilhabe- und Zugangschancen<br />

in den Städten bei den für die strukturelle Integration bedeutsamen<br />

Ressourcen offenbar nicht nur vom sozialen<br />

Status sowie <strong>der</strong> ethnisch-kulturellen Herkunft bestimmt<br />

sind, son<strong>der</strong>n auch von <strong>der</strong> „Wohnadresse“ abhängig sein<br />

können (vgl. El-Mafaalani u.a. 2015).<br />

In Deutschland wurden im Anschluss an Diskurse in den<br />

USA (siehe „urban un<strong>der</strong>class“ bei Wilson 1987; und „spatial<br />

racism“ bei Galster 1999) sowie in Frankreich (Dubet/<br />

Lapeyronnie 1994) spätestens mit dem Programm „Soziale<br />

<strong>Stadt</strong>“ die Folgen zunehmen<strong>der</strong> sozial-räumlicher Spaltungsprozesse<br />

thematisiert und in den Fokus politischer<br />

Interventionen gerückt. Nach <strong>der</strong> punktuellen Erweiterung<br />

<strong>der</strong> ursprünglich stark auf baulich-städtebauliche Erneuerung<br />

ausgerichteten För<strong>der</strong>kulisse um flankierende sozial-integrative<br />

Maßnahmen wurden in den letzten Jahren<br />

vermehrt auch die benachteiligenden Kontextbedingun-<br />

gen in den Quartieren adressiert (Dreier u.a. 2014). Dabei<br />

stellt sich nicht zuletzt die Frage, inwieweit ein integriertes<br />

Handeln (sprich „praktische Interdisziplinarität“; vgl. Mittelstraß<br />

2007) auf <strong>der</strong> Quartiersebene tatsächliche substanzielle<br />

Beiträge zu einem Mehr an Teilhabe- und Chancengerechtigkeit<br />

leisten kann.<br />

Zumindest für die innerstädtischen „Ankunftsstadtteile“<br />

(Saun<strong>der</strong>s 2011) spricht einiges dafür, dass angesichts<br />

eingeschränkter lokaler Perspektiven für Wohn- und<br />

Bildungskarrieren <strong>der</strong> integrative Wirkungserfolg integrierter<br />

För<strong>der</strong>ansätze <strong>der</strong> Sozialen <strong>Stadt</strong> häufig nicht<br />

primär den Programmgebieten selbst, son<strong>der</strong>n über die<br />

(vertikale) soziale und schließlich auch räumliche Mobilität<br />

von Bewohner/innen im Ergebnis eher den privilegierten<br />

<strong>Stadt</strong>teilen zu Gute kommt.<br />

Vor dem Hintergrund anhalten<strong>der</strong> Migrationsprozesse und<br />

<strong>der</strong> in <strong>der</strong> jüngsten Vergangenheit massiv gestiegenen<br />

Zuwan<strong>der</strong>ung Geflüchteter ist die Funktion <strong>der</strong> „Ankunftsstadtteile“<br />

als (transitorische) Integrationsschleusen für<br />

<strong>Stadt</strong> und Region sogar noch stärker in den Vor<strong>der</strong>grund<br />

getreten. In einigen Quartieren ist die Bevölkerung in Bezug<br />

auf die Herkunftslän<strong>der</strong> und –kulturen so heterogen<br />

geworden, dass sich dort längst nicht nur die Mehrheitsverhältnisse<br />

verschoben haben, son<strong>der</strong>n von „Hyper-Diversity“<br />

(Vertovec 2007) gesprochen werden muss. Im Hinblick auf<br />

den lokalen Zusammenhalt wird damit immer mehr die erfolgreiche<br />

Mo<strong>der</strong>ation von Intergruppen-Kontakten und –<br />

Konflikten zu einer drängenden <strong>Zukunft</strong>saufgabe.<br />

Baum, Martina (2012): <strong>Zukunft</strong>sfähigkeit braucht Wandlungsfähigkeit<br />

und Stabilität, in: Ziehl, Michael, Oßwald Sarah, Hansemann, Oliver,<br />

Schnier, Daniel (Hrsg.) (2012), Secondhandspaces, Berlin 2012<br />

Cisco (<strong>2017</strong>): Pave the way for a Smarter City - Manchester <br />

(abgerufen am 24.07.<strong>2017</strong>)<br />

Dreier, Peter/Mollenkopf, John/Swanston, Todd (2014): Place Matters<br />

– Metropolitics for the twenty-first Century (3. ed.), Lawrence KS/US<br />

Dubet, Francois/ Lapeyronnie, Didier (1994): Im Aus <strong>der</strong> Vorstädte.<br />

Der Zerfall <strong>der</strong> demokratischen Gesellschaft. Stuttgart 1994<br />

El-Mafaalani, Aladin/ Kurtenbach, Sebastian/ Strohmeier, Klaus<br />

Peter (Hrsg.)(2015): Auf die Adresse kommt es an… Segregierte <strong>Stadt</strong>teile<br />

als Problem- und Möglichkeitsräume begreifen. Weinheim 2015<br />

FIRA Barcelona (<strong>2017</strong>):, Smart City Expo World Congress, (abgerufen am 24.07.<strong>2017</strong>)<br />

Galster, George C. (1999): Open Housing, Integration, and the<br />

Reduction of Ghettoization; in: U.S. Department of Housing and Urban<br />

Development (Hrsg.): Cityscape: A Journal of Policy Development and<br />

Research, Volume 4, Number 3, 1999, S. 123 - 138<br />

Mittelstraß, Jürgen (2007): Methodische Transdisziplinarität; in:<br />

LIFIS ONLINE 05.11.07; http://www.leibniz-institut.de/archiv/mittelstrass_05_11_07.pdf<br />

| 15.01.<strong>2017</strong><br />

Ratti, Carlo (2014): Format C:ty, in: The European, Eine <strong>Stadt</strong> zum<br />

Experimentieren, Ausgabe 01/2014 <br />

(abgerufen am 24.07.<strong>2017</strong>)<br />

Saun<strong>der</strong>s, Doug (2011): Arrival City. München 2011<br />

Tessin, Wulf (2008): Ästhetik des Angenehmen. Städtische Freiräume<br />

zwischen professioneller Ästhetik und Laiengeschmack. Heidelberg 2008<br />

Vertovec, Steven (2007: Super-diversity and its implications. In: Ethnic<br />

and Racial Studies No. 30; London 2007, S. 1024 – 1054<br />

Wilson, William J. (1987): The Truly Disadvantaged – The Inner City,<br />

the Un<strong>der</strong>class and the Public Policy, Chicago/London 1987<br />

7<br />

<strong>Die</strong> <strong>Stadt</strong> <strong>der</strong> <strong>Zukunft</strong> - IN STÄNDIGER ERNEUERUNG


Michael Lobeck<br />

8<br />

Digitale <strong>Stadt</strong> - KEYNOTE<br />

Big Data, Datenschutz, Datensicherheit<br />

Chancen & Risiken für Smart Cities<br />

Smart City ist im Kern ein Marketingbegriff <strong>der</strong> IT-Industrie, <strong>der</strong> von Kommunen<br />

aufgegriffen wurde, um sich als fortschrittlich zu positionieren. <strong>Die</strong> mit dem Begriff<br />

verbundenen Versprechen werden — zumindest bisher — nicht eingelöst.<br />

Es gibt weniger Lösungen für Herausfor<strong>der</strong>ungen <strong>der</strong> <strong>Stadt</strong> als vielmehr eine<br />

Datenakkumulation bisher ungekannten Ausmaßes. Dagegen ist Wi<strong>der</strong>stand<br />

notwendig, um demokratiegefährdende Machtkonzentrationen zu bekämpfen.<br />

Wien, Foto: Alli Caulfield, flickr.com, Lizenz: CC-BY 2.0, https://creativecommons.org/licenses/by/2..0<br />

Big Data vs Miteinan<strong>der</strong> reden<br />

Das Thema Smart Cities ist von Werbeversprechen<br />

geprägt. Alle Probleme dieser Erde werden gelöst,<br />

wenn wir nur genug Daten erheben und diese miteinan<strong>der</strong><br />

in Beziehung setzen. <strong>Die</strong>se technokratische<br />

Sicht auf die Welt ignoriert, dass Menschen auf dieselbe<br />

Sache vollkommen unterschiedliche Blickweisen<br />

haben können. Vier Thesen zur Diskussion um<br />

Smart Cities:<br />

These 1: Es gibt keine BESTE Lösung, es gibt<br />

nur Interessenausgleich<br />

Wir haben alle unterschiedliche Bil<strong>der</strong> einer optimalen<br />

Welt. Auch künstliche Intelligenz, Big Data und<br />

Supercomputer werden uns den Streit um den richtigen<br />

Weg nicht abnehmen.<br />

These 2: Das Ziel bestimmt die (subjektive)<br />

Wahrheit<br />

Objektiv ist vielleicht, ob es regnet. <strong>Die</strong>s mag für den<br />

Landwirt gut, für den Freibadbesucher schlecht sein.<br />

Vor allem diese subjektive Wahrheit ist handlungsrelevant,<br />

wenger die objektive.<br />

These 3: Entscheidungen finden immer vor unvollständiger<br />

Information statt – die <strong>Zukunft</strong><br />

bleibt weiterhin unbekannt<br />

Der Traum <strong>der</strong> Virtualisierer ist vermutlich, den Planeten<br />

im Computer ein zweites Mal abzubilden und<br />

den Zustand jedes Atoms je<strong>der</strong>zeit zu kennen. Meine<br />

These: das bleibt ein Traum. Immer wie<strong>der</strong> müssen<br />

wir entscheiden, ohne alle Umstände zu kennen.<br />

These 4: <strong>Die</strong> Vergangenheit – egal wie viele Daten<br />

wir über sie haben – sagt nichts Verlässliches<br />

über die <strong>Zukunft</strong> aus.<br />

Der Truthahn, <strong>der</strong> smart ist und ein tolles neues<br />

Fitnessarmband hat, mag tolle Grafiken zu seiner<br />

Gewichtsentwicklung anschauen können. Nach<br />

Thanksgiving sieht die Sache plötzlich an<strong>der</strong>s aus.<br />

Vergangene Daten geben halt nur über die Vergangenheit<br />

Auskunft. Das än<strong>der</strong>t sich nicht durch die<br />

Menge <strong>der</strong> Daten und nicht durch künstliche Intel-


ligenz.<br />

Steuern vs Verhandeln<br />

Der Glaube an beste Lösungen, an die eine Wahrheit,<br />

an vollständige Information und an die Vorhersagbarkeit<br />

<strong>der</strong> <strong>Zukunft</strong> ist beson<strong>der</strong>s wichtig für diejenigen,<br />

die die Welt – und die Menschen in ihr – kontrollieren<br />

und steuern wollen.<br />

Grob lassen sich <strong>der</strong>zeitige Smart City Konzepte in zwei<br />

Kategorien einteilen: in technikgetriebene und in bürgergetriebene.<br />

Songdo in Südkorea soll als Beispiel für<br />

eine technikgetriebene <strong>Stadt</strong> mit vielen Sensoren im<br />

öffentlichen, halböffentlichen und privaten Raum dienen.<br />

Wien als Beispiel für die bürgergetriebene <strong>Stadt</strong>.<br />

<strong>Die</strong> eine – Songdo – entsteht neu auf freiem Feld und<br />

kann damit die zum Bauzeitpunkt neueste Technologie<br />

verwenden. <strong>Die</strong> an<strong>der</strong>e – Wien – existiert seit hun<strong>der</strong>ten<br />

von Jahren und zwingt zur Auseinan<strong>der</strong>setzung mit<br />

Vorhandenem.<br />

In Songdo plant ein Unternehmen eine überwachende<br />

<strong>Stadt</strong>, in Wien streiten sich die Leute um jede Verän<strong>der</strong>ung.<br />

Während <strong>der</strong> technisch orientierte Ansatz objektiv<br />

beste Lösungen verfolgt, schafft <strong>der</strong> bürgerorientierte<br />

Ansatz die beste Integration von Interessen. Irgendjemand<br />

steuert o<strong>der</strong> alle verhandeln. Es geht immer um<br />

unser Bestes.<br />

Panoptikum vs Autonomie<br />

Auch die Vertreter von Smart City Konzepten wie Songdo<br />

streben eine Erhöhung <strong>der</strong> Lebensqualität <strong>der</strong> Bewohnerinnen<br />

und Bewohner an. In Wien und vergleichbaren Städten<br />

geht man davon aus, dass Lebensqualität erst durch<br />

Auseinan<strong>der</strong>setzung verschiedener Interessen erzeugt<br />

wird und nicht objektiv definierbar ist.<br />

Beson<strong>der</strong>s Modelle, die von <strong>der</strong> demokratischen Auseinan<strong>der</strong>setzung<br />

leben, müssen sich mit <strong>der</strong> Frage nach dem<br />

Umgang mit Daten beschäftigen. Datenschutz, Datensicherheit<br />

und Datenhoheit sind die Stichworte.<br />

Informationen über mich, von denen ich nicht will, dass sie<br />

jemand an<strong>der</strong>es erfährt, müssen geschützt werden. Daten,<br />

die ich besitze, müssen vor Verän<strong>der</strong>ung und <strong>Die</strong>bstahl<br />

geschützt werden. Daten, die <strong>der</strong> Allgemeinheit gehören,<br />

dürfen nicht von Privaten beschlagnahmt werden.<br />

Datenschutz, Datensicherheit und Datenhoheit. <strong>Die</strong>se drei<br />

Aspekte des Umgangs mit Daten, die überall entstehen,<br />

seitdem wir unser Leben für Computer lesbar und ver-<br />

stehbar gemacht haben, sind Voraussetzung für Demokratie.<br />

Ohne die Kontrolle über die Daten, die mein Leben<br />

im Virtuellen abbilden, verliere ich meine Autonomie. Ohne<br />

Autonomie ist keine echte Demokratie möglich.<br />

)) Bestehen Sie auf Ihrer<br />

Autonomie. Es sind ihre Daten.<br />

Es ist ihr Leben. ((<br />

Lebensqualität lieber ohne Großen Bru<strong>der</strong><br />

Wir treiben die Digitalisierung unseres Lebens massiv<br />

voran. Mein Nachbar schaltet seine Steckdosen über<br />

eine App an und aus. Im Sommer fliegt eine Drohne über<br />

den Campingplatz und streamt Bil<strong>der</strong> in die Cloud. <strong>Die</strong><br />

Navigationsfunktion meines Handys weist mir den Weg.<br />

Wer muss sich darum kümmern, dass mit diesen Daten<br />

kein Unsinn passiert? Wir alle. Ja, auch Sie. Ja, auch <strong>der</strong><br />

Gesetzgeber. Aber auch wir alle.<br />

Was müssen wir tun? Zum einen müssen wir uns schlau<br />

machen, damit wir verstehen, was Datenschutz bedeutet<br />

und wofür er gut ist. Dann müssen wir ihn selbst einhalten.<br />

Wir müssen unsere Daten sicher verwahren und sie nicht<br />

einfach so irgendeinem dahergelaufenen Unternehmen<br />

schenken. Zum an<strong>der</strong>en müssen wir uns für Gesetze einsetzen,<br />

die unsere Daten schützen und sichern.<br />

Dipl.-Geogr. Michael Lobeck<br />

promediare.de<br />

arbeitet als freiberuflicher Mo<strong>der</strong>ator und Berater in <strong>der</strong> <strong>Stadt</strong>entwicklung.<br />

Er plädiert für die Abwägung von Chancen und Risiken <strong>der</strong><br />

Digitalisierung für eine gute <strong>Stadt</strong>entwicklung. In Vorträgen, Workshops<br />

und <strong>der</strong> Begleitung von Kommunen bringt er seine Erfahrungen<br />

aus Praxis und Theorie zusammen.<br />

9<br />

Digitale <strong>Stadt</strong> - KEYNOTE<br />

Empfohlene Literatur:<br />

BOYD, Danah (2014): It‘s Complicated. The Social Lives of Networked Teens.<br />

DANIELZYK, Rainer und LOBECK, Michael (2015): <strong>Die</strong> digitale <strong>Stadt</strong> <strong>der</strong> <strong>Zukunft</strong>. Düsseldorf. (SGK-Schriftenreihe, Bd. 34).<br />

HACKENBERG, Katharina u.a. (2015): Deutschlands Städte werden digital. Düsseldorf. Online verfügbar: http://bit.ly/unibonn_pwc<br />

HÜLSMANN, Werner (2015): Contra VDS: Überwachung gefährdet die Demokratie. Online verfügbar unter: https://www.bpb.de/dialog/netzdebatte/202175/contra-vds-ueberwachung-gefaehrdet-die-demokratie<br />

LOBECK, Michael (2016): Big Data, Datenschutz, Datensicherheit – Chancen und Risiken für Smart Cities. in: Arbeiterkammer Wien: WIEN<br />

WÄCHST – SMART CITY. Neues Konzept, offene Fragen. (<strong>Stadt</strong>punkte 22). Online Verfügbar: https://media.arbeiterkammer.at/wien/PDF/<br />

studien/<strong>Stadt</strong>punkte_22.pdf<br />

MAGISTRAT DER STADT WIEN (2014): Smart City Wien. Rahmenstrategie | Überblick. Online verfügbar: https://smartcity.wien.gv.at/site/<br />

files/2014/10/140924_KF_SCW_gesamt_DE.pdf<br />

MOROZOV, Evgeny (2014): Smarte neue Welt


Carolin Lauhoff<br />

10<br />

Digitale <strong>Stadt</strong> - AUS DER REGION<br />

Smart City<br />

Perspektiven für Mittelstädte im Strukturwandel<br />

Carolin Lauhoff ist Architektin und Mitgesellschafterin des Architekturbüros<br />

Lauhoff Architekten in Melle und Bünde. 2015 schloss sie den postgradualen<br />

Studiengang Urban Management an <strong>der</strong> Universität Leipzig mit <strong>der</strong> Thesis<br />

„Smart City - Perspektiven für Mittelstädte im Strukturwandel“ als Master of<br />

Science ab. Wir haben nach ihrem Vortrag beim Regionalen Salon zur „Digitalen<br />

<strong>Stadt</strong>“ mit ihr über die Perspektiven und Chancen von Mittelstädten gesprochen.<br />

Frau Lauhoff, vielen Dank für Ihren Vortrag! Vor<br />

welchen Herausfor<strong>der</strong>ungen stehen Mittelstädte?<br />

<strong>Die</strong> Mittelstädte nehmen in <strong>der</strong> räumlichen Struktur<br />

Deutschlands eine wichtige Stellung ein. 68%<br />

<strong>der</strong> Gesamtbevölkerung Deutschlands wohnen abseits<br />

<strong>der</strong> Großstädte. Sie stehen heute angesichts<br />

komplexer Entwicklungen vor vielfältigen Herausfor<strong>der</strong>ungen.<br />

Hierzu gehören Fragestellungen wie <strong>der</strong> demographische<br />

Wandel, die häufig defizitäre Haushaltslagen,<br />

die Technisierung <strong>der</strong> Arbeitswelt und <strong>der</strong><br />

Wettbewerbsdruck unter den Kommunen. Darüber<br />

hinaus erleben wir in vielen Kommunen eine kontinuierliche<br />

Abwan<strong>der</strong>ung qualifizierter Beschäftigter<br />

insbeson<strong>der</strong>e in die Großstädte, die aus Sicht<br />

<strong>der</strong> <strong>Stadt</strong>entwicklung und <strong>der</strong> gewachsenen Wirtschaftsstruktur<br />

vor Ort problematisch zu sehen ist.<br />

Dabei bietet das Leben in einer Mittelstadt viele<br />

Vorteile: günstige Lebenshaltungskosten im Bereich<br />

des Wohnen, eine große Erholungsvielfalt<br />

im natürlichen Umfeld, attraktive Gewerbeflächen<br />

und viele Bewohner können auf ein vorhandenes<br />

Netzwerk familiärer und nachbarschaftlicher Gemeinschaften<br />

zurückgreifen. <strong>Die</strong>se Faktoren sind<br />

als wichtige Potenziale <strong>der</strong> Mittelstädte zu werten,<br />

wir müssen aber auch zur Kenntnis nehmen, dass<br />

sie die Abwan<strong>der</strong>ung in die Großstädte nicht gänzlich<br />

aufhalten.<br />

Zur Sicherung ihrer <strong>Zukunft</strong>sfähigkeit ist daher bei<br />

vielen <strong>der</strong> Mittelstädte ein stadtentwicklungspolitischer<br />

Paradigmenwechsel notwendig.<br />

Welche Rolle spielt das Konzept <strong>der</strong> „Smart City“<br />

im Hinblick auf diese Herausfor<strong>der</strong>ungen?<br />

Das Konzept <strong>der</strong> Smart City wird in <strong>der</strong> Literatur in<br />

Verbindung mit <strong>der</strong> Informations- und Kommunikationstechnologie<br />

(IKT) genannt und als <strong>Zukunft</strong>svision<br />

für eine technologische, intelligente und nachhaltige<br />

<strong>Stadt</strong>entwicklung bezeichnet. Durch Vernetzung und<br />

Informationsaustausch soll die Lebensqualität gesteigert,<br />

Mobilität effizienter genutzt, Ressourcen geschont<br />

und die Zusammenarbeit zwischen verschiedenen<br />

Akteuren, insbeson<strong>der</strong>e die Einbeziehung von<br />

jungen Menschen, optimiert werden.<br />

Dabei sind die IKTs als Ergänzung o<strong>der</strong> zur Intensivierung<br />

<strong>der</strong> Kommunikations- und Austauschformen<br />

sowie einem Potenzieren von Leistungen zu interpretieren.<br />

Jedoch ist dabei zu berücksichtigen, dass die Komplexität<br />

<strong>der</strong> „unsichtbaren“ Ansätze und die ungenaue<br />

Definition <strong>der</strong> Begrifflichkeiten die Umsetzung in das<br />

„System <strong>Stadt</strong>“ schwierig machen. Der Begriff Smart<br />

City glie<strong>der</strong>t sich in 5 unterschiedliche Handlungsfel<strong>der</strong>:<br />

(1.) smarte Wirtschaft, (2.) smarte Infrastruktur,<br />

(3.) smarte Lebenswelt, (4.) smarte Verwaltung und<br />

(5.) smarte Umwelt.<br />

Welche Chancen sehen Sie konkret im Konzept<br />

<strong>der</strong> Smart Cities für die Mittelstädte?<br />

Der weitreichende Vernetzungsgrad durch die IKT<br />

bietet den dezentralen Mittelstädten neue Standortvorteile:<br />

Durch neue, digitale Arbeitsformen und Mobilitätskonzepte<br />

ist ein Arbeiten in peripher liegenden<br />

Gebieten erstmalig möglich, ohne jeden Tag pendeln<br />

zu müssen. Auch für die Partnersuche muss man nicht<br />

mehr in die Großstadt ziehen. Online-Partnervermittlungen<br />

sorgen dafür, dass Menschen sich an jedem<br />

Ort kennenlernen können. Durch Online-<strong>Die</strong>nste kann<br />

das niedrigere und großflächige Miet-u. Kaufangebote<br />

von Grundstücken und Büroräumen verbreitet<br />

werden, dieses kann zu Standortvorteilen für die Nie<strong>der</strong>lassung<br />

von Unternehmen und Startups genutzt<br />

werden. Online-Stellenanzeigen können international<br />

Mitarbeiter ansprechen. Standortunabhängig können<br />

durch innovative Ideen und Netzwerkstrukturen neue<br />

Quellen <strong>der</strong> Wertschöpfung entstehen.<br />

Gibt es auch Risiken für Mittelstädte durch die<br />

Digitalisierung?<br />

Wichtig ist, dass die Qualität des urbanen Raumes<br />

auch in Mittelstädte nicht verloren gehen. Denn die<br />

Identifikation <strong>der</strong> Bewohner mit ihrer <strong>Stadt</strong> wird in <strong>der</strong><br />

parallel verlaufenden realen und virtuellen Welt einen<br />

Ankerpunkt darstellen. Hinzu kommt, dass eine orts-


angepasste „innovative, nachhaltige <strong>Stadt</strong>entwicklung“<br />

forciert werden sollte, um die lokalen Potenziale<br />

zu nutzen bzw. zu erhalten. <strong>Die</strong> Mittelstädte sind jedoch<br />

in ihrer Struktur zu unterschiedlich, als dass ein<br />

einheitlicher Weg aufgezeigt werden könnte.<br />

Um den Anschluss an die Großstädte nicht zu verlieren,<br />

dynamisch zu bleiben und somit zukunftsfähig zu<br />

sein sind die <strong>Zukunft</strong>strends zu analysieren (E-Government,<br />

E-Health, E-Mobility, E-Learning, E-Energy,<br />

E-Work, E-Business , Silver Society, Femal Shift,<br />

Individualisierung etc.) und je nach den konkreten<br />

Voraussetzungen <strong>der</strong> einzelnen Städte strategisch zu<br />

implementieren.<br />

Städte sind komplexe soziale, gesellschaftliche<br />

Netzwerke. Können technologische Lösungen<br />

tatsächlich die Probleme <strong>der</strong> Städte lösen?<br />

Es ist darauf zu achten, dass sich die <strong>Stadt</strong>planer und<br />

Politiker nicht auf technische Universallösungen verlassen.<br />

<strong>Die</strong> Bürger sollten aktiv an diesem Prozess<br />

beteiligt werden. Denn eine <strong>Stadt</strong> kann nur in dem<br />

Maße „smart“ sein, wie sie die Intelligenz Ihrer Bürger<br />

und Akteure erschließt. Das Engagement <strong>der</strong> Bürger<br />

und die Nutzung <strong>der</strong> spezifischen Voraussetzungen<br />

entscheiden letztendlich über die <strong>Zukunft</strong>sfähigkeit<br />

einer <strong>Stadt</strong>.<br />

In Ihrem Vortrag sprachen Sie davon, dass die<br />

Belebung und Weiterentwicklung <strong>der</strong> peripher<br />

liegenden Gebiete eine zentrale <strong>Zukunft</strong>saufgabe<br />

ist. Können Sie uns bildhaft beschreiben, wie<br />

die <strong>Zukunft</strong> in den peripher gelegenen Gebieten<br />

zum Beispiel im Jahr 2030 aussieht – und welchen<br />

Beitrag das Smart City-Konzept hierzu konkret<br />

geleistet hat?<br />

Ich stelle mir eine fahrradfreundliche, auf die menschlichen<br />

Dimensionen zugeschnittene Mittelstadt vor,<br />

wo viele Kin<strong>der</strong> auf den Straßen spielen und in einem<br />

lebendigen <strong>Stadt</strong>kern individuelle Läden und Cafés<br />

von einer generationsübergreifenden Bevölkerung<br />

besucht werden. Wo bezahlbarer Wohnraum vorhanden<br />

ist und familienfreundliche Konzerne in den Gewerbegebieten<br />

ansässig sind. Durch eine offene und<br />

gelebte Partizipation ist ein starkes Gemeinschaftsgefühl<br />

entstanden. <strong>Die</strong> Akteure identifizieren sich mit<br />

Ihrer <strong>Stadt</strong> und fühlen sich für sie verantwortlich. <strong>Die</strong><br />

Smart City-Ansätze haben dafür den Grundstein gelegt.<br />

Kommunikationsplattformen für den innerstädtischen<br />

Austausch <strong>der</strong> Akteure wurden aufgebaut. So<br />

entstandene Ideen wurden und werden umgesetzt.<br />

<strong>Die</strong> <strong>Stadt</strong> ist ein kommunikativer, intelligenter Organismus.<br />

Das Online-Marketing <strong>der</strong> <strong>Stadt</strong> konnte die<br />

innovativen Ansätze herausstellen und somit Fachkräfte<br />

mit <strong>der</strong>en Familien in die <strong>Stadt</strong> holen. Auch<br />

junge Leute wurden durch zahlreiche Angebote wie<br />

z.B. Mitspracherecht, günstigen Wohnraum und flächendeckendes<br />

W-LAN davon angezogen. Mittelstädte<br />

können die Angebotsdichte einer Großstadt zwar<br />

nicht erreichen aber durch eine geschickte Nutzung<br />

Ihrer Potenziale eine attraktive Alternative schaffen.<br />

Vor welchen zentralen Herausfor<strong>der</strong>ungen stehen<br />

wir, wenn wir das von Ihnen skizzierte Bild in<br />

den Mittelstädten und peripheren Regionen voranbringen<br />

wollen?<br />

Als wichtigster Forschungsansatz gilt die Entwicklung<br />

von Operationalisierungsstrategien für die Akteure in<br />

Form von neuen Verfahren und Instrumenten für die<br />

urbane Teilhabe. In Anlehnung an die Kybernetik evolutionärer<br />

Systeme können Strategien des <strong>Stadt</strong>-und<br />

Regional-Managements aufgezeigt werden. Ziel ist es<br />

einen Weg zu skizzieren, Informationen weiterzugeben<br />

und eine finanzielle Unterstützung zu gewährleisten,<br />

um eine ortsangepasste IKT aufzubauen, die eine<br />

<strong>Zukunft</strong>sfähigkeit im Wettstreit mit den Ballungsräumen<br />

erst ermöglicht. Der Fokus <strong>der</strong> Forschung und<br />

<strong>der</strong> Politik ist auf die dezentralen Gebiete zu lenken,<br />

hier wohnen 55 Millionen Menschen auf 96% <strong>der</strong> Fläche<br />

Deutschlands. <strong>Die</strong> Gebäude- und Infrastruktur ist<br />

vorhanden. Warum werden in Randlagen von Großstädten<br />

neue <strong>Stadt</strong>gebiete erschlossen und eine Aufstockung<br />

vorhandener Gebäude angedacht, wo es in<br />

Mittelstädten Leerstände und Flächenpotenzial gibt?<br />

Durch die virtuelle Realität sind Standorte relativ geworden.<br />

<strong>Die</strong> peripheren Regionen müssen eine Chance<br />

bekommen ihre jeweiligen Vorzüge gegenüber den<br />

Metropolen herauszustellen und zu entwickeln.<br />

Architekten und <strong>Stadt</strong>planer sowohl in den Kommunen<br />

als auch in den freien Büros, Forscher aus<br />

Hochschulen und Forschungseinrichtungen und<br />

die IKT-Fachleute sind alle wichtige Spieler auf<br />

dem Weg zur „Smart City“. Vor welchen Aufgaben<br />

stehen diese einzelnen Gruppen, damit alle zusammen<br />

das Thema Smart City zu einem Erfolg<br />

bringen?<br />

Ideen entstehen in <strong>der</strong> Auseinan<strong>der</strong>setzung mit einem<br />

Thema und dafür ist es einfach wichtig, dass <strong>der</strong> Fokus<br />

von Politik und Forschung auf die Mittelstädte gelegt<br />

wird, die zurzeit im Schatten <strong>der</strong> Großstädte stehen.<br />

Darüber hinaus ist eine <strong>Stadt</strong> in dem Maße lebendig<br />

und aktiv, wie Ihre Bürger sich dafür engagieren. <strong>Die</strong>sen<br />

Schatz gilt es zu heben. <strong>Die</strong> Schatzkarte muss<br />

aber jede <strong>Stadt</strong> mit Ihren Akteuren selber zeichnen.<br />

Frau Lauhoff, vielen Dank für Ihren Vortrag und das<br />

Gespräch! (Das Interview führte Benjamin Dally)<br />

MSc urban management Carolin Lauhoff<br />

Gesellschafterin Laufhoff Architekten Melle und Bünde<br />

11<br />

Digitale <strong>Stadt</strong> - AUS DER REGION


Dr. Klaus Schafmeister<br />

12<br />

Digitale <strong>Stadt</strong> - AUS DER REGION<br />

Smart Country Side<br />

Leben auf dem Land. In <strong>der</strong> Welt zuhause<br />

Der Ländliche Raum braucht<br />

soziale Innovation – Entstehung,<br />

Durchsetzung und Verbreiterung<br />

von neuen sozialen Praktiken in<br />

unterschiedlichen gesellschaftlichen<br />

Bereichen. Wie dies im<br />

Bereich Digitalisierung in den<br />

Kreisen Lippe und Höxter aussehen<br />

kann, soll das Projekt Smart<br />

Country Side aufzeigen. Dabei<br />

steht <strong>der</strong> Mensch mit seinen Bedarfen<br />

im Dorf im Mittelpunkt.<br />

Abbildung 1 „Smart Country Side“ © Kreis Lippe<br />

Ländliche Räume stehen vor beson<strong>der</strong>en gesellschaftlichen<br />

Herausfor<strong>der</strong>ungen zur Sicherung und Entwicklung<br />

ihrer <strong>Zukunft</strong>sfähigkeit. Ca. 70% <strong>der</strong> Bevölkerung<br />

Deutschlands lebt außerhalb von Großstädten und wird<br />

meist bei <strong>der</strong> Diskussion von Smart Cities außer Acht gelassen.<br />

Gerade hier kann die Digitalisierung eine Chance<br />

bieten. Aber viele innovative und vernetzte Projektansätze<br />

aus Metropolen lassen sich nicht ohne Anpassung auf<br />

den Ländlichen Raum übertragen, da es keine Standardlösungen<br />

für Dörfer gibt. Dabei sind gerade in ländlich<br />

strukturierten Regionen die Auswirkungen <strong>der</strong> demografischen<br />

Entwicklung deutlich zu spüren. Um im regionalen<br />

Wettbewerb zu bestehen, müssen die Herausfor<strong>der</strong>ung<br />

angenommen und die Chancen genutzten werden, die<br />

die Digitalisierung bietet. Der Alltag ist in den ländlichen<br />

Regionen dadurch gekennzeichnet, dass oft weite Wege<br />

überbrückt werden müssen, um Versorgungseinrichtungen,<br />

Arbeitsplätze und Orte <strong>der</strong> sozialen Interaktion zu erreichen.<br />

Um die <strong>Zukunft</strong>sfähigkeit <strong>der</strong> Ländlichen Räume<br />

zu sichern, sind vor allem in den Bereichen Infrastruktur<br />

und Daseinsvorsorge erhebliche Anpassungsprozesse<br />

notwendig. Das Voranschreiten <strong>der</strong> digitalen Technologien<br />

eröffnet ein weites Themenfeld zur Lösung von Demografieproblemen<br />

mithilfe smarter Ansätze.<br />

Das Projekt Smart Country Side sieht daher die Nutzung<br />

intelligenter und innovativer Lösungsansätze (z.B. für<br />

Smartphones o<strong>der</strong> PC) vor, die leicht nutzbarer und auf<br />

die Bedarfe und Anfor<strong>der</strong>ungen <strong>der</strong> Nutzer in ländlicher<br />

Umgebung zugeschnitten sind. <strong>Die</strong> sogenannte „Smart<br />

Country Services“ sollen in den vier projektrelevanten<br />

Handlungsfel<strong>der</strong>n Mobilität, Ehrenamt und E-Governance<br />

sowie E-Partizipation entstehen. <strong>Die</strong> Nutzer dieser<br />

<strong>Die</strong>nste stehen dabei im Mittelpunkt. Daher ist die direkte<br />

und persönliche Ansprache <strong>der</strong> Menschen vor Ort beson<strong>der</strong>s<br />

wichtig und entscheidend. Dabei soll die überdurchschnittlich<br />

hohe Bereitschaft <strong>der</strong> Bürgerinnen und Bürger<br />

zum ehrenamtlichen Engagement zur Entschärfung <strong>der</strong><br />

strukturbedingt problematischen Mobilität und Daseinsvorsorge<br />

genutzt werden. Durch diesen Prozess soll die<br />

Teilhabe und die Daseinsvorsorge verbessert und gestärkt<br />

werden. Ziel ist es mit den Bürgern, Kooperationspartnern<br />

und Stakehol<strong>der</strong>n innovative Lösungen im Dialog zu entwickeln,<br />

zu erproben und zu verstetigen, um sie erfolgreich<br />

als Modellprojekte umzusetzen, die nachfolgend auf an<strong>der</strong>e<br />

ländliche Regionen übertragbar sind. (siehe Abb. 1)<br />

Smart Country Side (SCS) ist ein von <strong>der</strong> Europäischen<br />

Union und dem Land Nordrhein-Westfalen geför<strong>der</strong>tes<br />

Kooperationsprojekt zwischen dem Kreis Lippe - <strong>Zukunft</strong>sbüro<br />

und <strong>der</strong> Gesellschaft für Wirtschaftsför<strong>der</strong>ung<br />

im Kreis Höxter mbH. Es ist eines von zehn Projekten des<br />

„Integrierten Handlungskonzeptes <strong>der</strong> Region Ostwestfalen-Lippe“.<br />

Zusammen wollen alle Akteure mit <strong>der</strong> Kampagne<br />

„Wir gestalten uns Morgen in Ostwestfalen-Lippe“<br />

die digitale Transformation in <strong>der</strong> Region vordenken, weiter<br />

vorantreiben, umsetzen und so die <strong>Zukunft</strong>sfähigkeit<br />

<strong>der</strong> Region sichern. (siehe Abb. 2)<br />

Seit dem Startschuss im Oktober 2016 lag <strong>der</strong> Fokus auf<br />

<strong>der</strong> Öffentlichkeitsarbeit und <strong>der</strong> Netzwerkbildung. Zudem<br />

fand ein intensiver Austausch mit unterschiedlichen laufenden<br />

Projekten und Initiativen statt, so dass Synergien<br />

identifiziert werden konnten. Bei <strong>der</strong> Auftaktveranstal-


13<br />

Digitale <strong>Stadt</strong> - AUS DER REGION<br />

Abbildung 2 „Wir gestalten unser Morgen in Ostwestfalen-Lippe“ © OstWestfalenLippe GmbH<br />

tung in Marienmüster galt es ein Projektverständnis für<br />

die weitere Arbeit zu erlangen und Kooperationspartner<br />

und Multiplikatoren zu gewinnen. (siehe Abb. 3) Ziel ist<br />

es nunmehr durch unterschiedliche Indikatoren Dörfer in<br />

Lippe und Höxter zu benennen, mit denen beispielhaft<br />

zusammengearbeitet werden kann. Welche Unterschiede<br />

gibt es in den Dörfern, wie lassen sich Dörfer definieren<br />

und kategorisieren? <strong>Die</strong>s sind u.a. Fragen, die im weiteren<br />

Prozess und durch die Entwicklung eines Methodenkoffers<br />

beantwortet werden sollen, so dass spezifische<br />

aus <strong>der</strong> Dorfbevölkerung gewachsene Ideen, umgesetzt<br />

werden. Hierfür sollen in Dorfkonferenzen und weiteren<br />

unterschiedlichen Formaten (Workshops, Befragungen,<br />

Interviews, Erhebungen, Statistiken u.a.) die Bedarfe im<br />

Dialog mit den Bürgern ermittelt, mit IKT-Experten smarte<br />

Lösungen erarbeitet und vor Ort in den Modelldörfern<br />

ausprobiert und im besten Fall verstetigt werden.<br />

Wichtig ist dabei, dass die Offenheit und Neugier für die<br />

Chancen <strong>der</strong> Digitalisierung bei den Bürgern geweckt<br />

wird. Beson<strong>der</strong>s ältere Menschen stehen dem Thema Digitalisierung<br />

oftmals unsicher und skeptisch gegenüber,<br />

da oft konkrete Berührungspunkte zum Alltag fehlen und<br />

die Begrifflichkeiten und Anglizismen wie z. B. E-Governance<br />

o<strong>der</strong> E-Partizipation schwer verständlich sind. <strong>Die</strong><br />

Frage, die im Raum steht, und beantwortet werden soll,<br />

lautet: „Was hat das alles mit mir/uns zu tun?“<br />

Wir möchten daher keine virtuellen Realitäten für die Modelldörfer<br />

schaffen, son<strong>der</strong>n digitale Lösungen als Instrument<br />

o<strong>der</strong> Hilfsmittel bedarfsorientiert nutzen, um die<br />

Lebensqualität, Daseinsvorsorge und Teilhabe <strong>der</strong> Bürger<br />

im ländlichen Raum nachhaltig zu verbessern. Wir wollen<br />

mit den Bürgerinnen und Bürgern das Dorf auf eine digital<br />

vernetzte <strong>Zukunft</strong> vorbereiten.<br />

Dr. oec. Klaus Schafmeister<br />

Wirtschaftsför<strong>der</strong>ung Kreis Lippe<br />

wurde 1959 in Lippe-Detmold geboren und studierte Volkswirtschaftslehre/economics<br />

an den Universitäten in Pa<strong>der</strong>born und in Urbana-Champaign,<br />

USA. Seinen Doktortitel für Wirtschafts- und Sozialwissenschaften<br />

erhielt er von <strong>der</strong> Universität Hohenheim in Stuttgart. Ab 2000 übte er für<br />

verschiedene öffentliche Organisationen in Lippe leitende Tätigkeiten aus,<br />

z.B. Geschäftsführer <strong>der</strong> Detmold Marketing GmbH, Leiter des Hermannbüro,<br />

<strong>der</strong> Wirtschaftsför<strong>der</strong>ung des Kreises Lippe und aktuell des <strong>Zukunft</strong>sbüros<br />

des Kreises Lippe. Zudem leitet er das Innovationszentrum für Elektromobilität<br />

und Erneuerbare Energie im Ländlichen Raum in Dörentrup, ist<br />

Geschäftsführer <strong>der</strong> InnoConsult OWL GmbH und leitet die Geschäftsstelle<br />

des Innovation Campus Lemgo.<br />

.Weitere Informationen zum integrierten Handlungskonzept OWL 4.0 und zum Projekt Smart Country Side erhalten Sie unter: www.owl40.de


Benjamin Dally<br />

14<br />

Digitale <strong>Stadt</strong> - STATEMENT NEXTPLACE<br />

Drei Thesen für die Diskussion über die Digitale <strong>Stadt</strong><br />

Digitale Geräte, smarte Anwendungen und darauf gestütztes Handeln verän<strong>der</strong>n<br />

unser Inanspruchnahme und Wahrnehmung von <strong>Stadt</strong> – und damit<br />

<strong>Stadt</strong> an sich. Den Erfor<strong>der</strong>nissen <strong>der</strong> <strong>Stadt</strong>entwicklung kann „das Digitale“<br />

zugegen o<strong>der</strong> zuwi<strong>der</strong> laufen o<strong>der</strong> einfach nur dazu zwingen, das eigene Handeln<br />

zu überprüfen und anzupassen. Als <strong>Stadt</strong>planer müssen wir uns dieser<br />

Verän<strong>der</strong>ungen daher bewusst werden und sie in unserem analytischen,<br />

strategischen und faktischen Handeln berücksichtigen und in unserem Sinne<br />

gestalten und nutzen. Für die Diskussion beim Regionalen Salon zur Digitalen<br />

<strong>Stadt</strong> wirft dieses Statement ein Schlaglicht auf drei aktuelle Themen bei <strong>der</strong><br />

Entwicklung hin zur digitalen <strong>Stadt</strong>.<br />

Silicon Valley in Kalifornien, USA. Während in den dortigen Konzernzentralen die Digitalisierung vorangetrieben werden,<br />

steht die ganze Region im Stau. Auch im digitalen Zeitalter ist realer Austausch unabdingbar.<br />

Silicon Valley, Foto: elf | talk , wikimedia.com, Lizenz: CC-BY-SA-3.0-migrated, https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/deed.de<br />

Foto: HS OWL<br />

<strong>Die</strong> Omnipräsenz des Digitalen<br />

Unser Handeln in <strong>der</strong> <strong>Stadt</strong> und unsere Wahrnehmung<br />

von <strong>Stadt</strong> sind immer stärker durch unsere<br />

Nutzung digitaler Werkzeuge geprägt. Während wir<br />

<strong>Stadt</strong>planer für unsere Bebauungspläne von Tusche<br />

auf CAD umgestiegen sind, begannen die „Benutzer“<br />

<strong>der</strong> <strong>Stadt</strong> sich Navigationsgeräte in die Frontscheibe<br />

zu kleben. Am heimischen Rechner nutzten sie das<br />

Mitmach-<strong>Stadt</strong>-Portal „Next Hamburg“, schrieben die<br />

Geschichte ihres <strong>Stadt</strong>teils bei Wikipedia auf o<strong>der</strong><br />

druckten sich Informationen über Reiseziele aus dem<br />

Internet aus. Mit <strong>der</strong> quasi ubiquitären Verbreitung<br />

von Smartphones und schnellem Internet im <strong>Stadt</strong>raum<br />

ist die digitale Sphäre zunehmend mit <strong>der</strong> realen<br />

Umwelt verwoben und beeinflusst diese auf nicht<br />

mehr wegzudenkende Art und Weise.<br />

Wir „benutzen“ <strong>Stadt</strong> immer häufiger basiert auf<br />

Smartphones und an<strong>der</strong>en digitalen Devices: <strong>der</strong><br />

Ortskundige nutzt Google Maps um zu schauen, ob<br />

die Lieblings-Burger Bar heute vielleicht ihren Ruhetag<br />

hat und schickt dem Freund, den man dorthin<br />

einladen möchte, 10 Minuten vor dem Treffen die Koordinaten<br />

direkt per Whatsapp – unsere Nutzung von<br />

<strong>Stadt</strong> wird zunehmend spontaner und flexibler. Der<br />

Ortsunkundige findet auf <strong>der</strong> Restaurantsuche möglicherweise<br />

die „4,8/5“-Sterne-Burger-Bar in einer<br />

Nebenstraße, in <strong>der</strong> er in <strong>der</strong> Vor-Smartphone-Ära<br />

möglicherweise nie nach einem Restaurant gesucht<br />

hätte – die Bedeutung <strong>der</strong> Lage in <strong>der</strong> <strong>Stadt</strong> verän<strong>der</strong>t<br />

sich. <strong>Die</strong>s gilt umso mehr im Hinblick auf eine<br />

Pluralisierung von Gesellschaft im Allgemeinen und<br />

Essgewohnheit im konkreten: wer regionale Produkte,<br />

glutenfreies Essen o<strong>der</strong> Craft Beer verkauft o<strong>der</strong><br />

konsumieren möchte, findet wahrscheinlich digital<br />

zusammen. Nur im Internet kann über Special Interests<br />

so schnell, flexibel, zielgruppenspezifisch und<br />

verlässlich informiert werden.<br />

<strong>Die</strong>s gilt umso mehr dann, wenn Informations-Services<br />

direkte Kanäle zur Kommunikation <strong>der</strong> Nutzer<br />

untereinan<strong>der</strong> schaffen und damit die Raumnutzung<br />

direkt beeinflussen, zum Beispiel über die schon an-


gesprochenen Konsumentenbewertungen. Genauso<br />

bestehen aber auch automatisierte Rückkanäle und<br />

das beste Routing basiert eben auf den Messungen<br />

hinsichtlich Verkehrsdichte und Reisegeschwindigkeit,<br />

die an<strong>der</strong>e Smartphones (o<strong>der</strong> Navigationsgeräte)<br />

gemacht haben, die bereits im Verkehr unterwegs<br />

sind. <strong>Die</strong>s führt im Staufall zu gänzlich neuen Routen<br />

o<strong>der</strong> <strong>der</strong> Erkenntnis, dass zumindest jetzt in diesem<br />

