Schiller, Hölderlin, Kerner, Mörike ...
Für das Schiller-Nationalmuseum erarbeiten wir zur Zeit ein neues Ausstellungskonzept. Daher sind kurz vor dem Corona-Lockdown im März 2020 vier Schriftsteller – Schwaben von Geburt und Autoren von Weltrang – vorläufig ins Literaturmuseum der Moderne umgezogen. Wir haben Dinge eingepackt, die ihre poetisch besonderen Seiten zeigen: Friedrich Schillers Spiele, Justinus Kerners Tintenklecksbilder und die eigenwilligen Aufschreibesysteme von Friedrich Hölderlin und Eduard Mörike.
Einige dieser Dinge stecken im Museum noch in Umzugskisten und können von den Besucher*innen selbst entdeckt werden. Andere haben wir auf Werkstatt-Tischen ausgepackt, nach Themen sortiert und durch Kommentare vernetzt. Beides – den Inhalt von Schillers Umzugskisten und die vorübergehende Ordnung der Dinge aus seinem Nachlass – haben wir in ein Heft übersetzt, um neugierig auf das reale Museum zu machen und es zugleich für alle auch in den digitalen Raum hinein zu öffnen.
#SchillerFreiSpiel
Für unser Projekt Fehlt Ihnen / Dir Schiller? (gefördert vom Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst Baden-Württemberg im Rahmen des Impulsprogramms „Kunst trotz Abstand“) suchen wir Ihre und Deine Lieblingsexponate. Über eine Mail an uns mit einer kurzen Begründung (museum@dla-marbach.de) freuen wir uns sehr.
1
Schiller s
piele
… eine Interimsausstellung
im Literaturmuseum
der Moderne
Vorab und
zuerst
3
Schiller, Hölderlin, Kerner, Mörike ...
Für das Schiller-Nationalmuseum erarbeiten wir zur Zeit
ein neues Ausstellungskonzept. Daher sind kurz vor dem
Corona-Lockdown im März 2020 vier Schriftsteller –
Schwaben von Geburt und Autoren von Weltrang – vorläufig
ins Literaturmuseum der Moderne umgezogen. Wir haben Dinge
eingepackt, die ihre poetisch besonderen Seiten zeigen:
Friedrich Schillers Spiele, Justinus Kerners Tintenklecksbilder
und die eigenwilligen Aufschreibesysteme von
Friedrich Hölderlin und Eduard Mörike.
Einige dieser Dinge stecken im Museum noch in Umzugskisten
und können von den Besucher*innen selbst entdeckt werden.
Andere haben wir auf Werkstatt-Tischen ausgepackt, nach
Themen sortiert und durch Kommentare vernetzt. Beides –
den Inhalt von Schillers Umzugskisten und die vorübergehende
Ordnung der Dinge aus seinem Nachlass – haben wir
nun in ein Heft übersetzt, um neugierig auf das reale
Museum zu machen und es zugleich für alle Besucher*innen
auch in den digitalen Raum hinein zu öffnen.
#SchillerFreiSpiel
Für unser Projekt Fehlt Ihnen / Dir Schiller? (gefördert
vom Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst
Baden-Württemberg im Rahmen des Impulsprogramms „Kunst
trotz Abstand“) suchen wir Ihre und Deine Lieblingsexponate.
Über eine Mail an uns mit einer kurzen Begründung
(museum@dla-marbach.de) freuen wir uns sehr.
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7
Spiele
Schiller s
„Um es endlich auf einmal
herauszusagen, der Mensch
spielt nur, wo er in voller
Bedeutung des Worts Mensch
ist, und er ist nur da
ganz Mensch, wo er spielt.“
Eines der berühmtesten
Schiller-Zitate stammt aus
den 1794 veröffentlichten
Briefen Über die ästhetische
Erziehung des Menschen.
Aus Friedrich Schillers
Sicht macht uns die Kunst
frei, weil sie uns bewegt
und verändert, ohne dass
wir die Balance verlieren.
Sie lehrt uns Geist, Seele
und Körper in Einklang
zu bringen. Viele der
Objekte in Schillers Nachlass
thematisieren solche
Bewegungs- und Gleichgewichtsübungen.
Schiller sprach und spielte
seine Texte beim Schreiben:
„Wenn er dichtete, brachte er
seine Gedanken unter Stampfen,
Schnauben und Brausen zu
Papier“, will ein Zeitgenosse
beobachtet haben. Man sieht
diesen Körpereinsatz Schillers
erhaltenen Handschriften an.
Er korrigierte seine Dramen
so lange, bis sie für ihn
gut spielbar waren.
zwei Seiten aus einer von einem
Schreiber schon ins Reine geschriebenen
Fassung der Piccolomini,
in der Schiller noch einmal heftig
korrigierte. Das „Gut, daß Ihrs
seid, daß wir Euch haben! Wußt ichs
doch, / Graf Isolan bleibt nicht
aus, wenn sein Chef / Auf ihn gerechnet
hat“ ersetzte er durch das
einprägsame und symmetrisch gebaute
„Spät kommt Ihr – – Doch Ihr
kommt! Der weite Weg, / Graf Isolan,
entschuldigt Euer Säumen“. Eine
Tisch-Szene spitzte er ebenfalls
symmetrisch zu: „Alles ist in
Bewegung, Spielleute und Terskys
Regiment ziehen über den Schauplatz
um die Tafel herum. Noch ehe sie
sich ganz entfernt haben, erscheint
Max Piccolomini, ihm kommt Terzky
mit einer Schrift, Isolani mit
einem Pokal entgegen. Beide haben
die Servietten vor.“
9
der kleinste erhaltene Schiller-
Manuskript-Schnipsel, kommascharf
ausgeschnitten: „seines,“
Weil Schiller seine Manuskripte
meist weggeworfen
hat, sobald er einen Text
veröffentlicht hatte, sind
sie selten und nach seinem
Tod begehrte Andenken.
Schillers Familie
zerschnitt sogar Blätter.
… ebenso wie seine Locken und
Schreibfedern …
Heute geben diese Schnipsel
Einblick in die Besonderheiten
von Schillers Texten.
Sie zeigen, wie er Material
suchte, sammelte und ordnete.
11
Für den Wilhelm Tell schrieb
Schiller aus Büchern Stichworte
zur Schweiz ab wie „weiße
Berglilien und purpurfarbene
Alprosen“, „Schneeberge verglichen
mit einer diamantenen Krone –
Glas – grünblauschimmernd“, „Berge
sind Erdwogen“ und „milchweißes
Firnwasser“. Aus Letzterem
machte er im fertigen Drama eine
synästhetische Wahrnehmung:
„Sein Auge trinkt der Gletscher
Milch“.
Für Die Malteser (ein geplantes
Drama über den Widerstand der
Ordensritter von Malta gegen die
osmanischen Belagerer) führte
Schiller Listen mit Figuren, Handlungselementen
und Motiven wie
„21. Ein Chor von idealistischem,
ein andrer von Realistischem
Innhalt. Die Macht und Herrschaft
des Gedankens“.
Schiller selbst sammelte
Handschriften als Quellen für
seine Texte.
Alte Handschriften dürften
Schiller auch ästhetisch
fasziniert haben: Sie zeigen
halbe, ganze und ineinander
verschlungene Schlangenlinien
und damit jene Linienart, die
er in einem Brief an seinen
Freund Körner gezeichnet hat,
um diesem zu demonstrieren,
was er selbst als schön, weil
frei empfinde. Für ihn sind
Schönheit und Freiheit
wie das Spiel „Veränderung
aus Bewegung“.
für Das Lied von der Glocke
historische Zeichnungen
von Gussformen.
