art - Ensuite
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musik<br />
INSOMNIA<br />
DIE PFLICHTEN EINES DJ<br />
Von Eva Pfi rter<br />
■ An meiner ersten schlechten P<strong>art</strong>y hab ich beschlossen,<br />
DJ (sorry, ich fi nde «DJane» einfach ein<br />
bekloppter Name! Kommt Euch da auch Jane in<br />
den Sinn, die, an einer Liane hängend und bloss<br />
mit einem Blätterbikini bekleidet, von Ast zu Ast<br />
schwingt?) zu werden. Es gibt diese Typen, die<br />
– selbstverliebt und in sich versunken – über die<br />
Platten gebeugt im Takt wippen und ihre Musik so<br />
hammermegagenial fi nden, dass sie gar nicht mitbekommen,<br />
wenn die Menschenmenge zum Stillstand<br />
kommt und gelangweilt Richtung DJ-Pult<br />
blickt. Herrgott! DJ’s sind nicht dazu da, sich selber<br />
glücklich zu machen, sondern dem Glück suchenden<br />
Publikum zu geben, was es wünscht: gute<br />
Musik, die sich langsam vom locker-fl ockigen Intro<br />
bis zum Höhepunkt kontinuierlich und geplant<br />
steigert; zu einem Höhepunkt, der uns Tanzenden<br />
im Idealfall den Schweiss aus den Poren treibt, uns<br />
beinah ausfl ippen und innerlich vor den Göttern<br />
des Beats auf die Knie fallen lässt. Wunderbar!<br />
Kürzlich war ich an einer solch perfekten P<strong>art</strong>y<br />
in der Basler Kaserne. Der DJ war wirklich Herr seiner<br />
Platten und hatte ein Konzept im Kopf! Und wir,<br />
das tanzhungrige Volk, wurden von ihm gesteuert<br />
wie Puppen von einem Puppentheaterspieler. Der<br />
Schlussakt war einfach perfekt: Das Licht ging aus<br />
und der DJ rief in die totale Dunkelheit hinein «one<br />
more last!», bevor er den ersten Ton erklingen<br />
liess. Der Song begann langsam und klang nach<br />
Reggae, so zum Mitwippen, bis plötzlich der Bass<br />
einsetzte und der VJ dazu Flimmerlicht durch den<br />
alten Rosstall schickte. Es war der vollkommene<br />
P<strong>art</strong>yschluss: ekstatischer Sound, entrückendes<br />
Flimmern und eine tobende Menge, deren Hunger<br />
nach seiner Musik noch immer ungestillt war.<br />
Aber, ach: Wie selten sind doch diese P<strong>art</strong>ies,<br />
die sich anfühlen wie ein vollmundiger Rotwein,<br />
eine abgerundete salsa di pomodoro, ein in sich<br />
stimmiger Popsong, der «perfekt isch bis am<br />
Schluss», um es mit Kuno zu sagen. Selbst die<br />
Turnhalle, seit zwei Jahren Mekka für Tanznacht-<br />
Hungrige, hat es kurz vor Weihnachten nicht geschafft,<br />
eine gute P<strong>art</strong>y zu bieten. Kaum fi ng das<br />
Publikum an zu toben, haben die DJ’s – nota bene:<br />
es waren ganze vier davon – das Tempo gedrosselt<br />
und das P<strong>art</strong>yvolk mit gähnend-langsamen<br />
R&B-Rhythmen genervt. Es war eine ziemlich<br />
traurige Angelegenheit. Deshalb hier mein Aufruf<br />
fürs neue Jahr 2007: DJ’s, Ihr habt einen Job, eine<br />
Verpfl ichtung! Gebt uns Freude! Gebt uns schnelle<br />
Rhythmen! Gebt uns Nächte, die fernab von Alltag,<br />
Pfl ichten und Gemässigtem stattfi nden! Gebt uns<br />
musikalische Höhepunkte und perfekte Schlussakte!<br />
Denn: «Die letschti Zile hesch du no z‘guet.»<br />
Wenn Ihr das nicht hinkriegt, seid Ihr keine DJ’s!<br />
20<br />
Grizzly Bear «Yellow House» (Warp / MV)<br />
■ Das Feld des psychedelischen Folk erlebt nicht<br />
zuletzt dank der Reaktivierung von Vashti Bunyan<br />
sowie jüngeren Bands wie dem fabelhaften Animal<br />
Collective eine z<strong>art</strong>e Renaissance. Die New Yorker<br />
Grizzly Bear, nunmehr eine feste Band, schreiben<br />
die Geschichte fort und kreieren auf ihrem ersten<br />
Warp-Album eine verschüttete und schwer zugängliche<br />
Welt. Mit einer Vielzahl an Instrumenten,<br />
darunter die charakteristische Autoharp, verschanzte<br />
sich das Qu<strong>art</strong>ett in einem Haus in der<br />
Nähe von Boston, wo sie während einem Monat<br />
ihr traumwandlerisches Material zu weitläufi gen<br />
Liedern von anmutiger Schönheit schichteten<br />
und verdichteten. Präparierte Klaviere weisen ins<br />
dunkel spukende Hinterzimmer des verfallenen,<br />
im Artwork abgebildeten Landhaus; die mehrstimmigen<br />
