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BIBER 10_20 Ansicht

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www.dasbiber.at

MIT SCHARF

HERBST

2020

+

TSCHETSCHENINNEN

ÜBER

SITTENWÄCHTER

+

WIEDERKEHR IN

ZAHLEN

+

SELLING SEX

+

PUTZ DI’!

Warum Saubermachen kein

dreckiges Geschäft ist


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DENEN DIE NATUR AM HERZEN LIEGT.

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Zu diesem Versicherungsprodukt gibt es ein Basisinformationsblatt, das bei Ihrer/Ihrem BeraterIn schriftlich und elektronisch

(E-Mail) erhältlich ist. Die jeweils aktuelle Fassung finden Sie auch auf unserer Website wienerstaedtische.at


3

minuten

mit

Dejan L jubičić

© Red Ring Shots

Wir sprachen mit SK Rapid-

Kapitän Dejan Ljubičić über seine

Hochzeit am Wochenende, was er

an Favoriten vermisst und wie man

ein Tor coronakonform bejubelt.

Von Amar Rajković

BIBER: Dejan, du hast am Wochenende

geheiratet. Gratulation! Wie viele Personen

waren bei der Party dabei?

DEJAN LJUBIČIĆ: Danke. Leider

mussten wir aufgrund der Corona-

Verordnung im kleinen Kreis feiern.

Standesamtlich war nur ein Freund von

mir und die Schwiegermutter dabei. Bei

der Feier danach im Klee am Hanslteich

waren noch die Familien und zwei

Teamkollegen, Mateo Barać und Filip

Stojković, eingeladen.

Falls ihr eines Tages Kinder haben

solltet – welche Sprachen werden sie

sprechen?

Meine Frau ist polnischer Herkunft, also

Polnisch. Dann Kroatisch und natürlich

Deutsch. Dazu kommt wahrscheinlich

Englisch. Was gibt es besseres für ein

Kind, als mit vier Sprachen aufzuwachsen?

Woran erinnerst du dich, wenn du an

deine Kindheit denkst?

Ich bin in Favoriten aufgewachsen und

denke mit einem breiten Grinsen an

die Zeit zurück. Wir spielten Fußball im

Käfig, hatten keine Handys und sahen

uns trotzdem jeden Tag. Mein jüngerer

Bruder Robert und ich spielten beim

FavAC. Erst als ich mit zehn Jahren zu

Rapid wechselte, zogen meine Eltern

nach Niederösterreich, westlich von

Wien.

Wie oft redet ihr in der Kabine über

Corona?

Jeden Tag. Rapid lebt auch von den

Fans, die ins Stadion kommen. Wir

wissen, dass wir nichts ändern können,

außer uns an die Regeln draußen zu

halten. Es gibt nichts Schlimmeres, als

vor leeren Rängen zu spielen.

Wie bleibst du am Laufenden?

Ich lese keine Zeitung und schaue

kein Fern. Unser Masseur Wolfgang

Frey, der das Fieber misst, informiert

uns täglich und erklärt uns die neuen

Regeln.

Darfst du deine Mitspieler beim Torjubel

umarmen?

Am Anfang war das verboten. Da

durften wir auch nicht nicht spucken

oder den Ball angreifen. Du vergisst

aber drauf, weil du mitten im Spiel voll

emotional bist und dich einfach über

das Tor freust.

Welche Teams wählst du beim „Fifa“

zocken?

Dortmund und PSG, dort spielen zwei

Stürmer, die ich besonders gern mag:

Erling Haaland und Kylian Mbappé.

Welche Liga würde dich am meisten

reizen?

Ein guter Freund und ehemaliger

Mitspieler von Rapid, Mert Müldür,

schwärmt von Italien: Menschen,

Essen, Spielerentwicklung. Dolce Vita.

Wenn du Rapid verlassen solltest,

welcher Club wird es auf keinen Fall

werden?

Niemals zur Austria und Red Bull!

Alter: 23

Club: SK Rapid

Position: Defensives Mittelfeld

Besonderes: Wurde mit 22 Jahren

zum Kapitän der Kampfmannschaft

gewählt

/ 3 MINUTEN / 3


3 3 MINUTEN MIT

DEJAN LJUBIČIĆ

Der 23-jährige SK Rapid-Kicker im

Schnellinterview.

8 IVANAS WELT

Warum ein wenig Social-Distancing dem

Liebesglück von Jugos gut tun würde.

POLITIKA

10 DAS LEBEN MIT DEN

SITTENWÄCHTERN

Aleksandra Tulejs Reportage über die

Lebenswelt tschetschenischer Frauen in Wien.

18 „HERR WIEDERKEHR, WIE

OFT HABEN SIE IN IHREM

LEBEN GEKIFFT?“

Biber fragt in Worten, Wiener Neos-Chef

Christoph Wiederkehr antwortet in Zahlen.

20 „PUTZ DI‘!“

Reinigungskräfte wehren sich gegen

Vorurteile und Mitleid.

RAMBAZAMBA

26 KLICK DICH HART

Sexarbeit statt Catering: Junge Studentinnen

über Nebenjobs der anderen Art.

32 „MMA IST KEIN

STRASSENKAMPF.“

Aleksandar Rakić ist einer von drei

Österreichern in der UFC. Ein Porträt.

TECHNIK

37 BLICK IN DIE ZUKUNFT

Adam Bezeczky über Learnings aus dem

Lockdown und der Cybertruck aus Bosnien.

LIFE&STYLE

40 JUNG,MODERN,SPIRITUELL

Einblicke in New Age Spirituality

44 WHITE SAVIOUR

Aleksandra Tulej über ihre langwierige

Recherche in der tschetschenischen

Community.

10 18

„HERR WIEDERKEHR, WIE OFT HABEN

SIE IN IHREM LEBEN GEKIFFT?“

Wiener Neos-Chef Christoph Wiederkehr im

Interview in Zahlen

TSCHETSCHENISCHE FRAUEN

Jetzt reden sie: Tschetschenische

Frauen über das Leben mit den

Sittenwächtern.

IN


45 ICH SINGE, WIE ICH WILL

Unsere Praktikantin Milica ist den Hass in

der Ex-YU-Community leid.

KARRIERE

46 WAS TUN MIT TOXISCHEN

CHEFS

Anna Jandrisevits über die drei besten

Lernmethoden und das richtige Arbeitsklima.

20

HALT HERBST

2020

PARA MIT

PUTZEN

Warum junge Putzkräfte

sich nicht für

ihre Jobs schämen.

48 LIBERALE TÜRKEN

Ein Gespräch über türkische Vereine

in Österreich und warum die aktuelle

Integrationspolitik eine „Katastrophe“ ist.

50 WO OLIVENÖL

LORBEER KÜSST

Bei ‚Noble Soap‘ gibt es ein 4000 Jahre altes

Schönheitsgeheimnis: die Aleppo-Seife.

52 VIEL ZU SAGEN

Der Redewettbewerb „Sag‘s Multi“ kommt in

den ORF!

26

1 KLICK,

1 STRIP

Wie junge

Studentinnen mit

OnlyFans, Escort

und Co. Ihren

Lebensunterhalt

verdienen.

© Zoe Opratko, Linda Steiner, Cover: © Zoe Opratko

KULTUR

54 KULTURA NEWS

Aktuelle Kulturtipps – präsentiert von

Nada El-Azar.

57 RASSISMUS IST EINE

GEISTIGE BLOCKADE

Jad Turjman über seine albanischen Wurzeln

und den Asylstaat Syrien.

OUT OF AUT

58 10.000 KILOMETER DURCH

ALBANIEN

Franziska Tschinderle fuhr quer durch Albanien

und hat ein Buch darüber geschrieben.

62 TODOR

Todor Ovtcharov über seinen Onkel Roman,

den Schatzsucher.


Liebe LeserInnen,

Fast jeder Bobo innerhalb des Gürtels beschäftigt eine - aber niemand

redet darüber. Putzfrauen, wie sie der Volksmund nennt, sprechen meist

gebrochenes Deutsch, werden schwarz auf die Hand bezahlt und erregen bei

den Wohnungsbesitzern höchstens ein mitleidiges „Aaah“. Schluss damit! Der

Job der Reinigungskräfte erfordert höchste physische Anstrengung, Hingabe

und Genauigkeit. So denken auch Nora, Ulaş und Emina, die es satt haben,

bemitleidet zu werden, nur weil sie ihren Müttern bei ihren Putzjobs gelegentlich

aushelfen oder gar in jungen Jahren ein eigenes Business aufgezogen haben.

Putzfrauen sind keine anonymen, Deutsch stotternden Sklaven, ohne Charakter

und eigener Geschichte. Es sind unsere Tanten, Nachbarn, Cousins, die mit

enormem Fleiß die Wohnungen und Büros dieser Stadt sauber halten. Und

das meist für eine läppische Zahlung, für die viele ihrer Kunden nicht mal aus

dem Bett aufstehen würden. Huldigen wir die unsichtbaren Heldinnen aus den

Communities mit der Coverstory auf S. 20.

Putzfrauen sind keine anonymen,

Deutsch stotternden Sklaven,

ohne Charakter und eigener

Geschichte. Es sind unsere Tanten,

Nachbarn, Cousins, die mit

enormem Fleiß die Wohnungen

und Büros dieser Stadt sauber

halten. Und das meist für eine

läppische Zahlung, für die viele

ihrer Kunden nicht mal aus dem

Bett aufstehen würden.

Amar “ Rajković,

stv. Chefredakteur

Die drei jungen Frauen aus der „1Klick, 1Strip“-Geschichte arbeiten genauso wie

ihre Pendants in der Reinigungsbranche abseits der öffentlichen Wahrnehmung.

Anstatt mit Catering- und Flyerjobs ihr Studium zu finanzieren, lassen sie ihre

Hüllen fallen. Ob Webcam, Escort oder die neue Goldgrube „Onlyfans“, die

Protagonistinnen haben berechtigte finanzielle Gründe, Sex zu ihrem Beruf zu

machen. Ob das auch ein nachhaltiges Lebensmodell ist, könnt ihr auf S. 26

selbst entscheiden.

Von Selbstbestimmung können viele junge Tschetscheninnen in Österreich

nur träumen. In der Reportage „Das Leben mit den Sittenwächtern“ lässt die

Autorin, unsere hochgeschätzte Aleksandra Tulej, die sonst stummen Stimmen

der Frauen laut werden. Wir sind übrigens der Meinung, die medial hoch

gepriesene Geschichte muss sowieso Story des Jahres werden. Mindestens. Ab

S. 10.

In Zeiten von Corona können wir unsere Reisepläne streichen. Gerade

deswegen laden wir euch ein, mit der Autorin Franziska Tschinderle den etwas

anderen Ausflug nach Albanien zu unternehmen. Ab S. 58.

Ja, und nochmal Corona: Rapids Kapitän Dejan Ljubičić durfte nur seinen

Trauzeugen zu seiner standesamtlichen Hochzeit mitnehmen. Wir telefonierten

eine Stunde nach der Trauung mit dem verheißungsvollen Kicker, der sein

zukünftiges Kind in drei Sprachen aufziehen und niemals zur Austria oder Red

Bull wechseln würde auf S. 3.

Wir hoffen doch inständig, dass ihr auch niemals eure Lieblingslektüre wechselt

(Zwinker, Zwinker) und die Zeit bis zum nächsten Heft gesund überbrückt.

Bussi

Eure Redaktion

© Zoe Opratko

6 / MIT SCHARF /


IMPRESSUM

BEZAHLTE ANZEIGE

MEDIENINHABER:

Biber Verlagsgesellschaft mbH, Quartier 21, Musuemsplatz 1, E-1.4,

1070 Wien

HERAUSGEBER

Simon Kravagna

Die f

leischlo

s e Kolumne von Zina Sayed

CHEFREDAKTEURIN:

Delna Antia-Tatić

STV. CHEFREDAKTEUR:

Amar Rajković

CHEFiN VOM DIENST:

Aleksandra Tulej

LEITUNG NEWCOMER:

Amar Rajković & Aleksandra Tulej

FOTOCHEFIN:

Zoe Opratko

Schöner als Döner

Salome Dorner

ART DIRECTOR: Dieter Auracher

KOLUMNIST/IN:

Ivana Cucujkić-Panić, Todor Ovtcharov, Jad Turjman

LEKTORAT: Florian Haderer

REDAKTION & FOTOGRAFIE:

Adam Bezeczky, Nada El-Azar,Milica Joskić, Yasemin Uysal,

Berfin Silen, Berfin Marx, Anna Jsndrisevits

CONTENT CREATION, CAMPAIGN

MANAGEMENT & SOCIAL MEDIA

Aida Durić

REDAKTIONSHUND:

Casper

BUSINESS DEVELOPMENT:

Andreas Wiesmüller

GESCHÄFTSFÜHRUNG:

Wilfried Wiesinger

KONTAKT: biber Verlagsgesellschaft mbH Quartier 21,

Museumsplatz 1, E-1.4, 1070 Wien

Tel: +43/1/ 9577528 redaktion@dasbiber.at

marketing@dasbiber.at abo@dasbiber.at

WEBSITE: www.dasbiber.at

ÖAK GEPRÜFT laut Bericht über die Jahresprüfung im 2. HJ

2019:

Druckauflage 85.000 Stück

verbreitete Auflage 80.700 Stück

HEISSER BREI

MAL ANDERS

Es geht locker flockig weiter in diesem Monat - und zwar mit

Haferflocken! Natürlich aber mit einem kleinen Twist. In unseren

Breitengraden wird Haferbrei in der Regel süß gegessen.

Doch es geht auch herzhaft! Das Geheimnis dazu ist genauso

elementar wie einfach: Gemüsebrühe. Bewegt man sich erst

einmal auf der anderen Seite des Geschmacksspektrums,

eröffnen sich für den an sich neutralen Haferbrei ganz neue

Möglichkeiten. Wie wäre es mit einem herbstlichen Brei mit

Kürbis, Spinat und Feta? Hierzu einfach Zwiebel und Kürbis

klein würfeln und in einem Topf anbraten. Sobald der

Kürbis Farbe bekommen hat und lecker riecht, einfach Spar

Natur*pur großblättrige Haferflocken dazugeben und mit

Gemüsebrühe aufgießen, bis die Haferflocken die gewünschte

Konsistenz haben. Zum Schluss nur noch eine großzügige

Menge frischen Spinat im Brei welken lassen und mit Feta

und einer ordentlichen Menge schwarzem Pfeffer abrunden.

Wer extravagant sein will, kann das Ganze noch mit einem

Spiegelei toppen. Fertig ist das ideale Frühstück für alle, die

in der früh nicht süß können.

Mahlzeit!

DRUCK: Mediaprint

Erklärung zu gendergerechter Sprache:

In welcher Form bei den Texten gegendert wird, entscheiden

die jeweiligen Autoren und Autorinnen selbst: Somit bleibt die

Authentizität der Texte erhalten - wie immer „mit scharf“.

Präsentiert von


In Ivanas WELT berichtet die biber-Redakteurin

Ivana Cucujkić über ihr daily life.

IVANAS WELT

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ENTDECKE

DICH

Linie2A

Linie2A

Ivan Minić

U-BAHN

U U

VERLIEBT, VERLOBT – UND DANN

VERSAUEN ES DIE ELTERN

Social Distancing. Eine Empfehlung, die am Balkan

viele Liebeskrisen verhindern würde.

Die ersten Monate in einer Partnerschaft sind aufregend.

Intim. Und gehören nur den zwei Frischverliebten.

Das sehen Beziehungsexperten bestimmt auch

so. Mit dieser absurden These sind Jugo-Eltern aber

wenig einverstanden. Dem jungen Liebesglück ruhige

Zweisamkeit gönnen? Pah! Verschwörungstheorien…

Denn nicht nur die Verliebten sind verliebt. Die Eltern

sind es auch. In der Hoffnung auf eine baldige Hochzeit,

die längst fälligen Enkelkinder und den familiären

Status-Update bei der lokalen High Society: Hey, bei

uns gibt’s News. Unser Jüngster kommt unter die Haube,

Bitches!

GUCCI FÜR DIE SCHWIEGERTOCHTER

Während also Ms. und Mr. Charming noch an ihrem

Beziehungsstatus zweifeln und infrage stellen, ob ein

gemeinsamer Haushalt nach einem halben Jahr die

beste Idee des Jahres ist, überbieten deren Eltern einander

in den Gesten der Großzügigkeit: Die Schwiegertochter

in spe wird mit offenen Armen empfangen,

umworben, beschenkt. Eine Michael-Kors-Tasche hier,

ein Schmuckset von Swarovski da und ein hochpreisiges

Präsent aus der Parfümerie für zwischendurch.

Das neue Familienmitglied soll ja bei Laune gehalten

und ihre Eltern beeindruckt werden. Für sie soll es

Gucci-Taschen regnen.

U-BAHN

U U

NIX ABSTAND. NIX SCHRITTWEISE.

Die Sorge, sich emotional in ein Gestrüpp aus Erwartungen

an ein verzerrt harmonisches Großfamilienidyll

zu verheddern, spülen die Väter mit dem

Selbstgebrannten von Unten runter. Und die Mütter,

Beziehungsstatus BFFs, die posten eifrig pinke Glitzerhasen-Guten-Morgen-Gifs

in der neuen Familien-

WhatsApp-Gruppe.

Gesund ist das nicht. Zuviel Nähe kann krank machen.

Das sollte seit März 2020 doch wohl mittlerweile allen

klar sein. Die Covid-19-Regeln auf den Umgang

JETZT

mit den Schwiegereltern umzulegen würde so manche

Jugo-Ehe retten. Emotional-Distancing LEHRE rettet Lieben.

Gehen wir auf Abstand, so bleiben wir zusammen. Am

besten in Form eines ausgewachsenen Elefanten. Das

ist zumindest meine (private) Erkenntnis aus jahrelanger

Milieu-Forschung. Mit Argumenten kommt man bei

Jugo-Schwiegereltern aber genauso wenig weiter wie

bei Verschwörungstheoretikern.

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MEIN TANZBEREICH. DEIN TANZBEREICH.

In der aktuellen Pandemie sollte man einfach von jenen

lernen, die es besser machen. Von ziemlich allen

westeuropäischen Familien zum Beispiel. Da treffen

zwei Menschen aufeinander, verlieben sich, wollen

heiraten und führen erstmal einige Jahre eine Beziehung.

Ziehen zusammen. Heiratsantrag. Verlobungszeit.

Und frü-hes-tens HIER treffen die Eltern zum

ersten Mal aufeinander. Schön auf Distanz. Mein Tanzbereich,

dein Tanzbereich. Deine Hochzeitsliste. Meine

Hochzeitsliste. Vom glücklichen Paar entschieden

und abgesegnet. „Hat uns sehr gefreut. Wir sehen uns

dann an Weihnachten wieder!“ Klingt nach Vernunft

und Diskretion. Diese Pflichtimpfung würde ich sofort

unterstützen!

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cucujkic@dasbiber.at

8 / MIT SCHARF /


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13.11.2020 Nachmittag:

spezielle Workshops für Eltern

und Erziehungsberechtigte

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DAS LEBEN MIT DEN

SITTENWÄCHTERN

JETZT REDEN

TSCHETSCHENISCHE

FRAUEN

10 / POLITIKA /


Wenn es in österreichischen Medien um

Tschetschenen geht, wird immer nur über

Männer berichtet. Aber was haben die

Frauen zu sagen? Wie sieht ihre Lebenswelt

aus? Sieben tschetschenische Frauen über

patriarchale Strukturen und Druck der

Sittenwächter auf die Wiener Community.

Text: Aleksandra Tulej, Fotos: Zoe Opratko

Wenn die COBRA mitten

in der Nacht unsere

Wohnung stürmt, weil

mein Bruder mit Waffen

auf Instagram posiert hat, ist das für

meine Eltern ein kleineres Problem, als

wenn ich als Frau Jeans trage. Nur weil

ich scheinbar mit dem falschen Chromosom

geboren bin.“ Die 20-jährige Zara *

hat viel loszuwerden. Ohne Punkt und

Komma erzählt sie über ihr Leben: Über

die Ungerechtigkeiten, die ihr widerfahren.

Darüber, wie ihr Vater ihr das

Kopftuch aufzwingen wollte. Darüber,

dass ihre jüngeren Brüder nachts draußen

bleiben dürfen und sie nicht, und

darüber, in welcher Zwickmühle sie sitzt,

was ihre Zukunft angeht. Dabei betont

sie: „Es ist alles noch viel schlimmer, als

das, was man weiß.“

„DAS KANNST DU

NICHT SCHREIBEN“

„Das kannst du nicht schreiben. Alles,

nur nicht das. Misch dich da nicht ein“,

wird mir von allen Seiten geraten. Dabei

ist das Thema kein Fremdes: In österreichischen

Medien wird oft über Tschetschenen

berichtet: Es geht immer nur

um die Männer – und das im Kontext

von Kriminalität und Gewalt. So wie erst

Mitte August diesen Jahres, als in Wien

und Linz sechs sogenannte „Sittenwächter“

festgenommen wurden. Sie hatten

tschetschenische Frauen verfolgt und

bedroht, da diese sich ihrer Ansicht nach

„zu westlich“ verhalten haben. Oder

der Vorfall von Ende September, bei

dem ein selbsternannter, wahrscheinlich

minderjähriger Sittenwächter einen

Austroserben ins Gesicht schlägt, weil er

mit einem tschetschenischen Mädchen

via Handy geflirtet hat. Die, die negativ

auffallen, schaffen es in die Berichterstattung.

Was ist aber mit den anderen?

In Österreich leben etwa 40.000 Tschetscheninnen

und Tschetschenen – die

genaue Anzahl lässt sich nicht sagen, da

sie in Österreichs Statistiken als russische

Staatsangehörige geführt werden.

Die Mehrheit, die mit Kriminalität nichts

zu tun hat, leidet unter dem schlechten

Image. Vor allem die Frauen. Sie sind es,

die medial stark unterrepräsentiert sind.

Wenn, wird über sie gesprochen. Aber

nicht mit ihnen. Dabei haben sie so viel

zu sagen. Es gibt die, die einen Hass auf

ihre Kultur haben, und die, die mit diesen

Stereotypen nichts anfangen können.

Aber sie haben eines gemeinsam: Sie

wollen gehört werden. Ich will alle ihre

Geschichten aus erster Hand erfahren.

Wie sehen ihre Lebenswelten aus? Was

ist „so viel schlimmer als das, was man

weiß?“. Und was haben jene zu sagen,

die diesem Image der gewaltvollen

Unterdrückung, so gar nicht entsprechen?

Wie Amina. Für ihre 17 Jahre ist

Amina unglaublich wortgewandt und

selbstbewusst. Bei unserem Treffen

lacht sie viel und redet ohne Pause. Bei

ihr merkt man schnell, dass sie zuhause

viel mehr zu melden hat als Zara, die ich

einige Wochen zuvor getroffen habe.

