Heckerkurier 20 12.pub - Friedrich-Hecker-Gymnasium
Heckerkurier 20 12.pub - Friedrich-Hecker-Gymnasium
Heckerkurier 20 12.pub - Friedrich-Hecker-Gymnasium
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
Verstehen Sie mich nicht falsch: Ich predige nicht: Mehr Drill, das war nie mein Ding. Auch überschätze ich nicht<br />
den Wert von Schulnoten. Wir Menschen sind verschieden. Stahl ist Stahl, Chua ist Chua. Es gilt, liebe Abiturienten,<br />
den eigenen Standpunkt zu vertreten.<br />
Ist es nicht albern, dieses Buch (wie ich selbst gelesen habe) mit dem Film Das weiße Band zu vergleichen, in dem<br />
es um totalitäre Lieblosigkeit geht. Viele Deutsche sortieren Erziehung in Schubladen; „Disziplin“ gleich<br />
„Kadavergehorsam“; sie vergessen, dass Umgang mit Kindern Zugewandtheit, Neugier voraussetzt, den Mut, Fehler<br />
zu machen und die Fähigkeit der Erwachsenen, sich selbst in Frage zu stellen: sie suchen nach Rezepten und Perfektion;<br />
sie vergessen, dass ein Buch zuerst eine Anregung ist, sich neu auseinanderzusetzen. Ist das ewige Lob, das viele<br />
von uns ihren Kindern für alles und jedes spenden, nicht oft Gleichgültigkeit, Faulheit, Feigheit - Ausweichen vor<br />
Auseinandersetzung ? Im Übrigen sollte man aber jedem Kind einmal im Leben, mindestens, Jim Knopf vorgelesen<br />
haben.<br />
Liebe Abiturienten: Erziehung in Elternhaus und Schule sind zu Ende. Jetzt beginnt die Zeit, dass Ihr Euch traut aufzubrechen,<br />
zu suchen und Euren Weg zu finden.<br />
Wenn ein Thema in dieser Zeit politisch-philosophisch richtig wichtig ist, merken Sie es spätestens daran, dass meine beiden<br />
Vorredner, Herr Merklinger und Herr Lumbe, dieselbe Quelle, die Streitschrift „Empört Euch !“ von Stéphane Hessel verwendet<br />
haben, um Euch Abiturienten dazu zu bewegen, nicht zu staatlich angepassten passiven bequemen Mitbürgern zu werden,<br />
sondern Euch zusammenzuschließen zu aktiven, unbeugsamen Ideale und Visionn suchenden und umsetzenden Querdenkern,<br />
die über den Horizont hinausschauen. Da gab es vor einiger Zeit einen Verteidigungsminister ... von und zu Guttenberg,<br />
der die Quellen nicht nannte und einfach abschrieb ... ich versichere Ihnen: Weder haben Herr Merklinger oder Herr<br />
Lumbe von mir noch habe ich von denen abgeschrieben. Uns bewegt alle drei dasselbe Thema - nur unter jeweils leicht anderem<br />
Blickwinkel. Also zu meinem Punkt II:<br />
Ein II. „E m p ö r t E u c h, s e i d n i c h t p e r s p e k t i v l o s !“<br />
Sagen Euch wir Eltern - so offiziell zum letzten Mal - hier über 90-jährigen folgend wie Helmut Schmidt, Richard<br />
von Weizsäcker, Marcel Reich-Ranicki. Ich weiß nicht, ob Euch der Franzose Stéphane Hessel, geboren<br />
1917 in Berlin, bekannt ist, der jetzt mit 94 Jahren die Streitschrift „Empört Euch!“ herausgegeben hat. Er war Mitglied<br />
der Résistance, hat das KZ Buchenwald überlebt und war 1948 Mitunterzeichner der Charta der Menschenrechte<br />
der Vereinten Nationen. Hessel ruft auf zum friedlichen Widerstand gegen die Unzulänglichkeiten unserer<br />
Gesellschaft. Er beklagt, dass der Finanzkapitalismus die Werte der Zivilisation bedroht. Er prangert die Lage der<br />
Menschenrechte an und kritisiert die Umweltzerstörung auf unserem Planeten. (Übersetzt wurde seine Streitschrift<br />
von Michael Kogon, Sohn des Publizisten Eugen Kogon, der Stéphane Hessel im KZ das Leben rettete, in dem er ihm<br />
damals zu einer neuen Identität verhalf.)<br />
Nichts nimmt jemanden mehr gefangen als Perspektivlosigkeit. Unter Euch Abiturienten hörte ich in den<br />
letzten Wochen Sätze wie: „Weiß nicht, was ich werden soll - erst mal studieren und dann irgendwie einen Job, der<br />
Geld bringt.“ Das ist perspektivlos. Hörte Gedanken wie „Vertrauen in die Gesellschaft, in die Politik, in die Wirtschaft<br />
- ohne mich“ und „machen eh alle, was sie wollen“. Da leuchten alle Lampen rot und tönen alle Alarmglocken.<br />
Nein, Freunde - so nicht. Ich will Euch die Ideen der Résistance mitgeben auf den Weg ins eigenständige<br />
Leben.<br />
Wahret die Grundsätze und Werte unserer Gesellschaft: Nicht die Gesellschaft der in die Illegalität Gedrängten,<br />
der Frontex Abschiebungen, des Misstrauens gegen Zuwanderer, in der die Sicherung des Alters, die Leistungen der<br />
Sozialversicherung brüchig geworden sind, in der die Reichen die Medien beherrschen. In der Résistance wurde<br />
gefordert: Das Gemeinwohl stehe über dem Interesse des Einzelnen. Der in der Arbeitswelt geschaffene Wohlstand<br />
werde gerecht verteilt und herrsche über der Macht des Geldes. Die Presse sei unabhängig, und alle Kinder<br />
sollten effektiv die Möglichkeit haben, die bestmögliche Erziehung zu erhalten, ohne Diskriminierung.<br />
AUSABE 9<br />
35