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Österreichische Post AG; PZ 18Z041372 P; Biber Verlagsgesellschaft mbH, Museumsplatz 1, E 1.4, 1070 Wien
www.dasbiber.at
MIT SCHARF
HERBST
2020
+
TSCHETSCHENINNEN
ÜBER
SITTENWÄCHTER
+
WIEDERKEHR IN
ZAHLEN
+
SELLING SEX
+
PUTZ DI’!
Warum Saubermachen kein
dreckiges Geschäft ist
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3
minuten
mit
Dejan L jubičić
© Red Ring Shots
Wir sprachen mit SK Rapid-
Kapitän Dejan Ljubičić über seine
Hochzeit am Wochenende, was er
an Favoriten vermisst und wie man
ein Tor coronakonform bejubelt.
Von Amar Rajković
BIBER: Dejan, du hast am Wochenende
geheiratet. Gratulation! Wie viele Personen
waren bei der Party dabei?
DEJAN LJUBIČIĆ: Danke. Leider
mussten wir aufgrund der Corona-
Verordnung im kleinen Kreis feiern.
Standesamtlich war nur ein Freund von
mir und die Schwiegermutter dabei. Bei
der Feier danach im Klee am Hanslteich
waren noch die Familien und zwei
Teamkollegen, Mateo Barać und Filip
Stojković, eingeladen.
Falls ihr eines Tages Kinder haben
solltet – welche Sprachen werden sie
sprechen?
Meine Frau ist polnischer Herkunft, also
Polnisch. Dann Kroatisch und natürlich
Deutsch. Dazu kommt wahrscheinlich
Englisch. Was gibt es besseres für ein
Kind, als mit vier Sprachen aufzuwachsen?
Woran erinnerst du dich, wenn du an
deine Kindheit denkst?
Ich bin in Favoriten aufgewachsen und
denke mit einem breiten Grinsen an
die Zeit zurück. Wir spielten Fußball im
Käfig, hatten keine Handys und sahen
uns trotzdem jeden Tag. Mein jüngerer
Bruder Robert und ich spielten beim
FavAC. Erst als ich mit zehn Jahren zu
Rapid wechselte, zogen meine Eltern
nach Niederösterreich, westlich von
Wien.
Wie oft redet ihr in der Kabine über
Corona?
Jeden Tag. Rapid lebt auch von den
Fans, die ins Stadion kommen. Wir
wissen, dass wir nichts ändern können,
außer uns an die Regeln draußen zu
halten. Es gibt nichts Schlimmeres, als
vor leeren Rängen zu spielen.
Wie bleibst du am Laufenden?
Ich lese keine Zeitung und schaue
kein Fern. Unser Masseur Wolfgang
Frey, der das Fieber misst, informiert
uns täglich und erklärt uns die neuen
Regeln.
Darfst du deine Mitspieler beim Torjubel
umarmen?
Am Anfang war das verboten. Da
durften wir auch nicht nicht spucken
oder den Ball angreifen. Du vergisst
aber drauf, weil du mitten im Spiel voll
emotional bist und dich einfach über
das Tor freust.
Welche Teams wählst du beim „Fifa“
zocken?
Dortmund und PSG, dort spielen zwei
Stürmer, die ich besonders gern mag:
Erling Haaland und Kylian Mbappé.
Welche Liga würde dich am meisten
reizen?
Ein guter Freund und ehemaliger
Mitspieler von Rapid, Mert Müldür,
schwärmt von Italien: Menschen,
Essen, Spielerentwicklung. Dolce Vita.
Wenn du Rapid verlassen solltest,
welcher Club wird es auf keinen Fall
werden?
Niemals zur Austria und Red Bull!
Alter: 23
Club: SK Rapid
Position: Defensives Mittelfeld
Besonderes: Wurde mit 22 Jahren
zum Kapitän der Kampfmannschaft
gewählt
/ 3 MINUTEN / 3
3 3 MINUTEN MIT
DEJAN LJUBIČIĆ
Der 23-jährige SK Rapid-Kicker im
Schnellinterview.
8 IVANAS WELT
Warum ein wenig Social-Distancing dem
Liebesglück von Jugos gut tun würde.
POLITIKA
10 DAS LEBEN MIT DEN
SITTENWÄCHTERN
Aleksandra Tulejs Reportage über die
Lebenswelt tschetschenischer Frauen in Wien.
18 „HERR WIEDERKEHR, WIE
OFT HABEN SIE IN IHREM
LEBEN GEKIFFT?“
Biber fragt in Worten, Wiener Neos-Chef
Christoph Wiederkehr antwortet in Zahlen.
20 „PUTZ DI‘!“
Reinigungskräfte wehren sich gegen
Vorurteile und Mitleid.
RAMBAZAMBA
26 KLICK DICH HART
Sexarbeit statt Catering: Junge Studentinnen
über Nebenjobs der anderen Art.
32 „MMA IST KEIN
STRASSENKAMPF.“
Aleksandar Rakić ist einer von drei
Österreichern in der UFC. Ein Porträt.
TECHNIK
37 BLICK IN DIE ZUKUNFT
Adam Bezeczky über Learnings aus dem
Lockdown und der Cybertruck aus Bosnien.
LIFE&STYLE
40 JUNG,MODERN,SPIRITUELL
Einblicke in New Age Spirituality
44 WHITE SAVIOUR
Aleksandra Tulej über ihre langwierige
Recherche in der tschetschenischen
Community.
10 18
„HERR WIEDERKEHR, WIE OFT HABEN
SIE IN IHREM LEBEN GEKIFFT?“
Wiener Neos-Chef Christoph Wiederkehr im
Interview in Zahlen
TSCHETSCHENISCHE FRAUEN
Jetzt reden sie: Tschetschenische
Frauen über das Leben mit den
Sittenwächtern.
IN
45 ICH SINGE, WIE ICH WILL
Unsere Praktikantin Milica ist den Hass in
der Ex-YU-Community leid.
KARRIERE
46 WAS TUN MIT TOXISCHEN
CHEFS
Anna Jandrisevits über die drei besten
Lernmethoden und das richtige Arbeitsklima.
20
HALT HERBST
2020
PARA MIT
PUTZEN
Warum junge Putzkräfte
sich nicht für
ihre Jobs schämen.
48 LIBERALE TÜRKEN
Ein Gespräch über türkische Vereine
in Österreich und warum die aktuelle
Integrationspolitik eine „Katastrophe“ ist.
50 WO OLIVENÖL
LORBEER KÜSST
Bei ‚Noble Soap‘ gibt es ein 4000 Jahre altes
Schönheitsgeheimnis: die Aleppo-Seife.
52 VIEL ZU SAGEN
Der Redewettbewerb „Sag‘s Multi“ kommt in
den ORF!
26
1 KLICK,
1 STRIP
Wie junge
Studentinnen mit
OnlyFans, Escort
und Co. Ihren
Lebensunterhalt
verdienen.
© Zoe Opratko, Linda Steiner, Cover: © Zoe Opratko
KULTUR
54 KULTURA NEWS
Aktuelle Kulturtipps – präsentiert von
Nada El-Azar.
57 RASSISMUS IST EINE
GEISTIGE BLOCKADE
Jad Turjman über seine albanischen Wurzeln
und den Asylstaat Syrien.
OUT OF AUT
58 10.000 KILOMETER DURCH
ALBANIEN
Franziska Tschinderle fuhr quer durch Albanien
und hat ein Buch darüber geschrieben.
62 TODOR
Todor Ovtcharov über seinen Onkel Roman,
den Schatzsucher.
Liebe LeserInnen,
Fast jeder Bobo innerhalb des Gürtels beschäftigt eine - aber niemand
redet darüber. Putzfrauen, wie sie der Volksmund nennt, sprechen meist
gebrochenes Deutsch, werden schwarz auf die Hand bezahlt und erregen bei
den Wohnungsbesitzern höchstens ein mitleidiges „Aaah“. Schluss damit! Der
Job der Reinigungskräfte erfordert höchste physische Anstrengung, Hingabe
und Genauigkeit. So denken auch Nora, Ulaş und Emina, die es satt haben,
bemitleidet zu werden, nur weil sie ihren Müttern bei ihren Putzjobs gelegentlich
aushelfen oder gar in jungen Jahren ein eigenes Business aufgezogen haben.
Putzfrauen sind keine anonymen, Deutsch stotternden Sklaven, ohne Charakter
und eigener Geschichte. Es sind unsere Tanten, Nachbarn, Cousins, die mit
enormem Fleiß die Wohnungen und Büros dieser Stadt sauber halten. Und
das meist für eine läppische Zahlung, für die viele ihrer Kunden nicht mal aus
dem Bett aufstehen würden. Huldigen wir die unsichtbaren Heldinnen aus den
Communities mit der Coverstory auf S. 20.
„
Putzfrauen sind keine anonymen,
Deutsch stotternden Sklaven,
ohne Charakter und eigener
Geschichte. Es sind unsere Tanten,
Nachbarn, Cousins, die mit
enormem Fleiß die Wohnungen
und Büros dieser Stadt sauber
halten. Und das meist für eine
läppische Zahlung, für die viele
ihrer Kunden nicht mal aus dem
Bett aufstehen würden.
Amar “ Rajković,
stv. Chefredakteur
Die drei jungen Frauen aus der „1Klick, 1Strip“-Geschichte arbeiten genauso wie
ihre Pendants in der Reinigungsbranche abseits der öffentlichen Wahrnehmung.
Anstatt mit Catering- und Flyerjobs ihr Studium zu finanzieren, lassen sie ihre
Hüllen fallen. Ob Webcam, Escort oder die neue Goldgrube „Onlyfans“, die
Protagonistinnen haben berechtigte finanzielle Gründe, Sex zu ihrem Beruf zu
machen. Ob das auch ein nachhaltiges Lebensmodell ist, könnt ihr auf S. 26
selbst entscheiden.
Von Selbstbestimmung können viele junge Tschetscheninnen in Österreich
nur träumen. In der Reportage „Das Leben mit den Sittenwächtern“ lässt die
Autorin, unsere hochgeschätzte Aleksandra Tulej, die sonst stummen Stimmen
der Frauen laut werden. Wir sind übrigens der Meinung, die medial hoch
gepriesene Geschichte muss sowieso Story des Jahres werden. Mindestens. Ab
S. 10.
In Zeiten von Corona können wir unsere Reisepläne streichen. Gerade
deswegen laden wir euch ein, mit der Autorin Franziska Tschinderle den etwas
anderen Ausflug nach Albanien zu unternehmen. Ab S. 58.
Ja, und nochmal Corona: Rapids Kapitän Dejan Ljubičić durfte nur seinen
Trauzeugen zu seiner standesamtlichen Hochzeit mitnehmen. Wir telefonierten
eine Stunde nach der Trauung mit dem verheißungsvollen Kicker, der sein
zukünftiges Kind in drei Sprachen aufziehen und niemals zur Austria oder Red
Bull wechseln würde auf S. 3.
Wir hoffen doch inständig, dass ihr auch niemals eure Lieblingslektüre wechselt
(Zwinker, Zwinker) und die Zeit bis zum nächsten Heft gesund überbrückt.
Bussi
Eure Redaktion
© Zoe Opratko
6 / MIT SCHARF /
IMPRESSUM
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MEDIENINHABER:
Biber Verlagsgesellschaft mbH, Quartier 21, Musuemsplatz 1, E-1.4,
1070 Wien
HERAUSGEBER
Simon Kravagna
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s e Kolumne von Zina Sayed
CHEFREDAKTEURIN:
Delna Antia-Tatić
STV. CHEFREDAKTEUR:
Amar Rajković
CHEFiN VOM DIENST:
Aleksandra Tulej
LEITUNG NEWCOMER:
Amar Rajković & Aleksandra Tulej
FOTOCHEFIN:
Zoe Opratko
Schöner als Döner
Salome Dorner
ART DIRECTOR: Dieter Auracher
KOLUMNIST/IN:
Ivana Cucujkić-Panić, Todor Ovtcharov, Jad Turjman
LEKTORAT: Florian Haderer
REDAKTION & FOTOGRAFIE:
Adam Bezeczky, Nada El-Azar,Milica Joskić, Yasemin Uysal,
Berfin Silen, Berfin Marx, Anna Jsndrisevits
CONTENT CREATION, CAMPAIGN
MANAGEMENT & SOCIAL MEDIA
Aida Durić
REDAKTIONSHUND:
Casper
BUSINESS DEVELOPMENT:
Andreas Wiesmüller
GESCHÄFTSFÜHRUNG:
Wilfried Wiesinger
KONTAKT: biber Verlagsgesellschaft mbH Quartier 21,
Museumsplatz 1, E-1.4, 1070 Wien
Tel: +43/1/ 9577528 redaktion@dasbiber.at
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WEBSITE: www.dasbiber.at
ÖAK GEPRÜFT laut Bericht über die Jahresprüfung im 2. HJ
2019:
Druckauflage 85.000 Stück
verbreitete Auflage 80.700 Stück
HEISSER BREI
MAL ANDERS
Es geht locker flockig weiter in diesem Monat - und zwar mit
Haferflocken! Natürlich aber mit einem kleinen Twist. In unseren
Breitengraden wird Haferbrei in der Regel süß gegessen.
Doch es geht auch herzhaft! Das Geheimnis dazu ist genauso
elementar wie einfach: Gemüsebrühe. Bewegt man sich erst
einmal auf der anderen Seite des Geschmacksspektrums,
eröffnen sich für den an sich neutralen Haferbrei ganz neue
Möglichkeiten. Wie wäre es mit einem herbstlichen Brei mit
Kürbis, Spinat und Feta? Hierzu einfach Zwiebel und Kürbis
klein würfeln und in einem Topf anbraten. Sobald der
Kürbis Farbe bekommen hat und lecker riecht, einfach Spar
Natur*pur großblättrige Haferflocken dazugeben und mit
Gemüsebrühe aufgießen, bis die Haferflocken die gewünschte
Konsistenz haben. Zum Schluss nur noch eine großzügige
Menge frischen Spinat im Brei welken lassen und mit Feta
und einer ordentlichen Menge schwarzem Pfeffer abrunden.
Wer extravagant sein will, kann das Ganze noch mit einem
Spiegelei toppen. Fertig ist das ideale Frühstück für alle, die
in der früh nicht süß können.
Mahlzeit!
DRUCK: Mediaprint
Erklärung zu gendergerechter Sprache:
In welcher Form bei den Texten gegendert wird, entscheiden
die jeweiligen Autoren und Autorinnen selbst: Somit bleibt die
Authentizität der Texte erhalten - wie immer „mit scharf“.
Präsentiert von
In Ivanas WELT berichtet die biber-Redakteurin
Ivana Cucujkić über ihr daily life.
IVANAS WELT
DELIVERYMK1
ENTDECKE
DICH
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Linie2A
Ivan Minić
U-BAHN
U U
VERLIEBT, VERLOBT – UND DANN
VERSAUEN ES DIE ELTERN
Social Distancing. Eine Empfehlung, die am Balkan
viele Liebeskrisen verhindern würde.
Die ersten Monate in einer Partnerschaft sind aufregend.
Intim. Und gehören nur den zwei Frischverliebten.
Das sehen Beziehungsexperten bestimmt auch
so. Mit dieser absurden These sind Jugo-Eltern aber
wenig einverstanden. Dem jungen Liebesglück ruhige
Zweisamkeit gönnen? Pah! Verschwörungstheorien…
Denn nicht nur die Verliebten sind verliebt. Die Eltern
sind es auch. In der Hoffnung auf eine baldige Hochzeit,
die längst fälligen Enkelkinder und den familiären
Status-Update bei der lokalen High Society: Hey, bei
uns gibt’s News. Unser Jüngster kommt unter die Haube,
Bitches!
GUCCI FÜR DIE SCHWIEGERTOCHTER
Während also Ms. und Mr. Charming noch an ihrem
Beziehungsstatus zweifeln und infrage stellen, ob ein
gemeinsamer Haushalt nach einem halben Jahr die
beste Idee des Jahres ist, überbieten deren Eltern einander
in den Gesten der Großzügigkeit: Die Schwiegertochter
in spe wird mit offenen Armen empfangen,
umworben, beschenkt. Eine Michael-Kors-Tasche hier,
ein Schmuckset von Swarovski da und ein hochpreisiges
Präsent aus der Parfümerie für zwischendurch.
Das neue Familienmitglied soll ja bei Laune gehalten
und ihre Eltern beeindruckt werden. Für sie soll es
Gucci-Taschen regnen.
U-BAHN
U U
NIX ABSTAND. NIX SCHRITTWEISE.
Die Sorge, sich emotional in ein Gestrüpp aus Erwartungen
an ein verzerrt harmonisches Großfamilienidyll
zu verheddern, spülen die Väter mit dem
Selbstgebrannten von Unten runter. Und die Mütter,
Beziehungsstatus BFFs, die posten eifrig pinke Glitzerhasen-Guten-Morgen-Gifs
in der neuen Familien-
WhatsApp-Gruppe.
Gesund ist das nicht. Zuviel Nähe kann krank machen.
Das sollte seit März 2020 doch wohl mittlerweile allen
klar sein. Die Covid-19-Regeln auf den Umgang
JETZT
mit den Schwiegereltern umzulegen würde so manche
Jugo-Ehe retten. Emotional-Distancing LEHRE rettet Lieben.
Gehen wir auf Abstand, so bleiben wir zusammen. Am
besten in Form eines ausgewachsenen Elefanten. Das
ist zumindest meine (private) Erkenntnis aus jahrelanger
Milieu-Forschung. Mit Argumenten kommt man bei
Jugo-Schwiegereltern aber genauso wenig weiter wie
bei Verschwörungstheoretikern.
DELIVERYMK1
MEIN TANZBEREICH. DEIN TANZBEREICH.
In der aktuellen Pandemie sollte man einfach von jenen
lernen, die es besser machen. Von ziemlich allen
westeuropäischen Familien zum Beispiel. Da treffen
zwei Menschen aufeinander, verlieben sich, wollen
heiraten und führen erstmal einige Jahre eine Beziehung.
Ziehen zusammen. Heiratsantrag. Verlobungszeit.
Und frü-hes-tens HIER treffen die Eltern zum
ersten Mal aufeinander. Schön auf Distanz. Mein Tanzbereich,
dein Tanzbereich. Deine Hochzeitsliste. Meine
Hochzeitsliste. Vom glücklichen Paar entschieden
und abgesegnet. „Hat uns sehr gefreut. Wir sehen uns
dann an Weihnachten wieder!“ Klingt nach Vernunft
und Diskretion. Diese Pflichtimpfung würde ich sofort
unterstützen!
Linie2A
cucujkic@dasbiber.at
8 / MIT SCHARF /
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3 0
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13.11.2020 Nachmittag:
spezielle Workshops für Eltern
und Erziehungsberechtigte
DELIVERYMK1
DAS LEBEN MIT DEN
SITTENWÄCHTERN
JETZT REDEN
TSCHETSCHENISCHE
FRAUEN
10 / POLITIKA /
Wenn es in österreichischen Medien um
Tschetschenen geht, wird immer nur über
Männer berichtet. Aber was haben die
Frauen zu sagen? Wie sieht ihre Lebenswelt
aus? Sieben tschetschenische Frauen über
patriarchale Strukturen und Druck der
Sittenwächter auf die Wiener Community.
Text: Aleksandra Tulej, Fotos: Zoe Opratko
Wenn die COBRA mitten
in der Nacht unsere
Wohnung stürmt, weil
mein Bruder mit Waffen
auf Instagram posiert hat, ist das für
meine Eltern ein kleineres Problem, als
wenn ich als Frau Jeans trage. Nur weil
ich scheinbar mit dem falschen Chromosom
geboren bin.“ Die 20-jährige Zara *
hat viel loszuwerden. Ohne Punkt und
Komma erzählt sie über ihr Leben: Über
die Ungerechtigkeiten, die ihr widerfahren.
Darüber, wie ihr Vater ihr das
Kopftuch aufzwingen wollte. Darüber,
dass ihre jüngeren Brüder nachts draußen
bleiben dürfen und sie nicht, und
darüber, in welcher Zwickmühle sie sitzt,
was ihre Zukunft angeht. Dabei betont
sie: „Es ist alles noch viel schlimmer, als
das, was man weiß.“
„DAS KANNST DU
NICHT SCHREIBEN“
„Das kannst du nicht schreiben. Alles,
nur nicht das. Misch dich da nicht ein“,
wird mir von allen Seiten geraten. Dabei
ist das Thema kein Fremdes: In österreichischen
Medien wird oft über Tschetschenen
berichtet: Es geht immer nur
um die Männer – und das im Kontext
von Kriminalität und Gewalt. So wie erst
Mitte August diesen Jahres, als in Wien
und Linz sechs sogenannte „Sittenwächter“
festgenommen wurden. Sie hatten
tschetschenische Frauen verfolgt und
bedroht, da diese sich ihrer Ansicht nach
„zu westlich“ verhalten haben. Oder
der Vorfall von Ende September, bei
dem ein selbsternannter, wahrscheinlich
minderjähriger Sittenwächter einen
Austroserben ins Gesicht schlägt, weil er
mit einem tschetschenischen Mädchen
via Handy geflirtet hat. Die, die negativ
auffallen, schaffen es in die Berichterstattung.
Was ist aber mit den anderen?
In Österreich leben etwa 40.000 Tschetscheninnen
und Tschetschenen – die
genaue Anzahl lässt sich nicht sagen, da
sie in Österreichs Statistiken als russische
Staatsangehörige geführt werden.
Die Mehrheit, die mit Kriminalität nichts
zu tun hat, leidet unter dem schlechten
Image. Vor allem die Frauen. Sie sind es,
die medial stark unterrepräsentiert sind.
Wenn, wird über sie gesprochen. Aber
nicht mit ihnen. Dabei haben sie so viel
zu sagen. Es gibt die, die einen Hass auf
ihre Kultur haben, und die, die mit diesen
Stereotypen nichts anfangen können.
Aber sie haben eines gemeinsam: Sie
wollen gehört werden. Ich will alle ihre
Geschichten aus erster Hand erfahren.
Wie sehen ihre Lebenswelten aus? Was
ist „so viel schlimmer als das, was man
weiß?“. Und was haben jene zu sagen,
die diesem Image der gewaltvollen
Unterdrückung, so gar nicht entsprechen?
Wie Amina. Für ihre 17 Jahre ist
Amina unglaublich wortgewandt und
selbstbewusst. Bei unserem Treffen
lacht sie viel und redet ohne Pause. Bei
ihr merkt man schnell, dass sie zuhause
viel mehr zu melden hat als Zara, die ich
einige Wochen zuvor getroffen habe.
Amina spricht in kurzen Sätzen. „Bei
uns zuhause gibt’s diese Unterteilung
nicht – meine Brüder und ich werden
gleich behandelt.“ Das war schon von
klein auf so: „Eislaufen, Fahrradfahren,
Skateboard. Das alles war bei mir ganz
normal. Ich durfte das alles genau wie
meine vier jüngeren Brüder. Ich kenne
Familien, da ist das nicht so wie bei mir.