Gesänge wirken zurückgenommen und<br />
werden zuweilen von den üppigen, detailreichen<br />
Klangteppichen konkurrenziert, nie aber ertränkt.<br />
Wenn schliesslich milde Sonnenstrahlen die geheimnisvollen<br />
Soundlandschaften durchdringen,<br />
entstehen so spielfreudige, geradezu eingängige<br />
Songs wie das glänzende «On A Neck, On A Spit»,<br />
das diesem stetig wachsenden Album die Krone<br />
aufsetzt. (bs)<br />
Welcome «Sirs» (FatCat / Namskeio)<br />
■ Welcome aus Seattle spielen maximalen R&B,<br />
verquickt mit süssen Bubblegum-Melodien und<br />
zwei Prisen Psychedelik. Spielfreude, die Lust an<br />
dissonanten Tönen und Spass an selbstgebastelten<br />
Effektpedalen prägen den fl üchtigen 60ies Entwurf<br />
des Qu<strong>art</strong>etts. Songideen werden angespielt<br />
und stürzen bald darauf in Feedbackkaskaden ein,<br />
die leicht unterkühlte Stimme der Bassistin Jo<br />
Claxton kontrastiert den lässigen Optimismus des<br />
singenden Gitarristen Pete Brand und kanalisiert<br />
den zelebrierten Übermut in zwielichtige Stimmungen.<br />
Diese dunklere Seite wird in der zweiten<br />
Hälfte des kurzen und kurzweiligen Debüts stärker<br />
betont und führt zu zweipoligen Songs wie dem<br />
spukig endenden Titellied, das das sinistre mit<br />
dem unbändigen, knallbunten Element der Band<br />
verbindet.<br />
Mit dieser erfrischenden und direkten Veröffentlichung<br />
steckt das englische Aussenseiter- und<br />
Experimentalpop Label FatCat nach den Lagerfeuern<br />
der vielgestaltigen aktuellen Folkgeneration<br />
ein weiteres Gebiet ab. Ein Schelm, wer dem Label<br />
ein kalkuliertes Aufspringen auf den wie auch immer<br />
ge<strong>art</strong>eten Retrozug vorhalten würde. (bs)<br />
Yo La Tengo – I am not afraid of you and I will<br />
beat your ass (Matador Records)<br />
■ Der Name «Yo La Tengo» fi el mir zum ersten Mal<br />
richtig auf, als nach dem ersten Stück ihrer neuen<br />
CD, einer 10-Minuten-Orgie, Stille eintrat. Ich fi el<br />
aus dem 11. Stockwerk in die Tiefe. «Yo La Tengo»<br />
ist ein Dreiergespann, welches mit dieser CD (mit<br />
diesem unmöglich langen Titel…) sein 20-jähriges<br />
Bestehen feiert: Applaus für das Ehepaar Ira Kaplan<br />
und Georgia Hubley und den langjährige Bassisten<br />
James MacNew. Wenn es eine «Beste Platte für den<br />
Anti-Weihnachtsmarkt» gäbe, so wäre dies mein<br />
Favorit. Innig und mit einer provokativen Lust an<br />
der Musikgeschichte und exzessivem Lärm – aber<br />
durchaus stilsicher und salonfähig – servieren uns<br />
diese Goldengel 15 Songs. Bei jedem zweiten Stück<br />
kontrolliert man, ob noch die gleiche CD im Spieler<br />
dreht – mit Überraschungen muss man aber bei jedem<br />
Stück rechnen und damit haben sie eines der<br />
besten Alben von 2006 produziert. «Yo La Tengo»<br />
gibt Kraft und einen unsäglich guten Groove ins<br />
neue Jahr. Unbedingt festhalten und reinhören! (vl)<br />
Joan as Police Woman – Real Life<br />
(Pias / Musikvertrieb)<br />
■ Es gilt als ihr Singer/Songwriter-Debütalbum<br />
und es klingt so reif, als hätte Joan Wasser das<br />
10- jährige Jubiläum hinter sich. Aber die eigentlich<br />
klassisch ausgebildete Violistin schreibt unsäglich<br />
schöne Hymnen und singt diese gleich selber<br />
noch besser. Als Violistin haben wir sie auch<br />
schon gehört (sie arbeitete mit Rufus Wainwright<br />
und Antony & The Johnson, Lou Reed…). Antony<br />
steuert bei «I Defy» auch gleich seine unverkennbare<br />
Stimme bei – doch er hat keine Chance gegen<br />
Joan. Bodenständig verspielt und leicht, aber vor<br />
allem präsent und glaubhaft, singt oder haucht<br />
Joan uns in die Abendsonne. Der auffallendste<br />
Hit der CD ist «Christobel», eingängiger und tief<br />
kann kaum ein Song sein. Aber es sind alles kleine<br />
Kunstoden zwischen Indi- und Mainstreampop. Dass<br />
die Frau Musik nicht nur als Hobby betreibt, wird sofort<br />
klar. Und wer Musik sucht, die auch nach einer<br />
Produktionswoche in stickigen Redaktionsräumen<br />
nicht langweilig ist, wird sich im Sessel räckeln… (vl)<br />
ensuite - kulturmagazin Nr. 49 | Januar 07