Inhalt AUFSÄTZE URTEILSANMERKUNGEN ... - ZIS
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BGH, Urt. v. 22.5.2007 – 1 StR 582/06 Dietmeier<br />
_____________________________________________________________________________________<br />
dessen Kennzeichen bekanntlich darin besteht, dass von einer<br />
Mehrzahl von Indizien jedes einzelne mit einer bestimmten<br />
Wahrscheinlichkeit, also einem eigenen Beweiswert, auf die<br />
gleiche Haupttatsache hindeutet. Sofern ein einzelnes Indiz<br />
allein noch nicht ausreicht, die Haupttatsache zu beweisen,<br />
dürfen die weiteren Indizien nicht jeweils getrennt voneinander<br />
bewertet werden, sondern müssen im Zusammenhang mit<br />
den anderen gewürdigt werden. Kurz gefasst lautet dieses<br />
beweisrechtliche Prinzip, dem das mathematische Theorem<br />
von Bayes 22 zugrunde liegt: Mehrere belastende Indizien auf<br />
derselben Ebene verstärken die Wahrscheinlichkeit der<br />
Haupttatsache. 23 Konsequenterweise darf der Zweifelsgrundsatz<br />
dann aber auch erst auf das Ergebnis der Wahrscheinlichkeitskalkulation<br />
Anwendung finden.<br />
2. Weiterhin kritisiert der Bundesgerichtshof, das Landgericht<br />
habe erhebliche konkrete Verdachtsmomente aufgrund<br />
„nicht tragfähiger Hypothesen“ und „bloß denktheoretischer<br />
Möglichkeiten“ als entwertet angesehen. Auch hierbei handelt<br />
es sich in ihrer Grundstruktur um typische Fehler, die<br />
Tatgerichten dann unterlaufen können, wenn sie ein falsches<br />
Verständnis von der zur Verurteilung erforderlichen richterlichen<br />
Überzeugung zu Grunde legen. Wie hier kann ein Freispruch<br />
dann fehlerhaft sein, wenn durch sachfremde Überlegungen<br />
belastende Indizien relativiert und so letztlich die<br />
Anforderungen an eine Verurteilung überspannt werden. 24<br />
Konkret bezieht sich der Senat zunächst auf die molekulargenetisch<br />
untersuchte Blutspur vom Fahrersitz des Fahrzeugs<br />
des Angeklagten, die nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme<br />
mit hoher Wahrscheinlichkeit mit den Merkmalen eines<br />
der Geschädigten übereinstimmte. Das Landgericht hatte den<br />
Beweiswert dieser Blutspur als gering eingestuft, da insbesondere<br />
an der Kleidung des Angeklagten keine entsprechenden<br />
Spuren aufgefunden werden konnten. Zu Recht weist der<br />
Senat unter anderem darauf hin, dass das Fehlen weiterer<br />
Beweisspuren nichts am Beweiswert der aufgefundenen Blutspur<br />
ändert. Während also in der forensischen Praxis der<br />
Aussagewert einer DNA-Analyse häufig überschätzt wird,<br />
indem der hohe statistische Aussagewert eines Analyseergebnisses<br />
im Urteil bereits ohne Würdigung der Gesamtumstände<br />
als Beweis einer Tatsache angenommen wird, 25 liegt<br />
hier der umgekehrte Fall vor, bei welchem ein Gericht den<br />
Aussagewert einer Analyse aus nicht sachgemäßen Erwägun-<br />
2003, S. 43 ff. Anderes mag allenfalls für die Indizienkette<br />
gelten, deren Beweiswert vom schwächsten Kettenglied abhängt:<br />
Hier darf der In-dubio-Satz bereits bei den einzelnen<br />
Beweisanzeichen angewendet werden, weil der Zweifel am<br />
Indiz in diesem Fall ausnahmsweise mit dem fehlgeschlagenen<br />
Beweis der Tatsache gleichgesetzt werden kann, vgl.<br />
Sarstedt/Hamm, Die Revision in Strafsachen, 1998, S. 392.<br />
22 Eingehend zum <strong>Inhalt</strong> und zur forensischen Bedeutung des<br />
Theorems, Müller, in: Kühne (Hrsg.), Festschrift für Klaus<br />
Rolinski: Zum 70. Geburtstag am 11. Juli 2002, 2002, S. 219,<br />
222 ff.<br />
23 Bender/Nack/Treuer (Fn. 21), Rn. 629.<br />