Moment Bus und Bahn o<strong>der</strong> das Fahrrad schneller<br />

sind. Auch bei <strong>der</strong> Navigation zwischen zwei gesetzten<br />

Punkten verän<strong>der</strong>n die Digitalen Werkzeuge also<br />

unsere Raumnutzung.<br />

Der Mobilitätssektor ist ganz beson<strong>der</strong>s von <strong>der</strong> Digitalisierung<br />

geprägt. Internet und Smartphones haben<br />

inzwischen selbst in <strong>der</strong> Schweiz das Kursbuch obsolet<br />

gemacht. Von einem Jahresfahrplan kann man auf<br />

vielen Bahnlinien nicht mehr sprechen, Bahn-Netzbetreiber<br />

nutzen das Potential zur „ad hoc-Information“<br />

für einen an<strong>der</strong>en Umgang beispielsweise mit Baustellen,<br />

häufig nur bedingt zum Vorteil des Kunden.<br />

Insbeson<strong>der</strong>e die neuen Sharing-Mobilitätskonzepte,<br />

die in vielen Großstädten insbeson<strong>der</strong>e in einzelnen<br />

Alterskohorten inzwischen relevante Marktanteile<br />

gewonnen haben, basieren stark auf dem Informationsaustausch<br />

übers Netz und mobile digitale Endgeräte:<br />

Bikesharing funktioniert zufriedenstellend nur,<br />

wenn die automatisierte Ausleihstation weiß, wie viele<br />

Fahrrä<strong>der</strong> zur Zeit zur Verfügung stehen kann und<br />

<strong>der</strong> Nutzer die nächste Station mit freien Fahrrä<strong>der</strong>n<br />

über sein Smartphone abfragen kann. Gleiches gilt<br />

für viele Carsharing-Konzepte wie car2go, bei <strong>der</strong><br />

das freie Fahrzeug in <strong>der</strong> Umgebung des Nutzers<br />

nicht nur über das Smartphone gefunden son<strong>der</strong>n<br />

auch direkt aufgeschlossen werden kann. Auffällig<br />

ist auch hier die Beiläufigkeit und Selbstverständlichkeit,<br />

mit <strong>der</strong> solche technischen Konzepte Einzug<br />

halten, ohne dass sie noch - ohne merkliche Komforteinschränkungen<br />

– rückholbar wären.<br />

These 1<br />

)) Wer/Was nicht in <strong>der</strong> digitalen Welt<br />

präsent ist – ist nicht präsent. ((<br />

Für die Städte und die <strong>Stadt</strong>planer heißt das: Wir<br />

müssen uns <strong>der</strong> „digitalen Brille“ <strong>der</strong> „Benutzer“ bewusst<br />

sein. Es lässt sich nicht ohne sie o<strong>der</strong> gegen<br />

sie planen. Und die Bürger werden sich Planungsprozessen<br />

nicht o<strong>der</strong> nur sehr selektiv widmen, wenn<br />

sie sich nicht digital erschließen lassen.<br />

<strong>Die</strong> Entgrenzung des Raums<br />

Am Forschungsschwerpunkt nextPlace haben wir<br />

uns in den letzten Monaten mit dem Pendelverhalten<br />

in <strong>der</strong> Region Ostwestfalen-Lippe beschäftigt.<br />

Auch wenn die Region kein Metropolraum mit einem<br />

Pendelverhalten wie Frankfurt o<strong>der</strong> München ist, so<br />

ist doch <strong>der</strong> räumliche Austausch in OWL erheblich<br />

(nextPlace 2016). Gerade die kleineren, weniger<br />

zentralen Gemeinden entleeren sich tagsüber – mit<br />

all den viel diskutierten negativen Folgen wie <strong>der</strong><br />

Schwächung <strong>der</strong> lokalen Nahversorgung, fehlenden<br />

Freiwilligen Feuerwehr-Leuten o<strong>der</strong> letztendlich <strong>der</strong><br />

Schrumpfung <strong>der</strong> ländlichen Bevölkerung.<br />

Eine Hoffnung vieler Aktiver in den Orten ist, dass<br />

ein Wandel in <strong>der</strong> Arbeitswelt die Arbeitnehmer zurück<br />

in die kleinen Gemeinden und Dörfer bringen:<br />

einer Umfrage des Branchenverbandes würde 21%<br />

<strong>der</strong> Bevölkerung lieber von zuhause arbeiten und<br />

weitere 41% zumindest einige Tage in <strong>der</strong> Woche.<br />

Von betrieblichen Hemmnissen und <strong>der</strong> weiterhin<br />

ausbauwürdigen Internetinfrastruktur einmal abgesehen<br />

gibt es jedoch weitere Gründe nicht von einem<br />

allzu naheliegenden Durchbruch <strong>der</strong> Telearbeit<br />

auszugehen: weltweit wachsen die großen Städte<br />

weiterhin und sie begründen ihre Stärke durch Agglomerationseffekte,<br />

durch Nähe und persönlichen<br />

Austausch zwischen den handelnden Akteuren. Das<br />

Silicon Valley ist kein virtueller Cyberraum einer die<br />

Telearbeit vorantreibenden IT-Elite, son<strong>der</strong>n ein realer<br />

<strong>Stadt</strong>raum mit all seinen Problemen wie überbordendem<br />

Verkehr. Wenn sich diese Branche schon<br />

schwer tut, sich von <strong>der</strong> tatsächlichen, persönlichen<br />

Nähe als Standortkriterium zu lösen, wie wahrscheinlich<br />

ist es dann, dass uns <strong>der</strong> Durchbruch bei <strong>der</strong> Telearbeit<br />

allzu bald gelingt?<br />

In <strong>der</strong> Region werden daher die lokalen Cluster in<br />

den großen Städten o<strong>der</strong> wie rund um den Campus<br />

Lemgo <strong>der</strong> Hochschule absehbar nicht an Bedeutung<br />

verlieren. <strong>Die</strong> Region wird weiterhin durch die<br />

Ströme zwischen attraktiven Wohnlagen und attraktiven<br />

Arbeitsstätten geprägt sein.<br />

These 2<br />

)) Wir müssen reale Räume für eine<br />

digital(isiert)e Gesellschaft schaffen. ((<br />

<strong>Die</strong> gleichbleibende Bedeutung <strong>der</strong> Nähe in einer<br />

digitalisierten Welt lässt sich ein stadtplanerisches<br />

Konzept überführen: die Anzahl <strong>der</strong> Arbeitsplätze in<br />

vielen Gemeinden mag abgenommen haben, trotzdem<br />

gibt es vor Ort Freiberufler, Angestellte, Kreative<br />

und zivilgesellschaftlich Aktive die über die ganze<br />

Woche o<strong>der</strong> an einzelnen Tagen am Wohnort arbeiten,<br />

entwe<strong>der</strong> vereinzelt o<strong>der</strong> nicht selten in eher<br />

seelenlosen Gewerbegebieten am Ortsrand. Hier<br />

sollten Angebote geschaffen werden, die die lokalen<br />

Gemeinden als Arbeitsorte ebenso stärken wie<br />

die Nähe zwischen diesen Personengruppen. In diesem<br />

Sinne können zum Beispiel Co-Working-Spaces<br />

auch eine Lösung für die ländlichen Räume sein:<br />

eingerichtet in attraktiver Lage in einem denkmalgeschützten<br />

Fachwerkhaus, ausgerüstet mit einer<br />

öffentlich zugänglichen Kaffeebar entstünden neue<br />

Potenziale für die Gemeinden. Sie würden ebenso einen<br />

Beitrag zur Entwicklung lokaler Netzwerke legen<br />

und unterschiedliche Disziplinen wie Entrepeneure,<br />

Kreative und Steuerberater zusammenbringen, von<br />

denen sowohl die Gemeinde wie auch die handelnden<br />

Personen selbst profitieren.<br />

15<br />

Digitale <strong>Stadt</strong> - STATEMENT NEXTPLACE


16<br />

Digitale <strong>Stadt</strong> - STATEMENT NEXTPLACE<br />

Co-Working-Spaces sind flexibel anmietbare Büroräume für Selbstständige, Freiberufler und Entrepreneure. Auch im ländlichen Raum<br />

lassen sich attraktive Räumlichkeiten schaffen, die diese Berufsgruppen vor Ort halten und miteinan<strong>der</strong> in den Kontakt bringen.<br />

Hub-Islington London, Foto: Impact Hub, flickr.com, Lizenz: CC-BY 2.0, https://creativecommons.org/licenses/by/2.0<br />

<strong>Die</strong> digitale Unübersichtlichkeit<br />

<strong>Die</strong> Digitalisierung bringt neue Chancen und stellt uns<br />

ebenso vor neue Herausfor<strong>der</strong>ungen. Das Deutsche Institut<br />

für Normung schätzte 2015 ab, dass nur 6% <strong>der</strong> in<br />

den Städten anfallenden Daten auch für das städtische<br />

Management genutzt werden. Gleichzeitig werden an die<br />

räumliche Planung vielfältige Anfor<strong>der</strong>ungen und Themen<br />

herangetragen, von Abwan<strong>der</strong>ung und Verstädterung bis<br />

hin zu Alterung, Flüchtlingsunterbringung und Energiewende<br />

– all dies immer unter dem Eindruck knapper Kassen.<br />

Das Management <strong>der</strong> Städte stärker datenbasiert aufzusetzen<br />

ist damit sowohl Herkulesaufgabe wie auch Chance.<br />

Am Forschungsschwerpunkt nextPlace haben wir in den<br />

letzten Monaten mit einem nie<strong>der</strong>sächsischen Landkreis<br />

an einem Tool für die Weiterentwicklung <strong>der</strong> ärztlichen<br />

Versorgung gearbeitet. Es ermöglicht, Verän<strong>der</strong>ungen<br />

bei den Praxisinhabern und die räumliche Absicherung<br />

<strong>der</strong> ärztlichen Versorgung mit Allgemeinmedizinern und<br />

Fachärzten ebenso im Blick zu behalten wie die Alters- und<br />

Bevölkerungsentwicklung in den Gemeinden/Ortsteilen.<br />

Aufgesetzt als webbasiertes Geoinformationssystem (GIS)<br />

ermöglicht es auch den Fachabteilungen einfache und unkomplizierte<br />

interaktive räumliche Planungsprozesse, ohne<br />

für jeden Schritt auf die Expertise eines GIS-Experten angewiesen<br />

zu sein. Der Fachplanung Gesundheitsversorgung<br />

wird es so beispielsweise ermöglicht, die Ausstattung<br />

des Planungsgebietes mit Kommunalen Gesundheitszentren<br />

anhand von Erreichbarkeiten zu entwickeln.<br />

These 3<br />

)) Digitale Werkzeuge schaffen neue<br />

Instrumente für die Entwicklung von<br />

<strong>Stadt</strong> und Region. ((<br />

<strong>Die</strong> Digitalisierung gibt <strong>der</strong> <strong>Stadt</strong>planung neue Möglichkeiten,<br />

Planungsprozesse zu visualisieren und empirisch<br />

zu fundieren. Wir sollten diese Chance nutzen!<br />

Kommunen, Forschung und För<strong>der</strong>mittelgeber müssen<br />

an einem Strang ziehen um Experimentierfel<strong>der</strong><br />

zu schaffen, in denen neue Anwendungen entwickelt<br />

und zur Anwendungsreife gebracht werden können.<br />

An die Kommunen stellt dies die Herausfor<strong>der</strong>ung,<br />

die Voraussetzungen zu schaffen, sich auf die neuen<br />

Technologien einzulassen. Gleichzeitig werden die zu<br />

entwickelnden neuen Instrumenten den Kommunen<br />

ermöglichen, auf die räumlichen Herausfor<strong>der</strong>ungen zu<br />

reagieren und aktiver als bisher damit umzugehen.<br />

Dipl.Ing. Benjamin Dally<br />

nextPlace - Koordination Forschung<br />

hat Raumplanung an <strong>der</strong> TU Dortmund und <strong>der</strong> Königlich-Technischen<br />

Hochschule, Stockholm, studiert und sich in seiner Abschlussarbeit<br />

mit <strong>der</strong> Integration von flexiblen Carsharing-Angeboten in kommunale<br />

Verkehrskonzepte beschäftigt. Seit 2013 arbeitet er an <strong>der</strong> Hochschule<br />

Ostwestfalen-Lippe, unter an<strong>der</strong>em für den Forschungsschwerpunkt<br />

<strong>urbanLab</strong>. Seit 2016 ist er Wissenschaftlicher Mitarbeiter am<br />

Forschungsschwerpunkt nextPlace, <strong>der</strong> sich mit „Raum-Zeit-Mustern<br />

intelligenter Mobilität“ beschäftigt. Seine Tätigkeitsschwerpunkte sind<br />

Regionalentwicklung und Mobilität in den ländlichen Räumen.<br />

nextPlace (2016): Fahren wie ein Pendler


17<br />

RAUM-ZEIT-MUSTER<br />

DER INTELLIGENTEN MOBILITÄT<br />

Interdisziplinärer Forschungsschwerpunkt<br />

an <strong>der</strong> Hochschule Ostwestfalen-Lippe<br />

Bereits jetzt erzeugen viele Räume und Gegenstände unseres Alltags ihre eigenen Daten. Mit dem Fortschreiten<br />

<strong>der</strong> Digitalisierung werden sowohl die Datenquantität und -qualität, als auch die dadurch resultierende Beeinflussung<br />

unseres Raum- und Mobilitätsverhaltens stark zunehmen. <strong>Die</strong>se Tatsache wird bei Planungsentscheidungen<br />

zur Raum- und Infrastrukturentwicklung bislang unzureichend berücksichtigt, da kaum Werkzeuge zur Verarbeitung<br />

und Sichtbarmachung <strong>der</strong>artiger Informationen existieren. Der Forschungsschwerpunkt setzt genau an dieser<br />

Stelle an und verknüpft Methoden <strong>der</strong> Geoinformatik mit digitalen Simulations- und Visualisierungsverfahren,<br />

um neue Bil<strong>der</strong> und Lesbarkeiten unseres Mobilitätsverhaltens in <strong>Stadt</strong> und Region zu ermöglichen. Damit wird<br />

ein neuer Weg zur einfachen Vermittlung komplexer Mobilitätsentscheidungen beschritten und bessere Voraussetzungen<br />

für das Verständnis raumbezogener Verhaltensweisen geschaffen.<br />

Erfahren Sie mehr über unser Team und unsere Projekte: www.nextplacelab.de<br />

Ansprechpartner: Prof. Dr. Axel Häusler | axel.haeusler(at)hs-owl.de | 05231 769-6968


Dr. Hendrik Baumeister, Univ.-Prof. Dr. Claudia Hornberg<br />

18<br />

Gesunde <strong>Stadt</strong> - KEYNOTE<br />

Gesundheit in <strong>der</strong> <strong>Stadt</strong><br />

von gestern, heute, morgen<br />

Seit <strong>der</strong> Entstehung erster menschlicher Ansiedlungen spielt die menschliche<br />

Gesundheit eine grundlegende Rolle, die bis zur <strong>Stadt</strong>entwicklung von<br />

heute zunehmend an Bedeutung (wie<strong>der</strong>)gewinnt. Mit <strong>der</strong> Zeit wuchs das<br />

Verständnis über die Zusammenhänge von Umwelt und Gesundheit stetig<br />

an und macht die „Gesunde <strong>Stadt</strong>“ zu einem gesamtgesellschaftlich komplexen<br />

und dynamischen Themenfeld. Dabei wird immer deutlicher, dass<br />

traditionelle Verfahren und Kooperationsstrukturen in <strong>der</strong> <strong>Stadt</strong>entwicklung<br />

kaum noch ausreichen, um dem aktuellen Gesundheitsverständnis gerecht<br />

werden zu können. Demnach bedarf es innovativer inter- und transdisziplinärer<br />

Strategien und Allianzen, um den Herausfor<strong>der</strong>ungen für eine gesunde<br />

<strong>Stadt</strong> <strong>der</strong> <strong>Zukunft</strong> erfolgreich zu begegnen.<br />

Foto: Thomas Claßen<br />

Städte und die Gesundheit <strong>der</strong> Menschen stehen seit<br />

jeher in enger Beziehung. Mit <strong>der</strong> Neolithischen Revolution<br />

zum Ende <strong>der</strong> Eiszeit vor etwa 12.000 Jahren<br />

erfuhr die Menschheit einen Wandel und entwickelte<br />

sich vom Nomadentum zu einer sesshaft werdenden<br />

Gesellschaft. Erste Dörfer entstanden nicht zufällig,<br />

son<strong>der</strong>n wiesen bereits deutliche Bezüge zu einer<br />

bewussten Siedlungsplanung auf, die nicht zuletzt<br />

aus gesundheitlichen Grundbedürfnissen, wie einer<br />

gesicherten Versorgung mit Nahrungsmitteln sowie<br />

Schutz vor Witterung, wilden Tieren und Gewalt resultierte.<br />

Der Erfolg dieser beginnenden Verstädterung<br />

zeigte sich schon früh in einer Steigerung <strong>der</strong><br />

Fruchtbarkeit und Lebenserwartung <strong>der</strong> Menschen<br />

und beför<strong>der</strong>te die demografische, gesellschaftliche<br />

und kulturelle Entwicklung <strong>der</strong> Menschheit (Benevolo<br />

2000, Uerpmann 2007).<br />

Gesundheit in <strong>der</strong> <strong>Stadt</strong> von gestern<br />

In <strong>der</strong> griechischen Antike fasste Hippokrates die bisherigen<br />

Erfahrungen über die Zusammenhänge von Umwelt<br />

und Gesundheit zusammen und übertrug sie auf die<br />

Vier-Säfte-Lehre <strong>der</strong> griechischen Medizin. Hippokrates<br />

thematisierte dabei vor allem klimatische Umweltfaktoren<br />

wie kalte Winde o<strong>der</strong> verunreinigte Luft, die das Gleichgewicht<br />

<strong>der</strong> vier Säfte im menschlichen Körper aus dem<br />

Gleichgewicht bringen und Krankheiten hervorrufen können<br />

(Rodenstein 2012). Vitruv griff diese Erkenntnisse ca.<br />

33–22 v. Chr. in seinen „10 Büchern über Architektur“<br />

auf und leitete daraus Ansätze für die <strong>Stadt</strong>gestaltung ab.<br />

Als eine Grundlage <strong>der</strong> römischen Baukultur lassen sich<br />

diese Ansätze auch heute noch z. B. in Form von schachbrettartigen<br />

Strukturen in den Grundrissen vieler Städte<br />

erkennen (Benevolo 2000, Vituvius 2008).


Trotz offensichtlicher Zusammenhänge zwischen einwirkenden<br />

Umweltfaktoren und <strong>der</strong> menschlichen Gesundheit<br />

verstärkte sich das medizinische Interesse an <strong>der</strong><br />

städtischen Umwelt erst wie<strong>der</strong> zur Zeit <strong>der</strong> Renaissance<br />

im 15.–17. Jahrhun<strong>der</strong>t. Sinken<strong>der</strong> Lebensstandard und<br />

vermehrt auftretende Infektionskrankheiten führten zu<br />

immer geringeren Lebenserwartungen in den Städten,<br />

sodass erste hygienische Standards und Vorschriften zur<br />

<strong>Stadt</strong>reinigung festgelegt wurden. Mit beginnen<strong>der</strong> Industrialisierung<br />

und <strong>der</strong> damit einhergehenden Urbanisierung<br />

ab Mitte des 19. Jahrhun<strong>der</strong>ts stiegen die gesundheitlichen<br />

und sozialen Problemlagen in Städten dennoch<br />

drastisch weiter an. <strong>Die</strong>s führte vermehrt zu gesundheitlichen<br />

Reformbewegungen durch Umwelthygieniker wie<br />

Max von Pettenkofer, Johann Peter Frank o<strong>der</strong> Robert<br />

Koch, durch die z. B. die Weiterentwicklung von unterirdischer<br />

Kanalisation, Wasserklosetts und Frischwasserversorgung<br />

angeregt wurde (Dye 2008, Rodenstein 2012).<br />

Zudem wurden verstärkt breite Straßenzüge, Freiräume<br />

und Grünanlagen als städtebauliche Elemente verwendet,<br />

um mehr Licht und Luft zwischen die dichte Bebauung<br />

<strong>der</strong> Städte gelangen zu lassen. <strong>Die</strong> Sichtachsen- und<br />

Grünraumkonzepte von Georges-Eugène Haussmann,<br />

die Bewegung <strong>der</strong> englischen Gartenstadt unter Sir Ebenezer<br />

Howard o<strong>der</strong> die Entwicklung <strong>der</strong> Schrebergärten<br />

stellten Ende des 19. Jahrhun<strong>der</strong>ts wichtige städtebauliche<br />

Ansätze dar, um Gesundheit <strong>der</strong> <strong>Stadt</strong>bevölkerung zu<br />

verbessern (Behrens 2006, Benevolo 2000).<br />

Gesundheit in <strong>der</strong> <strong>Stadt</strong> von heute<br />

Trotz aller städtebaulichen Reformbewegungen herrschen<br />

in Städten aber auch heute noch spezifische<br />

Merkmale vor, die – neben zahlreichen positiven Eigenschaften<br />

– hohe gesundheitliche Risiken für die <strong>Stadt</strong>bevölkerung<br />

bedeuten können (z. B. hohe Bebauungsdichte,<br />

Luftverschmutzung, Lärmbelastung) (Galea/Vlahov<br />

2005). Hinzu kommen die bisherigen Auswirkungen des<br />

Klimawandels (z. B. steigende Temperaturen, erhöhtes<br />

Aufkommen von Extremwetterereignissen), die weitere<br />

gesundheitliche Belastungen für die <strong>Stadt</strong>bevölkerung<br />

(WHO 2008) darstellen können. Ebenso können die sozio-demografischen<br />

Entwicklungen innerhalb <strong>der</strong> Städte<br />

zu einer multikulturellen und alternden Gesellschaft mit<br />

einem sich verän<strong>der</strong>nden Krankheitsspektrum (z. B. mit<br />

einem verstärkten Auftreten altersbedingter Erkrankungen<br />

wie Herzkreislauferkrankungen o<strong>der</strong> Diabetes mellitus<br />

Typ 2) führen (DESTATIS/RKI 2009). Nicht zuletzt<br />

können strukturelle Verän<strong>der</strong>ungen in den Städten zu<br />

sozial-räumlichen Disparitäten führen, die hohe Herausfor<strong>der</strong>ungen<br />

an eine umweltgerechte Verteilung von<br />

sowohl gesundheitsbelastenden als auch -för<strong>der</strong>lichen<br />

Faktoren darstellen (Hornberg/Pauli 2009).<br />

In <strong>der</strong> <strong>Stadt</strong> von heute existieren demnach zahlreiche<br />

gesundheitliche Faktoren, die zudem kumulieren können,<br />

indem z. B. ältere o<strong>der</strong> vorerkrankte Menschen<br />

beson<strong>der</strong>e Empfindlichkeiten gegenüber gesundheitlichen<br />

Belastungen in Städten aufweisen können<br />

(Hornberg/Claßen/Brodner 2016). Daraus resultiert<br />

eine Vielfalt an gesundheitlichen Zusammenhängen,<br />

die auch eine Reflexion des Verständnisses über den<br />

Begriff Gesundheit erfor<strong>der</strong>t.<br />

Was ist Gesundheit?<br />

Zu ihrer Gründung 1946 definierte die Weltgesundheitsorganisation<br />

(WHO) Gesundheit wie folgt:<br />

„Health is a state of complete physical, mental and social<br />

well-being and not merely the absence of disease and infirmity.“<br />

(WHO 1946: 2)<br />

Über diese ganzheitliche Definition erscheint Gesundheit<br />

als multidimensionales und dynamisches Konstrukt,<br />

welches in Abhängigkeit von zahlreichen subjektiven und<br />

kaum zu operationalisierenden Faktoren wie Wohlbefinden<br />

und Lebensqualität steht (Meyer/Sauter 2000).<br />

Dennoch basiert dieses Gesundheitsmodell <strong>der</strong> WHO<br />

auf einer pathogenetisch orientierten Dichotomie von Gesundheit<br />

und Krankheit.<br />

Das Modell <strong>der</strong> Salutogenese<br />

In <strong>der</strong> Annahme, dass Menschen – trotzdem sie hohen<br />

gesundheitlichen Belastungen wie Stress o<strong>der</strong> körperlichen<br />

Einschränkungen ausgesetzt sind – über ein hohes<br />

Wohlbefinden verfügen und somit auch gesund (bzw.<br />

nicht krank) sein können, entwickelte <strong>der</strong> Medizinsoziologe<br />

Antonovsky (1932–1994) das Modell <strong>der</strong> Salutogenese<br />

(salus (lat.): gesundheitliche Unverletzlichkeit, Glück,<br />

Heil; genesis (griech.): Ursprung, Entstehung). Er fokussierte<br />

mit dem Modell Faktoren und Mechanismen, die zur<br />

Entstehung und Bewahrung von Gesundheit bzw. Wohlbefinden<br />

beitragen können. Er spannte damit ein gesundheitliches<br />

Kontinuum zwischen den beiden Endpunkten<br />

Gesundheit und Krankheit auf, zwischen denen sich <strong>der</strong><br />

Mensch mit seinem Gesundheitszustand bewegt. <strong>Die</strong> Position<br />

des Menschen innerhalb dieses Kontinuums hängt<br />

dabei von zahlreichen Faktoren ab, die dessen Gesundheit<br />

und Wohlbefinden positiv o<strong>der</strong> negativ beeinflussen<br />

können (Antonovsky/Franke 1997). Darauf aufbauend<br />

definierten Hurrelmann und Franzkowiak (2005):<br />

„Gesundheit ist ein Stadium des Gleichgewichts von Risikofaktoren<br />

und Schutzfaktoren, das eintritt, wenn einem<br />

Menschen eine Bewältigung sowohl <strong>der</strong> inneren (körperlichen<br />

und psychischen) als auch äußeren (sozialen<br />

und materiellen) Anfor<strong>der</strong>ungen gelingt.“ (Hurrelmann &<br />

Franzkowiak 2006: 52)<br />

<strong>Die</strong>ses weite Verständnis über Gesundheit macht Gesundheit<br />

in <strong>der</strong> <strong>Stadt</strong> zu einem komplexen multidimensionalen<br />

Geflecht aus zahlreichen Faktoren mit vielfältigen Wechselwirkungen.<br />

<strong>Die</strong> städtische Umwelt stellt somit vielschichtige<br />

Herausfor<strong>der</strong>ungen auf allen Ebenen des umweltbezogenen<br />

Gesundheitsschutzes sowie <strong>der</strong> ökologischen Gesundheitsför<strong>der</strong>ung<br />

und steht demnach vermehrt im Fokus<br />

bevölkerungs- und risikogruppenbezogener Ansätze von<br />

Umweltmedizin und Public-Health-Forschung.<br />

Gesundheitsdeterminanten im Siedlungsraum<br />

Um die zahlreichen Faktoren, welche die Gesundheit<br />

<strong>der</strong> <strong>Stadt</strong>bevölkerung beeinflussen, in Beziehung zueinan<strong>der</strong><br />

setzen zu können, entwickelten Barton und<br />

Grant (2006) das „Humanökologische Modell <strong>der</strong> Gesundheitsdeterminanten<br />

im Siedlungsraum“. Mit dem<br />

Modell werden die komplexen Zusammenhänge zwischen<br />

dem Menschen und seiner Umwelt in Siedlungs-<br />

19<br />

Gesunde <strong>Stadt</strong> - KEYNOTE


20<br />

Gesunde <strong>Stadt</strong> - KEYNOTE<br />

Abbildung 1: Humanökologisches Modell<br />

<strong>der</strong> Gesundheitsdeterminanten im Siedlungsraum<br />

(Barton/Grant 2006, 252, erweitert nach Whitehead/Dahlgren 1991)<br />

gebieten visualisiert. Der Mensch mit seinen individuellen<br />

Faktoren (z. B. Geschlecht, Alter, Herkunft) befindet<br />

sich im Zentrum des Modells. Um ihn herum befinden<br />

sich verschiedene Ebenen, welche die sozialen, ökologischen<br />

und ökonomischen Systeme, welche auf die<br />

menschliche Gesundheit im Siedlungsraum direkt und<br />

indirekt einwirken, darstellen. <strong>Die</strong> bebaute Umwelt als<br />

maßgeblicher Gesundheitsfaktor, <strong>der</strong> über die <strong>Stadt</strong>entwicklung<br />

beeinflusst werden kann, wird hier ebenfalls<br />

explizit dargestellt und in Beziehung zu weiteren Determinanten<br />

gesetzt (Barton/Grant 2006) (s. Abbildung 1).<br />

Barton und Grant gelingt es mit ihrem Modell aber nicht<br />

nur, die Vielfalt und Wechselbeziehungen <strong>der</strong> gesundheitlichen<br />

Determinanten im Siedlungsraum darzustellen.<br />

Darüber hinaus verdeutlicht das Modell auch, dass die erfolgreiche<br />

Entwicklung gesun<strong>der</strong> Städte ein integratives<br />

und interdisziplinäres Zusammenwirken aller Akteure, die<br />

sich mit den jeweiligen Faktoren des Modells assoziieren<br />

lassen, inklusive <strong>der</strong> Bevölkerung unabdingbar macht.<br />

Governance-Strukturen in <strong>der</strong><br />

gesunden <strong>Stadt</strong> von heute<br />

<strong>Die</strong> Wechselwirkungen zwischen städtischer Umwelt<br />

und menschlicher Gesundheit sind vielfältig und stellen<br />

somit große Herausfor<strong>der</strong>ungen sowohl für alle Bereiche<br />

<strong>der</strong> <strong>Stadt</strong>entwicklung und Architektur als auch für<br />

Umweltmedizin, Public Health und des Öffentlichen Gesundheitsdienstes<br />

(ÖGD) dar. <strong>Die</strong> Strukturen <strong>der</strong> Kooperation<br />

und Koordination (Governance-Strukturen)<br />

zwischen diesen Akteuren weisen jedoch vielfältige Limitationen<br />

auf, die eine integrative und gesundheitsför<strong>der</strong>liche<br />

<strong>Stadt</strong>entwicklung beeinträchtigen können.<br />

<strong>Die</strong> zahlreichen zivilen, administrativen und politischen Interessenvertreter<br />

und Fachdisziplinen <strong>der</strong> <strong>Stadt</strong>entwicklung<br />

agieren oft in hoch sektoralisierten und hierarchisierten<br />

Strukturen, die ein integratives und interdisziplinäres Arbeiten<br />

stark einschränken. Zudem erscheinen viele Bereiche<br />

<strong>der</strong> <strong>Stadt</strong>entwicklung geprägt von personellem sowie finanziellem<br />

Ressourcenmangel, aus dem ein stark an Pflichtaufgaben<br />

orientiertes Handeln resultiert. Innerhalb <strong>der</strong> einzelnen<br />

Sektoren herrschen zudem verschiedenen Fachsprachen<br />

und -qualifikationen sowie unterschiedliche Verständnisse<br />

über den Gesundheitsbegriff vor (Baumeister <strong>2017</strong>, Böhme/<br />

Preuss/Bunzel et al. 2014, MUNLV 2005).<br />

Dadurch entstehen „Operative Inseln“ mit deutlich voneinan<strong>der</strong><br />

abgegrenzten Aufgabenprofilen. Innovative und<br />

integrative Themenfel<strong>der</strong> – wie das einer Gesunden <strong>Stadt</strong><br />

analog des weiten Gesundheitsverständnisses – lassen<br />

sich hier nicht eindeutig verorten und entfallen somit den<br />

traditionell gewachsenen Tätigkeits- und Verantwortungsbereichen.<br />

<strong>Die</strong>s führt zu einer unzureichenden Beachtung<br />

gesundheitlicher Belange in <strong>der</strong> <strong>Stadt</strong>entwicklung<br />

sowie zu einer Fokussierung oft als wichtiger erachteter<br />

Belange (z. B. Investoreninteressen, Ressourceneinsatz).<br />

Entsprechend herrschen innerhalb <strong>der</strong> Governance-Strukturen<br />

in <strong>der</strong> integrierten gesundheitsför<strong>der</strong>lichen<br />

<strong>Stadt</strong>entwicklung oft Informationsdefizite vor sowie eine<br />

unzureichende Einbindung von Akteuren aus gesundheitlichen<br />

Versorgungsbereichen (Baumeister <strong>2017</strong>, Böhme/<br />

Preuss/Bunzel et al. 2014, MUNLV 2005).<br />

Gesundheit in <strong>der</strong> <strong>Stadt</strong> von morgen<br />

<strong>Die</strong> aktuellen umwelt- und gesundheitspolitischen Diskurse<br />

ranken sich immer stärker um das Thema Gesundheit<br />

in <strong>der</strong> <strong>Stadt</strong>. So wurden in den vergangenen Jahren und<br />

insbeson<strong>der</strong>e Monaten vermehrt För<strong>der</strong>mittel erweitert<br />

und neu geschaffen, um die Beachtung gesundheitlicher<br />

Aspekte in Projekten zur <strong>Stadt</strong>entwicklung zu unterstützen.<br />

Beispielsweise erfolgte eine Aufstockung städtebaulicher<br />

För<strong>der</strong>mittel für die Integration von Belangen <strong>der</strong> Gesundheit,<br />

Prävention und Umweltgerechtigkeit in Projekte zur<br />

<strong>Stadt</strong>entwicklung (BMUB 2016) o<strong>der</strong> die Ausarbeitung<br />

des „Gesetzes zur Stärkung <strong>der</strong> Gesundheitsför<strong>der</strong>ung und<br />

Prävention“ unter an<strong>der</strong>em im Setting „Kommune“ (PrävG).<br />

<strong>Die</strong>se För<strong>der</strong>mittel werden ihre Ziele jedoch verfehlen,<br />

wenn die Governance-Strukturen in <strong>der</strong> <strong>Stadt</strong>entwicklung<br />

nicht in Richtung einer „Good Urban Governance for Health“<br />

reflektiert und angepasst werden. Effektive und nachhaltige<br />

Interventionen hinsichtlich einer gesunden <strong>Stadt</strong><br />

von morgen werden nur mittels neuartiger Kooperationen<br />

entstehen können. Dafür gilt es zunächst, die im vorherigen<br />

Abschnitt benannten Barrieren aufzubrechen und ressortund<br />

disziplinenübergreifende Strategien zu entwickeln, innerhalb<br />

<strong>der</strong>er gesundheitliche Belange in ihrem vollen Umfang<br />

positioniert und integriert werden (Baumeister <strong>2017</strong>,<br />

Böhme/Preuss/Bunzel et al. 2014).<br />

Des Weiteren bedarf es einer Abstimmung von Fachsprachen<br />

und Qualifikationen sowie einer offenen Mo<strong>der</strong>ation<br />

abseits traditioneller und formeller an Pflichtaufgaben orientierten<br />

Steuerungsparadigmen zwischen allen Beteiligten<br />

sowie möglichen neuen Akteuren wie Krankenkassen<br />

o<strong>der</strong> dem ÖGD (Baumeister 2016). Zudem müssen klassische<br />

disziplinäre und projektbezogene Ansätze aufgebrochen<br />

und zunächst gesamtstädtische Anpassung- und<br />

Entwicklungsstrategien reflektiert und hinsichtlich <strong>der</strong><br />

aktuellen strukturellen, demografischen, klimatischen und<br />

gesundheitlichen Herausfor<strong>der</strong>ungen in den Städten angepasst<br />

und entwickelt werden.


21<br />

Dr. PH Hendrik Baumeister<br />

Arbeitsgruppe 7 Umwelt & Gesundheit, Fakultät für<br />

Gesundheitswissenschaften, Universität Bielefeld<br />

Als Innenarchitekt, Architekt und Gesundheitswissenschaftler ist<br />

Hendrik Baumeister an <strong>der</strong> Universität Bielefeld seit 2010 mit interund<br />

transdisziplinär ausgerichteten Lehr- und Forschungsprojekten<br />

an <strong>der</strong> Schnittstelle zwischen Umweltgestaltung und menschlicher<br />

Gesundheit tätig. Im Mittelpunkt seiner Arbeit stehen dabei die gesundheitliche<br />

Bedeutung städtischen Lebenswelten und urbaner<br />

Naturräume für Gesundheit und Wohlbefinden <strong>der</strong> Bevölkerung<br />

sowie die Berücksichtigung gesundheitlicher Belange in <strong>der</strong> räumlichen<br />

Planung. Mit dem in mehrfacher Hinsicht innovativen Ansatz<br />

seines Promotionsvorhabens untersuchte er erfolgreich die Governance-Strukturen<br />

in <strong>der</strong> gesundheitsför<strong>der</strong>lichen <strong>Stadt</strong>entwicklung<br />

am Beispiel <strong>der</strong> Entwicklung urbaner Gewässer.<br />

Univ.-Prof. Dr. med. Claudia Hornberg<br />

Arbeitsgruppe 7 Umwelt & Gesundheit, Fakultät für<br />

Gesundheitswissenschaften, Universität Bielefeld<br />

Claudia Hornberg ist seit 2001 Inhaberin <strong>der</strong> Professur für Umwelt<br />

und Gesundheit an <strong>der</strong> Fakultät für Gesundheitswissenschaften <strong>der</strong><br />

Universität Bielefeld. Sie ist Vorsitzende des Sachverständigenrates<br />

für Umweltfragen und Mitglied <strong>der</strong> Kommission Umweltmedizin und<br />

Environmental Public Health, die das Robert Koch-Institut (RKI) und<br />

das Umweltbundesamt (UBA) durch sachverständige Beratung und<br />

eigenständige Empfehlungen auf dem Gebiet des umweltbezogenen<br />

Gesundheitsschutzes unterstützt. Ihre Schwerpunkte sind Public Health,<br />

Toxikologie und Umweltgerechtigkeit. Sie arbeitet zu Grundsatzfragen<br />

in den vorgenannten Themenfel<strong>der</strong>n sowie speziellen Themen<br />

<strong>der</strong> umweltmedizinischen Forschung und Praxis, wobei die bevölkerungsbezogene/präventive<br />

Umweltmedizin im Vor<strong>der</strong>grund steht.<br />

Gesunde <strong>Stadt</strong> - KEYNOTE<br />

Antonovsky, A. & Franke, A. (1997): Salutogenese: Zur Entmystifizierung <strong>der</strong> Gesundheit. Tübingen: DGVT-Verlag.<br />

Barton, H. & Grant, M. (2006): A health map for the local human habitat. Journal of The Royal Society for the Promotion of Health, 126 (6), 252–253.<br />

Baumeister, H. (<strong>2017</strong>): Blue Governance – Chance für eine gesundheitsför<strong>der</strong>liche <strong>Stadt</strong>entwicklung. Bielefeld: Universität Bielefeld.<br />

Behrens, H. (2006): „Freiraum“ und „Freifläche“ in <strong>der</strong> Geschichte <strong>der</strong> räumlichen Planung des Naturschutzes. In: H. Baier, F. Erdmann, R. Holz & A. Waterstraat<br />

(Hrsg.), Freiraum und Naturschutz – <strong>Die</strong> Wirkungen von Störungen und Zerschneidungen in <strong>der</strong> Landschaft (S. 81–102). Berlin, Heidelberg, New York: Springer.<br />

Benevolo, L. (2000): <strong>Die</strong> Geschichte <strong>der</strong> <strong>Stadt</strong> (8. Aufl.). Frankfurt am Main: Campus-Verlag.<br />

BMUB – Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit (Hrsg.) (2016): Umweltgerechtigkeit in <strong>der</strong> Sozialen <strong>Stadt</strong>. Gute<br />

Praxis an <strong>der</strong> Schnittstelle von Umwelt, Gesundheit und sozialer Lage. Berlin.<br />

Böhme, C., Preuß, T., Bunzel, A., Reimann, B., Landua, D. & Seidel-Schulze, A. (2014): Umweltgerechtigkeit im städtischen Raum. Entwicklung von praxistauglichen<br />

Strategien und Maßnahmen zur Min<strong>der</strong>ung sozial ungleich verteilter Umweltbelastungen. Umwelt und Gesundheit 01/2015, Umweltbundesamt. Berlin.<br />

DESTATIS – Statistisches Bundesamt Deutschland, Deutsches Zentrum für Altersfragen & Robert Koch-Institut (RKI) (Hrsg.) (2009): Gesundheit<br />

und Krankheit im Alter. Beiträge zur Gesundheitsberichterstattung des Bundes. RKI. Berlin.<br />

Dye, C. (2008): Health and urban living. Science, 319 (5864), 766–769.<br />

Hornberg, C. & Pauli, A. (Hrsg.) (2009): Umweltgerechtigkeit – die soziale Verteilung von gesundheitsrelevanten Umweltbelastungen. Bielefeld: Universität Bielefeld.<br />

Hornberg, C., Claßen, T. & Brodner, B. (2016): Umweltbelastungen, Umweltressourcen und Gesundheit. In: Senatsverwaltung für <strong>Stadt</strong>entwicklung und<br />

Umwelt & Amt für Statistik Berlin-Brandenburg (Hrsg.): Umweltgerechtigkeit im Land Berlin – Arbeits- und Entscheidungsgrundlagen für die sozialräumliche<br />

Umweltpolitik: Basisbericht 2016 (Entwurf). Berlin: 65–80.<br />

Hurrelmann, K. & Franzkowiak, P. (2006): Gesundheit. In: BZgA – Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) (Hrsg.), Leitbegriffe <strong>der</strong> Gesundheitsför<strong>der</strong>ung.<br />

Glossar zu Konzepten, Strategien und Methoden in <strong>der</strong> Gesundheitsför<strong>der</strong>ung (S. 52–55). Schwabenheim a. d. Selz.<br />

Meyer, R. & Sauter, A. (2000): Gesundheitsför<strong>der</strong>ung statt Risikoprävention? Umweltbeeinflusste Erkrankungen als politische Herausfor<strong>der</strong>ung. Studien<br />

des Büros für Technikfolgen-Abschätzung beim Deutschen Bundestag. Berlin: Sigma.<br />

MUNLV NRW – Ministerium für Umwelt und Naturschutz, Landwirtschaft und Verbraucherschutz des Landes Nordrhein-Westfalen (Hrsg.) (2005):<br />

Kommunale Zusammenarbeitsstrukturen zur Berücksichtigung von Umwelt- und Gesundheitsbelangen in Planverfahren. Endbericht. Aktionsprogramm<br />

Umwelt und Gesundheit Nordrhein-Westfalen (APUG NRW). Düsseldorf.<br />

PrävG – Gesetz zur Stärkung <strong>der</strong> Gesundheitsför<strong>der</strong>ung und <strong>der</strong> Prävention in <strong>der</strong> Fassung <strong>der</strong> Bekanntmachung vom 17. Juli 2015 (BGBl. 2015, 1 (31),<br />

ausgegeben am 24. Juli 2015.<br />

Rodenstein, M. (2012): <strong>Stadt</strong>planung und Gesundheit – Ein Rückblick auf Theorie und Praxis. In: C. Böhme, C. Kliemke, B. Reimann & W. Süß (Hrsg.),<br />

Handbuch <strong>Stadt</strong>planung und Gesundheit (S. 15–26). Bern: Hans Huber.<br />

Uerpmann, H.-P. (2007): Von Wildbeutern zu Ackerbauern – <strong>Die</strong> Neolithische Revolution <strong>der</strong> menschlichen Subsistenz. Mitteilungen <strong>der</strong> Gesellschaft für<br />

Urgeschichte (16), 55–74.<br />

Vitruvius, M.P. (2008): Zehn Bücher über Architektur / De architectura libri decem. C. Fensterbusch (Übers. und Hrsg.) (6. Aufl.). Darmstadt: Wissenschaftliche<br />

Buchgesellschaft.<br />

WHO – World Health Organization (Hrsg.) (1946): Constitution of the World Health Organization. New York. Zugriff am 03.8.2013. Verfügbar unter:<br />

http://whqlibdoc.who.int/hist/official_records/constitution.pdf<br />

WHO – World Health Organization (Hrsg.) (2008): Protecting Health from Climate Change – World Health Day 2008. WHO, Genf.