Amina spricht in kurzen Sätzen. „Bei

uns zuhause gibt’s diese Unterteilung

nicht – meine Brüder und ich werden

gleich behandelt.“ Das war schon von

klein auf so: „Eislaufen, Fahrradfahren,

Skateboard. Das alles war bei mir ganz

normal. Ich durfte das alles genau wie

meine vier jüngeren Brüder. Ich kenne

Familien, da ist das nicht so wie bei mir.

Diesen Instinkt des Aufpassers bekommen

die Männer bei uns von klein auf

so beigebracht, so auf: Das ist deine

Schwester, wenn ihr etwas passiert, bist

du schuld.“ Da Amina die Älteste der

vier Geschwister ist, sieht sie sich als

die „Aufpasserin“ – die Rolle, die sonst

oft den Brüdern zugeschrieben wird. Ihr

ist es wichtig, dass ihre Brüder nicht in

falsche Kreise geraten. So wie das bei

Zaras Bruder der Fall war. Er sei früher

ein ganz „normaler, lieber, gescheiter

Junge“ gewesen, wie sie erzählt. Bis ihn

sein Umfeld beeinflusst habe und „er auf

einmal denkt, er muss dem Image des ur

argen Tschetschenen entsprechen“, sagt

Zara frustiert. Diesem Image zu entsprechen,

bedeute für ihn, Stärke und Macht

zu beweisen, auch gegenüber seiner

Schwester. Aber woher stammt dieses

Bild, das Zaras Bruder meint, repräsentieren

zu müssen?

BLUTIGE GESCHICHTE

Das tschetschenische Volk hat viele

Generationen lang im Krieg gelebt. Die

Beziehungen zwischen Tschetschenien

und Russland sind seit Jahrhunderten

von Unterwerfung und Widerstand

geprägt. Anfang der 90er Jahre, nach

dem Zerfall der Sowjetunion, erklärte

Tschetschenien die Unabhängigkeit

gegenüber Russland. Darauf folgten die

beiden Tschetschenienkriege – der erste

von 1994 bis 1996, der zweite von 1999

bis 2009. Im Zuge dieser Kriege flohen

auch meine Gesprächspartnerinnen mit

Es ist alles noch viel

schlimmer, als das,

was man weiß.

/ POLITIKA / 11


ihren Familien nach Österreich. Auch

heute ist die Lage in der Kaukasusrepublik

angespannt: Seit 2010 ist Ramzan

Kadyrow Oberhaupt der russischen

Teilrepublik Tschetschenien. Seine diktatorische

Amtsführung ist geprägt von

schweren Menschenrechtsverletzungen,

Korruption und einem Personenkult rund

um seine Person. Sein langer Arm reicht

bis in die Diaspora. Für Experten ist es

nicht verwunderlich, dass das „Kämpferische“

zwangsläufig zum Teil der

Identität wird, wenn man in einer Kultur

aufwächst, die davon geprägt ist, sich

beweisen zu müssen, um zu überleben

und wahrgenommen zu werden.

Mädchen wie Zara kennen den Krieg

genau wie ihre Brüder nur aus Erzählungen.

Sie sind als Kleinkinder nach

Österreich gekommen und finden sich

hier in der Diaspora erst recht in diesen

Strukturen wieder. „Ich brauche aber

niemanden, der mich beschützt“, empört

sich Zara. „Wenn ich mit meinem Bruder

rausgehe, ist die Wahrscheinlichkeit,

dass ich in Schwierigkeiten gerate, höher

als wenn ich alleine oder mit Freundinnen

draußen bin.“ Zara weiß, dass sie

ihren Brüdern an Intelligenz und Reife um

einiges voraus ist, aber sie darf weniger,

obwohl sie älter ist. „Du stehst in meiner

Familie vor so vielen grundlos geschlossenen

Türen, nur weil du eine Frau bist.

Du musst die Dinge richtig schlau angehen“,

erklärt sie.

Amina geht es schlau an. „Ich habe

islamisch gesehen so viele Rechte, die

ich mir einfordere – das kannst du dir gar

nicht vorstellen. Bei uns ist immer diese

Frage, was vorgeht: Islam oder Kultur?

Ich sage Islam, weil da darf ich mehr.“

halt reden.“ Der Druck der Community

sei groß und alles spricht sich herum.

Deshalb bleiben die Frauen in dieser

Geschichte auch anonym. Aber reden

wollen sie alle: Wie ihre Freundinnen

Makka und Leyla. Ob sie überhaupt

möchten, dass jemand wie ich, die

mit der Kultur nichts zu tun hat, über

sie schreibt? Sie wollen. „Danke, dass

endlich jemand von außen darüber reden

will. Aber ich vertraue dir hier echt mein

Leben an,“ bekomme ich zu hören.

Welchen Gefahren die Frauen nämlich

zum Teil ausgesetzt sind, dazu kommen

wir später.

Alles muss geheim ablaufen. Von

unseren Treffen weiß niemand. Personenbeschreibungen

lasse ich zu ihrer

Sicherheit aus. Sie sind alle um die

Zwanzig und leben in Wien, das muss

reichen. Nicht einmal ich kenne ihre

echten Namen. Auf Social Media sind die

Mädchen nicht mit ihrer echten Identität

unterwegs. Sie nutzen Fake–Profile.

Auf den Profilfotos sieht man Blumen,

Sonnenuntergänge und Mangas. Fotos

der Mädchen selbst sucht man vergeblich.

Das sei zu gefährlich: „Es gibt dann

Telegram-Gruppen von tschetschenischen

Männern, die Bilder von Mädchen

reinposten und ihnen drohen, weil sie

das zu freizügig finden.“ Deshalb wahren

die Frauen online ihre Identität. Aber das

ist nicht der einzige Grund. Amina hat

mir das so erklärt: „Ich muss immer für

fünf Personen denken: Für mich, meinen

Vater und meine Brüder. Welche Konsequenzen

das für sie haben könnte, nicht

nur für mich.“

Islam oder Kultur?

Ich sage Islam, weil

da darf ich mehr.

„ICH VERTRAUE DIR HIER

ECHT MEIN LEBEN AN.“

Um zu erfahren, was es mit dieser

tschetschenischen Kultur auf sich hat,

treffe ich mich mit vier jungen Frauen.

„Unser älterer Bruder kontrolliert

uns nicht“, erzählen die Schwestern

Seda und Kadishat. Er vertraue seinen

Schwestern und sehe nicht ein, sie in

irgendeiner Weise einzuschränken. Die

Beiden dürfen auch Hosen tragen – in

der tschetschenischen Kultur eigentlich

nicht gern gesehen, wie sie mir erzählen.

„Aber unser Vater beginnt schon

deswegen zu nerven, weil die Leute

12 / POLITIKA /


Ohne Mann keine

Freiheit. Aber der

Mann gibt dir dann

auch keine Freiheit.

zu laut lachen oder ihre Meinung sagen.

Darunter fällt auch die Frage: „Wie viele

Kinder willst du?“ Das ginge schon zu

weit – der Mann könnte sich schließlich

ausmalen, wie diese Kinder dann

entstehen. Ob überhaupt Treffen vor der

Hochzeit erlaubt sind, da scheiden sich

die Geister. Auf keinen Fall dürfe man

sich berühren.

Die Sittenwächter haben es sich zur Aufgabe gemacht, die Frauen auf

Schritt und Tritt zu kontroliieren

GESCHLOSSENE GRUPPEN

AUF SOCIAL MEDIA

Dabei ist der Bedarf, miteinander auf

Social Media zu kommunizieren, da. Es

gibt geschlossene Profile auf Instagram,

in denen Tschetschenen und Tschetscheninnen

in Wien sich austauschen

– von Informationen über Studienwahl,

über Netflix-Empfehlungen, Liebeskummer-Postings

bis hin zu Fragen zur

Hochzeitsnacht findet man hier alles.

Um diesen Seiten beizutreten, wird man

aufgefordert, auf tschetschenisch eine

Sprachnachricht zu hinterlassen. Wie ich

das umgangen habe, ist hier irrelevant.

Fakt ist: Man will hier unter sich bleiben

– der kulturelle Verhaltenskodex („Adat“)

ist für Außenstehende schwer zu verstehen.

Stundenlang scrolle ich durch diese

Profile: Neben den „normalen“ Themen

findet man hier allerhand „Ratschläge“.

Und diese Ratschläge sind das, was Zara

mit „schlimmer, als das, was man weiß“

meinte. Ich lese Regeln um Regeln, wie

sich eine „gute, tschetschenische Frau“

zu benehmen hat. Nämlich „schüchtern,

leise, auf keinen Fall schamlos“. Wie sie

sich vor den Schwiegereltern zu verhalten

hat: „Nicht duschen, wenn die

wach sind. Nicht im Raum bleiben, wenn

Männer anwesend sind.“ Die Liste geht

ewig weiter. Aufrufe nach Zweitehefrauen.

Fragen, ob man eine Frau, die keine

Eltern hat, heiraten sollte. Fragen, wie

man seine Schwester, die sich „schamlos“

benimmt, züchtigen kann. Verfasst

von „Hobbysittenwächtern“, wie Zara sie

nennt, „die meinen, der Prophet höchstpersönlich

zu sein.“ Positiv überrascht

bin ich darüber, dass sich die Frauen

in diesen Gruppen das nicht gefallen

lassen. Unter fast jedem Posting entfacht

sich eine Diskussion, in der eine Frau

einem solchen Hobbypropheten Kontra

gibt. Allerdings anonym.

Das, was dort auf Instagram abgeht,

verkörpert den Frust der Frauen im

echten Leben: Auf jedem Schritt werden

sie verurteilt, beobachtet und bewertet.

„Alles nur, weil sich das unsere Männer

irgendwann ausgedacht haben“, so Makka.

„Es gibt aber auch Frauen, die sich

mit diesen ganzen Regeln abgefunden

haben und diese Kultur schönreden wollen.

Die sind noch schlimmer“, verdreht

sie die Augen. Immerhin war ein Mitglied

der im August gefassten Sittenwächter-

Gruppe eine Frau. Apropos Sittenregeln,

die gibt es vor allem in der Liebe. „Wir

haben so viele komische Datingregeln,

das kannst du dir nicht vorstellen.“ Sie

beginnt ihre Aufzählung: Der Mann soll

das Gespräch leiten. Die Frau darf unter

keinen Umständen schamlos sein, also

EINEN SUCHEN,

DER NORMAL IST

Für die Frauen ist Dating Fluch und

Segen zugleich. „Ohne Mann keine Freiheit.

Aber der Mann gibt dir dann auch

keine Freiheit“, erklärt Makka resigniert.

Man müsse sich halt einen suchen, der

normal sei, empfiehlt Amina. „Der dich

normal studieren und den Führerschein

machen lässt.“ Alles andere würde sie

nicht akzeptieren. „Und wenn er nur eine

Zweitfrau erwähnt, dann bin ich weg“,

lacht sie. Daher wollen die Schwestern

Seda und Kadishat auf keinen Fall später

einen tschetschenischen Mann heiraten.

„Aber wir müssen“, sagt Kadishat ernst.

Das tschetschenische Volk ist mehrere

Male historisch gesehen vor der Vernichtung

gestanden. Durch die Heirat „untereinander“

soll gesichert werden, dass

das Volk als solches bestehen bleibt.

Dieses Denken ist in der Community tief

verwurzelt. „Unsere Mutter weiß, wie

unsere Männer so ticken. Aber sie sagt

dann immer: Was soll man machen.“ Bei

Liana ist das anders. Ihr Vater will sie

nur an einen guten Moslem vergeben.

Die Nationalität sei da nicht vorrangig.

Makka unterbricht sie: „Und selbst wenn

es dein Vater erlaubt. Schau, bei uns

ist das so: Ich bin nicht nur die Tochter

meines Vaters. Ich bin auch die Enkelin

von jemandem, die Nichte, und so weiter.

Islamisch gesehen braucht es nur die

Erlaubnis des Vaters. Aber in unserer

Kultur mischen sich alle ein: Onkel,

Brüder, Großvater und irgendwelche

/ POLITIKA / 13


komischen Männer, die man nicht mal so

gut kennt“, sagt Makka kopfschüttelnd.

Dass sie einmal einen anderen Landsmann

heiraten will, weiß in ihrer Familie

niemand. Das Thema „Mischehe“ sei

immer noch ein großes Tabu innerhalb

der Community.

DAS MÄRCHEN VON DEN

SIEBEN BRÜDERN

Die Mädchen und ihre Aussagen hier als

Nonplusultra darzustellen, wäre leicht.

Zu leicht. Sie sind frustriert und deshalb

möchten sie reden – was ihr gutes Recht

ist. Diese Geschichten sind die lautesten

– diese aber als repäsentativ darzustellen,

wäre eine Anmaßung gegenüber

der gesamten Community. Deshalb will

ich wissen, wie es den anderen geht –

jenen tschetschenischen Frauen, deren

Lebensrealität anders aussieht. Wie die

17-jährige Madina * . Madina ist genervt

davon, auf ihre Herkunft reduziert und

mit den immer gleichen Stereotypen

konfrontiert zu werden – dass alle

Tschetschenen kriminell seien und die

ewige Frage, ob man Angst vor ihren

Mit meinem

Freund treffe ich

mich im Museum.

Weil da keine

Tschetschenen sind.

„sieben Brüdern“ haben müsse. „Sowas

verletzt einen schon.“ Sieben Brüder hat

Madina natürlich nicht. Die Gymnasiastin

will nach der Matura Jus studieren.

Auch das Thema „Mischehe“ wird in

ihrer Familie anders behandelt. Sie ist

es leid, dass immer dieselbe Message

nach außen getragen wird. Dabei lebt die

Mehrheit der Tschetschenen in Österreich

ganz normal, studiert und arbeitet.

„Man kann nicht aufgrund einiger Fehltaten

von Leuten die ganze Nation über

einen Kamm scheren.“ Sie würde sich

wünschen, dass man sich mehr informiert

und austauscht, bevor man alle in

einen Topf wirft. „Es gibt in jedem Land

und in jeder Nation schwarze Schafe.“

WAS MACHT DIE POLIZEI? Stellungnahme der LPD Wien:

BIBER: Kann man laut polizeilichem Kentnissstand die Dimension eingrenzen?

Wie viele solcher "Sittenwächter" sind polizeibekannt?

LPD WIEN: Derzeit läuft ein Ermittlungsverfahren gegen 11 Personen, die

regelmäßig und eindeutig als Sittenwächter in Erscheinung traten. Aufgrund

des speziellen Modus Operandi sowie der in der Regel stark eingeschüchterten

Opfer bedarf es hier intensive undumsichtige Ermittlungen, um mögliche weitere

Tatverdächtige auszforschen.

Wie viele Vorfälle, bei denen sogenannte "Sittenwächter" straffällig wurden,

sind im letzten Jahr bekannt?

Es laufen einige Ermittlungen gegen die Tatverdächtigen, eine genaue Anzahl

wird aus ermittlungstaktischen Gründen derzeit nicht bekannt gegeben. Darüber

hinaus wäre dies nur eine Momentaufnahme, da die Ermittlungen auf

Hochtouren laufen.

Nehmen die Vorfälle aus Ihrer Sicht zu oder ab?

In der jüngsten Vergangenheit wurden diesbezüglich erstmals mehrere Vorfälle

bei der Polizei angezeigt. Wie viele es tatsächlich gibt, lässt sich objektiv nicht

beantworten, da man von einer Dunkelziffer ausgehen kann.,

Um welche Delikte handelt es sich da genau?

Aus polizeilicher Sicht wurden mehrere strafrechtliche Tatbestände wie z.B.

Bildung einer kriminellen Vereinigung, Nötigung, Körperverletzung aber auch

Sachbeschädigung oder gefährliche Drohung erfüllt und daher zur Anzeige

gebracht.

Was macht die Wiener Polizei gegen die Sittenwächter?

Es laufen intensive Ermittlungen durch das Landeskriminalamt Wien in enger

Zusammenarbeit mit der Staatsanwaltschaft Wien. Aus ermittlungstaktischen

Gründen können wir darauf nicht näher eingehen.

„ES GIBT DIE GUTEN. ABER

DIE SIND STILL.“

Die schwarzen Schafe, also das Lieblingsthema

des Boulevards: die Sittenwächter.

Makka und ihre Freundinnen

haben alle schon Erfahrungen mit ihnen

gemacht, deshalb reden wir darüber.

„Das kann ja nicht sein, dass irgendwelche

fremden Zwölfjährigen zu uns auf

der Straße hinkommen und uns darauf

hinweisen, dass unser Rock zu kurz ist",

verdreht Kadishat die Augen. Ich will

wissen, woher diese überhaupt wissen,

dass es sich um ihre „Landsfrauen“ handelt.

Tschetschenen erkennen Tschetschenen

– sagen die Mädchen. „Wenn

du als tschetschenische Frau mit einem

„Nicht-Che“ unterwegs bist und dir dann

Tschetschenen begegnen, ufff“, erklärt

Seda. Sie saß einmal nach dem Unterricht

mit einem Klassenkameraden in der

Straßenbahn, sie unterhielten sich über

die bevorstehende Spanischschularbeit.

„Und dann tauchen wie aus dem Nichts

mir fremde Ches auf und versichern mir,

dass sie mich verprügeln, wenn sie mich

noch einmal mit diesem Jungen sehen.“

Woher sich diese Männer das Recht

rausnehmen, so zu handeln, schieben sie

auf die Kultur. Dabei missbrauchen sie

die Begriffe Ehre und Respekt und reinterpretieren

sie so, dass es ihnen passt,

so die Mädchen.

Auch Amina ist davon genervt: „Als

ob ich etwas dafür kann, wenn mein

Klassenkamerad und ich zufällig denselben

Nachhauseweg haben." Und sie sagt

ihnen dann auch die Meinung. „Wie sich

diese Typen teilweise benehmen, hat

mit dem Islam nichts zu tun. Die haben

einfach durch falschen Umgang eine

Gehirnwäsche bekommen.“

Aber was ist mit den „Guten“? Jenen

tschetschenischen Männern, die diesem

Image nicht entsprechen? „Es gibt die

Guten. Die sind aber still. Die hörst du

nicht, weil die nicht so laut sind. Weil

die sich nicht präsentieren. Und die

wollen dann auch keine Tschetschenin

heiraten“, erklärt Leyla. Aber die Lauten

geben leider den Ton an – und die

anderen leiden darunter. Oder geraten

zu früh in schlechte Kreise. Wie Zaras

Bruder. „Mit meinem Freund treffe ich

mich im Museum. Weil da keine Tschetschenen

sind“, erzählt mir Zara, ohne

mit der Wimper zu zucken. Ihr Freund

14 / POLITIKA /


Wie sich diese Typen

teilweise benehmen,

hat mit dem Islam

nichts zu tun. Die

haben einfach durch

falschen Umgang

eine Gehirnwäsche

bekommen.

/ POLITIKA / 15


– kein Tschetschene. „Ich weiß, dass

meine Brüder mit allen Lisas und Annikas

Wiens schreiben, und das ist egal, weil

sie Jungs sind. Aber ich will mir nicht

ausmalen, wenn meine Eltern von meinem

Freund erfahren würden.“ Sie will

ihren Freund heiraten. „Auch wenn wir

uns einmal trennen – wir sind ja noch

jung. Aber immerhin weiß er dann, dass

er mich aus dieser Familie herausgeholt

hat“, sagt sie ernst. Mit der Familie zu

brechen, das wäre nur im äußersten

Notfall eine Option – und wie überall, wo

Communities stark vernetzt sind, auch

problematisch.

„UNSERE KULTUR IST ARG

PATRIARCHAL. DAS KANN

NIEMAND VERLEUGNEN."

Bei Zara merkt man schnell, dass dieser

Hass auf tschetschenische Männer aus

ihrer Erziehung verinnerlicht ist. „Tradition

wird bei vielen unserer Männer über

Religion gestellt. Mein Vater ist so einer:

Betet nicht, raucht, betrügt meine Mutter.

Aber wenn ich mich früher als Teenagerin

geschminkt habe, hat er mir ins

Gesicht gespuckt.“ Bis Zara den Hijab –

den sie nie tragen wollte – ablegen konnte,

war es ein langer Kampf. Der Vater

drohte ihr, sie einzusperren. Mit der Hilfe

ihrer Mutter und viel Überzeugungskraft

hat sich Zara im Endeffekt durchgesetzt.

Die Kleiderordnung bei ihr zuhause ist

nach wie vor ein Thema: Jeans werden

bei ihr daheim auch nicht gern gesehen:

„Das Ironische ist: Egal wie kurz mein

Minirock wäre, es ist weniger schlimm,

als eine Hose.“ Dies bekräftigen auch

die anderen Mädchen – manche Regeln

ergeben für sie keinen Sinn. „Unsere Kultur

ist arg patriarchal. Das kann niemand

verleugnen." resümiert Makka.

Das Ironische ist:

Egal wie kurz mein

Minirock wäre, es ist

weniger schlimm, als

eine Hose.

„WIR MÜSSEN DIE

NÄCHSTE GENERATION

ANDERS ERZIEHEN“

Aus unseren Gesprächen geht eines

klar hervor: Alles, was Zara, Makka,

Leyla, Seda und Kadishat an ihrer Kultur

beklagen, ist die verzerrte, patriarchale

Denkweise aus ihrem Umfeld. Somit

drehen sich unsere Gespräche erst recht

hauptsächlich um die Männer: Um die

Denkweise jener Männer, die aufgrund

fragwürdiger Vorbilder und patriarchal

verinnerlichter Strukturen die lautesten

sind. Darunter leiden nicht nur die

tschetschenischen Männer, die diesem

Image null entsprechen – sondern vor

allem die Frauen. Auch in Wien sind sie

nicht in Sicherheit. Was braucht es also,

damit mehr tschetschenische Frauen

wie Madina aufwachsen und nicht

wie Zara, Makka, Seda und Kadishat

vor Sittenwächtern Angst haben? Die

Männer brauchen gute Vorbilder. Es

braucht mehr Aufklärung, mehr Bildung,

mehr Austausch, und vor allem: Es muss

den Frauen endlich zugehört werden.

Was sich diese Frauen für ihre Zukunft

wünschen? Dass sie nicht mehr für jeden

ihrer Schritte verurteilt werden, nur weil

sie Tschetscheninnen sind. Dass auch

ihre Community mit der Zeit geht. Das

resümiert Leyla: „Wir werden diese Freiheit

so nicht mehr erleben. Aber was wir

tun können, ist, unsere Kinder, unsere

Söhne so zu erziehen, dass die nächste

Generation endlich normal aufwachsen

kann.“ ●

Alle Fotos wurden für die Geschichte nachgestellt

– bei den abgebildeten Personen handelt es sich

nicht um die Protagonistinnen aus dem Artikel.

Alle Namen wurden von der Redaktion geändert.

16 / POLITIKA /


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Herr Wiederkehr,

wie oft haben

Sie in Ihrem

Leben gekifft?

Wie hoch ist

die Wahrscheinlichkeit

(in %), dass Sie

mit der SPÖ

koalieren?