Schillers Anmerkung in seinem
Exemplar von Immanuel Kants
Kritik der Urteilskraft.
im Februar 1793: „Folgende Linie
aber ist eine schöne Linie,
oder könnte es doch sein, wenn
meine Feder beßer wäre“
13
Besondere Manuskripte
verschenkte Schiller
an Freunde.
an Christian Gottfried Körner
den (wie in der Poetik des Aristoteles
gefordert) musterhaft
in fünf Akte gegliederten Plan des
Don Carlos („Bauerbacher Plan“)
Einige der Gegengeschenke
haben sich ebenfalls erhalten
und zeigen, wie
Schillers Freundeskreis mit
den Spannungen zwischen
Geist und Körper, Poesie
und Alltag spielte.
15
Christian Gottfried Körner und seine
Schwester Dora schenkten Schiller
ein mit Terpsichore und Erato
(den Musen des Tanzes und der Liebeslyrik)
verziertes Behältnis für
Zahnstocher und einen mit Hygieia
(der Göttin der Medizin) bemalten
Schlafrockknopf.
Klick
zur
Transkription
an Johann Wolfgang Goethe das
Rätselgedicht Das Berglied
Johann Wolfgang Goethe schickte
1795 per Post ein Briefchen mit
Stecknadeln, die Schiller als „Symbole
von Gewißensbißen“ interpretierte
– Goethes Antwort: Er könne die
„symbolischen Nadeln gesund brauchen
und verlieren“.
17
Schiller selbst nutzte nicht
nur in seinen literarischen
Texten und Briefen, sondern
auch bei Schmuck-, Kleidungsund
Einrichtungsstücken
die Doppeldeutigkeiten von
Gegenständen: Man kann
sie als Zeichen symbolisch
oder aber als Dinge konkret
verwenden, sie haben ästhetische,
aber auch wirkliche
Folgen, lassen sich mit
Bedeutungen extrem aufladen,
aber auch als bloßes
Spiel ironisch belächeln.
Ring und Tintenfass mit dem Kopf
des „Dichter-Urvaters“ Homer ...
19
... Ring mit einem Satyr, den Schiller
auf der Flucht von Stuttgart nach
Mannheim getragen haben soll, wo er
sich u.a. auf einem Bücherleihschein
als „Dr. Ritter“ ausgab ...
... vermutlich eigenhändige Zeichnung
eines Pferdes, das sein Reiter am
langen Zügel gehen lässt – Schiller
soll immer dann, wenn ihm nichts
einfiel, „Rössel“ gemalt haben.
Brief an seinen Freund Körner, in
dem Schiller zwölf Tage im Februar
1782 mit zwölf Gedankenstrichen
inszeniert hat: „diese 12 Tage ist
eine Revolution mit mir und in
mir vorgegangen, die dem gegenwärtigen
Briefe mehr Wichtigkeit gibt,
als ich mir habe träumen laßen –
die Epoche in meinem Leben macht“.
Die Folge: „Ich kann nicht mehr
in Mannheim bleiben. In einer unnennbaren
Bedrängniß meines Herzens
schreibe ich Ihnen meine Besten.
Ich kann nicht mehr hier bleiben.
Zwölf Tage habe ichs in meinem
Herzen herumgetragen, wie den Entschluß
aus der Welt zu gehn.
Menschen, Verhältniße, Erdreich und
Himmel sind mir zuwider. Ich habe
keine Seele hier, keine einzige
die die Leere meines Herzens füllte,
keine Freundin, keinen Freund.“
Die Spannungen zwischen Denken und
Fühlen, Geist und Körper sind
auf das Engste mit der literarischen
Gattung verknüpft, die Schillers
Ruhm begründet hat: der Tragödie.
Der antike Philosoph Aristoteles
schrieb der Tragödie eine wichtige
soziale Wirkung zu, weil sich
die Zuschauer durch das ästhetische
Durchleben von Gefühlen wie
Trauer und Angst gerade von diesen
Erregungszuständen reinigten. Der
ausgebildete Mediziner Schiller
interessierte sich besonders für
die körperlichen Dimensionen dieser
„Katharsis“. Er promovierte über
die heilende Wirkung des Fiebers,
zeichnete als Schüler die eigene
linke Hand mit roter Kreide, wärmte
seine Hände an Keramikstäben aus
dem Ofen, kurierte sein Kopfweh mit
21
einziges erhaltenes Rezept des
Arztes Schiller – ein stark
dosiertes Brechmittel: drei Gran
Brechweinstein zu lösen in
vier Unzen heißem Wasser, davon
sogleich die Hälfte nehmen.
In einer Selbstrezension der
anonym erschienenen Räuber 1782
schrieb Schiller über sich:
„Er soll ein Arzt bei einem wirtembergischen
Grenadier-Bataillon
sein […]. So gewiß ich sein
Werk verstehe, so muss er starke
Dosen in Emeticis [Brechreiz
Erregendem] eben so lieben als
in Aestheticis, und ich möchte
ihm lieber zehen Pferde als
meine Frau zur Kur übergeben.“
Hilfe eines roten Tuchs, das er
sich um den Kopf wickelte, damit
der Druck und die Farbe die Durchblutung
förderten, wählte die
Dose mit dem reinigenden Schnupftabak
als sein Erkennungszeichen
und kokettierte als junger Schriftsteller
damit, dass seine Texte
ästhetische Rosskuren seien.
23
Schillers Texte und Dinge, die
wir als bedruckte Plexiplatten
in Umzugskistengepackt haben –
auf den 47 Plattenhüllen finden
sich jeweils die Kommentare. >>
Schiller
erienedicht
S 1
25
Der 11-jährige Schiller bedankt sich 1771
bei Georg Zilling, seinem Lehrer an der
Ludwigsburger Lateinschule, für die
Herbstferien auf Latein und mit einer
Pferde-Metapher:
O mein Dekan, den ich wie keinen jemals verehre,
Höre mit heiterer Stirn nun auch den Dank noch von mir,
Dass Du uns die Möglichkeit gabst, von Studium und Arbeit
Auszuruhn […].
Öfters pflegten die Musen, wenn Plektrum und Kithara ruhten,
Blüten von Veilchen und Ros’ bunt zu vermengen im Spiel.
[...]
Recht der Natur, dass der Nacken vom Joch nach der Ernte befreit wird,
So wie der Reiter dem Pferd lockert die Zügel im Sieg.
S1
27
Schiller
notenverwi
cklung
S 2
29
Transkription einer Doppelseite
aus dem im April 1783 entworfenen
„Bauerbacher Plan“ zu
Don Carlos:
II. Schritt. Der Knoten verwikelter. A. Karlos Liebe nimmt
zu — Ursachen: 1. Die Hinderniße selbst. 2. Gegenliebe der
Königin, diese äußert sich, motivirt
sich: a. Aus Ihrem zärtlichen Herzen
dem ein Gegenstand mangelt. α Philipps
Alter, Disharmonie mit ihrer
Empfindung. β Zwang ihres Standes.
b. Aus ihrer anfänglichen Bestimmung
und Neigung für den Prinzen. Sie
nährt diese angenehme Erinnerungen
gern. c. Aus ihren Äußerungen in Gegenwart
des Prinzen. Inneres Leiden.
