2020/38 - E-Health - ET: 17.09.2020
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E-<strong>Health</strong><br />
SONDERVERÖFFENTLICHUNG<br />
Apps auf Rezept<br />
Die Digitalisierung im Gesundheitswesen schreitet unaufhaltsam voran. Von Stephan Gokeler<br />
Genau zu der Zeit, in der ein<br />
Lockdown wegen der Corona-Pandemie<br />
das öffentliche<br />
Leben weitgehend zum<br />
Erliegen brachte, lief eine<br />
wichtige Frist aus. Alle Vertragsärzte<br />
der Krankenkasssen<br />
sollten bis Ende März<br />
<strong>2020</strong> an die sogenannte Telematik-Infrastruktur<br />
angeschlossen<br />
sein. So sieht es<br />
das „Gesetz für eine bessere<br />
Versorgung durch Digitalisierung<br />
und Innovation“<br />
vor. Und noch mehr steht<br />
in diesem Gesetz: Impfausweis,<br />
Mutterpass oder Zahn-<br />
Bonus-Heft sollen künftig<br />
digital abrufbar sein. Und<br />
Ärzte können nun auch<br />
sogenannte Apps verordnen,<br />
auf Mobilgeräten<br />
installierbare<br />
kleine Programme.<br />
Die Krankenkassen<br />
übernehmen dann<br />
die Kosten dafür.<br />
Fitness-Apps<br />
sind weit verbreitet<br />
– doch<br />
erfüllen sie<br />
medizinische<br />
Standards?<br />
Die Digitalisierung<br />
geht erst los<br />
All das sind aber nur<br />
Zwischenschritte auf dem<br />
Weg zu einer noch viel weitergehenden<br />
Digitalisierung<br />
des Gesundheitswesens.<br />
Die elektronische<br />
Patientenakte (ePA) und<br />
eine papierfreie Arztpraxis<br />
sind erklärte Ziele der<br />
aktuellen Gesundheitspolitik.<br />
Dafür sollen alle Apotheken<br />
im Land bis Ende<br />
September und die etwa<br />
2000 Krankenhäuser bis<br />
Januar 2021 ans Datennetz<br />
angeschlossen sein.<br />
Pflegeheime, Rehabilitationseinrichtungen,<br />
Hebammen,<br />
Physiotherapeuten<br />
und andere Gesundheitsdienstleister<br />
können<br />
zunächst freiwillig mitmachen.<br />
Fernbehandlung per Videosprechstunde,<br />
die elektronisch<br />
übersandte Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung<br />
und<br />
elektronisch ausgestellte Rezepte<br />
sollen dann zum Normalfall<br />
werden.<br />
Auf den ersten Blick erscheint<br />
es im Internet-Zeitalter<br />
selbstverständlich, Patienten<br />
mit Diabetes oder Bluthochdruck,<br />
schwangere Frauen<br />
und alle, die etwas für den<br />
Erhalt ihrer Gesundheit tun<br />
möchten, mit digitalen Angeboten<br />
zu unterstützen. Fitness-Apps<br />
auf elektronischen<br />
Armbändern, Smartphones<br />
oder Tablets sind heute weit<br />
verbreitet – auch solche, die<br />
nicht von Krankenkassen bezahlt<br />
werden.<br />
Technik ist nur so gut wie der<br />
Mensch, der sie bedient<br />
Doch für medizinische Anwendungen<br />
gilt, dass sie einen<br />
nachgewiesenen Nutzen<br />
für Patienten haben müssen.<br />
Fehlbedienungen und daraus<br />
resultierende negative Nebenwirkungen<br />
müssen verhindert<br />
werden, Datensicherheit<br />
und Datenschutz<br />
hingegen garantiert sein.<br />
Der Gesetzgeber hat festgelegt,<br />
dass das Bundesinstitut<br />
für Arzneimittel und Medizinprodukte<br />
ein „amtliches<br />
Verzeichnis erstattungsfähiger<br />
digitaler Gesundheitsanwendungen“<br />
führen und diese<br />
auch auf Datenschutz und<br />
Datensicherheit prüfen. Im<br />
ersten Jahr nach der Zulassung<br />
muss der Hersteller<br />
beim Bundesinstitut nachweisen,<br />
dass seine App die<br />
Versorgung der Patienten<br />
verbessert. Mindestanforderung<br />
ist, dass eine App als<br />
Medizinprodukt eingestuft<br />
wird. Das bedeutet, dass sie<br />
zum Beispiel einen Patienten<br />
dabei unterstützt, seine<br />
Arzneimittel regelmäßig<br />
