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Bewegliche Zuständigkeit versus gesetzlicher Richter*<br />

Von Rechtsanwältin Dr. Wiebke Arnold, Kiel<br />

I. Einleitung<br />

Die Strafprozessordnung und das Gerichtsverfassungsgesetz<br />

räumen der Staatsanwaltschaft in zahlreichen Bestimmungen 1<br />

die Befugnis ein, unter mehreren sachlich oder örtlich zuständigen<br />

Gerichten zu wählen oder auf die personelle Besetzung<br />

des Gerichts Einfluss zu nehmen. Die in diesen Gesetzen<br />

normierten richterlichen Zuständigkeiten stehen mithin<br />

nicht unverrückbar fest, sondern sind vielmehr beweglich im<br />

Sinne einer Abhängigkeit von der Entscheidung der zuständigen<br />

Anklagebehörde zwischen verschiedenen Zuständigkeitsalternativen.<br />

2 Dieser kritische Punkt verleiht den jeweiligen<br />

Bestimmungen auch ihre Bezeichnung als „bewegliche<br />

Zuständigkeiten“. Sie überlassen es der Staatsanwaltschaft,<br />

einer staatlichen Institution und weisungsgebundenen Behörde,<br />

den gesetzlichen Richter im Einzelfall zu bestimmen.<br />

Richter ist indes nicht gleich Richter. Richter sind individuelle<br />

Persönlichkeiten mit unterschiedlichen Anschauungen,<br />

Fähigkeiten, Neigungen und Temperamenten. 3 Daher bergen<br />

die beweglichen Zuständigkeiten die Gefahr in sich, dass sich<br />

der Staatsanwalt den Richter aussucht, bei dem er das ihm<br />

vorschwebende Ziel – Schuldspruch, revisionssicheres Urteil,<br />

rasche Erledigung, niedriges oder hohes Strafmaß – am ehesten<br />

zu erreichen glaubt, ohne dass ihm dabei überhaupt bewusst<br />

wird, dass er unter Umständen justizwidrige Überlegungen<br />

anstellt. 4 Daneben drängt sich die Frage auf, ob der<br />

von der Staatsanwaltschaft gewählte Richter noch als ein<br />

„gesetzlicher Richter“ i.S.d. Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG verstanden<br />