Furchtsamkeit. Antheil. Verwirrung.
d. Einer mehr als zu erwartenden Kälte
gegen Dom Juan, der ihr einige Liebe
zeigt. e. Einigen Funken von Eifersucht
über Karlos Vertrauen zu der
Prinzeßin von Eboli. f. Einigen Äußerungen in geheim. g.
Einem Gespräch mit dem Marquis. h. Einer Szene mit
Karlos. B. Die Hinderniße und Gefahren wachsen. Dieses
erfährt man 1. Aus dem Ehrgeiz der Rachsucht des verschmähten
Dom Juan. 2. — einigen Entdekungen die die
Prinzeßin v. Eboli macht. 3. — ihrem Einverständniß mit
jenem. 4. — der immer wachsenden Furcht und Erbitterung
der Grandes, die vom Prinzen bedroht
und beleidigt werden. Complott
derselben. 5. Aus des Königs Unwillen
über seinen Sohn, und Bestellung der
Spionen. III. Schritt. Anscheinende
Auflösung, die den Knoten noch mehr
verwikelt. A. Die Gefahren fangen an
auszubrechen. 1. Der König bekömmt
einen Wink, und geräth in die heftigste
Eifersucht. 2. Dom Karlos erbittert den
König noch mehr. 3. Die Königin
scheint den Verdacht zu rechtfertigen.
4. Alles vereinigt sich den Prinzen und
die Königin strafbar zu machen. 5. Der
König beschließt seines Sohnes Verderben.
B. Der Prinz scheint allen Gefahren zu entrinnen. 1.
Sein Heldensinn erwacht wieder und fängt an über seine
Liebe zu siegen. 2. Der Marquis wälzt den Verdacht auf
sich, und verwirret den Knoten aufs neue.
S2
31
33
Schiller
Mehrfach-
noten
S 3
35
Friedrich Schillers Plan zu Das Schiff, 1798
oder 1803/04. Mit Überlegungen zum punctum
saliens, zum ‚springenden Punkt‘ eines Dramas.
Die Aufgabe ist ein Drama, worinn alle interessante Motive der
Seereisen, der außereuropäischen Zustände und Sitten, der
damit verknüpften Schicksale und Zufälle geschickt verbunden
werden. Aufzufinden ist also ein Punctum saliens (Landen und
Absegeln. Sturm. Seetreffen. Meuterei auf dem Schiff. Schiffjustiz.
Begegnung zweier Schiffe. Scheiterndes Schiff. Ausgesezte
Mannschaft. Proviant. Waßereinnehmen. Handel. Seecarten,
Compass, Längenuhr. Wilde Tiere, wilde Menschen.) aus dem alle
sich entwickeln, um welches sich alle natürlich anknüpfen laßen,
ein Punkt also, wo sich Europa, Indien, Handel, Seefahrten, Schiff
und Land, Wildheit und Kultur, Kunst und Natur, etc darstellen
läßt. Auch die Schiffsdisciplin und Schiffsregierung, der Charakter
des Seemanns, des Kaufmanns, des Abentheurers, des Pflanzers,
des Indianers, des Creolen, müssen bestimmt und lebhaft
erscheinen.
Schiller
3
37
S
S3
Schiller
Diese Brücke, die von Perlen sich erbaut,
Sich glänzend hebt und in die Lüfte gründet,
erlenrücke
Die mit dem Strom erst wird und mit dem Strome schwindet
Und über die kein Wandrer noch gezogen,
Am Himmel siehst du sie, sie heißt - der Regenbogen.
S 4
39
Rätsel-Antwort aus Schillers
Bearbeitung von Carlo Gozzis
Turandot von 1802/03.
Diese Brücke, die von Perlen sich erbaut,
Sich glänzend hebt und in die Lüfte gründet,
Die mit dem Strom erst wird und mit dem Strome schwindet
Und über die kein Wandrer noch gezogen,
Am Himmel siehst du sie, sie heißt der Regenbogen.
Schiller
4
41
Diese Brücke, die von Perlen sich erbaut,
Sich glänzend hebt und in die Lüfte gründet,
Die mit dem Strom erst wird und mit dem Strome schwindet
Und über die kein Wandrer noch gezogen,
Am Himmel siehst du sie, sie heißt - der Regenbogen.
S
S4
Schiller
43
S 5
Luftschiff
Dies leichte Schiff, das mit Gedankenschnelle
Mich durch die Lüfte ruhig trägt,
Sich selbst nicht von dem Ort bewegt,
- Das Sehrohr ist’s, das in die Ferne
Den Blick beflügelt bis ins Land der Sterne.
Rätsel-Antwort aus Schillers
Bearbeitung von Carlo Gozzis
Turandot von 1802/03.
Dies leichte Schiff, das mit Gedankenschnelle
Mich durch die Lüfte ruhig trägt,
Sich selbst nicht von dem Ort bewegt,
— Das Sehrohr ist’s, das in die Ferne
Den Blick beflügelt bis ins Land der Sterne.
Schiller
5
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Dies leichte Schiff, das mit Gedankenschnelle
Mich durch die Lüfte ruhig trägt,
Sich selbst nicht von dem Ort bewegt,
- Das Sehrohr ist’s, das in die Ferne
Den Blick beflügelt bis ins Land der Sterne.
S
S5
Schiller
S 6
Teufels-
rücke
An dem Abgrund leitet der schwindlichte Steg,
Er führt zwischen Leben und Sterben,
Es sperren die Riesen den einsamen Weg
Und drohen dir ewig Verderben,
Und willst du die schlafende Löwinn nicht wecken,
So wandle still durch die Straße der Schrecken,
Es schwebt eine Brücke hoch über den Rand
Der furchtbaren Tiefe gebogen,
Sie ward nicht erbauet von Menschen Hand,
Es hätte sichs keiner verwogen,
Der Strom braust unter ihr spat u: früh,
Speit ewig hinauf und zertrümmert sie nie.
Berglied, von Schiller an
Goethe zum „Dechiffrieren“
geschickt, der darin die
Teufelsbrücke am
Sankt-Gotthard-
Pass erkannte.
Zurück
zum
Werkstatttisch
Schiller
6
49
S
S6
Punkt-
Schiller
51
os
S 7
Die letzten Verse, die Schiller kurz vor seinem
Tod am 9. Mai 1805 geschrieben haben soll --
ein Monolog der Marfa, der ins Kloster verbannten
Mutter des Demetrius, der ohne Satzzeichen
abbricht:
Ich habe nichts als mein Gebet und Flehn,
Das schöpf ich glühend aus der tiefsten Seele,
Das send ich gläubig in die Himmelshöhen,
Wie eine Heerschaar send ich dirs entgegen,
Heerschaaren send ichs mächtig dir entgegen,
Der Mutter Thränen und der Mutter Seegen,
Das send ich hinauf in alle Himmels Höhen
Send ich wie eine Heerschaar dir entgegen!
Die Thränen alle die ich nächtlich weinte
Schiller
7
53
S
S7
Schiller
chwä
bischeimen
55
S 8
Lebensentwurf des 18-jährigen Schiller,
der sich nur auf Schwäbisch reimt,
eingetragen in das Stammbuch des Schulfreunds
Johann Christian Weckherlin:
Der Artzt, der Dichter, und dein Freund
Auf ewig bleibt mit dir vereint
Schiller
8
57
S
S8
Schiller
59
Schreib
S 9
freiheit
Durchlauchtigster Herzog
Gnädigster Herzog und
Herr, Das Unglük eines
Unterthanen und eines
Sohns kann dem Fürsten
und Vater niemals
gleichgültig seyn. Ich habe
einen schröklichen Weg
gefunden, das Herz meines
gnädigsten Herrn zu
rühren, da mir die
natürlichen bei schwerer
Ahndung untersagt worden
sind. Höchstdieselbe
haben mir auf das strengste
verboten litterarische
Schriften herauszugeben,
noch weniger mich mit
Ausländern einzulaßen.