Diesen Instinkt des Aufpassers bekommen
die Männer bei uns von klein auf
so beigebracht, so auf: Das ist deine
Schwester, wenn ihr etwas passiert, bist
du schuld.“ Da Amina die Älteste der
vier Geschwister ist, sieht sie sich als
die „Aufpasserin“ – die Rolle, die sonst
oft den Brüdern zugeschrieben wird. Ihr
ist es wichtig, dass ihre Brüder nicht in
falsche Kreise geraten. So wie das bei
Zaras Bruder der Fall war. Er sei früher
ein ganz „normaler, lieber, gescheiter
Junge“ gewesen, wie sie erzählt. Bis ihn
sein Umfeld beeinflusst habe und „er auf
einmal denkt, er muss dem Image des ur
argen Tschetschenen entsprechen“, sagt
Zara frustiert. Diesem Image zu entsprechen,
bedeute für ihn, Stärke und Macht
zu beweisen, auch gegenüber seiner
Schwester. Aber woher stammt dieses
Bild, das Zaras Bruder meint, repräsentieren
zu müssen?
BLUTIGE GESCHICHTE
Das tschetschenische Volk hat viele
Generationen lang im Krieg gelebt. Die
Beziehungen zwischen Tschetschenien
und Russland sind seit Jahrhunderten
von Unterwerfung und Widerstand
geprägt. Anfang der 90er Jahre, nach
dem Zerfall der Sowjetunion, erklärte
Tschetschenien die Unabhängigkeit
gegenüber Russland. Darauf folgten die
beiden Tschetschenienkriege – der erste
von 1994 bis 1996, der zweite von 1999
bis 2009. Im Zuge dieser Kriege flohen
auch meine Gesprächspartnerinnen mit
„
Es ist alles noch viel
schlimmer, als das,
was man weiß.
“
/ POLITIKA / 11
ihren Familien nach Österreich. Auch
heute ist die Lage in der Kaukasusrepublik
angespannt: Seit 2010 ist Ramzan
Kadyrow Oberhaupt der russischen
Teilrepublik Tschetschenien. Seine diktatorische
Amtsführung ist geprägt von
schweren Menschenrechtsverletzungen,
Korruption und einem Personenkult rund
um seine Person. Sein langer Arm reicht
bis in die Diaspora. Für Experten ist es
nicht verwunderlich, dass das „Kämpferische“
zwangsläufig zum Teil der
Identität wird, wenn man in einer Kultur
aufwächst, die davon geprägt ist, sich
beweisen zu müssen, um zu überleben
und wahrgenommen zu werden.
Mädchen wie Zara kennen den Krieg
genau wie ihre Brüder nur aus Erzählungen.
Sie sind als Kleinkinder nach
Österreich gekommen und finden sich
hier in der Diaspora erst recht in diesen
Strukturen wieder. „Ich brauche aber
niemanden, der mich beschützt“, empört
sich Zara. „Wenn ich mit meinem Bruder
rausgehe, ist die Wahrscheinlichkeit,
dass ich in Schwierigkeiten gerate, höher
als wenn ich alleine oder mit Freundinnen
draußen bin.“ Zara weiß, dass sie
ihren Brüdern an Intelligenz und Reife um
einiges voraus ist, aber sie darf weniger,
obwohl sie älter ist. „Du stehst in meiner
Familie vor so vielen grundlos geschlossenen
Türen, nur weil du eine Frau bist.
Du musst die Dinge richtig schlau angehen“,
erklärt sie.
Amina geht es schlau an. „Ich habe
islamisch gesehen so viele Rechte, die
ich mir einfordere – das kannst du dir gar
nicht vorstellen. Bei uns ist immer diese
Frage, was vorgeht: Islam oder Kultur?
Ich sage Islam, weil da darf ich mehr.“
halt reden.“ Der Druck der Community
sei groß und alles spricht sich herum.
Deshalb bleiben die Frauen in dieser
Geschichte auch anonym. Aber reden
wollen sie alle: Wie ihre Freundinnen
Makka und Leyla. Ob sie überhaupt
möchten, dass jemand wie ich, die
mit der Kultur nichts zu tun hat, über
sie schreibt? Sie wollen. „Danke, dass
endlich jemand von außen darüber reden
will. Aber ich vertraue dir hier echt mein
Leben an,“ bekomme ich zu hören.
Welchen Gefahren die Frauen nämlich
zum Teil ausgesetzt sind, dazu kommen
wir später.
Alles muss geheim ablaufen. Von
unseren Treffen weiß niemand. Personenbeschreibungen
lasse ich zu ihrer
Sicherheit aus. Sie sind alle um die
Zwanzig und leben in Wien, das muss
reichen. Nicht einmal ich kenne ihre
echten Namen. Auf Social Media sind die
Mädchen nicht mit ihrer echten Identität
unterwegs. Sie nutzen Fake–Profile.
Auf den Profilfotos sieht man Blumen,
Sonnenuntergänge und Mangas. Fotos
der Mädchen selbst sucht man vergeblich.
Das sei zu gefährlich: „Es gibt dann
Telegram-Gruppen von tschetschenischen
Männern, die Bilder von Mädchen
reinposten und ihnen drohen, weil sie
das zu freizügig finden.“ Deshalb wahren
die Frauen online ihre Identität. Aber das
ist nicht der einzige Grund. Amina hat
mir das so erklärt: „Ich muss immer für
fünf Personen denken: Für mich, meinen
Vater und meine Brüder. Welche Konsequenzen
das für sie haben könnte, nicht
nur für mich.“
„
Islam oder Kultur?
Ich sage Islam, weil
da darf ich mehr.
“
„ICH VERTRAUE DIR HIER
ECHT MEIN LEBEN AN.“
Um zu erfahren, was es mit dieser
tschetschenischen Kultur auf sich hat,
treffe ich mich mit vier jungen Frauen.
„Unser älterer Bruder kontrolliert
uns nicht“, erzählen die Schwestern
Seda und Kadishat. Er vertraue seinen
Schwestern und sehe nicht ein, sie in
irgendeiner Weise einzuschränken. Die
Beiden dürfen auch Hosen tragen – in
der tschetschenischen Kultur eigentlich
nicht gern gesehen, wie sie mir erzählen.
„Aber unser Vater beginnt schon
deswegen zu nerven, weil die Leute
12 / POLITIKA /
„
Ohne Mann keine
Freiheit. Aber der
Mann gibt dir dann
auch keine Freiheit.
“
zu laut lachen oder ihre Meinung sagen.
Darunter fällt auch die Frage: „Wie viele
Kinder willst du?“ Das ginge schon zu
weit – der Mann könnte sich schließlich
ausmalen, wie diese Kinder dann
entstehen. Ob überhaupt Treffen vor der
Hochzeit erlaubt sind, da scheiden sich
die Geister. Auf keinen Fall dürfe man
sich berühren.
Die Sittenwächter haben es sich zur Aufgabe gemacht, die Frauen auf
Schritt und Tritt zu kontroliieren
GESCHLOSSENE GRUPPEN
AUF SOCIAL MEDIA
Dabei ist der Bedarf, miteinander auf
Social Media zu kommunizieren, da. Es
gibt geschlossene Profile auf Instagram,
in denen Tschetschenen und Tschetscheninnen
in Wien sich austauschen
– von Informationen über Studienwahl,
über Netflix-Empfehlungen, Liebeskummer-Postings
bis hin zu Fragen zur
Hochzeitsnacht findet man hier alles.
Um diesen Seiten beizutreten, wird man
aufgefordert, auf tschetschenisch eine
Sprachnachricht zu hinterlassen. Wie ich
das umgangen habe, ist hier irrelevant.
Fakt ist: Man will hier unter sich bleiben
– der kulturelle Verhaltenskodex („Adat“)
ist für Außenstehende schwer zu verstehen.
Stundenlang scrolle ich durch diese
Profile: Neben den „normalen“ Themen
findet man hier allerhand „Ratschläge“.
Und diese Ratschläge sind das, was Zara
mit „schlimmer, als das, was man weiß“
meinte. Ich lese Regeln um Regeln, wie
sich eine „gute, tschetschenische Frau“
zu benehmen hat. Nämlich „schüchtern,
leise, auf keinen Fall schamlos“. Wie sie
sich vor den Schwiegereltern zu verhalten
hat: „Nicht duschen, wenn die
wach sind. Nicht im Raum bleiben, wenn
Männer anwesend sind.“ Die Liste geht
ewig weiter. Aufrufe nach Zweitehefrauen.
Fragen, ob man eine Frau, die keine
Eltern hat, heiraten sollte. Fragen, wie
man seine Schwester, die sich „schamlos“
benimmt, züchtigen kann. Verfasst
von „Hobbysittenwächtern“, wie Zara sie
nennt, „die meinen, der Prophet höchstpersönlich
zu sein.“ Positiv überrascht
bin ich darüber, dass sich die Frauen
in diesen Gruppen das nicht gefallen
lassen. Unter fast jedem Posting entfacht
sich eine Diskussion, in der eine Frau
einem solchen Hobbypropheten Kontra
gibt. Allerdings anonym.
Das, was dort auf Instagram abgeht,
verkörpert den Frust der Frauen im
echten Leben: Auf jedem Schritt werden
sie verurteilt, beobachtet und bewertet.
„Alles nur, weil sich das unsere Männer
irgendwann ausgedacht haben“, so Makka.
„Es gibt aber auch Frauen, die sich
mit diesen ganzen Regeln abgefunden
haben und diese Kultur schönreden wollen.
Die sind noch schlimmer“, verdreht
sie die Augen. Immerhin war ein Mitglied
der im August gefassten Sittenwächter-
Gruppe eine Frau. Apropos Sittenregeln,
die gibt es vor allem in der Liebe. „Wir
haben so viele komische Datingregeln,
das kannst du dir nicht vorstellen.“ Sie
beginnt ihre Aufzählung: Der Mann soll
das Gespräch leiten. Die Frau darf unter
keinen Umständen schamlos sein, also
EINEN SUCHEN,
DER NORMAL IST
Für die Frauen ist Dating Fluch und
Segen zugleich. „Ohne Mann keine Freiheit.
Aber der Mann gibt dir dann auch
keine Freiheit“, erklärt Makka resigniert.
Man müsse sich halt einen suchen, der
normal sei, empfiehlt Amina. „Der dich
normal studieren und den Führerschein
machen lässt.“ Alles andere würde sie
nicht akzeptieren. „Und wenn er nur eine
Zweitfrau erwähnt, dann bin ich weg“,
lacht sie. Daher wollen die Schwestern
Seda und Kadishat auf keinen Fall später
einen tschetschenischen Mann heiraten.
„Aber wir müssen“, sagt Kadishat ernst.
Das tschetschenische Volk ist mehrere
Male historisch gesehen vor der Vernichtung
gestanden. Durch die Heirat „untereinander“
soll gesichert werden, dass
das Volk als solches bestehen bleibt.
Dieses Denken ist in der Community tief
verwurzelt. „Unsere Mutter weiß, wie
unsere Männer so ticken. Aber sie sagt
dann immer: Was soll man machen.“ Bei
Liana ist das anders. Ihr Vater will sie
nur an einen guten Moslem vergeben.
Die Nationalität sei da nicht vorrangig.
Makka unterbricht sie: „Und selbst wenn
es dein Vater erlaubt. Schau, bei uns
ist das so: Ich bin nicht nur die Tochter
meines Vaters. Ich bin auch die Enkelin
von jemandem, die Nichte, und so weiter.
Islamisch gesehen braucht es nur die
Erlaubnis des Vaters. Aber in unserer
Kultur mischen sich alle ein: Onkel,
Brüder, Großvater und irgendwelche
/ POLITIKA / 13
komischen Männer, die man nicht mal so
gut kennt“, sagt Makka kopfschüttelnd.
Dass sie einmal einen anderen Landsmann
heiraten will, weiß in ihrer Familie
niemand. Das Thema „Mischehe“ sei
immer noch ein großes Tabu innerhalb
der Community.
DAS MÄRCHEN VON DEN
SIEBEN BRÜDERN
Die Mädchen und ihre Aussagen hier als
Nonplusultra darzustellen, wäre leicht.
Zu leicht. Sie sind frustriert und deshalb
möchten sie reden – was ihr gutes Recht
ist. Diese Geschichten sind die lautesten
– diese aber als repäsentativ darzustellen,
wäre eine Anmaßung gegenüber
der gesamten Community. Deshalb will
ich wissen, wie es den anderen geht –
jenen tschetschenischen Frauen, deren
Lebensrealität anders aussieht. Wie die
17-jährige Madina * . Madina ist genervt
davon, auf ihre Herkunft reduziert und
mit den immer gleichen Stereotypen
konfrontiert zu werden – dass alle
Tschetschenen kriminell seien und die
ewige Frage, ob man Angst vor ihren
„
Mit meinem
Freund treffe ich
mich im Museum.
Weil da keine
Tschetschenen sind.
“
„sieben Brüdern“ haben müsse. „Sowas
verletzt einen schon.“ Sieben Brüder hat
Madina natürlich nicht. Die Gymnasiastin
will nach der Matura Jus studieren.
Auch das Thema „Mischehe“ wird in
ihrer Familie anders behandelt. Sie ist
es leid, dass immer dieselbe Message
nach außen getragen wird. Dabei lebt die
Mehrheit der Tschetschenen in Österreich
ganz normal, studiert und arbeitet.
„Man kann nicht aufgrund einiger Fehltaten
von Leuten die ganze Nation über
einen Kamm scheren.“ Sie würde sich
wünschen, dass man sich mehr informiert
und austauscht, bevor man alle in
einen Topf wirft. „Es gibt in jedem Land
und in jeder Nation schwarze Schafe.“
WAS MACHT DIE POLIZEI? Stellungnahme der LPD Wien:
BIBER: Kann man laut polizeilichem Kentnissstand die Dimension eingrenzen?
Wie viele solcher "Sittenwächter" sind polizeibekannt?
LPD WIEN: Derzeit läuft ein Ermittlungsverfahren gegen 11 Personen, die
regelmäßig und eindeutig als Sittenwächter in Erscheinung traten. Aufgrund
des speziellen Modus Operandi sowie der in der Regel stark eingeschüchterten
Opfer bedarf es hier intensive undumsichtige Ermittlungen, um mögliche weitere
Tatverdächtige auszforschen.
Wie viele Vorfälle, bei denen sogenannte "Sittenwächter" straffällig wurden,
sind im letzten Jahr bekannt?
Es laufen einige Ermittlungen gegen die Tatverdächtigen, eine genaue Anzahl
wird aus ermittlungstaktischen Gründen derzeit nicht bekannt gegeben. Darüber
hinaus wäre dies nur eine Momentaufnahme, da die Ermittlungen auf
Hochtouren laufen.
Nehmen die Vorfälle aus Ihrer Sicht zu oder ab?
In der jüngsten Vergangenheit wurden diesbezüglich erstmals mehrere Vorfälle
bei der Polizei angezeigt. Wie viele es tatsächlich gibt, lässt sich objektiv nicht
beantworten, da man von einer Dunkelziffer ausgehen kann.,
Um welche Delikte handelt es sich da genau?
Aus polizeilicher Sicht wurden mehrere strafrechtliche Tatbestände wie z.B.
Bildung einer kriminellen Vereinigung, Nötigung, Körperverletzung aber auch
Sachbeschädigung oder gefährliche Drohung erfüllt und daher zur Anzeige
gebracht.
Was macht die Wiener Polizei gegen die Sittenwächter?
Es laufen intensive Ermittlungen durch das Landeskriminalamt Wien in enger
Zusammenarbeit mit der Staatsanwaltschaft Wien. Aus ermittlungstaktischen
Gründen können wir darauf nicht näher eingehen.
„ES GIBT DIE GUTEN. ABER
DIE SIND STILL.“
Die schwarzen Schafe, also das Lieblingsthema
des Boulevards: die Sittenwächter.
Makka und ihre Freundinnen
haben alle schon Erfahrungen mit ihnen
gemacht, deshalb reden wir darüber.
„Das kann ja nicht sein, dass irgendwelche
fremden Zwölfjährigen zu uns auf
der Straße hinkommen und uns darauf
hinweisen, dass unser Rock zu kurz ist",
verdreht Kadishat die Augen. Ich will
wissen, woher diese überhaupt wissen,
dass es sich um ihre „Landsfrauen“ handelt.
Tschetschenen erkennen Tschetschenen
– sagen die Mädchen. „Wenn
du als tschetschenische Frau mit einem
„Nicht-Che“ unterwegs bist und dir dann
Tschetschenen begegnen, ufff“, erklärt
Seda. Sie saß einmal nach dem Unterricht
mit einem Klassenkameraden in der
Straßenbahn, sie unterhielten sich über
die bevorstehende Spanischschularbeit.
„Und dann tauchen wie aus dem Nichts
mir fremde Ches auf und versichern mir,
dass sie mich verprügeln, wenn sie mich
noch einmal mit diesem Jungen sehen.“
Woher sich diese Männer das Recht
rausnehmen, so zu handeln, schieben sie
auf die Kultur. Dabei missbrauchen sie
die Begriffe Ehre und Respekt und reinterpretieren
sie so, dass es ihnen passt,
so die Mädchen.
Auch Amina ist davon genervt: „Als
ob ich etwas dafür kann, wenn mein
Klassenkamerad und ich zufällig denselben
Nachhauseweg haben." Und sie sagt
ihnen dann auch die Meinung. „Wie sich
diese Typen teilweise benehmen, hat
mit dem Islam nichts zu tun. Die haben
einfach durch falschen Umgang eine
Gehirnwäsche bekommen.“
Aber was ist mit den „Guten“? Jenen
tschetschenischen Männern, die diesem
Image nicht entsprechen? „Es gibt die
Guten. Die sind aber still. Die hörst du
nicht, weil die nicht so laut sind. Weil
die sich nicht präsentieren. Und die
wollen dann auch keine Tschetschenin
heiraten“, erklärt Leyla. Aber die Lauten
geben leider den Ton an – und die
anderen leiden darunter. Oder geraten
zu früh in schlechte Kreise. Wie Zaras
Bruder. „Mit meinem Freund treffe ich
mich im Museum. Weil da keine Tschetschenen
sind“, erzählt mir Zara, ohne
mit der Wimper zu zucken. Ihr Freund
14 / POLITIKA /
„
Wie sich diese Typen
teilweise benehmen,
hat mit dem Islam
nichts zu tun. Die
haben einfach durch
falschen Umgang
eine Gehirnwäsche
bekommen.
“
/ POLITIKA / 15
– kein Tschetschene. „Ich weiß, dass
meine Brüder mit allen Lisas und Annikas
Wiens schreiben, und das ist egal, weil
sie Jungs sind. Aber ich will mir nicht
ausmalen, wenn meine Eltern von meinem
Freund erfahren würden.“ Sie will
ihren Freund heiraten. „Auch wenn wir
uns einmal trennen – wir sind ja noch
jung. Aber immerhin weiß er dann, dass
er mich aus dieser Familie herausgeholt
hat“, sagt sie ernst. Mit der Familie zu
brechen, das wäre nur im äußersten
Notfall eine Option – und wie überall, wo
Communities stark vernetzt sind, auch
problematisch.
„UNSERE KULTUR IST ARG
PATRIARCHAL. DAS KANN
NIEMAND VERLEUGNEN."
Bei Zara merkt man schnell, dass dieser
Hass auf tschetschenische Männer aus
ihrer Erziehung verinnerlicht ist. „Tradition
wird bei vielen unserer Männer über
Religion gestellt. Mein Vater ist so einer:
Betet nicht, raucht, betrügt meine Mutter.
Aber wenn ich mich früher als Teenagerin
geschminkt habe, hat er mir ins
Gesicht gespuckt.“ Bis Zara den Hijab –
den sie nie tragen wollte – ablegen konnte,
war es ein langer Kampf. Der Vater
drohte ihr, sie einzusperren. Mit der Hilfe
ihrer Mutter und viel Überzeugungskraft
hat sich Zara im Endeffekt durchgesetzt.
Die Kleiderordnung bei ihr zuhause ist
nach wie vor ein Thema: Jeans werden
bei ihr daheim auch nicht gern gesehen:
„Das Ironische ist: Egal wie kurz mein
Minirock wäre, es ist weniger schlimm,
als eine Hose.“ Dies bekräftigen auch
die anderen Mädchen – manche Regeln
ergeben für sie keinen Sinn. „Unsere Kultur
ist arg patriarchal. Das kann niemand
verleugnen." resümiert Makka.
„
Das Ironische ist:
Egal wie kurz mein
Minirock wäre, es ist
weniger schlimm, als
eine Hose.
“
„WIR MÜSSEN DIE
NÄCHSTE GENERATION
ANDERS ERZIEHEN“
Aus unseren Gesprächen geht eines
klar hervor: Alles, was Zara, Makka,
Leyla, Seda und Kadishat an ihrer Kultur
beklagen, ist die verzerrte, patriarchale
Denkweise aus ihrem Umfeld. Somit
drehen sich unsere Gespräche erst recht
hauptsächlich um die Männer: Um die
Denkweise jener Männer, die aufgrund
fragwürdiger Vorbilder und patriarchal
verinnerlichter Strukturen die lautesten
sind. Darunter leiden nicht nur die
tschetschenischen Männer, die diesem
Image null entsprechen – sondern vor
allem die Frauen. Auch in Wien sind sie
nicht in Sicherheit. Was braucht es also,
damit mehr tschetschenische Frauen
wie Madina aufwachsen und nicht
wie Zara, Makka, Seda und Kadishat
vor Sittenwächtern Angst haben? Die
Männer brauchen gute Vorbilder. Es
braucht mehr Aufklärung, mehr Bildung,
mehr Austausch, und vor allem: Es muss
den Frauen endlich zugehört werden.
Was sich diese Frauen für ihre Zukunft
wünschen? Dass sie nicht mehr für jeden
ihrer Schritte verurteilt werden, nur weil
sie Tschetscheninnen sind. Dass auch
ihre Community mit der Zeit geht. Das
resümiert Leyla: „Wir werden diese Freiheit
so nicht mehr erleben. Aber was wir
tun können, ist, unsere Kinder, unsere
Söhne so zu erziehen, dass die nächste
Generation endlich normal aufwachsen
kann.“ ●
Alle Fotos wurden für die Geschichte nachgestellt
– bei den abgebildeten Personen handelt es sich
nicht um die Protagonistinnen aus dem Artikel.
Alle Namen wurden von der Redaktion geändert.
16 / POLITIKA /
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Herr Wiederkehr,
wie oft haben
Sie in Ihrem
Leben gekifft?
Wie hoch ist
die Wahrscheinlichkeit
(in %), dass Sie
mit der SPÖ
koalieren?
