Inhalt AUFSÄTZE URTEILSANMERKUNGEN ... - ZIS
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Ingeborg Puppe<br />
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Ist übermäßiges Bestreben nach Genauigkeit auch der<br />
Grund dafür, dass die in der Literatur kaum weniger einhellig<br />
geübte Kritik an der extrem subjektiven Täterlehre, 5 die den<br />
BGH in den Stand versetzt, jeden an der Vorbereitung eines<br />
Deliktes Beteiligten mit der Begründung zum Mittäter zu<br />
erklären, dass die gebotene Gesamtbetrachtung aller relevanten<br />
Umstände die Wertung ergibt, dass er „dieses enge Verhältnis<br />
zur Tat haben wollte“ 6 , beim BGH auch seit Jahrzehnten<br />
nicht ankommt?<br />
Eine „bis zum Exzess betriebene Vergenauerung“ ist es<br />
denn wohl auch, wenn die Wissenschaft 7 und inzwischen<br />
auch manch verzweifelter Praktiker 8 vergebens die Forderung<br />
erheben, der BGH möge seine Unterscheidung zwischen<br />
dolus eventualis und bewusster Fahrlässigkeit bei Tötungsdelikten<br />
soweit vergenauern, dass wenigstens in den meisten<br />
Fällen voraussehbar ist, welche Sachverhaltswürdigung und<br />
welche Entscheidungsbegründung vor seinen Augen bestehen<br />
kann. Die Instanzgerichte geben sich gewiss auch hier alle<br />
Mühe, es dem BGH recht zu machen, und doch vergeht kein<br />
Monat, in dem nicht in der NStZ oder NStZ-RR eine höchst-<br />
§ 212 StGB = zwei Jahre bis elf Jahre und drei Monate),<br />
bemüht der BGH das konkurrenzrechtliche Institut der Sperrwirkung<br />
des milderen Tatbestandes, um eine Mindeststrafe<br />
von zwei Jahren zu begründen (BGH NStZ 2006, 34; 288<br />
[290]). Damit widerspricht er aufs Neue seiner Ausgangsthese.<br />
Denn nach dieser ist die Beihilfe oder der Anstiftungsversuch<br />
zum Mord durch einen Teilnehmer der kein Mordmerkmal<br />
erfüllt, der mildere und die Beihilfe oder versuchte<br />
Anstiftung zum Totschlag nun einmal der strengere Tatbestand.<br />
Auch der Vorschlag, der Frage, ob ein Anstifter ein<br />
Mordmerkmal erfüllt, ihre Relevanz durch den Erfahrungssatz<br />
zu nehmen, dass Auftragskiller heimtückisch vorzugehen<br />
pflegen (BGHSt 50, 1 [6 f.]; BGH NStZ 2006, 288 [289]), ist<br />
mit allgemeinen Grundsätzen der Teilnahmelehre nicht vereinbar.<br />
Wenn der Haupttäter ein anderes und schwereres<br />
Delikt erfüllt als mit dem Anstifter verabredet, so ist das ein<br />
qualitativer Täterexzess, für den der Anstifter auch dann nicht<br />
verantwortlich ist, wenn er erfahrungsgemäß damit rechnen<br />
muss.<br />
5 Schünemann, in: Jähnke/Laufhütte/Odersky (Fn. 3), § 25<br />
Rn. 32 f.; ders., GA 1986, 293 (330); Roxin, Strafrecht, Allgemeiner<br />
Teil, Band 2, 2003, § 25 Rn. 25 f.; Joecks, in:<br />
ders./Miebach (Fn. 3), § 25 Rn. 27; Zaczyk, GA 2006, 411<br />
(412); Puppe, Strafrecht, Allgemeiner Teil, Bd. 2, 2005, § 38<br />
Rn. 11 ff.; insbesondere Bespr. von BGHRR, § 25 Abs. 2<br />
Tatinteresse 5, § 39 Rn. 5 ff.<br />
6 Aus neuester Zeit BGH NStZ 2007, 531; 2006, 94; NStZ-<br />
RR 2004, 40 (41); 2002, 74 (75); StraFo 1998, 166; StV<br />
1983, 501; BGHRR, § 25 Abs. 2 Tatinteresse 5.<br />
7 Verrel, NStZ 2004, 309; Geppert, Jura 2001, 55 (59); Fahl,<br />
NStZ 1997, 392; Neumann in: Kindhäuser/Neumann/Paeffgen<br />
(Fn. 3), § 212 Rn. 14 ff.; Joecks (Fn. 5), § 16 Rn. 31;<br />
Canestrari, GA 2004, 210 (213); Rudolphi, in: ders. u.a. (Fn.<br />
3), § 16 Rn. 44; Puppe (Fn. 3), § 15 Rn. 34; dies., Strafrecht,<br />
Allgemeiner Teil, Bd. 1, 2005, § 16 Rn. 11 ff., mit Besprechung<br />
zahlreicher höchstrichterlicher Entscheidungen.<br />
8 Trück, NStZ 2005, 233; Schneider (Fn. 3), § 212 Rn. 46 ff.<br />