Am 24. September 1782, zwei
Tage nach seiner Flucht
von Stuttgart nach Mannheim,
entwarf Schiller einen Brief
an den württembergischen
Herzog Carl Eugen.
Ich habe mir geschmeichelt
E.H.D. Gründe von Gewicht
dagegen vorbringen zu
können, und die gnädigste
Erlaubniß erbeten,
Höchstdenenselben meine
unterthänigste Bitte in
einem Schreiben vortragen
zu dörfen. Da mir diese Bitte
bei Androhung des Arrests
verwaigert ward, meine
Umstände aber eine
gnädigste Milderung des
mir gemachten Verbots
höchst nothwendig
machten, so zwang mich
die Verzweiflung, den
izigen Weg zu ergreifen.
Schiller
9
61
S
S9
Poesie-
Schiller
Ich bin Willens, bei meinem neuen Etablissement in Leipzig
einem Fehler zuvorzukommen, der mir in Mannheim bisher sehr
viel Unannehmlichkeit machte. Es ist dieser, meine eigne
Oekonomie nicht mehr zu führen, und auch nicht mehr allein zu
wohnen. Das erste ist schlechterdings meine Sache nicht es
kostet mich weniger Mühe, eine ganze Verschwörung und
Staatsaktion durchzuführen, als meine Wirthschaft, und
Poësie, wißen Sie selbst, ist nirgends gefährlicher, als bei
oekonomischen Rechnungen. Meine Seele wird getheilt,
beunruhigt, ich stürze aus meinen idealischen Welten, sobald
mich ein zerrissner Strumpf an die wirkliche mahnt. Fürs
andere brauch ich zu meiner geheimern Glükseligkeit einen
rechten wahren Herzensfreund, der mir stets an der Hand ist,
wie mein Engel, dem ich meine aufkeimenden Ideen und
Empfindungen in der Geburt mittheilen kann, nicht aber erst
durch Briefe, oder lange Besuche erst zutragen muß. Schon der
nichtsbedeutende Umstand, daß ich, wenn dieser Freund außer
meinen Pfählen wohnt, die Straße passieren muß, ihn zu
ech-
nung
S 10
erreichen, daß ich mich umkleiden muß und dergleichen, tödet
den Genuß des Augenbliks, und die Gedankenreihe kann
zerrissen seyn, biß ich ihn habe. Sehen Sie mein Bester, das
sind nur Kleinigkeiten, aber Kleinigkeiten tragen oft die
schwerste Gewichte im Verlauf unsers Lebens.
63
Am 25. März 1785
schildert Schiller
dem Freund Ludwig
Huber selbstkritisch
sein Verhältnis
zur Realität.
Ich bin Willens, bei meinem
neuen Etablissement in Leipzig
einem Fehler zuvorzukommen,
der mir in Mannheim bisher
sehr viel Unannehmlichkeit
machte. Es ist dieser, meine
eigne Oekonomie nicht mehr
zu führen, und auch nicht
mehr allein zu wohnen. Das
erste ist schlechterdings meine
Sache nicht – es kostet mich
weniger Mühe, eine ganze
Verschwörung und Staatsaktion
durchzuführen, als meine
Wirthschaft, und Poësie,
wißen Sie selbst, ist nirgends
gefährlicher, als bei oekonomischen
Rechnungen.
Meine Seele wird getheilt,
beunruhigt, ich stürze aus
meinen idealischen Welten,
sobald mich ein zerrissner
Strumpf an die wirkliche
mahnt. Fürs andere brauch ich
zu meiner geheimern
Glükseligkeit einen rechten
wahren Herzensfreund, der
mir stets an der Hand ist, wie
mein Engel, dem ich meine
aufkeimenden Ideen und
Empfindungen in der Geburt
mittheilen kann, nicht aber erst
durch Briefe, oder lange
Besuche erst zutragen muß.
Schon der nichtsbedeutende
Umstand, daß ich, wenn dieser
Freund außer meinen 4 Pfählen
wohnt, die Straße passieren
muß, ihn zu erreichen, daß ich
mich umkleiden muß und
dergleichen, tödet den Genuß
des Augenbliks, und die
Gedankenreihe kann zerrissen
seyn, biß ich ihn habe. Sehen
Sie mein Bester, das sind nur
Kleinigkeiten, aber
Kleinigkeiten tragen oft die
schwerste Gewichte im Verlauf
unsers Lebens.
Schiller
10
65
Ich bin Willens, bei meinem neuen Etablissement in Leipzig
einem Fehler zuvorzukommen, der mir in Mannheim bisher sehr
viel Unannehmlichkeit machte. Es ist dieser, meine eigne
Oekonomie nicht mehr zu führen, und auch nicht mehr allein zu
wohnen. Das erste ist schlechterdings meine Sache nicht es
kostet mich weniger Mühe, eine ganze Verschwörung und
Staatsaktion durchzuführen, als meine Wirthschaft, und
Poësie, wißen Sie selbst, ist nirgends gefährlicher, als bei
oekonomischen Rechnungen. Meine Seele wird getheilt,
beunruhigt, ich stürze aus meinen idealischen Welten, sobald
mich ein zerrissner Strumpf an die wirkliche mahnt. Fürs
andere brauch ich zu meiner geheimern Glükseligkeit einen
rechten wahren Herzensfreund, der mir stets an der Hand ist,
wie mein Engel, dem ich meine aufkeimenden Ideen und
Empfindungen in der Geburt mittheilen kann, nicht aber erst
durch Briefe, oder lange Besuche erst zutragen muß. Schon der
nichtsbedeutende Umstand, daß ich, wenn dieser Freund außer
meinen Pfählen wohnt, die Straße passieren muß, ihn zu
erreichen, daß ich mich umkleiden muß und dergleichen, tödet
den Genuß des Augenbliks, und die Gedankenreihe kann
zerrissen seyn, biß ich ihn habe. Sehen Sie mein Bester, das
sind nur Kleinigkeiten, aber Kleinigkeiten tragen oft die
schwerste Gewichte im Verlauf unsers Lebens.
S
S10
öße
Schiller
67
Überett-
Aber der Minna sage doch daß ich
sie herzlich bedaure wegen ihrem
Schlafen, denn wenn Du es in
der Nacht machst wie Huber, so
ligt Dein Kopf immer in ihrem
Bette, und das ist ein verfluchtes
Schlafen, wie ich von mir weiß.
Ueberhaupt bin ich für das Bette
zu groß oder es ist für mich zu
klein, denn eins meiner Gliedmassen
campiert immer die Nacht
über in der Luft.
S 11
Schiller soll 181
Zentimeter groß
gewesen sein - am
5. Januar 1787
schrieb er seinem
Freund Körner:
Aber der Minna
sage doch daß
ich sie herzlich
bedaure wegen
ihrem Schlafen,
denn wenn Du
es in der Nacht
machst wie Huber,
so ligt Dein Kopf
immer in ihrem
Bette, und das ist
ein verfluchtes
Schlafen, wie ich
von mir weiß.
Ueberhaupt bin ich
für das Bette zu
groß oder es ist für
mich zu klein,
denn eins meiner
Gliedmassen
campiert immer
die Nacht über in
der Luft.