Wie oft mussten
Sie sich
während des
Wahlkampfs
auf der Straße
namentlich
vorstellen?
Wie viele
Meter links
von der Mitte
steht Michael
Ludwig?
Interview in Zahlen:
In der Politik wird genug
geredet. Biber fragt in Worten,
Wiener Neos-Chef Christoph
Wiederkehr antwortet
mit einer Zahl.
50
100
10
Von Yasemin Uysal, Amar Rajković, Fotos: Zoe Opratko
Der Wiener Neos-Chef hat an 9 Joints in seinem
Leben gezogen.
Ethikunterricht sollte laut Wiederkehr schon ab der ersten Stufe
verpflichtend sein.
Wie viele
Menschen
kennen Sie,
die an Corona
erkrankt sind?
Wie viele
SchülerInnen
sollten maximal
in einer Klasse
unterrichtet
werden?
Ab welcher
Schulstufe
sollte der
verpflichtende
Ethikunterricht
eingeführt
werden?
Wie viel Euro
wollen die NEOS
zusätzlich in die
Bildung investieren,
falls sie in
die Stadtregierung
kommen?
Wie viel
Prozent der
städtischen
Betriebe sollten
privatisiert
werden?
8
18
1
40.000.000
0
18 / POLITIKA /
Wie viel Meter
rechts von der
Mitte steht
Gernot Blümel?
Wie viel Euro
haben die
NEOS für
den Wiener
Wahlkampf
ausgegeben? *
Spätestens
wann wird es
in Wien einen
nicht-roten
Bürgermeister
geben?
Wie viele
Jahre sollte
ein/e Politiker/
in max. in der
Politik bleiben?
Wie viele
Kinder aus
Moria kann
Wien maximal
aufnehmen?
75
2.000.000
2080
15
300
*Zum Vergleich: Die Wahlkampfkosten
der Grünen
betrugen 1.660.031,96€
Christoph Wiederkehr verortet den möglichen Koalitionspartner
Bürgermeister Michael Ludwig 10 Meter links von der Mitte.
Der jüngste Spitzenkandidat des Wiener Wahlkampfs kennt
acht Menschen, die an Corona erkrankt sind.
Wie viele
Hemden
besitzen Sie?
Wie oft haben
Sie in Ihrem
Leben gekifft?
Wie oft haben
Sie in Ihrem
Leben Shisha
geraucht?
Auf einer Skala
von 1 bis 10
(1=gar nicht
gläubig; 10=sehr
gläubig) Wie
gläubig sind Sie?
Wie hoch ist Ihr
Netto-Gehalt
als Wiener
Obmann der
Neos?
9
9
50
1
6800
/ POLITIKA / 19
PUTZ DI‘,
WENN DU EIN
PROBLEM HAST
Emina, Ulaş und Nora putzen, genauso wie es ihre Eltern taten – und sind stolz drauf.
Text: Naz Küçüktekin, Fotos: Zoe Opratko
Ich helfe meiner Mutter seit meinem siebten Lebensjahr
beim Putzen“, erinnert sich Ulaş. Der 33-jährige Wiener
Türke ist groß, breit gebaut und aufgewachsen in
Ottakring beziehungsweise „OK“, wie er es nennt. Er ist
der letzte, von dem man auf den ersten Blick erwarten würde,
dass er in seinem Leben schon viel geputzt hätte. Das Saubermachen,
privat oder beruflich, wird hierzulande oft den Frauen
zugeschrieben. „Meintest du Putzfrau?“, fragt selbst Google,
wenn man nach einer Putzkraft im Internet sucht. Ulaş kann
darüber nur müde lachen.
Laut dem Experten für Schattenwirtschaft Friedrich Schneider
von der Johannes-Keppler-Universität in Linz (JKU) sind 90
Prozent aller Haushaltshilfen nicht offiziell beschäftigt. Er geht
von bis zu 400.000 Menschen aus, die „privat“ putzen gehen,
was für diese Arbeiterinnen und Arbeiter bedeutet, dass sie
weder kranken- noch pensionsversichert sind. In akademischen
Kreisen innerhalb des Gürtels muss man lange nach
einem Haushalt suchen, der nicht auf fremde Hände angewiesen
ist, wenn es um Ordnung und Sauberkeit in den eigenen
vier Wänden geht.
Trotzdem hat der Job einen schlechten Stand in der
Gesellschaft. „Die Putze“ steht ganz unten in der sozialen
Hierarchie. „Putzen hat eine sehr lange Tradition. Früher waren
es die Diener, die das gemacht haben“, erklärt der Soziologe
Kenan Güngör. Das Ansehen eines Jobs hängt sehr stark mit
dem dafür nötigen Bildungsgrad oder mit dem damit erreichbaren
Einkommen zusammen. „Diese beiden Faktoren sind
bei Putzpersonal oft nicht besonders hoch, spielen aber eben
eine große Rolle, was die soziale Anerkennung betrifft. Das
sieht man z.B. im Vergleich mit den Müllmännern. Die machen
theoretisch auch sauber, verdienen aber sehr gut und haben
dadurch gleich einen viel besseren gesellschaftlichen Stand“,
so Güngör.
„MENSCHEN GRÜSSEN MEINE MUTTER
OFT NICHT MAL.“
Boden aufwischen und Fenster reinigen gehören für Ulaş
schon von klein auf zu seinem Alltag. Seine Mutter ist vor 27
Jahren nach Österreich gekommen und seither übt sie den
knochenharten Beruf aus. Stolz erzählt ihr Sohn, mit wieviel
Hingabe und Genauigkeit sie arbeitet. „Als sie mal krank war,
haben wir uns bei uns Zuhause eine Putzkraft genommen. Was
hat Mama gemacht? Natürlich nochmal hinterhergeputzt, als
sie weg war“, lacht er. Ulaş ist einer der wenigen, denen seine
Mutter beim Putzen wirklich vertraut. Deswegen „darf“ er auch
ab und zu statt ihr ran. „Sie würde mich nie als Vertretung
nehmen, wenn sie nicht wüsste, dass ich alles genauso gut
mache wie sie“, erklärt er. Immer wieder betont der sanftmütige
Vorzeigesohn, wieviel er durchs Putzen gelernt hat. „Als ich
ausgezogen bin, war es kein Problem für mich, meine eigene
Wohnung zu putzen. Und auch als ich beim Bundesheer war,
hat ein Kommandant mich und einen anderen mal zum Kloputzen
eingeteilt. Für mich keine große Sache. Der Kollege aber
meinte, das sei doch Frauensache. Daraufhin musste er die
Klos allein Putzen“, grinst Ulaş verschmitzt.
Einige Zeit lang arbeitete der Ottakringer auch selbst in der
20 / POLITIKA /
Ulaş‘ Mutter putzt
seit 27 Jahren.
Er hilft mit.
/ POLITIKA / 21
Branche als Reinigungskraft in
einer Schule. Mittlerweile ist der
33-Jährige im Tech-Support bei
der Firma Siemens tätig. Seiner
Mutter steht er aber noch immer
zur Seite. „Es ist selbstverständlich,
dass ich ihr helfe. Das macht
die ganze Familie. Dann ist sie
auch schneller fertig“, erklärt er.
Im Laufe des Gesprächs merke
ich aber immer wieder, dass
es hier nicht nur um die Arbeit
geht. Denn oft ist Ulaş auch das
Sprachrohr für seine Mutter, steht
für sie ein, wenn sie es nicht
kann. „Wir hatten mal einen Auftrag für eine Wohnung im ersten
Bezirk. Und der Gazda (Hausherr) hat dann gleich begonnen,
mit meiner Mutter in gebrochenem Deutsch zu reden. So
auf ‚machst du so, putzt du da‘. Ich stand da noch draußen.
Als ich das gehört habe, bin ich rein, und habe gefragt, ob
das nicht auch ein bisschen freundlicher ginge. Ich mein, der
Typ war ein Professor“, zeigt Ulaş sich verwundert. Bei einem
anderen Einsatz war es auch Ulaş, der für die Arbeit seiner
Mutter mehr Geld verlangte, als sie eine Wohnung zusätzlich
putzen sollte, man ihr aber nicht mehr bezahlen wollte. „Die
Leute denken: ‚Sie ist ja eh nur eine Putzfrau.‘ Menschen grüßen
meine Mutter oder generell Putzfrauen oft nicht mal. Oder
sie tun so, als ob sie nicht da wären. Dabei würde ohne diese
Arbeit die ganze Gesellschaft nicht funktionieren“, sagt Ulaş.
„Das gilt eigentlich für jeden Job. Aber Menschen erkennen
das erst, wenn eine Knappheit herrscht. Man hat das in der
Corona-Zeit gut bei Pflegern gesehen. Ein ähnlich harter Job,
der erst Anerkennung bekam, als es einen Mangel gab“, erklärt
Güngör die fehlende Wertschätzung.
„ICH HABE DAS VON IHR.“
„Wenn ich beginne zu sprechen, sind Viele mal überrascht,
dass ich Deutsch kann“, erzählt Nora. Sie ist 22, im Burgenland
als Tochter einer Kroatin und eines Österreichers aufgewachsen
und passt gar nicht in das Bild einer typischen Putzfrau.
Jung, stylisch gekleidet und selbstsicher sitzt sie mir gegenüber.
„Das Klischee ist schon die ältere ausländische Frau,
die kein Deutsch kann. Und dann komme ich“, lächelt Nora.
„Die Leute müssen nicht mal was sagen. Ich sehe sofort an
ihren Gesichtern, dass sie nicht jemanden wie mich erwarten.“
Manchmal könne das ganz lustig
werden, und in manchen Fällen
unangenehm. „Letzens zum
Beispiel hatte ich einen Auftrag,
wo es keinen Wischmopp
und Putzkübel vor Ort gab. Also
musste ich welche besorgen und
als ich dann mit den Sachen über
die Straße ging, lachte mich eine
Gruppe von Jungs aus. Hätte
ich es nicht eilig gehabt, hätte
ich schon gefragt, was das soll“,
erzählt Nora.
Die Burgenländerin ist eine
Ausnahme im Putz-Business:
Eine junge Frau, die sich freiwillig ausgesucht hat, Vollzeit als
Reinigungskraft zu arbeiten und davon gut leben kann. 15 Euro
verlangt sie in der Stunde, ist versichert und versteuert ihr Einkommen.
Damit geht es Nora besser als vielen anderen. Laut
einem Bericht der Arbeiterkammer wird jeder zehnten Putzkraft
ihr Lohn nicht korrekt abgerechnet. Ihnen geht es zudem
gesundheitlich überdurchschnittlich schlecht und mehr als zwei
Drittel können sich nicht vorstellen, den Job bis zur Pension
durchzuhalten.
Bei Nora ist dies nicht der Fall. „Mit circa 15 habe ich fürs
Taschengeld bei Freunden und Verwandten begonnen. Mit der
Zeit wurde es dann immer mehr. Irgendwann musste ich zwischen
meinem Studium als Freizeitpädagogin und dem Putzen
entscheiden. Jetzt bin ich seit drei Jahren als Reinigungskraft
selbstständig“, so Nora. In der Familie gab es keine Kontroverse
um ihre Berufswahl. „Die haben das eh schon kommen
gesehen und fanden es gut, dass ich einen Job mache, der
mir Spaß macht.“ Zudem war sie nicht die erste in der Familie,
die als Putzkraft zu arbeiten begonnen hat. „Meine Mutter ist
während des Bosnienkriegs herkommen und hat anfangs auch
geputzt. Meine Ur-Oma hat das sogar ihr ganzes Leben lang
gemacht. Ich glaube, von der habe ich das auch.“ Putzen über
Generationen hinweg.
Ihre Berufswahl verstehen trotzdem die Wenigsten. „Ich
muss schon immer erklären, wie und warum ich das mache.
Grad bei Männern kommt das auch oft komisch. Aber in der
Regel verstehen es die meisten dann. Deshalb finde ich es
wichtig, darüber zu reden. Es ist ein toller Job, der mehr Aufklärung
braucht. Wir sind mehr als nur Menschen mit einem
Besen in der Hand.“
22 / POLITIKA /
Viele sind
überrascht,
dass Nora
Deutsch kann.
/ POLITIKA / 23
„ICH KÖNNTE NIE
EINEN ANDEREN JOB
MACHEN.“
Nora macht ihren Job aus Leidenschaft,
das merkt man im
Gespräch mit der quirligen Eisenstädterin
sehr schnell. „Die Fensterleisten
zu putzen macht einen
wirklich großen Unterschied, da
schaut der ganze Raum gleich
besser aus“, erzählt sie mir. Jeder
Fleck, wie klein und wo auch
immer er ist, muss entfernt werden.
„Und mit Essig und Wasser
lassen sich Fenster am besten
putzen“, ist sich Nora sicher. Sie sieht in ihrem Beruf eine erfüllende
Tätigkeit, die sie auch noch fit halte und sinnstiftend sei.
„Ich könnte einfach nie einen Job machen, wo ich nur sitze.
Ich muss mich bewegen. Außerdem sieht man beim Putzen am
Ende des Tages genau, was man gemacht hat“, betont Nora,
die 30-40 Stunden wöchentlich putzt, um grinsend hinzuzufügen:
„Schlecht verdient man auch nicht.“
Durch die Corona-Krise bekam ihre Firma sogar noch mehr
Aufträge. „Während des Lockdowns merkten viele, wie wichtig
ihnen doch ein sauberes Zuhause ist. Auch kam hinzu, dass
viele Putzfrauen aus Ländern wie der Slowakei oder Polen nicht
mehr einreisen konnten“, macht mich Nora auf den Personalengpass
aufmerksam. Sie bräuchte eigentlich jemanden, der
bei ihr mithilft. Aber es sei schwer – trotz ihrer persönlichen
Begeisterung fürs Putzen – jemanden aus der österreichischen
Bevölkerung zu finden. „Die Menschen vertrauen uns
doch sehr Privates an. Deshalb bin ich sehr vorsichtig, wen
ich einstelle. Aber irgendwann ist es schon mein Ziel, mehrere
Mitarbeiter zu haben“, so Nora.
„ICH BIN NUR EINE PUTZFRAU, MEHR
KANN ICH NICHT.“
Für Emina war das Putzen Mittel zum Zweck. Die 24-jährige
Bosniakin finanzierte sich dadurch ihr Studium. Als geringfügig
Angestellte war sie für die Reinigung eines Kindergartens
zuständig. Eine Stelle, die zuvor ihre Mutter innehatte. Als
Emina öffentlich genau darüber twittert, tritt sie regelrecht
eine Welle der Solidarität los: „Ich rede eigentlich nie öffentlich
darüber, aber ich arbeite derzeit als Reinigungskraft und jedes
Mal, wenn ich es jemanden erzähle, kommt zuerst ein gesenkter
Blick und ein ‚ah ok‘. Und
ich habe das Gefühl, ich muss
mich dafür schämen?“ Mit diesen
Zeilen beginnt die Publizistikstudentin
ihre öffentliche Kritik
daran, dass der Putzberuf nach
wie vor so geringgeschätzt wird.
Die wenigen Sätze liefern einen
Eindruck über das Leben und den
sozialen Status der vorwiegend
weiblichen Putzkräfte. Sie erzählen
von der harten Arbeit, die die
Saubermacher*innen verrichten,
von den Vorurteilen und Herabwürdigungen,
mit denen sie zu
kämpfen haben und davon, was eine Arbeit, die von der Gesellschaft
nicht gewürdigt wird, mit einem Menschen macht. „So
ein Job schwächt wirklich das Selbstbewusstsein. Man glaubt
dann sehr schnell, was die anderen drüber sagen und ist dann
selbst irgendwann der Meinung: ‚Ich bin nur eine Putzfrau,
mehr kann ich nicht‘“, sagt Emina mit einem Kopfschütteln.
„Die Peer-Group, also mit welchem Umfeld man sich vergleicht,
ist hier entscheidend“, kommentiert Güngör. In Eminas
Fall waren das ihre Studienkolleg*innen, von denen die meisten
in ganz anderen Jobs arbeiteten. „Besonders schlimm treffen
es Menschen, die vorher gesellschaftlich höhergestellt waren,
also zum Beispiel Akademiker, und die dann putzen müssen.
Diesen ‘Abstieg‘ sehe ich oft bei Menschen, die aus dem ehemaligen
Jugoslawien nach Österreich gekommen sind“, fügt
Güngör noch hinzu.
„Ja, ist so“, stimmt Ulaş ein, als ich ihm Eminas Tweets zu
lesen gebe. Und von Nora kommt nach jedem runterscrollen
ein: „Das trifft es komplett.“ Emina beschreibt in ihren Tweets
das Leben, das gerade viele Migrantenkinder gut kennen und
berührt damit einen wunden Punkt. Ulaş, Nora und Emina kennen
alle die Momente, wenn die Mutter erschöpft nach Hause
kommt. Die eigene Mutter, der man eigentlich einen nicht so
anstrengenden Job wünschen würde, aber man weiß genau,
sie traut sich nicht mehr zu oder macht es nur für „uns“, für
ihre Kinder, die erfolgreich ihren Weg beschritten haben und
keine Schamgefühle empfinden, wenn sie selber den Besen
oder Staubsauger in die Hand nehmen. ●
24 / POLITIKA /
Emina wehrt sich gegen
verschämte Blicke, wenn
sie jemandem von ihrem
Nebenjob erzählt.
/ POLITIKA / 25
SELLING
SEX
26 / POLITIKA /
Zwischen Daddy-Kinks, Fetisch und Escort: Junge Frauen in Wien
verdienen sich mit Sexarbeit die Kosten für ihr Studium. Warum
ihre Tätigkeit nicht antifeministisch sei, Trends auf TikTok aber
gefährlich seien und wie sie mit den Schattenseiten im Business
umgehen, darüber berichten drei Insiderinnen.
Von Berfin M., Illustrationen: Linda Steiner
Warum verkaufe ich nicht über Kleinanzeigen
im Internet Fotos von meinen Brüsten?“, fragt
sich Pia * das erste Mal, als sie einen Job im
Internet sucht. Durch die Kürzung der Studienbeihilfe
macht sich die Wiener Studentin auf die Suche nach
einer neuen Arbeit, die am besten online zu erledigen sein sollte.
Während ihrer Recherche stößt sie auf Berichte von Frauen,
die über exorbitante Verdienste schreiben, weil sie Fußbilder
an Fetischist*innen schicken. „Warum probiere ich das nicht
selbst einmal aus?“, denkt sich Pia. Inzwischen zählt die junge
Frau mit den pechschwarzen langen Haaren, den Gesichtspiercings
und dem dunklen Make-Up zu den Top-Verdienerinnen
der Branche - und das Weltweit.
VON ARBEITSLOSER STUDENTIN ZUR
TOP-ONLINE-SEXARBEITERIN
Seit zweieinhalb Jahren verkauft Pia, die heute 25 Jahre alt
ist, Fotos und Videos von ihrem Körper im Internet. Meistens
sind diese Fotos herkömmliche Selfies in Dessous, aber auch
professionellere Erotikbilder von ihr in lasziven Posen im Bett
oder vor einer schönen Wand stellt sie für ihre Kundschaft her.
Pia erzählt, dass die Selfies oft besser ankommen, weil die
Kunden dadurch das Gefühl einer „engeren Bindung“ zu ihr
gewännen. Im Jänner dieses Jahres hat sie über die Empfehlung
ihres damaligen Freundes die internationale Plattform
OnlyFans entdeckt. OnlyFans ist eine Website, auf der viele
Sexarbeiter*innen private und intime
Inhalte verkaufen. Heute ist Pia eine
der bekanntesten Akteur*innen auf
OnlyFans und verdient (ohne Abzug
von Steuern) etwa 12–17 Tausend Euro
im Monat. Ganze 15 bis 18 Stunden
fließen dafür am Tag in ihre Arbeit, täglich beantwortet sie bis
zu 60 Anfragen. Über private Nachrichten verkauft die Studentin
ihre Bilder und Videos. Sie erzählt, dass ein Video bis zu 4
Euro die Minute kosten könne, während komplett nackte Bilder
je 7 Euro kosten würden. Ein sogenanntes „Custom-Video“,
also ein Video, das nach speziellen Wünschen für jemanden
gedreht wird, kostet 17 Euro pro Minute. Bei bestimmten
Fetischen oder „Kinks“ (ungewöhnliche sexuelle Vorlieben)
„Custom-Video“
gibt es einen Aufschlag. Wenn der oder auch die Kund*in
eine Namenserwähnung im Video möchte, kostet das 25 Euro
mehr. Die Nachfrage nach persönlichen Videos, in denen
sich die Kund*innen spezifisch angesprochen fühlen können,
ist enorm hoch. Pia unterstreicht, dass bei ihr die Preise im
Durchschnitt höher liegen. Sie ist nun einmal schon ein Star
der Szene.
„WAS WÜRDE DEIN PAPA SAGEN?“
Die meisten Freund*innen von Pia wissen von ihrer Arbeit.
Ihre Eltern weniger. Pia ist in einem konservativen Dorf mit
etwa 2000 Einwohnern groß geworden. Die vielen Piercings
und Tattoos, die ihren Körper schmücken, würden einem fast
eine andere Geschichte erzählen. Die Erziehung zuhause sei
streng und wenig liebevoll gewesen. Sie erzählt, wie sie von
einer unbekannten Person im Internet, die ihre Eltern persönlich
kannte, bedroht wurde. „Was würde dein Papa zu deiner
Arbeit sagen?“, schrieb ihr der anonyme User auf Instagram.
Aus Angst vor möglichen Konsequenzen blieb ihr nichts anderes
übrig als die Flucht nach vorne. Sie musste es ihren Eltern
erzählen, ohne auf jedes Detail einzugehen. Ihre Eltern denken
bis heute, dass sie kurzfristig mit „Sexting“, also dem Versenden
von Videos und Fotos mit sexuellem Inhalt, etwas Geld
gemacht haben soll. Dass sie weiterhin aktiv in der Sexindustrie
arbeitet, wissen sie nicht. „Die Beziehung zu meinen Eltern
ist jetzt relativ stabil, aber nicht wirklich offen. Jeder macht
halt sein Ding, aber ich weiß auch,
dass, wenn alle Stricke reißen sollten,
sie immer da sind.“
Die junge Studentin hat sich im
Internet auf BDSM spezialisiert, das
ist ein Fetisch, der unter anderem
mit Dominanz, Unterwerfung oder Lustschmerz zusammenhängt.
Zudem geht Pia mit ihren Kund*innen häufig Rollenspiele
ein. Vor allem die sogenannten „Daddy-Kinks“ sind
gefragt. Dabei wird eine Beziehungsdynamik inszeniert, in der
beispielsweise der Mann eine führende, väterliche und fürsorgliche
Rolle einnimmt und die Frau in einer kindlichen Rolle
dominiert wird. Solche Rollen seien, so Pia, jedoch nicht auf
das Geschlecht festgeschrieben und könnten variieren.
