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MONEYINSIDE Frank Pöpsel, Chefredakteur Foto: D. Gust/FOCUS-MONEY Warum das Corona-Hilfspaket gar kein Corona-Hilfspaket ist Es klingt erst einmal richtig gut: Gemeinsam will die EU die von der Corona besonders stark betroffenen Länder unterstützen, um die Krise zu meistern. „Recovery Fund“ nannten es Angela Merkel und Emmanuel Macron in ihrer Ursprungsfassung, „Next Generation EU“ heißt es in der von der Kommission vorgelegten Version. Eine großartige Vision – allerdings mit zwei großen Haken! Haken Nummer 1: Dass für den Corona-Hilfsfonds die Verträge von Maastricht gebrochen werden müssen, die eine gemeinschaftliche Haftung für Schulden verbieten, scheint keinen zu interessieren. Haken Nummer 2: Dass der Corona-Hilfsfonds aber überhaupt kein Corona-Hilfsfonds ist, schlägt dem Fass den Boden aus. Friedrich Heinemann, Leiter des Forschungsbereichs „Unternehmensbesteuerung und Öffentliche Finanzwirtschaft“ am Leibniz-Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung und Professor für Volkswirtschaftslehre an der Universität Heidelberg, hat das Hilfspaket analysiert: Etwa ¾drei Viertel der Gelder fließen in den sogenannten RRF-Topf (Recovery and Resilience Facility) und werden laut EU-Kommission nach folgendem Schlüssel verteilt: „Inverse des Pro-Kopf-Einkommens eines Landes im Jahr 2019 relativ zum EU-Durchschnitt multipliziert mit dem Verhältnis der Arbeitslosenzahl des Landes in den Jahren 2015 bis 2019 relativ zur Gesamtzahl der EU-Arbeitslosen in diesem Zeitraum (gewichtet mit der Bevölkerungsgröße).“ Das verstehen Sie nicht? Ich auch nicht! Doch der Professor hat es für uns interpretiert: „Für die RRF, die das mit Abstand größte Budget absorbiert, spielt die tatsächliche Schwere der Corona-Rezession keinerlei Rolle. Weder der krisenbedingte Wachstumsrückgang seit 2019 noch der Anstieg der Arbeitslosigkeit in der Krise wird berücksichtigt. Stattdessen sind einzig Indikatoren aus der Zeit vor der Krise von Bedeutung. Stark begünstigt werden Mitgliedstaaten, die vor der Krise relativ arm waren (geringes Verhältnis Pro-Kopf-Einkommen zum EU-Durchschnitt) und eine im Vergleich zum EU-Durchschnitt hohe strukturelle Arbeitslosigkeit aufgewiesen haben“ – also Umverteilungspaket statt Corona-Hilfspaket. Bleibt noch der zweite, kleinere Topf, genannt REACT-EU. Hier wird das Geld wie folgt verteilt: „Nach dem gewichteten Durchschnitt von BIP (Gewicht 2/3): Anteil eines Landes am BIP-Rückgang zwischen dem ersten Halbjahr 2019 bis zur Referenzperiode, dividiert durch das Pro-Kopf-Einkommen des Mitgliedstaats relativ zum EU-Durchschnitt. Nach der Arbeitslosigkeit (Gewicht 1/9): Anteil eines Landes an der EU-Gesamtzahl der Arbeitslosen im Januar <strong>2020</strong> mit Gewicht 3/4; Anteil eines Landes an der Zunahme der Arbeitslosen zwischen Januar <strong>2020</strong> bis zur Referenzperiode mit Gewicht 1/4. Und nach der Jugendarbeitslosigkeit (Gewicht 2/9): Anteil eines Landes an der EU-Gesamtzahl der Jugendarbeitslosen im Januar <strong>2020</strong> mit Gewicht 3/4; Anteil an der Zunahme der Anzahl der Jugendarbeitslosigkeit zwischen Januar <strong>2020</strong> und der Referenzperiode.“ FOCUS-MONEY <strong>32</strong>/<strong>2020</strong> Der Professor interpretiert es wieder für uns. „Der Rückgang des BIP in der Krise spielt hier immerhin eine partielle Rolle für die Bestimmung von zwei Dritteln des Begünstigungsfaktors. Dabei wird dieser Rückgang allerdings durch die Division durch das Pro-Kopf-Einkommen (relativ zum EU-Durchschnitt) für reichere Staaten unter- und für ärmere Staaten hochgewichtet, sodass auch hier die Ausrichtung auf den Corona-Schock abgeschwächt wird. Ein Drittel des Begünstigungsfaktors bezieht sich auf Arbeitslosigkeit und Jugendarbeitslosigkeit, dabei stehen aber die Arbeitslosenzahlen vor der Krise mit einem Gewicht von drei Vierteln im Mittelpunkt.“ Also wieder nichts mit einem lupenreinen Corona-Paket! Was diese Verteilungsformeln für das angebliche Corona-Paket in Euro und Cent bedeuten, haben die Ökonomen vom Institut der deutschen Wirtschaft (IW) berechnet. Wendet man den voraussichtlichen Verteilungsschlüssel an, erhalten einige Staaten – gemessen am jeweiligen BIP-Rückgang – überproportionale Hilfen, andere unterproportionale. Bulgarien wäre demnach größter Profiteur des angeblichen Corona-Hilfspakets: Während die Wirtschaft des Landes in diesem Jahr voraussichtlich um rund sieben Prozent einbricht, erhält das Land aus dem Corona-Topf Transfers in Höhe von 15 Prozent des BIP. Unterm Strich erhält Bulgarien also mehr, als ihm verloren geht – umgerechnet rund 4,8 Milliarden Euro. Neben Bulgarien zählen auch Kroatien, Polen, Rumänien und Lettland zu den fünf größten Profiteuren des Corona-Hilfspakets. Irland, Frankreich, Belgien, die Niederlande und Deutschland liegen dagegen auf den letzten Plätzen. Deutschland erhält knapp 29 Milliarden Euro aus dem Topf, hat aber bei einem prognostizierten BIP-Rückgang von 6,5 Prozent wirtschaftliche Verluste von 223 Milliarden Euro zu verkraften. Das Fazit der IW-Forscher: „Der EU-Krisenfonds ist ein Etikettenschwindel.“ Transfers aus dem EU-Rettungspaket in Prozent des BIP, minus des prognostizierten BIP-Rückgangs <strong>2020</strong> 7,99 4,55 2,85 Polen 2,83 Bulgarien Kroatien Rumänien Quelle: Institut der deutschen Wirtschaft –5,66 –5,96 Belgien –6,04 2,49 Deutschlanlande Nieder- Lettland Frankreich –6,59 Irland –7,34 3