Schiller
11
69
Aber der Minna sage doch daß ich
sie herzlich bedaure wegen ihrem
Schlafen, denn wenn Du es in
der Nacht machst wie Huber, so
ligt Dein Kopf immer in ihrem
Bette, und das ist ein verfluchtes
Schlafen, wie ich von mir weiß.
Ueberhaupt bin ich für das Bette
zu groß oder es ist für mich zu
klein, denn eins meiner Gliedmassen
campiert immer die Nacht
über in der Luft.
S
S11
Schiller
Ich bin auf den Bergen, Dresden
zu, herumgeschweift weil es da oben
schon ganz trocken ist. Wirklich
habe ich diese Bewegung höchst
nöthig gehabt, denn diese paar Tage,
auf dem Zimmer zugebracht haben mir,
nebst dem Biertrinken, das ich aus
wirklicher Desperation angefangen
habe, dumme Geschichten im Unterleib
zugezogen, die ich sonst nie verspürt
habe. […] und wenn ich, Motion
halber, in meinem Zimmer springe, so
zittert das Hauß und der Wirth
fragt erschrocken, was ich befehle.
S 12 Zimmer-
gymnastik
71
Schiller seinem Freund Körner:
Am 22. April 1787 schrieb
Ich bin auf den Bergen, Dresden zu, herumgeschweift weil es da oben schon ganz
trocken ist. Wirklich habe ich diese Bewegung höchst nöthig gehabt, denn diese paar
Tage, auf dem Zimmer zugebracht haben mir, nebst dem Biertrinken, das ich aus
wirklicher Desperation angefangen habe, dumme Geschichten im Unterleib zugezogen,
die ich sonst nie verspürt habe. […] und wenn ich, Motion halber, in meinem Zimmer
springe, so zittert das Hauß und der Wirth fragt erschrocken, was ich befehle.
Schiller
12
73
Ich bin auf den Bergen, Dresden
zu, herumgeschweift weil es da oben
schon ganz trocken ist. Wirklich
habe ich diese Bewegung höchst
nöthig gehabt, denn diese paar Tage,
auf dem Zimmer zugebracht haben mir,
nebst dem Biertrinken, das ich aus
wirklicher Desperation angefangen
habe, dumme Geschichten im Unterleib
zugezogen, die ich sonst nie verspürt
habe. […] und wenn ich, Motion
halber, in meinem Zimmer springe, so
zittert das Hauß und der Wirth
fragt erschrocken, was ich befehle.
S
S12
Schiller
S 13
Seelen-
Nur zwey Worte meine Lieben, es ist Posttag
und ich kann ihn nicht vorübergehen
laßen, ohne euch zu grüßen. Der Himmel
ist heute so heiter, und meine Seele ist
es auch - eben dacht ich, wie schön es
wäre, wenn ich nur von einem Zimmer
ins andre zu gehen brauchte, um bey euch
zu seyn. Ach! wenn es erst so weit
seyn wird! Wenn ich jedes aufglimmende
Gefühl meiner Seele sogleich in euer Herz
überströmen kann! Ich vermuthe euch jezt
im Garten, der reine Himmel über euch
und in euch, vielleicht denkt ihr meiner.
Ja ihr denkt an mich - eine leise Ahndung
sagt es mir - unsre Seelen sind einander
gegenwärtig.
iebes-
75
brief
Schiller war zunächst in zwei Schwestern
gleichzeitig verliebt, Charlotte (seine
spätere Frau) und Caroline von Lengefeld.
Am 29. August 1789 schreibt er beiden:
Nur zwey Worte meine Lieben, es
ist Posttag und ich kann ihn nicht
vorübergehen laßen, ohne euch zu
grüßen. Der Himmel ist heute so
heiter, und meine Seele ist es
auch — eben dacht ich, wie schön
es wäre, wenn ich nur von einem
Zimmer ins andre zu gehen
brauchte, um bey euch zu seyn.
Ach! wenn es erst so weit seyn wird!
Wenn ich jedes aufglimmende
Gefühl meiner Seele sogleich in euer
Herz überströmen kann!
Ich vermuthe euch jezt im Garten,
der reine Himmel über euch und in
euch, vielleicht denkt ihr meiner.
Ja ihr denkt an mich — eine leise
Ahndung sagt es mir — unsre Seelen
sind einander gegenwärtig.
Schiller
13
77
Nur zwey Worte meine Lieben, es ist Posttag
und ich kann ihn nicht vorübergehen
laßen, ohne euch zu grüßen. Der Himmel
ist heute so heiter, und meine Seele ist
es auch - eben dacht ich, wie schön es
wäre, wenn ich nur von einem Zimmer
ins andre zu gehen brauchte, um bey euch
zu seyn. Ach! wenn es erst so weit
seyn wird! Wenn ich jedes aufglimmende
Gefühl meiner Seele sogleich in euer Herz
überströmen kann! Ich vermuthe euch jezt
im Garten, der reine Himmel über euch
und in euch, vielleicht denkt ihr meiner.
Ja ihr denkt an mich - eine leise Ahndung
sagt es mir - unsre Seelen sind einander
gegenwärtig.
S
S13
erz-
Schiller
S 14
lumen-
79
schlangen-
linien
Schillers Schreibmappe mit
Kritzeleien, um 1795.
Schiller
14
81
S
S14
Schiller
und-
S 15
Winterherz-
So wie das Eis wieder anfängt
aufzuthauen, geht auch mein Herz
und mein Denkvermögen wieder
auf, welches beides in den harten
Wintertagen ganz erstarret war.
Solang der Winter nun dauert,
bin ich unaufhörlich von einem
Catarrh geplagt, der mich in
der That sehr angreift und fast
allen Lebensmuth ertödet.
83
Am 20. Januar 1805 (wenige Monate vor
seinem Tod am 8. Mai 1805) schrieb
Schiller an seinen Freund Körner:
So wie das Eis wieder anfängt
aufzuthauen, geht auch mein Herz
und mein Denkvermögen wieder
auf, welches beides in den harten
Wintertagen ganz erstarret war.
Solang der Winter nun dauert, bin
ich unaufhörlich von einem Catarrh
geplagt, der mich in der That sehr
angreift und fast allen Lebensmuth
ertödet.
Schiller
15
85
So wie das Eis wieder anfängt
aufzuthauen, geht auch mein Herz
und mein Denkvermögen wieder
auf, welches beides in den harten
Wintertagen ganz erstarret war.
Solang der Winter nun dauert,
bin ich unaufhörlich von einem
Catarrh geplagt, der mich in
der That sehr angreift und fast
allen Lebensmuth ertödet.
S
S15
Schiller
87
chillerschatten
S 161
Zopf, Uniformkragen bis zum Haaransatz
und Spitzenjabot waren Vorschrift:
das früheste Porträt von Schiller, eine
um 1774 in der Karlsschule entstandene
getuschte Silhouette.
Schiller
16
89
S
S16
ot
Schiller
91
S 17
chiller-
Feuerkopf mit
rotblonden Haaren,
geröteten Wangen,
gebogener Nase und
offenem, weit über
die Jacke gelegten
Hemdkragen: ein
seinem an der Karlsschule
als Maler
ausgebildeten
Schulkameraden
Jakob Friedrich
Weckherlin
zugeschriebenes
Schiller-Porträt,
auf 1780 datiert.
Eventuell wurde
das stark übermalte
Gemälde erst im
Nachhinein zu einem
Schiller-Porträt
umgedeutet.