/ POLITIKA / 27
GEFÄHRLICHE GLORIFIZIERUNG
AUF TIKTOK
Für Sexarbeiter*innen wie Pia ergeben sich im Internet einige
Vorteile. Einer davon ist die Tatsache, dass man online
etwas sicherer ist als offline, da sie sich nicht persönlich
in ungeschützten Räumen wie einem Hotelzimmer oder
bei Kund*innen zuhause treffen. Frauen wie Pia können so
bequem im Pyjama von daheim aus arbeiten. Pia steht oft um
6 Uhr auf, macht sich fertig, um Fotos und Videos zu schießen,
und versendet den restlichen Tag gemütlich im Bett
liegend Nachrichten an ihre Kund*innen. Jedoch läuft nicht
immer alles ohne Probleme: Pia hat oft mit dubiosen Anfragen
zu kämpfen. Kund*innen würden moralisch verwerfliche und
sogar bestialische Videos von ihr wünschen, wie beispielsweise
einen sexuellen Akt mit Tieren. An anderen Tagen bekommt
sie obendrein Kinderpornografie zugeschickt. Manche Männer
erzählen während des Sextings sogar von ihren Töchtern, die
schlafend im Nebenzimmer lägen. Pia meldet diese Personen
an die Plattform und blockiert sie. Diese verstörenden Erlebnisse
von Online-Sexarbeiter*innen werden im Hinblick auf
Sexarbeit leider oft nicht thematisiert. Pia beobachtet, wie
Online-Sexarbeit auf der Plattform TikTok glorifiziert wird. In
den letzten Jahren tauchten auf TikTok immer mehr Videos
auf, wo Sexarbeiter*innen jungen Mädchen Tipps geben, wie
sie in die Industrie einsteigen und schnelles Geld machen
können. Dabei erzählen sie auf humorvolle und lustige Art
und Weise, wie sie Sexarbeiter*innen geworden sind – ohne
dabei die Nachteile und das Gefahrenpotenzial anzusprechen:
„Das ist gefährlich. Vor allem, wenn die meisten User*innen
von TikTok erst zwischen 11 und 18 Jahren sind. Sexarbeit ist
ja auch erst mit 18 Jahren legal. Es wird immer total positiv
darüber gesprochen, ohne den psychischen Stress dahinter
zu erwähnen.“ Ein immer wieder auftauchendes Problem, mit
dem OnlyFans-User*innen kämpfen müssen: Der Content,
für den Kund*innen bezahlen, wird immer wieder gratis auf
Pornoseiten veröffentlicht. Natürlich geschieht dies ohne der
Zustimmung der Akteur*innen.
Den Vorwurf, dass Sexarbeit
antifeministisch sein soll, kann
Pia allerdings nicht nachvollziehen.
Wie viele andere der jungen
Sexarbeiter*innen, die ihre
Dienstleistungen sowohl virtuell als auch offline anbieten,
bezeichnet sich Pia als Feministin. Für Kritiker*innen ist ihr
Lebensstil hingegen mit einer „feministischen“ Weltansicht
unvereinbar. Beispielsweise positioniert sich die Bewegung
FEMEN radikal dagegen und argumentiert, dass Frauen sich
durch Sexarbeit freiwillig sexualisieren und ausbeuten lassen.
Pia sieht das anders: „Wenn Feminismus die Emanzipation
und Selbstbestimmung der Frau bedeutet und man so viel Sex
haben können soll, wie man möchte, warum sollte dann Sex für
Geld verwerflich sein?“ Das Argument „sie würde ihren Körper
verkaufen“ ist für Pia hinfällig: „Ich verkaufe eine Dienstleistung,
nicht meine Körperteile. Sonst würde ich sie nachher
nicht mehr besitzen.“
Pia sieht ihre Tätigkeit als Beruf – die virtuelle Sexarbeit
ist für sie mehr als nur ein Nebenjob geworden, der ihr das
„SpaSS & Neugier“
Studium möglich macht. Weil der Workload so hoch ist und
ihr die Tätigkeit Spaß macht, will sie demnächst jedoch mit
ihrem Studium aufhören. Beides lässt sich für Pia einfach nicht
vereinbaren. Stattdessen will sie sich eine*n Finanzberater*in
zulegen, ihr Geld investieren und sich so ein passives Einkommen
sichern. Pia kann sich Sexarbeit im Moment sogar
als lebenslange Tätigkeit vorstellen, solange die Nachfrage
besteht. „Und wenn Sexarbeit nicht mehr geht, dann gehe ich
einfach in Pension“, lacht sie.
In Wien sind aktuell 3.390 weibliche Prostituierte angemeldet.
Für Online-Sexarbeiter*innen gibt es keine Zahlen. Die
Zahlen der registrierten Sexarbeiter*innen sollen sich in den
letzten zehn Jahren verfünffacht haben. Ende 2013 wurden
außerdem 67 männliche Sexarbeiter gezählt. Diese Zahlen
spiegeln die Realität nicht wider: Die Zählung von Bordellen
ist bundesweit nicht einheitlich und viele Sexarbeiter*innen
registrieren sich nicht und arbeiten wie Pia privat. Interessant
ist auch, dass der Migrant*innenanteil unter den
Sexarbeiter*innen in Österreich auf etwa 80-90 Prozent
geschätzt wird. Davon sollen 40 Prozent aus Rumänien und
24 Prozent aus Ungarn kommen.
„SEXUALITÄT UND WEIBLICHKEIT WAR
BEI UNS IMMER TABU.“
Die 22-jährige Technik-Studentin Enisa * kommt aus einem
syrisch-schiitischen Haushalt. Ihre langen braunen Haare und
ihr elegantes Auftreten stechen sofort ins Auge. Während sie
in ihrem kurzen Sommerkleid sitzt, erzählt Enisa, dass Sex
und der weibliche Körper in ihrem Elternhaus immer stark mit
Scham verbunden waren. Mit dem Beginn eines technischen
Studiums und dem dortigen hohen Männeranteil eröffnet sich
für Enisa eine neue Faszination und die Entdeckung des eigenen
Körpers. In einem Umfeld, in dem viele Männer arbeiten,
richtet sich die Aufmerksamkeit schnell einmal auf die Frau –
so wie in ihrem Fall auf der Uni. „Warum soll ich nicht daraus
Profit schlagen?“, überlegt sie, als sie zu jener Zeit ein Tourist
aus Wien über Tinder anschreibt
und sie fragt, ob sie sich am
selben Abend treffen könnten. Für
Enisa wäre dieses Date zu kurzfristig
gewesen. Als der Mann ihr
dann das Angebot macht, für das
Treffen zu zahlen, ist die Studentin erst mal entsetzt. Er war
jedoch weder übergriffig noch aufdringlich gewesen, sondern
hatte höflich gefragt. Nach kurzer Überlegung entscheidet sie
sich für das Treffen. Für Enisa beginnt ab diesem Zeitpunkt
ihre Arbeit als Escort. Heute verdient sie bis zu 500 Euro pro
Treffen.
„Wenn man mich fragt, warum ich Sexarbeit mache,
erwarten sich Leute oft, dass ich sage: Ja, ich bin arm und bin
auf das Geld angewiesen. Für viele ist es aber überraschend,
wenn sie erfahren, dass Sexarbeiter*innen diesen Beruf auch
aus Spaß und Neugier machen.“ Außerdem, meint Enisa, sei
für die meisten Männer Sex mit einer armen Sexarbeiterin, die
auf das Geld angewiesen ist, akzeptabler als mit einer, die das
gerne und mit Leidenschaft mache.
28 / POLITIKA /
Sexarbeit ist viel besser
bezahlt als Catering.
/ POLITIKA / 29
Sexworkerinnen sind häuftiger von sexualisierter Gewalt betroffen als andere Frauen.
FETISCH HERKUNFT
Als Österreicherin mit syrischen Wurzeln ist Enisas Herkunft
bei jedem Treffen mit einem Kunden ein Thema. Sie ist sich
sicher, dass bestimmte Kunden, sie nur wegen ihrer Herkunft
kontaktieren und diese stark fetischisiert wird. Dieselben
Kunden würden manchmal ein Ratespiel aus ihrer Herkunft
machen, und wenn sie dann herausfinden, dass sie doch nicht
aus Lateinamerika kommt, seien
sie schwer enttäuscht. „Fragen
nach meiner Herkunft haben
einen anderen Beigeschmack,
aber auch aus dieser Fetischisierung
kann ich Profit schlagen“,
schmunzelt sie. Die 22-jährige weist darauf hin, dass Sexarbeit
auf keinen Fall wegen des Geldes beworben werden sollte. Die
Nachteile davon existieren. „Angst vor Gewalt, in diesem Fall
Männergewalt, ist nicht nur für uns eine Realität, sondern für
alle Frauen in dieser Gesellschaft“, antwortet sie auf die Frage,
ob sie Angst um ihre Sicherheit hätte. „Selbstverständlich habe
ich Angst“, sagt die junge Studentin, „weil es ein generelles
Problem mit Männergewalt gibt. Frauen haben auch Angst,
wenn sie allein nachhause gehen, oder wenn sie kurz ihren
Drink an der Bar stehen lassen.“ Es bestehe immer ein Risiko
vor Männergewalt, argumentiert sie. Statistisch gesehen sind
nämlich Sexarbeiter*innen viel zu häufig von Vergewaltigungen,
Mord und Stalking bedroht.
Die Sorge, dass ihre Familie mal über ihre Tätigkeit als Sexarbeiterin
erfährt, besteht für sie zusätzlich. Obwohl sie eine
gute Beziehung zu ihrer Familie hat, würde sie nicht wollen,
dass diese etwas von ihrem Job weiß: „Für meine Familie wäre
Angst vor Gewalt
es, als hätten sie versagt. Ich weiß, dass sie sich selbst die
Schuld geben würden.“ Ähnliches gilt für ihre Fakultät und
ihren Freundeskreis. Weder ihre Uni-Kolleg*innen noch ihre
Freunde wissen, dass Enisa als Escort arbeitet. Auf die Frage,
ob sie andere Sexarbeiter*innen kenne, antwortet die junge
Studentin selbstsicher: „Nein, ich möchte auch nicht wirklich
in diese Community kommen. Für mich ist es wichtig, dass ich
Freundinnen habe, die ein herkömmliches
Leben führen. Damit
ich mal abschalten kann.“ Auch
wenn ihr Leben spektakulärer als
das Leben von anderen klingt,
führt Enisa außerhalb ihrer Sexarbeit
ein ziemlich normales Vollzeitstudentinnenleben. Wenn
sie mal nicht für die Uni lernen muss, geht sie auf Partys, Festivals
oder ins Kino und trifft sich mit Freunden und Familie.
„Man darf sich mein Leben nicht als Doppelleben vorstellen,
da ich beides so gut voneinander trenne, wie es nur geht“,
erklärt Enisa. Nicht? Aktuell sieht sie keinen inneren Konflikt
mit ihrer Tätigkeit. Enisa hat sich keine Deadline gesetzt, aber
will auch nicht ewig Sexarbeiterin sein. Stattdessen möchte
sie irgendwann einem „gesellschaftlich akzeptablen“ Job
nachgehen.
„ICH SCHÄME MICH NICHT.“
„So schlecht bin ich nicht in Mathe, aber wieso sollte ich
nicht trotzdem Stripperin werden?“ Diese Frage stellt sich
Belle * schon mit 15 Jahren in der Schule, als sie das erste
Mal Stripper*innen in Filmen und Serien sieht. Heute ist die
21-jährige Physikstudentin seit drei Jahren Cam-Girl und ver-
30 / POLITIKA /
dient über Video-Chatting mit fremden Personen ihr Geld. Ihre
engsten Freunde wissen es und unterstützen sie – ihre Eltern
wissen nichts davon. „Ich schäme mich nicht, aber ich habe
Angst“, erklärt die Studentin. Sie habe Angst vor den negativen
Vorurteilen, Angst um ihre Sicherheit und Angst vor dem
psychischen Stress, der mit einem Coming-Out aufkommen
würde. Während Belle von ihren Ängsten erzählt, streichelt sie
ihren Hund und gibt ihm ein Leckerli. Ihre roten glatten Haare
fallen sofort auf und nichts an ihr verrät, dass sie zwischen
ihren vier Wänden Sexarbeiterin ist. Ihr Leben unterscheidet
sich nicht großartig von dem Leben anderer 21-jähriger
Frauen. Sie musiziert, liest gern und betreibt viel Sport in ihrer
Freizeit.
Lange Zeit wurde Prostitution nur mit Mafia, Menschenhandel
und Zwang in Zusammenhang gebracht. Das Resultat war
eine negative Konnotation des Begriffs. Deswegen lehnen viele
Sexarbeiter*innen heute den Begriff der
Prostitution ab. Für Belle ist Sexarbeit
„jeglicher Akt, egal ob online oder offline,
der sexuell erregen soll.“ Die Transaktion
von Geld oder bestimmten Gütern
spielt hier eine entscheidende Rolle. Wie
bei jeder anderen Dienstleistung gibt es auch bei Sexarbeit
einen Tausch. Das kann entweder Geld sein oder Handtaschen,
Schmuck und Parfüms.
Bis zu 100 Euro die Stunde hat Belle schon durch Camming,
also Video-Chatting mit ihren Kund*innen, verdient. Ihre
Rekordzuschauer*innenzahl liegt aktuell bei 14 Tausend. „Es
muss nicht immer sexuell sein. Manchmal reden wir über Gott
und die Welt“, erzählt Belle. Die junge Frau sitzt vor der Kamera
in ihrer Wohnung und redet mit den Kund*innen über Politik,
Veganismus oder Philosophie. Auch dafür gibt es Geld. Der
sexuelle Teil ihrer Arbeit funktioniert nach dem sogenannten
„Tip Menue“. Auf diesem Menü steht eine Liste von Vorschlägen,
die Belle vor der Kamera tun kann, wie etwa ihren BH
auszuziehen oder ihren Hintern herzuzeigen. Wenn jemand ein
Angebot aus diesem „Tip Menue“ wahrnehmen möchte, muss
die Person mit der Internet-Währung „Token“ bezahlen. 40 bis
60 Prozent von ihren Einnahmen fließen jedoch in die Cam-
Plattformen, auf denen sie sich anbietet.
SELBSTLIEBE DURCH
SEXARBEIT
Belles Selbstbewusstsein und Selbstachtung
ist in den drei Jahren, in denen sie
als Cam-Girl arbeitet, enorm gestiegen.
Früher wusste sie nicht, wie man „Nein“
sagt und Grenzen setzt. Heute kann sie
klar sagen, was sie will und was sie nicht
will. „Was mein Body-Image angeht, wurde
ich auch selbstbewusster, aber teilweise
auch kritischer. Es ist abhängig von meiner
Arbeit und meinem Verdienst. Wenn es
gut läuft, ich viel verdiene und tausende
Zuschauer*innen habe, bin ich super selbstsicher,
als wäre ich die geilste Frau der Welt.
Wenn es mal schlecht läuft, frage ich mich
Tip Menue
ANMERKUNG DER REDAK-
TION:
Dieser Artikel beschreibt
und beleuchtet die
Lebensrealitäten von
Sexarbeiter*innen aus
Insider-Sicht. Er soll Sexarbeit
keinesfalls verharmlosen
oder verherrlichen.
Dieser Beruf geht mit Risiken
einher, die der Psyche,
Sicherheit und Gesundheit
schaden können.
sofort, ob ich zu hässlich bin. Aber man darf das nicht auf sich
selbst beziehen.“ Sie erzählt, dass im Winter ihr Verdienst
höher als im Sommer sei. Nach einer Weile habe sie aber
erkannt, dass das wenig mit ihrem Aussehen zu tun habe,
sondern mit der Tatsache, dass im Sommer viele Menschen
auf Urlaub oder die Kinder zuhause seien.
Seit mehr als zwei Jahren ist Belle in einer gesunden und
glücklichen Beziehung. Obwohl es am Anfang leichte Schwierigkeiten
gab, hat ihr Freund inzwischen nicht nur Verständnis
für ihre Arbeit, sondern er unterstützt sie heute dabei: Er filmt
und schneidet ihre Videos. Innerhalb der Beziehung wird alles
offen gehandhabt. Man weiß gegenseitig von den Passwörtern
und versucht ehrlich über Gefühle zu kommunizieren. Und das
klappt.
Auch Belle empfindet ihre Tätigkeit nicht als anti-feministisch.
Sie versteht Frauen nicht, die andere Frauen wegen
ihrer Tätigkeit als Sexarbeiterin kritisieren.
Bei Diskussionen werden
meist die Betroffenen ausgeschlossen,
wobei stets über die Sexarbeiterinnen
gesprochen wird, anstatt mit ihnen.
„Das ist ein Problem. Es reden Außenstehende.
Uns einmal zu zuhören wäre ein wichtiger Schritt“,
wendet Belle ein. Sie ist der Meinung, dass Frauen in unserer
Gesellschaft schon automatisch sexualisiert würden und dass
Sexarbeiter*innen lediglich eine Dienstleistung anböten – und
zwar „eine Dienstleistung wie jede andere.“ Die Stigmatisierung
des Berufs müsste in der Gesellschaft geändert werden:
Ein Coming Out als Sexarbeiter*in kann nämlich ein echtes
Gefahrenpotenzial für Frauen wie Belle in sich tragen. Viele
Sexarbeiter*innen werden ermordet, gestalked und sind anderen
Formen von Gewalt ausgesetzt.
Dass ihre Arbeit auf unterschiedlichen Ebenen gefährlich
sein kann, wissen die Sexarbeiterinnen Pia, Enisa und Belle.
Während der Recherche für diese Reportage und den Interviews
waren ihre Angst, dass Leser*innen dieser Geschichte
die jungen Frauen vielleicht wiedererkennen könnten, und der
starke Wunsch nach Anonymität, spürbar. Die Studentinnen
fürchten sich vor Männergewalt genauso wie vor gesellschaftlichen
Konsequenzen, die eventuell auch ihr Studium und ihr
Sozialleben treffen könnten. Gleichzeitig sehen sie ihre Arbeit
nicht in einem feministischen Widerspruch
– im Gegenteil. So ist Enisa von der Doppelmoral
genervt und fragt: „Warum sollte Sex
plötzlich verwerflich sein, wenn man dafür
bezahlt wird?“ Die junge Sexarbeiterin ist
der festen Überzeugung, dass Feminismus
die Selbstbestimmung der Frau fördern
sollte. Ob eine Frau ihr Leben mit Kinderpflege
und Hausarbeit verbringen möchte oder
eben als Sexarbeiterin, sollte man alleine ihr
überlassen. ●
* Namen von der Autorin geändert
/ POLITIKA / 31
„MMA ist kein
Strassenkampf“
Fußball hat ihm nicht gereicht, Boxen auch nicht. Aber MMA
war ein „voller Volltreffer“, wie er selbst sagt. Der 28-Jährige
Aleksandar Rakic, Wiener mit serbischen Wurzeln, ist einer
von drei Österreichern, die derzeit bei UFC (Ultimate Fighting
Championship) unter Vertrag stehen. Wir haben mit dem Mixed-
Martial-Arts-Kämpfer darüber gesprochen, warum er trotz seiner
Erfolge und seinem Fame in der internationalen Szene wenig
Unterstützung in Österreich bekommt.
Text: Aleksandra Tulej, Fotos: Zoe Opratko
© USA TODAY USPW / REUTERS / picturedesk.com
Rakić in Action: Juni 2019: Jimi Manuwa vs Aleksandar Rakić
32 / RAMBAZAMBA /
/ RAMBAZAMBA / 33
Den Schriftzug „Es
lohnt sich, zu kämpfen“
hat Rakić auf seinem
Unterarm tätowiert.
Groß, breit gebaut, tätowiert: Als wir UFC-Fighter
Aleksandar Rakić im Wiener Sportklub MALU
in der Wiener Innenstadt treffen, entspricht er
genau dem Bild, das man aus seinen Kämpfen
kennt: Selbstbewusst, tough und einfach ein „Viech“. Aber als
wir uns zum Interview hinsetzen, erfahren wir von Rakić mehr
über die Hintergründe und Hürden, die er als MMA-Kämpfer
in Österreich bewältigen muss – der toughe Austroserbe hat
durchaus berechtigte Sorgen.
Mixed Martial Arts steht dafür, dass viele verschiedene
Kampfstile wie Boxen, Karate, Ringen und Muay Thai in einer
Vollkontaktsportart vereint sind. Dazu zählen das Schlagen,
Treten, Werfen und der Bodenkampf. Beim Bodenkampf darf
zudem auch geschlagen und getreten werden, was das Hauptunterscheidungsmerkmal
zu anderen Vollkontaktsportarten
darstellt. Kein Wunder also, dass MMA oft als brutale Sportart
aufgefasst wird.
„Das ist eine Straßenschlägerei, das ist kein
Sport“ – diesen Stempel hat die Disziplin MMA
in Österreich aufgedrückt bekommen. MMA sei
den Leuten zu brutal, meint Aleksandar: „Es will
einfach nicht anspringen. Boxen ist eine olympische
Sportart und bekommt mehr Anerkennung
– bei MMA denken sich die Leute: ‚Das ist
eine Straßenschlägerei, das ist kein Sport.‘ Das
wollen die Leute nicht sehen.“ Rakić weiß, wovon
er spricht: „Ich bin die Nr.4 weltweit in meiner
Gewichtsklasse, und trotzdem interessiert sich in
Österreich keiner dafür. Das macht mich traurig.“
Es sei schwierig, in Österreich Sponsoren zu
finden. „Die Leute schrecken ab, wenn sie MMA
lesen. Sie wollen das nicht unterstützen. Wenn
man Sponsoren findet, dann sind das Menschen,
die in der Branche tätig sind, wie zum Beispiel
Sportnahrungshersteller.“ Momentan hat Rakić
drei Sponsoren: Einen aus Schweden, einen aus
Holland und einen aus Wien – den Nahrungsergänzungshersteller
Atombody.
ALEKSANDAR
RAKIĆ
MMA Statistik
Siege 12
K. o. 9
Aufgabe 1
Punkte 2
Andere 0
Niederlagen 2
K. o. 0
Aufgabe 1
Punkte 1
MEHR SUPPORT AM BALKAN
Anders sieht das am Balkan aus, wo Rakić der übrigens als
Halbschwergewicht antritt, eine große Fanbase hat: „In Serbien
ist das anders. Da kann dich eine Apotheke sponsern, ein
Supermarkt oder eine Baufirma. Da ist das Gang und gäbe. Am
Balkan – wo meine Eltern herkommen - habe ich eine große
Unterstützung, das merke ich immer, wenn ich runterfahre.