Anja Ritschel<br />

22<br />

Gesunde <strong>Stadt</strong> - AUS DER REGION<br />

Umweltgerechtigkeit und Gesundheit<br />

Ein Praxisbericht aus Bielefeld<br />

Gesundheit ist als eigenständiges Handlungsfeld auf <strong>der</strong> kommunalen<br />

Ebene kaum auszumachen. Doch ist sie hinter allem verborgen. Es wird<br />

ein ganzheitliches Denken in allen Politikbereichen und Handlungsebenen<br />

gefor<strong>der</strong>t, um insbeson<strong>der</strong>e <strong>der</strong> Umwelt(un-)gerechtigkeit zu begegnen.<br />

Der Praxisbericht zeigt exemplarisch, welche Bemühungen existieren und<br />

wieviel Arbeit noch vor uns allen liegt.<br />

Abb. 1: Modell <strong>der</strong> Gesundheitsdeterminanten (Dahlgren & Whitehead, 1991)<br />

Wer sich auf <strong>der</strong> kommunalen Ebene engagiert, wird<br />

auf viele spannende Themen treffen. <strong>Die</strong> Entwicklung<br />

neuer Wohnquartiere, die Ausweisung von Gewerbeflächen,<br />

Grünstrukturen o<strong>der</strong> auch die Mobilität sind<br />

wesentliche Aspekte <strong>der</strong> <strong>Stadt</strong>entwicklung. Luftreinhaltung,<br />

Lärmschutz und Maßnahmen gegen den Klimawandel<br />

werden unter dem Begriff Umweltschutz subsummiert.<br />

Kin<strong>der</strong>armut, Arbeitslosigkeit und Prävention<br />

prägen wie<strong>der</strong>um die Sozialpolitik einer <strong>Stadt</strong>. All das<br />

eben Genannte hat Auswirkungen auf die menschliche<br />

Gesundheit – aber so wird es nur selten benannt.<br />

Gesundheit ist unser wichtigstes Gut; dennoch kommt<br />

Gesundheit als eigenständiges Handlungsfeld auf <strong>der</strong><br />

kommunalen Ebene kaum vor.<br />

Gesundheit – was ist das?<br />

Was meint Gesundheit in diesem Kontext? „Health is<br />

a state of complete physical, mental and social wellbeing<br />

and not merely the absence of disease or infirmity“(WHO<br />

<strong>2017</strong>), also: Gesundheit ist ein Zustand<br />

des vollständigen körperlichen, geistigen und sozialen<br />

Wohlergehens und nicht nur das Fehlen von Krankheit<br />

o<strong>der</strong> Gebrechen. Mit dieser Definition hat die Weltgesundheitsorganisation<br />

WHO schon 1946 ein positiv<br />

und ganzheitlich orientiertes Gesundheitsverständnis<br />

in <strong>der</strong> Politik, <strong>der</strong> Fachwelt und <strong>der</strong> Bevölkerung zu verbreiten<br />

versucht. <strong>Die</strong> Gesundheit unserer Bevölkerung<br />

wird sowohl durch individuelle Faktoren als auch durch<br />

die Lebens- und Umweltbedingungen in <strong>der</strong> <strong>Stadt</strong> beeinflusst.<br />

<strong>Die</strong> Verantwortung für Gesundheit und Gesundheitsför<strong>der</strong>ung<br />

liegt folglich nicht nur bei den Individuen<br />

und dem Gesundheitssektor, son<strong>der</strong>n bei allen<br />

Politikbereichen und zielt damit über die Entwicklung<br />

gesün<strong>der</strong>er Lebensweisen hinaus auf die För<strong>der</strong>ung<br />

eines Lebensumfeldes, das diesem Gesundheitsbegriff<br />

gerecht wird (siehe Abb. 1).<br />

Soweit die sehr richtige Theorie. Gleichwohl fristet<br />

<strong>der</strong> Themenkomplex Gesundheit in <strong>der</strong> kommunalen<br />

Praxis oftmals ein Schattendasein. Gesundheit wird<br />

sicherlich irgendwie „mitgedacht“ Aber um ein Gesundheitsziel<br />

im Sinne <strong>der</strong> WHO zu erreichen, braucht<br />

es mehr – auch mehr als das, was <strong>der</strong> öffentliche Gesundheitsdienst<br />

und die medizinische Versorgung in<br />

einer <strong>Stadt</strong> leisten (können).<br />

Armut als Gesundheitsrisiko<br />

Hinzu kommt, dass es nachgewiesenermaßen Zusammenhänge<br />

zwischen Sozialer Lage, Umweltqualität und Ge-


sundheit gibt (Umweltbundesamt <strong>2017</strong>). Bei Menschen mit<br />

geringem Einkommen und niedrigem Sozialstatus besteht<br />

eine Tendenz zur stärkeren gesundheitlichen Beeinträchtigung<br />

durch negative Umwelteinflüsse – u.a. Herzkreislaufund<br />

Atemwegserkrankungen, Schlafstörungen. <strong>Die</strong> Diagnose<br />

lautet also: „Armut ist ein Gesundheitsrisiko“. Und das<br />

ist nicht gerecht! Unser Ziel muss es sein, gesundheitsrelevante<br />

Umweltbelastungen zu minimieren und die sozial bedingte<br />

Ungleichheit von Gesundheitschancen aufzuheben.<br />

<strong>Die</strong>ser Prozess wird mit dem Begriff <strong>der</strong> Umweltgerechtigkeit<br />

beschrieben. Bedeutung haben dabei aber nicht nur<br />

Belange des Umweltschutzes, son<strong>der</strong>n es geht um die integrierte<br />

Betrachtung komplexer Zusammenhänge von Umweltqualität,<br />

sozialer Lage und Gesundheit.<br />

Vor dem Hintergrund des räumlichen Zusammenhangs von<br />

niedrigem Sozialstatus, geringer Umweltqualität und höheren<br />

Gesundheitsrisiken ist es zwingend notwendig, die Schnittstellen<br />

von <strong>Stadt</strong>entwicklung, Sozial-, Umwelt- und Gesundheitspolitik<br />

noch stärker als bisher in den Blick zu nehmen.<br />

För<strong>der</strong>programme als ein Ansatz<br />

Gleichwohl ist Umweltgerechtigkeit als Ziel <strong>der</strong> <strong>Stadt</strong>entwicklung<br />

und als Grundlage für kommunales Handeln bislang<br />

noch wenig etabliert. Aber es gibt hierfür gute Unterstützungsangebote<br />

durch För<strong>der</strong>programme des Bundes,<br />

die es vielen Kommunen oftmals überhaupt erst ermöglichen,<br />

belastete Quartiere konkret zu verbessern. Zu nennen<br />

sind hier die Integrierten Städtebauliche Entwicklungskonzepte<br />

(ISEK) und das Städtebauför<strong>der</strong>ungsprogramm<br />

Soziale <strong>Stadt</strong>.<br />

Ein ISEK schafft konkrete, langfristig wirksame und vor<br />

allem lokal abgestimmte Lösungen für zum Beispiel städtebauliche,<br />

funktionale o<strong>der</strong> sozialräumliche Defizite (Bundesministerium<br />

für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit<br />

2016). Ein ISEK zeigt diese Problembereiche<br />

für einen konkreten Teilraum auf und bearbeitet sie ergebnisorientiert.<br />

Dabei berücksichtigt es regionale und gesamtstädtische<br />

Rahmenbedingungen.<br />

Mit dem Städtebauför<strong>der</strong>ungsprogramm „Soziale <strong>Stadt</strong>“<br />

unterstützt <strong>der</strong> Bund seit 1999 die Stabilisierung und Aufwertung<br />

städtebaulich, wirtschaftlich und sozial benachteiligter<br />

und strukturschwacher <strong>Stadt</strong>- und Ortsteile (BMUB<br />

<strong>2017</strong>). Städtebauliche Investitionen in das Wohnumfeld, in<br />

die Infrastrukturausstattung und in die Qualität des Wohnens<br />

sorgen für mehr Generationengerechtigkeit sowie<br />

Familienfreundlichkeit im Quartier und verbessern die<br />

Chancen <strong>der</strong> dort Lebenden auf Teilhabe und Integration.<br />

Ziel ist es, vor allem lebendige Nachbarschaften zu beför<strong>der</strong>n<br />

und den sozialen Zusammenhalt zu stärken.<br />

Masterplan Umwelt und Gesundheit<br />

turen und Prozesse geschaffen und/ o<strong>der</strong> weiterentwickelt<br />

werden, die zu einer Verbesserung des umweltbezogenen<br />

Gesundheitsschutzes erfor<strong>der</strong>lich sind.<br />

Der Fokus des Masterplans Umwelt und Gesundheit liegt<br />

insbeson<strong>der</strong>e auf <strong>der</strong> Unterstützung von Kommunen bei<br />

<strong>der</strong> Verknüpfung von Umwelt- und Gesundheitsthemen<br />

und <strong>der</strong> Umsetzung in praktische Maßnahmen und Projekte.<br />

So gab es im Zuge <strong>der</strong> Erstellung des Masterplans<br />

ein Planspiel „Lärmaktionsplanung“ (MKULNV 2015). Hieran<br />

hat neben den Städten Aachen, Bochum, Bottrop und<br />

Köln auch die <strong>Stadt</strong> Bielefeld mit Vertreter/innen aus Verwaltungsressorts<br />

für Umwelt, Gesundheit, Bauen, Verkehr,<br />

Geoinformation und Soziales teilgenommen.<br />

Nicht ganz überraschend, aber eben in diesem Falle durch<br />

entsprechende Daten deutlich belegbar, zeigte sich für Bielefeld,<br />

dass in Gebieten, die durch soziale Problemlagen<br />

und ungünstige Lebensverhältnisse gekennzeichnet sind,<br />

gleichzeitig auch hohe Umgebungslärmbelastungen vorliegen<br />

(siehe Abb. 2). Durch das Planspiel wurde deutlich,<br />

dass im Ergebnis ein Mehrwert und Informationsgewinn<br />

durch integrierte Datenverknüpfung entsteht, <strong>der</strong> für die<br />

verschiedenen Fachdisziplinen hilfreich ist. <strong>Die</strong>se Art <strong>der</strong><br />

Zusammenarbeit gilt es nun zu verstetigen.<br />

Dabei kann die Fachkompetenz <strong>der</strong> Hochschulen und an<strong>der</strong>er<br />

Institutionen hilfreich sein. Denn inzwischen gibt es<br />

schon eine Vielzahl von Studien zum Thema Umweltgerechtigkeit.<br />

Exemplarisch sei <strong>der</strong> Leitfaden „Umweltgerechtigkeit<br />

im städtischen Raum – Expertise „Instrumente zur<br />

Erhaltung und Schaffung von Umweltgerechtigkeit“ des<br />

Deutschen Instituts für Urbanistik DIfU genannt (Böhme,<br />

Ch.; Bunzel, A. DIfU 2014). Das DIfU untersuchte in dem<br />

Forschungsprojekt, wie die Kommunen in ihrer Arbeit für<br />

mehr lokale Umweltgerechtigkeit unterstützt werden können.<br />

Das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, Bau<br />

und Reaktorsicherheit (BMUB) und das Umweltbundesamt<br />

(UBA) haben dieses Projekt geför<strong>der</strong>t.<br />

23<br />

Gesunde <strong>Stadt</strong> - AUS DER REGION<br />

Auch das Land NRW hat den Zusammenhang zwischen<br />

Umwelt und Gesundheit schon früh aufgegriffen. Bereits<br />

im Jahr 2000 wurde das erste Aktionsprogramm Umwelt<br />

und Gesundheit (APUG) veröffentlicht (MKULNV 2016).<br />

2016 wurde daran anknüpfend <strong>der</strong> „Masterplan Umwelt<br />

und Gesundheit NRW“ verabschiedet (MKULNV II 2016).<br />

Er versteht sich als integriertes Handlungskonzept zum<br />

Schutz von Mensch und Umwelt und enthält Handlungsempfehlungen<br />

o<strong>der</strong> reißt sie zumindest an. Es sollen Struk-<br />

Abb.2 Ausschnitt aus <strong>der</strong> „Lärmkartierung 2012 nach 34.<br />

BImSchV für Gesamtstraßenverkehr“ (Quelle: <strong>Stadt</strong> Bielefeld<br />

(2015), Zweiter Lärmaktionsplan, Anlage 7. Bielefeld)


24<br />

Gesunde <strong>Stadt</strong> - AUS DER REGION<br />

Bielefel<strong>der</strong> Aktivitäten<br />

Auch in Bielefeld haben wir uns auf den Weg gemacht, das<br />

Thema Umwelt und Gesundheit stärker miteinan<strong>der</strong> zu verzahnen<br />

und die Umweltgerechtigkeit voranzubringen. Dabei<br />

können wir auf gute kommunale Grundlagen zurückgreifen<br />

wie z.B. den Bericht zur Kommunalen Naturhaushaltswirtschaft<br />

(<strong>Stadt</strong> Bielefeld, Umweltamt 2014), den Lebenslagenbericht<br />

(<strong>Stadt</strong> Bielefeld, Dezernat für Soziales 2016) und die<br />

Bielefel<strong>der</strong> Gesundheitsziele (<strong>Stadt</strong> Bielefeld, Dezernat für<br />

Umwelt und Klimaschutz 2011). Letztere hatten von Beginn<br />

an als einen Handlungsschwerpunkt die gesundheitliche<br />

Chancengleichheit definiert. Derzeit sollen die Gesundheitsziele<br />

für die nächsten fünf Jahre fortgeschrieben werden. Der<br />

Auftaktworkshop für diesen Prozess machte bereits deutlich,<br />

dass <strong>der</strong> genannte Handlungsschwerpunkt nichts von seiner<br />

Aktualität verloren hat. Bielefeld hat zudem die bereits<br />

erwähnten För<strong>der</strong>programme genutzt. 2008 fasste <strong>der</strong> Rat<br />

den Beschluss für integrierte städtebauliche Entwicklungskonzepte.<br />

Anlass waren <strong>der</strong> demografischer Wandel sowie<br />

<strong>der</strong> wirtschaftliche Strukturwandel in <strong>der</strong> <strong>Stadt</strong> und den<br />

<strong>Stadt</strong>teilen. Seitdem sind vier Bereiche <strong>der</strong> <strong>Stadt</strong> in diesem<br />

Sinne entwickelt worden; teilweise befinden wir uns schon in<br />

<strong>der</strong> Fortschreibung (<strong>Stadt</strong> Bielefeld <strong>2017</strong>).<br />

Ohnehin bleibt dies ein dauerhafter Prozess, <strong>der</strong> immer wie<strong>der</strong><br />

auf neue Entwicklungen eingehen muss. Angesichts des<br />

Flüchtlingszustroms in 2015 wurde <strong>der</strong> Arbeitsprozess „Bielefeld<br />

integriert“ unter breiter Beteiligung vieler Akteure initiiert<br />

(<strong>Stadt</strong> Bielefeld II <strong>2017</strong>). Das neue Präventionsgesetz (BGBI<br />

2015) bietet Chancen für Gesundheitsför<strong>der</strong>ung und Prävention<br />

– noch ist aber unklar, wie wir auf kommunaler Ebene<br />

bestmöglich davon profitieren können. Und die Bielefel<strong>der</strong><br />

Aktivitäten im Klimaschutz müssen um eine Klimawandel-Anpassungsstrategie<br />

ergänzt werden. Hierzu läuft ein För<strong>der</strong>antrag,<br />

auf dessen positiven Bescheid wir <strong>der</strong>zeit warten.<br />

Es liegt also noch viel Arbeit vor uns – und lei<strong>der</strong> auch<br />

so manche Hürde. Was braucht es also, um den Prozess<br />

hin zu einer umweltgerechten <strong>Stadt</strong> gut voranzubringen?<br />

<strong>Die</strong>s sind insbeson<strong>der</strong>e:<br />

• Ressortübergreifendes Denken und Handeln als<br />

Grundvoraussetzung für ein erfolgreiches integriertes<br />

Handeln<br />

• Verbesserte (z.B. kleinräumige) und besser aufbereitete<br />

Daten; auch im Sinne einer Verschneidung und Zusammenführung<br />

unterschiedlicher Berichterstattungen auf<br />

kommunaler Ebene<br />

• Netzwerke (gerne auch mit <strong>der</strong> Wissenschaft), um die<br />

überall begrenzten Ressourcen zu bündeln und voneinan<strong>der</strong><br />

zu profitieren<br />

• Personelle wie finanzielle Ressourcen in den Kommunen<br />

(insb. auch im öffentlichen Gesundheitsdienst) sowie<br />

• Echte Partizipation aller Bevölkerungsgruppen<br />

Dann kann gelingen, was ich mir für Bielefeld wünsche und<br />

was auch an<strong>der</strong>norts unser Ziel sein sollte: In meiner STADT<br />

DER ZUKUNFT ist Umweltgerechtigkeit ein wesentlicher<br />

Maßstab für kommunale Entscheidungen und Gesundheit<br />

ein eigenständiges und kompetent besetztes Handlungsfeld,<br />

das mit den Ressorts <strong>Stadt</strong>entwicklung, Umweltschutz<br />

und sozialem Handeln eng verzahnt ist.<br />

Dipl.-Ing. Landespflege Anja Ritschel<br />

Beigeordnete für Umwelt und Klimaschutz <strong>der</strong> <strong>Stadt</strong> Bielefeld<br />

Erste Beigeordnete allgemeine Vertreterin des Oberbürgermeisters<br />

hat in Hannover studiert. Sie war erst als Landschaftsplanerin in einem<br />

Planungsbüro tätig und hatte dann die Geschäftsführung <strong>der</strong><br />

Grünen Ratsfraktion Hannover inne, bevor sie im Jahr 2000 in die<br />

<strong>Stadt</strong>verwaltung Hannover wechselte. Dort war sie zunächst persönliche<br />

Referentin des dortigen Umweltdezernenten und Ersten <strong>Stadt</strong>rates,<br />

anschließend übernahm sie die Leitung des Bereichs Forsten,<br />

Landschaftsräume und Naturschutz <strong>der</strong> Landeshauptstadt Hannover.<br />

Seit 2008 ist sie Beigeordnete für Umwelt und Klimaschutz <strong>der</strong> <strong>Stadt</strong><br />

Bielefeld und seit 2016 zudem als Erste Beigeordnete allgemeine<br />

Vertreterin des Oberbürgermeisters. Zu ihrem Verantwortungsbereich<br />

gehören neben allen kommunalen Umweltaufgaben auch die<br />

Ressorts Gesundheit, Ordnung und Feuerwehr.<br />

BGBI 2015: Gesetz zur Stärkung <strong>der</strong> Gesundheitsför<strong>der</strong>ung und <strong>der</strong> Prävention<br />

(Präventionsgesetz – PrävG) v. 17.07.2015, BGBl Jahrgang 2015,<br />

Teil I, Nr.31 Bonn 24.07.2015<br />

BMUB (<strong>2017</strong>): Soziale <strong>Stadt</strong> (letzter<br />

Zugriff am 23.01.<strong>2017</strong>)<br />

Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit<br />

(2016): Integrierte städtebauliche Entwicklungskonzepte in <strong>der</strong><br />

Städtebauför<strong>der</strong>ung. Berlin<br />

Böhme, Ch.; Bunzel, A. DIfU (2014): Umweltgerechtigkeit im städtischen<br />

Raum – Expertise „Instrumente zur Erhaltung und Schaffung von<br />

Umweltgerechtigkeit“<br />

MKULNV (2016) : Aktionsprogramm Umwelt und Gesundheit (letzter Zugriff: 23.01.<strong>2017</strong>)<br />

MKULNV II (2016): Masterplan Umwelt und Gesundheit NRW. Düsseldorf<br />

MKULNV (2015): Planspiel „Lärmaktionsplanung“ im Rahmen des Masterplans<br />

Umwelt und Gesundheit NRW – Abschlussbericht. Düsseldorf<br />

<strong>Stadt</strong> Bielefeld, Dezernat für Soziales (2016): Lebenslagen und soziale<br />

Leistungen 2014/2015. Bielefeld<br />

<strong>Stadt</strong> Bielefeld, Dezernat für Umwelt und Klimaschutz (2011): Bielefel<strong>der</strong><br />

Gesundheitsziele 2015. Bielefeld<br />

<strong>Stadt</strong> Bielefeld (<strong>2017</strong>): <strong>Stadt</strong>umbau - Soziale <strong>Stadt</strong> - Sanierung (letzter Zugriff: 23.01.<strong>2017</strong>)<br />

<strong>Stadt</strong> Bielefeld II (<strong>2017</strong>): Handlungskonzept „Bielefeld integriert“ (letzter Zugriff: 23.01.<strong>2017</strong>)<br />

<strong>Stadt</strong> Bielefeld, Umweltamt (2014): Kommunale Naturhaushaltswirtschaft<br />

2014. Bielefeld<br />

Umweltbundesamt (<strong>2017</strong>): Soziale Verteilung von Umweltbelastungen<br />

(letzter Zugriff<br />

23.01.<strong>2017</strong>)<br />

WHO (<strong>2017</strong>): Constition of WHO: Principles (letzter Zugriff 23.01.<strong>2017</strong>)


25<br />

Gesunde <strong>Stadt</strong> - KEYNOTE<br />

REGIO<br />

NALER<br />

SALON<br />

\Der Regionale Salon stärkt den inhaltlichen Austausch in <strong>der</strong><br />

Region. In angenehmer Atmosphäre stellen wir <strong>Zukunft</strong>sfragen<br />

zwischen Forschern, Planern, Politikern, Künstlern und<br />

Aktiven aus <strong>der</strong> Region sowie überregionalen Impulsgebern<br />

zur Diskussion. Der Regionale Salon baut auf den Dialog zwischen<br />

Forschern des <strong>urbanLab</strong>s, Referenten und Publikum<br />

und entwickelt interdisziplinäre Lösungsansätze für aktuelle<br />

Fragestellungen durch ganz unterschiedliche Blickwinkel.<br />

www.hs-owl.de/regionalersalon


Hon.-Prof. Dr. med. Manfred Pilgramm<br />

26<br />

Gesunde <strong>Stadt</strong> - AUS DER PRAXIS<br />

Verän<strong>der</strong>ungen von Krankheitsbil<strong>der</strong>n<br />

bezogen auf den Wohnort<br />

In zwei vergleichbaren HNO-Praxen wurden verschiedene Krankheitsbil<strong>der</strong> in<br />

20-jährigem Rhythmus (1974, 1994, 2014) aufgrund von Aktenstudien miteinan<strong>der</strong><br />

verglichen. Dabei konnte klar herausgearbeitet werden, das die tägliche<br />

Patientenzahl zunimmt, dabei aber die Zahl <strong>der</strong> Schwerkranken (z. B. Tumore,<br />

schwerwiegende Entzündungen etc.) gleichbleibt. Demgegenüber nimmt die<br />

Zahl <strong>der</strong> wohnmedizinisch Kranken (z. B. Entzündungen <strong>der</strong> oberen Luftwege)<br />

und die Anzahl <strong>der</strong> „Befindlichkeitsstörungen“ (kurzfristig nicht erkennbare<br />

Symptome) stark zu. Außerdem ist auffällig, dass in den verglichenen Praxen <strong>der</strong><br />

Sozialstatus keinen Einfluss auf die Befindlichkeitsstörungen hat. Vielmehr spielen<br />

die familiäre und umwelthygienische Einsamkeit eine zunehmende Rolle. Es<br />

zeigt sich immer mehr, dass die Wohnung und das Wohnumfeld einen großen<br />

Einfluss auf die Zufriedenheit, und somit auf die Gesundheit ausüben.<br />

Spezifische Krankheitsbil<strong>der</strong> wurden in zwei<br />

HNO-Praxen über 40 Jahre (Messung in 20-jährigem<br />

Rhythmus) im Rahmen ihrer Häufigkeit miteinan<strong>der</strong><br />

verglichen. <strong>Die</strong> Entwicklung einzelner Krankheitsbil<strong>der</strong>,<br />

insbeson<strong>der</strong>e bei <strong>der</strong> letzten Messung (2014),<br />

überrascht, so dass eine Untersuchung (2016) des<br />

Wohnortes angeschlossen wurde.<br />

In zwei vergleichbaren HNO-Praxen wurden an<br />

drei Tagen innerhalb von 40 Jahren im Rahmen einer<br />

retrospektiven Untersuchung die Diagnosen zusammengezählt.<br />

<strong>Die</strong>ses erfolgte am 01.08.1974, am<br />

28.07.1994 sowie am 31.07.2014. Es handelte sich<br />

jeweils um einen Donnerstag innerhalb <strong>der</strong> Sommerferien.<br />

An dem jeweiligen Tag wurde durch einen<br />

Facharzt 9 Stunden lang eine Bestell- und Akutpraxis<br />

betrieben. 1974 erfolgte die Zählung in einer<br />

HNO-Praxis in Bamberg (Landkreis Bamberg, damals<br />

etwa 167.000 Einwohner, vier HNO-Ärzte). 1994<br />

und 2014 erfolgte die Zählung in einer HNO-Praxis<br />

in Detmold (Landkreis Lippe, damals etwa 350.000<br />

Einwohner, 12 HNO-Ärzte).<br />

Abb. 1 zeigt die absolute Patientenzahl am Zähltag,<br />

die Zahl <strong>der</strong> Patienten, die nach einer Operation im<br />

HNO-Bereich vorstellig wurden, weiterhin die Patienten,<br />

die mit diagnostizierten, bzw. behandelten Tumoren<br />

im HNO-Bereich erschienen, sowie die Patienten<br />

mit Praxis-Erstkontakt. Dabei gilt es zu beachten, dass<br />

die Praxis in Bamberg (1974) schon 20 Jahre vom selben<br />

HNO-Arzt betrieben wurde, die Praxis in Detmold<br />

(1994 und 2014) ein Jahr (!) bzw. 21 Jahre vom selben<br />

HNO-Arzt betrieben wurde. <strong>Die</strong>se Tatsache erklärt die<br />

relativ niedrige Patientenzahl <strong>der</strong> behandelten Patienten<br />

am 28.07.1994, da es sich bei Beginn <strong>der</strong> Praxistätigkeit<br />

1993 um eine Neugründung handelte.<br />

Betrachtet man die gesamten Zahlen, so kann man<br />

erkennen, dass relativ gesehen die Zahlen <strong>der</strong> operierten<br />

und Tumor-Patienten konstant bleiben, die<br />

Gesamtzahl <strong>der</strong> behandelten Patienten sowie die<br />

Patienten mit Arztkontakt aber relativ zunehmen. <strong>Die</strong>ses<br />

Ergebnis ist nach Rücksprache mit dem Statistischen<br />

Bundesamt sowie mit <strong>der</strong> Geschäftsstelle des<br />

HNO-Berufsverbandes nahezu vollständig mit <strong>der</strong><br />

Gesamtentwicklung in <strong>der</strong> BRD vergleichbar (Statistisches<br />

Bundesamt Wiesbaden 2016, HNO-Berufsverband<br />

Neumünster 2016). Lediglich nehmen in toto<br />

(BRD) die Tumorpatienten über die Jahre vermehrter<br />

zu als in Abb. 1 dargestellt.<br />

Aus diesen Zahlen kann aber klar gefolgert werden,<br />

dass die beiden Praxen in Bamberg (Pilgramm-Vater)<br />

und Detmold (Pilgramm-Sohn) vergleichbar sind.<br />

Des Weiteren (Abb. 2) wurden zwei weitere Eingangsdiagnosen<br />

ausgezählt:<br />

• Immer wie<strong>der</strong> auftretendes Nasenbluten<br />

• Kontinuierlich immer wie<strong>der</strong> auftretende entzündliche<br />

Verän<strong>der</strong>ungen <strong>der</strong> Nasennebenhöhlen<br />

Dabei handelt es sich um Symptome, die häufig mit<br />

dem übermäßigen Vorkommen von Innenraumschadstoffen<br />

(z. B. Formaldehyd und an<strong>der</strong>e flüchtig-organische<br />

Substanzen, Holzschutzmittel, Rauchen etc.) in<br />

Verbindung stehen (Fiedler 1997).<br />

Schließlich wurden Symptome zusammengezählt<br />

(Symptome), für die man häufig keine Erklärung im<br />

HNO-Bereich findet. Zu diesen „Symptomen“ zählen<br />

speziell: Tinnitus, unklarer Schwindel, Kopfdruck, Halsdruck,<br />

Schleimfluss im Rachenbereich.<br />

Das Ergebnis, welches vollständig mit den Zahlen des<br />

Statistischen Bundesamtes sowie des HNO-Berufsverbandes<br />

1 und 2 in Deutschland übereinstimmt,<br />

zeigt, dass Symptome, die durchaus <strong>der</strong> Wohnmedizin<br />

zuzuordnen sind, zunehmen, bei gleichzeitig sehr starker<br />

Zunahme vom Symptomen (von 2% 1974 auf 34%<br />

2014) ohne schnelle Erklärung.


27<br />

Abb. 1: Patientenstatistik I<br />

Als Fazit <strong>der</strong> nachuntersuchten Patientenakten von 1974,<br />

1994 und 2014 bleibt festzuhalten:<br />

• <strong>Die</strong> tägliche Patientenzahl in den deutschen<br />

HNO-Praxen nimmt kontinuierlich zu.<br />

• <strong>Die</strong> relative Zahl <strong>der</strong> „wirklich Kranken“ ist nahezu<br />

gleich geblieben.<br />

• <strong>Die</strong> Zahl <strong>der</strong> wohnmedizinisch Kranken nimmt mit hoher<br />

Wahrscheinlichkeit zu.<br />

• <strong>Die</strong> Zahl <strong>der</strong> HNO-ärztlich kurzfristig nicht erklärbaren<br />

Symptome (Befindlichkeitsstörungen) nimmt<br />

stark zu.<br />

In damaliger Unkenntnis <strong>der</strong> Zahlen <strong>der</strong> öffentlichen Stellen<br />

1 und 2 waren wir von diesem Ergebnis sehr überrascht,<br />

insbeson<strong>der</strong>e über die übermäßige Zunahme <strong>der</strong><br />

Befindlichkeitsstörungen. Da nicht selten diese Symptome<br />

auf Unzufriedenheit im Wohnumfeld zurückgeführt<br />

werden, wollten wir die Detmol<strong>der</strong> Situation überprüfen.<br />

Somit wurden alle Fälle mit <strong>der</strong> Diagnose: ‚Unklare Befindlichkeitsstörung<br />

ohne erkennbare Ursachen‘ vom<br />

01.06.2016 bis 31.08.2016 in <strong>der</strong> Detmol<strong>der</strong> Praxis<br />

nachuntersucht. Im Einzelnen handelt es sich um folgende<br />

Diagnosen:<br />

• Unklarer Schwindel (ohne Ursache)<br />

• Unklarer Ohrdruck (ohne Ursache)<br />

• Halsdruck / Globusgefühl (ohne Ursache)<br />

• Unklarer Schleimfluss (ohne bakterielle Besiedelung)<br />

Abb. 2: Patientenstatistik II<br />

<strong>Die</strong> nähere Untersuchung von 3. ergab fast ausschließlich<br />

Frauen im Alter zwischen 40 und 60 Jahren. Unsere Patientenkarten<br />

nach Bearbeitung, die keinen Anspruch erhebt,<br />

statistisch aussagekräftig zu sein, weist auf folgende<br />

Missstände hin:<br />

• <strong>Die</strong> Patientenzahlen in HNO-Praxen nehmen kontinuierlich<br />

zu. Es stellt sich die Frage, ob für die einzelnen<br />

Patienten noch genügend Zeit für ein persönliches<br />

und zielführendes Gespräch bleibt.<br />

• <strong>Die</strong> Verdachtsfälle mit „wohnmedizinischem Hintergrund“<br />

nehmen ebenfalls zu. <strong>Die</strong> Umweltmedizin, wie<br />

auch die Wohnmedizin, finden jedoch innerhalb <strong>der</strong><br />

Ärzteschaft auch aufgrund fehlen<strong>der</strong> Abrechnungsmöglichkeiten<br />

keine Anerkennung. <strong>Die</strong> Fortbildungsanfragen<br />

sind daher gering.<br />

• Befindlichkeitsstörungen haben häufig einen psychosomatischen<br />

Hintergrund (nicht immer!!). <strong>Die</strong>ses<br />

trifft wohl nicht nur für die eine Hälfte <strong>der</strong> Gesellschaft<br />

zu, son<strong>der</strong>n auch für die an<strong>der</strong>e Hälfte, insbeson<strong>der</strong>e<br />

wenn sie sich einsam fühlt.<br />

Gesunde <strong>Stadt</strong> - AUS DER PRAXIS<br />

529 Patientenkarten (alle Teilnehmer über 18 Jahre alt)<br />

wurden ausgewertet, dabei handelt es sich um 344 Frauen<br />

(etwa 65%) und 185 Männer (etwa 35%). Eine weit<br />

überdurchschnittliche Häufung dieser Symptome fand<br />

man im Detmol<strong>der</strong> Raum an drei Stellen:<br />

• In zwei Straßenzügen mit nahezu ausschließlich einkommensschwachen<br />

Familien<br />

• In zwei Straßenzügen mit einer Vielzahl von Flüchtlingsunterkünften<br />

• In einem <strong>Stadt</strong>teil mit Familien und Einzelpersonen<br />

mit weit überdurchschnittlichem Einkommen<br />

Hon.-Prof. Dr. med. Manfred Pilgramm<br />

HNO-Arzt & Hon.-Prof. Wohnmedizin HS OWL<br />

ist Humanmediziner und HNO-Arzt seit 1989 in Detmold tätig. Als leiten<strong>der</strong><br />

Arzt beschäftigt er in seiner HNO-Praxis und Praxisklinik mit 6 Standorten<br />

47 Mitarbeiter. Seine wissenschaftlichen Schwerpunkte liegen im<br />

Bereich Innenohr und Tinnitus. Seit 2010 verantwortet er außerdem das<br />

Lehrgebiet Wohnmedizin am FB1 <strong>der</strong> Hochschule Ostwestfalen-Lippe<br />

mit <strong>der</strong> Philosophie: <strong>Die</strong> Medizin kann immer mehr Krankheiten erkennen<br />

und heilen, Architektur und Innenarchitektur können immer mehr Krankheiten<br />

verhin<strong>der</strong>n. 2016 erfolgte die Ernennung zum Honorarprofessor.<br />

Fiedler, Klaus (1997): Alles über gesundes Wohnen. Wohnmedizin im Alltag. Beck-Verlag München 1997<br />

HNO-Berufsverband Neumünster 2016: Anfrage HNO-Berufsverband Neumünster 12.09.2016<br />

Statistisches Bundesamt Wiesbaden 2016: Anfrage Statistisches Bundesamt Wiesbaden 12.09.2016


Marcel Cardinali<br />

28<br />

Gesunde <strong>Stadt</strong> - STATEMENTE URBANLAB<br />

Human Centered Design<br />

Wie Architektur unser Verhalten beeinflusst<br />

Das Thema Gesundheit wird traditionell eher aus gesundheitswissenschaftlicher<br />

und medizinischer Perspektive betrachtet und untersucht. Nun sind es<br />

aber Architekten, <strong>Stadt</strong>planer und an<strong>der</strong>e planende Disziplinen, die unsere<br />

tägliche Lebenswelt formen. Mit dem Ansatz des Human Centered Design,<br />

wird diese Verantwortung gewürdigt und Einwirkungen und Auswirkungen <strong>der</strong><br />

gebauten Umwelt auf den Menschen, auf unsere Gesundheit und auf unser<br />

Wohlempfinden aufgezeigt.<br />

I-83 Baltimore, Foto: Eli Pousson, flickr.com, Lizenz: CC-BY 2.0, https://creativecommons.org/licenses/by/2..0<br />

Wir haben erlebt, wie in <strong>der</strong> Nachkriegszeit eindimensionale<br />

technisch orientierte Leitbil<strong>der</strong>, wie das <strong>der</strong><br />

autogerechten <strong>Stadt</strong>, unseren Alltag und das <strong>Stadt</strong>bild<br />

von Grund auf verän<strong>der</strong>t haben. Heute kämpfen<br />

wir mit den Auswirkungen. Deswegen ist es nach all<br />

diesen Erfahrungen erstaunlich, wie wenig Wissen<br />

über Einwirkungen und Auswirkungen <strong>der</strong> gebauten<br />

Umwelt auf den Menschen, auf unsere Gesundheit<br />

und auf unser Wohlempfinden bei den planenden<br />

Disziplinen verankert ist.<br />

)) Manchmal glaube ich, dass wir<br />

heute mehr über einen guten Lebensraum<br />

für Gorillas o<strong>der</strong> sibirische<br />

Tiger wissen, als über einen<br />

guten Lebensraum für Menschen. ((<br />

Enrique Penalosa, Bürgermeister von Bogota (1995-1998)<br />

Ziel ist es unter Berücksichtigung <strong>der</strong> Wirkung des<br />

Raumes auf den Menschen, auf unterschiedlichen<br />

Maßstabsebenen baulich-räumliche Ansätze zu<br />

formulieren, die nachweislich positive Auswirkungen<br />

auf die Gesundheit und das Wohlergehen <strong>der</strong><br />

Menschen haben, und sie schließlich in die Praxis<br />

zu implementieren. Gesundheit wird dabei im Sinne<br />

<strong>der</strong> WHO-Definition als „Zustand des vollständigen<br />

körperlichen, geistigen und sozialen Wohlergehens“<br />

verstanden (World Health Organization, 2014).<br />

Effizientere Gesundheitspolitik<br />

Um Gesundheit und Wohlergehen zu för<strong>der</strong>n, braucht<br />

es einen Lebensraum, eine gebaute Umwelt, die die<br />

Sinne und Bedürfnisse des Menschen ernst nimmt.<br />

Im Ergebnis entstehen mehr Bewegungen und Aufenthaltsqualitäten<br />

im öffentlichen Raum. <strong>Die</strong> Kenntnis<br />

über die Auswirkungen <strong>der</strong> gebauten Umwelt auf das<br />

Verhalten <strong>der</strong> Menschen erlauben <strong>der</strong> Architektur die<br />

Alltagsentscheidungen ihrer Nutzer in hohem Maße zu<br />

beeinflussen. <strong>Die</strong> gebaute Umwelt entscheidet, ob wir<br />

zu Fuß gehen, mit dem Fahrrad fahren o<strong>der</strong> das Auto<br />

nehmen. Sie entscheidet darüber wie häufig wir uns<br />

im Freien aufhalten und frische Luft einatmen o<strong>der</strong><br />

in unserem privaten Umfeld verbleiben. Insofern entscheidet<br />

die Qualität des öffentlichen Raums auch


über die Häufigkeit <strong>der</strong> (zufälligen) sozialen Kontakte<br />

in <strong>der</strong> Nachbarschaft und damit <strong>der</strong> Stabilität eines<br />

Quartiers, einer <strong>Stadt</strong>, einer Gesellschaft. <strong>Die</strong>se enorme<br />

Verantwortung, die sich für die planenden Disziplinen<br />

abzeichnet, wird noch dadurch verstärkt, dass Investitionen<br />

in die gebaute Umwelt in <strong>der</strong> Regel kaum<br />

reversibel sind und eine enorm lange Haltbarkeit mit<br />

sich bringen. <strong>Die</strong>s führt dazu, dass fehlerhafte Entscheidungen<br />

<strong>der</strong> Planer kaum korrigierbar sind – zumindest<br />

nicht ohne einen extrem hohen planerischen<br />

und finanziellen Aufwand. Auf <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Seite aber<br />

impliziert dies auch, dass gesundheitsför<strong>der</strong>nde einmalige<br />

Investitionen in die gebaute Umwelt permanent<br />

wirken und damit eine <strong>der</strong> effektivsten Mittel <strong>der</strong><br />

Gesundheitspolitik sein können (Gehl 2015: 20).<br />

)) Verbesserungen zugunsten <strong>der</strong><br />

Städter sind <strong>der</strong> direkte Weg zur Verwirklichung<br />

<strong>der</strong> <strong>Zukunft</strong>svision einer<br />

lebendigen, sicheren, nachhaltigen<br />

und gesunden <strong>Stadt</strong>. Verglichen mit<br />

an<strong>der</strong>en sozialen Investitionen – insbeson<strong>der</strong>e<br />

in das Gesundheitswesen<br />

[...] – sind die Kosten einer diesbezüglichen<br />

<strong>Stadt</strong>planung so gering,<br />

dass Städte überall auf <strong>der</strong> Welt sie<br />

finanzieren können, ungeachtet des<br />

Entwicklungsstandes und <strong>der</strong> Finanzkraft<br />

<strong>der</strong> jeweiligen Län<strong>der</strong>. ((<br />

Gehl 2015: 20<br />

Bei räumlichen Beiträgen zur Gesundheitspolitik<br />

handelt es sich zudem in <strong>der</strong> Regel um einmalige,<br />

aber permanent wirksame, Investitionen. Somit sind<br />

sie auf Dauer vergleichsweise günstige, präventive<br />

und nachhaltige Maßnahmen für die Erhaltung<br />

<strong>der</strong> Gesundheit, etwa durch die Eindämmung von<br />

Zivilisationskrankheiten und altersbedingt eingeschränkter<br />

Mobilität.<br />

Alternative räumliche Strategien und Konzepte <strong>der</strong><br />

Gesundheitsför<strong>der</strong>ung nehmen aufgrund neuer<br />

medizinischer Ansätze und zunehmen<strong>der</strong> Finanzierungsprobleme<br />

im Gesundheitswesen einen immer<br />

größeren Stellenwert ein. Das neue Präventionsgesetz,<br />

dass die Krankenkassen verpflichtet einen<br />

Pauschalbetrag je Versicherten in die Gesundheitsför<strong>der</strong>ung<br />

verschiedener Lebenswelten zu investieren<br />

ist eine erste spürbare Folge dieser Entwicklung.<br />

Damit werden die Krankenkassen aus dem<br />

Stand zu einem wichtigen Akteur in <strong>der</strong> Architektur<br />

und <strong>Stadt</strong>planung.<br />

Architektur kann Bewegung, Kommunikation und<br />

Wahrnehmung in allen Maßstäben und Lebensräumen<br />

beeinflussen. Daher sollte es das Ziel sein, den<br />

Auffor<strong>der</strong>ungscharakter von Architektur zu erforschen,<br />

zu vermitteln und zur Gesundheitsför<strong>der</strong>ung<br />

und Prävention einzusetzen. Auf diese Weise lässt<br />

sich die Aktivität <strong>der</strong> Menschen unbemerkt und natürlich<br />

in den Alltag integrieren.<br />

Effekte und Phänomene des menschlichen<br />

Verhaltens durch die Gestaltung von Räumen<br />

Es liegen zahlreiche Informationen und Ergebnisse<br />

aus verschiedenen Fachrichtungen vor, die bereits<br />

aufzeigen wie eine gute und sinnvolle Gestaltung<br />

<strong>der</strong> Umgebung für verschiedene Nutzergruppen<br />

aussehen kann.<br />

<strong>Die</strong> Erkenntnis, dass Räume maßgeblich zur Gesundheitsför<strong>der</strong>ung<br />

beitragen, ist bereits im Bereich<br />

<strong>der</strong> Sozialmedizin in den 1950er Jahren<br />

diskutiert worden: Viele <strong>der</strong> gesundheitlichen Verbesserungen<br />

im 19. und 20. Jahrhun<strong>der</strong>t seien<br />

nicht auf eine verbesserte medizinische Versorgung<br />

zurückzuführen, son<strong>der</strong>n auf Verbesserungen<br />

<strong>der</strong> Umwelt, wie einer ausgebauten Infrastruktur,<br />

lebenswerteren Wohnräumen und -umfel<strong>der</strong>n,<br />

sauberem Trinkwasser, Nahrungsmitteln und Transportsystemen<br />

(Frumkin, 2005). In den USA begann<br />

in den 1980er Jahren die „Public Health Debate“,<br />

die sich schwerpunktmäßig mit umweltbezogener<br />

Gesundheitsforschung, <strong>der</strong> Suche nach Lösungen<br />

zur Min<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Gesundheitsrisiken sowie Nachhaltigkeits-<br />

und Ökosystemforschung auseinan<strong>der</strong>gesetzt<br />

hat (Körner, Nagel, & Bellin-Har<strong>der</strong>, 2008).<br />

Seit den 1990er Jahren widmet sich die Forschung<br />

verstärkt <strong>der</strong> Betrachtung individueller Gesundheit<br />

zur Gesundheitsför<strong>der</strong>ung (Abraham, Sommerhal<strong>der</strong>,<br />

Bolliger-Salzmann, & Abel, 2007).<br />

Auf die engen Wechselbeziehungen zwischen<br />

Mensch und Umwelt in Form von Wahrnehmung<br />

und Interaktion als Ansatz zur Gesundheitsför<strong>der</strong>ung<br />

haben bereits Jokusch 1996 mit <strong>der</strong> „Umwelttherapie“<br />

und Ulrich 1997 mit dem „Supportive<br />

Design“ aufmerksam gemacht (Jokusch, 1996).<br />

<strong>Die</strong>se Handlungsmöglichkeiten o<strong>der</strong> Einschränkungen<br />

<strong>der</strong> gebauten Umwelt besitzen einen Auffor<strong>der</strong>ungscharakter<br />

und werden von Gibson als<br />

Affordanzen bezeichnet. Affordanzen beeinflussen<br />

auf diese Weise unser tägliches Handeln und in <strong>der</strong><br />

Folge unsere körperliche Aktivität (Richter, 2008).<br />

Flade konstatiert weiterhin, „dass die Beziehungen<br />

zwischen Gesundheitswesen und Architektur noch<br />

unterentwickelt seien“. <strong>Die</strong> Mensch-Umwelt-Beziehung<br />

als wesentlichen Gesundheitsfaktor zu<br />

verstehen und darauf aufbauend Konzepte und<br />

gestalterische Maßnahmen zu entwickeln, wird als<br />

großes Potential gesehen (Flade, 2008).<br />

Natur und Gesundheit<br />

Auf dieser Basis werden seit einigen Jahren (neben<br />

<strong>der</strong> psychologischen Betrachtungsebene), die<br />

Auswirkungen von „Grün“ auf die physische Gesundheit<br />

und soziale Integration untersucht. Es<br />

handelte sich um einen auf neun Jahre angelegten<br />

Vergleich <strong>der</strong> Genesungsdauer von Patienten mit<br />

Blick auf belaubte Bäume und solchen ohne Blick<br />

ins „Grün“. Für die Freiraumplanung entscheidend<br />

ist, dass Patienten mit Blick ins „Grün“ bei gleichem<br />

Operationsgrund einen um einen Tag kürzeren<br />

postoperativen Aufenthalt haben als Patien-<br />

29<br />

Gesunde <strong>Stadt</strong> - STATEMENTE URBANLAB


30<br />

Gesunde <strong>Stadt</strong> - STATEMENTE URBANLAB<br />

Verona , Foto: Cardinali<br />

ten ohne Blick ins „Grün“. Auch <strong>der</strong> Einsatz von<br />

Schmerzmitteln fällt in <strong>der</strong> Versuchsgruppe „Grün“<br />

geringer aus als in <strong>der</strong> Gruppe, die keinen Blick<br />

ins „Grün“ hat (Ulrich, 1984). Ähnliche Ergebnisse<br />

werden 1991 mit einem Versuch im Labor bestätigt,<br />

bei dem Probanden Naturszenen betrachten<br />

(Ulrich u. a., 1991).<br />

Öffentlicher Raum und Gesundheit<br />

Ebenso hat Aschwanden einen Zusammenhang<br />

zwischen <strong>der</strong> Qualität <strong>der</strong> Fußgängererschließung<br />

und <strong>der</strong> Anzahl von Herzinfarkten feststellen können.<br />

Weil städtische Strukturen einen Einfluss auf<br />

die gesundheitsschädigende Luftverschmutzung<br />

haben, konnten auch Verbindungen zwischen Gesundheit<br />

und städtischer Form gefunden werden<br />

(Aschwanden, 2012).<br />

Um herauszufinden, wie Menschen sich im <strong>Stadt</strong>raum<br />

bewegen und wie wir unseren Lebensraum<br />

nutzen, untersucht <strong>der</strong> <strong>Stadt</strong>planer Jan Gehl als<br />

Vorreiter bereits seit den 1960er Jahren das<br />

menschliche Verhalten. Er kommt zu dem Schluss,<br />

dass es notwendige Aktivitäten, freiwillige Aktivitäten<br />

und soziale Aktivitäten gibt. Er fand heraus,<br />

dass sich die Häufigkeit <strong>der</strong> notwendigen Aktivitäten<br />

nicht steigert, wenn die gebaute Umwelt eine<br />

hohe Qualität aufweist. Das leuchtet ein. Einkäufe<br />

und Besorgungen sind nicht davon abhängig, wie<br />

wohl wir uns in <strong>der</strong> <strong>Stadt</strong> fühlen. Einen signifikanten<br />