Schiller
17
93
S
S17
Schiller
äuber-
95
porträt
S 18
1783/84 für den Verkauf in Buchhandlungen
entstandene Radierung nach einem Gemälde des
Ludwigsburger Porzellanmalers Friedrich Kirschner,
die Schiller mit Zopf, gebogener Nase und schwerem
Kinn im Profil über einer Szene aus den Räubern
zeigt: „[...] der Kupferstecher hat mir fünfzehn
Jahre mehr auf die Rechnung gesetzt,
als ich mich erinnre, gelebt
zu haben.“
Schiller
18
97
S
S18
Freund-
chafts-
Schiller
S 19
99
eichnung
1787 kurz vor Schillers Abreise aus Dresden entstandene und
als Geschenk für Schillers Schwiegermutter 1790/91 kopierte
Silberstift-Zeichnung von Dora Stock.
Schiller
19
101
S
S19
Schiller
ool
Schiller-
S 20
103
Lässig, mit breitkrempigem Hut
und langer Pfeife auf einem Esel:
Schiller, 1787 gezeichnet von
seinem Freund, dem Maler Johann
Christian Reinhart.
Schiller
20
105
S
S20
Schiller
107
chillerschatten
S 21
Schiller auf einem wohl nach 1805 entstandenen
Scherenschnitt von Luise Duttenhofer.
Mit der rechten Hand hält der Dichter das Buch,
mit der linken klopft er das Versmaß. Eine
nächtlich-romantische Szene? Der Uhu in der Ruine
hört jedenfalls aufmerksam und verwundert zu.
Schiller
21
109
S
S21
Schiller
111
chillerschatten
S 22
„Schiller’s Apotheose“
-- Scherenschnitt von
Luise Duttenhofer nach dem
Vorbild von Danneckers
Schillerbüste entstanden.
Im Kahn wartet schon der
Fährmann Charon, um den
Dichter über den Styx ins
Jenseits überzusetzen,
und die Lyra liegt bereit
– das Instrument, das
der Götterbote und
Seelenbegleiter Hermes
erfunden und seinem
Bruder Apollo, dem
Gott der Poesie, geschenkt
hat. Schiller
liest dieweil noch in
aller Seelenruhe. Seine
Jünger tragen auf dieser
antikisch stilisierten
Himmelfahrt die Schleppe
und halten ihm den
Lorbeer über den Kopf.
Schiller
22
113
S
S22
Schiller-
locken-
Schiller
S 23
os
115
Schiller, 1804 nach einem Treffen mit
Johann Gottfried Schadow in Berlin
von diesem gezeichnet (hier von Horst
Janssen 1975 in eine Radierung
umgesetzt).
Schiller
23
117
S
S23
Schiller
Haus-
S 24
bild
119
Erstmals offenes Haar und die Hand auf
der Tabaksdose: Ein von Schillers
Freund Christian Gottfried Körner bei
dem Dresdner Porträtmaler Anton Graff
1786 in Auftrag gegebenes Porträt in
der Kopie von Dora Stock, die 1794/95
das Bild in Pastell kopierte, damit
Schiller ein Exemplar zu Hause hatte.
Schiller
24
121
S
S24
vorbild
123
Schiller
chiller-
S 25
Der Urvater aller Dichter, Homer,
steht über allem im Hintergrund:
Schiller auf einem Gemälde, das
die Ludwigsburger Jugendfreundin
Ludovike Simanowiz 1793/94 malte.
Schiller
25
125
S
S25
Schiller
127
S 26
Marmorchiller-
locke
Marmorlocke, die Johann Heinrich von
Dannecker angeblich in geistiger Umnachtung
von seiner Schiller-Büste abgeschlagen hat:
„Mit herzlich [sic] Dank für die schöne
Musik / Director v. Dannecker / Stuttgart
d. 20ten Nov / 1838.“
Vermutlich wollte
Dannecker durch
die Reduktion der
Lockenfülle das
Porträt in eine
andere Bildtradition
stellen:
vom lockenköpfigen
Apoll hin zu
Christus mit
strähnigen Haaren.
Schiller
26
129
S
S26
Schiller
131
chillerschatten
S 274
Scherenschnitt, den Dannecker
1805 nach Schillers Totenmaske
als Grundlage für die Arbeit
an der Kolossalbüste fertigte.
Schiller
27
133
S
S27
Schiller
135
chillerschatten
S 28
Schiller offiziell im
„frac à la française“
auf einem anonymen
Scherenschnitt aus den
1790er-Jahren.
Schiller
28
137
S
S28
Schiller
chillereiche
S 29
139
Entfloh’n der Schule bangen Räumen
Las Schiller unter Tannenbäumen
Schiller trägt im Bopserwald bei Stuttgart
den Mitschülern die Räuber vor. Der Mitschüler
Victor Wilhelm Heideloff zeichnete die Szene
zuerst, sein Sohn Karl Alexander variierte sie
dann Mitte des 19. Jahrhunderts mehrfach, ein
Exemplar wird von Justinus Kerner kommentiert:
Sein erstes Schauspiel, das von Moor,
Fünf ihm gefolgten Freunden vor.
Bald bald doch unter deutschen Eichen
Sah man ein ganzes Volk ihm reichen,
Ihm, schon umstrahlt vom Dichterglanz
der deutschen Eiche Siegerkranz.
Schiller
29
141
S
S29
Schiller
S 30
chillerut
143
Lederner Hut, mit herunterklappbaren Seiten
gegen Wind und Regen. Schiller soll ihn
als Karlsschüler getragen haben; bei seinem
Eintritt 1773 wird ein „ordentlicher Hut“
aufgeführt.
Schiller
30
145
S
S30
Schiller
S 31
chilleranzug
147
Zwei von drei in Marbach überlieferten Westen
Schillers und zwei Hosen aus Schillers Besitz.
Schiller
31
149
S
S31
Schiller
S 32
chillersocken
151
Seidene Strümpfe mit um 1800 hochmodischen
Längsstreifen, aus Schillers Besitz.
Schiller
32
153
S
S32
Schiller
S 33
Kostümparty
155
Schärpe, die Alexander von Humboldt 1804 Schiller
aus Brasilien mitgebracht haben soll, der sie
dann -- so wird berichtet -- auf einem Kostümfest,
wohl in Manier der französischen Revolutionäre
als bauschigen Gürtel um die Hüfte geschlungen,
getragen hat.
Schiller
33
157
S
S33
Schiller
S 34
Farbenhantasie
159
Wollschal aus dem Besitz von Schillers Schwester Christophine.
Das auffällige Muster erinnert an ein Phänomen, das Schiller
1797 Goethe schildert: „Ich betrachtete damit [mit einem gelben
Glas] die Gegenstände vor meinem Fenster, und hielt es so
weit horizontal vor das Auge, daß es mir zu gleicher Zeit die
Gegenstände unter demselben zeigte, und auf seiner Fläche
den blauen Himmel abspiegelte, und so erschienen mir an den
hochgelb gefärbten Gegenständen alle die Stellen hell
purpurfarbig [...].“
Schiller
34
161
S
S34
Schiller
Räuber
sein
S 35
Luft holen für
einen langen Atem
– Schiller
spielen
Man nehme dieses Schauspiel für nichts Anderes, als eine
dramatische Geschichte, die die Vortheile der dramatischen
Methode, die Seele gleichsam bei ihren geheimsten
Operationen zu ertappen, benutzt, ohne sich übrigens in
die Schranken eines Theaterstücks einzuzäunen.