24 BGH NStZ-RR 2003, 240.<br />
25 Dazu etwa BGH NStZ 1994, 554.<br />
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104<br />
<strong>ZIS</strong> 2/2008<br />
gen heraus unterschätzt.<br />
Eine ähnliche Fehlgewichtung hält der Senat dem Landgericht<br />
zu Recht im Hinblick auf andere Indizien vor. Die<br />
Strafkammer hatte festgestellt, dass im Brandschutt einer am<br />
Tattag entzündeten Feuerstelle Gegenstände des Angeklagten<br />
und die Kautschukmischung einer bestimmten französischen<br />
Gummistiefelmarke gefunden wurden. Ausweislich des Urteils<br />
hatte der Angeklagte zweimal Gummistiefel dieser Marke<br />
gekauft und am Tattag Stiefel getragen. Anstatt die Kombination<br />
dieser Indizien im Urteil zu würdigen, habe das<br />
Landgericht den Beweiswert des nach der Tat abgebrannten<br />
Feuers relativiert, da es Zweifel daran hatte, ob es dem Angeklagten<br />
zeitlich möglich gewesen sei, das Feuer anzuzünden.<br />
Damit aber wird die Bedeutung der festgestellten Indizien<br />
für den Beweis der Täterschaft des Angeklagten von der<br />
Strafkammer nicht zutreffend gewichtet. Auch die Einschätzung<br />
des Landgerichts, dass die Stiefelreste erst 13 Monate<br />
nach der Tat an der Brandstelle gefunden worden seien und<br />
daher die Gefahr einer Beweismanipulation durch Dritte<br />
bestehe, vermag der Bundesgerichtshof nicht zu teilen. Zwar<br />
gehört zum gesicherten Bestand der revisionsrechtlichen<br />
Rechtsprechung, dass das Tatgericht sich bei der Beweisführung<br />
mit alternativen Verlaufsmöglichkeiten des Tatgeschehens<br />
beschäftigen muss. Dies ist jedoch nur dann geboten,<br />
wenn solche Möglichkeiten nicht bloß theoretisch denkbar,<br />
sondern naheliegend sind. 26 Es kommt also darauf an, dass es<br />
sich hierbei nicht um reine Spekulationen des Gerichts handelt,<br />
sondern es müssen konkrete und im Urteil mitgeteilte<br />
Anhaltspunkte vorliegen, die einen alternativen Geschehensablauf<br />
aufdrängen. Fehlt es jedoch an einem entsprechenden<br />
Anknüpfungspunkt, so darf das Tatgericht bereits festgestellte<br />
Beweisanzeichen nicht dadurch entwerten, indem es sie in<br />
einen anderen – rein hypothetischen – alternativen Geschehensablauf<br />
eingliedert. Für den Senat ergibt sich aus dem<br />
landgerichtlichen Urteil gerade kein relevanter Gesichtspunkt,<br />
der auf ein Eingreifen Dritter hinweisen könnte. Ganz<br />
im Gegenteil habe die Strafkammer sogar selbst ausgeführt,<br />
dass der Stiefel verbrannt worden war, bevor man die Öffentlichkeit<br />
über die Bedeutung der speziellen Stiefelmarke informiert<br />
hatte.<br />
3. Ein weiterer Gesichtspunkt, der nach Auffassung des<br />
Senats zur Aufhebung des Urteils in der Sache führen musste,<br />
ist die im Urteil unzureichende Auseinandersetzung des Tatgerichts<br />
mit dem Aussageverhalten eines Zeugen. Obwohl es<br />
kaum ein weniger sicheres Beweismittel als die Zeugenaussage<br />
gibt, kommt ihr oft für den Ausgang eines Verfahrens<br />
eine entscheidende Rolle zu. Dies hat zur Konsequenz, dass<br />
ein Tatgericht Zeugenaussagen, auf die es seine Entscheidung<br />
stützen will, besonders sorgfältig zu würdigen und dies lückenlos<br />
in der Urteilsbegründung festzuhalten hat. Hier hatte<br />
der Alibizeuge in der Hauptverhandlung angegeben, den<br />
Angeklagten exakt um 13.54 Uhr mit seinem Fahrzeug stadtauswärts<br />
fahren gesehen zu haben. Diese genaue Zeitangabe<br />
26<br />
Std. Rspr., vgl. nur BGH StV 1982, 210; BGH bei Miebach,<br />
NStZ 1990, 28; siehe hierzu auch Dahs/Dahs, Die<br />
Revision im Strafprozeß, 6. Aufl. 2001, S. 234 m.w.N.