Anstieg gibt es dagegen bei den freiwilligen<br />

und sozialen Aktivitäten. <strong>Die</strong>se finden nur in Lebensräumen<br />

mit hoher Qualität statt (2015: 23).<br />

Nimmt man hinzu, dass die Qualität <strong>der</strong> gebauten<br />

Umwelt zwar nicht die Häufigkeit <strong>der</strong> notwendigen<br />

Aktivitäten erhöhen, wohl aber die Verkehrsmittelwahl<br />

verän<strong>der</strong>n kann, wird deutlich welch enormes<br />

gesundheitsför<strong>der</strong>ndes Potential den planenden<br />

Disziplinen innewohnt.<br />

Architektur und Wohlbefinden<br />

In <strong>der</strong> Architekturpsychologie, <strong>der</strong> Lehre vom Verhalten<br />

und Erleben des Menschen in <strong>der</strong> räumlichen<br />

Umwelt, weist Flade in ihren Publikationen darauf<br />

hin, dass die gebaute Umwelt wesentlicher Faktor<br />

zum psychischen Wohlbefinden und damit <strong>der</strong><br />

Gesundheit ist. Ungünstige Wohnbedingungen, die<br />

Stress auslösen, führen im Laufe <strong>der</strong> Zeit zu psychosomatischen<br />

und psychischen Erkrankungen<br />

(Evans & Stecker, 2004). Auf den positiven Einfluss<br />

einer guten Wohnqualität auf die psychische Gesundheit<br />

weisen Evans, Wells, Chan und Saltzman<br />

hin (Evans, Wells, Chan, & Saltzman, 2000).<br />

Experimente in den USA haben gezeigt, dass<br />

Menschen vor den gefrosteten Glasscheiben <strong>der</strong><br />

Shoppingmalls schneller gehen, weil sie sich dort<br />

scheinbar unbehaglich fühlen (Montgomery 2014).<br />

In Seattle hat ein Versuch gezeigt, dass sich die<br />

Menschen vor solchen Fassaden im Vergleich zu<br />

offenen Nutzungen, wie z.B. ein Café, unsozialer<br />

verhalten (ebd.). Eine Studie aus Kopenhagen er-


gibt, dass vor abwechslungsreich gestalteten Fassaden,<br />

vor weichen Übergängen zwischen öffentlichem<br />

Raum und Gebäude, bis zu siebenmal mehr<br />

Aktivitäten stattfinden (Gehl 2006).<br />

Jan Gehl bezeichnet diese Phänomene als Randeffekt.<br />

Je weicher die Übergänge zwischen Gebäude<br />

und öffentlichem Raum sind, desto aktiver<br />

wird <strong>der</strong> Raum davor genutzt. Eine weitere Studie<br />

von Gehl in Melbourne spricht von <strong>der</strong> zwei- bis<br />

dreifachen Anzahl an sozialen Kontakten, wenn<br />

Wohnsiedlungen weiche Übergänge (Vorgärten)<br />

besitzen (1977).<br />

Das Zusammenspiel von Innen und Außen eines Gebäudes<br />

thematisieren auch Huttner et. al und zeigen<br />

auf, dass die technische Komponente einer Fassade<br />

immer auch Auswirkungen auf das Mikroklima<br />

im Umfeld hat. Sie fanden heraus, dass die stark reflektierenden<br />

Materialien und Farben, die <strong>der</strong>zeit verwendet<br />

werden, den Kühlbedarf von Gebäuden zwar<br />

senken, aber auch gleichzeitig zu einer Verschlechterung<br />

des thermischen Komforts im Außenbereich<br />

führen (Huttner, Bruse, Dostal, & Katzschner, 2009).<br />

Der Kompass: Human Centered Design<br />

Bedingt durch die lange Haltbarkeit räumlicher<br />

Infrastrukturen und die Allgegenwärtigkeit räumlicher<br />

Einflussfaktoren ist eine gesundheitsför<strong>der</strong>nde<br />

Gestaltung von Räumen im Sinne eines Human<br />

Centered Design beson<strong>der</strong>s geeignet, nachhaltig<br />

Wohlergehen zu för<strong>der</strong>n und Gesundheitskosten<br />

zu minimieren. Gleichzeitig kann <strong>der</strong> Fokus auf die<br />

menschlichen Sinne, ein angenehmes Mikroklima<br />

und die För<strong>der</strong>ung des Aufenthalts im <strong>Stadt</strong>raum ein<br />

Kompass für die planenden DIsziplinen sein. <strong>Die</strong>ser<br />

Kompass ist die Grundvoraussetzung für eine resiliente<br />

und damit nachhaltige gebaute Umwelt.<br />

<strong>Die</strong> planenden Disziplinen sind nun angehalten sehr<br />

genau darauf zu achten, ob mit <strong>der</strong> Digitalisierung<br />

die Bezugsgröße Mensch in <strong>der</strong> Planung, nach <strong>der</strong><br />

Industrialisierung und <strong>der</strong> autogerechten <strong>Stadt</strong> ein<br />

weiteres Mal verlassen wird. So dass in <strong>der</strong> Folge<br />

ein weiteres Mal Lebensräume entstehen, die nicht<br />

o<strong>der</strong> nur bedingt für Menschen geeignet sind. Der<br />

Mensch als Bezugsgröße hingegen würde die planenden<br />

Disziplinen wie<strong>der</strong> in die Lage versetzen,<br />

vorausschauend und nachhaltiger zu planen. Im<br />

Gegensatz zu den vorhergesagten Trends und Weiterentwicklungen<br />

verän<strong>der</strong>n sich unsere Sinne und<br />

Fähigkeiten nicht. Wir werden auch morgen noch<br />

gleich groß sein, in <strong>der</strong> selben Geschwindigkeit gehen<br />

und genauso weit gucken können.<br />

B.A. Marcel Cardinali<br />

<strong>urbanLab</strong> - Koordination Forschung<br />

koordiniert als Wissenschaftlicher Mitarbeiter im <strong>urbanLab</strong> an <strong>der</strong><br />

Hochschule OWL die Forschungs- und Projektarbeit. Bereits seit seiner<br />

mit dem Preis <strong>der</strong> <strong>Stadt</strong> Detmold ausgezeichneten Bachelorthesis<br />

„Netzwerk“ beschäftigt er sich mit den Auswirkungen von gebautem<br />

Raum auf die menschliche Umwelt und plädiert für eine soziale<br />

Architektur, die ihre Verantwortung für den menschlich geformten<br />

Lebensraum ernst nimmt. Neben seiner Tätigkeit im <strong>urbanLab</strong> studiert<br />

er im Master Städtebau NRW in Köln.<br />

31<br />

Gesunde <strong>Stadt</strong> - STATEMENTE URBANLAB<br />

Abraham, A., Sommerhal<strong>der</strong>, K., Bolliger-Salzmann, H., & Abel, T. (2007, April): Landschaft und Gesundheit. Das Potential einer Verbindung<br />

zweier Konzepte. Universität Bern. Abteilung Gesundheitsforschung.<br />

Aschwanden, G. (2012): Agent-Based Social Pedestrian Simulation for the Validation of Urban Planning Recommendations. Gehalten auf <strong>der</strong> SIGRADI.<br />

Evans, G. W., & Stecker, R. (2004): Motivational consequences of environmental stress. Journal of Environmental Psychology, 24(2), 143–165.<br />

(abgerufen am 24.07.<strong>2017</strong>)<br />

Evans, G. W., Wells, N. M., Chan, H.-Y. E., & Saltzman, H. (2000): Housing quality and mental health. Journal of Consulting and Clinical Psychology,<br />

68(3), 526–530. (abgerufen am 24.07.<strong>2017</strong>)<br />

Flade, A. (2008): Architektur psychologisch betrachtet. Bern: Huber.<br />

Frumkin, H. (2005): Health, Equity, and the Built Environment (Guest Editorial). Environmental Health Perspectives, 113(5), A290–A291.<br />

Gehl, J. (1977): The Interface Between Public and rivate Territories in Residential Areas. Melbourne 1977<br />

Gehl, J. (2006): Close Encounters with Buildings. In: Urban Design International, Nr. 1 (2006), S.29-47<br />

Gehl, J. (2015): Städte für Menschen. Berlin: Jovis.<br />

Jokusch, P. (1996): Gebrauchsarchitektur. In Ökologische Psychologie. Ein Handbuch in Schlüsselbegriffen (2. Aufl., S. 601–607). Weinheim: Beltz PVU.<br />

Körner, S., Nagel, A., & Bellin-Har<strong>der</strong>, F. (2008, September): Grün und Gesundheit. Literaturstudie. Universität Kassel, Fachgebiet Landschaftsbau/Vegetationstechnik.<br />

Montgomery (2014): Seattle - The happy city experiment | Charles Montgomery | TEDxVancouver<br />

Richter, P. G. (Hrsg.). (2008): Architekturpsychologie: Eine Einführung (3. überarb. u. erw. Aufl.). Lengerich: Pabst Science Publishers.<br />

Ulrich, R. (1984): View through a window may influence recovery from surgery. Science, 224(4647), 420–421. <br />

(abgerufen am 24.07.<strong>2017</strong>)<br />

Ulrich, R., Simons, R. F., Losito, B. D., Fiorito, E., Miles, M. A., & Zelson, M. (1991): Stress recovery during exposure to natural and urban environments.<br />

Journal of Environmental Psychology, 11(3), 201–230. (abgerufen am 24..07.<strong>2017</strong>)<br />

World Health Organization (Hrsg.). (2014): WHO World Health Statistics 2014. <br />

(abgerufen am 24.07.<strong>2017</strong>)


Benjamin Dally<br />

32<br />

Gesunde <strong>Stadt</strong> - REALLABOR<br />

Je<strong>der</strong> möchte etwas bewegen<br />

Reallabor Detmol<strong>der</strong> Lastenrad<br />

Wer einmal Lastenrad gefahren ist möchte nie wie<strong>der</strong> „Lasten“ auf an<strong>der</strong>e Art<br />

und Weise durch die <strong>Stadt</strong> transportieren. Das Projekt „Detmol<strong>der</strong> Lastenrad“<br />

(dela) will noch mehr Menschen von Lastenrä<strong>der</strong>n begeistern und bietet seit<br />

<strong>2017</strong> Lastenrä<strong>der</strong> zur Ausleihe an. Für den Kooperationspartner <strong>urbanLab</strong> ist<br />

dela ein Reallabor zur Entwicklung innovativer Mobilitätskonzepte.<br />

Foto: Benjamin Dally<br />

Fahrradfahren macht Spaß und im städtischen Umfeld ist das<br />

Rad häufig das schnellste und komfortabelste Verkehrsmittel.<br />

Das entdecken auch immer mehr Verkehrsteilnehmer: in<br />

Deutschland steigt <strong>der</strong> Anteil <strong>der</strong> Fahrradfahrten und in <strong>der</strong><br />

Vorbildstadt Kopenhagen wird bereits je<strong>der</strong> zweite Arbeitsweg<br />

mit dem Fahrrad zurückgelegt. Aber auch wer häufig<br />

Kin<strong>der</strong>, größere Einkäufe o<strong>der</strong> Arbeitsgeräte transportieren<br />

will muss nicht gleich Auto fahren, son<strong>der</strong>n findet die Lösung<br />

im wachsenden Markt für Lastenrä<strong>der</strong>.<br />

Freie Lastenrä<strong>der</strong><br />

Wer sich ein Lastenrad nicht sofort selber kaufen möchte<br />

o<strong>der</strong> zuhause keinen Platz für die sichere Abstellung hat<br />

findet in immer mehr Großstädten „freie Lastenrä<strong>der</strong>“: Verleihsysteme<br />

für Lastenrä<strong>der</strong>, betrieben von lokalen Initiativen.<br />

<strong>Die</strong> freien Lastenrä<strong>der</strong> reihen sich ein in das wachsende Angebot<br />

alternativer Mobilitätsangebote und geteilter Mobilität<br />

wie Carsharing o<strong>der</strong> Fahrradverleihsysteme. <strong>Die</strong> Gesamtheit<br />

des Angebotes aus Fuß- und Radverkehr, Bus und Bahn<br />

sowie Sharingangeboten ermöglicht „multimodales Verkehrsverhalten“:<br />

genutzt wird das Verkehrsmittel, das gerade<br />

je nach aktuellem Bedarf am billigsten, schnellsten o<strong>der</strong><br />

komfortabelsten ist. Auf ein eigenes Auto kann hingegen gut<br />

verzichtet werden. Und weil gerade Autobesitz dazu verleitet,<br />

das eigene Auto viel zu bewegen und die Alternativen links<br />

liegen zu lassen, werden solche Lastenrad- und Sharingangebote,<br />

die echte Alternativen zum eigenen PKW schaffen,<br />

von <strong>Stadt</strong>- und Verkehrsplanern erfreut aufgenommen.<br />

„dela“: Ein Lastenrad für Detmold<br />

„Ein Lastenrad-Angebot wollen wir auch in Detmold“ haben<br />

sich Aktive von fünf Detmol<strong>der</strong> Initiativen (BUND Kreis Lippe,<br />

Lippe im Wandel, ADFC Kreis Lippe, Peter Gläsel Stiftung,<br />

Forschungsschwerpunkt <strong>urbanLab</strong>) beim „Lab of the Region“<br />

2015 (siehe Seite 56) gesagt. Eine <strong>Stadt</strong> von <strong>der</strong> Größe<br />

Detmolds eignet sich hervorragend fürs Fahrradfahren, gerade<br />

rund um den mittelalterlichen <strong>Stadt</strong>kern ist man mit dem<br />

Rad oft auch schneller unterwegs als mit an<strong>der</strong>en Verkehrsmitteln.<br />

Durch die <strong>Stadt</strong>größe, das für eine Mittelstadt von <strong>der</strong><br />

Größe Detmolds gute Busangebot, ein bereits existierendes


Carsharing-Angebot und den attraktiven Bahnhof mit Radstation<br />

bietet die <strong>Stadt</strong> bereits gute Voraussetzungen für ein<br />

Leben ohne eigenes Auto.<br />

<strong>Die</strong> Arbeit in <strong>der</strong> Projektgruppe ging schnell voran, Sponsoren<br />

konnten ebenso gefunden werden wie ein erster interessierter<br />

Standortbetreiber für das Lastenrad. Im Sommer<br />

2016 wurde ein För<strong>der</strong>antrag im Programm „Kurze Wege für<br />

den Klimaschutz“ im Rahmen <strong>der</strong> Nationalen Klimaschutzinitiative<br />

gestellt und im Frühjahr <strong>2017</strong> bewilligt. Der konkrete<br />

Betrieb bedarf einiger Vorarbeit: AGBs müssen ausgearbeitet<br />

werden, Versicherungsangebote eingeholt werden, eine<br />

Website aufgebaut werden o<strong>der</strong> ein Ausleihproze<strong>der</strong>e entwickelt<br />

werden. Eine große Hilfe hierbei ist das bundesweite<br />

Netzwerk freier Lastenrä<strong>der</strong>.<br />

Auch eine Entscheidung für ein konkretes Lastenradmodell<br />

musste fallen: das dela-Team entschied sich für das Packster<br />

von Riese und Müller, angesichts <strong>der</strong> Topographie in Detmold<br />

natürlich elektrisch unterstützt. Bislang ist die Projektgruppe<br />

mit dem Lastenrad äußerst zufrieden.<br />

Zum 23.6. war es soweit: das erste Lastenrad „dela“ steht bei<br />

einem örtlichen Bioladen zur Ausleihe bereit. <strong>Die</strong> ersten Nutzer<br />

sind eine 30 Personen starke „Testfahrer“-Gruppe, die die<br />

Ausleihprozesse, das Buchungssystem und auch den täglichen<br />

Betrieb des Lastenrads auf Herz und Nieren überprüfen.<br />

Richtig los geht es ab dem Frühjahr 2018 mit einem größeren<br />

Nutzerkreis und mit einem zweiten Lastenrad, für den<br />

noch ein Ausleihort gefunden werden muss. Hierbei denkt<br />

die Projektgruppe an Standorte in <strong>der</strong> Innenstadt von Detmold<br />

o<strong>der</strong> den Wohnvororten <strong>der</strong> <strong>Stadt</strong>, möglich wäre auch<br />

ein wechseln<strong>der</strong> Standort. Mit dem Auslaufen des Projektes<br />

2019 muss sich <strong>der</strong> Betrieb, also vor allem die Wartung, des<br />

bislang kostenlosen Lastenfahrrads durch Spenden selbst<br />

tragen. Mit einer aktiven Nutzergruppe lassen sich aber möglicherweise<br />

auch weitere Lastenrä<strong>der</strong> anschaffen.<br />

Zielsetzung<br />

Was können wir für Sie tun?<br />

Was können Sie für uns tun?<br />

Sie wohnen in Detmold: Werden Sie dela-Nutzer! Vernetzen<br />

Sie sich mit uns! Kaufen Sie sich ein Lastenrad!<br />

Sie sind Gewerbetreiben<strong>der</strong> in Detmold: Probieren Sie<br />

aus, wie ein Lastenrad Ihre Fahrzeugflotte erweitern kann!<br />

Werden Sie Ausleihstandort für dela (ab Frühjahr 2018)!<br />

Sie sind nicht aus Detmold, aber begeistert: Im Sinne eines<br />

Informationsaustauschs tritt das <strong>urbanLab</strong> und die dela-Projektgruppe<br />

gerne mit Ihnen in Kontakt!<br />

Du bist Student an <strong>der</strong> Hochschule OWL: auch <strong>der</strong> AStA<br />

verleiht am Campus Detmold ein Lastenrad!<br />

Weblinks<br />

www.dela.bike<br />

http://lastenrad.vcd.org/startseite/<br />

http://www.dein-lastenrad.de/<br />

https://www.klimaschutz.de/<br />

http://www.lz.de/lippe/detmold/21793017_Detmold-verfuegt-ab-sofort-ueber-ein-Lastenrad.html<br />

http://www.hs-owl.de/fb1/forschung/urbanlab/veranstaltungen/<br />

regionaler-salon/lokale-gemeinschaftsmobilitaet.html<br />

Eine Kooperation von:<br />

33<br />

Gesunde <strong>Stadt</strong> - REALLABOR<br />

Mit dela wollen die beteiligten Initiativen und Ehrenamtlichen<br />

ein neues Mobilitätsangebot in Detmold schaffen, das<br />

klimaneutral, nachhaltig und günstig ist und die Fahrradnutzung<br />

in Detmold weiter voranbringt. Das Lastenrad soll<br />

nicht nur als Sharing-Angebot einen Beitrag leisten, son<strong>der</strong>n<br />

auch die Möglichkeit geben, auszuprobieren, ob nicht<br />

die Anschaffung eines privaten Lastenrades eine gute Alternative<br />

ist. Auch für viele Gewerbetreibende ist ein Lastenrad<br />

genau das richtige, die Lastenradinitiative informiert<br />

gerne mögliche Interessenten.<br />

Der Forschungsschwerpunkt <strong>urbanLab</strong> ist Ideengeber und<br />

seit Start <strong>der</strong> Initiative stolzes Mitglied <strong>der</strong> dela-Projektgruppe.<br />

Das 1:1-Projekt Leih-Lastenrad gibt die Möglichkeit, im<br />

Sinne eines Reallabors innovative Mobilitätsprojekte aus<br />

den Metropolen zu übertragen, weiterzuentwickeln und<br />

die Umsetzung zu begleiten und evaluieren. Auch die Zusammenarbeit<br />

von lokalen Akteuren und Ehrenamtlichen<br />

ist ein spannendes Forschungsfeld, Projekte wie freie Lastenrä<strong>der</strong><br />

o<strong>der</strong> Dorfautos spielen eine wichtige Rolle für die<br />

Weiterentwicklung und Ergänzung des Mobilitätsangebotes<br />

(vgl. auch Regionaler Salon vom April 2015 „Lokale Gemeinschaftsmobilität“).<br />

Geför<strong>der</strong>t durch:<br />

Kontakt:<br />

<strong>urbanLab</strong> / Hochschule OWL<br />

Projektkoordination Benjamin Dally<br />

benjamin.dally(at)hs-owl.de<br />

Bundesland/Ort


Benjamin Dally<br />

34<br />

Gesunde <strong>Stadt</strong> - REALLABOR<br />

Haushebung in Überschwemmungsgebieten<br />

am Beispiel des Elbe-Dorfes Brockwitz<br />

Bedingt durch den anthropogenen Klimawandel wird es zu einer größeren<br />

Zahl extremer Unwetter kommen. Für Siedlungen entlang <strong>der</strong> Flüsse führt<br />

dies zu einer steigenden Bedrohung durch Überschwemmungen. Nicht<br />

immer lassen sich die Siedlungen durch konventionelle Hochwassermaßnahmen<br />

wie Deiche schützen – o<strong>der</strong> diese Maßnahmen sind aus wirtschaftlichen,<br />

technischen, stadtgestalterischen o<strong>der</strong> freiraumplanerischen<br />

Gründen nicht opportun. Am Beispiel des Ortes Brockwitz wird im Rahmen<br />

des Forschungsprojektes HueBro untersucht, wie die aus dem Bergbau stammende<br />

Technik <strong>der</strong> Haushebung zum Hochwasserschutz beitragen kann.<br />

Im Forschungsprojekt „Haushebung in Ueberschwemmungsgebieten<br />

am Beispiel des Elbe-Dorfes Brockwitz“<br />

(HueBro) forscht das <strong>urbanLab</strong> seit April <strong>2017</strong> gemeinsam<br />

mit Partnern zur Haushebung als Instrument des Hochwasserschutzes.<br />

Geför<strong>der</strong>t durch das Bundesumweltministerium<br />

als Modellprojekt für innovative Maßnahmen im Umgang mit<br />

dem Klimawandel wird untersucht, wie die aus dem Bergbau<br />

stammende Methode <strong>der</strong> Haushebung für Gebäude und<br />

Siedlungen an Flüssen verwendet werden kann. Brockwitz,<br />

ein Ortsteil <strong>der</strong> sächsischen <strong>Stadt</strong> Coswig, etwas unterhalb<br />

von Dresden an <strong>der</strong> Elbe gelegen, ist aufgrund seiner spezifischen<br />

Problemstellungen Beispielkommune: seit 2013<br />

mehrmals von Hochwassern betroffen ist eine Abdeichung<br />

aufgrund des im weiten Elbvorland liegenden Lockwitzbaches,<br />

hier verlaufen<strong>der</strong> technischer Infrastrukturen und<br />

des hohen freiraumplanerischen Wertes des Vorlandes nur<br />

schwer möglich. Es ist daher zu untersuchen, ob eine Hebung<br />

<strong>der</strong> Häuser an <strong>der</strong> Nie<strong>der</strong>seite des Ortes wirtschaftlicher<br />

und aus Sicht des Hochwasserschutzes, <strong>der</strong> Orts- und<br />

Freiraumplanung und <strong>der</strong> Belange <strong>der</strong> Anwohner verträglicher<br />

ist. Aus den Untersuchungen in Brockwitz werden anschließend<br />

Leitlinien für vergleichbare Projekte entwickelt.<br />

Das <strong>urbanLab</strong> führt das interdisziplinäre Projekt HueBro<br />

gemeinsam mit seinen Forschungspartnern (siehe Infokasten)<br />

durch und übernimmt die Arbeitspakete Orts- und<br />

Freiraumplanung. <strong>Die</strong>s umfasst auch einen Planungsworkshop<br />

mit den Bewohnern von Brockwitz zum Jahreswechsel<br />

<strong>2017</strong>/2018. An <strong>der</strong> Hochschule OWL sind weiterhin die<br />

Forschungsschwerpunkte nextPlace (Datenbasierte Ortsbild-Analyse)<br />

und ConstructionLab (Gebäudetypologien und<br />

Hebungsverfahren, Baukonstruktion und Gebäudetechnik)<br />

beteiligt. An <strong>der</strong> Hochschule OWL sind die Professoren Dr.<br />

Axel Häusler, Michel Melenhorst, Dr. Uta Pottgiesser und Kathrin<br />

Volk in das Projekt involviert.<br />

Kontakt:<br />

ConstructionLab, <strong>urbanLab</strong>, nextPlace<br />

HS OWL Projektkoordination: Prof. Michel Melenhorst<br />

michel.melenhorst(at)hs-owl.de<br />

HUe Bro<br />

Haushebung in Ueberschwemmungsgebieten am Beispiel des Elbe-Dorfes Brockwitz<br />

Projektname: HUeBro - Haushebung in<br />

Ueberschwemmungsgebieten am Beispiel<br />

des Elbe-Dorfes Brockwitz<br />

För<strong>der</strong>mittelgeber: Bundesministerium für Umwelt,<br />

Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit (För<strong>der</strong>linie:<br />

För<strong>der</strong>ung von Maßnahmen zur Anpassung an den<br />

Klimawandel)<br />

Laufzeit: 04/<strong>2017</strong> - 03/2019<br />

ConstructionLab<br />

Projektpartner:<br />

• Technische Universität Dresden, Institut für<br />

Hydrologie und Meterorologie (IHM),<br />

• Technische Hochschule Nürnberg GSO, Labor<br />

für Wasserbau (LWN) (Projektkoordination)<br />

• Leibniz-Institut für ökologische<br />

Raumentwicklung (IÖR),<br />

• Technische Universität Dresden, Insitut für<br />

Baugeschichte, Architekturtheorie und<br />

Denkmalpflege (IBAD)<br />

• <strong>Stadt</strong> Coswig


a project by<br />

ein Projekt von<br />

هذا المشروع برعاية<br />

یك پروژه توسط<br />

وطن بساز Heimatwerker<br />

بناة الوطن Homeworker<br />

Detmol<strong>der</strong> Schule für Architektur<br />

und Innenarchitektur


Dr. Jörg Hüttermann<br />

36<br />

Soziale <strong>Stadt</strong> - KEYNOTE<br />

Segregation, Angst und Konflikt in deutschen Städten<br />

Der vorliegende Artikel nimmt eine konfliktsoziologische Perspektive ein, um die<br />

Frage zu beantworten, ob und inwieweit sozialstrukturelle und ethnische Segregation<br />

hierzulande den Ausbruch gewaltförmiger Intergruppenkonflikte in Städten<br />

bewirken können. Indem <strong>der</strong> Autor zum einen grundsätzliche konfliktsoziologische<br />

Erkenntnisse zum Problemnexus von Segregation und Konflikt referiert<br />

und zum an<strong>der</strong>en auch empirische Befunde zur Segregation in urbanen Räumen<br />

anführt, tritt er dafür ein, übertriebenen Ängsten und den kursierenden Zerfallsszenarien<br />

entgegenzutreten. Dessen ungeachtet spricht seiner Auffassung nach<br />

dennoch einiges dafür, das Fortschreiten <strong>der</strong> Segregation zu stoppen; denn Segregation<br />

in urbanen Räumen hat unerwünschte Nebenfolgen, die durch die Konfliktdebatte<br />

zu unrecht aus dem öffentlichen Bewusstsein verdrängt werden.<br />

Abbildung 1 : Harlem 1970<br />

Segregation und Angst<br />

In den 80er und 90er Jahren des letzten Jahrhun<strong>der</strong>ts<br />

beginnt die Öffentlichkeit in <strong>der</strong> Bundesrepublik<br />

den Zusammenhang von Migration und Gesellschaft<br />

mit an<strong>der</strong>en Augen zu betrachten. In diesem Zeitraum<br />

werden aus vermeintlichen „Gastarbeitern“ sogenannte<br />

„Mitbürger“ (vor allem nichtmuslimische Gastarbeiternachfahren)<br />

und „Fremde“ (vor allem muslimische<br />

Gastarbeiternachfahren) (vgl. Hüttermann 2011). Zugleich<br />

nimmt sich die Gesellschaft immer weniger als<br />

„Gastgeber“ son<strong>der</strong>n als Einwan<strong>der</strong>ungsland wahr –<br />

ein Land, das mit Problemen und Konflikten <strong>der</strong> Integration<br />

konfrontiert ist, die den Lebensalltag nachhaltig<br />

verän<strong>der</strong>n. In dieser Phase wird auch das Thema Segregation<br />

neu gerahmt. Hat man das Segregationsthema<br />

zuvor vornehmlich als einen Aspekt <strong>der</strong> beinahe schon<br />

traditionellen sozialen Frage des Industriekapitalismus<br />

betrachtet und es als auf den Wohnort bezogene Materialisierung<br />

sozialer Ungleichheit und Ungerechtigkeit<br />

begriffen, so wird Segregation jetzt auch als Ausdruck<br />

von nicht min<strong>der</strong> problematisch erscheinenden,<br />

unüberbrückbaren Kulturdifferenzen verstanden. Vor<br />

dem Hintergrund <strong>der</strong> verän<strong>der</strong>ten Problemwahrnehmung,<br />

verbreitet sich die Ansicht, dass die gewohnten<br />

wohlfahrtsstaatlichen Maßnahmen nicht hinreichen,<br />

um mit <strong>der</strong> neuen Problemlage fertig zu werden. Wissenschaft<br />

und Medien läuten die Alarmglocken. „Auslän<strong>der</strong><br />

und Deutsche: Gefährlich fremd. Das Scheitern<br />

<strong>der</strong> multikulturellen Gesellschaft“, lautet beispielsweise<br />

ein Titel <strong>der</strong> „Spiegel-Ausgabe“ (vgl. 16/1997). Der<br />

darin enthaltene mit „Zeitbomben in den Vorstädten“<br />

überschriebene Leitartikel behandelt das vermeintlich<br />

verhängnisvolle Zusammenspiel von Migration, Deindustrialisierung,<br />

Ungleichheit, Kriminalität, Fanatismus<br />

und residenzieller Segregation. Er hält fest, dass „im-


mer mehr Türken <strong>der</strong> zweiten und dritten Generation<br />

[auf Deindustrialisierung und Arbeitslosigkeit] mit einer<br />

Art Selbstghettoisierung [reagieren].“ <strong>Die</strong> Autoren warnen<br />

schließlich in den Worten des Konfliktsoziologen<br />

Wilhelm Heitmeyers vor <strong>der</strong> Gefahr <strong>der</strong> „Ethnisierung<br />

sozialer Konflikte“. <strong>Die</strong> Titelbildmontage geht noch einen<br />

Schritt weiter. Sie nimmt Anleihen bei Eugène Delacroixs<br />

Gemälde La liberté guidant le peuple (1830),<br />

das längst zum Kanon des deutschen Geschichtsunterrichts<br />

über die französische Revolution gehörte, und<br />

beschwört so die historische Angst <strong>der</strong> Deutschen vor<br />

revolutionären Unruhen und Zwietracht.<br />

Betrachtet man diesen für die Entwicklung des Diskurses<br />

über Migration und Segregation in Deutschland<br />

bedeutsamen Artikel, so fällt auf, dass er die in <strong>der</strong><br />

Nachkriegszeit etablierte und wohl nicht nur aus den<br />

USA importierte Angst <strong>der</strong> deutschen Öffentlichkeit vor<br />

dem Entstehen vermeintlich „fremdrassiger“ Elendsquartiere<br />

mit <strong>der</strong> hierzulande historisch verwurzelten<br />

Furcht vor Religionskriegen und Revolutionsängsten<br />

kombiniert. <strong>Die</strong> mit dem afroamerikanischem Ghetto<br />

assoziierten Schrecken von Armut, Anomie, Gang-Kriminalität,<br />

Teenagerschwangerschaften, Gewalt, Drogenkonsum,<br />

organisierte Kriminalität sowie Krankheit<br />

und <strong>der</strong> Schrecken des Krieges werden im Zerfallsnarrativ<br />

des Spiegel zu etwas Größerem addiert, das mehr<br />

ist als die Summe seiner Teile. Interessanterweise verzichten<br />

die Autoren des Spiegelartikels im Jahre 1997<br />

noch darauf, den von Wilhelm Heitmeyer geprägten<br />

Begriff <strong>der</strong> Parallelgesellschaft zur Benennung dieses<br />

Größeren zu verwenden. Denn Heitmeyer hatte ihn damals<br />

noch für religiös-nationalistische Organisationen<br />

Türkeistämmiger Migranten reserviert. Darüber hinaus<br />

hat er ihn eher intuitiv als analytisch benutzt. Doch im<br />

Gefolge <strong>der</strong> nun aufbrandenden öffentlichen Debatte<br />

wurde <strong>der</strong> Begriff seinem Schöpfer gewissermaßen<br />

entrissen, um das beinahe apokalyptische Szenario<br />

des vermeintlich gescheiterten Multikulturalismus auf<br />

einen geflügelten Begriff zu bringen. In den Augen <strong>der</strong><br />

verän<strong>der</strong>ten öffentlichen Wahrnehmung beschreibt <strong>der</strong><br />

Begriff „Parallelgesellschaft“ dann so etwas wie ein rhizombildendes<br />

soziales Gewächs, welches das ihm ursprünglich<br />

zugedachte Territorium (Ghetto) verlässt, um<br />

über es hinauszuwachsen, sich überörtlich zu vernetzen<br />

und schließlich eine Art fünfte Kolonne des globalen<br />

politischen Islam auszubilden. In seinem Verhältnis zur<br />

Mehrheitsgesellschaft schlägt all dies dann in einen<br />

permanenten Landfriedensbruch um.<br />

Bei allen Problemen, die es hierzulande in <strong>der</strong> Interaktion<br />

zwischen Menschen mit und ohne Migrationshintergrund<br />

gegeben hat, gibt es einstweilen aber keine wissenschaftlich<br />

belastbaren Befunde, welche die Angst<br />

vor segregationsbedingten gewaltförmigen Intergruppenkonflikten<br />

o<strong>der</strong> vor segregationsbedingten Gewaltausbrüchen<br />

rechtfertigen könnten, wie sie in den USA<br />

o<strong>der</strong> in Frankreich erfolgt sind. Den ersten Anhaltspunkt<br />

für diese Entwarnungshypothese liefert schon<br />

die Tatsache, dass Bürgerprotest und Konflikte wegen<br />

<strong>der</strong> Ansiedlung von Geflüchteten in Deutschland nicht<br />

primär in den Großstädten eskalieren, son<strong>der</strong>n sich<br />

eher in ländlich-provinziellen Regionen entzünden, dort<br />

also, wo die Diversität <strong>der</strong> Einwan<strong>der</strong>ungsgesellschaft<br />

bislang kaum erlebbar war und dort, wo von migrationsbezogener<br />

Segregation mangels Masse und angesichts<br />

kleinstädtischer Siedlungsstrukturen kaum die<br />

Rede sein kann. Dass die Angst vor den bisherigen<br />

Ausmaßen sozialstrukturelle und ethnischer Segregation,<br />

wie wir sie hierzulande kennen, übertrieben ist, wird<br />

aber auch deutlich, wenn man sich einige grundsätzliche<br />

Zusammenhänge über das Verhältnis von Segregation<br />

und Konflikt vor Augen hält und dabei schließlich<br />

auch auf internationale Erfahrungen rekurriert.<br />

Segregation und Konflikt:<br />

Grundsätzliche Zusammenhänge<br />

Allgemein betrachtet ist Segregation ein Prozess <strong>der</strong><br />

Entmischung und <strong>der</strong> räumlichen Aufteilung sozialer<br />

Akteure gemäß bestimmter Eigenschaften. Alle nur<br />

erdenklichen zugeschriebenen Eigenschaften von<br />

Personen können auf den unterschiedlichsten Interaktionsfel<strong>der</strong>n<br />

<strong>der</strong> Gesellschaft (Sport, Heiratsmarkt, Arbeitsleben<br />

etc.) zum Anlass genommen werden, Entmischung<br />

und Polarisierung hervorzubringen. Wenn aber<br />

von Segregation in urbanen Räumen die Rede ist, dann<br />

ist in <strong>der</strong> Regel die Entmischung <strong>der</strong> Wohnortwahl bzw.<br />

des Wohnens angesprochen – mithin die residenzielle<br />

Segregation. Im Vor<strong>der</strong>grund stehen dabei Entmischungsprozesse,<br />

die gemäß sozialstrukturellem Status<br />

(Einkommen, Beruf und Bildung) und/o<strong>der</strong> gemäß<br />

Migrationshintergrund (Ethnizität/Staatsbürgerschaft)<br />

erfolgen. In angelsächsischen Län<strong>der</strong>n kommt schließlich<br />

noch das Entscheidungsmerkmal „Race“ hinzu.<br />

Schaut man sich nun den Zusammenhang zwischen<br />

sozialstruktureller Segregation und Konflikten zwischen<br />

urbanen Gruppen am Beispiel US-amerikanischer<br />

Großstädte an, dann zeigt sich, dass es keinen<br />

direkten Zusammenhang zwischen sozialstrukturell<br />

bedingter Segregation und <strong>der</strong> Genese gewaltsamer<br />

Konflikte gibt. Vergleicht man etwa die zehn höchstsegregierten<br />

US-amerikanischen Großstädte bzw.<br />

Metropolregionen mit den zehn am geringsten sozialstrukturell<br />

segregierten Großstädten (vgl. Florida<br />

2015) unter dem Gesichtspunkt, ob dort im 20. o<strong>der</strong><br />

im 21. Jahrhun<strong>der</strong>t mindestens einmal massenhafte<br />

Rassengewalt („Mass Racial Violence“) stattgefunden<br />

hat o<strong>der</strong> nicht, dann wird deutlich, dass hoch und<br />

niedrigsegregierte Städte in den USA sich in dieser<br />

Hinsicht nicht voneinan<strong>der</strong> unterscheiden. Jeweils<br />

sechs von zehn Städten/Metropolregionen sind von<br />

entsprechenden Gewaltausbrüchen betroffen (eigene<br />

Recherche) – gleich ob sie relativ stark o<strong>der</strong> verhältnismäßig<br />

wenig segregiert sind. Geht man weiterhin<br />

davon aus, dass sozialstrukturelle und ethnische<br />

Segregation (bzw. Segregation gemäß „Race“) in den<br />

USA weitgehend miteinan<strong>der</strong> korrespondieren, dann<br />

ist anzunehmen, dass auch ethnische Segregation<br />

nicht per se zur Konflikteskalation führt. Daher müssen<br />

entwe<strong>der</strong> an<strong>der</strong>e als sozialstrukturelle und/o<strong>der</strong><br />

ethnische Segregation für die besagten Ereignisse<br />

kollektiver Gewalt ausschlaggebend gewesen sein,<br />

37<br />

Soziale <strong>Stadt</strong> - KEYNOTE


38<br />

Soziale <strong>Stadt</strong> - KEYNOTE<br />

o<strong>der</strong> diese an<strong>der</strong>en Faktoren müssen mit den zuerst<br />

genannten in irgendeiner Weise zusammengewirkt<br />

haben.<br />

Vor dem Hintergrund eigener Forschungen in urbanen<br />

Räumen <strong>der</strong> deutschen Einwan<strong>der</strong>ungsgesellschaft<br />

(vgl. Hüttermann 2006; 2010) und auf<br />

<strong>der</strong> Grundlage internationaler Forschungen (vgl.<br />

Horowitz 2001, Varshney) nimmt die mo<strong>der</strong>ne Konfliktforschung<br />

an, dass mehrere Strukturen, Prozesse<br />

und Ereignisse zusammenspielen müssen, um die<br />

Genese urbaner Intergruppenkonflikte zu erklären.<br />

Insbeson<strong>der</strong>e dann, wenn das Zusammenspiel solcher<br />

Faktoren lokalen Verschwörungstheorien bzw.<br />

Gerüchten über einen bevorstehenden Übergriff <strong>der</strong><br />

Gegenseite Nahrung gibt, verstärken sich stadtgesellschaftliche<br />

Konfliktpotenziale.<br />

Ein an<strong>der</strong>er Verstärkermechanismus greift dann, wenn<br />

Segregationsprozesse soziale Gruppen nicht nur auf<br />

einem einzigen Feld – etwa dem Wohnungsmarkt –<br />

voneinan<strong>der</strong> scheiden, son<strong>der</strong>n die gleichen Gruppen<br />

zur gleichen Zeit auch auf an<strong>der</strong>en lokalen Fel<strong>der</strong>n <strong>der</strong><br />

<strong>Stadt</strong>gesellschaft einan<strong>der</strong> gegenüberstehen. Wenn<br />

also homologe Segregationsprozesse neben dem<br />

Wohnungsmarkt zusätzlich auch im lokalen Schulsystem,<br />

im Freizeitbereich, auf dem örtlichen Heirats- und<br />

Flirtmärkten, in <strong>der</strong> organisierten Kriminalität, im lokalen<br />

Konsum und in <strong>der</strong> Lokalpolitik wirken und dadurch<br />

in vielen Bereichen des stadtgesellschaftlichen<br />

Intergruppenlebens homologe Gruppenkonstellationen<br />

entstehen, dann können Konfliktereignisse auf einem<br />

Interaktionsfeld schnell auch auf an<strong>der</strong>e Interaktionsfel<strong>der</strong><br />

übergreifen. Weil sich auf allen diesen Fel<strong>der</strong>n<br />

gleichförmige segregationsbedingte Intergruppenkonstellationen<br />

herausgebildet haben, können sich schon<br />

aus relativ geringem Anlass und ohne großen Mobilisierungsaufwand<br />

Fronten ausbilden die wie<strong>der</strong>um weitere<br />

Konfliktereignisse provozieren.<br />

Auch das schiere Tempo des lokalen sozialen Wandels<br />

mag eine Rolle für die Genese urbaner Intergruppenkonflikte<br />

spielen: Verän<strong>der</strong>n sich in einer <strong>Stadt</strong>gesellschaft<br />

durch Abstiegs– und Aufstiegsbewegungen<br />

sozialer Gruppen (im Verhältnis zu an<strong>der</strong>en sozialen<br />

Gruppen) schnell (etwa innerhalb einer Generation) die<br />

Hierarchien, so ist <strong>der</strong> Wechsel <strong>der</strong> Machtdifferenziale<br />

zwischen sozialen Gruppen unmittelbarer erlebbar, als<br />

in einer größeren, mehrere Generationen umfassenden<br />

Zeitspanne. <strong>Die</strong> Enttäuschungen auf <strong>der</strong> einen und die<br />

Überlegenheitsgefühle auf <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Seite speisen<br />

sich dann gewissermaßen aus relativ frischen Erfahrungen.<br />

Dahingegen bietet ein allmählicher sozialer Wandel<br />

im Verhältnis <strong>der</strong> Intergruppenbeziehungen und<br />

-hierarchien die Gelegenheit für Gewöhnungseffekte<br />

und das Abklingen von Emotionen, aus denen Konflikteskalationen<br />

schöpfen.<br />

Desweiteren spielt zumindest im Län<strong>der</strong>vergleich<br />

(z.B. Deutschland-Frankreich) <strong>der</strong> Bildungserfolg von<br />

Migrantengruppen eine gewisse Rolle. Denn je höher<br />

Zuwan<strong>der</strong>er und ihre Nachfahren gebildet sind, desto<br />

höher sind ihre Erwartungen mit Blick auf den eigenen<br />

beruflichen Erfolg. Weil etwa die relativ hohen<br />

Erwartungen <strong>der</strong> – im Vergleich zu Türkeistämmigen<br />

<strong>Stadt</strong>bewohnern Deutschlands – relativ gut ausgebildeten<br />

maghrebinischen Jugendlichen in Frankreich<br />

nicht erfüllt werden, kann dies immer wie<strong>der</strong> gewaltsame<br />

Protestbewegungen o<strong>der</strong> Angriffe gegen urbane<br />

Sündenböcke (z. B. französische Juden) o<strong>der</strong> Symbole<br />

generieren (vgl. Dubet 2002: 1180).<br />

Neben den genannten kommen noch viele an<strong>der</strong>e Faktoren<br />

(Strukturen, Prozesse, Ereignisse) hinzu, die in Interaktion<br />

mit wie<strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Faktoren urbane Konflikteskalationen<br />

erklären können. So unterscheiden sich<br />

<strong>Stadt</strong>gesellschaften nach Maßgabe ihrer historisch gewachsenen<br />

Konfliktkultur bzw. Konfliktvermeidungskultur<br />

(vgl. Hüttermann 2010). Gerade <strong>Stadt</strong>gesellschaften,<br />

welche die Austragung von Intergruppenkonflikten<br />

angesichts eines im kollektiven lokalen Gedächtnisses<br />

stark ausgeprägten Harmonieideals verdrängen, müssen<br />

mit Konflikteskalationen rechnen, weil sie Präventions-<br />

und Mediationspotenziale übersehen und<br />

unausgeschöpft lassen. Ferner macht es einen großen<br />

Unterschied ob Alteingesessene und Migranten(-nachfahren)<br />

kollektive Verletzungen und Vorurteile kultivieren,<br />

die dem Kontext des Kolonialismus bzw. <strong>der</strong> Dekolonialisierung<br />

entstammen. Während Maghrebiner<br />

in Frankreich und Pakistanstämmige in Großbritannien<br />

solche historischen Ressentiments <strong>der</strong> Kolonialzeit in<br />

vielen Intergruppenkonflikten mit Alteingesessenen<br />

zur Sprache bringen, findet man hierzulande bei Türkeistämmigen<br />

keine Entsprechung. Weiterhin sind so<br />

genannte entzündungsfähige Ereignisse anzusprechen.<br />

So kann ein einziger dramatischer Vorfall (z. B.<br />

ein Gewaltereignis, Mord, Vergewaltigung etc.) auch<br />

vergleichsweise mo<strong>der</strong>ate Intergruppenspannungen<br />

eskalieren lassen. Auch unterschiedliche lokal und sozialräumlich<br />

ausgeprägte Polizeistrategien und -kulturen<br />

sind ebenfalls als potenzielle Konfliktfaktoren zu<br />

betrachten. In vielen Städten <strong>der</strong> USA und Frankreichs<br />

fungieren denn auch Vorfälle im Wirkungskreis <strong>der</strong> Polizei<br />

gewissermaßen als Zündfunke für die oben angesprochene<br />

sogenannte Mass Racial Violence. Und im<br />

Zeitalter <strong>der</strong> Globalisierung wirken schließlich auch globale<br />