Die Leute lieben mich. Deshalb habe ich bei meinem letzten
Kampf auch unter der serbischen Fahne gekämpft - ich will den
Leuten etwas zurückgeben.“
Aber dennoch gibt der 28-Jährige Austroserbe die Hoffnung
in seiner Heimat nicht auf: „Ich habe Österreich viel zu
verdanken - vor allem an Trainingsmöglichkeiten. Es gibt nicht
viele Österreicher in der UFC. (Anm. d. Red: drei) Ich repräsentiere
ja das Land Österreich.“ Aber nach fünf Kämpfen fehlt
medientechnisch immer noch jegliche Unterstützung – das will
er ändern. „Ein Alexander Gustavsson hat MMA
in Skandinavien berühmt gemacht. Das will ich in
Österreich auch schaffen.“
VON ANFANG AN EIN
ENERGIEBÜNDEL
Schon als Kind hatte Rakić viel Energie. Zu viel,
wie er selbst sagt. Schnell war klar: Irgendein
Sport zum Auspowern muss her. Er hat es zuerst
im Volksschulalter mit Fußball probiert – nach den
Trainings war er allerdings auch immer noch nicht
seine überschüssige Kraft los, es hat einfach
nicht gereicht. „Als ich 13 war, wurde ich dann
aus dem Team gekickt. Weil ich zu aggressiv
war. Also nicht so, dass ich mich schlagen wollte,
sondern einfach beim Spielen selbst war ich zu
aggressiv.“ Also musste ein anderer Sport her:
Sein Vater meldete ihn daraufhin beim Kickboxen
an. Nach 5 Jahren Kickbox- und Boxtraining
reichte Rakić aber auch das nicht: „Das war nach
40 oder 50 Kämpfen, ich war Staatsmeister und
Landesmeister, das war so 2009 und 2010. Da
34 / RAMBAZAMBA /
Will MMA in Österreich
bekannt machen:
Aleksandar Rakić
ALEKSANDAR RAKIĆ
Größe 196 cm
Gewicht 93 kg
Nationalität Österreicher
Geburtsdatum 6. Februar 1992
Kämpft aus Wien, Österreich
Geburtsort Wien, Österreich
Team Gym 23
American Top Team
Kampfstil Kickboxer
/ RAMBAZAMBA / 35
Rakić trainiert bis zu 20 Stunden die Woche
wusste ich, dass ich noch etwas Ultimativeres will. Boxen ist ja
nur ein Standkampf aber MMA beinhaltet ja auch noch Ringen,
Jiu-Jitsu und so weiter.“ Und Rakić hat sich gleich voll reingehängt.
„Ich habe nichts anbrennen lassen. Im Mai habe ich
begonnen zu trainieren, und im Oktober hatte ich schon den
ersten Kampf.“ Verletzungen bei MMA sind nicht selten, 2016
reißt sich Rakić das Kreuzband, eine Katastrophe. Was aber
dann folgte, war ein steiler Aufstieg:
„Nach meiner Verletzung hatte ich einen Comeback-Fight.
Nachdem ich den gewonnen hatte, hat mir mein Manager den
UFC-Vertrag auf den Tisch gelegt. Ich wusste ehrlich gesagt
nicht, ob ich bereit dafür bin.“ Aber er hat nicht lange gezögert
und unterschrieben. Das war im März 2017, seitdem hat Rakić
fünf UFC-Kämpfe hinter sich und auch zwei Knie-Operationen
– einmal Kreuzband und einmal Meniskusriss am selben Bein -
haben Rakic nicht demotivieren lassen. Im Gegenteil.
„DIE RUSSEN UND CHINESEN SIND VIEL
BESSER ALS DIE ÖSTERREICHER.“
Mittlerweile ist MMA zu seinem Beruf geworden. Er hat eine
abgeschlossene Lehre als Hotelfachmann, aber wenn man
bis zu 20 Stunden die Woche trainiert, lässt sich das mit den
Arbeitszeiten in der Gastronomie einfach nicht vereinbaren.
Wie sein Training konkret aussieht? „Immer anders. Zum Beispiel
aber so: In der Früh Ringen und Jiu Jitsu und am Abend
dann Boxen – je nach Kampf. Dazu gehören auch Grundlagen,
Ausdauer und so weiter.“ Er trainiert auch in mehreren Wiener
Gyms. Momentan hat Rakić vier Trainer – was auch mit Kosten
verbunden ist. Nur weil jemand bei UFC unter Vertrag steht,
bedeutet das nicht gleich ein millionenschweres Konto. „UFC
zahlt für einen Trainer und mich das Hotel und den Flug, für
den Rest muss ich selber aufkommen“, so Rakić, der schon
UFC-Kämpfe in Korea, Toronto oder Las Vegas bestritten hat.
Sein Lebensmittelpunkt ist aber Wien – hier lebt er auch mit
seiner Frau und seinem einjährigen Sohn. „Ein Kind zu haben
ist das beste im Leben, ehrlich“, sagt er uns grinsend.
Was der Lockdown im Frühling für ihn als Profisportler
bedeutet hat? Immerhin waren ja Kontaktsportarten für mehrere
Wochen verboten. „Ich hatte das Glück, dass ich in meiner
Garage Krafftraining machen konnte, es hat mich körperlich
also nur stärker gemacht. Es hat mich auch hungrig gemacht –
ich wollte wieder Kämpfen.“
Was Rakić sich für MMA in Österreich wünscht? „Dass es
populärer wird. Dass in Schulen im Turnunterricht Kampfsport
angeboten wird, wie Boxen, Ringen oder Judo.“ Das hätte ihm
als Kind viel bedeutet. „Man sieht das auch bei der Olympia:
Die Russen und Chinesen sind viel besser als die Österreicher.
Weil das hier nicht gefördert wird. Dabei haben wir hier so viele
gute Talente, die dadurch verloren gehen.“ Was seine Pläne für
die Zukunft sind?
„Ich will Champion in meiner Gewichtsklasse werden. Den
Titel noch ein paar Mal verteidigen. Vielleicht ins Schwergewicht
wechseln und später einmal ein eigenes Gym in Wien
aufmachen.“ Und natürlich: „Ein UFC Event nach Wien bringen“.
●
UFC-Aleksandar Rakić und biber-Aleksandra Tulej
beim Interview im Wiener Sportklub MALU
36 / RAMBAZAMBA /
TECHNIK & MOBIL
Alt+F4 und der Tag gehört dir.
Von Adam Bezeczky
Bosnischer Cybertruck
© Marko Mestrovic, REUTERS/Dado Ruvic, Tesla Motors, Electronic Arts
MEINUNG
Learnings aus
dem Lockdown
Ein schwerer Winter steht bevor.
Aber ich möchte noch weiter in die
Zukunft blicken: Welche Lerneffekte
nehmen wir aus der Pandemie, dem
Lockdown und so weiter mit? Wie
soll die post-pandemische Gesellschaft
aussehen? Wir haben durch
den Lockdown gelernt, dass man
durch Digitalisierung viel an Pendelverkehr,
Büroflächen und Gebäuden
einsparen kann. Zahlreiche Unternehmen
haben auf Home Office umgestellt
und konnten fast problemlos
weiterarbeiten. Hier müssen wir
ansetzen, die Technologie ausbauen
und so mit einem Streich auch etwas
gegen die Klimakatastrophe tun.
Nehmen wir die „Learnings“ aus dem
Lockdown mit, seien wir dankbar
dafür, dass wir die ‚remote-working‘-
Gesellschaft ausprobieren konnten,
und nutzen wir das Gelernte, um für
die Zukunft Jobs zu schaffen, die
von Grund auf auf Digitalisierung,
Telepresence und ‚remote-working‘
setzen. Für die Umwelt, aber auch für
die Work-Life-Balance.
bezeczky@dasbiber.at
Igor Krezić ist ein großer
Tesla-Fan. Der Bosnier
ist aber auch ungeduldig,
also hat er sich kurzerhand
den futuristischen
Cybertruck von Tesla
nachgebaut. Dieser sollte
eigentlich erst 2021 auf
den Markt kommen.
Mitarbeiter seines Unternehmens
schraubten
acht Monate, um aus
einem Ford F-150 Raptor
einen Wagen zu bauen,
der dem Cybertruck zum
Verwechseln ähnlich
sieht. Aktuell kämpft er
um die Straßenzulassung:
Fahrzeuge mit solchen
scharfen Kanten, wie sie der Cybertruck
besitzt, sind nämlich nicht zum Verkehr in
Bosnien zugelassen.
In die Pilotensessel!
Es wird Zeit, die VR-Brillen abzustauben! Mit Star
Wars Squadrons zaubert Publisher EA spannende
Raumschlachten im Star Wars Universium auf die
Bildschirme. Erinnerungen an längst vergessene
Klassiker wie „Tie Fighter“ und „X-Wing“ schwelgen
mit, wenn wir uns im Tiefflug einem Sternenzerstörer
nähern! Besonders im VR-Modus sind
Staunen und „Wow!“-Sager am Programm.
ANTI-
VIRUS-
DRUCK-
PAPIER
In Slowenien haben
Entwickler einer
Papierfabrik antibakterielles
Druckpapier
entwickelt. Das
Papier ist mit einer
speziellen Beschichtung
versehen, die
Viren und Bakterien
tötet. Anwendungsgebiete
könnten
Krankenhäuser und
Schulen sein. Kostenpunkt
4,99 Euro
pro 500 Blatt.
/ TECHNIK / 37
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Per Kopfdruck zu den Apps
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Datentransfer so einfach
wie noch nie
Die auf Huawei Smartphones
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Kontakte, Daten, Nachrichten,
Anwendungen, Fotos einfach und
sicher vom alten Smartphone auf
das Huawei P smart 2021
Das HUAWEI P smart 2021 ist ab sofort im österreichischen Handel
zu einem unverbindlichen Richtpreis von 229€ verfügbar.
JUNG, MODERN,
SPIRITUELL
JUNG,
MODERN,
SPIRITUELL
Sternzeichen-Memes und Eso-
Influencer erleben seit einigen
Jahren einen regelrechten
Boom in den sozialen
Netzwerken. Wie haben
Astrologie, Räucherstäbchen,
Tarotkarten & Co ihren
Platz im modernen Alltag
gefunden? Drei junge Frauen
über Horoskop-Apps, heilende
Frequenzen und Meditation bei
Vollmond.
von Semsa Salioski, Collagen: Zoe Opratko
40 / LIFESTYLE /
Sternzeichen-Memes und Eso-Influencer
erleben seit einigen Jahren
einen regelrechten Boom in den sozialen
Netzwerken. Wie haben Astrologie,
Räucherstäbchen, Tarotkarten
& Co ihren Platz im modernen Alltag
gefunden? Drei junge Frauen über
Horoskop-Apps, heilende Frequenzen
und Meditation bei Vollmond.
Text: Semsa Salioski, Collagen: Zoe Opratko
Es ist hier überhaupt nicht seltsam nach dem
Aszendenten oder Mondzeichen zu fragen, ob auf
der Arbeit oder beim ersten Date. Der Astrologie-
Hype ist hier noch viel spürbarer als in Wien.“ Die
32-jährige Diana ist derzeit als Projektmanagerin in Abu Dhabi
tätig. Aufgewachsen ist sie in Wien. Sie legt sehr viel Wert
auf Bildung und hat Abschlüsse in den Studiengängen Politikwissenschaft,
Internationale Entwicklung,
Global Business and Politics sowie
Projektmanagement. Privat beschäftigt
sie sich jedoch fast täglich mit weniger
weltlichen Dingen wie Spiritualität und
esoterischen Praktiken. Sie erzählt, dass
sie sich schon als Jugendliche Bücher
zum Thema Astrologie gekauft hat und
somit zum ersten Mal von Aszendenten, Mondzeichen, Venuszeichen
oder gar Horoskophäusern gehört hat. Zuvor wusste
sie, wie die meisten Leute, nur was ihr Sonnenzeichen ist. Heute
informiert sie sich durch ihren Freundeskreis, aber auch den
zahlreichen Esoterik-InfluencerInnen auf sozialen Netzwerken,
über sogenannte „New Age Spirituality“-Konzepte und integriert
dieses Wissen in ihren Alltag.
DAS REVIVAL DER „NEW
AGE SPIRITUALITY”
Die „New-Age-Spirituality“ ist eine Bewegung, die ursprünglich
in den USA in den 60er Jahren entstanden ist. Sie vereint
diverse spirituelle und esoterische Glaubenskonzepte Grundsätzlich
wird sie mit Astrologie, Wahrsagerei, energetischen
Heil- und Reinigungspraktiken, sowie Konzepten aus dem
"Gesetz der Anziehung assoziiert. Die „New-Age-Spirituality“-
Bewegung erlebt vor allem bei jungen Frauen in Form von
zahlreichen beliebten Astrologie-Accounts auf sozialen Medien,
wie Instagram und eben YouTube, seit einigen Jahren ein
immenses Revival. Wer denkt, dass es sich bei den Anhängerinnen
um schrullige „Esoteriktanten“ handelt, die immer eine
Glaskugel in der Tasche haben, liegt falsch. Bekannte „Spiritual
Content“-Instagram-Profile wie „Rising Women“, haben
mittlerweile 2 Millionen Follower. Der YouTube-Channel „Power
#astrology
#spirituality
#tarotreading
Meditation bei
Vollmond gehört
zum Alltag einiger
junger Frauen
Thoughts Meditation Club“, der Videos
mit sogenannten „heilenden Frequenzen“
veröffentlicht, zählt aktuell bereits
1,65 Millionen AbonnentInnen. Auf der
von hauptsächlich jüngerem Publikum
genutzten App „TikTok“ werden Videos
mit Hashtags wie #astrology, #spirituality
oder #tarotreading tatsächlich millionenfach aufgerufen.
Software-Hersteller brachten 2017 nicht umsonst eine eigene
App („Co-Star“) mit individualisierten Horoskopen auf den
Markt, die bis Ende letzten Jahres über 3,4 Millionen Mal runtergeladen
wurden.
VOLLMONDMEDITATION UND „HEILENDE
FREQUENZEN“ AUS DEN KOPFHÖRERN
Wegen ihres Jobs in Abu Dhabi sind Diana die kulturellen
Unterschiede im Umgang mit Themen dieser Art schnell aufgefallen:
„Ich arbeite hier in den Vereinigten Arabischen Emiraten
viel mit Einheimischen zusammen und habe gemerkt, dass
die Leute total offen über spirituelle Tabuthemen sprechen.
Gespräche über Geister, schwarze Magie oder ‚Nazar‘, also das
böse Auge, stehen in Abu Dhabi an der Tagesordnung. Einige
tragen deswegen Schutzamulette wie die ‚Hand der Fatima‘.
„Viele Leute, die ich kenne, haben ihr Sternzeichen sogar direkt
in der Instagram-Bio stehen, weil es für sie ganz klar zu ihrer
Identität gehört. Das ist mir sogar bei den Männern aufgefallen!“,
so Diana.
Die Wienerin meditiert fast täglich und hört dabei sogenannte
„heilende Frequenzen“ via „YouTube“, die Körper und
Geist positiv beeinflussen sollen. In ihrem Wiener Freundeskreis
ist das keine Seltenheit. Sie meditieren bei Vollmond
/ LIFESTYLE / 41
manchmal zusammen und versuchen mit
diesem Ritual ihre Wünsche zu manifestieren.
Mit traditionellen Religionen
konnte sie, noch nie etwas anfangen,
da sie ihr zu dogmatisch sind, und sie in
allem, was sie tut, sehr liberal bleiben
möchte. Spiritualität hat für sie persönlich
vor allem mit Self-Development und
Self-Awareness zu tun, was, ihrer Meinung nach, der Schlüssel
zu einer besseren Gesellschaft ist.
Aus Neugier war Diana auch schon einmal bei einer Wahrsagerin.
„Ich war damals in einer langen Beziehung und habe
außerdem überlegt, ob ich in London studieren soll. Die Dame
hat mir beinhart gesagt, dass ich nicht mit meinem Freund
zusammenbleiben werde und sie mich zwar irgendwo anders
als in Wien sieht, aber nicht in London. Tatsächlich waren wir
wenig später nach fünf Jahren Beziehung getrennt und der
Plan mit London hat auch nicht geklappt. Das ist mir auf jeden
Fall in Erinnerung geblieben. Ich kenne viele, denen Ähnliches
passiert ist.“
Ohne Geburtstag,
Geburtsort
und Geburtszeit
kein Date
WEISSER SALBEI GEGEN
NEGATIVE ENERGIEN
„Ich bin sehr religiös erzogen worden.
Ich war innerhalb von zehn Jahren an
sechs verschiedenen Koranschulen.
Religion hat mir persönlich aber einfach
keinen Halt gegeben, weil ich nichts
mit den Guidelines anfangen konnte“,
sagt die 22-jährige Biftu. Die Münchnerin mit äthiopischen
Wurzeln zog für ihr Studium der Publizistik- und Kommunikationswissenschaft
alleine nach Wien. In ihrer Freizeit versucht
sie regelmäßig zu meditieren und spaziert immer wieder mit
Räucherstäbchen oder weißem Salbei durch ihre Wohnung.
Biftu ist davon überzeugt, dass dadurch negative Energien
beseitigt werden. „Räucherstäbchen kenne ich ja auch aus
meinem äthiopischen Elternhaus. Es ist ein Bestandteil der Kultur.
Ich glaube dieses Ritual sorgt gleichzeitig dafür, dass sich
die Räume hier für mich ein bisschen heimischer anfühlen.“ Die
Studentin bezeichnet sich als Agnostikerin, doch das war nicht
immer so. Ihre Mutter ist streng gläubige Muslima und wollte,
Passen wir zusammen? Ob
es mit der Liebe klappt, lässt
sich mittels astrologischer
Charts ganz leicht ermitteln.
42 / LIFESTYLE /
wie die meisten Eltern, ihren Glauben auch an ihre Tochter
weitergeben. „Durch meine religiöse Mutter habe ich mich zu
einem spirituellen Menschen entwickelt, nur hat sich das Ganze
bei mir anders äußern wollen.“
KEIN INTERESSE AN SEINER
GEBURTSZEIT? KEIN DATE!
Biftu stieß auf der Videoplattform YouTube auf sogenannte
„New-Age Spirituality“-Themen. Auf Instagram folgt sie zahlreichen
Astrologie-Seiten, um sich Tipps für Interpretationen
ihres eigenen Geburtshoroskops zu holen und nutzt regelmäßig
Apps wie „Co-Star“ und „The Pattern“. Auf die Frage, ob sie
beim Daten auf astrologische Kompatibilität achtet, antwortet
sie lachend: „Naja, wenn ich einen Typen kennenlerne und ihn
nach einer Weile nicht nach seinem Geburtstag, Geburtsort
und seiner Geburtsuhrzeit frage, bin ich definitiv nicht interessiert!“
Für alle, die es nicht wissen: Diese Informationen braucht
man für die Erstellung eines Geburtshoroskops. Darin findet
man neben dem Sonnenzeichen, das den meisten bereits
bekannt ist, auch andere grundlegende
astrologische Einflüsse wie den Aszendenten,
das Mond- oder Venuszeichen,
sowie Planetenpositionen in den zwölf
Horoskophäusern.
KOSMOPOLITISCHER
PATCHWORK-GLAUBE
Auch die 25-jährige Aurora, die nach
ihrem Studium in Translationswissenschaft
einen Kommunikationsworkshop
begonnen hat, befasst sich privat sehr intensiv mit den Theorien
und Praktiken der „New Age Spirituality“. Aus gesundheitlichen
Gründen hat sie vor einigen Jahren zuerst mit Meditation
angefangen und ist via YouTube auf „heilende Frequenzen“
und „Reiki“, also Energietherapie gestoßen. Sie ist zwar in einer
katholischen Familie aufgewachsen, fing jedoch im Teenageralter
an, sich für andere Länder, Kulturen und Religionen zu
interessieren. Vor allem über den Islam und den Buddhismus
weiß sie durch ihre zahlreichen Hobby-Recherchen besonders
viel. Mittlerweile hat sie auch fast alle Kontinente bereist und
zahlreiche interkulturelle Freundschaften geschlossen, die
sie bis heute pflegt. Von ihrem Wiener Freundeskreis wird sie
deswegen auch scherzhaft Mrs. Worldwide (Anspielung auf
das Pseudonym Mr. Worldwide von Rapper „Pitbull“) genannt.
Ob Kreuzkette, „Hamsa“-Schutzanhänger, Buddha-Statue,
Traumfänger oder Räucherstäbchen – Auroras spirituelle Seite
spiegelt sich sehr deutlich in der Einrichtung ihrer Wohnung
wider. „Ich finde, dass in allen Formen von Spiritualität Weisheiten
stecken, also picke ich mir das heraus, was mir gefällt.
Als traditionell religiös kann ich mich nicht bezeichnen, weil ich
mich nicht unbedingt an Dos und Don’ts halten will. Es kann
eben nicht nur einen richtigen Weg geben. Viele Aspekte aus
Religionen überschneiden sich ja sogar auch. Zum Beispiel
faste ich – in vielen Glaubensströmungen gilt das als Reinigung
von Körper und Geist.“
Achtung:
ACHTSAMKEIT ALS
WEGBEREITER
Was für andere Beten ist, sind für Aurora
positive Gedanken und „Manifestation“,
also das bewusste Erschaffen von Realität.
Darüber gelernt hat sie von Videos
auf der Plattform TikTok. Auch Astrologie
ist für die 25-Jährige ein großes Interesse,
sie interpretiert ihr eigenes Geburtshoroskop
sowie Planeteneinflüsse.
Was könnte die Ursache für diesen unübersehbaren Erfolg
von Content dieser Art sein? Für Aurora liegt die Antwort ganz
klar darin, dass Menschen sich durch die Achtsamkeits-Bewegung
mehr mit ihrem Körper, ihrer Psyche und ihrem Geist
beschäftigen. Astrologie, Manifestation, Meditation oder Reinigungsrituale
scheinen gut anzukommen, weil sie den Personen
am Ende des Tages gut tun, ob das nun Einbildung ist oder
nicht. Sie spürt heute eine gewisse Freiheit dafür, auszuüben,
was sie möchte – egal, wie skurril es auch sein mag. Biftu fügt
hinzu, dass man durch die sozialen Netzwerke auch leichter
Gleichgesinnte findet, und diese Community damit immer weiter
ausgebaut wird.