Wer sich den Zweck vorgezeichnet hat, das Laster zu stürzen
und Religion, Moral und bürgerliche Gesetze an ihren
Feinden zu rächen, ein solcher muß das Laster in seiner
nackten Abscheulichkeit enthüllen und in seiner kolossalischen
Größe vor das Auge der Menschheit stellen, – er
selbst muß augenblicklich seine nächtlichen Labyrinthe
durchwandern, – er muß sich in Empfindungen hineinzuzwingen
wissen, unter deren Widernatürlichkeit sich seine
Seele sträubt.
163
Ich habe versucht, von einem Mißmenschen dieser Art ein
treffendes, lebendiges Conterfei hinzuwerfen, die vollständige
Mechanik seines Laster systems auseinander zu
gliedern – und ihre Kraft an der Wahrheit zu prüfen.
Übung 1:
Bauch und Lunge /
Luft holen für
einen langen Atem
Schillers erstes und zu
Lebzeiten erfolgreichstes Schauspiel
wird in Gang gesetzt, indem der
hässliche Franz Moor seinen älteren,
schöneren Bruder Karl beim Vater durch
einen gefälschten Brief verleumdet:
Sein Lieblingssohn werde nach einem
Mord steckbrieflich gesucht. Dem Bruder
schickt er ebenfalls einen gefälschten
Brief: Der Vater verstoße ihn. Karl,
der für die Unterdrückten kämpfen will,
schließt sich daraufhin einer Räuberbande
an; auch das edle Ziel ist auf
schlechte Taten angewiesen: Raub und
Totschlag. Am Ende tötet Franz sich
selbst, Karl dagegen löst durch sein
Geständnis, ein Räuber zu sein, den Tod
des Vaters aus, ersticht seine Geliebte
Amalia und stellt sich, das Todesurteil
vor Augen, freiwillig. Anders als im
Märchen gewinnt am Ende das Gute und
Schöne nicht eindeutig gegen das Böse
und Hässliche. Längst ist die Welt
unter moralischen Gesichtspunkten nicht
mehr so einfach zu fassen.
Die Räuber waren bei ihrer Erstaufführung
am 13. Januar 1782 in Mannheim
ein Ereignis: „Das Theater glich einem
Irrenhause, rollende Augen, geballte
Fäuste, stampfende Füße, heisere
Aufschreie im Zuschauerraum! Fremde
Menschen fielen einander schluchzend in
die Arme, Frauen wankten, einer
Ohnmacht nahe, zur Thüre. Es war eine
allgemeine Auflösung wie im Chaos, aus
deßen Nebeln eine neue Schöpfung
hervorbricht!“ Bertolt Brecht deutet
sie anderthalb Jahrhunderte später
als Sieg des Theatralischen über die
abgebildete Wirklichkeit: „Schiller
arbeitet die dramatischen Szenen aus,
auch die Monologe, legt großen Wert auf
die ›Schönheiten‹ und legt sorgfältig
seine Effekte an. Alles zielt darauf ab,
Begeisterung zu erwecken, mitzureißen,
zu entzücken, moralisch wie ästhetisch,
hochgesinnte Charaktere, spannende
Verwicklungen, rhetorische Explosionen,
Ausstellungen starker Leidenschaften,
Anzettelung atemraubender Kontroversen.“
Wie allein mit der Sprache so große
Emotionen erzeugt und so starke Figuren
zum Leben erweckt werden können, steht
im Mittelpunkt dieses Ausstellungsexperiments.
Schillers Schreiben zielt
auf die Bewegung der Seele wie des
Körpers und verwickelt einen von Kopf
bis Fuß, dass einem manchmal um ein
Haar Hören und Sehen vergeht und nichts
mehr zu sitzen scheint, wo es hingehört.
Das prägt sein Leben wie sein
Werk, ist an seinem Nachlass wie an
seinen Texten sichtbar. Vom Satzzeichen
und Wortklang über den Aufbau eines
Satzes hin zur Reihung in einer
längeren Passage, vom Tätigkeitswort
hin zum Begriff provozieren diese,
dass man sie sich mimisch vorstellt –
mit Bauch und Lunge, Mund und Augen,
Händen, Haltung, Beinen und Füßen.
Schiller
Luft holen für
einen langen Atem
35
165
Man nehme dieses Schauspiel für nichts Anderes, als eine
dramatische Geschichte, die die Vortheile der dramatischen
Methode, die Seele gleichsam bei ihren geheimsten
Operationen zu ertappen, benutzt, ohne sich übrigens in
die Schranken eines Theaterstücks einzuzäunen.
Wer sich den Zweck vorgezeichnet hat, das Laster zu stürzen
und Religion, Moral und bürgerliche Gesetze an ihren
Feinden zu rächen, ein solcher muß das Laster in seiner
nackten Abscheulichkeit enthüllen und in seiner kolossalischen
Größe vor das Auge der Menschheit stellen, – er
selbst muß augenblicklich seine nächtlichen Labyrinthe
durchwandern, – er muß sich in Empfindungen hineinzuzwingen
wissen, unter deren Widernatürlichkeit sich seine
Seele sträubt.
Ich habe versucht, von einem Mißmenschen dieser Art ein
treffendes, lebendiges Conterfei hinzuwerfen, die vollständige
Mechanik seines Laster systems auseinander zu
gliedern – und ihre Kraft an der Wahrheit zu prüfen.
S
S35
Schiller
Räuber
sein
FRANZ
FRANZ
FRANZ
FRANZ
FRANZ
FRANZ
FRANZ
FRANZ
FRANZ
FRANZ
GRIMM
SCHWEIZER
SCHWEIZER
S 36
An die Füße
denken
– Schiller
spielen
unruhig im Zimmer auf und ab gehend
wild auf ihn losgehend
fällt in einen Stuhl
aufgesprungen
wirft sich in seinem Sessel herum in schrecklichen Bewegungen
umarmt ihn ungestüm
auf den Knieen
auf Brust und Stirn schlagend
steht auf
reißt seine goldene Hutschnur ab und erdrosselt sich
stößt an die Leiche
rüttelt ihn
tritt von ihm weg und schießt sich vor die Stirn
167
Übung 2:
Beine und Füße /
An die Füße denken /
Umarmt auseinanderlaufen
Schiller provoziert, dass
man sich seine Texte mimisch vorstellt
– mit Bauch und Lunge, Mund und Augen,
Händen, Haltung, Beinen und Füßen wie
hier in Die Räuber.
Schiller
36
169
An die Füße
denken
FRANZ
FRANZ
FRANZ
FRANZ
FRANZ
FRANZ
FRANZ
FRANZ
FRANZ
FRANZ
GRIMM
SCHWEIZER
SCHWEIZER
unruhig im Zimmer auf und ab gehend
wild auf ihn losgehend
fällt in einen Stuhl
aufgesprungen
wirft sich in seinem Sessel herum in schrecklichen Bewegungen
umarmt ihn ungestüm
auf den Knieen
auf Brust und Stirn schlagend
steht auf
reißt seine goldene Hutschnur ab und erdrosselt sich
stößt an die Leiche
rüttelt ihn
tritt von ihm weg und schießt sich vor die Stirn
S
S36
Schiller
Räuber
Umarmt
auseinanderlaufen
sein
DER ALTE
MOOR
KARL
Amalia! Meine Tochter! Amalia!
hält sie in seinen Armen gepreßt
zurückspringend
Wer bringt dies Bild vor meine Augen?