Ereignisse auf den je beson<strong>der</strong>en lokalen Kontext<br />

in je beson<strong>der</strong>er, lokal gefilterter Weise auf städtische<br />

Konfliktkonstellationen ein (vgl. Hüttermann 2010).<br />

Entwarnung?<br />

<strong>Die</strong> Furcht vor segregationsbedingter Konflikteskalation<br />

ist nicht nur aufgrund <strong>der</strong> grundsätzlichen Erkenntnisse<br />

über den Zusammenhang von Segregation<br />

und Konfliktgenese unbegründet. Sie erscheint auch<br />

deshalb abwegig, weil die migrationsbezogenen Siedlungsstrukturen<br />

in Deutschland ein weitaus geringeres<br />

Ausmaß an räumlicher Konzentration aufweisen als<br />

vergleichbare Siedlungsstrukturen in den USA aber<br />

auch als in Großbritannien, in Frankreich und selbst<br />

noch in den Nie<strong>der</strong>landen (vgl. Schönwäl<strong>der</strong>/Söhn<br />

2009). Bedenkt man, dass Wissenschaftler*innen in<br />

den USA und in Kanada erst dann von „ethnic neighborhoods“<br />

sprechen, wenn eine ethnische Gruppe etwa<br />

30 bis 40% <strong>der</strong> Einwohner eines Viertels ausmacht,


dann greift dieses Konzept in Deutschland nicht. So<br />

ergibt eine auf <strong>der</strong> Grundlage von Daten <strong>der</strong> Innerstädtischen<br />

Raumbeobachtung erfolgende Recherche (vgl.<br />

Schönwäl<strong>der</strong>/Söhn 2009), dass nur 15 <strong>der</strong> dort erfassten<br />

1810 statistischen Einheiten (mit durchschnittlich<br />

jeweils 7.500 E.) eine migrationsbezogene ethnische<br />

Bevölkerungsgruppe aufweisen, die einen Anteil von<br />

20 o<strong>der</strong> mehr Prozent an <strong>der</strong> Gesamtbevölkerung <strong>der</strong><br />

betreffenden statistischen Einheit hat.<br />

Solche Befunde bedeuten aber nicht, dass wir uns<br />

hierzulande zurücklehnen und das Segregationsthema<br />

vernachlässigen können. Denn es gibt noch an<strong>der</strong>e<br />

Gründe als die Angst vor <strong>der</strong> gewaltsamen Eskalation<br />

von Intergruppenkonflikten, sich gegen fortschreitende<br />

sozialstrukturelle und ethnische Segregation zu wehren.<br />

So hat die internationale Forschung zu Kontexteffekten<br />

nachgewiesen, dass benachteiligte segregierte<br />

<strong>Stadt</strong>gebiete zur Verstetigung abweichen<strong>der</strong> Normen<br />

und aufgrund entsprechen<strong>der</strong> Opportunitätsstrukturen<br />

zu Delinquenz im Sozialraum führen kann (vgl.<br />

zusammenfassend dazu Kurtenbach 2016). Zudem<br />

vermag Segregation gerade in benachteiligten Quartieren,<br />

das Gefühl <strong>der</strong> Verletzlichkeit zu erhöhen sowie<br />

Ohnmachtsgefühle zu wecken und nicht zuletzt Kriminalitätsfurcht<br />

und Stressempfinden zu steigern. Zum<br />

an<strong>der</strong>en bleibt gerade mit Blick auf die obigen Ausführungen<br />

zur Kausalbeziehung zwischen Segregation<br />

und Konflikteskalation ein Wehrmutstropfen. Denn<br />

wenn die konfliktsoziologische Beobachtung richtig<br />

ist, dass Intergruppenkonflikte nicht allein auf nur eine<br />

Ursache zurückzuführen sind – sei es ein Ereignis, ein<br />

Prozess o<strong>der</strong> eine Struktur –, dann kann auch nicht<br />

ausgeschlossen werden, dass die hier angesprochenen<br />

Segregationsprozesse zumindest indirekt bzw. in ihrem<br />

Zusammenwirken mit an<strong>der</strong>en Faktoren zur Eskalation<br />

von Intergruppenkonflikten beitragen mögen. <strong>Die</strong><br />

Eingrenzung von Segregation könnte somit indirekt zur<br />

Konfliktprävention beitragen.<br />

Und schließlich gilt es, noch aus einem dritten Grund<br />

wachsam zu bleiben – einen Grund, den man auf den<br />

bekannten Gemeinspruch bringen könnte, wonach<br />

das, was nicht ist, noch werden könnte. So gibt es<br />

Anhaltspunkte dafür, dass die sozialstrukturelle Segregation<br />

in ganz Europa gegenwärtig auf dem Vormarsch<br />

ist; dies zumindest ergeben Längsschnittuntersuchungen<br />

zur Entwicklung in 13 europäischen<br />

Hauptstädten, die auf Datensätzen beruhen, welche<br />

auf <strong>der</strong> Grundlage von Volkszählungen zustande kamen<br />

(vgl. Musterd et al.: 2015) . Demnach hat die sozialstrukturelle<br />

Segregation in zwölf <strong>der</strong> untersuchten<br />

13 Hauptstädte in den vergangen zehn Jahren deutlich<br />

zugenommen. Ob es uns langfristig amerikanische<br />

Ausmaße <strong>der</strong> Segregation bescheren wird, ist offen<br />

und hängt letztlich von uns allen ab; nicht zuletzt aber<br />

auch davon, ob wir dazu in <strong>der</strong> Lage sind, übertriebene<br />

Ängste abzubauen und den Mut aufzubringen,<br />

uns dem Marktradikalismus entgegenzustellen und<br />

beispielsweise den sozialen Wohnungsbau zu stärken.<br />

Dr. rer. Soc. Jörg Hüttermann<br />

Assoziierter Wissenschaftler<br />

Institut für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung<br />

Jörg Hüttermann studierte Soziologie und Geschichte in Wuppertal, Bonn,<br />

Bielefeld und Madrid. Seit 2015 ist er Mitarbeiter am Institut für Islamische<br />

Theologie <strong>der</strong> Universität Osnabrück. Zuvor wirkte er im Max-Planck-Institut<br />

zur Erforschung multiethnischer und multireligiöser Gesellschaften/MPI-<br />

MMG, Göttingen (2012-2014) sowie im Institut für Interdisziplinäre Konfliktund<br />

Gewaltforschung/IKG, Bielefeld (1996-2012). Ab 09/<strong>2017</strong> wird er<br />

wie<strong>der</strong> am IKG tätig sein. Seine ethnographisch ansetzenden Forschungen<br />

fokussieren insbeson<strong>der</strong>e auf Konflikte in urbanen Räumen westlicher Einwan<strong>der</strong>ungsgesellschaften.<br />

Er promovierte im Jahr 1998 im Fachbereich Soziologie<br />

<strong>der</strong> Universität Bielefeld mit einer Milieustudie zum Thema „Islamische<br />

Mystik in Deutschland“.<br />

39<br />

Soziale <strong>Stadt</strong> - KEYNOTE<br />

Dubet, Francois (1997): <strong>Die</strong> Logik <strong>der</strong> Jugendgewalt. S. 220-234 in: T. von Trotha (Hrsg.): Soziologie <strong>der</strong> Gewalt. Opladen/Wiesbaden (Son<strong>der</strong>heft<br />

37 <strong>der</strong> KZfSS).<br />

Florida, Richard & Charlotta Mellanda (2015): Segregated City: The Geography of Economic Segregation in America’s Metros. Toronto: Martin<br />

Prosperity Institute.<br />

Horowitz, Donald L. (2001): The Deadly Ethnic Riot. Berkeley, Los Angeles and London: University of California Press.<br />

Hüttermann, Jörg (2006): Das Minarett: Zur politischen Kultur des Konflikts um islamische Symbole. Weinheim/München: Juventa.<br />

Hüttermann, Jörg (2010): Entzündungsfähige Konfliktkonstellationen: Eskalations- und Integrationspotentiale in Kleinstädten <strong>der</strong> Einwan<strong>der</strong>ungsgesellschaft<br />

(Mit einem Beitrag von Alexan<strong>der</strong> Mewes. Weinheim & München: Juventa.<br />

Hüttermann, Jörg (2011): Moscheekonflikte im Figurationsprozess <strong>der</strong> Einwan<strong>der</strong>ungsgesellschaft: Eine soziologische Analyse. S. 39-82 in: W. Schiffauer<br />

Hrsg.) Migrationsreport 2010. Fakten - Analysen - Perspektiven. Frankfurt a.M. & New York: Campus.<br />

Kurtenbach, Sebastian (2016): Leben in herausfor<strong>der</strong>nden Nachbarschaften. Wiesbaden: Springer VS.<br />

Musterd, Sako & Szymon Marcińczak, Maarten van Ham, Tiit Tammaru (2015): Socio-Economic Segregation in European Capital Cities. Bonn:<br />

Forschungsinstitut zur <strong>Zukunft</strong> <strong>der</strong> Arbeit/Institute for the Study of Labor.<br />

Schönwäl<strong>der</strong>, Karen & Janina Söhn (2009): „Immigrant Settlement Structures in Germany: General Patterns and Urban Levels of Concentration of Major<br />

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Varshney, Ashutosh 2002: Ethnic conflict and civic life: Hindus and Muslims in India New Haven: Yale Univ. Press.


Ralf Zimmer-Hegmann<br />

40<br />

Soziale <strong>Stadt</strong> - KEYNOTE<br />

Soziale Integration im Quartier:<br />

Eine vorläufige Bilanz <strong>der</strong> „Sozialen <strong>Stadt</strong>“<br />

Seit nunmehr fast 20 Jahren wird auf Bundesebene das Städtebauför<strong>der</strong>programm<br />

„Soziale <strong>Stadt</strong>“ umgesetzt. Seine Zielsetzung ist die Stabilisierung,<br />

aber auch Aufwertung von benachteiligten <strong>Stadt</strong>teilen und Quartieren. Damit<br />

wurde ein doppelter Integrationsanspruch in <strong>der</strong> <strong>Stadt</strong>entwicklungspolitik<br />

eingeführt: die soziale Integration von benachteiligten Personengruppen in die<br />

lokalen Gemeinwesen von <strong>Stadt</strong>teilen und Quartieren sowie ein funktional integrierter<br />

Politikanspruch, <strong>der</strong> unterschiedliche Fachpolitiken und Ressourcen<br />

bündeln und eindimensionale sektorale Handlungsansätze überwinden soll.<br />

Berlin, Foto: Sascha Kohlmann, flickr.com, Lizenz: CC-BY 2.0, https://creativecommons.org/licenses/by/2..0<br />

Wir beobachten in den letzten Jahrzehnten einen<br />

deutlichen Bedeutungszuwachs in <strong>der</strong> Wahrnehmung<br />

des Lokalen. Der bekannte Soziologe Richard<br />

Sennett (1998: 189) beschreibt das als Wunsch<br />

vieler Menschen, den Anfor<strong>der</strong>ungen des neoliberalen<br />

Kapitalismus nach mehr Flexibilität und <strong>der</strong><br />

Entgrenzung von Zeit und Raum ein Stück weit zu<br />

entgehen: „Eine <strong>der</strong> unbeabsichtigten Folgen des<br />

mo<strong>der</strong>nen Kapitalismus ist die Stärkung des Ortes,<br />

die Sehnsucht <strong>der</strong> Menschen nach <strong>der</strong> Verwurzelung<br />

in einer Gemeinde.“ Neben einer neuen bürgerlichen<br />

Rückbesinnung auf den städtischen Nahraum,<br />

<strong>der</strong> sich in einem verstärkten ortsbezogenen bürgerschaftlichen<br />

Engagement ausdrückt (vgl. Rauterberg<br />

2013), wird das Quartier aber insbeson<strong>der</strong>e<br />

als eine wichtige Ressource für die Bewältigung von<br />

Armut und sozialer Benachteiligung gesehen. Dabei<br />

ist zu berücksichtigen, dass benachteiligte Bevölkerungsgruppen<br />

u.a. aufgrund ihrer eingeschränkten<br />

finanziellen Möglichkeiten eine geringere Mobilität<br />

als beispielsweise Mittelschichtangehörige aufweisen.<br />

Sie sind somit beson<strong>der</strong>s auf die Ressourcen<br />

ihres unmittelbaren Wohnumfeldes zur Bewältigung<br />

ihres Lebensalltages angewiesen. Herlyn et al.<br />

(1991) unterscheiden in ihrer Studie zur Bedeutung<br />

des Wohnmilieus für die Lebenslage und -bewältigung<br />

<strong>der</strong> Quartiersbewohner vier Teilressourcen;<br />

sie sehen den <strong>Stadt</strong>teil als Chance <strong>der</strong> Existenzsicherung<br />

durch Arbeit, als Ort des Wohnens, als Ort<br />

des sozialen Austauschs und als Ort <strong>der</strong> Teilhabe an<br />

gesellschaftlichen Einrichtungen. Das Wohnquartier<br />

bietet am ehesten Möglichkeiten für Gelegenheitsarbeit<br />

sowie für stundenweise, wohnungsnahe Tätigkeit,<br />

die eine Vereinbarkeit von Erwerbstätigkeit


und Kin<strong>der</strong>betreuung erleichtert. Der Wohnbereich<br />

und das Wohnumfeld haben gerade für marginalisierte<br />

und arbeitslose Bevölkerungsgruppen eine<br />

so hohe Bedeutung im Lebensalltag, da sie den<br />

überwiegenden Teil ihrer Zeit hier verbringen. Aus<br />

zahlreichen Untersuchungen ist bekannt, dass das<br />

informelle Beziehungsnetz zu Freunden, Verwandten<br />

und Nachbarn von hoher Wichtigkeit ist, da ein<br />

Großteil <strong>der</strong> Unterstützung im Alltag über diese<br />

Kontakte und nahräumlichen Netzwerke erfolgt.<br />

Schließlich ist gerade für benachteiligte Gruppen<br />

die Nähe von Beratungs- und Freizeiteinrichtungen<br />

relevant, um <strong>der</strong>en Nutzung zu ermöglichen und<br />

eine Inanspruchnahme zu för<strong>der</strong>n.<br />

Das Mitte <strong>der</strong> 1990er Jahre in Deutschland eingeführte<br />

Städtebauför<strong>der</strong>ungsprogramm „Soziale<br />

<strong>Stadt</strong>“ ist in diesem Zusammenhang als Antwort auf<br />

die Konzentration und Kumulation unterschiedlicher<br />

sozialer, ökonomischer und städtebaulicher Problemlagen<br />

in bestimmten <strong>Stadt</strong>teilen und Quartieren<br />

zu verstehen, die mit rein sektoralen Politikansätzen<br />

nicht mehr gelöst werden können. Damit folgte die<br />

Politik in Deutschland Erfahrungen mit ähnlichen<br />

Ansätzen in Großbritannien, den Nie<strong>der</strong>landen und<br />

Frankreich, die dort schon seit den 1980er Jahren<br />

praktiziert werden. Spätestens mit <strong>der</strong> Leipzig-Charta<br />

<strong>der</strong> EU im Jahre 2007 haben sich solche<br />

integrierten und stadtteilbezogenen Ansätze<br />

in ganz Europa etabliert. Sie folgen auch bewusst<br />

dem „ressourcenorientierten“ Politikverständnis, bei<br />

dem gerade die Stärkung von Nachbarschaften und<br />

Quartieren zur Lebensbewältigung von benachteiligten<br />

Bevölkerungsgruppen in den Mittelpunkt gerückt<br />

werden.<br />

Erfolge <strong>der</strong> „Sozialen <strong>Stadt</strong>“...<br />

Grundsätzlich zeigt sich, dass das Programm „Soziale<br />

<strong>Stadt</strong>“ mit seinem integrierten Handlungsansatz<br />

in hohem Maße den multiplen Problemlagen von<br />

benachteiligten <strong>Stadt</strong>teilen und Quartieren sowie<br />

den Herausfor<strong>der</strong>ungen einer zunehmenden sozialräumlichen<br />

Polarisierung in unseren Städten entspricht.<br />

Auch die verschiedenen Evaluationen des<br />

Programms „Soziale <strong>Stadt</strong>“ auf Ebene von Bund und<br />

Län<strong>der</strong>n bestätigen, dass dieser Ansatz im Rahmen<br />

seiner – auch finanziellen – Möglichkeiten richtig<br />

und erfolgreich ist (Zimmer-Hegmann/Sucato<br />

2007). Dabei zeigt sich, dass <strong>der</strong> bisherige Erfolg<br />

des Programms vor allem in <strong>der</strong> städtebaulichen Erneuerung<br />

und <strong>der</strong> Schaffung von tragfähigen Netzwerken<br />

vor Ort liegt. Durch eine Verbesserung des<br />

städtebaulichen Erscheinungsbildes sind in vielen<br />

<strong>Stadt</strong>teilen Aufwertungsprozesse in Gang gesetzt<br />

worden, die auch zu einer langfristigen Imageverbesserung<br />

<strong>der</strong> Gebiete führen können, die meist<br />

unter einer negativen Stigmatisierung leiden. Allerdings<br />

zeigen die gerade in den letzten Jahren zu beobachtenden<br />

Verän<strong>der</strong>ungen und Engpässe auf den<br />

Wohnungsmärkten insbeson<strong>der</strong>e in <strong>der</strong> Mehrzahl<br />

<strong>der</strong> Großstädte, dass solche Aufwertungsprozesse<br />

immer in ihrem jeweiligen stadtentwicklungspolitischen<br />

Kontext betrachtet werden müssen. Während<br />

nach wie vor in den schrumpfenden Städten gerade<br />

die benachteiligten <strong>Stadt</strong>teile und Quartiere von<br />

mangeln<strong>der</strong> Nachfrage und Abwan<strong>der</strong>ung betroffen<br />

sind, rückt in den angespannten Wohnungsmärkten<br />

das Thema „Gentrifizierung“ und damit letztlich die<br />

Gefahr <strong>der</strong> Verdrängung von sozial benachteiligten<br />

Bevölkerungsgruppen wie<strong>der</strong> auf die Tagesordnung.<br />

Städtebauliche Aufwertungsprozesse gerade<br />

durch das Programm „Soziale <strong>Stadt</strong>“ müssen daher<br />

immer in ihren spezifischen Wirkungszusammenhängen<br />

von Städten zwischen Schrumpfung und<br />

Wachstum betrachtet werden. So muss die städtebauliche<br />

Aufwertung in bestimmten angespannten<br />

Gebietskulissen nicht immer die erste und beste<br />

Antwort sein, wenn sozial stabilisierende Maßnahmen<br />

und Projekte im Sinne <strong>der</strong> Unterstützung <strong>der</strong><br />

angestammten Bewohnerschaft hier wesentlich<br />

wirksamer sein können, wozu aber insbeson<strong>der</strong>e<br />

auch Investitionen in die soziale Infrastruktur gehören.<br />

Deswegen muss das Programm mehr als ein<br />

städtebauliches Investitionsprogramm sein. Investitionen<br />

in Personal sind ebenso erfor<strong>der</strong>lich, aber<br />

über das städtebauliche Programm nur in begrenztem<br />

Umfang för<strong>der</strong>fähig. Ein integrierter Programmansatz<br />

müsste eine differenzierte Anwendung unterschiedlicher<br />

Instrumente ermöglichen.<br />

Zentrale Erfolgsfaktoren des Programms „Soziale<br />

<strong>Stadt</strong>“ sind daneben die Verfahrens- und Prozessqualitäten.<br />

<strong>Die</strong> Vernetzung aller relevanten Akteure<br />

in den Gebieten und die Schaffung bzw. Festigung<br />

von gemeinsamen Arbeits- und Kooperationsstrukturen<br />

sind zentrale Voraussetzung für eine nachhaltige<br />

Stabilisierung <strong>der</strong> <strong>Stadt</strong>teile und Quartiere.<br />

Insbeson<strong>der</strong>e die lokalen Quartiersmanagements<br />

haben sich als entscheidende steuernde und koordinierende<br />

Instanzen erwiesen. Allerdings ist auch<br />

auf die fragile Stabilität dieser neu geschaffenen<br />

Strukturen hinzuweisen, die oftmals auch nach Auslaufen<br />

<strong>der</strong> För<strong>der</strong>ung durch das Programm „Soziale<br />

<strong>Stadt</strong>“ erfor<strong>der</strong>lich sind und weiterhin <strong>der</strong> Unterstützung<br />

bedürfen. <strong>Die</strong> neu geschaffenen Arbeits- und<br />

Kooperationsstrukturen haben in vielen Fällen zu<br />

einer deutlichen Verbesserung <strong>der</strong> Zusammenarbeit<br />

zwischen öffentlichen und privaten Akteuren<br />

sowie innerhalb <strong>der</strong> Verwaltungen geführt. Ob sich<br />

daraus dauerhaft Strukturen <strong>der</strong> integrierten Zusammenarbeit<br />

entwickeln, ist stark von den örtlichen<br />

politischen Gegebenheiten und <strong>der</strong> gelebten<br />

Verwaltungskultur abhängig. Allerdings zeigt sich,<br />

dass <strong>der</strong> integrierte Programmansatz strukturell<br />

die Kooperation unterschiedlicher Akteure – auch<br />

innerhalb <strong>der</strong> Verwaltung – immer wie<strong>der</strong> erzwingt<br />

und sich insofern deutlich för<strong>der</strong>nd auf solche kooperativen<br />

Arbeitsstrukturen auswirkt.<br />

... und Begrenzungen<br />

Im Grunde ist <strong>der</strong> För<strong>der</strong>ansatz <strong>der</strong> „Sozialen <strong>Stadt</strong>“<br />

seinem Anspruch nach sozialraumbezogener Ausdruck<br />

einer präventiven Politik, <strong>der</strong> es darum geht<br />

41<br />

Soziale <strong>Stadt</strong> - KEYNOTE


42<br />

Soziale <strong>Stadt</strong> - KEYNOTE<br />

Berlin, Foto: Daniel Ullrich, flickr.com, Lizenz: CC-BY 2.0, https://creativecommons.org/licenses/by/2.0<br />

wohnortbezogene soziale Netzwerke zu stärken und<br />

den <strong>Stadt</strong>teil bzw. das Quartier als Ressource gerade<br />

für benachteiligte Bevölkerungsgruppen (z.B. Arme,<br />

Alleinerziehende, Alte) zu begreifen, die beson<strong>der</strong>s<br />

in ihrer täglichen Lebensführung auf den Nahraum<br />

orientiert und angewiesen sind. Das Programm hat<br />

mit seinem gebietsbezogenen und integrierten Anspruch<br />

dazu beigetragen, dass Prinzipien <strong>der</strong> Sozialraumorientierung<br />

auch in an<strong>der</strong>en Fachpolitiken (z.B.<br />

Jugendhilfe, Gesundheit, Kriminalprävention) eingezogen<br />

sind bzw. dort eine Stärkung erfahren haben.<br />

Auch die Instrumente <strong>der</strong> integrierten Quartiersentwicklung,<br />

v.a. das Quartiersmanagement haben sich<br />

durch die positiven Erfahrungen längst auf an<strong>der</strong>e<br />

Bereiche (z.B. Wohnen im Alter, Integration) übertragen.<br />

Gleichwohl muss konstatiert werden, dass solche<br />

sozialraumbezogenen Ansätze im gesamten Bereich<br />

des Verwaltungshandelns und <strong>der</strong> Ausrichtung<br />

von För<strong>der</strong>programmen, die überwiegend keinen<br />

Gebietsbezug aufweisen und stärker zielgruppenorientiert<br />

ausgerichtet sind, noch in <strong>der</strong> Min<strong>der</strong>heit sind.<br />

Es zeigt sich auch, dass die Wirkungen des Programms<br />

insbeson<strong>der</strong>e in sozialer und ökonomischer<br />

Hinsicht bislang eher begrenzt sind. Zwar konnten<br />

durch das Programm vielfach soziale Netzwerke gestärkt<br />

und auch Personen sozial stabilisiert werden,<br />

aber an <strong>der</strong> kritischen sozialen Lage <strong>der</strong> Mehrheit<br />

<strong>der</strong> benachteiligten Bevölkerung in den Gebieten<br />

konnte das Programm aufgrund seiner begrenzten<br />

Ressourcen und Reichweite bislang nur wenig än<strong>der</strong>n.<br />

Hier spielen negative gesamtgesellschaftliche<br />

Einflüsse auf die soziale Lage <strong>der</strong> betroffenen Bevölkerung<br />

eine größere Rolle (konjunkturelle ökonomische<br />

Entwicklungen, Zunahme von Armut und<br />

Arbeitslosigkeit, Sozial- und Arbeitsmarktgesetzgebung<br />

etc.). Das gilt auch für die ökonomische Lage<br />

in den Gebieten. Zwar existiert eine Vielzahl von<br />

sehr positiven Projekten und Ansätzen im Bereich<br />

<strong>der</strong> För<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Lokalen Ökonomie. <strong>Die</strong>se Ansätze<br />

können aber z.B. die Arbeitsplatzverluste durch<br />

den industriellen Strukturwandel nur sehr begrenzt<br />

kompensieren. <strong>Die</strong> Gebiete <strong>der</strong> „Sozialen <strong>Stadt</strong>“<br />

weisen noch überwiegend eine überdurchschnittliche<br />

Arbeitslosigkeit auf, so dass hier weiterhin<br />

deutlicher Handlungsbedarf besteht.<br />

Neue för<strong>der</strong>politische Schwerpunkte<br />

Im Grunde braucht es eine sozialraumbezogene<br />

Neuausrichtung <strong>der</strong> För<strong>der</strong>politiken. Es bedarf insbeson<strong>der</strong>e<br />

einer strukturpolitischen, bildungs- und<br />

integrationspolitischen sowie wohnungspolitischen<br />

Ergänzung des Ansatzes <strong>der</strong> „Sozialen <strong>Stadt</strong>“:<br />

Vor allem die Verknüpfung von Maßnahmen <strong>der</strong><br />

Struktur- und Wirtschaftspolitik mit Arbeitsmarktför<strong>der</strong>ung<br />

und Sozialpolitik auf die Belange benachteiligter<br />

<strong>Stadt</strong>teile und <strong>der</strong> dort lebenden Zielgruppen<br />

von Arbeitsmarkt- und Beschäftigungsför<strong>der</strong>ungsmaßnahmen<br />

ist beson<strong>der</strong>s erfolgversprechend. Hier<br />

sind gerade in <strong>der</strong> EU-Kohesionspolitik mit <strong>der</strong> Verknüpfung<br />

von EFFRE- und ESF-För<strong>der</strong>ung durchaus<br />

richtige Ansätze entstanden, die allerdings in<br />

den Kommunen häufig als konzeptionell zu aufwändig<br />

und in <strong>der</strong> Abwicklung als zu bürokratisch wahrgenommen<br />

werden.


Aufgrund einer höheren Zuwan<strong>der</strong>ung durch<br />

Flucht- und Arbeitsmigration wird <strong>der</strong> Anteil von<br />

Menschen mit Migrationshintergrund in den Städten<br />

und insbeson<strong>der</strong>e in den Gebieten <strong>der</strong> „Sozialen<br />

<strong>Stadt</strong>“ bzw. vergleichbarer städtischer Gebiete<br />

weiter steigen. Das macht verstärkte Anstrengungen<br />

zur spezifischen Ansprache, För<strong>der</strong>ung und<br />

Integration <strong>der</strong> Betroffenen erfor<strong>der</strong>lich. Dabei haben<br />

die Städte und Gemeinden eine doppelte soziale<br />

Integrationsaufgabe zu lösen. Einerseits die<br />

Neubürger zu versorgen und in die kommunalen<br />

Gemeinwesen zu integrieren, ohne dass es zu sozialen<br />

Konflikten kommt und an<strong>der</strong>erseits die soziale<br />

und räumliche Spaltung <strong>der</strong> <strong>Stadt</strong> zu verhin<strong>der</strong>n.<br />

Denn schon heute macht die Zunahme von<br />

Armut und sozialer Ungleichheit den sozialen und<br />

räumlichen Zusammenhalt nicht einfach. Gerade<br />

auch die vielfach schlechten Bildungschancen von<br />

Kin<strong>der</strong>n mit Migrationshintergrund – aber auch vieler<br />

deutschstämmiger Kin<strong>der</strong> aus sozial instabilen<br />

Familien – machen in den Gebieten <strong>der</strong> „Sozialen<br />

<strong>Stadt</strong>“ verstärkte Anstrengungen zur Verbesserung<br />

<strong>der</strong> Bildungssituation notwendig. Hier hat <strong>der</strong> Bund<br />

mit seinem neuen Investitionspakt „Soziale Integration<br />

im Quartier“ reagiert, <strong>der</strong> den Neubau und die<br />

Mo<strong>der</strong>nisierung von sozialer Infrastruktur in den Mittelpunkt<br />

stellt (Schulen, Kitas, Begegnungsstätten<br />

etc.). Doch auch hier zeigt sich ein Schwachpunkt <strong>der</strong><br />

„Sozialen <strong>Stadt</strong>“: es ist primär ein bauliches Investitionsprogramm.<br />

Letztendlich verlangen die sozialen<br />

Herausfor<strong>der</strong>ungen eben auch eine deutlich bessere<br />

Personal- und Ressourcenausstattung von Schulen<br />

in diesen Gebieten, aber auch Strategien für eine<br />

bessere „Lastenverteilung“ zwischen den Schulen.<br />

versorgen können und daher benachteiligte Quartiere<br />

verlassen, beschäftigt uns auf den wachsenden<br />

und angespannten Wohnungsmärkten stärker<br />

das Problem <strong>der</strong> sozialen Verdrängung. <strong>Die</strong> zum<br />

Teil dramatische Verteuerung von Wohnraum in den<br />

Innenstädten führt dazu, dass einkommensschwächere<br />

Bevölkerungsgruppen an den (<strong>Stadt</strong>-)Rand<br />

gedrängt werden. Hier bedarf es kommunaler wohnungspolitischer<br />

Konzepte und Investitionen, die mit<br />

<strong>der</strong> Schaffung von bezahlbarem Wohnraum gerade<br />

auch in soziökonomisch besser gestellten Quartieren<br />

für eine ausgewogene räumliche Entwicklung in<br />

den Städten sorgen.<br />

Das setzt aber die vollumfängliche finanzielle Handlungsfähigkeit<br />

<strong>der</strong> Kommunen voraus, was gegenwärtig<br />

nicht <strong>der</strong> Fall ist. Dazu brauchen wir eine<br />

breite gesellschaftliche Debatte über die Ursachen<br />

und Auswirkungen <strong>der</strong> sozialen Ungleichheit in unseren<br />

Städten. Dazu gehört, dass ein solch richtiger<br />

sozialraumbezogener Ansatz wie die „Soziale <strong>Stadt</strong>“<br />

durch eine Politik flankiert werden muss, die Armut<br />

und soziale Ungleichheit als gesamtgesellschaftliche<br />

Aufgabe auf allen staatlichen Ebenen begreift<br />

und zurückführt.<br />

43<br />

Soziale <strong>Stadt</strong> - KEYNOTE<br />

Außerdem zeigt sich, dass die Probleme vieler benachteiligter<br />

Quartiere und <strong>Stadt</strong>teile nicht in begrenzten<br />

Zeiträumen gelöst werden können, dazu<br />

sind die strukturellen Problemlagen häufig zu<br />

persistent. Quartiersentwicklung bleibt insofern<br />

eine kommunale Daueraufgabe. Der stadtteilbezogene<br />

Lösungsansatz ist dabei zwar richtig, aber<br />

nicht ausreichend. Soziale <strong>Stadt</strong>entwicklung sollte<br />

daher stärker als gesamtstädtische Aufgabe definiert<br />

werden und <strong>der</strong> sozialraumbezogene Ansatz<br />

sollte auch in an<strong>der</strong>en kommunalen Politikfel<strong>der</strong>n<br />

verankert und eingebettet sein. Neben Prozessen<br />

<strong>der</strong> sozialen Ungleichheitsentwicklung in <strong>der</strong> Gesellschaft<br />

sind es vor allem die Entwicklungen auf<br />

den Wohnungsmärkten, die soziale Entmischungsprozesse<br />

verursachen. Während auf stagnierenden<br />

und schrumpfenden Wohnungsmärkten ein Überangebot<br />

an Wohnraum dazu führt, dass auch Durchschnittsverdiener<br />

sich gut auf dem Wohnungsmarkt<br />

Dipl.-Soz. Ralf Zimmer-Hegmann<br />

ILS - Institut für Landes- und<br />

<strong>Stadt</strong>entwicklungsforschung<br />

leitet die Forschungsgruppe Sozialraum <strong>Stadt</strong> im Institut für Landesund<br />

<strong>Stadt</strong>entwicklungsforschung (ILS) in Dortmund. Forschungsschwerpunkte:<br />

Sozialräumliche Disparitäten und gesellschaftliche<br />

Inklusion, Integrierte Konzepte <strong>der</strong> <strong>Stadt</strong>- und Quartiersentwicklung<br />

sowie Evaluation von För<strong>der</strong>programmen und Monitoring kleinräumiger<br />

städtischer Entwicklungen. Mitglied <strong>der</strong> Expertengruppe zur<br />

Evaluation des Programms „Soziale <strong>Stadt</strong>“ beim BMUB, wie auch<br />

schon 2002-2004 beim BMVBW.<br />

Herlyn, U./ Lakemann, U./ Lettko, B. (1991): Armut und Milieu. Benachteiligte Bewohner in großstädtischen Quartieren. Basel, Boston, Berlin.<br />

Rauterberg, H. (2013): Wir sind die <strong>Stadt</strong>! Urbanes Leben in <strong>der</strong> Digitalmo<strong>der</strong>ne. Berlin.<br />

Sennett, R. (1998): Der flexible Mensch. <strong>Die</strong> Kultur des neuen Kapitalismus. Frankfurt, Berlin.<br />

Zimmer-Hegmann, R./ Sucato, E. (2007): Evaluation in <strong>der</strong> Sozialen <strong>Stadt</strong> – Ein Überblick aus Län<strong>der</strong>perspektive. In: Zeitschrift für Evaluation,<br />

Heft 1/2007, S. 79-107.


Volker Kersting<br />

44<br />

Soziale <strong>Stadt</strong> - AUS DER PRAXIS<br />

Soziale <strong>Stadt</strong>:<br />

Über Armut und die begrenzte Reichweite von Quartierspolitik<br />

Mit bescheidenen Etats leistet Quartierspolitik, wie sie z.B. in <strong>der</strong> „Sozialen <strong>Stadt</strong>“<br />

erfolgt, unbestritten einen erheblichen Beitrag zur Integration benachteiligter<br />

Bevölkerungsgruppen. Betrachtet man die Quartiersprojekte jedoch als Instrument<br />

zur „Armutsbekämpfung“, wird das Thema verfehlt und <strong>Stadt</strong>teilpolitik gerät<br />

schnell zum Ausfallbürgen für fehlende gesamtgesellschaftliche Konzepte. Dass<br />

trotz erfolgreicher Quartiersarbeit <strong>der</strong> Armutsdruck auf die Quartiere zunimmt und<br />

daher ein messbarer Abbau <strong>der</strong> Armut in diesen Quartieren nicht zu erwarten ist,<br />

soll am Beispiel <strong>der</strong> Entwicklung <strong>der</strong> Zahlen <strong>der</strong> von Hartz IV betroffenen Menschen<br />

verdeutlicht werden. 1 Es zeigt sich, dass Armut in den ohnehin bereits davon<br />

stark belasteten Räumen steigt und sich zunehmend räumlich verdichtet. Ein<br />

beson<strong>der</strong>es Interesse gilt in diesem Beitrag <strong>der</strong> Entwicklung <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong>armut.<br />

Berlin, Foto: Sascha Kohlmann, flickr.com, Lizenz: CC-BY 2.0, https://creativecommons.org/licenses/by/2.0<br />

Drastisch steigende (Kin<strong>der</strong>-) Armut<br />

Seit den Jahren 2010/2011 steigt die Armut und Transferabhängigkeit<br />

vor allem von Kin<strong>der</strong>n 2 in den Großstädten<br />

Nordrhein-Westfalens wie<strong>der</strong> deutlich an, z.T. drastisch.<br />

<strong>Die</strong> großräumigen regionalen Unterschiede und die<br />

Varianz verdeutlichen die Karten 1 und 2 für den Zeitraum<br />

zwischen 2007-2016, also für die Phase nach Einführung<br />

<strong>der</strong> Hartz-Gesetze, die mit Daten gut belegt werden kann.<br />

Zwischen den Jahren 2010 und 2016 verzeichnen etliche<br />

Großstädte in NRW Zunahmen um ein Drittel bzw. um<br />

mehrere tausend Kin<strong>der</strong> pro <strong>Stadt</strong>, die auf SGBII-Leistungen<br />

angewiesen sind. <strong>Die</strong>ser Anstieg findet zu einer Zeit<br />

statt, in <strong>der</strong> ohnehin bereits in vielen Städten jedes dritte<br />

bis vierte Kind unter 15 Jahren in Armut aufwächst! Im<br />

Durchschnitt <strong>der</strong> jeweiligen Städte! Da es aber bekanntlich<br />

„nirgendwo so ist wie im Durchschnitt“, finden wir auf<br />

<strong>Stadt</strong>teilebene weit höhere Quoten. Mitunter ist die Hälfe<br />

o<strong>der</strong> mehr als die Hälfte <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong> unter 15 Jahren auf<br />

<strong>Stadt</strong>teilebene von Sozialgeld (SGBII) abhängig.<br />

Auch die SGBII-Quoten für die Bevölkerung unter 65<br />

Jahren liegen mittlerweile auf <strong>Stadt</strong>teilebene nicht selten<br />

bei 30% o<strong>der</strong> mehr. <strong>Die</strong> Zunahme <strong>der</strong> Armut trifft vielfach<br />

beson<strong>der</strong>s die <strong>Stadt</strong>teile, die ohnehin benachteiligt und<br />

durch hohe Einkommensarmut betroffen sind – mithin<br />

<strong>Stadt</strong>teile <strong>der</strong> Sozialen <strong>Stadt</strong>.<br />

Segregation – nimmt sie zu?<br />

Als Instrument zur Dauerbeobachtung bieten die nicht veröffentlichten<br />

Daten <strong>der</strong> sogenannten „Innerstädtischen<br />

Raumbeobachtung IRB“ des BBSR eine einzigartige Quelle<br />

zur kleinräumigen Diagnose von Segregation (BBSR <strong>2017</strong>).<br />

Momentan beteiligen sich 53 Großstädte mit knapp 3000


45<br />

Soziale <strong>Stadt</strong> - AUS DER PRAXIS<br />

Abb. 1: Regionale Sozialgeldquoten und Verän<strong>der</strong>ung seit 2007: Kreise und kreisfreie Städte - Sozialgeldquote Kin<strong>der</strong> unter 15 Jahren 2016 (links)<br />

Mülheim an <strong>der</strong> Ruhr<br />

Karte 1 / Abb. 2: Sozialgeldbezug <strong>der</strong> unter 15-jährigen<br />

Bevölkerung auf Stimmbezirksebene 2009<br />

und Verän<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Sozialgeldquote Kin<strong>der</strong> unter 15 Jahren 30.06.2007 - 30.06.2016 (rechts)<br />

Mülheim an <strong>der</strong> Ruhr<br />

Karte 2 / Abb. 4: Sozialgeldbezug <strong>der</strong> unter 15-jährigen<br />

Bevölkerung auf Stimmbezirksebene 2013<br />

Sozialgeldbezieher in % <strong>der</strong><br />

unter 15-jährigen Bevölkerung<br />

bis unter 10 % (31)<br />

10 bis unter 20 % (25)<br />

20 bis unter 30 % (27)<br />

30 bis unter 40 % (19)<br />

40 bis unter 50 % (9)<br />

50 bis unter 60 % (8)<br />

kein Sozialgeldbezug (3)<br />

MH: 22.6 %<br />

<strong>Stadt</strong>forschung und Statistik<br />

Sozialgeldbezieher in % <strong>der</strong><br />

unter 15-jährigen Bevölkerung<br />

bis unter 10 % (30)<br />

10 bis unter 20 % (27)<br />

20 bis unter 30 % (18)<br />

30 bis unter 40 % (19)<br />

40 bis unter 50 % (15)<br />

50 bis unter 60 % (8)<br />

60 bis unter 70 % (1)<br />

kein Sozialgeldbezug (2)<br />

MH: 25.2 %<br />

<strong>Stadt</strong>forschung und Statistik<br />

Abb 2: Räumliche Verdichtung <strong>der</strong> Kindearmut: Mülheim an <strong>der</strong> Ruhr - Sozialgeldbezug <strong>der</strong> unter 15-jährigen 2009 (links) und 2013 (rechts)


46<br />

Soziale <strong>Stadt</strong> - AUS DER PRAXIS<br />

Abb 3: Kin<strong>der</strong>armut Kitas und Räume: Kin<strong>der</strong> unter 6 Jahren im SGB-II-Bezug (links)<br />

und mit SGB-II-Quote in den Kitas (rechts) in Mülheim an <strong>der</strong> Ruhr<br />

<strong>Stadt</strong>teilen an <strong>der</strong> Erhebung. <strong>Die</strong> Bevölkerungsgröße (Mittelwerte<br />

zwischen ca. 2.000 und 18.000) und die Raumzuschnitte<br />

<strong>der</strong> <strong>Stadt</strong>teile unterscheiden sich jedoch von Kommune zu<br />

Kommune erheblich, so dass eine vergleichende Betrachtung<br />

zwischen den Städten nur sehr bedingt sinnvoll ist.<br />

Aufschlussreich ist allerdings die Analyse <strong>der</strong> zeitlichen Verläufe<br />

<strong>der</strong> Segregation. <strong>Die</strong> eigenen Auswertungen für die<br />

Städte, für die längerfristig Daten vorliegen (2007 -2015),<br />

ergeben ein relativ eindeutiges Bild. Sowohl die Segregation<br />

<strong>der</strong> Bevölkerung mit ausschließlich ausländischer Staatsangehörigkeit,<br />

wie auch jener, die zwei Staatsangehörigkeiten<br />

besitzen, nimmt in <strong>der</strong> weit überwiegenden Zahl <strong>der</strong> Städte<br />

ab. <strong>Die</strong> Armutssegregation hingegen steigt bis auf wenige<br />

Ausnahmen an – mitunter sehr deutlich. Mit zunehmen<strong>der</strong><br />

Tendenz in jüngster Zeit. Arme Menschen konzentrieren sich<br />

somit immer mehr in benachteiligten und benachteiligenden<br />

Nachbarschaften.<br />

Hat sich Segregation parallel zur<br />

Armutsentwicklung erhöht?<br />

<strong>Die</strong> vorliegenden Daten zeigen über den beobachteten Zeitraum<br />

eine uneinheitliche Entwicklung. Generell ergibt sich in<br />

bundesweiter Perspektive kein statistischer Zusammenhang<br />

zwischen <strong>der</strong> Entwicklung <strong>der</strong> Armut (Daten des Wegweisers<br />

Kommune) 3 und <strong>der</strong> Armutssegregation (Daten <strong>der</strong><br />

IRB). In den Städten <strong>der</strong> neuen Bundeslän<strong>der</strong> sinken die Armutsquoten.<br />

In den westlichen Län<strong>der</strong>n treten beson<strong>der</strong>s die<br />

nordrhein-westfälischen und die Ruhrgebietsstädte demgegenüber<br />

sehr negativ hervor. Korreliert man die Entwicklung<br />

<strong>der</strong> gesamtstädtischen Armutsquoten mit <strong>der</strong> Entwicklung<br />

<strong>der</strong> Armutssegregation auf kleinräumiger Ebene für die<br />

Städte, für die solche Informationen vorliegen, fällt vor allem<br />

eines auf: <strong>Die</strong> meisten Städte des Ruhrgebiets bilden ein<br />

sehr exponiertes Cluster. Es ist gekennzeichnet durch eine<br />

beson<strong>der</strong>s starke Entwicklung <strong>der</strong> Armut bei zugleich starker<br />

Zunahme <strong>der</strong> Segregation.<br />

Wodurch steigt die Armut in den <strong>Stadt</strong>teilen?<br />

Zu den beson<strong>der</strong>s auffälligen Städten zählt Mülheim an<br />

<strong>der</strong> Ruhr. <strong>Die</strong> Mülheimer <strong>Stadt</strong>forschung ist <strong>der</strong> Frage <strong>der</strong><br />

Entstehung und Segregation von Kin<strong>der</strong>armut mit Daten<br />

aus kommunalen Verwaltungsprozessen erstmals genauer<br />

nachgegangen (Kersting / Kurosch 2016). Auf diese Weise<br />

können anhand von Individualdaten Entstehungsprozesse<br />

differenzierter untersucht werden, die sich mit Aggregatdaten<br />

<strong>der</strong> <strong>Stadt</strong>teile nicht erklären lassen. <strong>Die</strong> Auswertungen<br />

erfolgten auf <strong>der</strong> räumlichen Ebene <strong>der</strong> 123 Stimmbezirke<br />

für den Zeitraum 2009 - 2013. <strong>Die</strong> Stimmbezirke wurden<br />

alternativ zu den wesentlich größeren 28 Statistischen Bezirken<br />

als Analyseeinheit ausgewählt, da sie eine kleinräumige<br />

Gebietseinteilung darstellen, die sowohl hinreichend<br />

große als auch relativ vergleichbare Bevölkerungszahlen (ca.<br />

1.600) aufweisen. Weil die Bevölkerungszahl und die Ausdehnung<br />

dennoch „überschaubar“ sind, sind Stimmbezirke<br />

auch „Nachbarschaften“, die als soziale Kontexte direkten<br />

Einfluss auf Kin<strong>der</strong> ausüben können. 4<br />

Exemplarisch lassen sich als Befunde festhalten: Deutlich<br />

verän<strong>der</strong>t hat sich im Untersuchungszeitraum <strong>der</strong> Anteil<br />

von Sozialgeld beziehenden Kin<strong>der</strong>n, die in Stimmbezirken<br />

mit hohen Sozialgeldquoten leben. Lebte 2009 etwas<br />

mehr als ein Drittel (37,1 %) <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong> in Bezirken<br />

mit Sozialgeldquoten von 40 % und mehr, waren es 2013


ereits fast die Hälfte (48,7 %). <strong>Die</strong> Entwicklung offenbart<br />

eine deutliche Tendenz zur Konzentration (Abb. 2).<br />

Zugleich belegen die Auswertungen aber auch, dass fast 30<br />

% <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong> mit Sozialgeldbezug in nicht extrem belasteten<br />

o<strong>der</strong> gar unauffälligen Bezirken wohnten. <strong>Die</strong>s kann als Hinweis<br />

auf die eingeschränkte Reichweite primär „sozialräumlicher<br />

Ansätze“ gewertet werden, die ihre Aufmerksamkeit<br />

häufig nur auf wenige „Fokusquartiere“ richtet.<br />

<strong>Die</strong> vorgenommene Auswertung von personen- und<br />

haushaltsbezogenen „Bewegungsdaten“ (Geburt und<br />

Wan<strong>der</strong>ung) ermöglicht auch eine genauere Sicht auf<br />

die Dynamik und die sozialen Hintergründe <strong>der</strong> zwischen<br />

2009 und 2013 neu als arm registrierten Kin<strong>der</strong>. Festgestellt<br />

werden kann, dass es sich bei fast <strong>der</strong> Hälfte um<br />

Neugeborene handelte (1.199 bzw. 45,3%), ein weiteres<br />

Drittel (31,3%) <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong> war aus an<strong>der</strong>en Gemeinden<br />

o<strong>der</strong> dem Ausland nach Mülheim gezogen, etwas weniger<br />

als ein Viertel (23,0 %) lebte bereits in <strong>der</strong> <strong>Stadt</strong>, war aber<br />