Politische Instabilität oder Wirtschaftskrisen würden die
Zuwendung zu Spiritualität unter jungen Leuten stark begünstigen,
sagen viele ExpertInnen. Vor allem die junge Generation
suche in solchen Zeiten nach Halt und Entspannung und finde
sie in Form von Energiereinigungsritualen oder Meditationsanleitungen
– oder auch frechen Sternzeichen-Memes, die beispielsweise
eifersüchtige Skorpione oder beziehungsunfähige
Schützen ordentlich durch den Kakao ziehen. Astro-Accounts,
die vor zurückkriechenden Exfreunden während einer rückläufigen
Merkurphase warnen, gibt es, wohin der Finger scrollt. Das
mag für Außenstehende unverständlich und schräg sein, aber
schaden tut es doch niemandem. Also lassen wir Generation Y
und Z einfach in Ruhe meditieren, Tarotkarten legen und ihre
Geburtshoroskope bis auf den letzten Planeten analysieren. ●
Zurück kriechende
Exfreunde während
einer rückläufigen
Merkurphase
/ LIFESTYLE / 43
MEINUNG
White Saviour der
Tschetschenen
„Das kannst du nicht schreiben!“, haben
sie gesagt. „Schreib mehr darüber!“, sagen
sie jetzt. Meine Reportage über tschetschenische
Frauen in Wien (s. 10) hat
für Aufsehen gesorgt: in den heimischen
Medien, auf Twitter und in der Community.
„Du bist so mutig!“, haben sie gesagt. Dabei
bin nicht ich es, die mutig ist. Ja, es war
unheimlich wichtig, jenen Frauen, die in
dem Sittenwächterdiskurs zu Wort kommen,
eine Stimme zu geben. Mich erreichten
Nachrichten von jungen Tschetscheninnen
aus Wien, dass sie selbst und ihre Mütter
sich bei mir bedanken wollten, sogar ein
Vater war dabei. Aber: Mich hier jetzt als
White Saviour darzustellen, fühlt sich falsch
an. Ich habe bloß niedergeschrieben, was
diese Frauen zu sagen hatten, wie ihre
Lebensrealität aussieht und die Problematik
aufgezeigt – das sehe ich in meinem Job als
meine Verantwortung. Ich klopfe mir nicht
selbst auf die Schulter, sondern möchte an
dieser Stelle „Danke“ sagen. Danke an die
wunderbaren, starken, intelligenten, mutigen,
coolen Frauen, die mir ihr Vertrauen
geschenkt haben. Danke, dass ihr trotz aller
Schwierigkeiten nicht aufgebt. Wir machen
so lange weiter, bis es keine Journalistin
außerhalb der Community mehr braucht,
die nach der Reportage wieder in ihren
Elfenbeinturm zurückkehrt.
tulej@dasbiber.at
LIFE & STYLE
Mache mir die Welt,
wie sie mir gefällt
Von Aleksandra Tulej
DIE ANDERE
TREND-MASKE
2020
Von Mund-Nasen-Masken haben wir
ja alle mittlerweile genug. Diese hier
ist aber für die Augen: Ich werde
wohl nie aufhören, an dieser Stelle
über Produkte für die Augenpartie
zu schreiben. Ich bin einfach
besessen davon. Mein aktueller
Liebling: Die 2-in-1 Hydrogel Tuch-
Augenmaske von Neutrogena – die
Pads einfach unterhalb der Augen
aufkleben und die Haut wird 24h mit
Feuchtigkeit versorgt. Ich hätte sie
am liebsten permanent auf meinem
Gesicht drauf – wäre zusammen mit
dem Mund-Nasen-Schutz sicher ein
Hingucker. Neutrogena, 2,99€
Warum hast du dich
dazu entschlossen, LIA
zu gründen?
Da ich als junges Mädchen
& Kopftuchträgerin
keine modische sowie
bedeckende Kleidung
finden konnte, wollte
ich es selbst in die
Hand nehmen und mein
eigenes Label gründen,
in dem ich mich kreativ
austoben kann, ohne
meine religiösen Werte
außer Acht zu lassen.
An wen richtet sich das
Label?
LIA richtet sich an jede
Frau, denn LIA steht für Diversität.
Bescheidene Mode ist in erster Linie
zwar ein wichtiger Teil der muslimischen
Frauen, aber auch Frauen
anderer religiöser oder kultureller Hintergründe
begeistern sich an meiner
Mode.
Bei LIA-Fashion bekommt man über
3
FRAGEN AN:
Sara Naggar
Gründerin des Modest-
Labels LIA-Fashion
KEEP IT LEGAL
– CBD BLEIBT
Geht es nach der EU-Kommission,
soll CBD als Suchtmittel eingestuft
werden. In den letzten Jahren ist
der Hype rund um den „legalen“
Inhaltsstoff der Cannabispflanze, der
entzündungshemmend, schmerzlindernd
und angstlösend wirkt, stark
gestiegen. Nun könnten allerhand
CBD-Produkte in Österreich verboten
werden. Auf cbdbleibt.at findet
ihr eine Petition, die sich gegen das
angedachte Verbot wehrt.
„Modest“ Fashion wie
Kleidern, Hijabs und
Turbans, auch Halal-
Nagellack. Welche Teile /
Produkte sind am beliebtesten?
Mit dem Verkauf von
Tüchern habe ich
angefangen mein Label
aufzubauen. Bis heute
sind sie meine Bestseller,
weil sie eben so
unterschiedlich getragen
werden können
– als Kopfbedeckung,
Halstuch oder Bolero.
Sie sind sehr vielfältig,
weshalb dieses Produkt
immer im Sortiment in jeglichen Stoffen
sowie Farben erhältlich sein wird.
Und seit neustem habe ich mir den
Traum erfüllt, wasserdurchlässigen
Nagellack zu entwickeln und zu
verkaufen, auf den wir mittlerweile
schon ein sehr positives Feedback
erfahren durften. insta: lia_thebrand
© Marko Mestrovic, Sara Naggar/LIA Fashion, unsplash.com/GRAS
44 / LIFESTYLE /
,
MEINUNG
ICH SINGE WIE ICH WILL
Von Milica Joskić
Mein Bruder und ich sind in einem kleinen Supermarkt,
damals der einzige in diesem kleinen dalmatischen
Kaff. Während wir diskutierten, welches
Eis wir uns kaufen wollen, bemerkte die Verkäuferin
unseren bosnischen Dialekt und fragte uns provokant: „Seid
ihr Kroaten aus Bosnien oder Bosniaken aus Kroatien?“. Ich
war damals fünf Jahre alt und Begriff zum ersten Mal, dass
sie vor allem wissen wollte, welcher Religion ich angehöre.
JUGO-SPRACHE, FALSCHE SPRACHE
Er ist frustrierend und traurig zugleich: der ständige Hass
innerhalb der Ex-Yu- Community. Die Kroaten gegen die
Bosniaken, die Serben gegen die Kroaten und im Endeffekt
eh jeder gegen jeden. Manchmal subtil genug um ihn zu leugnen,
manchmal so offensichtlich und dreist, dass ich meine
Wut darüber nicht verstecken kann. Wir Kids der Diaspora
werden von klein auf damit konfrontiert, wen wir auf keinen
Fall in Zukunft daten dürfen, welche Musikrichtung wir nur
in Abwesenheit unserer Eltern hören können und welcher
Dialekt der „richtige“ ist.
Bei uns Zuhause wurde serbo-kroatisch gesprochen, damit
sind meine Eltern aufgewachsen und haben es mir dementsprechend
anerzogen. Türkische Lehnwörter im kroatischen
sind bei uns nach wie vor Gang und gäbe. Die Schwester
einer damaligen kroatischen Freundin brachte mich als
Jugendliche ins Stutzen als sie meine Aussagen kritisierte.
Ich solle aufhören, die türkischen Wörter zu benutzen und
reines Kroatisch sprechen. Gott behüte, die Leute würden
denken ich wäre Muslima!
VERBOTENE LIEBE „BALKAN EDITION“
Nicht nur auf die Wortwahl ist laut des Vorzeige-Kroaten zu
achten, du darfst auch auf keinen Fall „den Feind“ daten
oder noch schlimmer: heiraten. Sonst ginge ja unser heiliges
Christentum auf dem Balkan früher oder später vor die
Hunde und dein Mann würde dich sowieso zum konvertieren
zwingen (Bosniaken sind meist Muslime, Kroaten Katholiken
und Serben serbisch orthodox).Schön auf dem patriotischen
Pfad bleiben ist die Devise, zumindest versucht man mir das
seit ich denken kann einzubläuen. So haben sich zum Beispiel
viele meiner Bekannten von ihren muslimischen/
orthodoxen Partner:innen getrennt. Der Beweggrund
dafür ist in den meisten Fällen der Druck der
Eltern, die diese Liebe nicht akzeptieren wollen.
KLEINE ABER BEKLOPPTE VERBESSERUNGEN
Selbst bei Musik hört dieses faschistische Herumgemaule
nicht auf. Im Auto läuft ein Song von Šaban Šaulić. Ich singe
vollen Herzens mit, freue mich meines Lebens und genieße
die Musik. Meine Bekannte singt ebenfalls mit, macht aus
„lepo“ aber „lijepo“ (lepo=schön). Die serbische Aussprache
verändert sie ganz stolz. Sie stülpt dem Originaltext ihre ijekavische,
also die von Kroaten gesprochene Variante über. Aus
Protest wie sie mir später erklärt. Dasselbe erzählt mir ein
Bekannter, der an Wochenenden sein Geld mit Auftritten auf
kroatischen Feiern verdient. Seine Klienten meinen, er solle
alle Songs auf ijekavisch abwandeln und damit die Lieder
für die patriotischen Gäste „angenehmer“ machen. Er sollte
sogar den Song „Djurdjevdan“ von Bijelo Dugme aus dem
Programm nehmen (Djurdjevdan ist ein wichtiger orthodoxer
Feiertag und wird in Serbien gefeiert).
HEY ŽIVOTE, DIE FASCHOS MACHEN MICH MÜDE
Der Nationalismus hat ein ganzes Land zerstört. Er hat
Familien auseinandergerissen, Freundschaft zur Feindschaft
gemacht. Er frisst sich wie ein hartnäckiger Parasit über
Generationen hinweg durch, wir tragen bewusst den Hass
vergangener Konflikte mit uns herum und halten ihn auch
noch voller Stolz am Leben. Wir nehmen jede Gelegenheit
wahr unsere Flaggen zu schwingen und uns in patriotischen
Parolen zu suhlen, ohne unser Verhalten jemals zu reflektieren,
uns zu Fragen: warum trage ich den Hass meiner Eltern
weiter und halte an sinnlosen faschistischen Ideologien fest?
Heute bin ich selbstbewusster, wenn mir jemand die Frage
nach meiner Herkunft stellt. Die Leute sind verwirrt, wenn
sie dann auch noch meinen serbischen Namen hören und
ich ihnen anmerke, sie wissen mich nicht in ihre veralteten
Schubladen einzuordnen. Heute würde ich der Frau an der
Kasse antworten: Ich bin aus Bosnien, habe einen serbischen
Namen und einen kroatischen Pass. Und du so?
// MIT LIFESTYLE SCHARF // 45
KARRIERE & KOHLE
Para gut, alles gut
Von Anna Jandrisevits
FOMO („FEAR OF MISSING OUT“)
WAR GESTERN!
Du willst nach einem langen Tag im Büro beim Yoga entspannen und
für deinen kommenden Barcelona Urlaub dein Spanisch auffrischen?
Du willst zwar, aber es geht sich alles nicht aus – und das schlechte
Wetter motiviert dich auch nicht gerade das Haus am Abend zu
verlassen? No Problemo! Die VHS bietet im Herbstsemester Kurse mit
„Heimvorteil“ an – somit kannst du selbst entscheiden, wo du lernen
möchtest. Denn mit dem Heimvorteil der VHS kannst du daheim oder
auch mobil von unterwegs aus an einer Kurseinheit teilnehmen. Das ist
nicht nur für dich praktisch, sondern auch für alle die zur Risikogruppe
gehören oder aktuell einfach nicht im Kursraum lernen möchten.
Alle Infos findest du unter www.vhs.at/heimvorteil
MEINUNG
Toxisch an
der Spitze
Der schönste Job kann zum Albtraum
werden, wenn das Arbeitsklima nicht
stimmt. Besonders hart ist es, wenn
die negative Stimmung von oben
kommt. ChefInnen, die ihre Belegschaft
anschreien, wünscht sich niemand.
Doch schlechtes Führungsverhalten
dürfte keine Seltenheit sein. Zu diesem
Ergebnis kommt eine Studie der Universität
Bielefeld, der Universität Trier und
der Hochschule für Wirtschaft und Recht
Berlin. In 85% der 148 untersuchten
Firmen wurde ein toxischer Führungsstil
festgestellt, in jeder fünften sogar ein
ausgesprochen toxischer. Das schädigt
nicht nur das Betriebsklima, sondern
auch das Unternehmen. Je unzufriedener
die Beschäftigten, desto schlechter
ist die Performance. Wer gestresst, vernachlässigt
oder gekränkt wird, arbeitet
auch nicht gut. Man könnte annehmen,
dass das logisch ist. Deshalb ist es an
der Zeit, dass man Fehlverhalten nicht
nur bei Angestellten sucht, sondern auch
bei ArbeitgeberInnen. Workshops für
die Belegschaft nutzen nichts, wenn die
Führungskultur toxisch bleibt. Und wenn
wir schon dabei sind: Führungskräfte
sind noch immer größtenteils männlich.
Vielleicht könnte man an dem Problem
ansetzen.
jandrisevits@dasbiber.at
DIE 3 BESTEN
LERNMETHODEN
1. Lernen durch Lehren:
Die Methode wird oft im Schulunterricht
verwendet, klappt aber genauso
gut zuhause: Man lernt, indem man
lehrt. Wer sich ein Thema aneignet und
es anschließend jemandem vorträgt,
erinnert sich besser und länger daran.
Falls niemand in der Nähe ist, kann
man sich den Stoff auch selbst vorsagen.
2. Pomodoro-Technik:
Unsere Aufmerksamkeitsspanne ist
für Lernsessions ohne Pausen nicht
gemacht. Wer effektiv lernen will, sollte
die Pomodoro-Technik probieren. Man
lernt für 25 Minuten und macht danach
5 Minuten Pause. Die Einheiten werden
so oft wie nötig wiederholt und funktionieren
am besten mit einem Timer.
3. Gedächtnispalast:
Man stellt sich einen bekannten Ort
bildlich vor, z.B. die eigene Wohnung.
Wer ein Stoffgebiet lernt, packt die einzelnen
Kapitel davon in je ein Zimmer
der Wohnung. Die Fakten zu den Kapiteln
platziert man wiederum an Plätzen
im jeweiligen Zimmer. Das bildhafte
Lernen verbessert das Erinnerungsvermögen.
Loser
des Monats
DONALD TRUMP
Zugegeben: Er verdient den Titel nicht
nur diesen Monat. Aber auch wenn
Donald Trump scheinbar Tag für Tag
seine Inkompetenz als US-Präsident
beweist, sollten wir nicht aufhören,
darüber zu sprechen. Die „New York
Times“ berichtet, dass Trump jahrelang
kaum Steuern bezahlt haben
soll. Dokumenten zufolge habe der
Milliardär 2016 und 2017 nur je 750
Dollar Einkommensteuer auf Bundesebene
bezahlt. Weil mich das ziemlich
sprachlos macht, verweise ich auf
Calla Walsh aus Massachusetts, die
das Ganze in einem Tweet nochmal
zusammengefasst hat: Als 16-Jährige,
die Teilzeit arbeitet und Mindestlohn
bezieht, zahlt sie mehr Einkommensteuern
als der Präsident der Vereinigten
Staaten. Und Trumps Antwort auf
die Vorwürfe: „total fake news“.
© Zoe Opratko, Twitter/CallaWalsh
46 / KARRIERE /
Keine Frage!
Wir kaufen von
österreichischen
Bäuerinnen und
Bauern.
Die Zusammenarbeit mit der heimischen Landwirtschaft ist
McDonald’s ein großes Anliegen. Gemeinsam mit unseren
43 FranchisenehmerInnen, die selbst als UnternehmerInnen
in der Region verwurzelt sind, kaufen wir deshalb bewusst
von über 40.000 Bäuerinnen und Bauern in ganz Österreich.
Das erhöht die Wertschöpfung in der Region und sichert
den Bestand bäuerlicher Betriebe in unserer Heimat.
Wir machen’s und nennen das die McDonald’s Machhaltigkeit.
www.machhaltigkeit.at
Liberale Türken: Edip (link) und Ali (rechts)
Der türkische Verein ATIS will die „anderen“ Türken zeigen.
Biber traf den neuen Präsidenten Ali Eralp und Vorstandsmitglied
Edip Bayizit zum Interview. Ein Gespräch über liberale
Türken und warum die aktuelle Integrationspolitik eine „Katastrophe“
ist. Interview: Delna Antia-Tatić & Naz Küçüktekin, Foto: Franziska Liehl
BIBER: Was man so hört, giltst du als
liberaler Türke. Was sagst du dazu?
ALI ERALP: Ich mag das Wort „weltoffen“
mehr. Aber es stimmt schon. Ich
liebe Wirtschaft und Bildung. Da gibt es
keine Vorurteile. Da zählt nur die Leistung.
Wenn wer etwas gut kann, dann
spielt Geschlecht, Herkunft, Religion und
alles andere keine Rolle.
Kannst du uns ein bisschen was über
dich und deinen Werdegang erzählen?
ALI: Ich bin als Kind einer wohlhabenden
Familie in Istanbul auf die Welt
„Der Ali von damals
hätte es heute
viel schwerer in
Österreich.“
gekommen. Ich wuchs im Reichtum auf,
habe dann aber miterlebt, wie wir alles
verloren haben. Mit sieben Jahren habe
ich gelernt, was es heißt, sehr arm zu
sein. Ironie des Schicksals: Weil ich ein
großer Sportfan bin und durch „Cordoba“
annahm, dass Österreich die nächste
große Fußballnation würde, entschied
ich mich, auf die Österreichische Schule
zu gehen – statt auf die Französische
(lacht). Mit 20 kam ich dann fürs Wirtschaftsstudium
nach Wien. Damals habe
ich drei Gruppierungen wahrgenommen:
Türken, wie ich aus der Türkei, die sich
für meinen Geschmack aber viel zu sehr
isoliert haben. Dann jene Türken, die
hier aufgewachsen sind und dann noch
das restliche Österreich. Ich habe mich
keiner Gruppe angeschlossen.
War es schwierig sich aus diesen
Gruppen rauszuhalten?
ALI: Nein, für mich war es selbstverständlich.
So lernt man auch einiges, z.B.
dass die Griechen doch nicht böse sind
und die Kurden doch manch Vernünftiges
wollen.
Wie nimmt man als Türke, der in der
Türkei aufgewachsen ist, die Türken hier
wahr?
ALI: Ich habe sie im Vergleich zu den
Türken aus der Türkei, die wussten, wo
sie dazugehören, als nicht selbstbewusst
und unsicher wahrgenommen. Aber seitdem
ich vor 25 Jahren in die Berufswelt
eingestiegen bin, hatte ich nicht mehr
viel Kontakt in die türkische Community.
Das ist auch einer der Gründe, wieso ich
bei ATIS eingestiegen und die Präsidentschaft
übernommen habe. Ich vermisse
meine Kultur. ATIS ist eine Brücke zu
meiner Herkunft.
Wie siehst du das Edip?
EDIP BAYIZIT: Ich bin in Izmir geboren.
Mit 13 Jahren kam ich als Kind von
Gastarbeitern nach Wien. Ich erlebe die
Wahrnehmung der Wiener Mehrheitsgesellschaft
gegenüber uns Türken als
herablassend und das finde ich oft nicht
in Ordnung. Über 45 Jahre lebe ich hier,
habe mehrere Firmen aufgebaut und
immer noch heißt es, die Türken seien
ungebildet. Dabei ist der Zugang zu
Bildung niemandem verwehrt und es gilt
für alle gleich, ob Türke, Nigerianer oder
auch Österreicher: Man muss Bildung
nützen. Bei mir hat‘s auch im Gemeindebau
begonnen. Daher würd‘ ich auch
eher sagen, dass der Ali nicht liberal
sondern neo-liberal ist! (lacht und blickt
zu Ali)
Spielt die Herkunft in der Business-Welt
keine Rolle?
ALI: Wenn ich sage: „Ich heiße Ali“, kenne
ich genau die Blicke, die dann kommen.
Darauf könnte ich mich einlassen,
aber das ist Zeitverlust. Im Geschäftsleben
verlieren wir mit solchen Sachen
einfach keine Zeit. Wenn das Gegenüber
das macht, wollen wir mit dem eh nichts
zu tun haben.
48 / KARRIERE /
EDIP: Auf dieses Niveau muss man
aber natürlich erst hinkommen.
(Anm. d. Red.: Edip gründete in den
90er Jahren die Firma WEDCO, die
heute 100 Mitarbeiter beschäftigt
und europaweit tätig ist. Ali ist seit
25 Jahren beim Finanzberatungsunternehmen
FINUM, dort inzwischen
Vorstand und für 80 MitarbeiterInnen
zuständig.)
Wen würdet ihr euch eigentlich als
Koalitionspartner an Michael Ludwigs
(SPÖ) Seite wünschen?
ALI: Ich habe NEOS gewählt. Aber ich
bin nicht so ein Parteityp. Letztes Mal
habe ich GRÜN gewählt. Ich entscheide
mich bei jeder Wahl neu. Warum
NEOS: Das sind die einzigen, die ein
bisschen über Bildung reden. Wenn
wir das verbessern, verbessern wir
Vieles. Aber Politik nervt mich eher.
Es ist eigentlich immer Wahlkampf.
Interessant. Viele Migranten wählen
eher die SPÖ.
EDIP: (Lacht) Ich zum Beispiel. Der
grüne Zusatz würde in Zeiten der
Pandemie und beim Thema Konsum
schon helfen. Ich glaube auch, dass
der grüne Gedanke sich immer mehr
etablieren wird.
Wenn es um türkische Vereine in
Österreich geht, wird oft gleich Islamismus
oder Erdoğan-Nähe in den
Raum geworfen. Wie siehst du das?
ALI: Ich kenne die anderen Vereine
nicht. Ich kenne unseren Verein
ATIS. Aber was bringt einen Verein
zusammen? Eine gemeinsame Ideologie.
Bei uns ist es die, dass wir mit
der Welt integriert sind. Bei uns gibt
es Linke sowie eher rechts orientierte,
Gläubige wie weniger Gläubige,
Aleviten und Sunniten. Wirtschaft
ist bei uns ein großer gemeinsamer
Nenner. ATIS ist ein Verein für
türkische Unternehmer und Industrielle
in Österreich und auch Türken,
die mit Österreich zu tun haben. Mit
dem Verein wollen wir die „anderen“
Türken zeigen.
EDIP: Besser gesagt, wir wollen
„die“ Türken sichtbar machen. Zu mir
sagen Leute oft, ich habe noch nie so
einen Türken wie dich kennengelernt.
Meine Antwort ist dann: Wahrscheinlich
hast du noch keine Türken
kennengelernt.
Was sind ATIS Ziele?
ALI: Unser Hauptziel ist es, die
wirtschaftliche Beziehung zwischen
Österreich und der Türkei zu stärken.
Die Türkei ist ein wichtiger Partner
für Österreich. Da gibt es zwar keine
gute, aber eine sehr intensive Beziehung.
