28.10.2020 Aufrufe

BIBER 10_20 Ansicht

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

– kein Tschetschene. „Ich weiß, dass

meine Brüder mit allen Lisas und Annikas

Wiens schreiben, und das ist egal, weil

sie Jungs sind. Aber ich will mir nicht

ausmalen, wenn meine Eltern von meinem

Freund erfahren würden.“ Sie will

ihren Freund heiraten. „Auch wenn wir

uns einmal trennen – wir sind ja noch

jung. Aber immerhin weiß er dann, dass

er mich aus dieser Familie herausgeholt

hat“, sagt sie ernst. Mit der Familie zu

brechen, das wäre nur im äußersten

Notfall eine Option – und wie überall, wo

Communities stark vernetzt sind, auch

problematisch.

„UNSERE KULTUR IST ARG

PATRIARCHAL. DAS KANN

NIEMAND VERLEUGNEN."

Bei Zara merkt man schnell, dass dieser

Hass auf tschetschenische Männer aus

ihrer Erziehung verinnerlicht ist. „Tradition

wird bei vielen unserer Männer über

Religion gestellt. Mein Vater ist so einer:

Betet nicht, raucht, betrügt meine Mutter.

Aber wenn ich mich früher als Teenagerin

geschminkt habe, hat er mir ins

Gesicht gespuckt.“ Bis Zara den Hijab –

den sie nie tragen wollte – ablegen konnte,

war es ein langer Kampf. Der Vater

drohte ihr, sie einzusperren. Mit der Hilfe

ihrer Mutter und viel Überzeugungskraft

hat sich Zara im Endeffekt durchgesetzt.

Die Kleiderordnung bei ihr zuhause ist

nach wie vor ein Thema: Jeans werden

bei ihr daheim auch nicht gern gesehen:

„Das Ironische ist: Egal wie kurz mein

Minirock wäre, es ist weniger schlimm,

als eine Hose.“ Dies bekräftigen auch

die anderen Mädchen – manche Regeln

ergeben für sie keinen Sinn. „Unsere Kultur

ist arg patriarchal. Das kann niemand

verleugnen." resümiert Makka.

Das Ironische ist:

Egal wie kurz mein

Minirock wäre, es ist

weniger schlimm, als

eine Hose.

„WIR MÜSSEN DIE

NÄCHSTE GENERATION

ANDERS ERZIEHEN“

Aus unseren Gesprächen geht eines

klar hervor: Alles, was Zara, Makka,

Leyla, Seda und Kadishat an ihrer Kultur

beklagen, ist die verzerrte, patriarchale

Denkweise aus ihrem Umfeld. Somit

drehen sich unsere Gespräche erst recht

hauptsächlich um die Männer: Um die

Denkweise jener Männer, die aufgrund

fragwürdiger Vorbilder und patriarchal

verinnerlichter Strukturen die lautesten

sind. Darunter leiden nicht nur die

tschetschenischen Männer, die diesem

Image null entsprechen – sondern vor

allem die Frauen. Auch in Wien sind sie

nicht in Sicherheit. Was braucht es also,

damit mehr tschetschenische Frauen

wie Madina aufwachsen und nicht

wie Zara, Makka, Seda und Kadishat

vor Sittenwächtern Angst haben? Die

Männer brauchen gute Vorbilder. Es

braucht mehr Aufklärung, mehr Bildung,

mehr Austausch, und vor allem: Es muss

den Frauen endlich zugehört werden.

Was sich diese Frauen für ihre Zukunft

wünschen? Dass sie nicht mehr für jeden

ihrer Schritte verurteilt werden, nur weil

sie Tschetscheninnen sind. Dass auch

ihre Community mit der Zeit geht. Das

resümiert Leyla: „Wir werden diese Freiheit

so nicht mehr erleben. Aber was wir

tun können, ist, unsere Kinder, unsere

Söhne so zu erziehen, dass die nächste

Generation endlich normal aufwachsen

kann.“ ●

Alle Fotos wurden für die Geschichte nachgestellt

– bei den abgebildeten Personen handelt es sich

nicht um die Protagonistinnen aus dem Artikel.

Alle Namen wurden von der Redaktion geändert.

16 / POLITIKA /

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!