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Scheffler, Strafgesetzgebungstechnik in Deutschland und Europa Hettinger<br />
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106<br />
R e z e n s i o n e n<br />
Uwe Scheffler, Strafgesetzgebungstechnik in Deutschland<br />
und Europa, Juristische Zeitgeschichte. Kleine Reihe, Bd. 13,<br />
BWV Berliner Wissenschafts-Verlag, Berlin 2006. XII,<br />
156 S., geb. € 38,-<br />
Gewiss, Technè bedeutet neben Kunstfertigkeit, Handwerk<br />
und Kunstwerk u.a. auch Kunstgriff sowie List; aber das<br />
sollte nicht das Gemeinte sein, wenn die Rede von Gesetzgebungstechnik<br />
– oder spezieller von Strafgesetzgebungstechnik<br />
– ist. Jedenfalls wünschte man sich hierfür als zutreffende<br />
Bedeutung doch eher die Kunstfertigkeit, die zur richtigen<br />
Ausübung einer Sache, hier eben der Gesetzgebung, notwendig<br />
ist. Im Lehrkanon deutscher Hochschulen ist sie nicht<br />
verankert. Zur Sprache kommt so manches aber notwendig in<br />
Veranstaltungen zur Methodik der Rechtsanwendung. Im<br />
Übrigen gilt wohl: Das Erforderliche wird gelernt, wenn es<br />
getan werden muss. In solchem Fall sieht man sich nach<br />
gelungenen Gesetzen, besser noch nach denen um, die sich<br />
mit dieser Materie schon kundig befasst haben. Scheffler<br />
führt im Literaturverzeichnis eine ganze Reihe auf, Feuerbach<br />
selbstverständlich, ferner von Liszt, Noll, von Savigny<br />
und – sehr zu Recht – Adolf Wach (Ernst Belings vorzügliche<br />
Methodik der Gesetzgebung, 1922, wäre noch zu nennen,<br />
heute weithin der Vergessenheit anheim gefallen, Richard<br />
Eduard Johns Entwürfe zu einem Strafgesetzbuch, 1868 und<br />
1870, sowie Hans Schneiders Gesetzgebung, 3. Aufl. Weitere<br />
Literatur ist aufgelistet in der Dissertation von Sigrid Emmenegger,<br />
Gesetzgebungskunst, 2006). Gemessen an der Bedeutung<br />
der Thematik und der zunehmenden Zahl der über den<br />
Qualitätsverlust der Strafgesetzgebung Klagenden ist es erstaunlich,<br />
wie selten Fragen der Strafgesetzgebungstechnik<br />
über konkrete Einzelfälle hinaus einmal grundsätzlicher in<br />
den Blick genommen werden. Eben das hat nun Uwe Scheffler<br />
im Mai 2005 in seinem Vortrag auf der Tagung der<br />
deutschsprachigen Strafrechtslehrer für einen Ausschnitt aus<br />
der Gesamtproblematik getan. Die beträchtlich erweiterte,<br />
mit Fußnoten versehene Fassung ist in der von Thomas<br />
Vormbaum herausgegebenen, feinen und schön aufgemachten<br />
„Kleinen Reihe“ des Instituts für Juristische Zeitgeschichte<br />
als Bd. 13 erschienen.<br />
Der Einleitung folgen vier unterschiedlich dimensionierte<br />
Kapitel, nämlich A. Aufklärerisches Gedankengut (S. 6-18),<br />
B. Deutsche Strafgesetzgebung (S. 19-79), C. Internationale<br />
Abkommen (S. 80-90) und D. Europäische Zusammenhänge<br />
(S. 91-130). Das handliche Büchlein beschließen ein Vorschriften-<br />
und ein Literaturverzeichnis (S. 131-156).<br />
In der „Einleitung: Zwischen Kasuistik und Generalisierung“<br />
steckt Scheffler knapp den Rahmen der Möglichkeiten<br />
ab, die jeglicher Gesetzgebung zur Verfügung stehen. Klar,<br />
Generalisierung hält ein Gesetz(buch) schlank, Kasuistik<br />
macht es „dicke“. Innerhalb der Kasuistik unterscheidet der<br />
Autor nun zwei Idealtypen: Einmal Tatbestände mit vielfältigen<br />
Erschwerungsgründen und Strafdrohungen, wie etwa<br />
beim Kindesmissbrauch und beim Diebstahl zu sehen (vom<br />
Autor vertikale Kasuistik genannt); zum anderen Tatbestände,<br />
wie etwa das Verbreiten pornographischer Schriften, bei<br />