Wie oft mussten

Sie sich

während des

Wahlkampfs

auf der Straße

namentlich

vorstellen?

Wie viele

Meter links

von der Mitte

steht Michael

Ludwig?

Interview in Zahlen:

In der Politik wird genug

geredet. Biber fragt in Worten,

Wiener Neos-Chef Christoph

Wiederkehr antwortet

mit einer Zahl.

50

100

10

Von Yasemin Uysal, Amar Rajković, Fotos: Zoe Opratko

Der Wiener Neos-Chef hat an 9 Joints in seinem

Leben gezogen.

Ethikunterricht sollte laut Wiederkehr schon ab der ersten Stufe

verpflichtend sein.

Wie viele

Menschen

kennen Sie,

die an Corona

erkrankt sind?

Wie viele

SchülerInnen

sollten maximal

in einer Klasse

unterrichtet

werden?

Ab welcher

Schulstufe

sollte der

verpflichtende

Ethikunterricht

eingeführt

werden?

Wie viel Euro

wollen die NEOS

zusätzlich in die

Bildung investieren,

falls sie in

die Stadtregierung

kommen?

Wie viel

Prozent der

städtischen

Betriebe sollten

privatisiert

werden?

8

18

1

40.000.000

0

18 / POLITIKA /


Wie viel Meter

rechts von der

Mitte steht

Gernot Blümel?

Wie viel Euro

haben die

NEOS für

den Wiener

Wahlkampf

ausgegeben? *

Spätestens

wann wird es

in Wien einen

nicht-roten

Bürgermeister

geben?

Wie viele

Jahre sollte

ein/e Politiker/

in max. in der

Politik bleiben?

Wie viele

Kinder aus

Moria kann

Wien maximal

aufnehmen?

75

2.000.000

2080

15

300

*Zum Vergleich: Die Wahlkampfkosten

der Grünen

betrugen 1.660.031,96€

Christoph Wiederkehr verortet den möglichen Koalitionspartner

Bürgermeister Michael Ludwig 10 Meter links von der Mitte.

Der jüngste Spitzenkandidat des Wiener Wahlkampfs kennt

acht Menschen, die an Corona erkrankt sind.

Wie viele

Hemden

besitzen Sie?

Wie oft haben

Sie in Ihrem

Leben gekifft?

Wie oft haben

Sie in Ihrem

Leben Shisha

geraucht?

Auf einer Skala

von 1 bis 10

(1=gar nicht

gläubig; 10=sehr

gläubig) Wie

gläubig sind Sie?

Wie hoch ist Ihr

Netto-Gehalt

als Wiener

Obmann der

Neos?

9

9

50

1

6800

/ POLITIKA / 19


PUTZ DI‘,

WENN DU EIN

PROBLEM HAST

Emina, Ulaş und Nora putzen, genauso wie es ihre Eltern taten – und sind stolz drauf.

Text: Naz Küçüktekin, Fotos: Zoe Opratko

Ich helfe meiner Mutter seit meinem siebten Lebensjahr

beim Putzen“, erinnert sich Ulaş. Der 33-jährige Wiener

Türke ist groß, breit gebaut und aufgewachsen in

Ottakring beziehungsweise „OK“, wie er es nennt. Er ist

der letzte, von dem man auf den ersten Blick erwarten würde,

dass er in seinem Leben schon viel geputzt hätte. Das Saubermachen,

privat oder beruflich, wird hierzulande oft den Frauen

zugeschrieben. „Meintest du Putzfrau?“, fragt selbst Google,

wenn man nach einer Putzkraft im Internet sucht. Ulaş kann

darüber nur müde lachen.

Laut dem Experten für Schattenwirtschaft Friedrich Schneider

von der Johannes-Keppler-Universität in Linz (JKU) sind 90

Prozent aller Haushaltshilfen nicht offiziell beschäftigt. Er geht

von bis zu 400.000 Menschen aus, die „privat“ putzen gehen,

was für diese Arbeiterinnen und Arbeiter bedeutet, dass sie

weder kranken- noch pensionsversichert sind. In akademischen

Kreisen innerhalb des Gürtels muss man lange nach

einem Haushalt suchen, der nicht auf fremde Hände angewiesen

ist, wenn es um Ordnung und Sauberkeit in den eigenen

vier Wänden geht.

Trotzdem hat der Job einen schlechten Stand in der

Gesellschaft. „Die Putze“ steht ganz unten in der sozialen

Hierarchie. „Putzen hat eine sehr lange Tradition. Früher waren

es die Diener, die das gemacht haben“, erklärt der Soziologe

Kenan Güngör. Das Ansehen eines Jobs hängt sehr stark mit

dem dafür nötigen Bildungsgrad oder mit dem damit erreichbaren

Einkommen zusammen. „Diese beiden Faktoren sind

bei Putzpersonal oft nicht besonders hoch, spielen aber eben

eine große Rolle, was die soziale Anerkennung betrifft. Das

sieht man z.B. im Vergleich mit den Müllmännern. Die machen

theoretisch auch sauber, verdienen aber sehr gut und haben

dadurch gleich einen viel besseren gesellschaftlichen Stand“,

so Güngör.

„MENSCHEN GRÜSSEN MEINE MUTTER

OFT NICHT MAL.“

Boden aufwischen und Fenster reinigen gehören für Ulaş

schon von klein auf zu seinem Alltag. Seine Mutter ist vor 27

Jahren nach Österreich gekommen und seither übt sie den

knochenharten Beruf aus. Stolz erzählt ihr Sohn, mit wieviel

Hingabe und Genauigkeit sie arbeitet. „Als sie mal krank war,

haben wir uns bei uns Zuhause eine Putzkraft genommen. Was

hat Mama gemacht? Natürlich nochmal hinterhergeputzt, als

sie weg war“, lacht er. Ulaş ist einer der wenigen, denen seine

Mutter beim Putzen wirklich vertraut. Deswegen „darf“ er auch

ab und zu statt ihr ran. „Sie würde mich nie als Vertretung

nehmen, wenn sie nicht wüsste, dass ich alles genauso gut

mache wie sie“, erklärt er. Immer wieder betont der sanftmütige

Vorzeigesohn, wieviel er durchs Putzen gelernt hat. „Als ich

ausgezogen bin, war es kein Problem für mich, meine eigene

Wohnung zu putzen. Und auch als ich beim Bundesheer war,

hat ein Kommandant mich und einen anderen mal zum Kloputzen

eingeteilt. Für mich keine große Sache. Der Kollege aber

meinte, das sei doch Frauensache. Daraufhin musste er die

Klos allein Putzen“, grinst Ulaş verschmitzt.

Einige Zeit lang arbeitete der Ottakringer auch selbst in der

20 / POLITIKA /


Ulaş‘ Mutter putzt

seit 27 Jahren.

Er hilft mit.

/ POLITIKA / 21


Branche als Reinigungskraft in

einer Schule. Mittlerweile ist der

33-Jährige im Tech-Support bei

der Firma Siemens tätig. Seiner

Mutter steht er aber noch immer

zur Seite. „Es ist selbstverständlich,

dass ich ihr helfe. Das macht

die ganze Familie. Dann ist sie

auch schneller fertig“, erklärt er.

Im Laufe des Gesprächs merke

ich aber immer wieder, dass

es hier nicht nur um die Arbeit

geht. Denn oft ist Ulaş auch das

Sprachrohr für seine Mutter, steht

für sie ein, wenn sie es nicht

kann. „Wir hatten mal einen Auftrag für eine Wohnung im ersten

Bezirk. Und der Gazda (Hausherr) hat dann gleich begonnen,

mit meiner Mutter in gebrochenem Deutsch zu reden. So

auf ‚machst du so, putzt du da‘. Ich stand da noch draußen.

Als ich das gehört habe, bin ich rein, und habe gefragt, ob

das nicht auch ein bisschen freundlicher ginge. Ich mein, der

Typ war ein Professor“, zeigt Ulaş sich verwundert. Bei einem

anderen Einsatz war es auch Ulaş, der für die Arbeit seiner

Mutter mehr Geld verlangte, als sie eine Wohnung zusätzlich

putzen sollte, man ihr aber nicht mehr bezahlen wollte. „Die

Leute denken: ‚Sie ist ja eh nur eine Putzfrau.‘ Menschen grüßen

meine Mutter oder generell Putzfrauen oft nicht mal. Oder

sie tun so, als ob sie nicht da wären. Dabei würde ohne diese

Arbeit die ganze Gesellschaft nicht funktionieren“, sagt Ulaş.

„Das gilt eigentlich für jeden Job. Aber Menschen erkennen

das erst, wenn eine Knappheit herrscht. Man hat das in der

Corona-Zeit gut bei Pflegern gesehen. Ein ähnlich harter Job,

der erst Anerkennung bekam, als es einen Mangel gab“, erklärt

Güngör die fehlende Wertschätzung.

„ICH HABE DAS VON IHR.“

„Wenn ich beginne zu sprechen, sind Viele mal überrascht,

dass ich Deutsch kann“, erzählt Nora. Sie ist 22, im Burgenland

als Tochter einer Kroatin und eines Österreichers aufgewachsen

und passt gar nicht in das Bild einer typischen Putzfrau.

Jung, stylisch gekleidet und selbstsicher sitzt sie mir gegenüber.

„Das Klischee ist schon die ältere ausländische Frau,

die kein Deutsch kann. Und dann komme ich“, lächelt Nora.

„Die Leute müssen nicht mal was sagen. Ich sehe sofort an

ihren Gesichtern, dass sie nicht jemanden wie mich erwarten.“

Manchmal könne das ganz lustig

werden, und in manchen Fällen

unangenehm. „Letzens zum

Beispiel hatte ich einen Auftrag,

wo es keinen Wischmopp

und Putzkübel vor Ort gab. Also

musste ich welche besorgen und

als ich dann mit den Sachen über

die Straße ging, lachte mich eine

Gruppe von Jungs aus. Hätte

ich es nicht eilig gehabt, hätte

ich schon gefragt, was das soll“,

erzählt Nora.

Die Burgenländerin ist eine

Ausnahme im Putz-Business:

Eine junge Frau, die sich freiwillig ausgesucht hat, Vollzeit als

Reinigungskraft zu arbeiten und davon gut leben kann. 15 Euro

verlangt sie in der Stunde, ist versichert und versteuert ihr Einkommen.

Damit geht es Nora besser als vielen anderen. Laut

einem Bericht der Arbeiterkammer wird jeder zehnten Putzkraft

ihr Lohn nicht korrekt abgerechnet. Ihnen geht es zudem

gesundheitlich überdurchschnittlich schlecht und mehr als zwei

Drittel können sich nicht vorstellen, den Job bis zur Pension

durchzuhalten.

Bei Nora ist dies nicht der Fall. „Mit circa 15 habe ich fürs

Taschengeld bei Freunden und Verwandten begonnen. Mit der

Zeit wurde es dann immer mehr. Irgendwann musste ich zwischen

meinem Studium als Freizeitpädagogin und dem Putzen

entscheiden. Jetzt bin ich seit drei Jahren als Reinigungskraft

selbstständig“, so Nora. In der Familie gab es keine Kontroverse

um ihre Berufswahl. „Die haben das eh schon kommen

gesehen und fanden es gut, dass ich einen Job mache, der

mir Spaß macht.“ Zudem war sie nicht die erste in der Familie,

die als Putzkraft zu arbeiten begonnen hat. „Meine Mutter ist

während des Bosnienkriegs herkommen und hat anfangs auch

geputzt. Meine Ur-Oma hat das sogar ihr ganzes Leben lang

gemacht. Ich glaube, von der habe ich das auch.“ Putzen über

Generationen hinweg.

Ihre Berufswahl verstehen trotzdem die Wenigsten. „Ich

muss schon immer erklären, wie und warum ich das mache.

Grad bei Männern kommt das auch oft komisch. Aber in der

Regel verstehen es die meisten dann. Deshalb finde ich es

wichtig, darüber zu reden. Es ist ein toller Job, der mehr Aufklärung

braucht. Wir sind mehr als nur Menschen mit einem

Besen in der Hand.“

22 / POLITIKA /


Viele sind

überrascht,

dass Nora

Deutsch kann.

/ POLITIKA / 23


„ICH KÖNNTE NIE

EINEN ANDEREN JOB

MACHEN.“

Nora macht ihren Job aus Leidenschaft,

das merkt man im

Gespräch mit der quirligen Eisenstädterin

sehr schnell. „Die Fensterleisten

zu putzen macht einen

wirklich großen Unterschied, da

schaut der ganze Raum gleich

besser aus“, erzählt sie mir. Jeder

Fleck, wie klein und wo auch

immer er ist, muss entfernt werden.

„Und mit Essig und Wasser

lassen sich Fenster am besten

putzen“, ist sich Nora sicher. Sie sieht in ihrem Beruf eine erfüllende

Tätigkeit, die sie auch noch fit halte und sinnstiftend sei.

„Ich könnte einfach nie einen Job machen, wo ich nur sitze.

Ich muss mich bewegen. Außerdem sieht man beim Putzen am

Ende des Tages genau, was man gemacht hat“, betont Nora,

die 30-40 Stunden wöchentlich putzt, um grinsend hinzuzufügen:

„Schlecht verdient man auch nicht.“

Durch die Corona-Krise bekam ihre Firma sogar noch mehr

Aufträge. „Während des Lockdowns merkten viele, wie wichtig

ihnen doch ein sauberes Zuhause ist. Auch kam hinzu, dass

viele Putzfrauen aus Ländern wie der Slowakei oder Polen nicht

mehr einreisen konnten“, macht mich Nora auf den Personalengpass

aufmerksam. Sie bräuchte eigentlich jemanden, der

bei ihr mithilft. Aber es sei schwer – trotz ihrer persönlichen

Begeisterung fürs Putzen – jemanden aus der österreichischen

Bevölkerung zu finden. „Die Menschen vertrauen uns

doch sehr Privates an. Deshalb bin ich sehr vorsichtig, wen

ich einstelle. Aber irgendwann ist es schon mein Ziel, mehrere

Mitarbeiter zu haben“, so Nora.

„ICH BIN NUR EINE PUTZFRAU, MEHR

KANN ICH NICHT.“

Für Emina war das Putzen Mittel zum Zweck. Die 24-jährige

Bosniakin finanzierte sich dadurch ihr Studium. Als geringfügig

Angestellte war sie für die Reinigung eines Kindergartens

zuständig. Eine Stelle, die zuvor ihre Mutter innehatte. Als

Emina öffentlich genau darüber twittert, tritt sie regelrecht

eine Welle der Solidarität los: „Ich rede eigentlich nie öffentlich

darüber, aber ich arbeite derzeit als Reinigungskraft und jedes

Mal, wenn ich es jemanden erzähle, kommt zuerst ein gesenkter

Blick und ein ‚ah ok‘. Und

ich habe das Gefühl, ich muss

mich dafür schämen?“ Mit diesen

Zeilen beginnt die Publizistikstudentin

ihre öffentliche Kritik

daran, dass der Putzberuf nach

wie vor so geringgeschätzt wird.

Die wenigen Sätze liefern einen

Eindruck über das Leben und den

sozialen Status der vorwiegend

weiblichen Putzkräfte. Sie erzählen

von der harten Arbeit, die die

Saubermacher*innen verrichten,

von den Vorurteilen und Herabwürdigungen,

mit denen sie zu

kämpfen haben und davon, was eine Arbeit, die von der Gesellschaft

nicht gewürdigt wird, mit einem Menschen macht. „So

ein Job schwächt wirklich das Selbstbewusstsein. Man glaubt

dann sehr schnell, was die anderen drüber sagen und ist dann

selbst irgendwann der Meinung: ‚Ich bin nur eine Putzfrau,

mehr kann ich nicht‘“, sagt Emina mit einem Kopfschütteln.

„Die Peer-Group, also mit welchem Umfeld man sich vergleicht,

ist hier entscheidend“, kommentiert Güngör. In Eminas

Fall waren das ihre Studienkolleg*innen, von denen die meisten

in ganz anderen Jobs arbeiteten. „Besonders schlimm treffen

es Menschen, die vorher gesellschaftlich höhergestellt waren,

also zum Beispiel Akademiker, und die dann putzen müssen.

Diesen ‘Abstieg‘ sehe ich oft bei Menschen, die aus dem ehemaligen

Jugoslawien nach Österreich gekommen sind“, fügt

Güngör noch hinzu.

„Ja, ist so“, stimmt Ulaş ein, als ich ihm Eminas Tweets zu

lesen gebe. Und von Nora kommt nach jedem runterscrollen

ein: „Das trifft es komplett.“ Emina beschreibt in ihren Tweets

das Leben, das gerade viele Migrantenkinder gut kennen und

berührt damit einen wunden Punkt. Ulaş, Nora und Emina kennen

alle die Momente, wenn die Mutter erschöpft nach Hause

kommt. Die eigene Mutter, der man eigentlich einen nicht so

anstrengenden Job wünschen würde, aber man weiß genau,

sie traut sich nicht mehr zu oder macht es nur für „uns“, für

ihre Kinder, die erfolgreich ihren Weg beschritten haben und

keine Schamgefühle empfinden, wenn sie selber den Besen

oder Staubsauger in die Hand nehmen. ●

24 / POLITIKA /


Emina wehrt sich gegen

verschämte Blicke, wenn

sie jemandem von ihrem

Nebenjob erzählt.

/ POLITIKA / 25


SELLING

SEX

26 / POLITIKA /


Zwischen Daddy-Kinks, Fetisch und Escort: Junge Frauen in Wien

verdienen sich mit Sexarbeit die Kosten für ihr Studium. Warum

ihre Tätigkeit nicht antifeministisch sei, Trends auf TikTok aber

gefährlich seien und wie sie mit den Schattenseiten im Business

umgehen, darüber berichten drei Insiderinnen.

Von Berfin M., Illustrationen: Linda Steiner

Warum verkaufe ich nicht über Kleinanzeigen

im Internet Fotos von meinen Brüsten?“, fragt

sich Pia * das erste Mal, als sie einen Job im

Internet sucht. Durch die Kürzung der Studienbeihilfe

macht sich die Wiener Studentin auf die Suche nach

einer neuen Arbeit, die am besten online zu erledigen sein sollte.

Während ihrer Recherche stößt sie auf Berichte von Frauen,

die über exorbitante Verdienste schreiben, weil sie Fußbilder

an Fetischist*innen schicken. „Warum probiere ich das nicht

selbst einmal aus?“, denkt sich Pia. Inzwischen zählt die junge

Frau mit den pechschwarzen langen Haaren, den Gesichtspiercings

und dem dunklen Make-Up zu den Top-Verdienerinnen

der Branche - und das Weltweit.

VON ARBEITSLOSER STUDENTIN ZUR

TOP-ONLINE-SEXARBEITERIN

Seit zweieinhalb Jahren verkauft Pia, die heute 25 Jahre alt

ist, Fotos und Videos von ihrem Körper im Internet. Meistens

sind diese Fotos herkömmliche Selfies in Dessous, aber auch

professionellere Erotikbilder von ihr in lasziven Posen im Bett

oder vor einer schönen Wand stellt sie für ihre Kundschaft her.

Pia erzählt, dass die Selfies oft besser ankommen, weil die

Kunden dadurch das Gefühl einer „engeren Bindung“ zu ihr

gewännen. Im Jänner dieses Jahres hat sie über die Empfehlung

ihres damaligen Freundes die internationale Plattform

OnlyFans entdeckt. OnlyFans ist eine Website, auf der viele

Sexarbeiter*innen private und intime

Inhalte verkaufen. Heute ist Pia eine

der bekanntesten Akteur*innen auf

OnlyFans und verdient (ohne Abzug

von Steuern) etwa 12–17 Tausend Euro

im Monat. Ganze 15 bis 18 Stunden

fließen dafür am Tag in ihre Arbeit, täglich beantwortet sie bis

zu 60 Anfragen. Über private Nachrichten verkauft die Studentin

ihre Bilder und Videos. Sie erzählt, dass ein Video bis zu 4

Euro die Minute kosten könne, während komplett nackte Bilder

je 7 Euro kosten würden. Ein sogenanntes „Custom-Video“,

also ein Video, das nach speziellen Wünschen für jemanden

gedreht wird, kostet 17 Euro pro Minute. Bei bestimmten

Fetischen oder „Kinks“ (ungewöhnliche sexuelle Vorlieben)

„Custom-Video“

gibt es einen Aufschlag. Wenn der oder auch die Kund*in

eine Namenserwähnung im Video möchte, kostet das 25 Euro

mehr. Die Nachfrage nach persönlichen Videos, in denen

sich die Kund*innen spezifisch angesprochen fühlen können,

ist enorm hoch. Pia unterstreicht, dass bei ihr die Preise im

Durchschnitt höher liegen. Sie ist nun einmal schon ein Star

der Szene.

„WAS WÜRDE DEIN PAPA SAGEN?“

Die meisten Freund*innen von Pia wissen von ihrer Arbeit.

Ihre Eltern weniger. Pia ist in einem konservativen Dorf mit

etwa 2000 Einwohnern groß geworden. Die vielen Piercings

und Tattoos, die ihren Körper schmücken, würden einem fast

eine andere Geschichte erzählen. Die Erziehung zuhause sei

streng und wenig liebevoll gewesen. Sie erzählt, wie sie von

einer unbekannten Person im Internet, die ihre Eltern persönlich

kannte, bedroht wurde. „Was würde dein Papa zu deiner

Arbeit sagen?“, schrieb ihr der anonyme User auf Instagram.

Aus Angst vor möglichen Konsequenzen blieb ihr nichts anderes

übrig als die Flucht nach vorne. Sie musste es ihren Eltern

erzählen, ohne auf jedes Detail einzugehen. Ihre Eltern denken

bis heute, dass sie kurzfristig mit „Sexting“, also dem Versenden

von Videos und Fotos mit sexuellem Inhalt, etwas Geld

gemacht haben soll. Dass sie weiterhin aktiv in der Sexindustrie

arbeitet, wissen sie nicht. „Die Beziehung zu meinen Eltern

ist jetzt relativ stabil, aber nicht wirklich offen. Jeder macht

halt sein Ding, aber ich weiß auch,

dass, wenn alle Stricke reißen sollten,

sie immer da sind.“

Die junge Studentin hat sich im

Internet auf BDSM spezialisiert, das

ist ein Fetisch, der unter anderem

mit Dominanz, Unterwerfung oder Lustschmerz zusammenhängt.

Zudem geht Pia mit ihren Kund*innen häufig Rollenspiele

ein. Vor allem die sogenannten „Daddy-Kinks“ sind

gefragt. Dabei wird eine Beziehungsdynamik inszeniert, in der

beispielsweise der Mann eine führende, väterliche und fürsorgliche

Rolle einnimmt und die Frau in einer kindlichen Rolle

dominiert wird. Solche Rollen seien, so Pia, jedoch nicht auf

das Geschlecht festgeschrieben und könnten variieren.

