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FILM<br />

red road<br />

Von Sonja Wenger (Bild: zVg.)<br />

■ Bis zu 300-mal täglich werden Briten und Britinnen<br />

von Überwachungskameras gefi lmt. Diese<br />

werden als CCTV bezeichnet, und die Überwachung<br />

der Öffentlichkeit ist eine der boomendsten<br />

Branchen des Landes. Natürlich muss CCTV<br />

nicht immer nur schlecht sein, denn die Kameras<br />

helfen unter anderem auch Verbrechen zu verhindern,<br />

Täter zu fi nden und damit die Bevölkerung<br />

zu schützen. Trotzdem ist diese Kontrollmanie des<br />

britischen Staates für Mitteleuropäer – noch immer<br />

– befremdlich.<br />

Die Regisseurin und Drehbuchautorin Andrea<br />

Arnold setzt sich mit ihrem Spielfi lmdebüt «Red<br />

Road» mit den Menschen auseinander, die beobachten<br />

und kontrollieren, was die Kameras in jedem<br />

Winkel ohne Unterbruch aufzeichnen. Und<br />

welche Folgen das Wissen und der Zugang zu intimen<br />

Details der Mitmenschen haben kann. Jackie<br />

(Katie Dickie) arbeitet als Sicherheitsangestellte<br />

der städtischen Videoüberwachung von Glasgow.<br />

Bereits in den ersten Minuten erfährt das Publikum<br />

ohne grosse Worte viele Details über Jackies<br />

Arbeits- und Sexleben, ihr soziales Umfeld und ihre<br />

Familie. Eigentlich ist nichts Spannendes dabei, ihr<br />

Alltag scheint geprägt von einem unvermeidlichen<br />

Voyeurismus, Desillusion, grauer Tristesse und<br />

irgendeinem unverarbeiteten Schmerz aus der<br />

Vergangenheit. Doch genau das öffnet die Pforten<br />

zu einem beständig wachsenden Gefühl der unterschwelligen<br />

Bedrohung, aber auch der unbändigen<br />

Neugierde. Denn eines Tages sieht Jackie auf dem<br />

Monitor das Gesicht von Clyde (Tony Curran), einem<br />

Mann von dem sie glaubte, dass er im Gefängnis<br />

sei. Von diesem Moment an verfolgt Jackie ihn<br />

bis hin zu jener Konsequenz, dass sie ihre Arbeit<br />

vernachlässigt. Sie versucht ihn zu diskreditieren,<br />

scheint aber gleichzeitig magisch von ihm angezo-<br />

gen zu werden. Die Spannung spitzt sich stetig zu,<br />

denn Jackie geht Risiken ein und exponiert sich gegenüber<br />

Clyde auf eine überaus irritierende Weise.<br />

Jede Information und Aufl ösung trägt in sich zwei<br />

neue Fragen, aber das, was man bereits zu wissen<br />

glaubt, wird konstant durch die Motivation und das<br />

Verhalten der Charaktere in Frage gestellt.<br />

Unendlich langsam nur entblättert sich die Vergangenheit<br />

und das Geschehene. Es passiert nur<br />

wenig, manche Dialoge wirken fast schon störend<br />

und das Fehlen einer untermalenden Hintergrundmusik<br />

tut das ihrige, dem Film einen schmerzhaft<br />

realistischen Zug zu verleihen. Je weniger man als<br />

Zuschauer über die Geschichte weiss, desto besser<br />

und umso stärker wird die Überraschung über die<br />

emotional eindringliche Aufl ösung am Ende nachklingen.<br />

Die Leistung der Schauspieler schafft eine<br />

Nähe und Intensität zu der Geschichte, die das<br />

Publikum direkt am Fortgang der Geschichte beteiligt,<br />

denn die Wendungen und Überraschungen<br />

basieren immer auch auf den Klischees und Vorurteilen<br />

in unseren eigenen Köpfen. Zudem fängt die<br />

Kamera jene reale Kälte, Isolation, Auswegs- und<br />

manchmal auch Hoffnungslosigkeit des schottischen<br />

Arbeitermilieus ohne Zwischenfi lter ein.<br />

«Red Road» wendet sich an ein erwachsenes,<br />

intelligentes Publikum, das keine Angst vor den<br />