Das muss man auch fördern.
Ich möchte den jungen Leuten zudem
Vorbild sein und zeigen, was möglich
ist. Wenn ich die heutige Zeit
mit damals, als ich vor 32 Jahren
hergekommen bin, vergleiche, dann
sehe ich: Der Ali von damals hätte
es heute viel schwerer in Österreich.
Liberale Menschen verlieren mit der
Zeit oft ihre Zähne. Aber wir müssen
stark bleiben.
Wie siehst du die aktuelle Integrationspolitik?
ALI: Sie ist eine Katastrophe. Wir
hören, dass Little Italy und China
Town in Wien nicht willkommen sind.
Das sind weltweit etablierte Marken.
Da sollte man stolz darauf sein,
sowas in seiner Stadt zu haben. Oder
die Ausschreitungen in Favoriten als
islamistisch zu bezeichnen – das war
Nationalismus. Sie können die Dinge
nicht zuordnen. Anstatt Erfolgsmodelle
zu zeigen, wird ein Feindbild für
die nächsten Wahlen geschaffen.
Was stört euch an dem öffentlich
vermittelten „Bild der Türken“ am
meisten?
EDIP: Es gibt da einen Spruch: „Wenn
ich meinen Bruder nicht mag, ist das
ok. Wenn du meinen Bruder nichts
magst, ist das nicht in Ordnung.“
So ist es auch bei uns Türken. Was
mich stört, ist, dass mit Türken
immer gleich Religion in Verbindung
gebracht wird.
ALI: Mich stört dieses: „Das ist mein
Land“. Es ist Zufall, dass du hier
geboren bist. Ich habe mich aktiv
für dieses Land entschieden. Wer ist
mehr Österreicher, du oder ich?
Was macht einen zum Österreicher?
ALI: Dass man in diesem Land lebt
und Werte schafft. Nicht jeder muss
megaerfolgreich sein, aber auch nicht
das System ausnutzen. Das Prinzip
ist eigentlich immer Vertrauen und
gemeinsame Entwicklung. Wenn es
nicht gemeinsam geht, dann halt
nebeneinander.
Aleks Jobicić
Job?
Fix!
BEZAHLTE ANZEIGE
DIE BERUFSLEBENSKOLUMNE
DES AMS WIEN
„Aleks?“, höre ich neben mir schüchtern
fragen, als ich mir zwischen zwei Terminen
gerade im Supermarkt ein spätes Frühstück
aus dem Kühlregal nehme. Ich dreh mich
herum: eine Frau um die dreißig. Nie gesehen.
Wie ich das hasse.
„Yasmin“, sagt sie leise. „Volksschule.“ Flashback:
Mein dritter Schultag, große Pause, ich
stehe mit nassen Augen am Gang und fühle
mich verloren wie der letzte Mensch. Auf einmal
ist Yasmin da, vier Jahre älter und ziemlich
cool, und legt den Arm um mich. Sie hat auf
mich aufgepasst, ein Schuljahr lang. 20 Jahre
ist das her.
„Yasmin!“ Ich freue mich ehrlich und sprudle
los. „Wie geht’s dir? Arbeitest du in der Nähe?
Was machst du?“ Ich rufe im Büro an und
verschaffe mir Zeit für eine halbe Stunde mit
ihr, mir war das plötzlich wichtig.
Zwei Kaffee später ist mein Enthusiasmus weg.
Yasmin hatte rasch eine Familie gewollt. Mit 17
hat sie geheiratet. Heute hat sie drei Kinder,
nur die Pflichtschule und keinen Tag Berufserfahrung.
„Ich würde gern alles nachholen“,
sagt sie traurig. „Auf eigenen Beinen stehen,
mit eigenem Geld.“ Aber? „Aber ich bin 30
und muss bei Null anfangen.“
Yasmin wird das schaffen, das AMS hilft ihr
beim Lehrabschluss. „Trotzdem blöd!“, sagt
sie plötzlich verärgert und richtet sich auf. „Ich
hätt‘s mir echt leichter machen können.“
Tipp: Eine Familie zu gründen kann schön
sein. Von ihr abhängig zu sein, ist aber
nicht fein. Mach erst mal eine Ausbildung
und ein paar Schritte im Job – darauf
kannst du aufbauen, wenn deine Babypause
vorbei ist. ams.at/biz
/ KARRIERE /
Selbermacher
Ein über 4000
Jahre altes Schönheitsgeheimnis:
Die Aleppo-Seife.
Bei „Noble Soap“
wird Sauberkeit wie
Nachhaltigkeit groß
geschrieben.
Text: Nada El-Azar, Fotos: Eugénie Sophie
Wo
Olivenöl
Lorbeer
küsst
Viele Firmen arbeiten stetig daran,
neue Produkte zu entwickeln, während
unsere Philosophie ganz simpel
ist: Warum schauen wir nicht auf ein essentielles
Produkt zurück, das sich in unserer
Zivilisation schon lange bewährt hat und stellen
es weiter so nachhaltig und natürlich her,
wie es immer gemacht wurde?“, sagt Ahmad
Andoura, Geschäftsführer des Seifenherstellungsbetriebs
‚Noble Soap‘. Spezialisiert hat er
sich auf den Verkauf einer syrischen Naturseife,
die aus Olivenöl und Lorbeeröl besteht.
Ihre Tradition geht bis in das Jahr 2400 vor
Christus zurück, was die sogenannte „Aleppo-
Seife“ zu einer der ältesten Seifen überhaupt
macht. „Diese Seife ist ein über 4000 Jahre
altes Produkt, das unsere gesamte Zivilisation
gestützt hat, ähnlich wie Brot und Wein.“ Das
Besondere an der Aleppo-Seife ist: Die Basis
für die Seife wird in der sogenannten zweiten
Pressung von Oliven hergestellt. Somit kann
die Seife als Nebenprodukt der Olivenölgewinnung
besonders umweltschonend hergestellt
werden.
TRADITIONSREICH UND
WERTEORIENTIERT
Der Wiener Betrieb ‚Noble Soap‘ lässt sich
am ehesten als „Vintage-Start-Up“ beschreiben,
denn er ist in direkter Nachfolge an
jene gleichnamige Firma entstanden, die von
Ahmad gemeinsam mit seinem Vater Nabil
Andoura zwischen Damaskus und Aleppo
im Jahr 1998 gegründet worden war. Bevor
die Produktionsstätten in Syrien im Jahr
50 / KARRIERE /
2012 dem Bürgerkrieg zum Opfer fielen, war
Noble Soap marktführend auf dem Gebiet der
Aleppo-Seife. Heute hat sich die Produktion
in die südliche Türkei verlagert, wo man mit
ortsansässigen Olivenbauern zusammenarbeitet.
Verpackt und etikettiert wird die Seife
in Wien, ganz ohne Plastik. Wie eh und je ist
jedes Seifenstück handgemacht und ist vegan
wie palmölfrei.
EIN INTIMES PRODUKT
„Wann verwenden wir Seife? Wir benutzen
sie, wenn wir an einem sensiblen Ort sind –
im Bad oder unter der Dusche. Das macht
Seife zu einem besonders intimen Produkt“,
so Ahmad Andoura. In manchen Teilen
Syriens ist es verbreitet ein Stück Seife
in einer Holzschatulle an Hochzeitsgäste
zu verschicken. „Das gilt als freundliche
Einladung dazu, sich herauszuputzen und zu
einer Hochzeit zu kommen“, erklärt Ahmad.
Für empfindliche oder von Krankheiten wie
Ekzemen oder Psoriasis betroffene Haut
ist die schonende Aleppo-Seife eine gute
Alternative zu herkömmlichen Duschgels. Das
Olivenöl reinigt sanft die Haut vor schädlichen
Bakterien, während das kostbare Lorbeeröl
antiseptisch wirkt. Im Sortiment von Noble
Soap finden sich neben der klassischen,
geruchlosen Aleppo-Seife noch Varianten
mit Rosenöl, Safran oder Lavendel. Und die
Produktpalette wächst weiter – ein Blick in
den Online-Shop lohnt sich.
Natur pur – Die Aleppo Seife von Noble Soap.
Noble Soap
Schmelzbrückenrampe 6
1150 Wien
www.noblesoap.com
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Im Gründerservice der
WKO-Wien kann man bei
einem Beratungsgespräch
alle Fragen stellen, die die
Gründung eines Unternehmens
betreffen. Im Vorhinein
kann man sich auch
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informieren. Ob generelle
Tipps zur Selbstständigkeit,
rechtliche Voraussetzungen,
Amtswege oder
Finanzierungs- und Förderungsmöglichkeiten:
Auf
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wichtigen Informationen.
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Die Selbermacher-Serie ist
eine redaktionelle Kooperation
von das biber mit der
Wirtschaftskammer Wien.
Jetzt online informieren.
© philipp nemenz/Shutterstock
VON DER IDEE
BIS ZUR GRÜNDUNG
» GRÜNDUNG UND ÜBERGABE
» Basis-Informationen und Tools zur Gründung
finden Sie auf unserer Webseite.
© Randy Faris/Corbis
W www.gruenderservice.at/wien
Junge Menschen haben viel zu
sagen, und zwar in mehreren
Sprachen! Beim Redewettbewerb
„Sag’s Multi!“ teilen Jungtalente
seit 2009 ihre Gedanken auf der Bühne
und bewegen mit mehrsprachigen Reden
das Publikum. Der Wettbewerb fördert
die Mehrsprachigkeit junger Menschen
in Österreich und gibt ihnen die Möglichkeit,
Position zu beziehen – unabhängig
von ihrem Geburtsort, ihrer Nationalität
und ihrer religiösen oder kulturellen
Prägung.
„SAG’S MULTI!“
GOES ORF
Worte bewegen viel. Worte in unterschiedlichen
Sprachen bewegen noch mehr. Das
beweisen junge Sprachtalente im Redewettbewerb
„Sag’s Multi!“ seit mittlerweile
elf Jahren. Nun entwickelt der ORF das
Projekt weiter und bietet der Mehrsprachigkeit
eine landesweite Bühne.
Text: Anna Jandrisevits
BEITRAG ZUR INTEGRATION
Der ORF wird den Wettbewerb in jedem
Bundesland in all seinen Medien begleiten.
„Der Beitrag zur Integration ist einer
der Zukunftsaufträge des Öffentlich
Rechtlichen. Der Vielfalt und Kompetenz
der österreichischen Jugend soll
mit Unterstützung des ORF eine Bühne
geboten werden.“, sagt Generaldirektor
Alexander Wrabetz zu dem Projekt.
Mehrsprachige Jugendliche sind keine
Minderheit. Fast 30% der SchülerInnen
in Österreich haben eine andere Familiensprache
als Deutsch. Gemeinsam
mit SchülerInnen, die im Unterricht
eine Fremdsprache lernen, bilden sie
eine bunte Generation, die die Zukunft
bestimmen werden. Mehrsprachigkeit
sollte nicht als Hindernis betrachtet werden,
sie ist eine Bereicherung.
Im vergangenen Schuljahr haben 585
SchülerInnen aus ganz Österreich Reden
in zwei Sprachen vor dem Publikum
gehalten. Die TeilnehmerInnen wechseln
zwischen Deutsch und ihrer Muttersprache,
oder zwischen Deutsch und einer
erlernten Fremdsprache. „Sag’s Multi!“
macht besonders die Talente von jungen
Menschen aus zugewanderten Familien
sichtbar. Seit 2009 wurden 88 Sprachen
verwendet, unter ihnen Chinesisch,
Sorani, Urdu oder Vlachisch. Die Themen
der Reden sind vorgegeben und variieren
von Jahr zu Jahr. Auch das Leitthema in
diesem Jahr zeigt, wie vielfältig und tiefsinnig
die Jugendlichen ihre Gedanken
äußern können: „Wer, wenn nicht wir?
Wann, wenn nicht jetzt?“
ERMUTIGUNG UND
EMPOWERMENT
Zum zentralen Team für die Umsetzung
des Projekts zählt der Geschäftsführer
© Osman Cetin, VWFI/Niko Havranek
52 / MIT SCHARF /
des Vereins „Wirtschaft für Integration“ Peter Wesely, der
den Redewettbewerb 2009 erfunden hat. Das Gesicht der
Kampagne ist ORF-Moderatorin und Gründungsmitglied
von biber, Eser Akbaba. Für sie ist der Redewettbewerb ein
Herzensprojekt: „Es gibt so viele junge Talente, die neben
Deutsch mindestens eine weitere Sprache sprechen und
die müssen vor den Vorhang geholt werden. Mit „Sag‘s
Multi!“ geben wir jungen Menschen eine Bühne und wollen
sie gleichzeitig empowern. Ich lebe das Projekt und kann
nur sagen: Österreich ist nicht einsprachig!“
Wichtige
Corona-Info
Achtung! Es gibt ein hohes
Corona-Infektionsrisiko.
Bitte informieren Sie sich
über die aktuellen Sicherheitsmaßnahmen.
Informationen
in 17 Sprachen
finden Sie unter:
www.integrationsfonds.at/
coronainfo.
Bleiben Sie gesund.
1 Meter
Pažnja! Postoji velik rizik od
zaraze koronavirusom.
Molimo Vas da se informišete
o trenutnim merama predostrožnosti.
Informacije na
17 jezika možete pronaći na:
www.integrationsfonds.at/
coronainfo. Ostanite zdravi!
Wegen Corona wird „Sag’s Multi!“ in der ersten
Phase digital abgewickelt. Ende Oktober startet die
Online-Nominierungsphase durch die Schulen. Bis
zum 1. Dezember können sich SchülerInnen ab der
7. Schulstufe mit dem Video einer Kurzrede (3–5
Minuten) für die erste Runde qualifizieren. Bis zum
10. Februar 2021 übermitteln die Qualifizierten eine
verlängerte Rede. Die Reden werden auf eine öffentliche
Plattform gestellt und laden über Social Media
zur Auseinandersetzung ein. In jedem Bundesland
bewertet eine eigene Jury nach einem Punktesystem,
die PreisträgerInnen werden in drei, auf Schulstufen
bezogenen Kategorien ermittelt. Zwischen 13. April
und 23. April 2021 treten in den ORF Landesstudios
jeweils 30 TeilnehmerInnen in einer Bundesland-
Finalrunde mit einer neuen Rede vor Publikum und
Jury an. Die besten drei pro Kategorie sind die
Bundesland-SiegerInnen. Der bundesweite Abschluss
ist im Juni 2021 auf ORF III geplant.
Weitere Infos unter www.sagsmulti.at
/ MIT SCHARF /
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KULTURA NEWS
Klappe zu und Vorhang auf!
Von Nada El-Azar
MEINUNG
The Pervert’s Guide
to Emancipation
Konservative Eltern lassen sich mit nur
einem einzigen Satz aus der Ruhe bringen.
Besonders allergisch sind sie auf „Mama,
sobald ich Geld habe, ziehe ich aus!“ oder
„Ich gehe mit einem Freund was trinken!“
– speziell, wenn das aus dem Mund ihrer
Tochter kommt. Hätte man mir vor fünf Jahren
erzählt, dass meine (!) Eltern mir heute
mit dem Aufbau von IKEA Möbeln in meiner
ersten eigenen Wohnung helfen würden und
das auch noch gemeinsam mit einem Typen,
mit dem ich nicht mal verheiratet bin, hätte
ich vor Lachen glatt einen Rückwärtssalto
hingelegt. All die Jahre des Psychoterrors im
Kinderzimmer, der Provokation am Esstisch,
bis hin zu der wirklich ausgedehnten Gruftiphase
und den heimlichen Vodkaflaschen
im Kleiderschrank haben letztendlich doch
dazu geführt, dass meine Mutter mir heute
am Telefon sagt, ich solle „halt nicht zu viel
auf der Party trinken“. In welchem Universum
hätte ich mir das erträumen können?
Emanzipation funktioniert anscheinend auch
generationenübergreifend. Vielleicht schreibe
ich eines Tages ein Selbsthilfebuch für all
die Frauen, die trotz akademischen Titels vor
21 Uhr zuhause sein müssen. Für alle, die so
oft von ihren Eltern angerufen werden, bis
der Handyakku ausgeht und dann erst recht
Ärger dafür kriegen, dass das Handy aus
war. Vielleicht sollte ich auch Mentorings
anbieten? Ich wittere eine Geschäftsidee.
el-azar@dasbiber.at
Webtipp
White Zone
– Die Tage danach
Fast forward um 200 Jahre. Eine Mutter
lebt mit ihren zwei Töchtern in postapokalyptischer
Isolation. Ihre Welt gerät ins
Wanken, als die beiden Töchter an der von
ihrer Mutter geschaffenen Lebenswelt zu
zweifeln beginnen. Das SpielBAR Ensemble
schlägt mit der dystopischen Miniserie die
Brücke vom WorldWideWeb zur Bühne und
gibt damit einen Vorgeschmack darauf,
was im Theater zu sehen sein wird. Mit:
Denise Teipel, Cristina Maria Ablinger,
Monica Anna Cammerlander
Ab 23.10. um 20 Uhr auf dem YouTube
Kanal des Kollektivs: SpielBAR Ensemble
Im Schatten von Bambi:
Felix Salten entdeckt die
Wiener Moderne
Ende 1922 erschien Felix Saltens Tierroman
„Bambi“, der ein Welterfolg wurde. Doch
Salten(1869 – 1945)war mehr als nur der
„Bambi“-Autor. Er war ein einflussreicher
Journalist, Kunstkritiker, Theatergründer,
Mitglied des literarischen Netzwerks Jung-
Wien und darüber hinaus ein bedeutender
Protagonist im kulturellen Leben der Wiener
Moderne. Das Wien Museum und die Wien
Bibliothek im Rathaus widmen Salten zum
75. Todestag eine Ausstellung mit ausgewählten
Stücken seines Nachlasses,
zahlreichen Fotos, Manuskripten und vielem
anderen mehr.
Bis 25. April 2021 im Wien Museum /
Wien Bibliothek im Rathaus
Ausstellungstipp
MAJA VUKOJE
Das Belvedere 21 zeigt eine
umfassende Schau der 1969 in
Düsseldorf geborenen Künstlerin
Maja Vukoje. Neben rund
hundert Arbeiten der letzten
15 Jahre liegt der Schwerpunkt
auf ihrer aktuellen Produktion,
in der Südfrüchte auf „Kolonialwaren“
wie Kaffee und Zucker
und Symbole unseres digitalisierten
Alltags treffen.
Ab 21. November 2020
im Belvedere 21
© Christoph Liebentritt, Christopher Kesting, Olaf Osten, York Tillyer, Roland Krauss/ Bildrecht Wien, Siglind Buchmayer
54 / KULTURA /
Elena Luksch-Makowsky.
Silver Age und Secession
Die Malerin Elena Luksch-Makowsky warum 1900 eine
Brückenfigur zwischen dem russischen und dem Wiener
Jugendstil. Sie stellte in der Secession aus, publizierte
in der Zeitschrift Ver Sacrum und verstand es,
gekonnt in Künstlerkreisen zwischen Wien und Sankt
Petersburg ihre Fäden zu spinnen. Im Anschluss an
die Schau „Stadt
der Frauen“ von
2019 widmet das
Belvedere dieser
entscheidenden
Schlüsselfigur der
Wiener Moderne
eine Einzelausstellung.
Bis 10. Jänner
2021
Brücke zwischen
Österreich und der Welt
Wie kann man Kultur so fördern, dass unsere Gesellschaft globaler
und solidarischer wird? Genau dieser Frage widmet sich die Initiative
„kulturen in bewegung“. Seit 25 Jahren dient sie als wichtiger
kultureller Brückenschlag zwischen Österreich und der Welt. Das
Projekt des Instituts für Internationalen Dialog und Zusammenarbeit
realisiert mit finanzieller Unterstützung der Österreichischen
Entwicklungszusammenarbeit Konzerte, Musik- und Kunstfestivals,
Performanceprojekte, Workshops, Theater und vieles mehr. So
gelang es etwa, den äthiopischen Pianisten Samuel Yirga erstmals
im renommierten Wiener Jazzclub Porgy & Bess gemeinsam mit der
österreichischen Gruppe chuff-DRONE auf die Bühne zu bringen.
Durch die Unterstützung der
Österreichischen Entwicklungszusammenarbeit
konnte
auch der palästinensischösterreichische
Verein YANTE
vier Jahre lang das Community-Tanzprojekt
„I Can Move“
in Palästina umsetzen, um
den dort unter schwierigsten
Bedingungen lebenden Menschen
unter anderem durch
Körperarbeit zu zeigen, wie
man Spannung abbaut.
npo-fonds.at
Weil wir
gemeinsam
das Beste aus
uns herausholen.
ENTGELTLICHE EINSCHALTUNG
Der NPO-Fonds unterstützt
gemeinnützige Organisationen.
Unsere Gesellschaft braucht
dieses Engagement.
Foto: © Lieve Boussauw / Jeunesse – Musikalische Jugend Österreichs
Mit dem NPO-Fonds konnten bisher bereits rund 6.000 Vereine und Organi
sationen aus den Bereichen Sport, Kunst und Kultur, Umweltschutz oder
auch Soziales in der Corona-Krise unterstützt werden. Insgesamt stehen
700 Millionen Euro zur Verfügung. Anträge sind bis Ende 2020 möglich.
Sichern auch Sie sich rasche und einfache Hilfe für Ihren Verein!
Alle Informationen dazu auf www.npo-fonds.at
Shadow
Citizens
Die Kunsthalle Wien
MuseumsQuartier zeigt
in Kooperation mit
dem Österreichischen
Filmmuseum und der
Viennale eine Ausstellung
über den serbischen
Filmemacher Želimir Žilnik.
Die Ausstellung ‚Shadow Citizens‘ gibt
einen Einblick in das Werk des 1942
in Novi Sad geborenen Regisseurs
Želimir Žilnik. Seit seinen Anfängen in
der jugoslawischen Amateurfilmszene
hat er über 50 Filme und Fernsehproduktionen
gedreht. Zu großer internationaler
Bekanntheit verhalf ihm sein
Langfilmdebüt „Frühe Werke“, das
1969 auf der Berlinale mit dem Goldenen
Bären ausgezeichnet wurde. Der
Film handelt von einer Gruppe junger
Studenten, die beflügelt von den 68er-
Student*innenprotesten in Belgrad
aufs Land fährt, um die dort lebenden
Arbeiter und Bauern wachzurütteln.
Žilnik bildet auf eine nüchterne, aber
auch komische Art die Lebensrealitäten
SHADOW CITIZENS
ZU SEHEN AB 24.
