Inhalt AUFSÄTZE URTEILSANMERKUNGEN ... - ZIS
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Morikazu Taguchi<br />
_____________________________________________________________________________________<br />
3. Das neue Laienrichtergericht ab 2009<br />
Wie schon erwähnt, ist das neue Laienrichtergesetz im Jahre<br />
2004 erlassen worden; es wird ab 2009 in Kraft treten. 22 Das<br />
Laiengericht besteht aus drei Berufsrichtern und sechs Laienrichtern<br />
(oder bei leichteren Fällen einem Berufsrichter und<br />
vier Laienrichtern). Im neuen System werden die Laien nur<br />
für eine Strafsache gewählt, ähnlich wie im angloamerikanischen<br />
Schwurgerichtssystem. Es gibt keine Amtsdauer<br />
des Laienrichters. Aber sie können an der Verhandlung<br />
nicht nur bei der Schuldfrage, sondern auch bei der Frage der<br />
Strafzumessung teilnehmen, ganz ähnlich wie im deutschen<br />
Schöffengerichtssystem. 23<br />
Da es das Laiengericht heute noch nicht gibt, kann ich<br />
hier natürlich nur meine Vermutung über seine Funktionsweise<br />
äußern. Wie ich bereits erwähnte, hat der japanische<br />
Laienrichter keine Amtsdauer, er beschäftigt sich immer nur<br />
mit einer Strafsache. Der deutsche Schöffe beschäftigt sich<br />
mit den Strafsachen vier oder fünf Jahre lang. Daher hat er<br />
die Möglichkeit, dass er mit den Strafverfahren etwas vertraut<br />
wird. Weil der japanische Laienrichter dagegen immer ein<br />
reiner Laie bleibt, gibt es ein starkes Verlangen, dass der<br />
Prozessgegenstand und die Streitpunkte immer gleich und<br />
klar bleiben sollen 24 . Erst dann, wenn die Laienrichter den<br />
Prozessgegenstand ausreichend verstehen können, können sie<br />
die Vorgänge der Hauptverhandlung verstehen und ihre Aufgabe<br />
als Laienrichter erfüllen. Dass der <strong>Inhalt</strong> der Hauptverhandlung<br />
verständlich für die Laienrichter wird, bedeutet<br />
zugleich, dass er auch verständlich für den Angeklagten wird.<br />
Das ist meiner Meinung nach der wichtigste Effekt des Laienrichtersystems.<br />
Im Laiengericht wird also die Bedeutung des Klagegrundes<br />
und der Streitpunkte noch größer und es wird nicht nur<br />
aus dogmatischen, sondern auch aus praktischen Gründen<br />
wichtiger, dass eine neue Tatsache oder neue Streitpunkte<br />
nicht erst in der Hauptverhandlung aufgedeckt werden. Aufgrund<br />
dieser neuen Entwicklungstendenz wird sich meiner<br />
Ansicht nach das Verständnis des Prozessgegenstandes noch<br />
22<br />
Gesetz über die Teilnahme der Saiban-in [Laienrichter] an<br />
der strafprozessualen Hauptverhandlung, 2004. Vgl. The<br />
Justice System Reform Council (Fn. 20), p. 69 (“Through<br />
having the people participate in the trial process, and through<br />
having the sound common sense of the public reflected more<br />
directly in trial decisions, the people’s understanding and<br />
support of the justice system will deepen and it will be possible<br />
for the justice system to achieve a firmer popular base.”).<br />
23<br />
Bei der Abstimmung haben die Laien das gleiche Stimmrecht<br />
wie die Berufsrichter. Allein mit einer Mehrheit Seitens<br />
der Laien kann der Angeklagte aber nicht verurteilt werden.<br />
Das Mehrheitsprinzip soll nur dann wirksam sein, wenn die<br />
Stimmen der Berufsrichter zusammen mit den Stimmen der<br />
Laien eine Mehrheit ergeben.<br />
24<br />
Bezüglich der Beweisaufnahme werden auch das Mündlichkeitsprinzip<br />
und das Unmittelbarkeitsprinzip gestärkt. Die<br />
Praxis, die Protokolle der Ermittlungsorgane als Ausnahme<br />