/ POLITIKA / 27


GEFÄHRLICHE GLORIFIZIERUNG

AUF TIKTOK

Für Sexarbeiter*innen wie Pia ergeben sich im Internet einige

Vorteile. Einer davon ist die Tatsache, dass man online

etwas sicherer ist als offline, da sie sich nicht persönlich

in ungeschützten Räumen wie einem Hotelzimmer oder

bei Kund*innen zuhause treffen. Frauen wie Pia können so

bequem im Pyjama von daheim aus arbeiten. Pia steht oft um

6 Uhr auf, macht sich fertig, um Fotos und Videos zu schießen,

und versendet den restlichen Tag gemütlich im Bett

liegend Nachrichten an ihre Kund*innen. Jedoch läuft nicht

immer alles ohne Probleme: Pia hat oft mit dubiosen Anfragen

zu kämpfen. Kund*innen würden moralisch verwerfliche und

sogar bestialische Videos von ihr wünschen, wie beispielsweise

einen sexuellen Akt mit Tieren. An anderen Tagen bekommt

sie obendrein Kinderpornografie zugeschickt. Manche Männer

erzählen während des Sextings sogar von ihren Töchtern, die

schlafend im Nebenzimmer lägen. Pia meldet diese Personen

an die Plattform und blockiert sie. Diese verstörenden Erlebnisse

von Online-Sexarbeiter*innen werden im Hinblick auf

Sexarbeit leider oft nicht thematisiert. Pia beobachtet, wie

Online-Sexarbeit auf der Plattform TikTok glorifiziert wird. In

den letzten Jahren tauchten auf TikTok immer mehr Videos

auf, wo Sexarbeiter*innen jungen Mädchen Tipps geben, wie

sie in die Industrie einsteigen und schnelles Geld machen

können. Dabei erzählen sie auf humorvolle und lustige Art

und Weise, wie sie Sexarbeiter*innen geworden sind – ohne

dabei die Nachteile und das Gefahrenpotenzial anzusprechen:

„Das ist gefährlich. Vor allem, wenn die meisten User*innen

von TikTok erst zwischen 11 und 18 Jahren sind. Sexarbeit ist

ja auch erst mit 18 Jahren legal. Es wird immer total positiv

darüber gesprochen, ohne den psychischen Stress dahinter

zu erwähnen.“ Ein immer wieder auftauchendes Problem, mit

dem OnlyFans-User*innen kämpfen müssen: Der Content,

für den Kund*innen bezahlen, wird immer wieder gratis auf

Pornoseiten veröffentlicht. Natürlich geschieht dies ohne der

Zustimmung der Akteur*innen.

Den Vorwurf, dass Sexarbeit

antifeministisch sein soll, kann

Pia allerdings nicht nachvollziehen.

Wie viele andere der jungen

Sexarbeiter*innen, die ihre

Dienstleistungen sowohl virtuell als auch offline anbieten,

bezeichnet sich Pia als Feministin. Für Kritiker*innen ist ihr

Lebensstil hingegen mit einer „feministischen“ Weltansicht

unvereinbar. Beispielsweise positioniert sich die Bewegung

FEMEN radikal dagegen und argumentiert, dass Frauen sich

durch Sexarbeit freiwillig sexualisieren und ausbeuten lassen.

Pia sieht das anders: „Wenn Feminismus die Emanzipation

und Selbstbestimmung der Frau bedeutet und man so viel Sex

haben können soll, wie man möchte, warum sollte dann Sex für

Geld verwerflich sein?“ Das Argument „sie würde ihren Körper

verkaufen“ ist für Pia hinfällig: „Ich verkaufe eine Dienstleistung,

nicht meine Körperteile. Sonst würde ich sie nachher

nicht mehr besitzen.“

Pia sieht ihre Tätigkeit als Beruf – die virtuelle Sexarbeit

ist für sie mehr als nur ein Nebenjob geworden, der ihr das

„SpaSS & Neugier“

Studium möglich macht. Weil der Workload so hoch ist und

ihr die Tätigkeit Spaß macht, will sie demnächst jedoch mit

ihrem Studium aufhören. Beides lässt sich für Pia einfach nicht

vereinbaren. Stattdessen will sie sich eine*n Finanzberater*in

zulegen, ihr Geld investieren und sich so ein passives Einkommen

sichern. Pia kann sich Sexarbeit im Moment sogar

als lebenslange Tätigkeit vorstellen, solange die Nachfrage

besteht. „Und wenn Sexarbeit nicht mehr geht, dann gehe ich

einfach in Pension“, lacht sie.

In Wien sind aktuell 3.390 weibliche Prostituierte angemeldet.

Für Online-Sexarbeiter*innen gibt es keine Zahlen. Die

Zahlen der registrierten Sexarbeiter*innen sollen sich in den

letzten zehn Jahren verfünffacht haben. Ende 2013 wurden

außerdem 67 männliche Sexarbeiter gezählt. Diese Zahlen

spiegeln die Realität nicht wider: Die Zählung von Bordellen

ist bundesweit nicht einheitlich und viele Sexarbeiter*innen

registrieren sich nicht und arbeiten wie Pia privat. Interessant

ist auch, dass der Migrant*innenanteil unter den

Sexarbeiter*innen in Österreich auf etwa 80-90 Prozent

geschätzt wird. Davon sollen 40 Prozent aus Rumänien und

24 Prozent aus Ungarn kommen.

„SEXUALITÄT UND WEIBLICHKEIT WAR

BEI UNS IMMER TABU.“

Die 22-jährige Technik-Studentin Enisa * kommt aus einem

syrisch-schiitischen Haushalt. Ihre langen braunen Haare und

ihr elegantes Auftreten stechen sofort ins Auge. Während sie

in ihrem kurzen Sommerkleid sitzt, erzählt Enisa, dass Sex

und der weibliche Körper in ihrem Elternhaus immer stark mit

Scham verbunden waren. Mit dem Beginn eines technischen

Studiums und dem dortigen hohen Männeranteil eröffnet sich

für Enisa eine neue Faszination und die Entdeckung des eigenen

Körpers. In einem Umfeld, in dem viele Männer arbeiten,

richtet sich die Aufmerksamkeit schnell einmal auf die Frau –

so wie in ihrem Fall auf der Uni. „Warum soll ich nicht daraus

Profit schlagen?“, überlegt sie, als sie zu jener Zeit ein Tourist

aus Wien über Tinder anschreibt

und sie fragt, ob sie sich am

selben Abend treffen könnten. Für

Enisa wäre dieses Date zu kurzfristig

gewesen. Als der Mann ihr

dann das Angebot macht, für das

Treffen zu zahlen, ist die Studentin erst mal entsetzt. Er war

jedoch weder übergriffig noch aufdringlich gewesen, sondern

hatte höflich gefragt. Nach kurzer Überlegung entscheidet sie

sich für das Treffen. Für Enisa beginnt ab diesem Zeitpunkt

ihre Arbeit als Escort. Heute verdient sie bis zu 500 Euro pro

Treffen.

„Wenn man mich fragt, warum ich Sexarbeit mache,

erwarten sich Leute oft, dass ich sage: Ja, ich bin arm und bin

auf das Geld angewiesen. Für viele ist es aber überraschend,

wenn sie erfahren, dass Sexarbeiter*innen diesen Beruf auch

aus Spaß und Neugier machen.“ Außerdem, meint Enisa, sei

für die meisten Männer Sex mit einer armen Sexarbeiterin, die

auf das Geld angewiesen ist, akzeptabler als mit einer, die das

gerne und mit Leidenschaft mache.

28 / POLITIKA /


Sexarbeit ist viel besser

bezahlt als Catering.

/ POLITIKA / 29


Sexworkerinnen sind häuftiger von sexualisierter Gewalt betroffen als andere Frauen.

FETISCH HERKUNFT

Als Österreicherin mit syrischen Wurzeln ist Enisas Herkunft

bei jedem Treffen mit einem Kunden ein Thema. Sie ist sich

sicher, dass bestimmte Kunden, sie nur wegen ihrer Herkunft

kontaktieren und diese stark fetischisiert wird. Dieselben

Kunden würden manchmal ein Ratespiel aus ihrer Herkunft

machen, und wenn sie dann herausfinden, dass sie doch nicht

aus Lateinamerika kommt, seien

sie schwer enttäuscht. „Fragen

nach meiner Herkunft haben

einen anderen Beigeschmack,

aber auch aus dieser Fetischisierung

kann ich Profit schlagen“,

schmunzelt sie. Die 22-jährige weist darauf hin, dass Sexarbeit

auf keinen Fall wegen des Geldes beworben werden sollte. Die

Nachteile davon existieren. „Angst vor Gewalt, in diesem Fall

Männergewalt, ist nicht nur für uns eine Realität, sondern für

alle Frauen in dieser Gesellschaft“, antwortet sie auf die Frage,

ob sie Angst um ihre Sicherheit hätte. „Selbstverständlich habe

ich Angst“, sagt die junge Studentin, „weil es ein generelles

Problem mit Männergewalt gibt. Frauen haben auch Angst,

wenn sie allein nachhause gehen, oder wenn sie kurz ihren

Drink an der Bar stehen lassen.“ Es bestehe immer ein Risiko

vor Männergewalt, argumentiert sie. Statistisch gesehen sind

nämlich Sexarbeiter*innen viel zu häufig von Vergewaltigungen,

Mord und Stalking bedroht.

Die Sorge, dass ihre Familie mal über ihre Tätigkeit als Sexarbeiterin

erfährt, besteht für sie zusätzlich. Obwohl sie eine

gute Beziehung zu ihrer Familie hat, würde sie nicht wollen,

dass diese etwas von ihrem Job weiß: „Für meine Familie wäre

Angst vor Gewalt

es, als hätten sie versagt. Ich weiß, dass sie sich selbst die

Schuld geben würden.“ Ähnliches gilt für ihre Fakultät und

ihren Freundeskreis. Weder ihre Uni-Kolleg*innen noch ihre

Freunde wissen, dass Enisa als Escort arbeitet. Auf die Frage,

ob sie andere Sexarbeiter*innen kenne, antwortet die junge

Studentin selbstsicher: „Nein, ich möchte auch nicht wirklich

in diese Community kommen. Für mich ist es wichtig, dass ich

Freundinnen habe, die ein herkömmliches

Leben führen. Damit

ich mal abschalten kann.“ Auch

wenn ihr Leben spektakulärer als

das Leben von anderen klingt,

führt Enisa außerhalb ihrer Sexarbeit

ein ziemlich normales Vollzeitstudentinnenleben. Wenn

sie mal nicht für die Uni lernen muss, geht sie auf Partys, Festivals

oder ins Kino und trifft sich mit Freunden und Familie.

„Man darf sich mein Leben nicht als Doppelleben vorstellen,

da ich beides so gut voneinander trenne, wie es nur geht“,

erklärt Enisa. Nicht? Aktuell sieht sie keinen inneren Konflikt

mit ihrer Tätigkeit. Enisa hat sich keine Deadline gesetzt, aber

will auch nicht ewig Sexarbeiterin sein. Stattdessen möchte

sie irgendwann einem „gesellschaftlich akzeptablen“ Job

nachgehen.

„ICH SCHÄME MICH NICHT.“

„So schlecht bin ich nicht in Mathe, aber wieso sollte ich

nicht trotzdem Stripperin werden?“ Diese Frage stellt sich

Belle * schon mit 15 Jahren in der Schule, als sie das erste

Mal Stripper*innen in Filmen und Serien sieht. Heute ist die

21-jährige Physikstudentin seit drei Jahren Cam-Girl und ver-

30 / POLITIKA /


dient über Video-Chatting mit fremden Personen ihr Geld. Ihre

engsten Freunde wissen es und unterstützen sie – ihre Eltern

wissen nichts davon. „Ich schäme mich nicht, aber ich habe

Angst“, erklärt die Studentin. Sie habe Angst vor den negativen

Vorurteilen, Angst um ihre Sicherheit und Angst vor dem

psychischen Stress, der mit einem Coming-Out aufkommen

würde. Während Belle von ihren Ängsten erzählt, streichelt sie

ihren Hund und gibt ihm ein Leckerli. Ihre roten glatten Haare

fallen sofort auf und nichts an ihr verrät, dass sie zwischen

ihren vier Wänden Sexarbeiterin ist. Ihr Leben unterscheidet

sich nicht großartig von dem Leben anderer 21-jähriger

Frauen. Sie musiziert, liest gern und betreibt viel Sport in ihrer

Freizeit.

Lange Zeit wurde Prostitution nur mit Mafia, Menschenhandel

und Zwang in Zusammenhang gebracht. Das Resultat war

eine negative Konnotation des Begriffs. Deswegen lehnen viele

Sexarbeiter*innen heute den Begriff der

Prostitution ab. Für Belle ist Sexarbeit

„jeglicher Akt, egal ob online oder offline,

der sexuell erregen soll.“ Die Transaktion

von Geld oder bestimmten Gütern

spielt hier eine entscheidende Rolle. Wie

bei jeder anderen Dienstleistung gibt es auch bei Sexarbeit

einen Tausch. Das kann entweder Geld sein oder Handtaschen,

Schmuck und Parfüms.

Bis zu 100 Euro die Stunde hat Belle schon durch Camming,

also Video-Chatting mit ihren Kund*innen, verdient. Ihre

Rekordzuschauer*innenzahl liegt aktuell bei 14 Tausend. „Es

muss nicht immer sexuell sein. Manchmal reden wir über Gott

und die Welt“, erzählt Belle. Die junge Frau sitzt vor der Kamera

in ihrer Wohnung und redet mit den Kund*innen über Politik,

Veganismus oder Philosophie. Auch dafür gibt es Geld. Der

sexuelle Teil ihrer Arbeit funktioniert nach dem sogenannten

„Tip Menue“. Auf diesem Menü steht eine Liste von Vorschlägen,

die Belle vor der Kamera tun kann, wie etwa ihren BH

auszuziehen oder ihren Hintern herzuzeigen. Wenn jemand ein

Angebot aus diesem „Tip Menue“ wahrnehmen möchte, muss

die Person mit der Internet-Währung „Token“ bezahlen. 40 bis

60 Prozent von ihren Einnahmen fließen jedoch in die Cam-

Plattformen, auf denen sie sich anbietet.

SELBSTLIEBE DURCH

SEXARBEIT

Belles Selbstbewusstsein und Selbstachtung

ist in den drei Jahren, in denen sie

als Cam-Girl arbeitet, enorm gestiegen.

Früher wusste sie nicht, wie man „Nein“

sagt und Grenzen setzt. Heute kann sie

klar sagen, was sie will und was sie nicht

will. „Was mein Body-Image angeht, wurde

ich auch selbstbewusster, aber teilweise

auch kritischer. Es ist abhängig von meiner

Arbeit und meinem Verdienst. Wenn es

gut läuft, ich viel verdiene und tausende

Zuschauer*innen habe, bin ich super selbstsicher,

als wäre ich die geilste Frau der Welt.

Wenn es mal schlecht läuft, frage ich mich

Tip Menue

ANMERKUNG DER REDAK-

TION:

Dieser Artikel beschreibt

und beleuchtet die

Lebensrealitäten von

Sexarbeiter*innen aus

Insider-Sicht. Er soll Sexarbeit

keinesfalls verharmlosen

oder verherrlichen.

Dieser Beruf geht mit Risiken

einher, die der Psyche,

Sicherheit und Gesundheit

schaden können.

sofort, ob ich zu hässlich bin. Aber man darf das nicht auf sich

selbst beziehen.“ Sie erzählt, dass im Winter ihr Verdienst

höher als im Sommer sei. Nach einer Weile habe sie aber

erkannt, dass das wenig mit ihrem Aussehen zu tun habe,

sondern mit der Tatsache, dass im Sommer viele Menschen

auf Urlaub oder die Kinder zuhause seien.

Seit mehr als zwei Jahren ist Belle in einer gesunden und

glücklichen Beziehung. Obwohl es am Anfang leichte Schwierigkeiten

gab, hat ihr Freund inzwischen nicht nur Verständnis

für ihre Arbeit, sondern er unterstützt sie heute dabei: Er filmt

und schneidet ihre Videos. Innerhalb der Beziehung wird alles

offen gehandhabt. Man weiß gegenseitig von den Passwörtern

und versucht ehrlich über Gefühle zu kommunizieren. Und das

klappt.

Auch Belle empfindet ihre Tätigkeit nicht als anti-feministisch.

Sie versteht Frauen nicht, die andere Frauen wegen

ihrer Tätigkeit als Sexarbeiterin kritisieren.

Bei Diskussionen werden

meist die Betroffenen ausgeschlossen,

wobei stets über die Sexarbeiterinnen

gesprochen wird, anstatt mit ihnen.

„Das ist ein Problem. Es reden Außenstehende.

Uns einmal zu zuhören wäre ein wichtiger Schritt“,

wendet Belle ein. Sie ist der Meinung, dass Frauen in unserer

Gesellschaft schon automatisch sexualisiert würden und dass

Sexarbeiter*innen lediglich eine Dienstleistung anböten – und

zwar „eine Dienstleistung wie jede andere.“ Die Stigmatisierung

des Berufs müsste in der Gesellschaft geändert werden:

Ein Coming Out als Sexarbeiter*in kann nämlich ein echtes

Gefahrenpotenzial für Frauen wie Belle in sich tragen. Viele

Sexarbeiter*innen werden ermordet, gestalked und sind anderen

Formen von Gewalt ausgesetzt.

Dass ihre Arbeit auf unterschiedlichen Ebenen gefährlich

sein kann, wissen die Sexarbeiterinnen Pia, Enisa und Belle.

Während der Recherche für diese Reportage und den Interviews

waren ihre Angst, dass Leser*innen dieser Geschichte

die jungen Frauen vielleicht wiedererkennen könnten, und der

starke Wunsch nach Anonymität, spürbar. Die Studentinnen

fürchten sich vor Männergewalt genauso wie vor gesellschaftlichen

Konsequenzen, die eventuell auch ihr Studium und ihr

Sozialleben treffen könnten. Gleichzeitig sehen sie ihre Arbeit

nicht in einem feministischen Widerspruch

– im Gegenteil. So ist Enisa von der Doppelmoral

genervt und fragt: „Warum sollte Sex

plötzlich verwerflich sein, wenn man dafür

bezahlt wird?“ Die junge Sexarbeiterin ist

der festen Überzeugung, dass Feminismus

die Selbstbestimmung der Frau fördern

sollte. Ob eine Frau ihr Leben mit Kinderpflege

und Hausarbeit verbringen möchte oder

eben als Sexarbeiterin, sollte man alleine ihr

überlassen. ●

* Namen von der Autorin geändert

/ POLITIKA / 31


„MMA ist kein

Strassenkampf“

Fußball hat ihm nicht gereicht, Boxen auch nicht. Aber MMA

war ein „voller Volltreffer“, wie er selbst sagt. Der 28-Jährige

Aleksandar Rakic, Wiener mit serbischen Wurzeln, ist einer

von drei Österreichern, die derzeit bei UFC (Ultimate Fighting

Championship) unter Vertrag stehen. Wir haben mit dem Mixed-

Martial-Arts-Kämpfer darüber gesprochen, warum er trotz seiner

Erfolge und seinem Fame in der internationalen Szene wenig

Unterstützung in Österreich bekommt.

Text: Aleksandra Tulej, Fotos: Zoe Opratko

© USA TODAY USPW / REUTERS / picturedesk.com

Rakić in Action: Juni 2019: Jimi Manuwa vs Aleksandar Rakić

32 / RAMBAZAMBA /


/ RAMBAZAMBA / 33


Den Schriftzug „Es

lohnt sich, zu kämpfen“

hat Rakić auf seinem

Unterarm tätowiert.

Groß, breit gebaut, tätowiert: Als wir UFC-Fighter

Aleksandar Rakić im Wiener Sportklub MALU

in der Wiener Innenstadt treffen, entspricht er

genau dem Bild, das man aus seinen Kämpfen

kennt: Selbstbewusst, tough und einfach ein „Viech“. Aber als

wir uns zum Interview hinsetzen, erfahren wir von Rakić mehr

über die Hintergründe und Hürden, die er als MMA-Kämpfer

in Österreich bewältigen muss – der toughe Austroserbe hat

durchaus berechtigte Sorgen.

Mixed Martial Arts steht dafür, dass viele verschiedene

Kampfstile wie Boxen, Karate, Ringen und Muay Thai in einer

Vollkontaktsportart vereint sind. Dazu zählen das Schlagen,

Treten, Werfen und der Bodenkampf. Beim Bodenkampf darf

zudem auch geschlagen und getreten werden, was das Hauptunterscheidungsmerkmal

zu anderen Vollkontaktsportarten

darstellt. Kein Wunder also, dass MMA oft als brutale Sportart

aufgefasst wird.

„Das ist eine Straßenschlägerei, das ist kein

Sport“ – diesen Stempel hat die Disziplin MMA

in Österreich aufgedrückt bekommen. MMA sei

den Leuten zu brutal, meint Aleksandar: „Es will

einfach nicht anspringen. Boxen ist eine olympische

Sportart und bekommt mehr Anerkennung

– bei MMA denken sich die Leute: ‚Das ist

eine Straßenschlägerei, das ist kein Sport.‘ Das

wollen die Leute nicht sehen.“ Rakić weiß, wovon

er spricht: „Ich bin die Nr.4 weltweit in meiner

Gewichtsklasse, und trotzdem interessiert sich in

Österreich keiner dafür. Das macht mich traurig.“

Es sei schwierig, in Österreich Sponsoren zu

finden. „Die Leute schrecken ab, wenn sie MMA

lesen. Sie wollen das nicht unterstützen. Wenn

man Sponsoren findet, dann sind das Menschen,

die in der Branche tätig sind, wie zum Beispiel

Sportnahrungshersteller.“ Momentan hat Rakić

drei Sponsoren: Einen aus Schweden, einen aus

Holland und einen aus Wien – den Nahrungsergänzungshersteller

Atombody.

ALEKSANDAR

RAKIĆ

MMA Statistik

Siege 12

K. o. 9

Aufgabe 1

Punkte 2

Andere 0

Niederlagen 2

K. o. 0

Aufgabe 1

Punkte 1

MEHR SUPPORT AM BALKAN

Anders sieht das am Balkan aus, wo Rakić der übrigens als

Halbschwergewicht antritt, eine große Fanbase hat: „In Serbien

ist das anders. Da kann dich eine Apotheke sponsern, ein

Supermarkt oder eine Baufirma. Da ist das Gang und gäbe. Am

Balkan – wo meine Eltern herkommen - habe ich eine große

Unterstützung, das merke ich immer, wenn ich runterfahre.