2009 noch nicht auf Sozialgeld angewiesen.<br />

Zwei Drittel <strong>der</strong> neu Sozialgeld beziehenden Kin<strong>der</strong> lebten in<br />

Wohngebieten, die bereits 2009 durch überdurchschnittliche<br />

Sozialgeldquoten von mehr als 30 % gekennzeichnet waren.<br />

Kin<strong>der</strong>tageseinrichtungen stärker streut als zwischen den<br />

Statistischen Bezirken. Wesentlich ist aber vor allem, dass<br />

Kin<strong>der</strong>tageseinrichtungen nicht per se Repräsentanten ihres<br />

räumlichen Wohnumfeldes sind. Nicht selten unterscheiden<br />

sie sich deutlich von ihrem Wohnumfeld. <strong>Die</strong>s illustriert Karte<br />

3 (Abb. 3). Erkennbar sind Einrichtungen mit einem sehr<br />

hohen Armutsanteil, die in Bezirken mit durchschnittlichen<br />

Armutsquoten liegen, wie auch Kin<strong>der</strong>tageseinrichtungen<br />

mit vergleichsweise niedriger Armut in Bezirken mit einem<br />

hohen Anteil armer Kin<strong>der</strong>. Eine primär an „sozialräumlichen<br />

Indikatoren“ orientierte För<strong>der</strong>ung von Kita wäre daher unzureichend<br />

und würde in etlichen Fällen zur Fehlallokation von<br />

Ressourcen führen.<br />

47<br />

Soziale <strong>Stadt</strong> - AUS DER PRAXIS<br />

Der Tiefenblick auf Settings<br />

Wenig Aufmerksamkeit wird in <strong>der</strong> Debatte um die Entwicklung<br />

und die Folgen von Segregation den Kin<strong>der</strong>tageseinrichtungen<br />

und Schulen gewidmet. Spätestens mit dem<br />

Eintritt in eine Kin<strong>der</strong>tageseinrichtung spielt dieses Setting<br />

eine wesentliche Rolle für die Sozialisation <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong>. Ihre<br />

Effekte für die kindliche Entwicklung sind höher einzuschätzen<br />

als die <strong>der</strong> Nachbarschaften (Groos / Jehles 2014). 5<br />

Beispielhaft konnte im Rahmen <strong>der</strong> KEKIZ-Evaluation gezeigt<br />

werden, dass <strong>der</strong> Anteil armer Kin<strong>der</strong> zwischen den<br />

Dipl.-Soz. Volker Kersting<br />

Soziologe und Sozialarbeiter<br />

arbeitet u.a. am Zentrum für interdisziplinäre Ruhrgebietsforschung<br />

(ZEFIR) <strong>der</strong> Ruhr-Universität Bochum als Projektleiter für den Bereich<br />

Evaluation und Wirkungsforschung. Zuvor hat er die „<strong>Stadt</strong>forschung<br />

und Statistik“ <strong>der</strong> <strong>Stadt</strong> Mülheim an <strong>der</strong> Ruhr geleitet.<br />

1<br />

„Armut“ wird hier über den Bezug von SGBII-Leistungen definiert, wohl wissend, dass damit Einkommensarmut nur unzureichend erfasst wird. Differenzierte<br />

intra- und interkommunale Analysen sind jedoch nur mit dieser Quelle möglich. <strong>Die</strong> Definitionen weichen je nach Quelle voneinan<strong>der</strong> ab (siehe dort).<br />

2<br />

Wenn im weiteren Text von Kin<strong>der</strong>n in Armut die Rede ist, sind damit unter 15-jährige Personen gemeint, die von Sozialgeld (SGBII) leben müssen.<br />

3<br />

Der Wegweiser Kommune <strong>der</strong> Bertelsmann Stiftung bietet für alle deutschen Kommunen ab 5.000 Einwohner einen umfangreichen Indikatorensatz,<br />

auch in Form von Zeitreihen: https://www.wegweiser-kommune.de/<br />

4<br />

Im Rahmen <strong>der</strong> Mülheimer KEKIZ-Evaluation konnte gezeigt werden, dass „Nachbarschafen“ unmittelbaren Einfluss auf die Kompetenzen<br />

von Schulneulingen ausüben. Bei größeren Einheiten (<strong>Stadt</strong>teile, sogenannte „Sozialräume“ etc.) mit mehreren Tausend Einwohnern sind solche<br />

eigenständigen Effekte nicht mehr zu erkennen (vgl. Groos / Kersting 2015; Groos / Jehles 2014).<br />

5<br />

<strong>Die</strong> Bedeutung und <strong>der</strong> Umfang von Segregation in Nachbarschaft, Kita und Schule im frühkindlichen Bereich wurden ausführlich untersucht<br />

in <strong>der</strong> „Mikrodaten-Evaluation“ im Rahmen von KEKIZ. Dokumentiert sind die Ergebnisse u.a. in zahlreichen Werkstattberichten: https://www.<br />

muelheim-ruhr.de/cms/kekiz_-_kein_kind_zuruecklassen.html (letzter Zugriff: 19.07.<strong>2017</strong>)<br />

BBSR <strong>2017</strong>: Bundesinstitut für Bau-, <strong>Stadt</strong>- und Raumforschung (BBSR): Vergleichende <strong>Stadt</strong>beobachtung http://www.bbsr.bund.de/BBSR/<br />

DE/Raumbeobachtung/UeberRaumbeobachtung/Komponenten/Vergleichende<strong>Stadt</strong>beobachtung/vergleichendestadtbeobachtung_node.html;jsessionid=AC2D5FBCE2CEDF37EF8F6566CA7F589F.live11293#doc444772bodyText2<br />

(letzter Zugriff: 16.07.<strong>2017</strong>)<br />

Groos, Thomas / Jehles, Nora (2014): Der Einfluss von Armut auf die Entwicklung von Kin<strong>der</strong>n. Bertelsmann Stiftung; KeKiz. Gütersloh. Online<br />

verfügbar unter https://www.bertelsmann-stiftung.de/de/publikationen/publikation/did/<strong>der</strong>-einfluss-von-armut-auf-die-entwicklung-von-kin<strong>der</strong>n<br />

(letzter Zugriff: 16.07.<strong>2017</strong>).<br />

Groos, Thomas / Trappmann, Carolin/ Jehles, Nora (<strong>2017</strong> i.E.): „Keine Kita für alle“ Zum Ausmaß und den Ursachen von Kitasegregation.<br />

Bertelsmann Stiftung; KEKIZ. Gütersloh.<br />

Groos, Thomas / Kersting, Volker (2015): Segregierte Kin<strong>der</strong>armut und Gesundheit. In: Aladin El-Mafaalani, Sebastian Kurtenbach und Klaus<br />

Peter Strohmeier (Hg.): Auf die Adresse kommt es an. Segregierte <strong>Stadt</strong>teile als Problem- und Möglichkeitsräume begreifen. 1. Aufl. Weinheim,<br />

Bergstr: Beltz Juventa, S. 76–107.<br />

Kersting, Volker / Kurosch, Ingo (2016): Sozialbericht NRW 2016 - Armuts- und Reichtumsbericht - Kommunaler Beitrag <strong>der</strong> <strong>Stadt</strong> Mülheim<br />

an <strong>der</strong> Ruhr - <strong>Die</strong> Dynamik des Sozialgeldbezuges zwischen 2009 und 2013. Hg. v. Ministerium für Arbeit, Integration und Soziales Landes Nordrhein-Westfalen<br />

(MAIS). Düsseldorf. Online verfügbar unter http://www.sozialberichte.nrw.de/sozialberichterstattung_nrw/aktuelle_berichte/<br />

SB2016.pdf (letzter Zugriff: 16.07.<strong>2017</strong>)


Prof. Oliver Hall<br />

48<br />

Soziale <strong>Stadt</strong> - REALLABOR<br />

Heimatwerker: Wer baut <strong>der</strong> bleibt!<br />

Über das Reallabor in Nieheim<br />

Mit Heimatwerker startete im September 2016 ein ungewöhnliches<br />

Modellprojekt in <strong>der</strong> <strong>Stadt</strong> Nieheim (Landkreis Höxter). Ein altes, von<br />

Leerstand bedrohtes Ackerbürgerhaus im historischen <strong>Stadt</strong>kern wird<br />

mit vereinten Kräften von Geflüchteten, Studierenden <strong>der</strong> Hochschule<br />

OWL und Anwohnern saniert. Während des Umbaus <strong>der</strong> Immobilie (April<br />

<strong>2017</strong>–Ende 2018) erwerben die Projektteilnehmer auf <strong>der</strong> Baustelle und<br />

in begleitenden Kursen handwerkliche Kenntnissen, die später etwa im<br />

Baugewerbe nützlich sind. Bei <strong>der</strong> Planung und <strong>der</strong> Sanierung werden<br />

die Heimatwerker fachkundig angeleitet.<br />

Bei <strong>der</strong> Arbeit, Foto: <strong>Stadt</strong>BauKultur NRW<br />

Nach Fertigstellung des Umbaus kann die Werkstatt<br />

von allen Bewohnerinnen und Bewohnern <strong>der</strong> <strong>Stadt</strong><br />

Nieheim für handwerkliche und kreative Tätigkeiten<br />

sowie für an<strong>der</strong>e gemeinschaftliche Zwecke genutzt<br />

werden. <strong>Die</strong>se Idee wurde in einer gemeinsamen<br />

Projektwoche entwickelt, an <strong>der</strong> rund 50 Personen<br />

– Geflüchtete, Studierende, Schüler, ehrenamtlich<br />

aktive Nieheimer – mitwirkten.<br />

Von dem Modellprojekt Heimatwerker sollen alle Beteiligten<br />

profitieren: <strong>Die</strong> Asylsuchenden können sich<br />

beruflich qualifizieren, ihre Sprachkenntnisse verbessern<br />

und erhalten die Möglichkeit, sich aktiv zu<br />

integrieren; die Gewerbetreibenden aus <strong>der</strong> lokalen<br />

Baubranche generieren beruflichen Nachwuchs; die<br />

Studierenden sammeln fachliche und soziale Erfahrungen;<br />

die <strong>Stadt</strong> Nieheim erhält historische Bausubstanz<br />

und schafft Bleibeperspektiven für die Asylsuchenden;<br />

den Bewohnerinnen und Bewohnern von<br />

Nieheim werden Räume für handwerkliche und kreative<br />

Tätigkeiten zur Verfügung gestellt.<br />

)) Durchgeführt wird das Projekt<br />

von <strong>der</strong> Landesinitiative <strong>Stadt</strong>-<br />

BauKultur NRW 2020, <strong>der</strong> <strong>Stadt</strong><br />

Nieheim und <strong>der</strong> Hochschule Ostwestfalen-Lippe<br />

koordiniert durch<br />

das <strong>urbanLab</strong>. Es hat eine Gesamtlaufzeit<br />

von 10 Jahren und soll bei<br />

Erfolg auch auf an<strong>der</strong>e Kommunen<br />

übertragen werden. ((<br />

<strong>Die</strong> Sanierung des Hauses wird finanziert durch das Städtebau-Son<strong>der</strong>för<strong>der</strong>programm<br />

des Ministeriums für Bauen,<br />

Wohnen, <strong>Stadt</strong>entwicklung und Verkehr des Landes<br />

Nordrhein-Westfalen und einen Eigenanteil <strong>der</strong> <strong>Stadt</strong> Nieheim.<br />

Weitere Kosten für Organisation, Öffentlichkeitsarbeit,<br />

Veranstaltungen und Dokumentation trägt <strong>Stadt</strong>Bau-<br />

Kultur NRW. Darüber hinaus sollen für den Umbau und


49<br />

Soziale <strong>Stadt</strong> - REALLABOR<br />

För<strong>der</strong>mittelübergabe, Foto: <strong>Stadt</strong>BauKultur NRW<br />

die langfristige Nutzung des Gebäudes weitere För<strong>der</strong>geber,<br />

Sponsoren und Spenden gewonnen werden.<br />

Heimatwerker ist dabei ein Pilotprojekt zur Integration<br />

von Flüchtlingen auf dem Land, aber auch zur Bekämpfung<br />

des teilweise stadtbildprägenden Leerstands in historischen<br />

Ortskernen. <strong>Die</strong> Strategie zur Schaffung von<br />

Bleibeperspektiven für Geflohene sind Praktische Qualifizierungsmaßnahmen<br />

vor Ort und das „Selber machen<br />

lassen“. <strong>Die</strong>s beinhaltet von Beginn an einen praktischen<br />

Anteil <strong>der</strong> Studierenden, von denen schon einige Leistungen<br />

erbracht worden sind. Außerdem betrachtet das<br />

<strong>urbanLab</strong> die Heimatwerker als Reallabor und überprüft<br />

die These „Wer selber baut, <strong>der</strong> bleibt“.<br />

Ein gemeinsames Projekt von:<br />

Beitrag <strong>der</strong> Hochschule OWL<br />

FB Architektur und Innenarchitektur<br />

• Fachliche Unterstützung durch Lehrmodule und<br />

Thesisarbeiten aus Architektur, Innenarchitektur<br />

und <strong>Stadt</strong>planung: (z.B. Bauantragspläne, Tragwerksuntersuchung,<br />

Brandschutz, Bauphysik, ein<br />

modulares Möbelkonzept, sowie <strong>Stadt</strong>entwicklungsstrategien)<br />

• Studierende und Flüchtlinge arbeiten und lernen<br />

zusammen: (z.B. in Entwurfs-Workshops und praktischen<br />

Seminaren)<br />

• Kostenmin<strong>der</strong>ung im Projekt durch „geistige und<br />

physische Muskelhypothek“ <strong>der</strong> Beteiligten<br />

• Freundschaftliche Kontakte beim „Selberbauen“<br />

för<strong>der</strong>n den interkulturellen Austausch und ein<br />

wachsendes Heimatgefühl : (z.B. Kinoabende, gemeinsame<br />

Dinner, Whatsapp-Gruppe)<br />

• Vereinsgründung Heimatwerker e.V. (Oliver<br />

Hall ist Mitgrün<strong>der</strong> und stellv. Vorsitzen<strong>der</strong>)<br />

Wissenschaftliche Begleitung durch den Forschungsschwerpunkts<br />

<strong>urbanLab</strong> von Beginn an:<br />

• Reallabor für die These: „Wer (selber) baut, <strong>der</strong> bleibt !“<br />

• Forschungsinteresse des <strong>urbanLab</strong>: Ländlicher Raum<br />

und Kleinstadtproblematik (Strategien gegen Schrumpfung,<br />

Leerstand und Demografischer Wandel).<br />

• Unterstützung bei <strong>der</strong> För<strong>der</strong>mittelbewerbung<br />

und Projektevaluation<br />

• Wissenstransfer (z.B. auf Westf. Kulturkonferenz),<br />

• Fachartikel (z.B. <strong>Stadt</strong>Bauwelt 41/2016 u.a.)


Marcel Cardinali<br />

50<br />

Soziale <strong>Stadt</strong> - STATEMENT URBANLAB<br />

Milieus und ihre Wohnanfor<strong>der</strong>ungen<br />

Warum in <strong>der</strong> Sozialen <strong>Stadt</strong> wie<strong>der</strong> mehr gebaut werden muss<br />

Der vorliegende Artikel beleuchtet die Bedeutung von sozial heterogenen Quartieren<br />

zur Verhin<strong>der</strong>ung von Armutsrepdroduktion. In diesem Zusammenhang<br />

werden Unterschiede und Gemeinsamkeiten von Sozialraum und Quartiersraum<br />

bei verschiedenen Gruppen herausgestellt. Daraus folgt, dass insbeson<strong>der</strong>e<br />

Kin<strong>der</strong> und Jugendliche von einer heterogenen Quartierszusammensetzung<br />

profitieren. <strong>Die</strong> Analyse <strong>der</strong> Abläufe und Abhängigkeiten <strong>der</strong> Problemstellungen<br />

im Quartier zeigt schließlich, dass die Interventionspunkte des Programms Soziale<br />

<strong>Stadt</strong> zwar richtig erkannt wurden, aber allein nicht geeignet sind einen<br />

Weg aus <strong>der</strong> Daueraufgabe Soziale <strong>Stadt</strong> zu ermöglichen. So zeigt sich, dass<br />

es <strong>der</strong> Ressourcen an<strong>der</strong>er Milieus bedarf, um die Armutsfalle benachteiligter<br />

Quartiere aufzulösen.<br />

ehem. Arbeiterquartiere<br />

Strukturwandel<br />

Großwohnsiedlungen<br />

Städtebauliche Leitbil<strong>der</strong><br />

Abb. 1: Benachteiligte <strong>Stadt</strong>teile im <strong>Stadt</strong>grundriss (Cardinali)<br />

Unfreiwillige Konzentration<br />

<strong>Die</strong> räumliche Verteilung von bestimmten Milieus und<br />

Gruppen geschieht nicht zufällig. Eine sozialräumliche<br />

Segregation ist bei einem freien Markt die logische Folge<br />

- eine Folge von Angebot und Nachfrage. Sie wird<br />

gesteuert durch den Wohnungsmarkt und insbeson<strong>der</strong>e<br />

durch die Ansprüche an den Wohnraum, sowie das Wohnumfeld<br />

(vgl. Volkmann 2012: 14). Nur wer entsprechende<br />

Mittel zur Verfügung hat, kann die stark nachgefragten<br />

Wohnstandorte, mit viel Platz, guter Anbindung, gutem<br />

Nachbarschaftsklima und einem Gefühl von Sicherheit<br />

auch in Anspruch nehmen. <strong>Die</strong> weniger nachgefragten<br />

Räume werden zu einem entsprechend niedrigen Preis<br />

angeboten und bieten damit den einzig möglichen Platz<br />

für Menschen mit geringen Ressourcen. <strong>Die</strong> logische Folge<br />

ist eine Konzentration von status- und milieuähnlichen<br />

Gruppen im <strong>Stadt</strong>raum.<br />

)) <strong>Die</strong> räumliche Verteilung von<br />

bestimmten Milieus und Gruppen<br />

geschieht nicht zufällig. Eine<br />

sozialräumliche Segregation ist<br />

bei einem freien Markt die<br />

logische Folge. ((


Derzeit lassen sich vor allem zwei beson<strong>der</strong>s häufig<br />

betroffene Quartierstypen beobachten. <strong>Die</strong> Großwohnsiedlungen<br />

mit ihren großen, monostrukturierten<br />

Wohnsiedlungen, die heute kaum noch nachgefragt<br />

werden und entsprechend Milieus anziehen, die sich<br />

keine an<strong>der</strong>en Standorte leisten können, auch wenn es<br />

sich hierbei inzwischen oft nicht mehr um Sozialwohnungen<br />

handelt. Ein zweites häufig zu beobachtendes<br />

Phänomen sind die ehemaligen Arbeiterquartiere, die<br />

<strong>der</strong> Strukturwandel von <strong>der</strong> Industrie- zur <strong>Die</strong>nstleistungsgesellschaft<br />

in relativ kurzer Zeit zu zu Arbeitslosenquartieren<br />

machte (vgl. Häußermann 2004). Der<br />

wirtschaftliche Strukturwandel hatte Arbeitslosigkeit,<br />

Armut und Kaufkraftverlust im Quartier zur Folge und<br />

setzte eine Abwärtsspirale in Gang, so dass die Haushalte,<br />

die noch über entsprechende Mittel verfügten,<br />

vielfach in einen funktionierenden <strong>Stadt</strong>teil umzogen<br />

und so die residentielle Segregation weiter verschärften.<br />

<strong>Die</strong>se <strong>Stadt</strong>teile sind vielfach leicht im <strong>Stadt</strong>grundriss<br />

ablesbar und werden i.d.R. von finanzstärkeren Milieus,<br />

die sich die Ansprüche an ihren Wohnraum und<br />

ihr Wohnumfeld leisten können, gemieden (siehe Abb.<br />

1). An vielen Stellen zeigt sich also, dass Segregation<br />

nicht zufällig passiert und i.d.R. auf monofunktionale<br />

Wohnungsstrukturen, die heute kaum mehr nachgefragt<br />

werden, zurückzuführen ist. Vernachlässigte und<br />

nur bedingt marktfähige Lebensräume werden so zur<br />

Sammelstelle für den Teil <strong>der</strong> <strong>Stadt</strong>bevölkerung, <strong>der</strong><br />

sich nichts an<strong>der</strong>es leisten kann.<br />

<strong>Die</strong>se Sichtbarkeit und Dominanz einzelner sozial<br />

benachteiligter Gruppen in einem bestimmten Raum<br />

führte schließlich zu <strong>der</strong> Einführung <strong>der</strong> För<strong>der</strong>kulisse<br />

Soziale <strong>Stadt</strong>, die sich dann auch größtenteils<br />

auf die vorher benannten Gebietstypen fokussierte.<br />

Volkmann stellte in ihrer Arbeit zusammen, dass<br />

gleich mehrere namenhafte Autoren (vgl. Farwick<br />

2002; Häußermann/Kronauer 2005; Schnur 2008)<br />

von einer zunehmenden Polarisierung <strong>der</strong> Schichten<br />

und Einkommen auf gesamtgesellschaftlicher Ebene<br />

ausgehen, was sich wie<strong>der</strong>um in einem immer stärkeren<br />

Auseinan<strong>der</strong>driften <strong>der</strong> <strong>Stadt</strong> in „Armutsquartiere“<br />

und „stabile Quartiere“ wi<strong>der</strong>spiegelt (vgl. Volkmann<br />

2012: 14). Neben <strong>der</strong> reinen Konzentration bestimmter<br />

Milieus, weisen diese Quartiere meist weitere Auffälligkeiten<br />

auf, wie Vandalismus, Drogenmissbrauch<br />

und (Jugend-)Kriminalität. Blickt man auf die städtebauliche<br />

Struktur so lassen sich außerdem regelmäßig<br />

eine vernachlässigte Bausubstanz, einseitige Wohnangebote<br />

und eine geringe Qualität des Wohnumfelds<br />

feststellen. Kritisch diskutiert wird dabei die Frage, ob<br />

<strong>der</strong> Raum selbst einen benachteiligten Effekt aufweist<br />

o<strong>der</strong> ob es sich bei den „Armutsquartieren“ nur im die<br />

Konzentration und damit die gebündelte Sichtbarkeit<br />

von Armut in <strong>der</strong> (<strong>Stadt</strong>-)Gesellschaft handelt.<br />

Ein Blick auf die sozialen Beziehungen, Bezugsgruppen<br />

und Interaktionen in solchen Quartieren offenbart,<br />

dass es sich tatsächlich um eine Armutsfalle für viele<br />

im Quartier handeln könnte. Zwar ist es bisher nicht<br />

gelungen einen pauschalen Effekt <strong>der</strong> physischen<br />

Ausstattung eines Quartiers auf die Reproduktion von<br />

Armut nachzuweisen (vgl. Volkmann 2012: 9). <strong>Die</strong>s<br />

ist jedoch auch gar nicht notwendig. Wie eingangs<br />

erläutert, entscheidet die Ausstattung des Quartiers<br />

und dessen Image, über dessen soziale Zusammensetzung.<br />

In <strong>der</strong> Folge ist es nicht mehr notwendig<br />

einen Effekt des Raums als solches auf die Armut<br />

nachzuweisen. Es genügt, die Auswirkungen <strong>der</strong> sich<br />

verän<strong>der</strong>enden persönlichen Netzwerke aufzuzeigen.<br />

Hierfür muss zwischen Quartiersraum (räumlich) und<br />

Sozialraum (persönliche Beziehungen) unterschieden<br />

werden. Je größer die Übereinstimmung zwischen<br />

Quartiersraum und Sozialraum, desto mehr kann über<br />

die Ausstattung des Quartiers und damit auf die vor-<br />

51<br />

Soziale <strong>Stadt</strong> - STATEMENT URBANLAB<br />

Erwachsene<br />

mobil<br />

Jugendliche<br />

Kin<strong>der</strong><br />

immobil<br />

Abb. 2: Überlageurng Sozialraum & Quartiersraum (Cardinali)


52<br />

Soziale <strong>Stadt</strong> - STATEMENT URBANLAB<br />

Abb. 3: Wirkungszusammenhänge im Quartier (Cardinali)<br />

handenen Milieus und Bezugsgruppen, in die persönlichen<br />

Netzwerke eingegriffen werden.<br />

Es zeigt sich, dass insbeson<strong>der</strong>e die Netzwerke <strong>der</strong><br />

stark quartiersbezogenen Gruppen, wie Kin<strong>der</strong>, Jugendliche,<br />

aber auch Arbeitslose in hohem Maße von<br />

einer heterogenen Zusammensetzung im Quartier<br />

profitieren können. Wohingegen im Beruf stehende<br />

Erwachsene kaum Auswirkungen auf ihren Sozialraum,<br />

durch die Verän<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Zusammensetzung<br />

im Quartier spüren (siehe Abb. 2).<br />

Kin<strong>der</strong> und Jugendliche<br />

Kin<strong>der</strong> und Jugendliche werden durch ihre Bezugsgruppen<br />

(Peers) positiv und negativ beeinflusst. <strong>Die</strong><br />

Zusammensetzung <strong>der</strong> Peers entscheidet sich wi<strong>der</strong>um<br />

durch die Angebote in <strong>der</strong> Nachbarschaft und<br />

im Schulkontext. Wissenschaftler stellen außerdem<br />

klar, dass <strong>der</strong> Kontakt mit delinquenten (straffälligen)<br />

Freunden, zumindest im Jugendalter, einen <strong>der</strong> wichtigsten<br />

Einflussfaktoren zur Entwicklung delinquenten<br />

Verhaltens darstellt. (Baier et al. 2010)<br />

Auch Sutherland verdeutlicht, dass unser gesamtes<br />

Verhalten - abweichendes o<strong>der</strong> konformes - auf einem<br />

Lernvorgang beruht (vgl. Sutherland 1974). <strong>Die</strong>ses<br />

Modelllernen kann aus dem Grundbedürfnis heraus<br />

abgeleitet werden, einer Gemeinschaft zugehörig zu<br />

sein und tritt bereits bei sehr kleinen Kin<strong>der</strong>n auf (Varbelow<br />

2000). Im Sinne <strong>der</strong> kindlichen Entwicklung gilt<br />

es also die Dominanz negativer Verhaltensvorbil<strong>der</strong> zu<br />

verhin<strong>der</strong>n. Homogene Nachbarschaften werden in<br />

diesem Zusammenhang als ein wesentlicher Faktor<br />

betrachtet (BMVBS 2013: 104). Hierzu konstatieren<br />

Schlack und Hölling, dass Jugendliche mit niedrigem<br />

sozialökonomischen Status beinahe doppelt so häufig<br />

Gewalttaten gegenüber Jugendlichen aus an<strong>der</strong>en<br />

sozialen Schichten verüben. Gleichzeitig stellen sie<br />

aber auch klar, dass <strong>der</strong> soziale Status nichts über die<br />

kriminelle Energie aussagt, son<strong>der</strong>n nur unterschiedliche<br />

Deliktarten häufiger auftreten, wie körperliche<br />

Gewalt und Beschaffungskriminalität in den sozial<br />

schwachen Milieus und Steuerhinterziehung in den<br />

sozial starken Schichten (Schlack und Hölling 2007).<br />

<strong>Die</strong> Sichtbarkeit <strong>der</strong> Kriminalitätsformen <strong>der</strong> sozialen<br />

schwachen Milieus führt jedoch im Gegensatz zu den<br />

Quartieren an<strong>der</strong>er Milieus zu einem Bild hoher Verrohung<br />

und Kriminalität in den öffentlichen Räumen<br />

<strong>der</strong> benachteiligten <strong>Stadt</strong>teile, was sich wie<strong>der</strong>um in<br />

einem niedrigeren Sicherheitsgefühl äußert. Das Forscherteam<br />

um Elliott stützen außerdem die „Broken<br />

Windows Theory“ und stellen einen Zusammenhang<br />

zwischen <strong>der</strong> Ausstattung des Quartiers und <strong>der</strong> Benachteiligung<br />

<strong>der</strong> Bewohner fest. Ein Quartier mit<br />

physischen und städtebaulichen Mängeln hat eine höhere<br />

Rate an Kriminalität, delinquentem Verhalten und<br />

Drogengebrauch. (vgl. Elliott et al. 2006: 277)<br />

Neben dem Quartier als Lernraum und <strong>der</strong> Familie als<br />

zentralen Erziehungspunkt können Schulen als beson<strong>der</strong>e<br />

Schlüsselinstitution für Kin<strong>der</strong> und auch für<br />

Jugendliche gewertet werden. Formale Institutionen


53<br />

Soziale <strong>Stadt</strong> - STATEMENT URBANLAB<br />

Abb. 4: Handlungsansätze <strong>der</strong> Sozialen <strong>Stadt</strong> und Creaming Effekte (Cardinali)<br />

im Quartier, vor allem Schulen, aber auch Freizeiteinrichtungen<br />

und Vereine verringern die Wahrscheinlichkeit<br />

für das Etablieren und Erstarken von negativen<br />

Gruppendynamiken (vgl. Elliott et al. 2006: 101).<br />

Sie konstatieren, dass <strong>der</strong> Sozialraum von Kin<strong>der</strong>n und<br />

Jugendlichen in den untersuchten Quartieren weitestgehend<br />

deckungsgleich mit dem Quartiersraum ist.<br />

(2006: 203f). In <strong>der</strong> Folge entscheidet die Existenz<br />

unterschiedlicher Wohnraumangebote über die Netzwerke<br />

<strong>der</strong> Kin<strong>der</strong> und Jugendlichen und damit über<br />

die Bezugsgruppen in Schule, Sport und Freizeit.<br />

Eine Beson<strong>der</strong>heit des Landes Nordrhein-Westfalen<br />

ist die Aufhebung <strong>der</strong> Grundschulbezirksbindung, so<br />

dass die Steuerungsmöglichkeit <strong>der</strong> Zusammensetzung<br />

in <strong>der</strong> Schule über die Wohnangebote im Quartier<br />

nicht eins zu eins wirken kann. Viele Studien belegen<br />

inzwischen, dass die freie Grundschulwahl Segregationseffekte<br />

stark verstärkt. Unter dem Titel „Gleich und<br />

gleich gesellt sich gern“ stellen Bertelsmann Stiftung<br />

und ZEFIR klar, dass die Schulsegregation weitaus<br />

höher ist also die ohnehin schon vorhandene residentielle<br />

Segregation (vgl. Groos 2015).<br />

Wirkungszusammenhänge im Quartier<br />

Auch wenn kein isolierter und pauschaler Zusammenhang<br />

zwischen <strong>der</strong> pyhsischen Ausstattung eines<br />

Quartier und <strong>der</strong> Benachteiligung <strong>der</strong> Bewohner festgestellt<br />

werden kann, zeigen die vorangegangen Ausführungen<br />

doch, dass es vielfältige Wirkungszusammenhänge<br />

zwischen <strong>der</strong> sozialen (und ethnischen)<br />

Zusammensetzung bestimmter Institutionen und Netzwerke<br />

einerseits und den individuellen Entwicklungschancen<br />

von Kin<strong>der</strong>n und Jugendlichen auf <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en<br />

Seite gibt. Auch für immobile Gruppen können<br />

einige Zusammenhänge hergestellt werden. Dabei<br />

entscheidet die physische Austattung eines Quartiers<br />

nicht direkt über Chancen und Potentiale eines Individuums,<br />

aber sie entscheidet darüber, welche an<strong>der</strong>en<br />

Gruppen vor Ort sind. Wie zuvor herausgestellt ist die<br />

räumliche Nähe zu an<strong>der</strong>en sozialen Gruppen insbeson<strong>der</strong>e<br />

im Kindes- und Jugendalter entwicklungsprägend.<br />

Das persönliche Umfeld entscheidet darüber<br />

welche potentiellen Netzwerkpartner vorhanden sind,<br />

welche Verhaltensmuster dominieren und welche sozialen<br />

Ressourcen zur Verfügung stehen. <strong>Die</strong> Alltagsaktivitäten<br />

die aus bestimmten Gruppendynamiken<br />

im Quartier entstehen, sorgen nicht zuletzt dafür, dass<br />

die (gefühlte) Sicherheit abnimmt und die Etablierung<br />

an<strong>der</strong>er resourcenstärkerer Milieus behin<strong>der</strong>t.<br />

Durch die vorher beschriebenen Effekte entsteht<br />

ein sogenanntes Creaming. Sozial stabile o<strong>der</strong><br />

durch die Soziale <strong>Stadt</strong> stabilisierte Gruppen<br />

wan<strong>der</strong>n ab. Ökonomische Ressourcen zieht es<br />

ebenfalls aus dem <strong>Stadt</strong>teil, weil die Kaufkraft im<br />

Quartier fehlt. Dadurch entstehen weitere Abwertungsdynamiken,<br />

so dass das Quartier den Wohnanfor<strong>der</strong>ungen<br />

ressourcenstarker Milieus nicht<br />

(mehr) genügt (siehe Abb. 4). Dem Gegenüber ziehen<br />

immer wie<strong>der</strong> ressourcenschwache Gruppen


54<br />

Soziale <strong>Stadt</strong> - STATEMENT URBANLAB<br />

nach, weil sie nicht die Finanzkraft haben, um sich<br />

an<strong>der</strong>e Wohnansprüche zu erfüllen, o<strong>der</strong> weil sie<br />

als Geflüchtete die Nähe ihrer ethnischen Gruppe<br />

suchen. Auf diese Weise bleiben die Gebiete<br />

<strong>der</strong> Sozialen <strong>Stadt</strong> trotz aller Anstrengungen und<br />

stabiliserenden Maßnahmen Ankunftsstadtteil und<br />

Durchlauferhitzer. Das Programm Soziale <strong>Stadt</strong><br />

wird so zur Daueraufgabe.<br />

<strong>Die</strong> Bedeutung <strong>der</strong> heterogenen<br />

Zusammensetzung des Quartiers<br />

Der Blick auf die Effekte <strong>der</strong> sozialen Zusammensetzung,<br />

insbeson<strong>der</strong>e auf Kin<strong>der</strong> und Jugendliche,<br />

offenbart wirksame Hebel für die Programmgebiete<br />

<strong>der</strong> Sozialen <strong>Stadt</strong>. Zahlreiche negative<br />

Kreisläufe, die zu einer ständigen Erneuerung <strong>der</strong><br />

Konzentration von sozial schwachen Gruppen in<br />

einem <strong>Stadt</strong>teil geführt haben, könnten so unterbrochen<br />

werden (siehe Abb. 5).<br />

Um die benachteiligten <strong>Stadt</strong>teile mit an<strong>der</strong>en Milieus<br />

anzureichern, die die sozialen Netzwerke verän<strong>der</strong>n<br />

und die lokale Kaufkraft wie<strong>der</strong> erhöhen,<br />

müssen die Ansprüche an den Wohnraum dieser<br />

Milieus gewährleistet sein. Gerade im Moment besteht<br />

durch den anhaltenden Druck auf den Wohnungsmarkt<br />

ein enormes Potential, diese Wohnanfor<strong>der</strong>ungen<br />

auch erfolgreich in den Gebieten <strong>der</strong><br />

sozialen <strong>Stadt</strong> abzubilden. Als Exitstrategie bedarf<br />

es in <strong>der</strong> Folge gezielte investive Maßnahmen in<br />

differenzierte Wohnraumangebote. <strong>Die</strong> Evaluierungen<br />

des Programms haben gezeigt, dass die<br />

baulichen Investitionen bisher häufig entwe<strong>der</strong> in<br />

den öffentlichen Raum o<strong>der</strong> aber in die Hände <strong>der</strong><br />

großen Wohnungsbaugesellschaften geflossen<br />

sind. Quartiere mit einer kleinteiligeren Eigentümerstruktur<br />

haben bisher das Nachsehen. Dabei<br />

sind differenzierte Wohnraumangebote nicht nur<br />

wichtig, um neue Milieus zu etablieren, sie sind<br />

auch notwendig um Wohnkarrieren im <strong>Stadt</strong>teil zu<br />

ermöglichen und Bleibeperspektiven zu schaffen.<br />

<strong>Die</strong> Folge wäre eine sich nicht mehr so schnell<br />

verän<strong>der</strong>nde Nachbarschaft und hätte damit eine<br />

zusätzliche stabilsierende Wirkung.<br />

)) <strong>Die</strong> Verän<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> sozialen<br />

Zusammensetzung, als<br />

ursprünglichem Indikator für<br />

das Einleiten <strong>der</strong> För<strong>der</strong>kulisse,<br />

ist auch <strong>der</strong> Ausweg aus <strong>der</strong><br />

Daueraufgabe Soziale <strong>Stadt</strong>. ((<br />

Eine heterogenere soziale Zusammensetzung im<br />

Quartier bringt eine ganze Reihe von Effekten mit<br />

sich. <strong>Die</strong> Zusammensetzung <strong>der</strong> Schulklassen verän<strong>der</strong>t<br />

sich. <strong>Die</strong> Kaufkraft vor Ort steigt durch die neuen<br />

finanzkräftigeren Milieus. <strong>Die</strong> Heterogenität ermöglicht<br />

ein zufälliges Begegnen und Erfahren von Leuten<br />

ganz unterschiedlicher Kulturen und Lebensstile, was<br />

als Grundvorraussetzung für Integration, einer weiteren<br />

großen Aufgabe unserer Zeit, verstanden werden<br />

kann. <strong>Die</strong> Steuerung <strong>der</strong> sozialen Zusammensetzung<br />

über gezielte Angebote kann dabei helfen die Reproduktion<br />

von Armut einzudämmen und für ein Stück<br />

Chancengleichheit und einer Möglichkeit zur Teilhabe<br />

in den sozial schwachen Milieus sorgen. Und das dort<br />

wo bisher die Chancenungleichheit beginnt - im Frühkindesalter<br />

in <strong>der</strong> Grundschule.<br />

Um diese zu erreichen sind die Handlungsfel<strong>der</strong> <strong>der</strong><br />

Sozialen <strong>Stadt</strong> eine wichtige Grundvoraussetzung.<br />

Abb. 5: Wirkungszusammenhänge in heterogenen Quartieren (Cardinali)


<strong>Die</strong> stabilsierende Wirkung, die das Programm bis<br />

jetzt entfalten konnte, hilft dabei das Negativimage<br />

<strong>der</strong> <strong>Stadt</strong>teile abzustreifen und einen in <strong>der</strong> Außenwarhnehmung<br />

sicheren <strong>Stadt</strong>teil zu erzeugen. Damit<br />

bilden die Handlungsansätze <strong>der</strong> sozialen <strong>Stadt</strong> die<br />

Grundlage für die Etablierung vieler weiterer Milieus.<br />

Bisher hat es den Anschein, dass sich das Programm<br />

damit zufrieden gibt, die negativen Folgen einer sozialräumlichen<br />

Polarisierung einzudämmen, nicht aber<br />

die sozialräumliche Konzentration einzelner Gruppen<br />

an sich zu än<strong>der</strong>n. Während sich insbeson<strong>der</strong>e die<br />

Akteure auf <strong>der</strong> lokalen Ebene aufgrund <strong>der</strong> stabilisierenden<br />

Wirkung oft zufrieden zeigen, ist damit<br />

noch kein Ausweg aus <strong>der</strong> Daueraufgabe Soziale<br />

<strong>Stadt</strong> vorhanden. Eine Steuerungsmöglichkeit hierfür<br />

sind die Wohnanfor<strong>der</strong>ungen <strong>der</strong> einzelnen Gruppen.<br />

<strong>Die</strong> vorangegangenen Ausführungen haben gezeigt,<br />

dass vielfältige Effekte für Kin<strong>der</strong> und Jugendliche<br />

insbeson<strong>der</strong>e, aber auch für die lokale Versorgung<br />

zu erwarten sind. <strong>Die</strong> Soziale Durchmischung kann<br />

damit nicht die Armut verhin<strong>der</strong>n, doch lassen sich<br />

zahlreiche Hinweis ableiten, dass sie gegen die Repdroduktion<br />

von Armut wirken kann und damit dem<br />

Quartier als Armutsfalle entgegenwirkt.<br />

Hieraus folgernd kann es nicht nur die Aufgabe<br />

des freien Marktes sein, die Wohnungsnachfrage<br />

abzubilden. Insbeson<strong>der</strong>e durch aktive Eingriffe<br />

mit För<strong>der</strong>programmen wie <strong>der</strong> sozialen <strong>Stadt</strong>,<br />

aber auch mit dem sozialen Wohnungsbau für eine<br />

bessere Verteilung <strong>der</strong> Milieus im <strong>Stadt</strong>raum, kann<br />

auf die Zusammensetzung <strong>der</strong> Quartiere eingewirkt<br />

werden. Für die benachteiligten Quartiere,<br />

kann dies ein Ausweg, aus <strong>der</strong> Daueraufgabe Soziale<br />

<strong>Stadt</strong> sein. Wird dieser Hebel nicht genutzt,<br />

verschärft sich die sozialräumliche Segregation jedoch<br />

zwangsläufig durch das Angebot und Nachfrageprinzip<br />

des freien Wohnungsmarkts.<br />

B.A. Marcel Cardinali<br />

<strong>urbanLab</strong> - Koordination Forschung<br />

ist Mitglied im <strong>urbanLab</strong> an <strong>der</strong> Hochschule OWL und koordiniert dort<br />

als Wissenschaftlicher Mitarbeiter die Forschungs- und Projektarbeit.<br />

Bereits seit seiner mit dem Preis <strong>der</strong> <strong>Stadt</strong> Detmold ausgezeichneten<br />

Bachelorthesis „Netzwerk“ beschäftigt er sich mit den Auswirkungen<br />

von gebautem Raum auf die menschliche Umwelt und plädiert für<br />

eine soziale Architektur, die ihre Verantwortung für den menschlich<br />

geformten Lebensraum ernst nimmt. Neben seiner Tätigkeit im <strong>urbanLab</strong><br />

studiert er den Master Städtebau NRW in Köln.<br />

55<br />

Soziale <strong>Stadt</strong> - STATEMENT URBANLAB<br />

BMVBS, Bundesministerium für Verkehr, Bau und <strong>Stadt</strong>entwicklung (Hg) (2013): Gewalt und Kriminalprävention in <strong>der</strong> Sozialen <strong>Stadt</strong>.<br />

BMVBS-Online-Publikation 17/2013. Abrufbar unter: http://www.bbsr.bund.de/BBSR/DE/Veroeffentlichungen/BMVBS/Online/2013/DL_<br />

ON172013.pdf?__blob=publicationFile&v=2%20 (abgerufen am 17.03.<strong>2017</strong>)<br />

Baier, Dirk; Pfeiffer, Christian; Rabold, Susann; Simonson, Julia; Kappes, Cathleen (2010): Kin<strong>der</strong> und Jugendliche in Deutschland: Gewalterfahrungen,<br />

Integration, Medienkonsum. Zweiter Bericht zum gemeinsamen Forschungsprojekt des Bundesministeriums des Innern und des<br />

KFN. Hannover: Kriminologischen Forschungsinstitut Nie<strong>der</strong>sachsen e.V. (KFN).<br />

Elliott, Delbert S. / Menard, Scott / Rankin, Bruce / Elliott, Amanda / Wilson, William Julius / Huizinga, Davis (2006): Good Kids from<br />

Bad Neighborhoods. Successful Development in Social Context. Cambridge u.a.: Cambridge University Press<br />

Farwick, Andreas (2002): Segregierte Armut und soziale Benachteiligung. Empirische Befunde und theoretische Re exionen zum Einfluss von Wohnquartieren<br />

auf die Dauer von Sozialhilfebedürftigkeit. In: Mayr, Alois/Meurer, Manfred/ Vogt, Joachim (Hrsg.): <strong>Stadt</strong> und Region. Dynamik von Lebenswelten.<br />

Leipzig: Deutsche Gesellschaft für Geographie, S. 292-305<br />

Groos, Thomas (2015): Gleich und gleich gesellt sich gern. Zu den Folgen freier Grundschulwahl. Schriftenreihe Arbeitspapiere wissenschaftliche Begleitforschung<br />

„Kein Kind zurücklassen!“ von ZEFIR und Bertelsmann Stiftung, Band 5, Gütersloh<br />

Güntner, Simon (2006): Soziale <strong>Stadt</strong>politik: Policy-Making und Institutionalisierung. Dissertation. Berlin<br />

Güntner, Simon; Walther, Uwe-Jens (2013): Aufstieg und Fall <strong>der</strong> sozialen <strong>Stadt</strong>politik in Europa – Das Ende einer Ära? In: Kronauer, Martin;<br />

Siebel, Walter (Hg.): Polarisierte Städte. Soziale Ungleichheit als Herausfor<strong>der</strong>ung für die <strong>Stadt</strong>politik. Frankfurt am Main/ New-York, S. 287–308<br />

Häußermann, Hartmut / Siebel, Walther (2004): <strong>Stadt</strong>soziologie. Eine Einführung. Frankfurt am Main/ New York: Campus.<br />

Häußermann, Hartmut / Kronauer, Martin / Siebel, Walter (2004): <strong>Stadt</strong> am Rand. Armut und Ausgrenzung. In: ebd. (Hrsg.): An den Rän<strong>der</strong>n<br />

<strong>der</strong> Städte. Frankfurt am Main: Suhrkamp, S. 11- 40<br />

Schlack R, Hölling H (2007): Gewalterfahrungen von Kin<strong>der</strong>n und Ju- gendlichen im subjektiven Selbstbericht. Erste Ergebnisse aus dem<br />

Kin<strong>der</strong>- und Jugendgesundheitssurvey (KiGGS). Bundesgesundheitsbl-Gesundheitsforsch-Gesundheitsschutz 50: 819-826<br />

Schnur, Olaf (2008): Quartiersforschung im Überblick: Konzepte, Definitionen und aktuelle Perspektiven. In: Ebd. (Hrsg.): Quartiersforschung.<br />