<strong>ZIS</strong> 2/2008<br />
denen „die Fülle dagegen auf der Nebeneinanderstellung<br />
verschiedenster Einzelfälle“ beruht (sog. horizontale Kasuistik).<br />
Bekannt ist, dass vertikale Kasuistik der Gleichheit dienen<br />
kann, horizontale der Bestimmtheit. Bekannt ist freilich<br />
auch, dass Abstraktion sich im Unbestimmten verlieren kann,<br />
(reine) Kasuistik hingegen notwendig lückenhaft bleibt. Welchen<br />
Weg der Gesetzgeber einschlagen sollte, ist bei jedem<br />
Projekt eine neu zu beantwortende Frage. Scheffler greift<br />
eben diese zwei Teilaspekte aus der Gesamtproblematik auf,<br />
um so dem Gesetzgeber, auch dem europäischen, vorzuarbeiten.<br />
Ist nämlich „die Struktur der Tatbestände für die Brauchbarkeit<br />
eines Strafgesetzbuches von entscheidender Bedeutung“<br />
1 , so ist von größtem Nutzen zu klären, welche „Gesetzestechniken“<br />
(S. 4) sich nicht eignen.<br />
In Kapitel A. beschreibt Verf., wie die Suche nach der<br />
„richtigen Gesetzgebungstechnik“ für vollständige, eindeutige<br />
und klare Gesetze über Montesquieus Richter als „Mund<br />
des Gesetzes“ von den aufgeklärten Fürsten in ihrem Nutzen<br />
zur Befestigung absoluter Macht erkannt wird, zur dem Richter<br />
wenig Spielraum belassenden Kasuistik führt und darüber<br />
hinaus von dem Gebot „authentischer“ Auslegung flankiert<br />
wird. Das zeittypische Streben nach Perfektionierung lässt<br />
die Gesetzbücher immer umfangreicher werden (dazu S. 8 f.,<br />
aber auch S. 73, Text nach Fn. 350). Feuerbach und von<br />
Savigny zeigen in aller Deutlichkeit, dass Kasuistik, so eingesetzt,<br />
die Probleme nicht lösen kann, nur Allgemeinheit und<br />
Vollständigkeit allgemeiner Regeln – bei detaillierter Durchführung<br />
– dies vermögen (S. 10 ff.). Wie eine solche Technik<br />
aussehen könnte, führt das bay. StGB von 1813 vor, das<br />
Radbruch zu Recht als „groß, bahnbrechend und vorbildlich“<br />
gerühmt hat (S. 17).<br />
Im umfangreichen Kapitel C. widmet Verf. sich der deutschen<br />
Strafgesetzgebung, beginnend mit dem RStGB von<br />
1871, das mit noch weniger Vorschriften auskam als das bay.<br />
StGB von 1813. Wie dort, so glückt aber auch den Redaktoren<br />
des RStGB die Regelung des – bis heute praktisch überragend<br />
wichtigen – Diebstahlkomplexes nicht. Es bleibt<br />
vielmehr bei der „Fülle von Widersinn“ (Wach) im Katalog<br />
des § 243 RStGB 1871 (S. 22 ff.; zu ketzerischen Fragen<br />
Schefflers s. S. 24 f.). Warum aber will es nicht recht gelingen,<br />
insoweit „akzeptierte Unterscheidungen“ zu treffen?<br />
Scheffler bemerkt, es gehe „hier noch um etwas anderes“<br />
(S. 28) und wendet sich der Figur der besonders schweren<br />
Fälle mit Regelbeispielen (und ihren Vorläufern) zu, die das<br />
1. StrRG 1969 in den § 243 StGB aufgenommen hatte. Er<br />
vermutet, dass Motiv für deren Einführung die sattsam bekannten<br />
„unerträglichen Strafbarkeitslücken“ gewesen seien<br />
(S. 32; da Diebstahl grundsätzlich strafbar ist, geht es in diesem<br />
Zusammenhang also nur um die Furcht, nicht „angemessen“<br />
bestrafen zu können, was freilich angesichts der Obergrenze<br />
schon des Grundtatbestandes und den tatsächlich<br />
verhängten Strafen – mit wenigen Ausnahmen weit unterhalb<br />
davon – reichlich merkwürdig anmutet). Im Folgenden gilt<br />
das Interesse des Verf. dieser Technik „moderner Strafgesetzgebung“.<br />
Er konstatiert, dass im Zug des 6. StrRG vielen<br />
bislang unbenannten besonders schweren Fällen Regelbei-<br />
1 So Wach, DJZ 1910, 109, zit. S. 5.