Die Leute lieben mich. Deshalb habe ich bei meinem letzten

Kampf auch unter der serbischen Fahne gekämpft - ich will den

Leuten etwas zurückgeben.“

Aber dennoch gibt der 28-Jährige Austroserbe die Hoffnung

in seiner Heimat nicht auf: „Ich habe Österreich viel zu

verdanken - vor allem an Trainingsmöglichkeiten. Es gibt nicht

viele Österreicher in der UFC. (Anm. d. Red: drei) Ich repräsentiere

ja das Land Österreich.“ Aber nach fünf Kämpfen fehlt

medientechnisch immer noch jegliche Unterstützung – das will

er ändern. „Ein Alexander Gustavsson hat MMA

in Skandinavien berühmt gemacht. Das will ich in

Österreich auch schaffen.“

VON ANFANG AN EIN

ENERGIEBÜNDEL

Schon als Kind hatte Rakić viel Energie. Zu viel,

wie er selbst sagt. Schnell war klar: Irgendein

Sport zum Auspowern muss her. Er hat es zuerst

im Volksschulalter mit Fußball probiert – nach den

Trainings war er allerdings auch immer noch nicht

seine überschüssige Kraft los, es hat einfach

nicht gereicht. „Als ich 13 war, wurde ich dann

aus dem Team gekickt. Weil ich zu aggressiv

war. Also nicht so, dass ich mich schlagen wollte,

sondern einfach beim Spielen selbst war ich zu

aggressiv.“ Also musste ein anderer Sport her:

Sein Vater meldete ihn daraufhin beim Kickboxen

an. Nach 5 Jahren Kickbox- und Boxtraining

reichte Rakić aber auch das nicht: „Das war nach

40 oder 50 Kämpfen, ich war Staatsmeister und

Landesmeister, das war so 2009 und 2010. Da

34 / RAMBAZAMBA /


Will MMA in Österreich

bekannt machen:

Aleksandar Rakić

ALEKSANDAR RAKIĆ

Größe 196 cm

Gewicht 93 kg

Nationalität Österreicher

Geburtsdatum 6. Februar 1992

Kämpft aus Wien, Österreich

Geburtsort Wien, Österreich

Team Gym 23

American Top Team

Kampfstil Kickboxer

/ RAMBAZAMBA / 35


Rakić trainiert bis zu 20 Stunden die Woche

wusste ich, dass ich noch etwas Ultimativeres will. Boxen ist ja

nur ein Standkampf aber MMA beinhaltet ja auch noch Ringen,

Jiu-Jitsu und so weiter.“ Und Rakić hat sich gleich voll reingehängt.

„Ich habe nichts anbrennen lassen. Im Mai habe ich

begonnen zu trainieren, und im Oktober hatte ich schon den

ersten Kampf.“ Verletzungen bei MMA sind nicht selten, 2016

reißt sich Rakić das Kreuzband, eine Katastrophe. Was aber

dann folgte, war ein steiler Aufstieg:

„Nach meiner Verletzung hatte ich einen Comeback-Fight.

Nachdem ich den gewonnen hatte, hat mir mein Manager den

UFC-Vertrag auf den Tisch gelegt. Ich wusste ehrlich gesagt

nicht, ob ich bereit dafür bin.“ Aber er hat nicht lange gezögert

und unterschrieben. Das war im März 2017, seitdem hat Rakić

fünf UFC-Kämpfe hinter sich und auch zwei Knie-Operationen

– einmal Kreuzband und einmal Meniskusriss am selben Bein -

haben Rakic nicht demotivieren lassen. Im Gegenteil.

„DIE RUSSEN UND CHINESEN SIND VIEL

BESSER ALS DIE ÖSTERREICHER.“

Mittlerweile ist MMA zu seinem Beruf geworden. Er hat eine

abgeschlossene Lehre als Hotelfachmann, aber wenn man

bis zu 20 Stunden die Woche trainiert, lässt sich das mit den

Arbeitszeiten in der Gastronomie einfach nicht vereinbaren.

Wie sein Training konkret aussieht? „Immer anders. Zum Beispiel

aber so: In der Früh Ringen und Jiu Jitsu und am Abend

dann Boxen – je nach Kampf. Dazu gehören auch Grundlagen,

Ausdauer und so weiter.“ Er trainiert auch in mehreren Wiener

Gyms. Momentan hat Rakić vier Trainer – was auch mit Kosten

verbunden ist. Nur weil jemand bei UFC unter Vertrag steht,

bedeutet das nicht gleich ein millionenschweres Konto. „UFC

zahlt für einen Trainer und mich das Hotel und den Flug, für

den Rest muss ich selber aufkommen“, so Rakić, der schon

UFC-Kämpfe in Korea, Toronto oder Las Vegas bestritten hat.

Sein Lebensmittelpunkt ist aber Wien – hier lebt er auch mit

seiner Frau und seinem einjährigen Sohn. „Ein Kind zu haben

ist das beste im Leben, ehrlich“, sagt er uns grinsend.

Was der Lockdown im Frühling für ihn als Profisportler

bedeutet hat? Immerhin waren ja Kontaktsportarten für mehrere

Wochen verboten. „Ich hatte das Glück, dass ich in meiner

Garage Krafftraining machen konnte, es hat mich körperlich

also nur stärker gemacht. Es hat mich auch hungrig gemacht –

ich wollte wieder Kämpfen.“

Was Rakić sich für MMA in Österreich wünscht? „Dass es

populärer wird. Dass in Schulen im Turnunterricht Kampfsport

angeboten wird, wie Boxen, Ringen oder Judo.“ Das hätte ihm

als Kind viel bedeutet. „Man sieht das auch bei der Olympia:

Die Russen und Chinesen sind viel besser als die Österreicher.

Weil das hier nicht gefördert wird. Dabei haben wir hier so viele

gute Talente, die dadurch verloren gehen.“ Was seine Pläne für

die Zukunft sind?

„Ich will Champion in meiner Gewichtsklasse werden. Den

Titel noch ein paar Mal verteidigen. Vielleicht ins Schwergewicht

wechseln und später einmal ein eigenes Gym in Wien

aufmachen.“ Und natürlich: „Ein UFC Event nach Wien bringen“.

UFC-Aleksandar Rakić und biber-Aleksandra Tulej

beim Interview im Wiener Sportklub MALU

36 / RAMBAZAMBA /


TECHNIK & MOBIL

Alt+F4 und der Tag gehört dir.

Von Adam Bezeczky

Bosnischer Cybertruck

© Marko Mestrovic, REUTERS/Dado Ruvic, Tesla Motors, Electronic Arts

MEINUNG

Learnings aus

dem Lockdown

Ein schwerer Winter steht bevor.

Aber ich möchte noch weiter in die

Zukunft blicken: Welche Lerneffekte

nehmen wir aus der Pandemie, dem

Lockdown und so weiter mit? Wie

soll die post-pandemische Gesellschaft

aussehen? Wir haben durch

den Lockdown gelernt, dass man

durch Digitalisierung viel an Pendelverkehr,

Büroflächen und Gebäuden

einsparen kann. Zahlreiche Unternehmen

haben auf Home Office umgestellt

und konnten fast problemlos

weiterarbeiten. Hier müssen wir

ansetzen, die Technologie ausbauen

und so mit einem Streich auch etwas

gegen die Klimakatastrophe tun.

Nehmen wir die „Learnings“ aus dem

Lockdown mit, seien wir dankbar

dafür, dass wir die ‚remote-working‘-

Gesellschaft ausprobieren konnten,

und nutzen wir das Gelernte, um für

die Zukunft Jobs zu schaffen, die

von Grund auf auf Digitalisierung,

Telepresence und ‚remote-working‘

setzen. Für die Umwelt, aber auch für

die Work-Life-Balance.

bezeczky@dasbiber.at

Igor Krezić ist ein großer

Tesla-Fan. Der Bosnier

ist aber auch ungeduldig,

also hat er sich kurzerhand

den futuristischen

Cybertruck von Tesla

nachgebaut. Dieser sollte

eigentlich erst 2021 auf

den Markt kommen.

Mitarbeiter seines Unternehmens

schraubten

acht Monate, um aus

einem Ford F-150 Raptor

einen Wagen zu bauen,

der dem Cybertruck zum

Verwechseln ähnlich

sieht. Aktuell kämpft er

um die Straßenzulassung:

Fahrzeuge mit solchen

scharfen Kanten, wie sie der Cybertruck

besitzt, sind nämlich nicht zum Verkehr in

Bosnien zugelassen.

In die Pilotensessel!

Es wird Zeit, die VR-Brillen abzustauben! Mit Star

Wars Squadrons zaubert Publisher EA spannende

Raumschlachten im Star Wars Universium auf die

Bildschirme. Erinnerungen an längst vergessene

Klassiker wie „Tie Fighter“ und „X-Wing“ schwelgen

mit, wenn wir uns im Tiefflug einem Sternenzerstörer

nähern! Besonders im VR-Modus sind

Staunen und „Wow!“-Sager am Programm.

ANTI-

VIRUS-

DRUCK-

PAPIER

In Slowenien haben

Entwickler einer

Papierfabrik antibakterielles

Druckpapier

entwickelt. Das

Papier ist mit einer

speziellen Beschichtung

versehen, die

Viren und Bakterien

tötet. Anwendungsgebiete

könnten

Krankenhäuser und

Schulen sein. Kostenpunkt

4,99 Euro

pro 500 Blatt.

/ TECHNIK / 37


HUAWEI P SMART 2021

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können Nutzer alle Inhalte, egal ob

Bilder, Videos, Musik oder Apps, mit

nur einem Klick finden. Entertainmentapps

wie Netflix, Prime Video und

Spotify landen in wenigen Sekunden

auf das neue P smart 2021

→ HUAWEI Phone Clone:

Datentransfer so einfach

wie noch nie

Die auf Huawei Smartphones

vorinstallierte App überträgt

Kontakte, Daten, Nachrichten,

Anwendungen, Fotos einfach und

sicher vom alten Smartphone auf

das Huawei P smart 2021

Das HUAWEI P smart 2021 ist ab sofort im österreichischen Handel

zu einem unverbindlichen Richtpreis von 229€ verfügbar.


JUNG, MODERN,

SPIRITUELL

JUNG,

MODERN,

SPIRITUELL

Sternzeichen-Memes und Eso-

Influencer erleben seit einigen

Jahren einen regelrechten

Boom in den sozialen

Netzwerken. Wie haben

Astrologie, Räucherstäbchen,

Tarotkarten & Co ihren

Platz im modernen Alltag

gefunden? Drei junge Frauen

über Horoskop-Apps, heilende

Frequenzen und Meditation bei

Vollmond.

von Semsa Salioski, Collagen: Zoe Opratko

40 / LIFESTYLE /


Sternzeichen-Memes und Eso-Influencer

erleben seit einigen Jahren

einen regelrechten Boom in den sozialen

Netzwerken. Wie haben Astrologie,

Räucherstäbchen, Tarotkarten

& Co ihren Platz im modernen Alltag

gefunden? Drei junge Frauen über

Horoskop-Apps, heilende Frequenzen

und Meditation bei Vollmond.

Text: Semsa Salioski, Collagen: Zoe Opratko

Es ist hier überhaupt nicht seltsam nach dem

Aszendenten oder Mondzeichen zu fragen, ob auf

der Arbeit oder beim ersten Date. Der Astrologie-

Hype ist hier noch viel spürbarer als in Wien.“ Die

32-jährige Diana ist derzeit als Projektmanagerin in Abu Dhabi

tätig. Aufgewachsen ist sie in Wien. Sie legt sehr viel Wert

auf Bildung und hat Abschlüsse in den Studiengängen Politikwissenschaft,

Internationale Entwicklung,

Global Business and Politics sowie

Projektmanagement. Privat beschäftigt

sie sich jedoch fast täglich mit weniger

weltlichen Dingen wie Spiritualität und

esoterischen Praktiken. Sie erzählt, dass

sie sich schon als Jugendliche Bücher

zum Thema Astrologie gekauft hat und

somit zum ersten Mal von Aszendenten, Mondzeichen, Venuszeichen

oder gar Horoskophäusern gehört hat. Zuvor wusste

sie, wie die meisten Leute, nur was ihr Sonnenzeichen ist. Heute

informiert sie sich durch ihren Freundeskreis, aber auch den

zahlreichen Esoterik-InfluencerInnen auf sozialen Netzwerken,

über sogenannte „New Age Spirituality“-Konzepte und integriert

dieses Wissen in ihren Alltag.

DAS REVIVAL DER „NEW

AGE SPIRITUALITY”

Die „New-Age-Spirituality“ ist eine Bewegung, die ursprünglich

in den USA in den 60er Jahren entstanden ist. Sie vereint

diverse spirituelle und esoterische Glaubenskonzepte Grundsätzlich

wird sie mit Astrologie, Wahrsagerei, energetischen

Heil- und Reinigungspraktiken, sowie Konzepten aus dem

"Gesetz der Anziehung assoziiert. Die „New-Age-Spirituality“-

Bewegung erlebt vor allem bei jungen Frauen in Form von

zahlreichen beliebten Astrologie-Accounts auf sozialen Medien,

wie Instagram und eben YouTube, seit einigen Jahren ein

immenses Revival. Wer denkt, dass es sich bei den Anhängerinnen

um schrullige „Esoteriktanten“ handelt, die immer eine

Glaskugel in der Tasche haben, liegt falsch. Bekannte „Spiritual

Content“-Instagram-Profile wie „Rising Women“, haben

mittlerweile 2 Millionen Follower. Der YouTube-Channel „Power

#astrology

#spirituality

#tarotreading

Meditation bei

Vollmond gehört

zum Alltag einiger

junger Frauen

Thoughts Meditation Club“, der Videos

mit sogenannten „heilenden Frequenzen“

veröffentlicht, zählt aktuell bereits

1,65 Millionen AbonnentInnen. Auf der

von hauptsächlich jüngerem Publikum

genutzten App „TikTok“ werden Videos

mit Hashtags wie #astrology, #spirituality

oder #tarotreading tatsächlich millionenfach aufgerufen.

Software-Hersteller brachten 2017 nicht umsonst eine eigene

App („Co-Star“) mit individualisierten Horoskopen auf den

Markt, die bis Ende letzten Jahres über 3,4 Millionen Mal runtergeladen

wurden.

VOLLMONDMEDITATION UND „HEILENDE

FREQUENZEN“ AUS DEN KOPFHÖRERN

Wegen ihres Jobs in Abu Dhabi sind Diana die kulturellen

Unterschiede im Umgang mit Themen dieser Art schnell aufgefallen:

„Ich arbeite hier in den Vereinigten Arabischen Emiraten

viel mit Einheimischen zusammen und habe gemerkt, dass

die Leute total offen über spirituelle Tabuthemen sprechen.

Gespräche über Geister, schwarze Magie oder ‚Nazar‘, also das

böse Auge, stehen in Abu Dhabi an der Tagesordnung. Einige

tragen deswegen Schutzamulette wie die ‚Hand der Fatima‘.

„Viele Leute, die ich kenne, haben ihr Sternzeichen sogar direkt

in der Instagram-Bio stehen, weil es für sie ganz klar zu ihrer

Identität gehört. Das ist mir sogar bei den Männern aufgefallen!“,

so Diana.

Die Wienerin meditiert fast täglich und hört dabei sogenannte

„heilende Frequenzen“ via „YouTube“, die Körper und

Geist positiv beeinflussen sollen. In ihrem Wiener Freundeskreis

ist das keine Seltenheit. Sie meditieren bei Vollmond

/ LIFESTYLE / 41


manchmal zusammen und versuchen mit

diesem Ritual ihre Wünsche zu manifestieren.

Mit traditionellen Religionen

konnte sie, noch nie etwas anfangen,

da sie ihr zu dogmatisch sind, und sie in

allem, was sie tut, sehr liberal bleiben

möchte. Spiritualität hat für sie persönlich

vor allem mit Self-Development und

Self-Awareness zu tun, was, ihrer Meinung nach, der Schlüssel

zu einer besseren Gesellschaft ist.

Aus Neugier war Diana auch schon einmal bei einer Wahrsagerin.

„Ich war damals in einer langen Beziehung und habe

außerdem überlegt, ob ich in London studieren soll. Die Dame

hat mir beinhart gesagt, dass ich nicht mit meinem Freund

zusammenbleiben werde und sie mich zwar irgendwo anders

als in Wien sieht, aber nicht in London. Tatsächlich waren wir

wenig später nach fünf Jahren Beziehung getrennt und der

Plan mit London hat auch nicht geklappt. Das ist mir auf jeden

Fall in Erinnerung geblieben. Ich kenne viele, denen Ähnliches

passiert ist.“

Ohne Geburtstag,

Geburtsort

und Geburtszeit

kein Date

WEISSER SALBEI GEGEN

NEGATIVE ENERGIEN

„Ich bin sehr religiös erzogen worden.

Ich war innerhalb von zehn Jahren an

sechs verschiedenen Koranschulen.

Religion hat mir persönlich aber einfach

keinen Halt gegeben, weil ich nichts

mit den Guidelines anfangen konnte“,

sagt die 22-jährige Biftu. Die Münchnerin mit äthiopischen

Wurzeln zog für ihr Studium der Publizistik- und Kommunikationswissenschaft

alleine nach Wien. In ihrer Freizeit versucht

sie regelmäßig zu meditieren und spaziert immer wieder mit

Räucherstäbchen oder weißem Salbei durch ihre Wohnung.

Biftu ist davon überzeugt, dass dadurch negative Energien

beseitigt werden. „Räucherstäbchen kenne ich ja auch aus

meinem äthiopischen Elternhaus. Es ist ein Bestandteil der Kultur.

Ich glaube dieses Ritual sorgt gleichzeitig dafür, dass sich

die Räume hier für mich ein bisschen heimischer anfühlen.“ Die

Studentin bezeichnet sich als Agnostikerin, doch das war nicht

immer so. Ihre Mutter ist streng gläubige Muslima und wollte,

Passen wir zusammen? Ob

es mit der Liebe klappt, lässt

sich mittels astrologischer

Charts ganz leicht ermitteln.

42 / LIFESTYLE /


wie die meisten Eltern, ihren Glauben auch an ihre Tochter

weitergeben. „Durch meine religiöse Mutter habe ich mich zu

einem spirituellen Menschen entwickelt, nur hat sich das Ganze

bei mir anders äußern wollen.“

KEIN INTERESSE AN SEINER

GEBURTSZEIT? KEIN DATE!

Biftu stieß auf der Videoplattform YouTube auf sogenannte

„New-Age Spirituality“-Themen. Auf Instagram folgt sie zahlreichen

Astrologie-Seiten, um sich Tipps für Interpretationen

ihres eigenen Geburtshoroskops zu holen und nutzt regelmäßig

Apps wie „Co-Star“ und „The Pattern“. Auf die Frage, ob sie

beim Daten auf astrologische Kompatibilität achtet, antwortet

sie lachend: „Naja, wenn ich einen Typen kennenlerne und ihn

nach einer Weile nicht nach seinem Geburtstag, Geburtsort

und seiner Geburtsuhrzeit frage, bin ich definitiv nicht interessiert!“

Für alle, die es nicht wissen: Diese Informationen braucht

man für die Erstellung eines Geburtshoroskops. Darin findet

man neben dem Sonnenzeichen, das den meisten bereits

bekannt ist, auch andere grundlegende

astrologische Einflüsse wie den Aszendenten,

das Mond- oder Venuszeichen,

sowie Planetenpositionen in den zwölf

Horoskophäusern.

KOSMOPOLITISCHER

PATCHWORK-GLAUBE

Auch die 25-jährige Aurora, die nach

ihrem Studium in Translationswissenschaft

einen Kommunikationsworkshop

begonnen hat, befasst sich privat sehr intensiv mit den Theorien

und Praktiken der „New Age Spirituality“. Aus gesundheitlichen

Gründen hat sie vor einigen Jahren zuerst mit Meditation

angefangen und ist via YouTube auf „heilende Frequenzen“

und „Reiki“, also Energietherapie gestoßen. Sie ist zwar in einer

katholischen Familie aufgewachsen, fing jedoch im Teenageralter

an, sich für andere Länder, Kulturen und Religionen zu

interessieren. Vor allem über den Islam und den Buddhismus

weiß sie durch ihre zahlreichen Hobby-Recherchen besonders

viel. Mittlerweile hat sie auch fast alle Kontinente bereist und

zahlreiche interkulturelle Freundschaften geschlossen, die

sie bis heute pflegt. Von ihrem Wiener Freundeskreis wird sie

deswegen auch scherzhaft Mrs. Worldwide (Anspielung auf

das Pseudonym Mr. Worldwide von Rapper „Pitbull“) genannt.

Ob Kreuzkette, „Hamsa“-Schutzanhänger, Buddha-Statue,

Traumfänger oder Räucherstäbchen – Auroras spirituelle Seite

spiegelt sich sehr deutlich in der Einrichtung ihrer Wohnung

wider. „Ich finde, dass in allen Formen von Spiritualität Weisheiten

stecken, also picke ich mir das heraus, was mir gefällt.

Als traditionell religiös kann ich mich nicht bezeichnen, weil ich

mich nicht unbedingt an Dos und Don’ts halten will. Es kann

eben nicht nur einen richtigen Weg geben. Viele Aspekte aus

Religionen überschneiden sich ja sogar auch. Zum Beispiel

faste ich – in vielen Glaubensströmungen gilt das als Reinigung

von Körper und Geist.“

Achtung:

ACHTSAMKEIT ALS

WEGBEREITER

Was für andere Beten ist, sind für Aurora

positive Gedanken und „Manifestation“,

also das bewusste Erschaffen von Realität.

Darüber gelernt hat sie von Videos

auf der Plattform TikTok. Auch Astrologie

ist für die 25-Jährige ein großes Interesse,

sie interpretiert ihr eigenes Geburtshoroskop

sowie Planeteneinflüsse.

Was könnte die Ursache für diesen unübersehbaren Erfolg

von Content dieser Art sein? Für Aurora liegt die Antwort ganz

klar darin, dass Menschen sich durch die Achtsamkeits-Bewegung

mehr mit ihrem Körper, ihrer Psyche und ihrem Geist

beschäftigen. Astrologie, Manifestation, Meditation oder Reinigungsrituale

scheinen gut anzukommen, weil sie den Personen

am Ende des Tages gut tun, ob das nun Einbildung ist oder

nicht. Sie spürt heute eine gewisse Freiheit dafür, auszuüben,

was sie möchte – egal, wie skurril es auch sein mag. Biftu fügt

hinzu, dass man durch die sozialen Netzwerke auch leichter

Gleichgesinnte findet, und diese Community damit immer weiter

ausgebaut wird.

Politische Instabilität oder Wirtschaftskrisen würden die

Zuwendung zu Spiritualität unter jungen Leuten stark begünstigen,

sagen viele ExpertInnen. Vor allem die junge Generation

suche in solchen Zeiten nach Halt und Entspannung und finde

sie in Form von Energiereinigungsritualen oder Meditationsanleitungen

– oder auch frechen Sternzeichen-Memes, die beispielsweise

eifersüchtige Skorpione oder beziehungsunfähige

Schützen ordentlich durch den Kakao ziehen. Astro-Accounts,

die vor zurückkriechenden Exfreunden während einer rückläufigen

Merkurphase warnen, gibt es, wohin der Finger scrollt. Das

mag für Außenstehende unverständlich und schräg sein, aber

schaden tut es doch niemandem. Also lassen wir Generation Y

und Z einfach in Ruhe meditieren, Tarotkarten legen und ihre

Geburtshoroskope bis auf den letzten Planeten analysieren. ●

Zurück kriechende

Exfreunde während

einer rückläufigen

Merkurphase

/ LIFESTYLE / 43


MEINUNG

White Saviour der

Tschetschenen

„Das kannst du nicht schreiben!“, haben

sie gesagt. „Schreib mehr darüber!“, sagen

sie jetzt. Meine Reportage über tschetschenische

Frauen in Wien (s. 10) hat

für Aufsehen gesorgt: in den heimischen

Medien, auf Twitter und in der Community.