OKTOBER IN DER
KUNSTHALLE WIEN
MUSEUMSQUARTIER.
im Jugoslawien der 60er-Jahre ab und
wehrt sich dagegen, einen sozialistischen
Helden zu zelebrieren. Anfang der
70er-Jahre gab es deshalb zunehmend
Widerstand und sogar Verbote der Filme
der sogenannten „Schwarzen Welle“
(Crni Val) – dem Genre, in dem Žilnik zu
verorten ist. Die Bezeichnung „Schwarze
Welle“ entstand aus einem Versuch der
Tito-Regierung Filme, die die jugoslawische
Gesellschaft kritisch reflektierten,
zu diffamieren.
NEUAUFLAGE MIT BESONDEREM
SCHWERPUNKT
Žilnik prognostizierte in seinem Filmschaffen
reale Entwicklungen wie den
Zerfall Jugoslawiens, den Übergang
vom Sozialismus zu einer neoliberalen
Ordnung und den Verlust von
Arbeitnehmer*innenrechten auf prophetische
Weise. Kuratiert ist die Ausstellung
von WHW (What, How &for Whom/
WHW: Direktorinnen der Kunsthalle
Wien: Sabina Sabolović, Nataša Ilić, Ivet
Ćurlin), die im vergangenen Jahr die Leitung
der Kunsthalle übernommen haben.
Bei der Ausstellung handelt es sich um
die Neuauflage einer 2018 entwickelten
Schau, die in der Galeria Nova in
Zagreb gezeigt wurde. Erweitert wird das
Programm durch einen von Ana Janevski
kuratierten Forschungsstrang über
den sogenannten Amateur-Kinoklub, wo
Žilnik sein Handwerk erlernt hatte.
UMFANGREICHE SCHAU DES
ŒUVRES
Der Titel „Shadow Citizens“ soll Žilniks
jahrzehntelange Bemühung widerspiegeln,
den Blick auf unsichtbare,
unterdrückte, und unterrepräsentierte
Teile der Gesellschaft zu lenken. Das
ausgedehnte Filmprogramm wird vor Ort
sowohl in der Kunsthalle Wien MuseumsQuartier,
als auch im Rahmen der
Viennale (22. Oktober – 1. November),
und im Programm des Österreichischen
Filmmuseums (Jänner 2021) gezeigt.
Vom Frühwerk bis hin zu den weniger
bekannten Fernsehproduktionen aus den
80er Jahren und dem jüngsten Langfilm
„The Most Beautiful Country in The
World“ (2018) ist alles dabei.
@ Zelimir Zilnik
56 / KULTURA /
KOLUMNE
Ich bin ein Syrer. Aber eigentlich bin ich Albaner.
Aber vielleicht bin ich Türke.
Robert Herbe
Vor einer Woche war ich mit Freunden bei einem
syrischen Bekannten und seiner Familie zum
Essen eingeladen. Nach dem üppigen und
bunten Abendessen servierte er uns eine
Nachspeise mit Mokka. Ich naschte ein kleines
Stück Baklava und eine langsam wachsende
Enttäuschung bahnte sich in meinem Inneren
an. Es schmeckte zu süß und fast faulig. „Das
hast du sicher beim Türken gekauft, oder? Das
ist keine Baklava! Wer noch keine Baklava aus
Damaskus gegessen hat, hat die Hälfte seines
Lebens verloren!”, protestierte ich. Unser Gastgeber
schaute mich kurz nachdenklich an, lächelte
spöttisch und sagte: „Ich habe diese Baklava
direkt aus Damaskus geschenkt bekommen.”
Dann zeigte er mir die Verpackung mit der Aufschrift
eines Spezialitätengeschäftes in Damaskus.
Nach dem Abend blieb mir eine Frage für einige Tage
im Kopf hängen: Warum hat der Heimatort für mich und für
viele Menschen, die ihre Heimat verlassen mussten, einen
Stellenwert, der fast ideal und heilig ist?
Als ich vor sechs Jahren nach Österreich kam, dachte
ich jeden Tag in der Früh an Damaskus. Ich litt an einer
Krankheit namens Sehnsucht. Ich wusste nicht, dass ein
Exilmensch so viel an seine Heimat, die man ihm verboten
hat, denken kann. Wenn mich damals jemand gefragt
hat: „Willst du zurück nach Syrien gehen, wenn der Krieg
vorbei ist?”, war meine Antwort eindeutig: “Ja.” Und jedes
Mal, wenn ich mit meiner Familie in Damaskus telefonierte,
haben sie meine Wünsche zurückzukehren heftig und verständnislos
kritisiert: „Was willst du da machen? Alle jungen
Männer sehnen sich danach auszuwandern und diese Hölle
zu verlassen und du willst zurück?”
Flucht und Migration sind eine uralte Realität, über die
unzählige Romane, Gedichte und Odysseen geschrieben
wurden. Als ich noch in Syrien lebte, traf ich täglich auf
Menschen mit Flucht- oder Migrationshintergrund. Aus heutiger
Sicht irritiert mich meine damals fehlende Sensibilität
und mein geringes Verständnis für diese Menschen. Syrien,
wie es die amerikanische Sozialanthropologin Dawn Charry
bezeichnet, ist ein Asylstaat. In Syrien leben seit Generationen
Circassianer, Albaner, Griechen, Armenier, Somalier,
turjman@dasbiber.at
Jad Turjman
ist Comedian, Buch-
Autor und Flüchtling
aus Syrien. In seiner
Kolumne schreibt er
über sein Leben in
Österreich.
Iraker und Palästinenser. Ich habe mich mit dem
Leben dieser Menschen nie bewusst auseinandergesetzt.
Es schien mir, dass es niemanden
interessieren würde, über das Thema Heimat,
Exil oder Zugehörigkeit zu reden. Im Nachhinein
finde ich das schade. Aber auf der anderen
Seite erlebte ich in Damaskus nie eine Integrationsdebatte
oder überhebliche Anpassungsanforderungen
an eine bestimmte Kultur. Damaskus
und Syrien waren ein Mosaik-Kunstwerk. Die
Armenier z. B. pflegen sorgfältig das Erlernen
ihrer Sprache und ihrer Traditionen und sie sind
mittlerweile bewundernswerterweise ein Teil von
Syrien. Mein 98-jähriger Opa hat mir bei unserem
letzten Telefonat offenbart, dass sein Großvater
aus Albanien stammte. Er war im Ersten Balkankrieg
(1912/1913) nach Syrien geflohen. Und jetzt lebe ich,
sein Ururenkelkind, in Österreich und fühle mich beheimatet.
Vielleicht ist mein Uropa selbst aus Syrien gewesen
und wurde von den Osmanen zwangsweise zum Krieg nach
Europa mitgeschleppt? Immerhin war Syrien 400 Jahre lang
Teil des Osmanischen Reiches.
Wenn ich heute gefragt werde: ”Willst du zurück nach
Syrien, wenn keine Gefahr mehr für dich besteht?”, komme
ich ins Zögern. Meine emotionale Verbindung mit dem Land
hat sich langsam abgeschwächt. Ich wüsste nicht, was ich
dort machen würde. Mein Leben ist jetzt in Österreich. Meine
Freunde, Arbeit und Zukunft sind da. Ich denke, wenn ich
wieder nach Syrien muss, wäre das für mich eine erneute
Flucht.
Ich weiß auch nicht, wie ich Heimat definieren kann. Es
gibt viele Sätze, die besagen, was Heimat ist. Ich bin aber
der Überzeugung, dass wir Heimat nicht mit einem Aspekt,
Wort oder Gefühl beschreiben können. Wenn ich an Heimat
denke, flimmern vor meinen Augen verschiedene Bilder:
meine Mutter, mein erstes Fahrrad, der Duft von Jasmin;
aber auch der See in Mattsee, mein österreichischer Bruder
Moritz und die deutsche Sprache.
Ich fühle mich weder wie ein Syrer noch wie ein Österreicher.
Vielleicht fühle ich beides. Keine Ahnung. Aber ich
fühle mich auf jeden Fall wie ein Erdbewohner mit menschlichem
Hintergrund.
/ MIT SCHARF / 57
10.000 KM
DURCH
ALBANIEN
58 / OUT OF AUT /
Einst die größte Freiluft-Hanfplantage, heute die
schönsten Strände: Warum Albanien viel mehr zu
bieten hat, als du denkst.
© Franziska Tschinderle
Es sei das neue Griechenland,
erklärt die Reiseführerin Gijikuria
auf Seite 123.Und wer Wiener
Bobos in den letzten Jahren nach
ihrem Sommerurlaub gefragt hat, wird
diese Sicht teilen: Albaniens Riviera
mit ihren ewiglangen Sandstränden ist
als Urlaubsdestination hip geworden.
In der Ex-Yu-Community sorgt das allerdings
nicht selten für Kopfschütteln:
Albanien? Da fährt man doch nur hin,
um dreckige Geschäfte zu machen.
Und genau zwischen diesen Gegensätzen
bewegt sich Franziska Tschinderle:
Die Journalistin hat mit „Unterwegs in
Albanien“ ein Buch herausgebracht,
das weder ein Reiseführer über Traumstrände
sein will noch ausschließlich
die Themenfelder Blutrache und Drogen
abhandelt. Ihr geht es darum, das
kleine Balkanland kennenzulernen –
durch seine Geschichte. Immerhin war
Albanien Jahrzehnte lang vom Rest der
Welt isoliert, über 40 Jahre herrschte
ein kommunistischer Diktator und jede
Religion war verboten. Heute ist das
Land eine Demokratie und möchte Teil
der EU werden, gleichzeitig hat es mit
politischem Stillstand und Abwanderung
zu kämpfen.
Franziska fährt los mit ihrem roten
Golf und die Übersetzerin Aida ist stets
dabei – zusammen sind die beiden
Frauen über 10.000 Kilometer unterwegs
und führen über 100 Interviews
mit Bauern wie Professoren. Biber
findet das Ergebnis der 26-Jährigen
sehr gelungen und druckt drei Passagen
aus ihrem Buch als Appetizer ab.
Es geht um guten Kaffee, den man bitte
im Sitzen und nicht „to-go“ nimmt,
um gegrillten Fisch und stets einer
Pistole im Hosenbund, und natürlich
um Drogen, die in Form von Cannabis
wie Kartoffeln angebaut wurden. Aber
lest selbst!
Hat man eine Autopanne, so wie hier in Poliçan, dann versammelt sich in
kürzester Zeit das halbe Dorf um den Wagen.
ALLES BEGINNT MIT
EINEM ‚KAFE‘
Es scheint, als hätte in Albanien jede
noch so kleine Spelunke eine Espressomaschine,
auch in den entlegensten
Dörfern auf dem Land. Kaffee aus
Automaten, wie man ihn an Flughäfen
bekommt, wären, da bin ich mir sicher,
für jeden Albaner und jede Albanerin ein
Affront – ebenso wie durch die Gegend
hetzende Menschen mit Coffee-togo-Bechern.
Für den ‚kafe‘, wie es im
Albanischen heißt, setzt man sich hin. So
viel Zeit muss sein.
Schnell lernte ich, dass Kaffeetrinken
in Albanien auch eine Form der Vertrauensbildung
ist. Oft tadelte mich Aida für
meine Ungeduld. „Du kannst den Mann
nicht einfach anrufen und erwarten, dass
er dir sofort alles am Telefon erzählt“,
meinte sie nach wenigen Wochen zu mir,
„so läuft das hier nicht. Lade ihn erst mal
auf einen ‚kafe‘ ein.“
Genau das ist in Albanien aber geradezu
unmöglich. Selbst Gesprächspartner,
die sich stundenlang Zeit für einen
nehmen, bestehen darauf, am Ende
die Rechnung zu zahlen. „Wir teilen die
Rechnung nicht“, sagt Evi, eine Hotelbesitzerin,
die ich in Tirana kennengelernt
habe, „denn das ist eine Beleidigung.“
Ismail, mein Vermieter, gab mir gegenüber
einmal zu: „Über das deutsche
‚Zusammen oder getrennt?‘ machen sich
hier alle lustig.“ Selbst Studenten, die
noch bei ihren Eltern wohnen, weil sie
sich keine eigene Wohnung leisten können,
schütteln lachend den Kopf, wenn
man beginnt, in der Hosentasche nach
200 Lek zu graben. Das sind umgerechnet
1,60 Euro und in etwa der Preis für
zwei Macchiatos. „Du zahlst das nächste
Mal“, winkt auch Irdi bei unserem ersten
Treffen ab. Das Problem ist nur: Das
nächste Mal besteht er wieder darauf,
die Rechnung zu begleichen. Das hat
/ OUT OF AUT / 59
Der kommunistische Diktator Enver Hoxha ist auch 35 Jahre nach
seinem Tod allgegenwärtig, auch auf Souvenirs.
übrigens nichts mit Machogehabe zu tun,
auch Frauen machen das.
Die vollen Cafés in Tirana und überall
auf dem Balkan haben auch eine Schattenseite.
Sie sind ein Indikator dafür,
dass die Jugendarbeitslosigkeit bei 27
Prozent liegt. Und noch etwas erzählt der
‚kafe‘ über die wirtschaftliche Situation
im Land: „Viele Kellner“, sagt Blerta,
meine Sprachlehrerin, „haben eigentlich
studiert, sind dann aber in der Gastronomie
hängen geblieben, weil sie keinen
Job finden.“
„
Zum Meer bin ich
nie gegangen, dafür
brauchte man eine
spezielle Genehmigung.
AN DER ALBANISCHEN
RIVIERA
Heute klafft die Schere zwischen Arm
und Reich in Albanien weit auseinander,
auch an der Riviera. Auf der einen Seite
stehen Besitzer von Luxusresorts und
Fischfarmen, auf der anderen Hirten und
Bauern, die im Hinterland als Selbstversorger
leben. Angjel, der Besitzer des
Luciano, kennt beide Welten. Im Sozialismus
hatte er nichts als ein paar Ziegen,
heute gehöre er zu den größten Steuerzahlern
im Süden, wie er stolz behauptet.
Neben dem Restaurant besitzt er eine
Olivenölfabrik und eine Fischzucht. Aus
Dukat, seinem Heimatdorf, ist er nie
weggezogen.
„Im Leben muss man viel ausprobiert
haben“, sagt Angjel, der jetzt mit
grünem Arbeitsoverall, Strickpullover
und Zigarette in der Hand neben mir
auf dem Flachdach seiner Olivenölfabrik
sitzt, raucht und auf die umliegenden
Hügel blickt. Zur Zeit des Sozialismus
streifte er dort mit seinen Ziegen umher,
bis hinauf auf den Gebirgspass, wo im
Winter Schnee liegt. „Zum Meer bin
ich nie gegangen, dafür brauchte man
eine spezielle Genehmigung“, erinnert
er sich. Nach der Wende wurde Angjel
Fischer. Am Strand von Dhërmi stand
in den Neunzigerjahren die Ruine eines
ehemaligen Feriencamps für Gewerkschaftsmitglieder.
Die Fischer nutzten
das leerstehende Gebäude als Unterstand.
Meze, Angjels Frau, erzählt mir:
„Die Bewohner begannen, meinem Mann
Fisch abzukaufen, und irgendwann fragte
ich ihn: ‚Angjel, warum grillst du ihn
nicht gleich und servierst Rakia dazu?‘“
Also mietete Angjel das Gebäude, oder
“
60 / OUT OF AUT /
„
Ein Jahr lang habe
ich mit Pistole im
Hosenbund serviert, weil
die Gegend von Gangs
kontrolliert wurde.
“
zumindest das, was davon übriggeblieben
war – drei Räume mit zwei Tischen
und einigen Stühlen. „Ein Jahr lang habe
ich mit Pistole im Hosenbund serviert,
weil die Gegend von Gangs kontrolliert
wurde“, erzählt er. Als in Albanien die
Anarchie ausbrach, diente die Küste als
Umschlagplatz für Flüchtlinge, Drogen
und Waffen. Darauf angesprochen, gibt
sich Angjel ahnungslos: „Die Leute stiegen
auf die Boote nach Italien, und ich
grillte meinen Fisch.“
DAS ENDE VON LAZARAT
Es gibt eine weitere Geschichte, die
Aida und ich in Gjirokastra recherchieren
wollen. Es geht um ein kleines Dorf
namens Lazarat, das weltweite Berühmtheit
erlangt hat. Mehr als zehn Jahre
lang wurden in Lazarat illegal hunderte
Tonnen Cannabis angebaut und nach
Westeuropa geschmuggelt. Das Bergdorf
galt als die größte Freiluft-Hanfplantage
Europas. 2014 fand all das ein jähes
Ende: Die Regierung ließ von der Polizei
das Dorf stürmen und viele Bewohner,
die jahrelang vom illegalen Anbau gelebt
hatten, landeten im Gefängnis. Eine
Zeit lang gingen Videos aus Südalbanien
um die Welt: Vermummte Polizisten
posierten neben brennenden Cannabispflanzen.
Dann geriet Lazarat in Vergessenheit.
Wir wollen herausfinden, was aus
dem Dorf geworden ist. Wie leben die
Bewohner heute dort? Wächst dort wirklich
kein einziges Blatt Marihuana mehr?
In Gjirokastra verabreden wir uns mit
einem Polizisten. In Lazarat selbst gibt es
keine Polizeistation mehr. Die Bewohner
haben sie einst niederbrennen lassen,
damals, als das Geschäft mit dem Gras
noch florierte. Der Polizist stimmt einem
Treffen zu, solange wir seinen Namen
nicht nennen. Schließlich sitzt uns ein
Folkloretänze auf dem Tomorr. Männer tragen den
Plis, eine hohe halbrunde Kappe aus weißem Filz.
Mann Anfang 40 gegenüber, Glatze, seit
bald 20 Jahren ist er Polizist, heute ausnahmsweise
nicht in Uniform, sondern in
Zivil. Er trinkt seinen Morgenkaffee und
blickt uns fragend an, fast so, als wüsste
er nicht, warum wir hier sind. „Wir wollen
über Lazarat reden“, erinnert ihn Aida.
Der Mann sieht nicht so aus, als hätte
er große Lust dazu. Dann fängt er doch
an zu sprechen: Über Europas größte
Cannabisplantage – und den Sommer, als
sie in Flammen aufging.
„Wir konnten Lazarat jahrelang nicht
betreten“, beginnt der Polizist, „und
wenn, dann nur mithilfe von Spezialeinheiten.“
Die Bauern dort bauten Gras an
wie andere Kartoffeln. Und die Regierungen,
erzählt uns der Polizist, ließen Lazarat
gewähren – bis zum Juni 2014. ●
International Youth
Media Festival
online
@youki.at
oder
in Wels
© Franziska Tschinderle, Dumont, privat
Franziska Tschinderle:
Unterwegs in Albanien
DuMont Reiseabenteuer
Preis: 18,50 € (A)
16. >>
21. Nov.
2020
@youkiofficial
/ OUT OF AUT /
„Die Leiden des jungen Todor“
Von Todor Ovtcharov
Der Schatzsucher
Du hast keine Ahnung, was für coole
Sachen ich immer finde!“, sagt mir Onkel
Roman. Onkel Roman ist ein Schatzsucher.
Er sucht seine Schätze nicht auf fernen
karibischen Insel, wo spanische Galeone versunken
sind. Er sucht auch nicht nach dem Bernsteinzimmer,
verschollen im zweiten Weltkrieg. Der
riesige Archipel, wo er seine Schätze findet, sind
die Mistkübel in Wien. Onkel Roman sieht gar nicht
schmutzig aus. Wenn man ihn auf der Straße trifft,
könnte man glauben, dass er gerade auf einem
Businessmeeting war. Wenn man ihn sieht, wie er
die Mistkübel durchsucht, macht er es nicht eifrig
und nervös, ganz das Gegenteil. Er kommt mir vor
wie ein Wissenschaftler auf einer archäologischen
Ausgrabung. Er sucht nicht nach weggeworfenen
Pizzastücken, die er essen kann. Onkel Roman ist
ein Schatzsucher. „Du hast keine Ahnung, was für
wertvolle Sachen Menschen wegwerfen!“, sagt
er. In einem Mistkübel hat er ein nagelneues Paar
Jeans gefunden, an dem noch das Etikett vom
Geschäft hängt. Er probiert sie nicht mal an. Er
zeichnet in seinem Kopf das Profil des Menschen,
der diese Jeans weggeworfen hat. Er meint, das
wäre eine Frau, die Jeans für ihren Freund gekauft
hatte und ihn danach beim Seitensprung erwischt
habe. Aus Rache habe sie die Jeans weggeworfen.
Er scherzt, dass es in so einem Moment besser
wäre, die Liebhaberin wegzuwerfen und nicht die
nagelneue Hose. Aber Eifersucht sei nie ein guter
Ratgeber.
Ein anderes Mal fand er ein ganzes Porzellan-
Set aus Meissen, das laut Roman ein ganzes
Vermögen gekostet hätte. Er zeichnet wieder mal
das Profil des Menschen, der dieses Porzellan nicht
gebraucht hatte: Das war jemand, der sein ganzes
Leben lang von seiner bösen Tante unterdrückt
war, aber sie wegen ihres Erbes dulden musste. Die
blöde Tante weigerte sich, endlich abzukratzen und
deshalb schmiss ihr entnervter Erbe ihr Lieblingsporzellanset
in den Müll, nur um sie zu ärgern.
Onkel Roman hat auch ein funktionierendes
Ipad aus der Mülltonne. Er findet es nicht nett, dass
das Ladegerät fehlt. Durch seine Funde erforscht
Onkel Roman das Leben in der Stadt. Während des
Lockdowns im Frühling wurden zum Beispiel deutlich
weniger Bücher weggeworfen. Sonst findet er
zwischen zehn und zwanzig Bücher täglich, zu der
Zeit fand er jedoch nur eins bis zwei.
Mit dem Geld, dass er mit seinen „Schätzen“
verdient, finanziert Onkel Roman seine Kinder, die
rund um die Welt leben. Was sie mit dem Geld
machen? Das weiß Onkel Roman nicht. Onkel
Roman ist ein bisschen verrückt. Für ihn ist das
Schatzsuchen wichtiger als das Leben hier und
jetzt. Ein verrückter Wissenschaftler eben. Wenn
er eine Pause macht, trinkt er billigen Wodka und
spielt auf seiner Gitarre sein Repertoire aus russischen
Romanzen und amerikanischen Spirituals.
Wenn ihr um die Ecke eine raue Bassstimme hört,
die „When the Saints go marching in“ summt, dann
habt ihr den leicht angetrunkenen Onkel Roman
gehört. Und sein Rucksack ist voll mit Schätzen.
●
62 / MIT SCHARF /
VIENNA BLOOD
PREMIERE IN DREI TEILEN
SA 31. OKT | SO 1. NOV | MO 2. NOV | 20:15
ROBERT DORNHELMS INTERNATIONALE KRIMI-BESTSELLER-VERFILMUNG.
EINE PRODUKTION DES ORF.
„ E-Mobilität ist nicht gut
fürs Klima? Sagt wer?“
100 % ÖKOSTROM AN
1.000 E-LADESTELLEN.
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www.wienenergie.at
Wien Energie, ein Partner der EnergieAllianz Austria.