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Neue Ideen für unser Wien - Nr.: ZZ 39

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NEU DENKEN<br />

gentliche Problem besteht<br />

vielmehr darin:<br />

Wäre die mögliche<br />

Alternative, eine Regenbogen-Koalition,<br />

in<br />

der Grüne und NEOS<br />

stärker sind als die<br />

ÖVP, tatsächlich so<br />

viel besser? So sehr die<br />

Chance, die SPÖ nach<br />

fast genau hundert<br />

Jahren (die Zeit nach<br />

1933 ausgenommen)<br />

endlich einmal aus<br />

den beherrschenden<br />

Höhen der Stadtverwaltung<br />

zu vertreiben,<br />

prinzipiell verlockend<br />

wäre: Da fehlt mir der<br />

Glaube – nicht bloß an<br />

die Machbarkeit dieser<br />

Option, sondern auch<br />

us neu zu verteilen<br />

an ihre inhaltlichen<br />

Meriten: Es wäre aus<br />

konservativer Sicht<br />

vermutlich kontraproduktiv – und darüber hinaus<br />

bis zu einem gewissen Grad unfair.<br />

Bild: Wikipedia/Thomas Ledl<br />

Unfair deshalb, weil Ludwig seine Sache eigentlich<br />

nicht schlecht gemacht hat. Natürlich, er ist ein<br />

Sozialist, aber immerhin ein Sozialist der alten Schule<br />

– und das ist in diesem Fall ausdrücklich als Kompliment<br />

gemeint. Dazu zählt auch, dass er die Riege der<br />

neulinken Schickeria im Stadtsenat mit geradezu unnachahmlicher<br />

Eleganz entsorgt hat:<br />

Von Majlath-Pokorny abwärts vernahmen<br />

plötzlich alle den Ruf der großen,<br />

weiten Welt.<br />

Sein neuer Finanzstadtrat versprach<br />

statt der Brauner’schen Schuldenpolitik sogar<br />

ein ausgeglichenes Budget. Das wird sich nicht ausgehen,<br />

aber es war immerhin eine aus dieser Ecke ungewohnte<br />

Ansage. Ludwigs Wohnungsstadträtin ist<br />

die Tochter des früheren SPÖ-Wehrsprechers. Ohne<br />

deshalb Sippenhaftung praktizieren zu wollen: Das<br />

scheint nicht gerade das Milieu zu sein, in dem linke<br />

Spinnereien gedeihen. Natürlich: Frau Gaal setzt auf<br />

die Renaissance des Gemeindebaus, nicht auf den<br />

Markt. Da<strong>für</strong> ist die SPÖ eben da.<br />

Sicher: Die NEOS würden mehr Markt fordern, sich<br />

damit aber nicht durchsetzen – und in allen anderen<br />

Fragen mit den Grünen vermutlich darum wetteifern,<br />

wer wen in zeitgeistiger Political Correctness<br />

überholt. Gernot Blümel als <strong>Wien</strong>er ÖVP-Chef ist ein<br />

ehrenwerter Mann: Man hat von Insidern aus der Zeit<br />

von Schwarz–Blau meist Gutes über ihn gehört. Aber<br />

die Vorstellung, dass er eine rechte Politik im Bunde<br />

mit den Grünen durchziehen könnte, hieße das<br />

Wunschdenken auf die Spitze treiben. Im Gegenteil:<br />

Die ÖVP ist in der Regel recht konsequent im Umsetzen<br />

der Anliegen ihrer bündischen Kern-Klientel.<br />

Aber sie nimmt in allen anderen Fragen gerne wie das<br />

Chamäleon die Farbe ihrer Umgebung an. Die Blauen<br />

haben sich deshalb im Zuge der bürgerlichen Koalitionen<br />

dieses Jahrhunderts oft darüber beschwert,<br />

dass die ÖVP ihre Themen besetzt. Bei Bündnissen<br />

mit der SPÖ als klassischem Widerpart wurde – bei<br />

aller sozialpartnerschaftlichen „Packelei“ – infolge<br />

der gegensätzlichen materiellen Interessen hingegen<br />

meist ein gewisser heilsamer Gegensatz aufrecht erhalten.<br />

Die Grünen – vielfach die auf Abwege geratenen<br />

Kinder schwarzer Eltern – würden da vermutlich<br />

auf sehr viel mehr Entgegenkommen und Empathie<br />

stoßen. Doch das letzte, was wir brauchen, ist ein weiterer<br />

Teil der ÖVP, der auf Osmose mit den Grünen<br />

getrimmt wird.<br />

Die Roten haben sich mit ihrer Verstaatlichungspolitik<br />

des öfteren als Klotz am Bein<br />

der Wirtschaft erwiesen; aber verglichen mit der<br />

oberlehrer(Innen)haften Regulierungs- und Denunzierungswut<br />

der Grünen, die in ihrem antitraditionalistischen<br />

Furor gegen alles zu Felde ziehen, was<br />

schon vor ihrer Gründung auf der Welt war, stellen<br />

sie ein viel geringeres Irritans dar.<br />

Dem Sozialismus alten Stils wird von den Finanzmärkten<br />

ohnehin keine sehr lange Leine gelassen. Gefährlicher,<br />

gerade weil im Trend liegend und deshalb<br />

gern beifallsheischend-opportunistisch aufgegriffen,<br />

sind da die Greta-, Black<br />

Lives Matter- und sonstigen<br />

Narreteien der „neuen<br />

Linken“, die einem immer<br />

wieder das heimelige Gefühl<br />

vermitteln, unversehens in einer Laienaufführung<br />

von „Pension Schöller“ gelandet zu sein. Diese<br />

Strömung ist bei den Grünen seit langem dominant,<br />

bei den Roten ist sie zur Zeit eher im Krebsgang unterwegs,<br />

ja diverse Landesobmänner löcken da erfreulicherweise<br />

ab und zu sogar wider den Stachel.<br />

Für bürgerliche Wähler ist<br />

eine rot–grüne Koalition<br />

keinesfalls erstrebenswert.<br />

Als Fazit bleibt <strong>für</strong> die nächsten fünf Jahre in <strong>Wien</strong><br />

als kleineres Übel – gerade aus blauer Sicht – kurioserweise<br />

daher wohl nur die ungeliebte Große Koalition.<br />

Die Chancen <strong>für</strong> ihr Zustandekommen würde ich<br />

dennoch unter 50 % einschätzen.<br />

Auch wenn die Wähler mobiler geworden sind:<br />

Man soll die Beharrungskräfte in der Politik nicht<br />

unterschätzen. Vermutlich erwartet uns nach dem<br />

11. Oktober „more of the same“.<br />

Univ.-Prof. Dr. Lothar Höbelt lehrt <strong>Neue</strong> Geschichte an der Universität <strong>Wien</strong>.<br />

<strong>39</strong>/2020 | ZUR ZEIT 29<br />

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