„Du bist so mutig!“, haben sie gesagt. Dabei

bin nicht ich es, die mutig ist. Ja, es war

unheimlich wichtig, jenen Frauen, die in

dem Sittenwächterdiskurs zu Wort kommen,

eine Stimme zu geben. Mich erreichten

Nachrichten von jungen Tschetscheninnen

aus Wien, dass sie selbst und ihre Mütter

sich bei mir bedanken wollten, sogar ein

Vater war dabei. Aber: Mich hier jetzt als

White Saviour darzustellen, fühlt sich falsch

an. Ich habe bloß niedergeschrieben, was

diese Frauen zu sagen hatten, wie ihre

Lebensrealität aussieht und die Problematik

aufgezeigt – das sehe ich in meinem Job als

meine Verantwortung. Ich klopfe mir nicht

selbst auf die Schulter, sondern möchte an

dieser Stelle „Danke“ sagen. Danke an die

wunderbaren, starken, intelligenten, mutigen,

coolen Frauen, die mir ihr Vertrauen

geschenkt haben. Danke, dass ihr trotz aller

Schwierigkeiten nicht aufgebt. Wir machen

so lange weiter, bis es keine Journalistin

außerhalb der Community mehr braucht,

die nach der Reportage wieder in ihren

Elfenbeinturm zurückkehrt.

tulej@dasbiber.at

LIFE & STYLE

Mache mir die Welt,

wie sie mir gefällt

Von Aleksandra Tulej

DIE ANDERE

TREND-MASKE

2020

Von Mund-Nasen-Masken haben wir

ja alle mittlerweile genug. Diese hier

ist aber für die Augen: Ich werde

wohl nie aufhören, an dieser Stelle

über Produkte für die Augenpartie

zu schreiben. Ich bin einfach

besessen davon. Mein aktueller

Liebling: Die 2-in-1 Hydrogel Tuch-

Augenmaske von Neutrogena – die

Pads einfach unterhalb der Augen

aufkleben und die Haut wird 24h mit

Feuchtigkeit versorgt. Ich hätte sie

am liebsten permanent auf meinem

Gesicht drauf – wäre zusammen mit

dem Mund-Nasen-Schutz sicher ein

Hingucker. Neutrogena, 2,99€

Warum hast du dich

dazu entschlossen, LIA

zu gründen?

Da ich als junges Mädchen

& Kopftuchträgerin

keine modische sowie

bedeckende Kleidung

finden konnte, wollte

ich es selbst in die

Hand nehmen und mein

eigenes Label gründen,

in dem ich mich kreativ

austoben kann, ohne

meine religiösen Werte

außer Acht zu lassen.

An wen richtet sich das

Label?

LIA richtet sich an jede

Frau, denn LIA steht für Diversität.

Bescheidene Mode ist in erster Linie

zwar ein wichtiger Teil der muslimischen

Frauen, aber auch Frauen

anderer religiöser oder kultureller Hintergründe

begeistern sich an meiner

Mode.

Bei LIA-Fashion bekommt man über

3

FRAGEN AN:

Sara Naggar

Gründerin des Modest-

Labels LIA-Fashion

KEEP IT LEGAL

– CBD BLEIBT

Geht es nach der EU-Kommission,

soll CBD als Suchtmittel eingestuft

werden. In den letzten Jahren ist

der Hype rund um den „legalen“

Inhaltsstoff der Cannabispflanze, der

entzündungshemmend, schmerzlindernd

und angstlösend wirkt, stark

gestiegen. Nun könnten allerhand

CBD-Produkte in Österreich verboten

werden. Auf cbdbleibt.at findet

ihr eine Petition, die sich gegen das

angedachte Verbot wehrt.

„Modest“ Fashion wie

Kleidern, Hijabs und

Turbans, auch Halal-

Nagellack. Welche Teile /

Produkte sind am beliebtesten?

Mit dem Verkauf von

Tüchern habe ich

angefangen mein Label

aufzubauen. Bis heute

sind sie meine Bestseller,

weil sie eben so

unterschiedlich getragen

werden können

– als Kopfbedeckung,

Halstuch oder Bolero.

Sie sind sehr vielfältig,

weshalb dieses Produkt

immer im Sortiment in jeglichen Stoffen

sowie Farben erhältlich sein wird.

Und seit neustem habe ich mir den

Traum erfüllt, wasserdurchlässigen

Nagellack zu entwickeln und zu

verkaufen, auf den wir mittlerweile

schon ein sehr positives Feedback

erfahren durften. insta: lia_thebrand

© Marko Mestrovic, Sara Naggar/LIA Fashion, unsplash.com/GRAS

44 / LIFESTYLE /


,

MEINUNG

ICH SINGE WIE ICH WILL

Von Milica Joskić

Mein Bruder und ich sind in einem kleinen Supermarkt,

damals der einzige in diesem kleinen dalmatischen

Kaff. Während wir diskutierten, welches

Eis wir uns kaufen wollen, bemerkte die Verkäuferin

unseren bosnischen Dialekt und fragte uns provokant: „Seid

ihr Kroaten aus Bosnien oder Bosniaken aus Kroatien?“. Ich

war damals fünf Jahre alt und Begriff zum ersten Mal, dass

sie vor allem wissen wollte, welcher Religion ich angehöre.

JUGO-SPRACHE, FALSCHE SPRACHE

Er ist frustrierend und traurig zugleich: der ständige Hass

innerhalb der Ex-Yu- Community. Die Kroaten gegen die

Bosniaken, die Serben gegen die Kroaten und im Endeffekt

eh jeder gegen jeden. Manchmal subtil genug um ihn zu leugnen,

manchmal so offensichtlich und dreist, dass ich meine

Wut darüber nicht verstecken kann. Wir Kids der Diaspora

werden von klein auf damit konfrontiert, wen wir auf keinen

Fall in Zukunft daten dürfen, welche Musikrichtung wir nur

in Abwesenheit unserer Eltern hören können und welcher

Dialekt der „richtige“ ist.

Bei uns Zuhause wurde serbo-kroatisch gesprochen, damit

sind meine Eltern aufgewachsen und haben es mir dementsprechend

anerzogen. Türkische Lehnwörter im kroatischen

sind bei uns nach wie vor Gang und gäbe. Die Schwester

einer damaligen kroatischen Freundin brachte mich als

Jugendliche ins Stutzen als sie meine Aussagen kritisierte.

Ich solle aufhören, die türkischen Wörter zu benutzen und

reines Kroatisch sprechen. Gott behüte, die Leute würden

denken ich wäre Muslima!

VERBOTENE LIEBE „BALKAN EDITION“

Nicht nur auf die Wortwahl ist laut des Vorzeige-Kroaten zu

achten, du darfst auch auf keinen Fall „den Feind“ daten

oder noch schlimmer: heiraten. Sonst ginge ja unser heiliges

Christentum auf dem Balkan früher oder später vor die

Hunde und dein Mann würde dich sowieso zum konvertieren

zwingen (Bosniaken sind meist Muslime, Kroaten Katholiken

und Serben serbisch orthodox).Schön auf dem patriotischen

Pfad bleiben ist die Devise, zumindest versucht man mir das

seit ich denken kann einzubläuen. So haben sich zum Beispiel

viele meiner Bekannten von ihren muslimischen/

orthodoxen Partner:innen getrennt. Der Beweggrund

dafür ist in den meisten Fällen der Druck der

Eltern, die diese Liebe nicht akzeptieren wollen.

KLEINE ABER BEKLOPPTE VERBESSERUNGEN

Selbst bei Musik hört dieses faschistische Herumgemaule

nicht auf. Im Auto läuft ein Song von Šaban Šaulić. Ich singe

vollen Herzens mit, freue mich meines Lebens und genieße

die Musik. Meine Bekannte singt ebenfalls mit, macht aus

„lepo“ aber „lijepo“ (lepo=schön). Die serbische Aussprache

verändert sie ganz stolz. Sie stülpt dem Originaltext ihre ijekavische,

also die von Kroaten gesprochene Variante über. Aus

Protest wie sie mir später erklärt. Dasselbe erzählt mir ein

Bekannter, der an Wochenenden sein Geld mit Auftritten auf

kroatischen Feiern verdient. Seine Klienten meinen, er solle

alle Songs auf ijekavisch abwandeln und damit die Lieder

für die patriotischen Gäste „angenehmer“ machen. Er sollte

sogar den Song „Djurdjevdan“ von Bijelo Dugme aus dem

Programm nehmen (Djurdjevdan ist ein wichtiger orthodoxer

Feiertag und wird in Serbien gefeiert).

HEY ŽIVOTE, DIE FASCHOS MACHEN MICH MÜDE

Der Nationalismus hat ein ganzes Land zerstört. Er hat

Familien auseinandergerissen, Freundschaft zur Feindschaft

gemacht. Er frisst sich wie ein hartnäckiger Parasit über

Generationen hinweg durch, wir tragen bewusst den Hass

vergangener Konflikte mit uns herum und halten ihn auch

noch voller Stolz am Leben. Wir nehmen jede Gelegenheit

wahr unsere Flaggen zu schwingen und uns in patriotischen

Parolen zu suhlen, ohne unser Verhalten jemals zu reflektieren,

uns zu Fragen: warum trage ich den Hass meiner Eltern

weiter und halte an sinnlosen faschistischen Ideologien fest?

Heute bin ich selbstbewusster, wenn mir jemand die Frage

nach meiner Herkunft stellt. Die Leute sind verwirrt, wenn

sie dann auch noch meinen serbischen Namen hören und

ich ihnen anmerke, sie wissen mich nicht in ihre veralteten

Schubladen einzuordnen. Heute würde ich der Frau an der

Kasse antworten: Ich bin aus Bosnien, habe einen serbischen

Namen und einen kroatischen Pass. Und du so?

// MIT LIFESTYLE SCHARF // 45


KARRIERE & KOHLE

Para gut, alles gut

Von Anna Jandrisevits

FOMO („FEAR OF MISSING OUT“)

WAR GESTERN!

Du willst nach einem langen Tag im Büro beim Yoga entspannen und

für deinen kommenden Barcelona Urlaub dein Spanisch auffrischen?

Du willst zwar, aber es geht sich alles nicht aus – und das schlechte

Wetter motiviert dich auch nicht gerade das Haus am Abend zu

verlassen? No Problemo! Die VHS bietet im Herbstsemester Kurse mit

„Heimvorteil“ an – somit kannst du selbst entscheiden, wo du lernen

möchtest. Denn mit dem Heimvorteil der VHS kannst du daheim oder

auch mobil von unterwegs aus an einer Kurseinheit teilnehmen. Das ist

nicht nur für dich praktisch, sondern auch für alle die zur Risikogruppe

gehören oder aktuell einfach nicht im Kursraum lernen möchten.

Alle Infos findest du unter www.vhs.at/heimvorteil

MEINUNG

Toxisch an

der Spitze

Der schönste Job kann zum Albtraum

werden, wenn das Arbeitsklima nicht

stimmt. Besonders hart ist es, wenn

die negative Stimmung von oben

kommt. ChefInnen, die ihre Belegschaft

anschreien, wünscht sich niemand.

Doch schlechtes Führungsverhalten

dürfte keine Seltenheit sein. Zu diesem

Ergebnis kommt eine Studie der Universität

Bielefeld, der Universität Trier und

der Hochschule für Wirtschaft und Recht

Berlin. In 85% der 148 untersuchten

Firmen wurde ein toxischer Führungsstil

festgestellt, in jeder fünften sogar ein

ausgesprochen toxischer. Das schädigt

nicht nur das Betriebsklima, sondern

auch das Unternehmen. Je unzufriedener

die Beschäftigten, desto schlechter

ist die Performance. Wer gestresst, vernachlässigt

oder gekränkt wird, arbeitet

auch nicht gut. Man könnte annehmen,

dass das logisch ist. Deshalb ist es an

der Zeit, dass man Fehlverhalten nicht

nur bei Angestellten sucht, sondern auch

bei ArbeitgeberInnen. Workshops für

die Belegschaft nutzen nichts, wenn die

Führungskultur toxisch bleibt. Und wenn

wir schon dabei sind: Führungskräfte

sind noch immer größtenteils männlich.

Vielleicht könnte man an dem Problem

ansetzen.

jandrisevits@dasbiber.at

DIE 3 BESTEN

LERNMETHODEN

1. Lernen durch Lehren:

Die Methode wird oft im Schulunterricht

verwendet, klappt aber genauso

gut zuhause: Man lernt, indem man

lehrt. Wer sich ein Thema aneignet und

es anschließend jemandem vorträgt,

erinnert sich besser und länger daran.

Falls niemand in der Nähe ist, kann

man sich den Stoff auch selbst vorsagen.

2. Pomodoro-Technik:

Unsere Aufmerksamkeitsspanne ist

für Lernsessions ohne Pausen nicht

gemacht. Wer effektiv lernen will, sollte

die Pomodoro-Technik probieren. Man

lernt für 25 Minuten und macht danach

5 Minuten Pause. Die Einheiten werden

so oft wie nötig wiederholt und funktionieren

am besten mit einem Timer.

3. Gedächtnispalast:

Man stellt sich einen bekannten Ort

bildlich vor, z.B. die eigene Wohnung.

Wer ein Stoffgebiet lernt, packt die einzelnen

Kapitel davon in je ein Zimmer

der Wohnung. Die Fakten zu den Kapiteln

platziert man wiederum an Plätzen

im jeweiligen Zimmer. Das bildhafte

Lernen verbessert das Erinnerungsvermögen.

Loser

des Monats

DONALD TRUMP

Zugegeben: Er verdient den Titel nicht

nur diesen Monat. Aber auch wenn

Donald Trump scheinbar Tag für Tag

seine Inkompetenz als US-Präsident

beweist, sollten wir nicht aufhören,

darüber zu sprechen. Die „New York

Times“ berichtet, dass Trump jahrelang

kaum Steuern bezahlt haben

soll. Dokumenten zufolge habe der

Milliardär 2016 und 2017 nur je 750

Dollar Einkommensteuer auf Bundesebene

bezahlt. Weil mich das ziemlich

sprachlos macht, verweise ich auf

Calla Walsh aus Massachusetts, die

das Ganze in einem Tweet nochmal

zusammengefasst hat: Als 16-Jährige,

die Teilzeit arbeitet und Mindestlohn

bezieht, zahlt sie mehr Einkommensteuern

als der Präsident der Vereinigten

Staaten. Und Trumps Antwort auf

die Vorwürfe: „total fake news“.

© Zoe Opratko, Twitter/CallaWalsh

46 / KARRIERE /


Keine Frage!

Wir kaufen von

österreichischen

Bäuerinnen und

Bauern.

Die Zusammenarbeit mit der heimischen Landwirtschaft ist

McDonald’s ein großes Anliegen. Gemeinsam mit unseren

43 FranchisenehmerInnen, die selbst als UnternehmerInnen

in der Region verwurzelt sind, kaufen wir deshalb bewusst

von über 40.000 Bäuerinnen und Bauern in ganz Österreich.

Das erhöht die Wertschöpfung in der Region und sichert

den Bestand bäuerlicher Betriebe in unserer Heimat.

Wir machen’s und nennen das die McDonald’s Machhaltigkeit.

www.machhaltigkeit.at


Liberale Türken: Edip (link) und Ali (rechts)

Der türkische Verein ATIS will die „anderen“ Türken zeigen.

Biber traf den neuen Präsidenten Ali Eralp und Vorstandsmitglied

Edip Bayizit zum Interview. Ein Gespräch über liberale

Türken und warum die aktuelle Integrationspolitik eine „Katastrophe“

ist. Interview: Delna Antia-Tatić & Naz Küçüktekin, Foto: Franziska Liehl

BIBER: Was man so hört, giltst du als

liberaler Türke. Was sagst du dazu?

ALI ERALP: Ich mag das Wort „weltoffen“

mehr. Aber es stimmt schon. Ich

liebe Wirtschaft und Bildung. Da gibt es

keine Vorurteile. Da zählt nur die Leistung.

Wenn wer etwas gut kann, dann

spielt Geschlecht, Herkunft, Religion und

alles andere keine Rolle.

Kannst du uns ein bisschen was über

dich und deinen Werdegang erzählen?

ALI: Ich bin als Kind einer wohlhabenden

Familie in Istanbul auf die Welt

„Der Ali von damals

hätte es heute

viel schwerer in

Österreich.“

gekommen. Ich wuchs im Reichtum auf,

habe dann aber miterlebt, wie wir alles

verloren haben. Mit sieben Jahren habe

ich gelernt, was es heißt, sehr arm zu

sein. Ironie des Schicksals: Weil ich ein

großer Sportfan bin und durch „Cordoba“

annahm, dass Österreich die nächste

große Fußballnation würde, entschied

ich mich, auf die Österreichische Schule

zu gehen – statt auf die Französische

(lacht). Mit 20 kam ich dann fürs Wirtschaftsstudium

nach Wien. Damals habe

ich drei Gruppierungen wahrgenommen:

Türken, wie ich aus der Türkei, die sich

für meinen Geschmack aber viel zu sehr

isoliert haben. Dann jene Türken, die

hier aufgewachsen sind und dann noch

das restliche Österreich. Ich habe mich

keiner Gruppe angeschlossen.

War es schwierig sich aus diesen

Gruppen rauszuhalten?

ALI: Nein, für mich war es selbstverständlich.

So lernt man auch einiges, z.B.

dass die Griechen doch nicht böse sind

und die Kurden doch manch Vernünftiges

wollen.

Wie nimmt man als Türke, der in der

Türkei aufgewachsen ist, die Türken hier

wahr?

ALI: Ich habe sie im Vergleich zu den

Türken aus der Türkei, die wussten, wo

sie dazugehören, als nicht selbstbewusst

und unsicher wahrgenommen. Aber seitdem

ich vor 25 Jahren in die Berufswelt

eingestiegen bin, hatte ich nicht mehr

viel Kontakt in die türkische Community.

Das ist auch einer der Gründe, wieso ich

bei ATIS eingestiegen und die Präsidentschaft

übernommen habe. Ich vermisse

meine Kultur. ATIS ist eine Brücke zu

meiner Herkunft.

Wie siehst du das Edip?

EDIP BAYIZIT: Ich bin in Izmir geboren.

Mit 13 Jahren kam ich als Kind von

Gastarbeitern nach Wien. Ich erlebe die

Wahrnehmung der Wiener Mehrheitsgesellschaft

gegenüber uns Türken als

herablassend und das finde ich oft nicht

in Ordnung. Über 45 Jahre lebe ich hier,

habe mehrere Firmen aufgebaut und

immer noch heißt es, die Türken seien

ungebildet. Dabei ist der Zugang zu

Bildung niemandem verwehrt und es gilt

für alle gleich, ob Türke, Nigerianer oder

auch Österreicher: Man muss Bildung

nützen. Bei mir hat‘s auch im Gemeindebau

begonnen. Daher würd‘ ich auch

eher sagen, dass der Ali nicht liberal

sondern neo-liberal ist! (lacht und blickt

zu Ali)

Spielt die Herkunft in der Business-Welt

keine Rolle?

ALI: Wenn ich sage: „Ich heiße Ali“, kenne

ich genau die Blicke, die dann kommen.

Darauf könnte ich mich einlassen,

aber das ist Zeitverlust. Im Geschäftsleben

verlieren wir mit solchen Sachen

einfach keine Zeit. Wenn das Gegenüber

das macht, wollen wir mit dem eh nichts

zu tun haben.

48 / KARRIERE /


EDIP: Auf dieses Niveau muss man

aber natürlich erst hinkommen.

(Anm. d. Red.: Edip gründete in den

90er Jahren die Firma WEDCO, die

heute 100 Mitarbeiter beschäftigt

und europaweit tätig ist. Ali ist seit

25 Jahren beim Finanzberatungsunternehmen

FINUM, dort inzwischen

Vorstand und für 80 MitarbeiterInnen

zuständig.)

Wen würdet ihr euch eigentlich als

Koalitionspartner an Michael Ludwigs

(SPÖ) Seite wünschen?

ALI: Ich habe NEOS gewählt. Aber ich

bin nicht so ein Parteityp. Letztes Mal

habe ich GRÜN gewählt. Ich entscheide

mich bei jeder Wahl neu. Warum

NEOS: Das sind die einzigen, die ein

bisschen über Bildung reden. Wenn

wir das verbessern, verbessern wir

Vieles. Aber Politik nervt mich eher.

Es ist eigentlich immer Wahlkampf.

Interessant. Viele Migranten wählen

eher die SPÖ.

EDIP: (Lacht) Ich zum Beispiel. Der

grüne Zusatz würde in Zeiten der

Pandemie und beim Thema Konsum

schon helfen. Ich glaube auch, dass

der grüne Gedanke sich immer mehr

etablieren wird.

Wenn es um türkische Vereine in

Österreich geht, wird oft gleich Islamismus

oder Erdoğan-Nähe in den

Raum geworfen. Wie siehst du das?

ALI: Ich kenne die anderen Vereine

nicht. Ich kenne unseren Verein

ATIS. Aber was bringt einen Verein

zusammen? Eine gemeinsame Ideologie.

Bei uns ist es die, dass wir mit

der Welt integriert sind. Bei uns gibt

es Linke sowie eher rechts orientierte,

Gläubige wie weniger Gläubige,

Aleviten und Sunniten. Wirtschaft

ist bei uns ein großer gemeinsamer

Nenner. ATIS ist ein Verein für

türkische Unternehmer und Industrielle

in Österreich und auch Türken,

die mit Österreich zu tun haben. Mit

dem Verein wollen wir die „anderen“

Türken zeigen.

EDIP: Besser gesagt, wir wollen

„die“ Türken sichtbar machen. Zu mir

sagen Leute oft, ich habe noch nie so

einen Türken wie dich kennengelernt.

Meine Antwort ist dann: Wahrscheinlich

hast du noch keine Türken

kennengelernt.

Was sind ATIS Ziele?

ALI: Unser Hauptziel ist es, die

wirtschaftliche Beziehung zwischen

Österreich und der Türkei zu stärken.

Die Türkei ist ein wichtiger Partner

für Österreich. Da gibt es zwar keine

gute, aber eine sehr intensive Beziehung.

Das muss man auch fördern.

Ich möchte den jungen Leuten zudem

Vorbild sein und zeigen, was möglich

ist. Wenn ich die heutige Zeit

mit damals, als ich vor 32 Jahren

hergekommen bin, vergleiche, dann

sehe ich: Der Ali von damals hätte

es heute viel schwerer in Österreich.