einzunehmen oder die Blutzuckerwerte<br />
zu dokumentieren.<br />
Reine Schrittzähler und<br />
Work out-Tracker erfüllen diese<br />
Anforderung nicht. Kritiker<br />
sehen in solchen elektronischen<br />
Angeboten die Gefahr,<br />
dass der persönliche<br />
Kontakt zwischen Patient und<br />
Arzt oder Therapeut leidet.<br />
Ärzte und Krankenhausträger<br />
befürchten zusätzlichen<br />
Aufwand und hohe<br />
Kosten für die elektronische<br />
Infrastruktur. Technische<br />
Hürden haben bereits<br />
früher geplante Digitalisierungsschritte<br />
um Jahre<br />
zurückgeworfen. Doch nicht<br />
zuletzt die Erfahrungen mit<br />
dem Corona-Virus haben<br />
deutlich gemacht, dass digitale<br />
Angebote positive Wirkung<br />
entfalten können.<br />
So ist die Zahl der Arzt-Patienten-Kontakte<br />
per Videosprechstunde<br />
in den vergangenen<br />
Monaten sprunghaft<br />
angestiegen. Oft waren solche<br />
sogenannten Telekonsile<br />
sogar die einzige Möglichkeit<br />
für einen Arztkontakt, wenn<br />
Patienten einer Risikogruppe<br />
angehören und das Infektionsrisiko<br />
bei einem Besuch<br />
in der Praxis zu hoch gewesen<br />
wäre oder wenn Patienten<br />
in vorsorglicher Quarantäne<br />
medizinische Betreuung<br />
benötigten.<br />
ILLUSTRATION: ©INSPIRING/SHUTTERSTOCK.COM<br />
Im Januar 2021 soll auch<br />
die lange angekündigte elektronische<br />
Patientenakte endlich<br />
Wirklichkeit werden. Zu<br />
diesem Zeitpunkt müssen<br />
alle Krankenkassen ihren<br />
Versicherten eine solche digitale<br />
Akte anbieten. Für Patienten<br />
ist die Nutzung freiwillig.<br />
Sie sind nicht verpflichtet,<br />
der elektronischen<br />
Speicherung von Daten zuzustimmen.<br />
Vorerst gibt es<br />
jedoch nur die Möglichkeit,<br />
generell zuzustimmen oder<br />
abzulehnen. Erst zu Jahresbeginn<br />
2022 soll es technisch<br />
möglich sein, dass Versicherte<br />
individuell festlegen können,<br />
welche Daten gespeichert<br />
werden und welche<br />
2000<br />
Krankenhäuser sollen bis Januar<br />
2021 ans Datennetz angeschlossen<br />
werden – der erste Schritt auf<br />
dem Weg zur elektronischen Patientenakte.<br />
Informationen für welchen<br />
Arzt, Apotheker oder Therapeuten<br />
einsehbar sind.<br />
Noch ein Jahr später, also<br />
ab 2023, sollen Patienten<br />
dann entscheiden können,<br />
ob und welche Daten<br />
sie anonymisiert und<br />
verschlüsselt zur Nutzung<br />
in der medizinischen Forschung<br />
freigeben.<br />
Verbraucherschützer:<br />
Ältere nicht vergessen<br />
Auch Verbraucherschützer<br />
begrüßen die neuen Möglichkeiten<br />
der Digitalisierung<br />
im Gesundheitswesen.<br />
Sie weisen aber darauf hin,<br />
dass älteren Menschen oder<br />
solchen, die noch nicht über<br />
die entsprechenden mobilen<br />
Geräte oder die notwendigen<br />
Kenntnisse zu deren Nutzung<br />
verfügen, keine Nachteile<br />
entstehen dürften. So<br />
sieht der Verbraucherzentrale<br />
Bundesverband die für<br />
2022 angekündigte Pflicht,<br />
Rezepte nur noch elektronisch<br />
auszustellen, kritisch.<br />
Ein Ausdruck eines Barcodes<br />
sei „keinesfalls als adäquater<br />
Ersatz für das Papierrezept<br />
anzusehen“, das zumindest<br />
die Bezeichnung des Wirkstoffs<br />
oder Medikaments<br />
sichtbar macht.<br />
Auch wenn es noch viele<br />
Diskussionen um die genaue<br />
Ausgestaltung, um Datenschutz<br />
und um Standards<br />
geben wird, die alle Beteiligen<br />
gemeinsam führen und<br />
Kompromisse finden müssen<br />
– fest steht: Die Digitalisierung<br />
kommt auch im Gesundheitswesen<br />
voran.<br />
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