vom Prinzip des Verbots des Beweises vom Hörensagen in<br />
der Hauptverhandlung zuzulassen, wird sich von nun an nicht<br />
mehr harmonisch mit diesen Prinzipien vereinbaren lassen.<br />
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74<br />
<strong>ZIS</strong> 2/2008<br />
weiter in Richtung der Count-Theorie, also nach dem Parteiprinzip<br />
hin verschieben.<br />
V. Schluss<br />
Der Strom des Prozessgegenstandes fließt von der Tatsache<br />
an sich über den Klagegrund in Richtung des Streitpunkts,<br />
und er wird nicht mehr zurückfließen können. Die Bedeutung<br />
dieses Stroms ist, dass die Zuständigkeit für die Festlegung<br />
des Prozessgegenstandes sich vom Richter zu den Parteien,<br />
besonders zum Staatsanwalt und Verteidiger, verschiebt. Das<br />
bedeutet auch, dass die Aufgaben der Parteien in der Strafjustiz<br />
wichtiger werden. Bis heute spielte hauptsächlich der<br />
Richter die zentrale Rolle, auch wenn die Count-Theorie die<br />
herrschende Meinung geworden ist. Aber von nun an werden<br />
die Parteien eine sehr wichtige Rolle spielen müssen, nicht<br />
nur im theoretischen, sondern auch im praktischen Sinne.<br />
Auf der verlängerten Gerade liegt das Problem, ob der<br />
Angeklagte ein Schuldanerkenntnis („guilty plea“) abgeben<br />
kann, wie es im anglo-amerikanischen Recht der Fall ist. 25<br />
Obwohl das in Japan umstritten ist, stehe ich dem positiv<br />
gegenüber. Aber ich vertrete leider noch die Meinung der<br />
Minderheit. 26 Natürlich halte ich auch das amerikanische<br />
Schuldantwortsystem („arraignment“) infolge der Verhandlung<br />
nur unter den Parteien („plea bargaining“) nicht für gut.<br />
Ein mit einer Art von Wahrheitsprinzip übereinstimmendes<br />
Schuldantwortsystem, also ein etwa nach dem kontinentaleuropäischen<br />
Recht verbessertes System, ist meiner Meinung<br />
nach wünschenswert.<br />
In dieser Hinsicht ist die Absprache-Praxis in Deutschland<br />
sehr interessant. Ob das Wesen der Absprache eine Verständigung<br />
zwischen den Parteien oder eine Anerkennung des<br />
Geständnisses des Angeklagten durch das Gericht ist, ist<br />
besonders interessant. 27 Ich möchte meine Aufmerksamkeit<br />
aus rechtsvergleichender Sicht auch darauf richten, ob der<br />
deutsche Gesetzgeber in Zukunft jedenfalls die Absprache<br />
gesetzlich regeln wird, wozu der Große Senat des Bundesgerichtshofes<br />
„appelliert“ hat. 28<br />
Allerdings ist die rechtliche Situation in Japan sehr flexibel.<br />
Es gibt viele Elemente, die in Bewegung geraten sind,<br />
z.B. das neue Laienrichtersystem 29 , das neue Vorbereitungs-<br />
25<br />
Das ist natürlich eine Diskussion für die Gesetzgebung,<br />
weil § 319 Abs. 2 StPO bestimmt, dass der Angeklagte in<br />
keinem Fall allein aufgrund seines Geständnisses verurteilt<br />
werden darf.<br />
26<br />
Vgl. Taguchi, Keijisoshoho [Strafprozessrecht], 4. Aufl.<br />
2006, S. 32 (auf Japanisch); ders., Keijisosho no mokuteki<br />
[Der Zweck des Strafprozesses], 2007, S. 1 ff., 21 ff. (auf<br />
Japanisch). Positiv auch Tamiya (Fn. 10), S. 409. Die traditionelle<br />
Lehre (z.B. Dando, Jurist 930 [1989], 5 [auf Japanisch])<br />
verneint dies hingegen ausdrücklich. Der Standpunkt<br />
der h.M. ist nicht eindeutig.<br />
27<br />
Vgl. z.B. Meyer-Goßner, NStZ 2007, 425.<br />
28<br />
Vgl. BGHSt 50, 40 (64).<br />
29<br />
Z.B. ist nach einer Meinungsumfrage vom Amt des Kabinetts<br />
im Dezember 2006 die Antwort des Volkes: ich möchte<br />
am Strafgericht teilnehmen (20,8%); wenn es möglich ist,<br />
möchte ich nicht teilnehmen, aber wenn dies meine Pflicht