werden kann.<br />

Diese Fragestellung hat bereits eine Vielzahl von Gerichten<br />

5 beschäftigt. Auch in der Literatur 6 wird die Thematik seit<br />

* Die nachfolgende Abhandlung basiert auf der im Jahre<br />

2007 publizierten Dissertation der Verfasserin mit dem Titel<br />

„Die Wahlbefugnis der Staatsanwaltschaft bei Anklageerhebung<br />

– insbesondere in Jugendschutzsachen, § 26 GVG“.<br />

1<br />

Bspw. §§ 7 ff. StPO; §§ 2, 3 StPO; § 24 Abs. 1 Nr. 3 GVG;<br />

§ 26 Abs. 1 S. 1 GVG; § 74a Abs. 2 GVG. Die Aufzählung<br />

erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Ein erweiterter<br />

Überblick findet sich bei Müller, Rechtsstaat und Strafverfahren,<br />

1980, S. 127 f. und Henkel, Der gesetzliche Richter, 1968,<br />

S. 23.<br />

2<br />

So Roth, Das Grundrecht auf den gesetzlichen Richter,<br />

2000, S. 108.<br />

3<br />

Vgl. Bockelmann, DRiZ 1965, 151.<br />

4<br />

Moller, MDR 1966, 100.<br />

5<br />

U.a. BGHSt 9, 367 = MDR 1957, 112; BGH NJW 1958, 918;<br />

BGHSt 13, 297 = NJW 1960, 56; BVerfGE 9, 223; 22, 254;<br />

aus neuerer Zeit OLG Karlsruhe StV 1998, 252; OLG Hamm<br />

StV 1999, 240.<br />

6<br />

V. Scanzoni, JW 1924, 1642; Kern, Der gesetzliche Richter,<br />

1927; Schmidt, in: Bockelmann u.a. (Hrsg.), Probleme der<br />

Strafrechtserneuerung, Eduard Kohlrausch zum 70. Geburtstag,<br />

1944, S. 263 f.; Niese, JuV 1950, 73; Oehler,<br />

ZStW 64 (1952), 292; Bockelmann, NJW 1958, 889; Gottschalk,<br />

Das Recht auf den gesetzlichen Richter, 1968; Grün-<br />

_____________________________________________________________________________________<br />

92<br />

<strong>ZIS</strong> 2/2008<br />

fast einem Jahrhundert kontrovers diskutiert. Obwohl zwei<br />

Entscheidungen des BVerfG die beweglichen Zuständigkeitsbestimmungen<br />

in §§ 24 Abs. 1 Nr. 2, 74 Abs. 1 S. 2<br />

GVG a.F. 7 und § 25 Nr. 2c GVG a.F. 8 – wenn auch im Wege<br />

der verfassungskonformen Auslegung – für verfassungskonform<br />

erklärten, ist die Diskussion bis heute nicht verstummt<br />

und findet unverändert Eingang in juristische Abhandlungen 9 .<br />

Interessanterweise finden sich dabei in der jüngsten Literatur<br />

überwiegend kritische Anmerkungen, die die Verfassungsmäßigkeit<br />

der beweglichen Zuständigkeiten verneinen, zumindest<br />

jedoch in Frage stellen. Während die Rechtsprechung<br />

dazu übergeht, sich nahezu jeden Einwand gegen die<br />

bewegliche Zuständigkeitsordnung zu verbieten 10 , fallen die<br />

Argumente der frühen Kritiker 11 noch heute auf fruchtbaren<br />

Boden und regen gerade die jüngere Generation von Juristen<br />

zu Reformbestrebungen bzw. Gesetzesnovellierungen an. Auf<br />

die jahrzehntelange Relativierung des gesetzlichen Richters<br />

folgt nunmehr eine Rückbesinnung auf die ursprünglichen<br />

<strong>Inhalt</strong>e des Postulats.<br />

Auffallend ist im Rahmen der Diskussion allerdings, dass<br />

durchgängig Belege für die Handhabung der geltenden Regelungen<br />

durch die Praxis fehlen und kaum in die Überlegungen<br />

mit einbezogen werden. Dabei würde es, wie Dästner 12<br />

bereits im Jahre 1981 zutreffend bemerkt hat, „eine sachgerechte<br />

Beurteilung erleichtern, wenn Daten über die tatsächliche<br />

Ausfüllung der den Rechtspflegeorganen eingeräumten<br />

Ermessens- und Beurteilungsspielräume verfügbar wären,<br />

weil erst dann das Gewicht der Kritik an der von der herrschenden<br />

Meinung für unbedenklich gehaltenen gegenwärtigen<br />

Rechtslage einzuschätzen wäre“. Vor diesem Hintergrund<br />

hat die Verfasserin im Rahmen einer empirischen Studie<br />

das faktische Anklageverhalten der Staatsanwaltschaft<br />

untersucht. 13 Den Ausgangspunkt der Studie bildete dabei die<br />

wald, JuS 1968, 452; Dästner, RuP 1981, 18; Achenbach, in:<br />

Broda u.a. (Hrsg.), Festschrift für Rudolf Wassermann zum sechzigsten<br />

Geburtstag, 1984, S. 849 f.; Heghmanns, StV 1999, 240;<br />

ders., StV 2000, 277.<br />

7<br />

BVerfGE 9, 223.<br />

8<br />

BVerfGE 22, 254.<br />

9<br />

Herzog, StV 1993, 609; Hohendorf, NJW 1995, 1545; Weiler,<br />

NJW 1996, 1042; Fischer, NJW 1996, 1044; Roth (Fn. 2);<br />

Glaser, Aktuelle Probleme im Rahmen der sachlichen Zuständigkeit<br />

der Strafgerichte, 2001; Sowada, Der gesetzliche<br />

Richter im Strafverfahren, 2002; Schmitz, Bewegliche Zuständigkeiten<br />

der StPO und das Prinzip des gesetzlichen<br />

Richters, 2003; Rotsch, <strong>ZIS</strong> 2006, 17.<br />

10<br />

So bereits Bockelmann, NJW 1958, 889.<br />

11<br />

Hervorzuheben sind u.a. Kern und Schmidt (Fn. 6).<br />

12<br />

Dästner, RuP 1981, 18 (19).<br />

13<br />

Arnold, Die Wahlbefugnis der Staatsanwaltschaft bei Anklageerhebung<br />

– insbesondere in Jugendschutzsachen, § 26<br />

GVG, S. 177 f. Die empirische Studie bezog sich auf das<br />

Anklageverhalten der Staatsanwaltschaft im Rahmen des § 26<br />

GVG. Gleichwohl lässt die Untersuchung auch Rückschlüsse

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