Liberale Menschen verlieren mit der

Zeit oft ihre Zähne. Aber wir müssen

stark bleiben.

Wie siehst du die aktuelle Integrationspolitik?

ALI: Sie ist eine Katastrophe. Wir

hören, dass Little Italy und China

Town in Wien nicht willkommen sind.

Das sind weltweit etablierte Marken.

Da sollte man stolz darauf sein,

sowas in seiner Stadt zu haben. Oder

die Ausschreitungen in Favoriten als

islamistisch zu bezeichnen – das war

Nationalismus. Sie können die Dinge

nicht zuordnen. Anstatt Erfolgsmodelle

zu zeigen, wird ein Feindbild für

die nächsten Wahlen geschaffen.

Was stört euch an dem öffentlich

vermittelten „Bild der Türken“ am

meisten?

EDIP: Es gibt da einen Spruch: „Wenn

ich meinen Bruder nicht mag, ist das

ok. Wenn du meinen Bruder nichts

magst, ist das nicht in Ordnung.“

So ist es auch bei uns Türken. Was

mich stört, ist, dass mit Türken

immer gleich Religion in Verbindung

gebracht wird.

ALI: Mich stört dieses: „Das ist mein

Land“. Es ist Zufall, dass du hier

geboren bist. Ich habe mich aktiv

für dieses Land entschieden. Wer ist

mehr Österreicher, du oder ich?

Was macht einen zum Österreicher?

ALI: Dass man in diesem Land lebt

und Werte schafft. Nicht jeder muss

megaerfolgreich sein, aber auch nicht

das System ausnutzen. Das Prinzip

ist eigentlich immer Vertrauen und

gemeinsame Entwicklung. Wenn es

nicht gemeinsam geht, dann halt

nebeneinander.

Aleks Jobicić

Job?

Fix!

BEZAHLTE ANZEIGE

DIE BERUFSLEBENSKOLUMNE

DES AMS WIEN

„Aleks?“, höre ich neben mir schüchtern

fragen, als ich mir zwischen zwei Terminen

gerade im Supermarkt ein spätes Frühstück

aus dem Kühlregal nehme. Ich dreh mich

herum: eine Frau um die dreißig. Nie gesehen.

Wie ich das hasse.

„Yasmin“, sagt sie leise. „Volksschule.“ Flashback:

Mein dritter Schultag, große Pause, ich

stehe mit nassen Augen am Gang und fühle

mich verloren wie der letzte Mensch. Auf einmal

ist Yasmin da, vier Jahre älter und ziemlich

cool, und legt den Arm um mich. Sie hat auf

mich aufgepasst, ein Schuljahr lang. 20 Jahre

ist das her.

„Yasmin!“ Ich freue mich ehrlich und sprudle

los. „Wie geht’s dir? Arbeitest du in der Nähe?

Was machst du?“ Ich rufe im Büro an und

verschaffe mir Zeit für eine halbe Stunde mit

ihr, mir war das plötzlich wichtig.

Zwei Kaffee später ist mein Enthusiasmus weg.

Yasmin hatte rasch eine Familie gewollt. Mit 17

hat sie geheiratet. Heute hat sie drei Kinder,

nur die Pflichtschule und keinen Tag Berufserfahrung.

„Ich würde gern alles nachholen“,

sagt sie traurig. „Auf eigenen Beinen stehen,

mit eigenem Geld.“ Aber? „Aber ich bin 30

und muss bei Null anfangen.“

Yasmin wird das schaffen, das AMS hilft ihr

beim Lehrabschluss. „Trotzdem blöd!“, sagt

sie plötzlich verärgert und richtet sich auf. „Ich

hätt‘s mir echt leichter machen können.“

Tipp: Eine Familie zu gründen kann schön

sein. Von ihr abhängig zu sein, ist aber

nicht fein. Mach erst mal eine Ausbildung

und ein paar Schritte im Job – darauf

kannst du aufbauen, wenn deine Babypause

vorbei ist. ams.at/biz

/ KARRIERE /


Selbermacher

Ein über 4000

Jahre altes Schönheitsgeheimnis:

Die Aleppo-Seife.

Bei „Noble Soap“

wird Sauberkeit wie

Nachhaltigkeit groß

geschrieben.

Text: Nada El-Azar, Fotos: Eugénie Sophie

Wo

Olivenöl

Lorbeer

küsst

Viele Firmen arbeiten stetig daran,

neue Produkte zu entwickeln, während

unsere Philosophie ganz simpel

ist: Warum schauen wir nicht auf ein essentielles

Produkt zurück, das sich in unserer

Zivilisation schon lange bewährt hat und stellen

es weiter so nachhaltig und natürlich her,

wie es immer gemacht wurde?“, sagt Ahmad

Andoura, Geschäftsführer des Seifenherstellungsbetriebs

‚Noble Soap‘. Spezialisiert hat er

sich auf den Verkauf einer syrischen Naturseife,

die aus Olivenöl und Lorbeeröl besteht.

Ihre Tradition geht bis in das Jahr 2400 vor

Christus zurück, was die sogenannte „Aleppo-

Seife“ zu einer der ältesten Seifen überhaupt

macht. „Diese Seife ist ein über 4000 Jahre

altes Produkt, das unsere gesamte Zivilisation

gestützt hat, ähnlich wie Brot und Wein.“ Das

Besondere an der Aleppo-Seife ist: Die Basis

für die Seife wird in der sogenannten zweiten

Pressung von Oliven hergestellt. Somit kann

die Seife als Nebenprodukt der Olivenölgewinnung

besonders umweltschonend hergestellt

werden.

TRADITIONSREICH UND

WERTEORIENTIERT

Der Wiener Betrieb ‚Noble Soap‘ lässt sich

am ehesten als „Vintage-Start-Up“ beschreiben,

denn er ist in direkter Nachfolge an

jene gleichnamige Firma entstanden, die von

Ahmad gemeinsam mit seinem Vater Nabil

Andoura zwischen Damaskus und Aleppo

im Jahr 1998 gegründet worden war. Bevor

die Produktionsstätten in Syrien im Jahr

50 / KARRIERE /


2012 dem Bürgerkrieg zum Opfer fielen, war

Noble Soap marktführend auf dem Gebiet der

Aleppo-Seife. Heute hat sich die Produktion

in die südliche Türkei verlagert, wo man mit

ortsansässigen Olivenbauern zusammenarbeitet.

Verpackt und etikettiert wird die Seife

in Wien, ganz ohne Plastik. Wie eh und je ist

jedes Seifenstück handgemacht und ist vegan

wie palmölfrei.

EIN INTIMES PRODUKT

„Wann verwenden wir Seife? Wir benutzen

sie, wenn wir an einem sensiblen Ort sind –

im Bad oder unter der Dusche. Das macht

Seife zu einem besonders intimen Produkt“,

so Ahmad Andoura. In manchen Teilen

Syriens ist es verbreitet ein Stück Seife

in einer Holzschatulle an Hochzeitsgäste

zu verschicken. „Das gilt als freundliche

Einladung dazu, sich herauszuputzen und zu

einer Hochzeit zu kommen“, erklärt Ahmad.

Für empfindliche oder von Krankheiten wie

Ekzemen oder Psoriasis betroffene Haut

ist die schonende Aleppo-Seife eine gute

Alternative zu herkömmlichen Duschgels. Das

Olivenöl reinigt sanft die Haut vor schädlichen

Bakterien, während das kostbare Lorbeeröl

antiseptisch wirkt. Im Sortiment von Noble

Soap finden sich neben der klassischen,

geruchlosen Aleppo-Seife noch Varianten

mit Rosenöl, Safran oder Lavendel. Und die

Produktpalette wächst weiter – ein Blick in

den Online-Shop lohnt sich.

Natur pur – Die Aleppo Seife von Noble Soap.

Noble Soap

Schmelzbrückenrampe 6

1150 Wien

www.noblesoap.com

WKO-WIEN HILFT

Im Gründerservice der

WKO-Wien kann man bei

einem Beratungsgespräch

alle Fragen stellen, die die

Gründung eines Unternehmens

betreffen. Im Vorhinein

kann man sich auch

schon eigenständig online

informieren. Ob generelle

Tipps zur Selbstständigkeit,

rechtliche Voraussetzungen,

Amtswege oder

Finanzierungs- und Förderungsmöglichkeiten:

Auf

der Website kommt man

mit wenigen Klicks zu allen

wichtigen Informationen.

wko.at/wien

www.gruenderservice.at

Die Selbermacher-Serie ist

eine redaktionelle Kooperation

von das biber mit der

Wirtschaftskammer Wien.

Jetzt online informieren.

© philipp nemenz/Shutterstock

VON DER IDEE

BIS ZUR GRÜNDUNG

» GRÜNDUNG UND ÜBERGABE

» Basis-Informationen und Tools zur Gründung

finden Sie auf unserer Webseite.

© Randy Faris/Corbis

W www.gruenderservice.at/wien


Junge Menschen haben viel zu

sagen, und zwar in mehreren

Sprachen! Beim Redewettbewerb

„Sag’s Multi!“ teilen Jungtalente

seit 2009 ihre Gedanken auf der Bühne

und bewegen mit mehrsprachigen Reden

das Publikum. Der Wettbewerb fördert

die Mehrsprachigkeit junger Menschen

in Österreich und gibt ihnen die Möglichkeit,

Position zu beziehen – unabhängig

von ihrem Geburtsort, ihrer Nationalität

und ihrer religiösen oder kulturellen

Prägung.

„SAG’S MULTI!“

GOES ORF

Worte bewegen viel. Worte in unterschiedlichen

Sprachen bewegen noch mehr. Das

beweisen junge Sprachtalente im Redewettbewerb

„Sag’s Multi!“ seit mittlerweile

elf Jahren. Nun entwickelt der ORF das

Projekt weiter und bietet der Mehrsprachigkeit

eine landesweite Bühne.

Text: Anna Jandrisevits

BEITRAG ZUR INTEGRATION

Der ORF wird den Wettbewerb in jedem

Bundesland in all seinen Medien begleiten.

„Der Beitrag zur Integration ist einer

der Zukunftsaufträge des Öffentlich

Rechtlichen. Der Vielfalt und Kompetenz

der österreichischen Jugend soll

mit Unterstützung des ORF eine Bühne

geboten werden.“, sagt Generaldirektor

Alexander Wrabetz zu dem Projekt.

Mehrsprachige Jugendliche sind keine

Minderheit. Fast 30% der SchülerInnen

in Österreich haben eine andere Familiensprache

als Deutsch. Gemeinsam

mit SchülerInnen, die im Unterricht

eine Fremdsprache lernen, bilden sie

eine bunte Generation, die die Zukunft

bestimmen werden. Mehrsprachigkeit

sollte nicht als Hindernis betrachtet werden,

sie ist eine Bereicherung.

Im vergangenen Schuljahr haben 585

SchülerInnen aus ganz Österreich Reden

in zwei Sprachen vor dem Publikum

gehalten. Die TeilnehmerInnen wechseln

zwischen Deutsch und ihrer Muttersprache,

oder zwischen Deutsch und einer

erlernten Fremdsprache. „Sag’s Multi!“

macht besonders die Talente von jungen

Menschen aus zugewanderten Familien

sichtbar. Seit 2009 wurden 88 Sprachen

verwendet, unter ihnen Chinesisch,

Sorani, Urdu oder Vlachisch. Die Themen

der Reden sind vorgegeben und variieren

von Jahr zu Jahr. Auch das Leitthema in

diesem Jahr zeigt, wie vielfältig und tiefsinnig

die Jugendlichen ihre Gedanken

äußern können: „Wer, wenn nicht wir?

Wann, wenn nicht jetzt?“

ERMUTIGUNG UND

EMPOWERMENT

Zum zentralen Team für die Umsetzung

des Projekts zählt der Geschäftsführer

© Osman Cetin, VWFI/Niko Havranek

52 / MIT SCHARF /


des Vereins „Wirtschaft für Integration“ Peter Wesely, der

den Redewettbewerb 2009 erfunden hat. Das Gesicht der

Kampagne ist ORF-Moderatorin und Gründungsmitglied

von biber, Eser Akbaba. Für sie ist der Redewettbewerb ein

Herzensprojekt: „Es gibt so viele junge Talente, die neben

Deutsch mindestens eine weitere Sprache sprechen und

die müssen vor den Vorhang geholt werden. Mit „Sag‘s

Multi!“ geben wir jungen Menschen eine Bühne und wollen

sie gleichzeitig empowern. Ich lebe das Projekt und kann

nur sagen: Österreich ist nicht einsprachig!“

Wichtige

Corona-Info

Achtung! Es gibt ein hohes

Corona-Infektionsrisiko.

Bitte informieren Sie sich

über die aktuellen Sicherheitsmaßnahmen.

Informationen

in 17 Sprachen

finden Sie unter:

www.integrationsfonds.at/

coronainfo.

Bleiben Sie gesund.

1 Meter

Pažnja! Postoji velik rizik od

zaraze koronavirusom.

Molimo Vas da se informišete

o trenutnim merama predostrožnosti.

Informacije na

17 jezika možete pronaći na:

www.integrationsfonds.at/

coronainfo. Ostanite zdravi!

Wegen Corona wird „Sag’s Multi!“ in der ersten

Phase digital abgewickelt. Ende Oktober startet die

Online-Nominierungsphase durch die Schulen. Bis

zum 1. Dezember können sich SchülerInnen ab der

7. Schulstufe mit dem Video einer Kurzrede (3–5

Minuten) für die erste Runde qualifizieren. Bis zum

10. Februar 2021 übermitteln die Qualifizierten eine

verlängerte Rede. Die Reden werden auf eine öffentliche

Plattform gestellt und laden über Social Media

zur Auseinandersetzung ein. In jedem Bundesland

bewertet eine eigene Jury nach einem Punktesystem,

die PreisträgerInnen werden in drei, auf Schulstufen

bezogenen Kategorien ermittelt. Zwischen 13. April

und 23. April 2021 treten in den ORF Landesstudios

jeweils 30 TeilnehmerInnen in einer Bundesland-

Finalrunde mit einer neuen Rede vor Publikum und

Jury an. Die besten drei pro Kategorie sind die

Bundesland-SiegerInnen. Der bundesweite Abschluss

ist im Juni 2021 auf ORF III geplant.

Weitere Infos unter www.sagsmulti.at

/ MIT SCHARF /

Korona ile ilgili önemli bilgi

Dikkat! Büyük bir Korona

bulaşma riski mevcuttur.

Güncel güvenlik önlemleriyle

ilgili bilgi edinmenizi rica

ediyoruz. 17 dilde mevcut

bilgilere www.integrationsfonds.at/coronainfo

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KULTURA NEWS

Klappe zu und Vorhang auf!

Von Nada El-Azar

MEINUNG

The Pervert’s Guide

to Emancipation

Konservative Eltern lassen sich mit nur

einem einzigen Satz aus der Ruhe bringen.

Besonders allergisch sind sie auf „Mama,

sobald ich Geld habe, ziehe ich aus!“ oder

„Ich gehe mit einem Freund was trinken!“

– speziell, wenn das aus dem Mund ihrer

Tochter kommt. Hätte man mir vor fünf Jahren

erzählt, dass meine (!) Eltern mir heute

mit dem Aufbau von IKEA Möbeln in meiner

ersten eigenen Wohnung helfen würden und

das auch noch gemeinsam mit einem Typen,

mit dem ich nicht mal verheiratet bin, hätte

ich vor Lachen glatt einen Rückwärtssalto

hingelegt. All die Jahre des Psychoterrors im

Kinderzimmer, der Provokation am Esstisch,

bis hin zu der wirklich ausgedehnten Gruftiphase

und den heimlichen Vodkaflaschen

im Kleiderschrank haben letztendlich doch

dazu geführt, dass meine Mutter mir heute

am Telefon sagt, ich solle „halt nicht zu viel

auf der Party trinken“. In welchem Universum

hätte ich mir das erträumen können?

Emanzipation funktioniert anscheinend auch

generationenübergreifend. Vielleicht schreibe

ich eines Tages ein Selbsthilfebuch für all

die Frauen, die trotz akademischen Titels vor

21 Uhr zuhause sein müssen. Für alle, die so

oft von ihren Eltern angerufen werden, bis

der Handyakku ausgeht und dann erst recht

Ärger dafür kriegen, dass das Handy aus

war. Vielleicht sollte ich auch Mentorings

anbieten? Ich wittere eine Geschäftsidee.

el-azar@dasbiber.at

Webtipp

White Zone

– Die Tage danach

Fast forward um 200 Jahre. Eine Mutter

lebt mit ihren zwei Töchtern in postapokalyptischer

Isolation. Ihre Welt gerät ins

Wanken, als die beiden Töchter an der von

ihrer Mutter geschaffenen Lebenswelt zu

zweifeln beginnen. Das SpielBAR Ensemble

schlägt mit der dystopischen Miniserie die

Brücke vom WorldWideWeb zur Bühne und

gibt damit einen Vorgeschmack darauf,

was im Theater zu sehen sein wird. Mit:

Denise Teipel, Cristina Maria Ablinger,

Monica Anna Cammerlander

Ab 23.10. um 20 Uhr auf dem YouTube

Kanal des Kollektivs: SpielBAR Ensemble

Im Schatten von Bambi:

Felix Salten entdeckt die

Wiener Moderne

Ende 1922 erschien Felix Saltens Tierroman

„Bambi“, der ein Welterfolg wurde. Doch

Salten(1869 – 1945)war mehr als nur der

„Bambi“-Autor. Er war ein einflussreicher

Journalist, Kunstkritiker, Theatergründer,

Mitglied des literarischen Netzwerks Jung-

Wien und darüber hinaus ein bedeutender

Protagonist im kulturellen Leben der Wiener

Moderne. Das Wien Museum und die Wien

Bibliothek im Rathaus widmen Salten zum

75. Todestag eine Ausstellung mit ausgewählten

Stücken seines Nachlasses,

zahlreichen Fotos, Manuskripten und vielem

anderen mehr.

Bis 25. April 2021 im Wien Museum /

Wien Bibliothek im Rathaus

Ausstellungstipp

MAJA VUKOJE

Das Belvedere 21 zeigt eine

umfassende Schau der 1969 in

Düsseldorf geborenen Künstlerin

Maja Vukoje. Neben rund

hundert Arbeiten der letzten

15 Jahre liegt der Schwerpunkt

auf ihrer aktuellen Produktion,

in der Südfrüchte auf „Kolonialwaren“

wie Kaffee und Zucker

und Symbole unseres digitalisierten

Alltags treffen.

Ab 21. November 2020

im Belvedere 21

© Christoph Liebentritt, Christopher Kesting, Olaf Osten, York Tillyer, Roland Krauss/ Bildrecht Wien, Siglind Buchmayer

54 / KULTURA /


Elena Luksch-Makowsky.

Silver Age und Secession

Die Malerin Elena Luksch-Makowsky warum 1900 eine

Brückenfigur zwischen dem russischen und dem Wiener

Jugendstil. Sie stellte in der Secession aus, publizierte

in der Zeitschrift Ver Sacrum und verstand es,

gekonnt in Künstlerkreisen zwischen Wien und Sankt

Petersburg ihre Fäden zu spinnen. Im Anschluss an

die Schau „Stadt

der Frauen“ von

2019 widmet das

Belvedere dieser

entscheidenden

Schlüsselfigur der

Wiener Moderne

eine Einzelausstellung.

Bis 10. Jänner

2021

Brücke zwischen

Österreich und der Welt

Wie kann man Kultur so fördern, dass unsere Gesellschaft globaler

und solidarischer wird? Genau dieser Frage widmet sich die Initiative

„kulturen in bewegung“. Seit 25 Jahren dient sie als wichtiger

kultureller Brückenschlag zwischen Österreich und der Welt. Das

Projekt des Instituts für Internationalen Dialog und Zusammenarbeit

realisiert mit finanzieller Unterstützung der Österreichischen

Entwicklungszusammenarbeit Konzerte, Musik- und Kunstfestivals,

Performanceprojekte, Workshops, Theater und vieles mehr. So

gelang es etwa, den äthiopischen Pianisten Samuel Yirga erstmals

im renommierten Wiener Jazzclub Porgy & Bess gemeinsam mit der

österreichischen Gruppe chuff-DRONE auf die Bühne zu bringen.

Durch die Unterstützung der

Österreichischen Entwicklungszusammenarbeit

konnte

auch der palästinensischösterreichische

Verein YANTE

vier Jahre lang das Community-Tanzprojekt

„I Can Move“

in Palästina umsetzen, um

den dort unter schwierigsten

Bedingungen lebenden Menschen

unter anderem durch

Körperarbeit zu zeigen, wie

man Spannung abbaut.

npo-fonds.at

Weil wir

gemeinsam

das Beste aus

uns herausholen.

ENTGELTLICHE EINSCHALTUNG

Der NPO-Fonds unterstützt

gemeinnützige Organisationen.

Unsere Gesellschaft braucht

dieses Engagement.

Foto: © Lieve Boussauw / Jeunesse – Musikalische Jugend Österreichs

Mit dem NPO-Fonds konnten bisher bereits rund 6.000 Vereine und Organi

sationen aus den Bereichen Sport, Kunst und Kultur, Umweltschutz oder

auch Soziales in der Corona-Krise unterstützt werden. Insgesamt stehen

700 Millionen Euro zur Verfügung. Anträge sind bis Ende 2020 möglich.

Sichern auch Sie sich rasche und einfache Hilfe für Ihren Verein!

Alle Informationen dazu auf www.npo-fonds.at


Shadow

Citizens

Die Kunsthalle Wien

MuseumsQuartier zeigt

in Kooperation mit

dem Österreichischen

Filmmuseum und der

Viennale eine Ausstellung

über den serbischen

Filmemacher Želimir Žilnik.

Die Ausstellung ‚Shadow Citizens‘ gibt

einen Einblick in das Werk des 1942

in Novi Sad geborenen Regisseurs

Želimir Žilnik. Seit seinen Anfängen in

der jugoslawischen Amateurfilmszene

hat er über 50 Filme und Fernsehproduktionen

gedreht. Zu großer internationaler

Bekanntheit verhalf ihm sein

Langfilmdebüt „Frühe Werke“, das

1969 auf der Berlinale mit dem Goldenen

Bären ausgezeichnet wurde. Der

Film handelt von einer Gruppe junger

Studenten, die beflügelt von den 68er-

Student*innenprotesten in Belgrad

aufs Land fährt, um die dort lebenden

Arbeiter und Bauern wachzurütteln.

Žilnik bildet auf eine nüchterne, aber

auch komische Art die Lebensrealitäten

SHADOW CITIZENS

ZU SEHEN AB 24.