Widersprüchlichkeiten menschlicher Handlungsweisen<br />

hat. Ein früherer Kurzfi lm der Regisseurin<br />

wurde von der «Times» als ein «düsteres Juwel»<br />

bezeichnet. Entsprechend könnte man RED ROAD<br />

ein «beklemmendes Juwel» nennen, das zu Recht<br />

den Preis der Jury beim Filmfestival Cannes 2006<br />

gewonnen hat.<br />

Der Film dauert 113 Minuten und kommt am 4.<br />

Januar in die Kinos.<br />

cinéma<br />

TRATSCHUNDLABER<br />

von Sonja Wenger<br />

■ Ich weiss, Halleluja, Weihnachten ist vorbei,<br />

die heilige Zeit der pathetischen Rückblicke und<br />

prophetischer Ausblicke, aber ich muss einfach:<br />

Es war Freitag, der 22. Dezember, die Kinderlein<br />

sangen, die Kassen klangen, da fand sich in «Heute»<br />

ein Bild von Viktoria Beckham mit dem Titel:<br />

«Neue Kugeln für den Weihnachtsbaum? Dient<br />

ihr BH als Einkaufskorb oder war sie wieder mal<br />

beim Chirurgen.» Wow! Ich meine...wow!<br />

Überall fi nden sich solche journalistischen<br />

Perlen. Man greife sich irgendein beliebiges Heft<br />

eines beliebigen Tages und ohne jeglichen Zweifel<br />

fi ndet sich so sicher wie die nächste Ausgabe<br />

am Kiosk darin Atemberaubendes. Beweise?<br />

Nach Spanien und Brasilien wird nun auch Italien<br />

die Festlegung einer Untergrenze des Body-<br />

Mass-Index für Laufstegmodells einführen. Und<br />

Armani meinte dazu: «Ich nehme nur gesunde<br />

Mädchen». Klar. Noch strengere Sitten herrschen<br />

in anderen Ländern. So steht der Chef des indonesischen<br />

«Playboy» wegen Veröffentlichung<br />

«unanständiger Fotos» vor Gericht. Unter anderem,<br />

weil die Models für Unterwäsche einen «einladenden<br />

Gesichtsausdruck» hatten. Über deren<br />

Body-Mass-Index lagen allerdings keine Informationen<br />

vor.<br />

Apropos Wäsche: Nach dem Hochzeitsfetzen<br />

von Viktor & Rolf erreichte uns eine weitere Horrormeldung<br />

aus dem Tummelfeld der Massenanfertigung.<br />

Madonna macht, weil sie so «ein sicheres<br />

Gespür für Trends hat», nochmals Mode für<br />

H&M. Die Linie soll «zeitlos, einzig<strong>art</strong>ig und glamourös<br />

wie ihre Schöpferin sein». Und wenn wir<br />

schon bei zeitloser Wäsche sind: Die «Schweizer<br />

Illustrierte» präsentierte eine Hommage an die<br />

ehemalige, in Unehren zurückgetretene Bundesrätin<br />

Elisabeth Kopp. Zu ihrem Siebzigsten. Laut<br />

«Heute» bereut sie ihr Vorgehen nicht. Allerdings<br />

würde sie in der gleichen Situation «heute<br />

nicht mehr zurücktreten» - sprich nachdem sie<br />

ihren Mann über ein drohendes Verfahren wegen<br />

Geldwäscherei informiert hatte. Lizzie! Please!<br />

Das müsstest du auch nicht mehr. Wir leben in<br />

der Welt eines George Dabbelju Bush und Silvio<br />

Berlusconi. Korruption gehört zum guten Ton.<br />

Und wenn du mal nicht weisst, was tun: Italiens<br />

ehemaliger Premierminister will dem Land «ein<br />

Geschenk» machen, um «etwas Bleibendes zu<br />

hinterlassen». Nämlich will er eine europäische<br />

Universität gründen, um eine neue politische Elite<br />

zu formen. Als Fächer stehen dann zur Auswahl<br />

Nepotismus, Spinning, Korruption, Manipulation,<br />

Missmanagement der öffentlichen und<br />

Weisswaschung der eigenen Gelder. Und als fachkundige<br />

Dozenten fänden sich so illustre Namen<br />

wie George Bush Senior, Bill Clinton und Michail<br />

Gorbatschow.<br />

ensuite - kulturmagazin Nr. 49 | Januar 07 25

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