Zwischen Theorie und Praxis. Wiesbaden: Verlag für Sozialwissenschaften, S. 19-51<br />

Sutherland, Edwin Hardin (1974): Criminology (9th ed.). Philadelphia: Lippincott.<br />

Varbelow, Dirk (2000): Aggressionen im Kin<strong>der</strong>- und Jugendalter. Marburg: Tectum Verlag<br />

Volkmann, Anne (2012): Quartierseffekte in <strong>der</strong> <strong>Stadt</strong>forschung und in <strong>der</strong> sozialen <strong>Stadt</strong>politik. <strong>Die</strong> Rolle des Raumes bei <strong>der</strong> Reproduktion<br />

sozialer Ungleichheit. Graue Reihe des Instituts für <strong>Stadt</strong>- und Regionalplanung, Technische Universität Berlin. Berlin


Benjamin Dally<br />

56<br />

Soziale <strong>Stadt</strong> - LAB OF THE REGION<br />

Lab of the Region: Detmold<br />

Je<strong>der</strong> ist willkommen. <strong>Stadt</strong>, Region, Wandel.<br />

Das Lab of the Region bringt Menschen aus <strong>der</strong> Region zusammen, die anpacken<br />

wollen: für mehr Nachhaltigkeit, in kleinen Projekten, konkret, vor Ort, zusammen<br />

mit an<strong>der</strong>en Begeisterten. An einem halben Tag haben die Teilnehmer<br />

des Labs die Möglichkeit, Projektideen vorzustellen, Mitstreiter zu finden und<br />

die Projektidee voranzubringen. 2016 führten die Peter Gläsel Stiftung und das<br />

<strong>urbanLab</strong> das Format zum zweiten Mal durch. Gleich mehrere realisierte Projekte<br />

sind aus dem Format entstanden.<br />

Impressionen (Cardinali)<br />

Das Format Lab of the Region wurde 2015 von <strong>der</strong><br />

Peter Gläsel Stiftung, dem Karmakonsum-Netzwerk<br />

und dem <strong>urbanLab</strong> entwickelt. Für die zweite<br />

Veranstaltung 2016 stieß noch das Institut für<br />

Kompetenzentwicklung (zukünftig: Institut für Wissenschaftsdialog)<br />

<strong>der</strong> Hochschule OWL hinzu. Das<br />

Lab dient <strong>der</strong> Vernetzung zu Projekten <strong>der</strong> nachhaltigen<br />

Entwicklung und ist als gemeinschaftlicher,<br />

offener Ideen- und Innovationsprozesses<br />

aufgesetzt, und kann somit als Vernetzungs- und<br />

Transferplattform für eine zukunftsfähige <strong>Stadt</strong>und<br />

Regionalentwicklung verstanden werden.<br />

Durchgeführt wurde die Veranstaltung immer in<br />

enger Anbindung an die „b-wusst“-Woche <strong>der</strong> Peter<br />

Gläsel Stiftung, die bereits bestehende lokale<br />

Nachhaltigkeitsinitiativen in Detmold und <strong>der</strong> Region<br />

sichtbar macht und damit anregt, im Rahmen<br />

des Lab of the Regions neue Initiativen zu starten.<br />

<strong>Die</strong> Veranstaltung ist als drei- bis vierstündiger<br />

Open-Space-Prozess aufgesetzt. Projektgruppen,<br />

die im Rahmen <strong>der</strong> Veranstaltung entstehen,<br />

werden durch das Veranstalterteam im folgenden<br />

Jahr kontinuierlich weiter bei <strong>der</strong> Umsetzung unterstützt.<br />

Das Konzept sieht vor „Nachhaltigkeitsinnovatoren“<br />

aus den Bereichen Zivilgesellschaft und „Social<br />

Entrepreneurs“ mit „Ermöglichern“ (Enabler)<br />

aus den Bereichen Politik, Wirtschaft und Finanzen<br />

im Detmol<strong>der</strong> Rathaus zusammen zu bringen.<br />

Je<strong>der</strong> Teilnehmer <strong>der</strong> Veranstaltung kann dabei<br />

sowohl Innovator wie auch Enabler sein: mit dem<br />

Beitragen einer Projektidee, als aktiver Unterstützer<br />

einer fremden Projektidee, mit Rat, Tat, Wissen,<br />

Kontakten o<strong>der</strong> einem Beitrag zur Finanzierung.<br />

Gesucht werden niedrigschwellige, kleine o<strong>der</strong><br />

auch mittelgroße Projekte zur Stärkung <strong>der</strong> Nachhaltigkeit<br />

in <strong>Stadt</strong> und Region. Das können Geschäftsideen,<br />

soziale Projekte o<strong>der</strong> künstlerische<br />

Interventionen sein: die Herstellung veganen Käses,<br />

Yogakurse für Flüchtlinge o<strong>der</strong> eine Lichtinstallation.<br />

Dabei ist das Lab of the Region auch eine inzwischen<br />

gerne genutzte Möglichkeit für öffentliche<br />

Verwaltungen, innovative Projektideen aufzunehmen,<br />

zu unterstützen o<strong>der</strong> selber Mitstreiter für die<br />

eigenen Ziele zu finden. In diesem Sinne wird die<br />

Veranstaltung dankenswerterweise aktiv von <strong>der</strong>


57<br />

Soziale <strong>Stadt</strong> - LAB OF THE REGION<br />

visuelles Protokoll (Cardinali)<br />

DIE REGION VERÄNDERN<br />

Sie wollen Ihre <strong>Stadt</strong> und Ihre Region lebenswerter,<br />

intelligenter, nachhaltiger o<strong>der</strong> schöner<br />

machen? Sie möchten Orte haben, die Sie<br />

begeistern, zum Lächeln o<strong>der</strong> zum Nachdenken<br />

bringen? Sie glauben, dass genau hier<br />

<strong>der</strong> richtige Ort ist um Ihre Produktidee voranzubringen,<br />

die unser Leben besser macht?<br />

Sie suchen Leute, mit denen Sie Verän<strong>der</strong>ung<br />

vorantreiben können?<br />

Das Lab of the Region ist das Labor für die<br />

<strong>Zukunft</strong> <strong>der</strong> <strong>Stadt</strong> Detmold und <strong>der</strong> Region.<br />

Bringen Sie Ideen mit o<strong>der</strong> unterstützen Sie<br />

die Ideen Ihrer Mitstreiter. Gemeinsam entwickeln<br />

wir kleine Projekte, die <strong>Stadt</strong> und<br />

Region Schritt für Schritt verän<strong>der</strong>n. Und das<br />

Lab of the Region-Netzwerk unterstützt Ihre<br />

Gruppe dabei, aus Ihren Ideen Realität werden<br />

zu lassen und Kontakte in <strong>Stadt</strong> und Region<br />

zu knüpfen.<br />

<strong>Stadt</strong> Detmold unterstützt, unter an<strong>der</strong>em konnte<br />

sie im Rathaus (2015) und in <strong>der</strong> <strong>Stadt</strong>halle (2016)<br />

durchgeführt werden.<br />

Mit dem Lab of the Region tragen die Projektpartner<br />

zur Vernetzung von Personen und Ideen in <strong>der</strong><br />

Region bei. Für das <strong>urbanLab</strong> ist das Format ein<br />

Beitrag zur sogenannten „Third Mission“ <strong>der</strong> Hochschule,<br />

indem sich <strong>der</strong> Forschungsschwerpunkt<br />

aktiv in die Gesellschaft einbringt und den beidseitigen<br />

Wissenstransfer zwischen Hochschule und<br />

Gesellschaft för<strong>der</strong>t. Es trägt darüber hinaus zur<br />

Vernetzung des <strong>urbanLab</strong> in <strong>der</strong> Region mit Verwaltungen,<br />

Institutionen und Zivilgesellschaft bei.<br />

In Kooperation mit <strong>der</strong><br />

AUSWAHL LAUFENDER ODER<br />

UMGESETZTER PROJEKTE<br />

• Detmol<strong>der</strong> Lastenrad (siehe Seite 28)<br />

• „Sitz!“ Sitzmöglichkeiten im öffentlichen<br />

Raum<br />

• Pfandbecherprojekt (Kreis Lippe/BUND)<br />

• Terra Preta-Kompostierung bei Yoga Vidya Bad<br />

Meinberg<br />

Kontakt:<br />

<strong>urbanLab</strong> / Hochschule OWL<br />

Projektkoordination Benjamin Dally<br />

benjamin.dally(at)hs-owl.de


?!


Wettbewerbsdokumentation<br />

Quartier<br />

<strong>der</strong> <strong>Zukunft</strong>


Prof. Oliver Hall, Marcel Cardinali<br />

60<br />

Ideen - QUARTIER DER ZUKUNFT<br />

Quartier <strong>der</strong> <strong>Zukunft</strong><br />

Offener studentischer Ideenwettbewerb<br />

Studierende aus den Studiengängen <strong>der</strong> Architektur, des Städtebaus und <strong>der</strong><br />

Landschaftsarchitektur waren aufgefor<strong>der</strong>t für eines von zwei ausgelobten<br />

Plangebieten in Bielefeld und Lippstadt ein Quartier zu entwerfen, welches den<br />

zukünftigen Herausfor<strong>der</strong>ungen gewachsen ist. Gefragt war ein Quartier <strong>der</strong><br />

<strong>Zukunft</strong>, welches ein überzeugendes Bild des zukünftigen Zusammenlebens<br />

in Vielfalt ermöglicht und dabei die großen gesellschaftlichen Verän<strong>der</strong>ungen<br />

unserer Zeit, wie den demografischen Wandel, die Verän<strong>der</strong>ungen in <strong>der</strong> Arbeitswelt<br />

und die vielerorts stark gestiegene Wohnungsnachfrage, mit berücksichtigt.<br />

<strong>Die</strong>ser herausfor<strong>der</strong>ten Aufgabe <strong>der</strong> Wohnungswirtschaft Ostwestfalen-Lippe<br />

und des <strong>urbanLab</strong> stellten sich Studierende aus ganz Deutschland<br />

und kamen zu bemerkenswerten Ergebnissen.<br />

Anlass<br />

In den nächsten Jahren zeichnen sich zahlreiche<br />

gesellschaftliche Verän<strong>der</strong>ungen und Herausfor<strong>der</strong>ungen<br />

ab, die sich unmittelbar auf den täglichen<br />

Lebensraum und damit auf alle Formen <strong>der</strong> Architektur<br />

auswirken. Zukünftige Quartiere müssen den<br />

allgegenwärtigen demografischen Wandel genauso<br />

berücksichtigen, wie die Verän<strong>der</strong>ungen in <strong>der</strong> Arbeitswelt<br />

durch ZeroEmission und Industrie 4.0. <strong>Die</strong> Urbanisierungswelle,<br />

aber auch <strong>der</strong> ressourcenschonende<br />

Verbrauch mit Land und Boden führen dabei zu einer<br />

immer größeren Verdichtung. Entsprechend wird es in<br />

den nächsten Jahren eine <strong>der</strong> drängendsten Aufgaben<br />

sein, angemessenen, dauerhaften Wohnraum bereitzustellen,<br />

<strong>der</strong> über eine hohe Dichte und Durchmischung<br />

und dennoch über eine ausreichende Wohnqualität verfügt.<br />

Und das nicht nur, aber auch für einen Großteil <strong>der</strong><br />

eine Million Geflüchteten die in 2015 zu uns gekommen<br />

sind. Zukünftige Quartiersentwicklungen stehen<br />

deswegen vor <strong>der</strong> Aufgabe geeignete Lösungen für<br />

die ausdifferenzierten Lebensstile und Kulturen auf<br />

engstem Raum anzubieten. Nicht zuletzt ist die europäische<br />

<strong>Stadt</strong> von morgen bereits heute weitgehend<br />

gebaut und erfor<strong>der</strong>t i.d.R. innovative und individuelle<br />

Lösungen für die genannten Herausfor<strong>der</strong>ungen im<br />

Bestand.<br />

<strong>Die</strong> dazu erfor<strong>der</strong>lichen Wohnungsbauaktivitäten<br />

und Weiterentwicklungen <strong>der</strong> gebauten <strong>Stadt</strong> können<br />

aus diesem Grund nicht nur den Metropolen<br />

überlassen, son<strong>der</strong>n müssen auch in Regionen wie<br />

Ostwestfalen Lippe, die durch kleinere Großstädte,<br />

Mittelstädte und ländliche Räume geprägt sind, getätigt<br />

werden.


Wettbewerbsaufgabe<br />

Erwartet wurde ein sensibler Umgang mit den städtebaulichen<br />

Anfor<strong>der</strong>ungen aus <strong>der</strong> Umgebung und<br />

einer möglichen höheren Verdichtung, sowie die<br />

Auseinan<strong>der</strong>setzung mit den Herausfor<strong>der</strong>ungen<br />

<strong>der</strong> Zuwan<strong>der</strong>ungsthematik und <strong>der</strong> Schaffung von<br />

erschwinglichen Wohnungen auch für weniger zahlungskräftige<br />

Haushalte, darunter jene die ihre Heimat<br />

wegen Krieg und Verfolgung verlassen haben.<br />

Bei <strong>der</strong> Entwicklung zukunftsgerichteter Quartiere<br />

waren die Belange von Alteingesessenen natürlich<br />

ebenso zu berücksichtigen, wie die <strong>der</strong> Zugewan<strong>der</strong>ten.<br />

Im besten Fall sollte ein Szenario entwickelt<br />

werden, in denen sich die verschiedensten Teile <strong>der</strong><br />

Gesellschaft als Teil einer Nachbarschaft fühlen und<br />

das Quartier als ihre Heimat anerkennen können.<br />

)) Der bundesweit ausgelobte<br />

studentische Ideenwettbewerb<br />

fragte nach nicht weniger, als<br />

einem überzeugendes Bild des<br />

zukünftigen sozialen Zusammenlebens<br />

in Vielfalt, welches durch ein<br />

stimmiges Gesamtkonzept<br />

unterlegt ist. ((<br />

Gefor<strong>der</strong>t war demnach ein Quartiers-Entwurf an<br />

<strong>der</strong> Schnittstelle von <strong>Stadt</strong>/Siedlung, Freiraum und<br />

Architektur, <strong>der</strong> zeigt wie zukünftig Menschen unterschiedlicher<br />

Herkunft, Milieuzugehörigkeit und<br />

sozialem Status zusammen wohnen und gemeinsam<br />

in einem Quartier leben können. <strong>Die</strong>s manifestiert<br />

sich nicht nur in guten auf die jeweiligen Bedürfnisse<br />

zugeschnittenen Wohnungsgrundrissen<br />

son<strong>der</strong>n auch im wohnungsnahen und quartiersbezogenen<br />

Freiraum, in <strong>der</strong> klugen Anordnung von<br />

Gemeinbedarfseinrichtungen und Begegnungsräumen,<br />

sowie intelligenten Mobilitätsangeboten, insbeson<strong>der</strong>e<br />

wenn eigene PKWs nicht zur Verfügung<br />

stehen. Ziel sind modellhafte und visionäre Konzepte<br />

zu Quartieren <strong>der</strong> <strong>Zukunft</strong>, die den unterschiedlichen<br />

Lebensstilen und -modellen <strong>der</strong> genannten<br />

Zielgruppen gerecht werden, und Ideen für lebenswerte<br />

Quartiere einer sich än<strong>der</strong>nden Gesellschaft<br />

kreieren.<br />

<strong>Die</strong> Standorte<br />

<strong>Die</strong> Wettbewerbsaufgabe berücksichtigte dabei<br />

die unterschiedlichen Anfor<strong>der</strong>ungen <strong>der</strong> Region<br />

und war in zwei unterschiedlichen städtebaulichen<br />

Situationen verortet. <strong>Die</strong> vorgeschlagenen<br />

Standorte <strong>der</strong> Wohnungswirtschaft OWL zeigen<br />

exemplarisch die Bandbreite <strong>der</strong> Standorte und<br />

verdeutlichen den vielfältigen und komplexen<br />

Handlungsdruck unter dem die Wohnungsbaugesellschaften<br />

aufgrund <strong>der</strong> aktuellen gesellschaftlichen<br />

Verän<strong>der</strong>ungsprozesse stehen.<br />

Bielefeld - Altenhagen:<br />

Das Quartier Brockeiche wurde 1956 gebaut<br />

und beinhaltet 66 Wohneinheiten, die bislang<br />

auf wenige Grundrisstypen beschränkt sind. Mit<br />

einer durchschnittlichen Kaltmiete von 4,88€/<br />

m 2 gehört das 3376m 2 große Areal bislang zu<br />

einem <strong>der</strong> günstigsten Wohnstandorte in Bielefeld.<br />

Neuen Aufschwung erhält das Quartier und<br />

<strong>der</strong> ganze <strong>Stadt</strong>teil Milse/Altenhagen nun durch<br />

die Verlängerung <strong>der</strong> <strong>Stadt</strong>bahnlinie 2. <strong>Die</strong> neue<br />

Endhaltestelle liegt in fußläufiger Entfernung und<br />

bietet auch für das Quartier an <strong>der</strong> Brockeiche<br />

nach 60 Jahren das Potential zur Weiterentwicklung.<br />

Bislang sind die Wohnungen überwiegend<br />

an 1-Personenhaushalte vermietet. Es gibt <strong>der</strong>zeit<br />

nur wenige Wohnungen die an zwei Personen<br />

vermietet sind. In diesen Fällen handelt es<br />

sich stets um alleinerziehende Eltern mit einem<br />

Kind. Das direkte Wohnumfeld ist dagegen geprägt<br />

von Ein- bis Zweifamilienhäusern, die überwiegend<br />

in eigener Nutzung sind. Als typisches<br />

und tausendfach anzutreffendes monofunktionales<br />

Quartier <strong>der</strong> Nachkriegszeit stellt sich immer<br />

drängen<strong>der</strong> die Frage, wie dieser Art von Wohnraum<br />

langfristig in Wert gesetzt werden kann.<br />

61<br />

Ideen - QUARTIER DER ZUKUNFT


62<br />

Ideen - QUARTIER DER ZUKUNFT<br />

Lippstadt - Kernstadt:<br />

Das Areal <strong>der</strong> <strong>Stadt</strong>verwaltung/Feuerwehr liegt in <strong>der</strong><br />

östlichen Kernstadt Lippstadts und ist etwa 6 ha groß.<br />

Der Vertiefungsbereich des Plangebietes mit dem<br />

Hauptgebäude <strong>der</strong> <strong>Stadt</strong>verwaltung und <strong>der</strong> Feuerwehr<br />

umfasst ca. 2,5 ha. <strong>Die</strong> zahlreichen öffentlichen<br />

Gebäude <strong>der</strong> <strong>Stadt</strong>verwaltung und perspektivisch <strong>der</strong><br />

Feuerwehr inklusive <strong>der</strong> Stellplatzanlagen stehen durch<br />

einen potentiellen Neubau an an<strong>der</strong>er Stelle für eine<br />

Überplanung zur Verfügung. So ergeben sich günstige<br />

Flächen für eine Neubebauung, Nachverdichtung und<br />

Umnutzung.<br />

Das Gebiet zeichnet sich durch eine vielfältige, kleinteilige<br />

Nutzungsmischung aus. Es ist geprägt durch<br />

Gastronomie, gewerbliche Nutzungen, Wohnen (ca.<br />

80 Wohneinheiten), Einzelhandel, öffentliche Gebäude<br />

sowie Freiflächen und bietet sich daher für ein „Urbanes<br />

Mischgebiet“ mit verdichtetem Wohnungsbau an.<br />

Durch die Lage des Areals ergeben sich mehrere<br />

Möglichkeiten <strong>der</strong> Einbindung in das Umfeld. So<br />

liegt die Haupteinkaufsstraße nur 200m entfernt<br />

zum Plangebiet. Auch <strong>der</strong> Hauptbahnhof/ZOB ist<br />

mit einer Entfernung von 300m schnell zu erreichen,<br />

sodass eine gute Anbindung an den öffentlichen<br />

Nah- und Fernverkehr gesichert ist. <strong>Die</strong> Nähe zur<br />

Grünanlage „Grüner Winkel“ wertet die Lage des<br />

Quartiers weiter auf.<br />

<strong>Die</strong> Studierenden konnten ihrer Kreativität und<br />

ihren innovativen Lösungen in Lippstadt und Bielefeld<br />

freien Lauf lassen. Dabei spiegelte das<br />

Plangebiet in Lippstadt eine Innenstadtrandlage<br />

wie<strong>der</strong>, die durch eine anstehende Nutzungsän<strong>der</strong>ung<br />

nun weitestgehend frei überplant werden<br />

konnte, was die Studierenden jedoch nicht davon<br />

abhielt Teile des vorhandenen Bestands als identitätsstiftende<br />

Struktur mit in das neue Quartier zu<br />

integrieren.<br />

Dem gegenüber hatten die Studierenden in Bielefeld<br />

Altenhagen die Möglichkeit innovative Lösungen<br />

zu entwickeln um bestehende Strukturen zukunftsfähig<br />

zu machen. <strong>Die</strong> überwiegend homogene<br />

Wohnstruktur <strong>der</strong> bis dato suburbanen Siedlung am<br />

<strong>Stadt</strong>rand ist seit kurzer Zeit durch einen neuen<br />

<strong>Stadt</strong>bahnanschluss mit <strong>der</strong> Innenstadt verbunden<br />

und bietet den nötigen Impuls zur Weiterentwicklung<br />

des <strong>Stadt</strong>teils.<br />

<strong>Die</strong> innovativen Lösungen <strong>der</strong> Studenten<br />

Im April traf sich in Lippstadt ein hochkarätig besetztes<br />

Preisgericht aus Vertretern <strong>der</strong> Wohnungswirtschaft,<br />

<strong>der</strong> beteiligten Städte sowie aus Vertretern<br />

<strong>der</strong> Hochschul- und Planungspraxis, um aus<br />

den etwa fünfzig anonym eingereichten Arbeiten<br />

die Siegerentwürfe auszuwählen. <strong>Die</strong> Entscheidungsfindung<br />

fiel durchaus schwer, am Ende verteilten<br />

sich die Preise und Anerkennungen auf Studierende<br />

<strong>der</strong> Hochschulen aus Dortmund, Hamburg,<br />

Detmold und Koblenz.<br />

Für Lippstadt zeigen die Entwürfe <strong>der</strong> Studierenden<br />

so nah an <strong>der</strong> Innenstadt eine erwartet hohe Dichte.<br />

<strong>Die</strong> Arbeiten durchmischen Wohnungsgrößen<br />

und bieten meist im Erdgeschoss vielfältige <strong>Die</strong>nstleistungsangebote<br />

an. Dabei greifen sie oft auf<br />

Blockstrukturen zurück, die trotz <strong>der</strong> hohen Dichte<br />

geeignet sind, private Rückzugsräume zu ermöglichen.<br />

Auch in die Höhe werden fleißig Nutzungen<br />

gestapelt. Exemplarisch ist hier die Arbeit Vielfalt<br />

(er)leben (S. 64), die eine schlüssige städtebauliche<br />

Figur mit hoher Dichte wählt, die gleichzeitig die<br />

Vernetzung mit mit Natur und Landschaft ermöglicht,<br />

so dass ein insgesamt attraktives Wohnumfeld<br />

entsteht, welches alle Bedürfnisse des Alltags - von<br />

Besorgungen, bis zu Spaziergängen mit Kind und/<br />

o<strong>der</strong> Hund bewältigen kann.<br />

Dabei sind klassische Blockformen bei manch an<strong>der</strong>en<br />

Arbeiten nicht das Mittel <strong>der</strong> Wahl. Insbeson<strong>der</strong>e<br />

die Arbeit EW Quartier (S. 70) erschafft innovative Gemeinschaftliche<br />

Räume, die zur Diskussion anregen.<br />

Sie provozieren und verlangen Gemeinschaft und lassen<br />

ein ganz an<strong>der</strong>es Zusammenleben vor dem geistigen<br />

Auge entstehen.<br />

Dabei drängt sich spästestens die Frage auf, ob die<br />

verschiedenen Gruppen und Milieus überhaupt zusammen<br />

wohnen und leben wollen. Ein Blick auf die<br />

<strong>der</strong>zeitige Situation in den Städten zeigt eine natürliche<br />

residentielle Segregation, die zwar größtenteils


63<br />

auf marktwirtschaftliche Gesetzmäßigkeiten zurückzuführen<br />

ist, aber nicht nur. Nicht je<strong>der</strong> möchte mit jedem<br />

zusammen leben. <strong>Die</strong>sem Aspekt widmet sich die<br />

Arbeit Neo-Agora (S. 74), die eine Gesamtlösung entwickelt,<br />

die gezielt verschiedene Milieus in einer solidarischen<br />

Baugemeinschaft zusammenbringt. Durch<br />

das Solidarprinzip werden die Teilnehmer je nach Einkommen<br />

unterschiedlich stark belastet, so dass auch<br />

finanzschwächere Milieus den Zugang zu solchen,<br />

ihnen sonst verschlossenen Baugemeinschaften, erhalten.<br />

Auch <strong>der</strong> Frage <strong>der</strong> Ablesbarkeit von Armut<br />

widmen sich die Studierenden. Sie schlagen vor, die<br />

Außengestaltung <strong>der</strong> Fassaden einheitlich zu gestalten<br />

und nur den Innenausbau in unterschiedlichen<br />

Standards anzubieten.<br />

Einen weiteren wichtigen Aspekt liefert die bis ins<br />

Detail durchdachte Arbeit <strong>der</strong> Wettbewerbssieger<br />

Kleine Experimente in Lippstadt (S. 60). Mit ihrem<br />

sehr gut ausgearbeiteten Entwurf und insbeson<strong>der</strong>e<br />

ihrem Prozess einer geleiteten selbstgemachten<br />

<strong>Stadt</strong>, ermöglichen sie den Nutzern selbst ihre<br />

Nachbarschaft zu gestalten. In einer Zeit, in <strong>der</strong> immer<br />

mehr Beteiligung und Selbstbestimmung gefor<strong>der</strong>t<br />

wird, ein nicht zu unterschätzen<strong>der</strong> Faktor für<br />

zukünftige Quartiere.<br />

<strong>Die</strong> Bestandsituation in Bielefeld führte bei den Studierenden<br />

zu an<strong>der</strong>en Ansätzen. Einig waren sich die<br />

allermeisten Beiträge, das nahe <strong>der</strong> Endhaltestelle ein<br />

zentraler <strong>Stadt</strong>teilplatz als neuer Treff- und Identifikationspunkt<br />

entstehen sollte, den Altenhagen bisher nicht<br />

hat. <strong>Die</strong> Arbeit Zwischenräume (S. 72) zeigt außerdem<br />

exemplarisch zwei vielversprechende Ansätze für die<br />

Zeilenbauten im Bestand, indem sie einerseits durch<br />

das Hinzufügen einzelner Winkelelemente Räume bildet,<br />

die die Ablesbarkeit und die Aufenthaltsqualität<br />

<strong>der</strong> Freiräume deutliche erhöhen kann. An<strong>der</strong>erseits<br />

bedient sie sich architektonischer Hochpunkte in den<br />

einzelnen Quartieren, die sich nicht nur in <strong>der</strong> Höhe<br />

son<strong>der</strong>n auch in ihrer Materialität unterscheiden, so<br />

dass, in Anlehnung an Kirchen, gemeinschaftlich nutzbare<br />

Räume entstehen, die die Identifikation und die<br />

Nachbarschaft im Quartier verbessern.<br />

Preisverleihung Mai <strong>2017</strong> <strong>Stadt</strong>entwicklungstage Bielefeld (fotogen, Meik Schulz)<br />

Und jetzt?<br />

Das <strong>urbanLab</strong>, die Wohnungswirtschaft Ostwestfalen-Lippe<br />

und die beteiligten Kommunen sind sich einig:<br />

Das war ein Erfolg. <strong>Die</strong> vielfältigen Lösungsansätze<br />

zeigen einmal mehr warum Wettbewerbsverfahren zum<br />

guten Ton in <strong>der</strong> Planung gehören. <strong>Die</strong> große Bandbreite<br />

an Ansätzen und Lösungswegen ergeben zusammen<br />

mit den Aspekten, die immer wie<strong>der</strong> auftauchen, den<br />

Weg zur Weiterentwicklung <strong>der</strong> Quartiere vor. Sie sind<br />

das Fundament für weitere Diskussionen und erschaffen<br />

komplexe Raumbil<strong>der</strong>, die weiterentwickelt werden<br />

wollen. Immer an <strong>der</strong> Frage ausgerichtet, wie wollen wir<br />

in <strong>Zukunft</strong> - angesichts unserer bestehenden Städte<br />

und <strong>der</strong> <strong>der</strong>zeitigen Verän<strong>der</strong>ungen - wohnen?<br />

Nicht zuletzt durch die positiv entschiedene Regionale<br />

Bewerbung 2022 für unsere Region, besteht nun aus<br />

Sicht <strong>der</strong> Wohnungswirtschaft und des <strong>urbanLab</strong> die<br />

Chance etwas Neues zu wagen und auch umzusetzen.<br />

Wir freuen uns darauf die Ideen weiterzuentwickeln!<br />

Vorbereitung, Koordination und Dokumentation:<br />

In Kooperation mit <strong>der</strong><br />

Kontakt:<br />

<strong>urbanLab</strong> / Hochschule OWL<br />

Projektkoordination Marcel Cardinali<br />

marcel.cardinali(at)hs-owl.de<br />

Ideen - QUARTIER DER ZUKUNFT


64<br />

Ideen - QUARTIER DER ZUKUNFT<br />

Jakob Langner, Philipp Kuhlenkötter,<br />

Timon Schwafert, Mattia de Virgilio (TU Dortmund, Master Raumplanung)<br />

Kleine Experimente in Lippstadt<br />

1. Platz - 1.100 Euro Preisgeld<br />

Entwurfsszenario<br />

Beurteilung des Preisgerichtes<br />

<strong>Die</strong> Verfasser gehen von einem vollkommen an<strong>der</strong>en<br />

Planungs- und Umnutzungsprozess aus und erhalten<br />

so zunächst den Bestand. Sie zeigen mit ihrem innovativen<br />

Beitrag eine Entwicklung unter starker Beteiligung<br />

<strong>der</strong> Betroffenen, die ein plausibles Bild einer<br />

nutzergetragenen Transformation des Plangebiets entwirft.<br />

Das tragfähige und nachvollziehbare Konzept als<br />

Raumlabor wird begrüßt. Hervorzuheben ist die Nachvollziehbarkeit<br />

des komplexen Transformationsprozesses.<br />

In gelungenen Plandarstellungen werden Raumbil<strong>der</strong><br />

erzeugt, die Impulse für die Debatte um mögliche<br />

neue Quartiersentwürfe bieten. <strong>Die</strong> entstehende architektonische<br />

Vielfalt im Entwurfsszenario erscheint angemessen<br />

für den Standort und bietet vielfältige Nutzungsmöglichkeiten.<br />

Das Mobilitätstool als Bestandteil<br />

des Konzepts wird ebenfalls begrüßt erscheint aber in<br />

seiner Wirkung zu optimistisch.<br />

Ebenen <strong>der</strong> Quartiersgesellschaft


65<br />

Ideen - QUARTIER DER ZUKUNFT<br />

Städtebaulicher Entwurf o.M:


66<br />

Ideen - QUARTIER DER ZUKUNFT<br />

Perspektive Begegnungsort am Kletterturm<br />

Perspektive Begegnungsort Baumscheibenpark


67<br />

Ideen - QUARTIER DER ZUKUNFT<br />

Prinzipgrundrisse Vertiefungsbereich


Julia Tesch (TU Dortmund, Master Raumplanung)<br />

68<br />

Ideen - QUARTIER DER ZUKUNFT<br />

Vielfalt (er)leben<br />

1. Platz - 1.100 Euro Preisgeld<br />

Städtebaulicher Entwurf o.M.<br />

Städtebaulicher Entwurf o.M:


Beurteilung des Preisgerichtes<br />

Der Entwurf erzeugt mittels klarer und präziser Gestaltungsstrukturen<br />

ein verdichtetes und nutzungsgemischtes<br />

Quartier. Durch die Ausbildung zweier Achsen<br />

mit durchdachten Dichten und Nutzungsprofilen<br />

entsteht ein Quartiersplatz im Achsenkreuz <strong>der</strong> in seiner<br />

Dimension und Ausprägung auch durch die baulich<br />

gesetzten Hochpunkte für den Standort angemessen<br />

erscheint. <strong>Die</strong> klare städtebauliche Figur schafft im Vertiefungsbereich<br />

vier Blöcke, die baulich unterschiedlich<br />

gefasst sind. <strong>Die</strong> erzeugten gemeinschaftlichen Höfe<br />

erzeugen ein plausibles Bild von Begegnungsräumen<br />

in <strong>der</strong> Nachbarschaft und eine angemessene Trennung<br />

zwischen öffentlichen und privaten Räumen. <strong>Die</strong> Fortführung<br />

<strong>der</strong> städtebaulichen Gestaltungsstrukturen<br />

über das Vertiefungsgebiet hinaus ist gelungen und<br />

erzeugt eine harmonische Einpassung in den <strong>Stadt</strong>körper.<br />

Modellfoto<br />

69<br />

Ideen - QUARTIER DER ZUKUNFT


70<br />

Ideen - QUARTIER DER ZUKUNFT<br />

Perspektive Quartiersplatz


71<br />

Ideen - QUARTIER DER ZUKUNFT<br />

Vertiefungsbereich o.M.


Jannik Cirkusch, Max Glaser, Joel Prang, Pia Sophie Schwanenberg,<br />

Mette Siedler, Lennart Werblow (HCU Hamburg, Bachelor <strong>Stadt</strong>planung)<br />

72<br />

Ideen - QUARTIER DER ZUKUNFT<br />

Quartier Feuerwache<br />

2. Platz - 850 Euro Preisgeld<br />

Perspektive Platz an <strong>der</strong> Feuerwache<br />

Beurteilung des Preisgerichtes<br />

<strong>Die</strong> Arbeit entspricht konzeptionell dem Ziel des Bildes<br />

eines zukünftigen sozialen Lebens in Vielfalt. <strong>Die</strong> räumliche<br />

Integration auch unter Berücksichtigung <strong>der</strong> höheren<br />

Verdichtung ist gelungen und för<strong>der</strong>t vermutlich<br />

die zu lösenden Fragen aufgrund <strong>der</strong> Zuwan<strong>der</strong>ungsthematik.<br />

<strong>Die</strong> vorgeschlagenen Architekturformen lassen<br />

die Entwicklung von erschwinglichem Wohnraum<br />

zu. Der Entwurf fügt sich angemessen in die Umgebung<br />

ein und bereichert auch das Quartiersumfeld<br />

durch zusätzliche Angebote und Begegnungsmöglichkeiten.<br />

Insbeson<strong>der</strong>e die Einbindung des Grünen Winkels<br />

im Norden des Plangebiets wird begrüßt und verbindet<br />

das Quartier plausibel mit den nahegelegenen<br />

Naherholungsmöglichkeiten. <strong>Die</strong> Fragen <strong>der</strong> Mobilität<br />

werden plausibel, aber konventionell gelöst. Insgesamt<br />

wird die Arbeit als plausible städtebauliche Antwort auf<br />

die Anfor<strong>der</strong>ungen in Lippstadt gewürdigt<br />

Aktionsflächen o.M.


73<br />

Ideen - QUARTIER DER ZUKUNFT<br />

Städtebaulicher Entwurf o.M.<br />

Prinzipschnitt o.M.


Carina Fahl, Anna Holthenrich (HS OWL, Master Architektur)<br />

74<br />

Ideen - QUARTIER DER ZUKUNFT<br />

EW Quartier<br />

3. Platz - 600 Euro Preisgeld<br />

Perspektive<br />

Beurteilung des Preisgerichte<br />

Der Entwurf besticht durch seine städtebauliche Struktur,<br />

die die grenzgenau zonierten Freiflächen zugunsten<br />

von Allmen<strong>der</strong>äumen und Gemeinschaftsflächen weitestgehend<br />

aufgibt und damit einen diskussionswürdigen<br />

Beitrag zur Leitfrage des Wettbewerbs leistet. <strong>Die</strong><br />

Erdgeschosslagen sind überwiegend als Produktionsund<br />

Verkaufsflächen vorgesehen und bieten damit<br />

Raum für StartUps und PopUp Stores, die zusammen<br />

mit Angeboten für kleine Produktionsbetriebe ein urban<br />

manufacturing ermöglichen und damit den öffentlichen<br />

Raum beleben. Kritisch diskutiert wird, ob die<br />

angestrebte Durchmischung und Urbanität sichergestellt<br />

werden kann, ohne genauer festzulegen, welche<br />

Art von gewerblicher Nutzung an welcher Stelle möglich<br />

ist. Insgesamt wird die vorgeschlagene Struktur<br />

als komplexes Zusammenspiel zwischen öffentlichen<br />

und gemeinschaftlichen, wie privaten Räumen begrüßt,<br />

dass insbeson<strong>der</strong>e eine detaillierte Aufbereitung möglicher<br />

Grundrisse liefert. <strong>Die</strong> Bearbeitung <strong>der</strong> öffentlichen<br />

Räume und Freiräume, sowie die Einbindung in<br />

das Umfeld ist hingegen nicht in gleicher Qualität ausgearbeitet.<br />

Prinzipgrundrisse Vertiefungsbereich o.M.


75<br />

Nutzungen<br />

Ideen - QUARTIER DER ZUKUNFT<br />

Städtebaulicher Entwurf o.M.<br />

Prinzipschnitt o.M.


Eva Reidl, Dorina Kranzmann (HS OWL, Bachelor <strong>Stadt</strong>planung)<br />

76<br />

Ideen - QUARTIER DER ZUKUNFT<br />

ZWISCHENRÄUME - Sozial. Nachhaltig. Flexibel.<br />

3. Platz - 600 Euro Preisgeld<br />

Perspektive Ankunftsplatz<br />

Beurteilung des Preisgerichtes<br />

<strong>Die</strong> Arbeit „Zwischenräume“ geht von <strong>der</strong> Grundannahme<br />

aus, dass bei <strong>der</strong> Gestaltung eines zukunftsfähigen<br />

Quartiers den Kriterien Flexibilität, Nachhaltigkeit und<br />

soziale Ausformung gleichermaßen Rechnung zu tragen<br />

ist und entwickelt im Entwurf diese zentralen Aspekte<br />

einer nachhaltigen <strong>Stadt</strong>entwicklung zu einem<br />

grundsätzlich überzeugenden Gesamtbild. Der landschaftliche<br />

Rahmen am Bielefel<strong>der</strong> <strong>Stadt</strong>rand sowie<br />

die vorhandene Umgebungsbebauung werden sinnvoll<br />

aufgegriffen und unter den vorgenannten Prämissen<br />

nachvollziehbar weiterentwickelt. Wesentlicher Schwerpunkt<br />

sowohl des Neubaus wie <strong>der</strong> mo<strong>der</strong>nisierten und<br />

baulich ergänzten Bestandsgebäude ist die Schaffung<br />

von funktionierenden Nachbarschaften in den Zwischenräumen.<br />

<strong>Die</strong> MitMachHäuser als bauliche Hochpunkte<br />

wirken identitäts- und gemeinschaftsbildend<br />

und können überzeugen. Das Quartier Brockeiche erscheint<br />

in seiner angestrebten sozialen Durchmischung<br />

plausibel und grundsätzlich baulich umsetzbar, auch<br />

wenn die konkrete Grundrissumsetzung nur angedeutet<br />

wird. Zur Reduzierung des Individualverkehrs wird<br />

ein reduzierter Stellplatzschüssel von 0,4 angenommen.<br />

Eine konkrete Ausgestaltung <strong>der</strong> verkehrlichen<br />

Erschließung im Vertiefungsbereich bleibt lei<strong>der</strong> offen.<br />

Prinzipgrafik o.M.


77<br />

Ideen - QUARTIER DER ZUKUNFT<br />

Prinzipgrundrisse Vertiefungsbereich o.M.<br />

Prinzipgrafik o.M.<br />

Städtebaulicher Entwurf o.M.<br />

Prinzipschnitt


Jan Belger, Irina Oshkai, Verena von Ohlen, Thorsten Walper (HS OWL, Bachelor <strong>Stadt</strong>planung)<br />

78<br />

Ideen - QUARTIER DER ZUKUNFT<br />

Neo-Agora<br />

Anerkennung - 250 Euro Preisgeld<br />

Prinzipgrafiken


Beurteilung des Preisgerichtes<br />

Der Entwurf Neo Agora hat sich <strong>der</strong> Inklusion und<br />

dem gemeinschaftsbasierten Zusammenleben von<br />

Menschen unterschiedlicher kultureller und sozialer<br />

Herkunft verschrieben. Vor diesem Hintergrund erscheint<br />

die räumlich-funktionale Geschossausbildung,<br />

wie auch die Freiraumgestaltung mit einer plausiblen<br />

Mischung von öffentlichen, gemeinschaftlichen und privaten<br />

Räumen angemessen. <strong>Die</strong> Stärke des Entwurfs<br />

Neo Agora liegt in <strong>der</strong> konsequenten Ausformulierung<br />

eines gemeinwohlorientierten Wohnungs- und Städtebaus.<br />

<strong>Die</strong> innovative Projektentwicklung mit einem<br />

Anteil von 40% Sozialwohnungen basiert auf einem<br />

abgewandelten Baugruppenprinzip, welches das erfor<strong>der</strong>liche<br />

Finanz- und Sozialkapital mobilisieren soll<br />

kann grundsätzlich überzeugen. Es wird jedoch darauf<br />

hingewiesen, dass für eine Realisierung ein hohes Maß<br />

an kommunalen und bürgerschaftlichen Engagements<br />

notwendig erscheint. <strong>Die</strong> Höhenentwicklung, Dichte<br />

und Zahl <strong>der</strong> Wohneinheiten ist dem städtebaulichen<br />

Kontext angemessen. <strong>Die</strong> introvertierte Anmutung des<br />

Entwurfs erscheint hingegen kontraproduktiv für die<br />

Einbindung in die Gesamtstadt. Auch die Fragen <strong>der</strong><br />

Perspektive zentraler Platz<br />

79<br />

Ideen - QUARTIER DER ZUKUNFT<br />

städtebaulicher Entwurf o.M.


Jektaria Balles, Galina Heimbuch, EmineYercel-Yasar (HS Koblenz, Master Bauwesen-Architektur)<br />

80<br />

Ideen - QUARTIER DER ZUKUNFT<br />

Quartier Plus<br />

Anerkennung - 250 Euro Preisgeld<br />

Perspektive URBANE Achse<br />

Beurteilung des Preisgerichtes<br />

Der Entwurf basiert sowohl auf einer Mischung von<br />

stadträumlichen und quartierstypischen Funktionen, als<br />

auch privater Flächen im Verhältnis zu teilöffentlichem<br />

und öffentlichem Raum. <strong>Die</strong> Freiraumachse welche<br />

das Gebiet von Süd nach Nord durchzieht und in einer<br />

neuen Brücke über die Lippe seine konsequente Fortsetzung<br />

findet, hat städtebauliches Potential und wird<br />

ausdrücklich begrüßt. <strong>Die</strong> urbane Achse von West (aus<br />

<strong>der</strong> Altstadt kommend) nach Ost findet in einem neuen<br />

Quartiersplatz im Kreuzungspunkt <strong>der</strong> Nord-Südachse<br />

seinen Endpunkt. Ob die hier angedachten Funktionen<br />

ausreichen werden, den Platz zu einem zentralen<br />

Punkt des neuen <strong>Stadt</strong>quartiers auszuprägen, wird angezweifelt.<br />

Der Entwurf sieht ein komplett autofreies<br />

engeres Plangebiet vor und schlägt ein Turm Schacht<br />

System im Nord Westen vor um den Stellplatzbedarf<br />

im Quartier abzubilden. Das Preisgericht stellt in Frage,<br />

ob diese Form für die Größe des Quartiers geeignet ist.<br />

<strong>Die</strong> Anmutung <strong>der</strong> gewählten Gebäudetypologie orientiert<br />

sich im Wesentlichen an bekannte städtebauliche<br />

Muster einer Mittelstadt wie Lippstadt und passt sich<br />

maßstäblich in die Umgebung ein. <strong>Die</strong> Innovationskraft<br />

des Beitrages könnte stärker herausgestellt werdendennoch<br />

würdigt das Preisgericht die Arbeit als gute<br />

städtebauliche Antwort.<br />

Prinzipgrafiken


81<br />

Prinzipgrafiken<br />

Perspektive Innenhof<br />

Ideen - QUARTIER DER ZUKUNFT<br />

städtebaulicher Entwurf o.M.<br />

Prinzipschnitt o.M.


Jan-Hendrik Kühn, Henning Verst (HS OWL, Bachelor Architektur)<br />

82<br />

Ideen - QUARTIER DER ZUKUNFT<br />

Quartier am alten Feuerwehrturm<br />

Anerkennung - 250 Euro Preisgeld<br />

städtebaulicher Entwurf o.M.<br />

Freiraumvernetzung+Grünflächen o.M.<br />

Straßen+Wege o.M.


Preisgerichtsurteil<br />

Das städtebauliche Konzept sieht eine Teilung des Bearbeitungsgebietes<br />

in vier Teilflächen vor und erreicht<br />

so eine adäquate Maßstäblichkeit und einen fließenden<br />

Übergang zur näheren Umgebung. Dabei werden zwei<br />

Quartiersachsen ausgebildet. <strong>Die</strong> Nord-Süd-Achsewird<br />

entlang <strong>der</strong> nördlich angrenzenden Fläche bis zum<br />

Flusslauf weiterentwickelt und konsequent als Brücke<br />

über die Lippe geführt. <strong>Die</strong> Anbindung des „Grünen<br />

Winkels“ wird begrüßt. <strong>Die</strong> West-Ost-Achse mündet<br />

in den trapezförmigen Quartiersplatz, <strong>der</strong> durch einenfünfgeschossigen<br />

Kopfbau abgeschlossen wird. <strong>Die</strong><br />

denkmalgeschützte Bausubstanz <strong>der</strong> alten Feuerwache<br />

wird erhalten und bildet mit einem verlängerndem<br />

Ergänzungsbau die prägende Nordseite des Platzes.<br />

Der Kreuzungspunkt <strong>der</strong> beiden Achsen wird durch<br />

überhöhte Eckgebäude markiert. Dabei glie<strong>der</strong>t sich<br />

<strong>der</strong> alte Schlauchturm in das neue Quartier ein und<br />

bleibt als Identitätsmerkmal erhalten. Bemängelt wird,<br />

dass das denkmalgeschützte Gebäude im südlichen<br />

Teil des Quartiers nicht in <strong>der</strong> Neukonzeption berücksichtigt<br />

wurde. <strong>Die</strong> vertiefende Bearbeitung zeigt eine<br />

nachvollziehbare Aufteilung in einzelne Nutzungseinheiten,<br />

wobei die Antworten zu den Anfor<strong>der</strong>ungskriterien<br />

Integration und Vielfalt nicht in gleicher Qualität<br />

ausgearbeitet sind.<br />

83<br />

Ideen - QUARTIER DER ZUKUNFT<br />

Nutzungen EG o.M.<br />

Vertiefungsbereich o.M.<br />

Nutzungen OG o.M.<br />

Gebäudehöhen o.M.