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68<br />
<strong>ZIS</strong> 2/2008<br />
richterliche Entscheidung zum Tötungsvorsatz erscheint. 9<br />
Meistens wird den Instanzgerichten bescheinigt, dass sie es<br />
wieder einmal nicht Recht gemacht haben, weil sie entweder<br />
dem Umstand nicht ausreichend Rechnung getragen haben,<br />
dass bei äußerst lebensgefährlichen Gewalthandlungen der<br />
Tötungsvorsatz nahe liegt, oder dem Umstand, dass vor dem<br />
Tötungsvorsatz eine hohe Hemmschwelle steht. 10 Während es<br />
dem Strafrechtswissenschaftler Vogel „vorzugswürdig“ erscheint<br />
„die fallanschauungsgesättigten Rechtsprechungsformeln<br />
zugrunde zu legen und im übrigen unter Berücksichtigung<br />
aller Umstände des Einzelfalles zu entscheiden“ 11 handelt<br />
es sich nach dem Urteil eines Praktikers um „eine Leerformel,<br />
die von den Tatgerichten gar nicht ausfüllbar ist. Sie<br />
dient im Ergebnis dazu, dem BGH die jederzeitige Möglichkeit<br />
offen zu halten, auch ein in sich stimmiges Tatgerichtsurteil<br />
aufzuheben“. 12 Gebietet es also nun der Geist der Zeit,<br />
der Strafrechtswissenschaft übertriebene Akribie vorzuwerfen<br />
und ihr als Vorbild nicht-hypertrophen Strafrechts die<br />
Praxis des BGH vorzuhalten?<br />
Rotsch jedenfalls tut dies anhand der Frage, wann ein<br />
Vorgesetzter, der einen vollverantwortlichen Untergebenen<br />
irgendwie zu einer Straftat veranlasst, deren mittelbarer Täter<br />
ist. Unter Berufung auf eine „ungewöhnlich freimütige“ 13<br />
Äußerung des an der Entscheidung BGHSt 40, 218 beteiligten<br />
Bundesrichters Nack legt Rotsch dar, dass der BGH keineswegs<br />
die Roxinsche Lehre von der mittelbaren Täterschaft<br />
kraft Beherrschung eines organisatorischen Machtapparats<br />
adaptiert hat, sondern einen eigenen und viel weiteren Begriff<br />
der mittelbaren Täterschaft hinter einem vollverantwortlich<br />
handelnden unmittelbaren Täter vertritt, der auf jeden Firmenchef<br />
anwendbar ist, der sich bei seiner Erwartung, seine<br />
Untergebenen würden zu seinen Gunsten eine Straftat begehen,<br />
auf „regelhafte Abläufe“ stützen kann. 14 Dazu heißt es<br />
dann weiter: „Freilich hat sich die Rechtsprechung von der<br />
Idee Roxins in vielerlei Hinsicht längst entfernt, und mittlerweile<br />
so viele unterschiedliche Begründungsparameter verwandt,<br />
dass sie ganz pragmatisch in all denjenigen Fällen, in<br />
9<br />
Im Jahre 2007 wurden in diesen Zeitschriften 12 Judikate<br />
des BGH veröffentlicht, in denen er die Instanzgerichte darüber<br />
instruiert hat, wie sie ihre Entscheidung zwischen Vorsatz<br />
und Fahrlässigkeit bei Tötungsdelikten zu treffen und zu<br />
begründen haben (NStZ 2007, 150, 331, 639, 700; NStZ-RR<br />
2007, 43, 86, 141, 199, 267, 268, 304, 307).<br />
10<br />
Vgl. die Nachweise bei Schneider (Fn. 3), § 212 Rn. 12 ff.;<br />
Puppe (Fn. 3), § 15 Rn. 90 ff.<br />
11<br />
Vogel, in: Jähnke/Laufhütte/Odersky (Fn. 3), § 15 Rn. 128.<br />
12<br />
Trück, NStZ 2005, 233 (238).<br />
13<br />
<strong>ZIS</strong> 2008, 1 (3, Spalte 1).<br />
14<br />
Nack, GA 2006, 342 (343 f.), der als Rechtsquelle dieses<br />
neuen Instituts der mittelbaren Täterschaft kraft „regelhafter<br />
Abläufe“ nicht nur ein obiter dictum in BGHSt 40, 218 (230)<br />
anführt, sondern zuerst ein Gespräch mit einem seiner Senatskollegen<br />
in einer Beratungspause, an das er sich „noch<br />
gut erinnert“: „Wir waren uns beide einig, dass eine – die<br />
praktisch bedeutsamste – Fallgruppe mit einbezogen werden<br />
musste: die vom Chef eines Unternehmens veranlasste Straftat“<br />
(GA 2006, 342 [343]).