OKTOBER IN DER

KUNSTHALLE WIEN

MUSEUMSQUARTIER.

im Jugoslawien der 60er-Jahre ab und

wehrt sich dagegen, einen sozialistischen

Helden zu zelebrieren. Anfang der

70er-Jahre gab es deshalb zunehmend

Widerstand und sogar Verbote der Filme

der sogenannten „Schwarzen Welle“

(Crni Val) – dem Genre, in dem Žilnik zu

verorten ist. Die Bezeichnung „Schwarze

Welle“ entstand aus einem Versuch der

Tito-Regierung Filme, die die jugoslawische

Gesellschaft kritisch reflektierten,

zu diffamieren.

NEUAUFLAGE MIT BESONDEREM

SCHWERPUNKT

Žilnik prognostizierte in seinem Filmschaffen

reale Entwicklungen wie den

Zerfall Jugoslawiens, den Übergang

vom Sozialismus zu einer neoliberalen

Ordnung und den Verlust von

Arbeitnehmer*innenrechten auf prophetische

Weise. Kuratiert ist die Ausstellung

von WHW (What, How &for Whom/

WHW: Direktorinnen der Kunsthalle

Wien: Sabina Sabolović, Nataša Ilić, Ivet

Ćurlin), die im vergangenen Jahr die Leitung

der Kunsthalle übernommen haben.

Bei der Ausstellung handelt es sich um

die Neuauflage einer 2018 entwickelten

Schau, die in der Galeria Nova in

Zagreb gezeigt wurde. Erweitert wird das

Programm durch einen von Ana Janevski

kuratierten Forschungsstrang über

den sogenannten Amateur-Kinoklub, wo

Žilnik sein Handwerk erlernt hatte.

UMFANGREICHE SCHAU DES

ŒUVRES

Der Titel „Shadow Citizens“ soll Žilniks

jahrzehntelange Bemühung widerspiegeln,

den Blick auf unsichtbare,

unterdrückte, und unterrepräsentierte

Teile der Gesellschaft zu lenken. Das

ausgedehnte Filmprogramm wird vor Ort

sowohl in der Kunsthalle Wien MuseumsQuartier,

als auch im Rahmen der

Viennale (22. Oktober – 1. November),

und im Programm des Österreichischen

Filmmuseums (Jänner 2021) gezeigt.

Vom Frühwerk bis hin zu den weniger

bekannten Fernsehproduktionen aus den

80er Jahren und dem jüngsten Langfilm

„The Most Beautiful Country in The

World“ (2018) ist alles dabei.

@ Zelimir Zilnik

56 / KULTURA /


KOLUMNE

Ich bin ein Syrer. Aber eigentlich bin ich Albaner.

Aber vielleicht bin ich Türke.

Robert Herbe

Vor einer Woche war ich mit Freunden bei einem

syrischen Bekannten und seiner Familie zum

Essen eingeladen. Nach dem üppigen und

bunten Abendessen servierte er uns eine

Nachspeise mit Mokka. Ich naschte ein kleines

Stück Baklava und eine langsam wachsende

Enttäuschung bahnte sich in meinem Inneren

an. Es schmeckte zu süß und fast faulig. „Das

hast du sicher beim Türken gekauft, oder? Das

ist keine Baklava! Wer noch keine Baklava aus

Damaskus gegessen hat, hat die Hälfte seines

Lebens verloren!”, protestierte ich. Unser Gastgeber

schaute mich kurz nachdenklich an, lächelte

spöttisch und sagte: „Ich habe diese Baklava

direkt aus Damaskus geschenkt bekommen.”

Dann zeigte er mir die Verpackung mit der Aufschrift

eines Spezialitätengeschäftes in Damaskus.

Nach dem Abend blieb mir eine Frage für einige Tage

im Kopf hängen: Warum hat der Heimatort für mich und für

viele Menschen, die ihre Heimat verlassen mussten, einen

Stellenwert, der fast ideal und heilig ist?

Als ich vor sechs Jahren nach Österreich kam, dachte

ich jeden Tag in der Früh an Damaskus. Ich litt an einer

Krankheit namens Sehnsucht. Ich wusste nicht, dass ein

Exilmensch so viel an seine Heimat, die man ihm verboten

hat, denken kann. Wenn mich damals jemand gefragt

hat: „Willst du zurück nach Syrien gehen, wenn der Krieg

vorbei ist?”, war meine Antwort eindeutig: “Ja.” Und jedes

Mal, wenn ich mit meiner Familie in Damaskus telefonierte,

haben sie meine Wünsche zurückzukehren heftig und verständnislos

kritisiert: „Was willst du da machen? Alle jungen

Männer sehnen sich danach auszuwandern und diese Hölle

zu verlassen und du willst zurück?”

Flucht und Migration sind eine uralte Realität, über die

unzählige Romane, Gedichte und Odysseen geschrieben

wurden. Als ich noch in Syrien lebte, traf ich täglich auf

Menschen mit Flucht- oder Migrationshintergrund. Aus heutiger

Sicht irritiert mich meine damals fehlende Sensibilität

und mein geringes Verständnis für diese Menschen. Syrien,

wie es die amerikanische Sozialanthropologin Dawn Charry

bezeichnet, ist ein Asylstaat. In Syrien leben seit Generationen

Circassianer, Albaner, Griechen, Armenier, Somalier,

turjman@dasbiber.at

Jad Turjman

ist Comedian, Buch-

Autor und Flüchtling

aus Syrien. In seiner

Kolumne schreibt er

über sein Leben in

Österreich.

Iraker und Palästinenser. Ich habe mich mit dem

Leben dieser Menschen nie bewusst auseinandergesetzt.

Es schien mir, dass es niemanden

interessieren würde, über das Thema Heimat,

Exil oder Zugehörigkeit zu reden. Im Nachhinein

finde ich das schade. Aber auf der anderen

Seite erlebte ich in Damaskus nie eine Integrationsdebatte

oder überhebliche Anpassungsanforderungen

an eine bestimmte Kultur. Damaskus

und Syrien waren ein Mosaik-Kunstwerk. Die

Armenier z. B. pflegen sorgfältig das Erlernen

ihrer Sprache und ihrer Traditionen und sie sind

mittlerweile bewundernswerterweise ein Teil von

Syrien. Mein 98-jähriger Opa hat mir bei unserem

letzten Telefonat offenbart, dass sein Großvater

aus Albanien stammte. Er war im Ersten Balkankrieg

(1912/1913) nach Syrien geflohen. Und jetzt lebe ich,

sein Ururenkelkind, in Österreich und fühle mich beheimatet.

Vielleicht ist mein Uropa selbst aus Syrien gewesen

und wurde von den Osmanen zwangsweise zum Krieg nach

Europa mitgeschleppt? Immerhin war Syrien 400 Jahre lang

Teil des Osmanischen Reiches.

Wenn ich heute gefragt werde: ”Willst du zurück nach

Syrien, wenn keine Gefahr mehr für dich besteht?”, komme

ich ins Zögern. Meine emotionale Verbindung mit dem Land

hat sich langsam abgeschwächt. Ich wüsste nicht, was ich

dort machen würde. Mein Leben ist jetzt in Österreich. Meine

Freunde, Arbeit und Zukunft sind da. Ich denke, wenn ich

wieder nach Syrien muss, wäre das für mich eine erneute

Flucht.

Ich weiß auch nicht, wie ich Heimat definieren kann. Es

gibt viele Sätze, die besagen, was Heimat ist. Ich bin aber

der Überzeugung, dass wir Heimat nicht mit einem Aspekt,

Wort oder Gefühl beschreiben können. Wenn ich an Heimat

denke, flimmern vor meinen Augen verschiedene Bilder:

meine Mutter, mein erstes Fahrrad, der Duft von Jasmin;

aber auch der See in Mattsee, mein österreichischer Bruder

Moritz und die deutsche Sprache.

Ich fühle mich weder wie ein Syrer noch wie ein Österreicher.

Vielleicht fühle ich beides. Keine Ahnung. Aber ich

fühle mich auf jeden Fall wie ein Erdbewohner mit menschlichem

Hintergrund.

/ MIT SCHARF / 57


10.000 KM

DURCH

ALBANIEN

58 / OUT OF AUT /


Einst die größte Freiluft-Hanfplantage, heute die

schönsten Strände: Warum Albanien viel mehr zu

bieten hat, als du denkst.

© Franziska Tschinderle

Es sei das neue Griechenland,

erklärt die Reiseführerin Gijikuria

auf Seite 123.Und wer Wiener

Bobos in den letzten Jahren nach

ihrem Sommerurlaub gefragt hat, wird

diese Sicht teilen: Albaniens Riviera

mit ihren ewiglangen Sandstränden ist

als Urlaubsdestination hip geworden.

In der Ex-Yu-Community sorgt das allerdings

nicht selten für Kopfschütteln:

Albanien? Da fährt man doch nur hin,

um dreckige Geschäfte zu machen.

Und genau zwischen diesen Gegensätzen

bewegt sich Franziska Tschinderle:

Die Journalistin hat mit „Unterwegs in

Albanien“ ein Buch herausgebracht,

das weder ein Reiseführer über Traumstrände

sein will noch ausschließlich

die Themenfelder Blutrache und Drogen

abhandelt. Ihr geht es darum, das

kleine Balkanland kennenzulernen –

durch seine Geschichte. Immerhin war

Albanien Jahrzehnte lang vom Rest der

Welt isoliert, über 40 Jahre herrschte

ein kommunistischer Diktator und jede

Religion war verboten. Heute ist das

Land eine Demokratie und möchte Teil

der EU werden, gleichzeitig hat es mit

politischem Stillstand und Abwanderung

zu kämpfen.

Franziska fährt los mit ihrem roten

Golf und die Übersetzerin Aida ist stets

dabei – zusammen sind die beiden

Frauen über 10.000 Kilometer unterwegs

und führen über 100 Interviews

mit Bauern wie Professoren. Biber

findet das Ergebnis der 26-Jährigen

sehr gelungen und druckt drei Passagen

aus ihrem Buch als Appetizer ab.

Es geht um guten Kaffee, den man bitte

im Sitzen und nicht „to-go“ nimmt,

um gegrillten Fisch und stets einer

Pistole im Hosenbund, und natürlich

um Drogen, die in Form von Cannabis

wie Kartoffeln angebaut wurden. Aber

lest selbst!

Hat man eine Autopanne, so wie hier in Poliçan, dann versammelt sich in

kürzester Zeit das halbe Dorf um den Wagen.

ALLES BEGINNT MIT

EINEM ‚KAFE‘

Es scheint, als hätte in Albanien jede

noch so kleine Spelunke eine Espressomaschine,

auch in den entlegensten

Dörfern auf dem Land. Kaffee aus

Automaten, wie man ihn an Flughäfen

bekommt, wären, da bin ich mir sicher,

für jeden Albaner und jede Albanerin ein

Affront – ebenso wie durch die Gegend

hetzende Menschen mit Coffee-togo-Bechern.

Für den ‚kafe‘, wie es im

Albanischen heißt, setzt man sich hin. So

viel Zeit muss sein.

Schnell lernte ich, dass Kaffeetrinken

in Albanien auch eine Form der Vertrauensbildung

ist. Oft tadelte mich Aida für

meine Ungeduld. „Du kannst den Mann

nicht einfach anrufen und erwarten, dass

er dir sofort alles am Telefon erzählt“,

meinte sie nach wenigen Wochen zu mir,

„so läuft das hier nicht. Lade ihn erst mal

auf einen ‚kafe‘ ein.“

Genau das ist in Albanien aber geradezu

unmöglich. Selbst Gesprächspartner,

die sich stundenlang Zeit für einen

nehmen, bestehen darauf, am Ende

die Rechnung zu zahlen. „Wir teilen die

Rechnung nicht“, sagt Evi, eine Hotelbesitzerin,

die ich in Tirana kennengelernt

habe, „denn das ist eine Beleidigung.“

Ismail, mein Vermieter, gab mir gegenüber

einmal zu: „Über das deutsche

‚Zusammen oder getrennt?‘ machen sich

hier alle lustig.“ Selbst Studenten, die

noch bei ihren Eltern wohnen, weil sie

sich keine eigene Wohnung leisten können,

schütteln lachend den Kopf, wenn

man beginnt, in der Hosentasche nach

200 Lek zu graben. Das sind umgerechnet

1,60 Euro und in etwa der Preis für

zwei Macchiatos. „Du zahlst das nächste

Mal“, winkt auch Irdi bei unserem ersten

Treffen ab. Das Problem ist nur: Das

nächste Mal besteht er wieder darauf,

die Rechnung zu begleichen. Das hat

/ OUT OF AUT / 59


Der kommunistische Diktator Enver Hoxha ist auch 35 Jahre nach

seinem Tod allgegenwärtig, auch auf Souvenirs.

übrigens nichts mit Machogehabe zu tun,

auch Frauen machen das.

Die vollen Cafés in Tirana und überall

auf dem Balkan haben auch eine Schattenseite.

Sie sind ein Indikator dafür,

dass die Jugendarbeitslosigkeit bei 27

Prozent liegt. Und noch etwas erzählt der

‚kafe‘ über die wirtschaftliche Situation

im Land: „Viele Kellner“, sagt Blerta,

meine Sprachlehrerin, „haben eigentlich

studiert, sind dann aber in der Gastronomie

hängen geblieben, weil sie keinen

Job finden.“

Zum Meer bin ich

nie gegangen, dafür

brauchte man eine

spezielle Genehmigung.

AN DER ALBANISCHEN

RIVIERA

Heute klafft die Schere zwischen Arm

und Reich in Albanien weit auseinander,

auch an der Riviera. Auf der einen Seite

stehen Besitzer von Luxusresorts und

Fischfarmen, auf der anderen Hirten und

Bauern, die im Hinterland als Selbstversorger

leben. Angjel, der Besitzer des

Luciano, kennt beide Welten. Im Sozialismus

hatte er nichts als ein paar Ziegen,

heute gehöre er zu den größten Steuerzahlern

im Süden, wie er stolz behauptet.

Neben dem Restaurant besitzt er eine

Olivenölfabrik und eine Fischzucht. Aus

Dukat, seinem Heimatdorf, ist er nie

weggezogen.

„Im Leben muss man viel ausprobiert

haben“, sagt Angjel, der jetzt mit

grünem Arbeitsoverall, Strickpullover

und Zigarette in der Hand neben mir

auf dem Flachdach seiner Olivenölfabrik

sitzt, raucht und auf die umliegenden

Hügel blickt. Zur Zeit des Sozialismus

streifte er dort mit seinen Ziegen umher,

bis hinauf auf den Gebirgspass, wo im

Winter Schnee liegt. „Zum Meer bin

ich nie gegangen, dafür brauchte man

eine spezielle Genehmigung“, erinnert

er sich. Nach der Wende wurde Angjel

Fischer. Am Strand von Dhërmi stand

in den Neunzigerjahren die Ruine eines

ehemaligen Feriencamps für Gewerkschaftsmitglieder.

Die Fischer nutzten

das leerstehende Gebäude als Unterstand.

Meze, Angjels Frau, erzählt mir:

„Die Bewohner begannen, meinem Mann

Fisch abzukaufen, und irgendwann fragte

ich ihn: ‚Angjel, warum grillst du ihn

nicht gleich und servierst Rakia dazu?‘“

Also mietete Angjel das Gebäude, oder

60 / OUT OF AUT /

Ein Jahr lang habe

ich mit Pistole im

Hosenbund serviert, weil

die Gegend von Gangs

kontrolliert wurde.

zumindest das, was davon übriggeblieben

war – drei Räume mit zwei Tischen

und einigen Stühlen. „Ein Jahr lang habe

ich mit Pistole im Hosenbund serviert,

weil die Gegend von Gangs kontrolliert

wurde“, erzählt er. Als in Albanien die

Anarchie ausbrach, diente die Küste als

Umschlagplatz für Flüchtlinge, Drogen

und Waffen. Darauf angesprochen, gibt

sich Angjel ahnungslos: „Die Leute stiegen

auf die Boote nach Italien, und ich

grillte meinen Fisch.“

DAS ENDE VON LAZARAT

Es gibt eine weitere Geschichte, die

Aida und ich in Gjirokastra recherchieren

wollen. Es geht um ein kleines Dorf

namens Lazarat, das weltweite Berühmtheit

erlangt hat. Mehr als zehn Jahre

lang wurden in Lazarat illegal hunderte

Tonnen Cannabis angebaut und nach

Westeuropa geschmuggelt. Das Bergdorf

galt als die größte Freiluft-Hanfplantage

Europas. 2014 fand all das ein jähes

Ende: Die Regierung ließ von der Polizei

das Dorf stürmen und viele Bewohner,

die jahrelang vom illegalen Anbau gelebt

hatten, landeten im Gefängnis. Eine

Zeit lang gingen Videos aus Südalbanien

um die Welt: Vermummte Polizisten

posierten neben brennenden Cannabispflanzen.

Dann geriet Lazarat in Vergessenheit.

Wir wollen herausfinden, was aus

dem Dorf geworden ist. Wie leben die

Bewohner heute dort? Wächst dort wirklich

kein einziges Blatt Marihuana mehr?

In Gjirokastra verabreden wir uns mit

einem Polizisten. In Lazarat selbst gibt es

keine Polizeistation mehr. Die Bewohner

haben sie einst niederbrennen lassen,

damals, als das Geschäft mit dem Gras

noch florierte. Der Polizist stimmt einem

Treffen zu, solange wir seinen Namen

nicht nennen. Schließlich sitzt uns ein


Folkloretänze auf dem Tomorr. Männer tragen den

Plis, eine hohe halbrunde Kappe aus weißem Filz.

Mann Anfang 40 gegenüber, Glatze, seit

bald 20 Jahren ist er Polizist, heute ausnahmsweise

nicht in Uniform, sondern in

Zivil. Er trinkt seinen Morgenkaffee und

blickt uns fragend an, fast so, als wüsste

er nicht, warum wir hier sind. „Wir wollen

über Lazarat reden“, erinnert ihn Aida.

Der Mann sieht nicht so aus, als hätte

er große Lust dazu. Dann fängt er doch

an zu sprechen: Über Europas größte

Cannabisplantage – und den Sommer, als

sie in Flammen aufging.

„Wir konnten Lazarat jahrelang nicht

betreten“, beginnt der Polizist, „und

wenn, dann nur mithilfe von Spezialeinheiten.“

Die Bauern dort bauten Gras an

wie andere Kartoffeln. Und die Regierungen,

erzählt uns der Polizist, ließen Lazarat

gewähren – bis zum Juni 2014. ●

International Youth

Media Festival

online

@youki.at

oder

in Wels

© Franziska Tschinderle, Dumont, privat

Franziska Tschinderle:

Unterwegs in Albanien

DuMont Reiseabenteuer

Preis: 18,50 € (A)

16. >>

21. Nov.

2020

@youkiofficial

/ OUT OF AUT /


„Die Leiden des jungen Todor“

Von Todor Ovtcharov

Der Schatzsucher

Du hast keine Ahnung, was für coole

Sachen ich immer finde!“, sagt mir Onkel

Roman. Onkel Roman ist ein Schatzsucher.

Er sucht seine Schätze nicht auf fernen

karibischen Insel, wo spanische Galeone versunken

sind. Er sucht auch nicht nach dem Bernsteinzimmer,

verschollen im zweiten Weltkrieg. Der

riesige Archipel, wo er seine Schätze findet, sind

die Mistkübel in Wien. Onkel Roman sieht gar nicht

schmutzig aus. Wenn man ihn auf der Straße trifft,

könnte man glauben, dass er gerade auf einem

Businessmeeting war. Wenn man ihn sieht, wie er

die Mistkübel durchsucht, macht er es nicht eifrig

und nervös, ganz das Gegenteil. Er kommt mir vor

wie ein Wissenschaftler auf einer archäologischen

Ausgrabung. Er sucht nicht nach weggeworfenen

Pizzastücken, die er essen kann. Onkel Roman ist

ein Schatzsucher. „Du hast keine Ahnung, was für

wertvolle Sachen Menschen wegwerfen!“, sagt

er. In einem Mistkübel hat er ein nagelneues Paar

Jeans gefunden, an dem noch das Etikett vom

Geschäft hängt. Er probiert sie nicht mal an. Er

zeichnet in seinem Kopf das Profil des Menschen,

der diese Jeans weggeworfen hat. Er meint, das

wäre eine Frau, die Jeans für ihren Freund gekauft

hatte und ihn danach beim Seitensprung erwischt

habe. Aus Rache habe sie die Jeans weggeworfen.

Er scherzt, dass es in so einem Moment besser

wäre, die Liebhaberin wegzuwerfen und nicht die

nagelneue Hose. Aber Eifersucht sei nie ein guter

Ratgeber.

Ein anderes Mal fand er ein ganzes Porzellan-

Set aus Meissen, das laut Roman ein ganzes

Vermögen gekostet hätte. Er zeichnet wieder mal

das Profil des Menschen, der dieses Porzellan nicht

gebraucht hatte: Das war jemand, der sein ganzes

Leben lang von seiner bösen Tante unterdrückt

war, aber sie wegen ihres Erbes dulden musste. Die

blöde Tante weigerte sich, endlich abzukratzen und

deshalb schmiss ihr entnervter Erbe ihr Lieblingsporzellanset

in den Müll, nur um sie zu ärgern.

Onkel Roman hat auch ein funktionierendes

Ipad aus der Mülltonne. Er findet es nicht nett, dass

das Ladegerät fehlt. Durch seine Funde erforscht

Onkel Roman das Leben in der Stadt. Während des

Lockdowns im Frühling wurden zum Beispiel deutlich

weniger Bücher weggeworfen. Sonst findet er

zwischen zehn und zwanzig Bücher täglich, zu der

Zeit fand er jedoch nur eins bis zwei.

Mit dem Geld, dass er mit seinen „Schätzen“

verdient, finanziert Onkel Roman seine Kinder, die

rund um die Welt leben. Was sie mit dem Geld

machen? Das weiß Onkel Roman nicht. Onkel

Roman ist ein bisschen verrückt. Für ihn ist das

Schatzsuchen wichtiger als das Leben hier und

jetzt. Ein verrückter Wissenschaftler eben. Wenn

er eine Pause macht, trinkt er billigen Wodka und

spielt auf seiner Gitarre sein Repertoire aus russischen

Romanzen und amerikanischen Spirituals.

Wenn ihr um die Ecke eine raue Bassstimme hört,

die „When the Saints go marching in“ summt, dann

habt ihr den leicht angetrunkenen Onkel Roman

gehört. Und sein Rucksack ist voll mit Schätzen.

62 / MIT SCHARF /


VIENNA BLOOD

PREMIERE IN DREI TEILEN

SA 31. OKT | SO 1. NOV | MO 2. NOV | 20:15

ROBERT DORNHELMS INTERNATIONALE KRIMI-BESTSELLER-VERFILMUNG.

EINE PRODUKTION DES ORF.


„ E-Mobilität ist nicht gut

fürs Klima? Sagt wer?“

100 % ÖKOSTROM AN

1.000 E-LADESTELLEN.

Jetzt

e-mobil

werden

klimaschützen.at

www.wienenergie.at

Wien Energie, ein Partner der EnergieAllianz Austria.

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