Ronja Fischer, Nazan-Zeynep Tekin (HS OWL, Master Architektur)<br />

84<br />

Ideen - QUARTIER DER ZUKUNFT<br />

Quartier Plus. Das Plus an Wohnen<br />

Engere Wahl<br />

Beurteilung des Preisgerichtes<br />

<strong>Stadt</strong>räumlich bindet <strong>der</strong> Entwurf das Quartier über die<br />

Luchtenstraße an die Fußgängerzone als Erweiterung<br />

an. Der sich aus <strong>der</strong> Luchtenstraße entwickelnde, durch<br />

die umgenutzten Feuerwehrgebäude abgeschlossene<br />

Dreiecksplatz wird dabei als Ergänzung zu den vorhandenen<br />

<strong>Stadt</strong>plätzen verstanden und ist nachvollziehbar.<br />

<strong>Die</strong> Belegung <strong>der</strong> Gebäude am Platz zumindest im EG<br />

mit Einzelhandel, Gastronomie, Sportangeboten und<br />

einer „Offenen Werkstatt“ ist folgerichtig. Dass <strong>der</strong> Bedarf<br />

an solchen Nutzungen in dieser Größenordnung<br />

<strong>der</strong>zeit nicht gegeben ist, berücksichtigt <strong>der</strong> Entwurf<br />

durch plausible Baustufen von Westen her. <strong>Die</strong> Blockstruktur<br />

wird aus <strong>der</strong> Analyse konsequent abgeleitet,<br />

und sieht eine starke Mischung von Nutzungen und<br />

Wohnformen mit vielen Gemeinschaftselementen vor.<br />

<strong>Die</strong> Entwicklung teils sechsgeschossiger Bebauung<br />

sieht das Preisgericht kritisch, da es die angestrebten<br />

Qualitäten des Freiraums gefährdet. <strong>Die</strong> Dimension <strong>der</strong><br />

zweispurige Straße in Nord-Südrichtung mit abgesetzten<br />

Gehwegen wird hinterfragt. Insgesamt entwickeln<br />

die Verfasser einen städtebaulich plausiblen und in<br />

sinnvollen Baustufen umzusetzenden Entwurf, <strong>der</strong> allerdings<br />

hinsichtlich <strong>der</strong> Erschließungsstruktur, <strong>der</strong> Einbindung<br />

in die Umgebung und seinem Innovationspotential<br />

Fragen offen lässt.<br />

städtebaulicher Entwurf o.M.<br />

Analysegrafiken o.M.


85<br />

Promenadenansicht o.M.<br />

Ideen - QUARTIER DER ZUKUNFT<br />

Bauabschnitt I<br />

Bauabschnitt II<br />

Bauabschnitt III<br />

Bauabschnitt IV<br />

Prinzipschnitt o.M.


Joleen Winter, Lena Sievers (HS OWL, Bachelor <strong>Stadt</strong>planung)<br />

86<br />

Ideen - QUARTIER DER ZUKUNFT<br />

BEGEGNEN und BELEBEN Gemeinsam <strong>Zukunft</strong> gestalten<br />

Engere Wahl<br />

Beurteilung des Preisgerichtes<br />

<strong>Die</strong> Arbeit „Begegnen und Beleben“ überzeugt durch<br />

ihre solide Ausarbeitung auf dem städtebaulichen Maßstab.<br />

Ausgehend von <strong>der</strong> neuen Endhaltestelle baut sie<br />

eine verkehrliche Erschließungsachse nachvollziehbar<br />

von West nach Ost auf, welche das Quartier sinnvoll erschließt<br />

und zusammenbindet. Das dargestellte Nachverdichtungskonzept,<br />

welches Neu- und Altbebauung<br />

zu Hofstrukturen zusammenbindet, stellt ein funktionierendes<br />

Miteinan<strong>der</strong> <strong>der</strong> neuen und alten Bewohnerschaft<br />

sicher und stärkt das soziale Miteinan<strong>der</strong> durch<br />

die zentralen Gemeinschaftsbereiche. Positiv wird auch<br />

die Verankerung gewerblicher Nahversorgung im Zentrum,<br />

nahe <strong>der</strong> Endhaltestelle, bewertet. In Kombination<br />

mit dem vorgeschlagenen Quartiersplatz kann hier eine<br />

neue Mitte als Identifikationsort entstehen. Dagegen<br />

wird die Aufreihung weiterer gewerblicher Flächen<br />

Richtung Westen kritisch betrachtet. Sie schwächt aus<br />

<strong>der</strong> Sicht des Preisgerichts den Zentrumsgedanken<br />

und wird vermutlich nicht ausreichend frequentiert. <strong>Die</strong><br />

Grundrisse des Vertiefungsbereichs erscheinen nicht in<br />

gleicher Qualität ausgearbeitet und erreichen nicht den<br />

im Erläuterungsbericht formulierten Anspruch.<br />

Perspektive Blick in den Innenhof<br />

Leitziele


87<br />

Ideen - QUARTIER DER ZUKUNFT<br />

Vertiefungsbereich o.M.<br />

Perspektive zentraler Begegnungsraum<br />

städtebaulicher Entwurf o.M.<br />

Prinzipschnitt o.M.


Prof. Dr. Axel Häusler, Prof. Kathrin Volk, Prof. Dr. Reiner Staubach<br />

88<br />

<strong>Die</strong> <strong>Stadt</strong> <strong>der</strong> <strong>Zukunft</strong> - RESILIENTER LEBENSRAUM<br />

<strong>Die</strong> <strong>Stadt</strong> <strong>der</strong> <strong>Zukunft</strong><br />

Resilienter Lebensraum<br />

Digitale Unübersichtlichkeit<br />

In den letzten Jahren, spätestens seit Einführung des Smartphones,<br />

haben wir uns schon daran gewöhnt, unsere Geräte<br />

durch eine geleitete Assistenzführung zu bedienen. Wir nutzen<br />

selbstverständlich vorbereitete Kommunikationskanäle,<br />

akzeptieren weitestgehend gefilterte Informationsanfragen<br />

und wollen die Bequemlichkeitsvorteile einer geleiteten Wegeführung<br />

durch Fahrzeugnavigation nicht mehr missen.<br />

Da die meisten technischen Entwicklungen eine beson<strong>der</strong>s<br />

anwendungsfreundliche Benutzeroberfläche und ein intuitives<br />

Produktdesign aufweisen, werden die vorgeschlagenen<br />

Informationen, Routen o<strong>der</strong> Assistenzvorschläge selten in<br />

Frage gestellt. Hinzu kommt, dass viele digitale Innovationen<br />

auf eine zunehmende Personalisierung <strong>der</strong> bereitgestellten<br />

<strong>Die</strong>nste abzielen. Es ist allgemein bekannt, dass zwei<br />

Personen, die das gleiche Suchwort eingeben, mit hoher<br />

Wahrscheinlichkeit unterschiedliche Ergebnisse erhalten.<br />

Zum Beispiel ist es nicht unüblich, dass eine kartenbasierte<br />

Smartphone-App einem Touristen auf <strong>der</strong> ersten Ebene bestimmte<br />

Restaurants empfiehlt, die einem an<strong>der</strong>en Touristen<br />

dagegen erst nach längerem, mehrmaligem Recherchieren<br />

angezeigt werden. Skaliert auf eine städtische Maßstabsebene,<br />

bedeutet dies, dass sich urbane Räume nur noch selektiv-individuell<br />

erfahren lassen. Insbeson<strong>der</strong>e bei Karten und<br />

geografischen Inhalten kommt dies einer Zerbröselung <strong>der</strong><br />

intuitiv erwarteten Objektivität gleich.<br />

Es stellt sich also die Frage, ob durch die Integration digitaler,<br />

personalisierter <strong>Die</strong>nste und die Automatisierung bestehen<strong>der</strong><br />

Alltagsprozesse die Komplexität städtischer Systeme insgesamt<br />

reduziert wird. O<strong>der</strong> ob eher von einer zunehmenden,<br />

„digitalen Unübersichtlichkeit“ und von wachsenden Orientierungsschwierigkeiten<br />

auszugehen ist (vgl. Kraft 2016).<br />

Auch werden wir uns in <strong>der</strong> Raumforschung damit beschäftigen<br />

müssen, ob sich Städte in ihrer Funktionsweise und<br />

Benutzbarkeit zukünftig immer mehr aneinan<strong>der</strong> angleichen<br />

o<strong>der</strong> ob sich <strong>der</strong> klassische „Genius Loci“ in an<strong>der</strong>en uns<br />

noch unbekannten Bereichen bemerkbar macht.<br />

Klammer zu)<br />

Bamberg, Foto: Matthias Ripp, flickr.com, Lizenz: CC-BY 2.0, https://creativecommons.org/licenses/by/2..0<br />

Räume im menschlichen Maßstab<br />

Trotz <strong>der</strong> interdisziplinären Mischung an Referenten sind<br />

sich die Beiträge einig, dass Gesundheitsför<strong>der</strong>ung in<br />

starkem Zusammenhang mit allgemeinem Wohlbefinden<br />

steht und daraus resultierend die Verän<strong>der</strong>ung des Raums<br />

im Sinne des Settings-Ansatz das richtige Werkzeug auf<br />

dem Weg zur gesunden <strong>Stadt</strong> ist. Durch ein Gesundheitsverständnis,<br />

welches nicht mehr nur die Abwesenheit von<br />

Krankheit definiert, son<strong>der</strong>n ein körperliches und soziales<br />

Wohlbefinden ausdrückt, ergeben sich ganz neue Zugänge<br />

und Möglichkeiten für die Planungsdisziplinen, um ihrer<br />

Verantwortung für den alltäglichen Lebensraum gerecht zu<br />

werden. Mit <strong>der</strong> Verabschiedung des Präventionsgesetzes<br />

<strong>der</strong> Bundesregierung sind nun erstmals auch die Krankenkassen<br />

verpflichtet genau hier zu investieren.<br />

So zeigen die unterschiedlichen Fachvorträge zwar verschiedene<br />

Herangehensweisen an ein und dieselbe Thematik,<br />

machen dabei aber auch deutlich, wie wertvoll jede<br />

einzelne dieser Herangehensweisen und <strong>der</strong> jeweilige<br />

Blickwinkel ist. Denn <strong>Stadt</strong> ist ein komplexes System und<br />

ihre Wechselwirkungen vielfältig. <strong>Die</strong> Determinanten zur<br />

Gesundheit sind vielfältig und stehen in komplexer Verbindung<br />

zueinan<strong>der</strong>, so dass die <strong>Stadt</strong>planer den Weg zur<br />

gesunden <strong>Stadt</strong> nicht alleine gehen können. Was wir als generalistische<br />

Disziplin jedoch leisten können, ist die notwendigen<br />

Akteure zusammenzuführen und die Ein- und Auswirkungen<br />

von gebauter Umwelt auf den Menschen weiter<br />

zu untersuchen. Schlussendlich gilt es Räume zu schaffen,<br />

in denen sich das Leben entfalten kann.<br />

Das „Quartier“ als Interventionsebene<br />

Quartier und Nachbarschaft haben zweifelsohne Konjunktur.<br />

<strong>Die</strong>s wurde in allen Fachbeiträgen im Rahmen<br />

des Regionalen Salons mehr als deutlich. Generell kann<br />

das Programm „Soziale <strong>Stadt</strong>“ heute als etablierter Politikansatz<br />

gelten. <strong>Die</strong> Landesregierung in Nordrhein-West-


falen hat das Quartier sogar zu einer zentralen För<strong>der</strong>kategorie<br />

erhoben. Mit dem aktuellen Zuschnitt eines<br />

Ministeriums für Heimat, Kommunales, Bau und Gleichstellung<br />

wird diese Fokussierung offenbar fortgesetzt.<br />

In seiner konfliktsoziologischen Betrachtung reflektiert<br />

Dr. Jörg Hüttermann die Ambivalenzen von Segregation<br />

im städtischen Kontext und hinterfragt die oftmals<br />

dominierende Engführung des Diskurses auf die sozialräumliche<br />

Konzentration bestimmter ethnisch-religiöser<br />

Minoritäten, heute zunehmend solchen muslimischen<br />

Glaubens. Gefahren <strong>der</strong> Ethnisierung sozialer<br />

Ungleichheit und <strong>der</strong> Zuspitzung von Konfliktpotenzialen<br />

sieht er vor allem dann, wenn sich Erfahrungen<br />

fehlen<strong>der</strong> Teilhabe und Diskriminierung in verschiedenen<br />

gesellschaftlichen Bereichen (z.B. Arbeits- und<br />

Wohnungsmarkt, politische Partizipation) miteinan<strong>der</strong><br />

verschränken und verstärken.<br />

In seiner Bilanz des Programms „Soziale <strong>Stadt</strong>“ stellt Ralf<br />

Zimmer-Hegmann sowohl die Chancen als auch die Restriktionen<br />

<strong>der</strong> Quartiersebene für die soziale Integration<br />

insbeson<strong>der</strong>e <strong>der</strong> von Marginalisierung betroffenen Individuen<br />

und Gruppen heraus. Der Sozialraum bezogene<br />

Ansatz wird grundsätzlich als zielführend betrachtet,<br />

wenn auch dessen Reichweite in struktureller Hinsicht<br />

als begrenzt gelten muss. Insbeson<strong>der</strong>e die finanzielle<br />

Handlungsfähigkeit <strong>der</strong> Kommunen und deutlichere gesamt-gesellschaftliche<br />

politische Prioritätensetzungen in<br />

<strong>der</strong> Armutsbekämpfung werden als Voraussetzung für<br />

den Wirkungserfolg von Quartierspolitik gesehen.<br />

Zwar würdigt Volker Kersting die integrativen Beiträge<br />

des Programms Soziale <strong>Stadt</strong>. Er sieht angesichts <strong>der</strong><br />

starken Zunahme von Kin<strong>der</strong>armut insbeson<strong>der</strong>e in<br />

Städten des Ruhrgebiets und <strong>der</strong> vergleichsweise eher<br />

homöopathischen Dosierung darin aber kein Instrument<br />

zur Armutsbekämpfung. Trotz erkennbar zunehmen<strong>der</strong><br />

Armutskonzentration in benachteiligten und benachteiligenden<br />

Nachbarschaften darf dennoch die disperse<br />

Armut in den Städten nicht aus dem Blick geraten.<br />

Auf <strong>der</strong> Suche nach Ansatzpunkten zur politischen Gegen-steuerung<br />

bei residentieller Armutssegregation setzt<br />

Marcel Cardinali bei den push- und pull-Faktoren für sozial<br />

selektive Zu- und Wegzüge in <strong>der</strong> „Sozialen <strong>Stadt</strong>“ an.<br />

Ohne sich in reduktionistischer Weise dem traditionellen<br />

„Container“-Verständnis von Raum zu verschreiben,<br />

kommt sein Beitrag einem Plädoyer für baulich- städtebauliche<br />

Qualitätsverbesserungen gleich, da er nur so<br />

eine Adressierung auch <strong>der</strong> benachteiligenden Umfeldbedingungen<br />

gewährleistet sieht. Während ihre Chancen<br />

beschränkenden Wirkungen minimiert werden, soll durch<br />

zusätzliche Attraktoren (z.B. lokale Bildungslandschaft,<br />

heterogene Wohnkarrieren, gruppenübergreifende Begegnungsorte)<br />

das Quartier als Chancen generierendes<br />

(„gesundes“) Lebensumfeld und sozialer Erfahrungsraum<br />

für unterschiedliche Milieus entwickelt werden.<br />

Letztlich betonen alle Referenten, dass substanzielle<br />

Wirkungserfolge bei <strong>der</strong> Armutsbekämpfung und einer<br />

anti-segregativen <strong>Stadt</strong>politik nicht ohne stabile<br />

sozialstaatliche Sicherungssysteme und eine aktive<br />

öffentliche För<strong>der</strong>ung des sozialen Wohnungsbaus zu<br />

erreichen sind.<br />

Prof. Dr. rer. nat. Axel Häusler<br />

<strong>Stadt</strong>planer und Architekt<br />

Lehrgebiet Digitale Medien & Entwerfen, Mitglied <strong>urbanLab</strong><br />

lehrt seit September 2014 das Fach Digitale Medien und Entwerfen<br />

im Studiengang <strong>Stadt</strong>planung an <strong>der</strong> Hochschule OWL.<br />

Er initiierte u.a. den fachübergreifenden Forschungsschwerpunkt<br />

‚nextPlace’, <strong>der</strong> sich intensiv mit technologischen Innovationen im<br />

räumlichen Umfeld und Smart-City-Strategien beschäftigt. Das<br />

Ziel von ‚nextPlace’ ist die Sichtbarmachung unterschiedlicher Mobilitätsverhaltensmuster<br />

und die Visualisierung des dynamischen<br />

Zusammenspiels von Menschen, Gütern und Informationen im<br />

Raum anhand interaktiver Karten und Simulationsmodelle.<br />

Prof. Kathrin Volk<br />

Landschaftsarchitektin,<br />

Lehrgebiet Landschaftsarchitektur & Entwerfen, Mitglied <strong>urbanLab</strong><br />

lehrt seit September 2003 an <strong>der</strong> Hochschule OWL. Sie ist Mitinitiatorin<br />

des Bachelor Studiengangs <strong>Stadt</strong>planung an <strong>der</strong> Detmol<strong>der</strong><br />

Schule für Architektur und Innenarchitektur und vertritt das<br />

Lehrgebiet „Landschaftsarchitektur und Entwerfen“. Sie ist Mitglied<br />

des <strong>urbanLab</strong> mit einem beson<strong>der</strong>en Interesse an <strong>der</strong> Frage<br />

nach urbanen Lebensstilen im ländlichen Raum und <strong>der</strong> Ästhetik<br />

des Unvollkommen. Seit 2016 ist sie Prodekanin <strong>der</strong> Detmol<strong>der</strong><br />

Schule für Architektur und Innenarchitektur für den Bereich Forschung<br />

und Internationales.<br />

Prof. Dr. rer. pol. Reiner Staubach<br />

<strong>Stadt</strong>planer AKNW, Lehrgebiet Planungsbezogene Soziologie,<br />

Planungstheorie und -methodik, Mitglied <strong>urbanLab</strong><br />

studierte Raumplanung und Pädagogik an <strong>der</strong> Universität Dortmund<br />

und lehrt seit 1997 an <strong>der</strong> Hochschule OWL, sowie seit<br />

2007 zusätzlich im Master Städtebau NRW. Er engagiert sich seit<br />

1982 als Gründungs- und Vorstandsmitglied des Planerladen e.V.<br />

in <strong>der</strong> Dortmun<strong>der</strong> Nordstadt.<br />

89<br />

<strong>Die</strong> <strong>Stadt</strong> <strong>der</strong> <strong>Zukunft</strong> - RESILIENTER LEBENSRAUM<br />

Kraft, Sabine (2016): Planetary Urbanism, Arch+ 223, 2016


\


AUSBLICK<br />

Regionen<br />

<strong>der</strong> <strong>Zukunft</strong>


Marcel Cardinali<br />

92<br />

Ideen - WACHSTUM IN KOOPERATION<br />

Wachstum in Kooperation<br />

internationaler eingeladener studentischer Ideenwettbewerb<br />

<strong>Die</strong> NRW.BANK hat zusammen mit dem <strong>urbanLab</strong> und dem ISB aus Leipzig einen<br />

internationalen Wettbewerb in drei Regionen Nordrhein-Westfalens ausgelobt.<br />

Neun eingeladene Hochschulen und damit 300 Studierende aus Deutschland,<br />

Österreich und den Nie<strong>der</strong>landen haben nun noch bis zum 31.08.<strong>2017</strong> Zeit, um<br />

den drei regionalen Preisgerichten eine überzeugende Strategie für zukünftige<br />

Flächenausweisungen in den Regionen, welche durch ein differenziertes Angebot<br />

an Wohn-, Arbeits-, <strong>Die</strong>nstleistungs- und Mobilitätsangeboten unterlegt ist, vorzulegen.<br />

<strong>Die</strong> spannenden Ergebnisse werden auf dem NRW.Symposium „Wachstum<br />

in Kooperation - urbanes Wohnen im Umland“ am 30.11.<strong>2017</strong> vorgestellt.<br />

Anlass<br />

<strong>Die</strong> Zeichen stehen in einigen Regionen Nordrhein-Westfalens<br />

ganz klar wie<strong>der</strong> auf Wachstum.<br />

Durch Binnenwan<strong>der</strong>ung, Zuwan<strong>der</strong>ung von Arbeitskräften<br />

sowie den Zuzug von Flüchtlingen entsteht<br />

eine Wohnungsnachfrage, die in vielen Fällen nicht<br />

allein durch Nachverdichtung gedeckt werden kann.<br />

Für alle Regionen, die stellvertretend an diesem studentischen<br />

Wettbewerb teilnehmen, kommt eine Modellrechnung<br />

des ehemaligen Ministeriums für Bauen,<br />

Wohnen, <strong>Stadt</strong>entwicklung und Verkehr des Landes<br />

NRW (MBWSV) und <strong>der</strong> NRW.BANK zu dem Ergebnis,<br />

dass eine Steigerung des jährlichen Netto-Neubauniveaus<br />

um ein Vielfaches des bisher Realisierten<br />

zwingend erfor<strong>der</strong>lich ist.<br />

In unserer <strong>Die</strong>nstleistungs- und Wissensgesellschaft<br />

konzentriert sich <strong>der</strong> Nachfragedruck auf den Wohnungsmärkten<br />

dabei nach wie vor auf die regionalen<br />

Zentren, weil sie Arbeit, Kultur, Freizeit und Bildung<br />

in erreichbarer Nähe vorhalten, allerdings mit zunehmenden<br />

und auch spürbaren Auswirkungen in <strong>der</strong> jeweiligen<br />

Region. <strong>Die</strong> erhebliche Nachfrage nach neuem<br />

Wohnraum kann nicht von den regionalen Zentren<br />

alleine getragen werden. Ihre Flächenreserven sind<br />

begrenzt. <strong>Die</strong> Nachverdichtung bestehen<strong>der</strong> Quartiere<br />

o<strong>der</strong> die Nutzung vorhandener Baulandreserven<br />

reichen bei Weitem nicht mehr aus, so dass sich <strong>der</strong><br />

Blick inzwischen deutlich auf die Nachbarkommunen<br />

<strong>der</strong> Kernstädte in den Regionen richtet.<br />

Der enorme Druck auf die Wohnungsmärkte macht<br />

es erfor<strong>der</strong>lich, <strong>Stadt</strong>- und Siedlungserweiterungen<br />

wie<strong>der</strong> als Lösungsbausteine in Betracht zu ziehen,<br />

obwohl sie in Zeiten <strong>der</strong> Schrumpfung, aber auch <strong>der</strong><br />

Nachhaltigkeit und dem Leitbild <strong>der</strong> <strong>Stadt</strong> <strong>der</strong> kurzen<br />

Wege oft als nicht zeitgemäß und konsensfähig<br />

galten. Gleichzeitig steht <strong>der</strong> Neuentwicklung von<br />

Bauland das Flächenziel <strong>der</strong> Bundesregierung entgegen,<br />

die Neuversiegelung auf 30 Hektar am Tag<br />

zu begrenzen. Insbeson<strong>der</strong>e Siedlungserweiterungen<br />

werden jedoch meist mit einem hohen Versiegelungsgrad,<br />

<strong>der</strong> Inanspruchnahme von Naturräumen<br />

und einem starken Individualverkehr in Verbindung


gebracht. In <strong>der</strong> zweiten Hälfte des 20. Jahrhun<strong>der</strong>ts<br />

sind so vielerorts monofunktionale Einfamilienhausgebiete<br />

in den Regionen entstanden, die kaum einen<br />

Bezug zu ihren Kernstädten haben, auch wenn<br />

die Anziehungskraft dieser Räume in <strong>der</strong> Regel <strong>der</strong><br />

Grund ist, warum sie entstanden sind.<br />

Zukünftige Quartiersentwicklungen stehen demzufolge<br />

vor <strong>der</strong> Herausfor<strong>der</strong>ung, die täglichen Bedürfnisse<br />

<strong>der</strong> Bewohner auch abseits <strong>der</strong> regionalen<br />

Zentren glaubhaft abzubilden und die Abhängigkeit<br />

dieser Gebiete vom motorisierten Individualverkehr<br />

zu verringern. Gerade auch vor dem Hintergrund,<br />

dass das Wohnen in den klassischen <strong>Stadt</strong>erweiterungen<br />

ansonsten nur für wenige Milieus und Lebensstile<br />

in Frage kommt und so die Ausdifferenzierung<br />

<strong>der</strong> Gesellschaft auch im regionalen Maßstab<br />

immer weiter för<strong>der</strong>t. Nicht zuletzt gilt es, eine angemessene<br />

Urbanität und Durchmischung zu erzeugen,<br />

die einhergehen mit einer hohen Wohnqualität,<br />

schonendem Umgang mit Grund und Boden sowie<br />

minimaler Flächenversiegelung.<br />

<strong>Die</strong> aktuell erfor<strong>der</strong>lichen Wohnungsbauaktivitäten<br />

dürfen sich deswegen nicht auf sich selbst und den<br />

Ort beschränken, son<strong>der</strong>n müssen die Vernetzung<br />

mit ihrer Region und <strong>der</strong> ihr innewohnenden Qualitäten<br />

mitdenken und för<strong>der</strong>n. Nur so kann die gesamte<br />

Region dauerhaft von den aktuellen Entwicklungen<br />

profitieren und <strong>der</strong> Nachfragedruck innerhalb <strong>der</strong><br />

Region verteilt werden. Gleichzeitig besteht so die<br />

Möglichkeit, regionaler Segregation entgegenzuwirken<br />

und die hohen Miet- und Kaufpreise <strong>der</strong> Zentren<br />

abzufe<strong>der</strong>n. Für die Nachbarkommunen <strong>der</strong> Kernstädte<br />

in den Regionen bietet sich zudem die Chance,<br />

ihre Wohnungsangebote zu heterogenisieren und<br />

dabei Verdichtungspotentiale innerhalb ihrer <strong>Stadt</strong>und<br />

Siedlungskerne zu nutzen.<br />

93<br />

Ideen - WACHSTUM IN KOOPERATION<br />

)) <strong>Die</strong> zahlreichen Vorgespräche in den Kommunen<br />

<strong>der</strong> Wettbewerbsregionen haben uns als NRW.BANK<br />

darin bestärkt, dass das für den Wettbewerb ausgewählte<br />

Thema genau zur richtigen Zeit kommt.<br />

Der fachliche Dialog zu kooperativen Ansätzen <strong>der</strong><br />

Wohnbaulandentwicklung ist in Nordrhein-Westfalen<br />

bereits angestoßen. Jetzt bedarf es guter Bil<strong>der</strong> und<br />

Beispiele für eine breit angelegte Diskussion mit<br />

einer Vielzahl von Akteuren. ((<br />

<strong>Die</strong>trich Suhlrie, Vorstand NRW.BANK


94<br />

AUSBLICK - WACHSTUM IN KOOPERATION<br />

Region Bielefeld<br />

Region Düsseldorf<br />

Region Münster


Wettbewerbsaufgabe<br />

Studierende aus Studiengängen <strong>der</strong> Architektur, des<br />

Städtebaus o<strong>der</strong> <strong>der</strong> Landschaftsarchitektur aus neun<br />

ausgewählten Hochschulen in Deutschland, Österreich<br />

und den Nie<strong>der</strong>landen sind aufgefor<strong>der</strong>t für eines <strong>der</strong><br />

ausgelobten Plangebiete eine Lösung zu entwerfen, die<br />

die Potentiale und Ressourcen des Entwurfsgebiets,<br />

seiner Umgebung und <strong>der</strong> Region zu einer nachhaltigen<br />

Gesamtlösung führt. Es gilt eine Strategie zu entwickeln,<br />

die das Quartier mit <strong>der</strong> Region und <strong>der</strong> Umgebung sinnvoll<br />

verknüpft und ein resilientes und innovatives Konzept<br />

für zukünftige Flächenausweisungen aufzeigt.<br />

)) Aus meiner Sicht bietet das<br />

Format des Studierendenwettbewerbs<br />

den großen Vorteil, dass die<br />

Debatte zunächst ergebnisoffen,<br />

ohne Vorfestlegungen und Restriktionen<br />

geführt werden kann,<br />

gleichzeitig jedoch auf eine fundierte<br />

fachliche Basis gestellt<br />

wird. Alle zukünftigen Diskussionen<br />

werden von diesen Überlegungen<br />

profitieren können, davon<br />

bin ich überzeugt. ((<br />

<strong>Die</strong>trich Suhlrie, Vorstand NRW.BANK<br />

Erwartet wird ein sensibler Umgang mit den Anfor<strong>der</strong>ungen<br />

verschiedenster Nutzer und ihrer Wohnbedürfnisse sowie<br />

den Anfor<strong>der</strong>ungen und Angeboten von <strong>Stadt</strong> und Region.<br />

Gleichzeitig bedarf es einer individuellen Auseinan<strong>der</strong>setzung<br />

mit <strong>der</strong> Thematik <strong>der</strong> Wachstumsprozesse und einer<br />

an den konkreten Standort angepassten Dichte. Im besten<br />

Fall entsteht ein Szenario, das die Vorzüge <strong>der</strong> Region mit<br />

denen <strong>der</strong> Kernstadt nachvollziehbar miteinan<strong>der</strong> verknüpft<br />

und so eine differenzierte und nachfragegerechte Wohnraumversorgung<br />

verschiedenster Milieus über kommunale<br />

Grenzen hinweg sicherstellt.<br />

Gefor<strong>der</strong>t ist ein Entwurf an <strong>der</strong> Schnittstelle von <strong>Stadt</strong>,<br />

Freiraum und Architektur, <strong>der</strong> zeigt, wie die unterschiedlichen<br />

Anfor<strong>der</strong>ungen an Wohnraum von Kernstadt und<br />

Nachbarkommunen in Beziehung gesetzt werden können<br />

und wie sowohl die regionalen Zentren als auch die unmittelbar<br />

angrenzenden Kommunen davon profitieren. <strong>Die</strong>s<br />

manifestiert sich in <strong>der</strong> klugen Anordnung von Nutz- und<br />

Wohnräumen sowie intelligenten Mobilitätsangeboten, insbeson<strong>der</strong>e<br />

wenn eigene PKWs nicht zur Verfügung stehen,<br />

aber auch in differenzierten Grundrissen, unterschiedlichen<br />

Bauformen, in wohnungsnahen und quartiersbezogenen<br />

Freiräumen sowie ausgewählten <strong>Die</strong>nstleistungsangeboten.<br />

Ziel sind modellhafte und visionäre Konzepte für zukünftige<br />

Flächenausweisungen in den Regionen, die auf<br />

<strong>der</strong> Ebene des Quartiers mögliche Handlungs-, Lösungsund<br />

Entwicklungsansätze aufzeigen.<br />

<strong>Die</strong> Wettbewerbsaufgabe reagiert auf die unterschiedlichen<br />

Anfor<strong>der</strong>ungen <strong>der</strong> Regionen in Nordrhein-Westfalen.<br />

Dabei stehen die drei Wettbewerbsregionen stellvertretend<br />

für die unter- schiedlichen Wachstumstypen: <strong>Die</strong> Region<br />

Düsseldorf für den Typ stark wachsende, stark verdichtete<br />

Agglomeration; die Region Münster für den Typ einer<br />

stabilen und prosperierenden Kernstadt in einem ländlich<br />

geprägten Umfeld sowie die Region Bielefeld stellvertretend<br />

für eine Regiopole mit mehreren städtischen Wachstumskernen.<br />

Bei all den regionalen Unterschieden stehen zukünftige<br />

Flächenausweisungen und Quartiersentwicklungen dennoch<br />

vor ähnlichen Herausfor<strong>der</strong>ungen: Wie lässt sich eine<br />

soziale und nachfragegerechte Wohnraumversorgung über<br />

<strong>Stadt</strong>grenzen hinweg sicherstellen? Wie können zukünftige<br />

Quartiere in <strong>der</strong> Region auf die Verän<strong>der</strong>ungen <strong>der</strong> Arbeitswelt,<br />

<strong>der</strong> Mobilität und <strong>der</strong> Lebensstile reagieren und sie<br />

zu ihrem Vorteil nutzen? Welche Vorzüge <strong>der</strong> Region müssen<br />

dafür gestärkt werden? Welche Elemente sind hierfür<br />

anzupassen? Welche Potenziale bieten die angrenzende<br />

Landschaft, <strong>der</strong> Freiraum, um die Region mit ihrem Zentrum<br />

zu verweben? Wie kann eine angemessene Dichte und<br />

Urbanität angepasst an die jeweilige Gemeindegröße vor<br />

dem Hintergrund des Flächenziels <strong>der</strong> Bundesregierung<br />

erreicht werden? Welche Faktoren (zentrale Elemente des<br />

Entwurfs, Schlüsselakteure o.ä.) begünstigen eine positive<br />

Entwicklung <strong>der</strong> Quartiere?<br />

<strong>Die</strong> nächsten Schritte<br />

<strong>Die</strong> Studenten haben nun noch bis zum 31.08.<strong>2017</strong> Zeit,<br />

um ihre Ergebnisse einzureichen. Danach tagen die regionalen<br />

Preisgerichte. Das Preisgericht wird jeweils regional<br />

über die Preisvergabe entscheiden. Es setzt sich jeweils<br />

aus Vertretern <strong>der</strong> Kommunen, von Hochschulen, <strong>der</strong><br />

Wohnungswirtschaft, von Investoren, des Ministeriums für<br />

Heimat, Kommunales, Bau und Gleichstellung des Landes<br />

NRW sowie weiteren Fachleuten zusammen.<br />

Am 30.11.<strong>2017</strong> werden die Ergebnisse im feierlichen<br />

Rahmen und unter zahlreichem Fachpublikum auf dem<br />

NRW.Symposium „Wachstum in Kooperation - urbanes<br />

Wohnen im Umland“ in Düsseldorf vorgestellt und gemeinsam<br />

diskutiert.<br />

Auslober:<br />

Wettbewerbsorganisation und -koordination:<br />

in Kooperation mit dem:<br />

ISB<br />

Kontakt:<br />

Institut für <strong>Stadt</strong>entwicklung und<br />

Bauwirtschaft - Universität Leipzig<br />

<strong>urbanLab</strong> / Hochschule OWL<br />

Projektkoordination Marcel Cardinali<br />

marcel.cardinali(at)hs-owl.de<br />

95<br />

AUSBLICK - WACHSTUM IN KOOPERATION


Prof. Dr. Axel Häusler, Prof. Kathrin Volk, Prof. Oliver Hall, Dr. Klaus Schafmeister<br />

96<br />

Ausblick - Das neue UrbanLand<br />

Das neue UrbanLand<br />

<strong>Die</strong> Regionale OstWestfalenLippe 2022<br />

Seit dem positiven Bescheid über die Bewerbung <strong>der</strong> Region Ostwestfalen-Lippe<br />

ist eine gespannte Vorfreude und Tatendrang in <strong>der</strong> ganzen Region<br />

zu spüren. Aber auch die Ansprüche an die Region sind groß. Im Laufe <strong>der</strong><br />

nächsten Jahre wird sich deshalb nicht nur zeigen, wie gut Ostwestfalen-Lippe<br />

zusammen arbeiten kann, son<strong>der</strong>n auch wie mutig, innovativ und nachhaltig<br />

die Projekte im neuen UrbanLand sein werden. Allein <strong>der</strong> Begriff weckt Erwartungen,<br />

die erfüllt werden wollen.<br />

Quelle: OstWestfalenLippe GmbH


Ostwestfalen-Lippe wird nun als erste Region ein<br />

zweites Mal eine Regionale ausrichten und kann<br />

auf entsprechend gewachsene Strukturen zurückgreifen.<br />

Auf <strong>der</strong> Infoveranstaltung am 13.07. machte<br />

Karl Jasper als Vertreter des neuen Ministeriums für<br />

Heimat, Kommunales, Bau und Gleichstellung des<br />

Landes NRW aber auch klar, dass dadurch seitens<br />

<strong>der</strong> Landesregierung beson<strong>der</strong>s hohe Erwartungen<br />

an das neue UrbanLand bestehen. Während sich die<br />

Region gerade aufstellt, sowie Strukturen und Abläufe<br />

finalisiert, steigen nicht nur die Erwartungen in<br />

Düsseldorf, son<strong>der</strong>n auch in <strong>der</strong> Region.<br />

)) Der Begriff UrbanLand ist einerseits<br />

eine Vision und meint Lebensqualität<br />

in <strong>Stadt</strong> und Land. An<strong>der</strong>erseits<br />

ist er ein Konzept und ein<br />

motivieren<strong>der</strong> Appell. Also lassen<br />

Sie uns etwas neues wagen! ((<br />

Herbert Weber, Geschäftsführer OWL GmbH, Infoverstaltung 13.07.<br />

<strong>Die</strong> Regionale hat nicht weniger zu lösen, als die Überwindung<br />

von Entfernungen. Das neue UrbanLand hat<br />

es sich zur Aufgabe gemacht, das je<strong>der</strong> so leben kann<br />

wie er will und trotzdem einen Arbeitsplatz in annehmbarer<br />

Entfernung erreicht. <strong>Die</strong> gute Nachricht ist, dass<br />

Ostwestfalen-Lippe mit seiner polyzentrischen Struktur<br />

genau dafür bereits jetzt beson<strong>der</strong>s gut geeignet<br />

ist. Für viele in <strong>der</strong> Region ist ein solches Leben schon<br />

heute möglich. <strong>Stadt</strong> und Land gehen rund um den<br />

Teutoburger Wald ineinan<strong>der</strong> über und erlauben den<br />

Genuss von Landschaft und die Attraktivität urbaner<br />

Räume. Das Ziel muss es sein, diese Attraktivität auszuweiten<br />

und die Randlagen, wie weite Teile des Kreises<br />

Höxter o<strong>der</strong> Teile von Minden-Lübecke, mit einzubeziehen.<br />

Dabei gilt es auch über den Tellerrand von OWL<br />

hinauszuschauen und Anknüpfungspunkte in benachbarte<br />

Regionen und Bundeslän<strong>der</strong> zu suchen. Hierfür<br />

braucht es neue Konzepte, die eine multimodale Mobilität<br />

ermöglichen. Das bedeutet, ohne beson<strong>der</strong>s oft<br />

umsteigen o<strong>der</strong> lange Wartezeiten in Kauf nehmen zu<br />

müssen. Als ICE-Haltepunkt und Oberzentrum ist Bielefeld<br />

damit ein unumstößlicher Kern, an dem viele Fragestellungen<br />

zusammenkommen. So zum Beispiel:<br />

<strong>Die</strong> neue Mobilität<br />

Wie komme ich möglichst direkt in<br />

die Zentren - zu Arbeitsplätzen, Kultur-<br />

und Freizeitangeboten?<br />

Neben dem Aspekt <strong>der</strong> Mobilität, erwächst die Herausfor<strong>der</strong>ung<br />

geeignete Wohnraumangebote für die Region<br />

zu entwickeln. Orte, die auch abseits <strong>der</strong> regionalen<br />

Zentren die Vorzüge des urbanen Lebens ermöglichen.<br />

O<strong>der</strong> umgekehrt ausgedrückt, dass auch in den regionalen<br />

Zentren die Vorzüge des ländlichen Raums spürbar<br />

sein sollten. Nur wenn uns dies in den kommenden<br />

Jahren gelingt, kann <strong>der</strong> Begriff des UrbanLands nachhaltig<br />

mit Leben gefüllt werden und als BestPractice<br />

Beispiel für weitere Regionen dienen.<br />

Das neue <strong>Stadt</strong> Land Quartier<br />

Wie kann eine Urbanität im ländlichen<br />

Raum hergestellt werden,<br />

ohne dabei die Vorzüge dieser<br />

Räume zu verlieren?<br />

Eine weitere Frage gilt den Arbeitsplätzen in <strong>der</strong> Region.<br />

Unser selbst gestellter Anspruch ist es, überall<br />

in <strong>der</strong> Region zukunftsfähige und qualitativ hochwertige<br />

Arbeitsplätze anzubieten. Nicht in allen Gebietsteilen<br />

ist eine flächendeckende und ausreichende<br />

Zahl an Unternehmen vorhanden. Deshalb ist es<br />

notwendig und mit <strong>der</strong> Digitalisierung auch möglich,<br />

neue Wege zu gehen.<br />

Der neue Mittelstand<br />

Wenn die Menschen nicht zur Arbeit<br />

kommen, wie kann <strong>der</strong> Arbeitsplatz<br />

zu den Menschen kommen?<br />

Um die Regionale 2022 zu einem Erfolg werden zu<br />

lassen, bedarf es Kommunen, die eine noch stärkere<br />

Vernetzung mit ihrer Region eingehen und die ihr innewohnenden<br />

Qualitäten mitdenken und för<strong>der</strong>n können.<br />

<strong>Die</strong>s steht auch nicht im Wi<strong>der</strong>spruch zur Stärkung <strong>der</strong><br />

eigenen, kommunalen Identitäten. Nur wenn individuelle<br />

und gemeinschaftliche Qualitäten auch gemeinsam<br />

gedacht werden, kann die gesamte Region dauerhaft<br />

von den aktuellen Entwicklungen profitieren.<br />

<strong>Die</strong> neuen Kommunen ohne Grenzen<br />

Wie können wir als Region weiterzusammenwachsen,<br />

uns gegenseitig<br />

stärken und voneinan<strong>der</strong> profitieren?<br />

<strong>Die</strong> Kommunen sind aufgefor<strong>der</strong>t von konkurrierendem<br />

(Win-Loss) Verhalten zu kooperierendem (Win-<br />

Win) Verhalten überzugehen. Ein erster Schritt ist die<br />

Stärken des an<strong>der</strong>en zu akzeptieren und sich <strong>der</strong> eigenen<br />

Stärken und Schwächen bewusst zu werden.<br />

<strong>Die</strong>s gilt auch für die Akteure in <strong>der</strong> Region. Wir sind<br />

bereit unsere Stärken als Forschungsschwerpunkte<br />

<strong>der</strong> Mobilität-, <strong>Stadt</strong>- und Regionalentwicklung einzubringen,<br />

sind aber auf Ihre Mitwirkung angewiesen,<br />

um diesen gesellschaftlichen Herausfor<strong>der</strong>ungen<br />

begegnen zu können.<br />

Wir freuen uns auf die anstehenden Aufgaben mit<br />

und für die Region und blicken mit Spannung auf die<br />

kommenden Monate und Jahre. Lassen Sie uns gemeinsam<br />

etwas neues wagen!<br />

97<br />

Ausblick - Das neue UrbanLand


Das <strong>urbanLab</strong> ist ein Forschungsschwerpunkt <strong>der</strong><br />

Fachbereiche 1 (Detmol<strong>der</strong> Schule für Architektur<br />

und Innenarchitektur), 3 (Bauingenieurwesen) und<br />

9 (Landschaftsarchitektur und Umweltplanung) <strong>der</strong><br />

Hochschule Ostwestfalen-Lippe.<br />

Impressum<br />

Herausgeber<br />

Hochschule Ostwestfalen-Lippe<br />

Forschungsschwerpunkt <strong>urbanLab</strong><br />

Emilienstraße 45<br />

32756 Detmold<br />

Verantwortlich (<strong>Magazin</strong>)<br />

Prof. Oliver Hall<br />

Organisation <strong>der</strong> Reihe <strong>Stadt</strong> <strong>der</strong> <strong>Zukunft</strong><br />

Prof. Dr. Axel Häusler<br />

Prof. Kathrin Volk<br />

Prof. Dr. Reiner Staubach<br />

Marcel Cardinali<br />

Benjamin Dally<br />

Redaktion, Layout & Grafik<br />

Marcel Cardinali<br />

Druck<br />

K2-Druck GmbH, Lage<br />

Auflage<br />

2.000 Exemplare<br />

Abbildungen<br />

<strong>Die</strong> Abbildungen sind soweit nicht an<strong>der</strong>s<br />

gekennzeichnet Eigentum <strong>der</strong> jeweiligen Verfasser<br />

Titel und Rückseite<br />

Fotograf Jan Danielzok<br />

<strong>Die</strong> Ausgabe und die Veranstaltungsreihe<br />

wurde ermöglicht durch:<br />

Weiterführende Informationen:<br />

www.hs-owl.de/urbanlab<br />

facebook:<br />

www.facebook.com/HochschuleOWL


<strong>Die</strong> Wohnungswirtschaft Ostwestfalen-Lippe<br />

ist ein Zusammenschluss von<br />

Wohnungsbaugenossenschaften, kommunalen,<br />

kirchlichen und privaten Wohnungsunternehmen.<br />

Insgesamt arbeiten<br />

28 Unternehmen zusammen, um Ihnen<br />

sicheren und mo<strong>der</strong>nen Wohnraum zu<br />

fairen Preisen anbieten zu können.<br />

<strong>Die</strong> Unternehmen <strong>der</strong> Wohnungswirtschaft<br />

Ostwestfalen-Lippe sind dort zu<br />

Hause, wo auch Sie zu Hause sind.<br />

Mit Bauaufträgen in <strong>der</strong> Region von mehr<br />

als 100 Millionen € im Jahr sichert die<br />

Wohnungswirtschaft OWL Arbeitsplätze<br />

in <strong>der</strong> Region. Gleichzeitig stellen die<br />

Unternehmen sicher, zeitgemäßen und<br />

guten Wohnraum anbieten zu können für<br />

Menschen, die hier leben.


Print:<br />

Web:<br />

Das <strong>urbanLab</strong> ist ein Forschungsschwerpunkt <strong>der</strong> Fachbereiche<br />

1 (Detmol<strong>der</strong> Schule für Architektur und Innenarchitektur), 3<br />

(Bauingenieurwesen) und 9 (Landschaftsarchitektur und Umweltplanung)<br />

<strong>der</strong> Hochschule Ostwestfalen-Lippe.

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