– Schiller
spielen
AMALIA entspringt dem Alten, springt auf den Räuber
zu und umschlingt ihn entzückt
Ich hab’ ihn, o ihr Sterne! Ich hab’ ihn! –
171
S 37
KARL
sich losreißend, zu den Räubern
Brecht auf, ihr! [...] Reißt sie von meinem Halse!
Tödtet sie! Tödtet ihn! mich! euch! Alles!
Die ganze Welt geh zu Grunde! Er will davon
AMALIA
Wohin? was? Liebe – Ewigkeit!
Wonn’ – Unendlichkeit! und du fliehst?
KARL
AMALIA
Weg, weg! – Unglückseligste der Bräute! – Schau
selbst, frage selbst, höre! – Unglückseligster
der Väter! Laß mich immer ewig davon rennen!
Haltet mich! Um Gotteswillen, haltet mich! –
Übung 3:
Beine und Füße /
Umarmt auseinanderlaufen
Schiller provoziert,
dass man sich seine Texte mit
dem ganzen Körper vorstellt – mit
Bauch und Lunge, Mund und Augen,
Händen, Haltung, Beinen und Füßen
wie hier in Die Räuber.
Schiller
37
173
Umarmt
auseinanderlaufen
DER ALTE
MOOR
KARL
AMALIA
KARL
AMALIA
KARL
AMALIA
Amalia! Meine Tochter! Amalia!
hält sie in seinen Armen gepreßt
zurückspringend
Wer bringt dies Bild vor meine Augen?
entspringt dem Alten, springt auf den Räuber
zu und umschlingt ihn entzückt
Ich hab’ ihn, o ihr Sterne! Ich hab’ ihn! –
sich losreißend, zu den Räubern
Brecht auf, ihr! [...] Reißt sie von meinem Halse!
Tödtet sie! Tödtet ihn! mich! euch! Alles!
Die ganze Welt geh zu Grunde! Er will davon
Wohin? was? Liebe – Ewigkeit!
Wonn’ – Unendlichkeit! und du fliehst?
Weg, weg! – Unglückseligste der Bräute! – Schau
selbst, frage selbst, höre! – Unglückseligster
der Väter! Laß mich immer ewig davon rennen!
Haltet mich! Um Gotteswillen, haltet mich! –
S
S37
Schiller
Räuber
sein
Sich beim Sprechen
allmählich ansehen
FRANZ Ich muß diese Papiere vollends
aufheben, wie leicht könnte Jemand
meine Handschrift kennen?
Er liest die zerrissenen Briefstücke
zusammen.
– Schiller
spielen
175
S 38
Und Gram wird auch den Alten bald
fortschaffen, – und ihr muß ich diesen
Karl aus dem Herzen reißen, wenn auch
ihr halbes Leben dran hängen bleiben
sollte. [...] - Warum bin ich nicht
der Erste aus dem Mutterleib gekrochen?
warum nicht der Einzige? Warum mußte
sie mir diese Bürde von Häßlichkeit
aufladen? gerade mir? Nicht anders, als
ob sie bei meiner Geburt einen Rest
gesetzt hätte. Warum gerade mir die
Lappländersnase? gerade mir dieses
Mohrenmaul? diese Hottentottenaugen?
Übung 4:
Augen und Mund /
Sich beim Sprechen
allmählich ansehen
Schiller provoziert,
dass man sich seine Texte mit
dem ganzen Körper vorstellt – mit
Bauch und Lunge, Mund und Augen,
Händen, Haltung, Beinen und Füßen
wie hier in Die Räuber.
Schiller
38
177
Sich beim Sprechen
allmählich ansehen
FRANZ Ich muß diese Papiere vollends
aufheben, wie leicht könnte Jemand
meine Handschrift kennen?
Er liest die zerrissenen Briefstücke
zusammen.
Und Gram wird auch den Alten bald
fortschaffen, – und ihr muß ich diesen
Karl aus dem Herzen reißen, wenn auch
ihr halbes Leben dran hängen bleiben
sollte. [...] - Warum bin ich nicht
der Erste aus dem Mutterleib gekrochen?
warum nicht der Einzige? Warum mußte
sie mir diese Bürde von Häßlichkeit
aufladen? gerade mir? Nicht anders, als
ob sie bei meiner Geburt einen Rest
gesetzt hätte. Warum gerade mir die
Lappländersnase? gerade mir dieses
Mohrenmaul? diese Hottentottenaugen?
S
S38
Schiller
Räuber
DER ALTE
MOOR
AMALIA
Anfassen
sein
DER ALTE
MOOR
AMALIA
träumend
Mein Sohn! mein Sohn! mein Sohn!
ergreift seine Hand Horch, horch! sein Sohn
ist in seinen Träumen.
– Schiller
spielen
Bist du da? bist du wirklich? Ach wie siehst
du so elend! Sieh mich nicht an mit diesem
kummervollen Blick! ich bin elend genug.
weckt ihn schnell Seht auf, lieber Greis! Ihr
träumtet nur. Faßt Euch!
179
S 39
DER ALTE
MOOR
halb wach Er war nicht da? drückt‘ ich nicht
seine Hände? [...] Wo ist er? wo? wo bin ich?
Du da, Amalia? [...] Mir träumte von meinem
Sohn. Warum hab’ ich nicht fortgeträumt?
Vielleicht hätt‘ ich Verzeihung erhalten aus
seinem Munde.
AMALIA
Engel grollen nicht – er verzeiht Euch.
Faßt seine Hand mit Wehmut
Vater meines Karls! ich verzeih‘ Euch.
DER ALTE
MOOR
Übung 5:
AMALIA
Nein, meine Tochter! diese Todtenfarbe deines
Angesichts verdammt den Vater. Armes Mädchen!
Ich brachte dich um die Freuden deiner
Jugend – o fluche mir nicht!
küßt seine Hand mit Zärtlichkeit
Hände /
Anfassen
Schiller provoziert,
dass man sich seine Texte mit
dem ganzen Körper vorstellt – mit
Bauch und Lunge, Mund und Augen,
Händen, Haltung, Beinen und Füßen
wie hier in Die Räuber.
Schiller
Anfassen
39
181
DER ALTE
MOOR
AMALIA
DER ALTE
MOOR
AMALIA
DER ALTE
MOOR
AMALIA
DER ALTE
MOOR
AMALIA
träumend
Mein Sohn! mein Sohn! mein Sohn!
ergreift seine Hand Horch, horch! sein Sohn
ist in seinen Träumen.
Bist du da? bist du wirklich? Ach wie siehst
du so elend! Sieh mich nicht an mit diesem
kummervollen Blick! ich bin elend genug.
weckt ihn schnell Seht auf, lieber Greis! Ihr
träumtet nur. Faßt Euch!
halb wach Er war nicht da? drückt‘ ich nicht
seine Hände? [...] Wo ist er? wo? wo bin ich?
Du da, Amalia? [...] Mir träumte von meinem
Sohn. Warum hab’ ich nicht fortgeträumt?
Vielleicht hätt‘ ich Verzeihung erhalten aus
seinem Munde.
Engel grollen nicht – er verzeiht Euch.
Faßt seine Hand mit Wehmut
Vater meines Karls! ich verzeih‘ Euch.
Nein, meine Tochter! diese Todtenfarbe deines
Angesichts verdammt den Vater. Armes Mädchen!
Ich brachte dich um die Freuden deiner
Jugend – o fluche mir nicht!
küßt seine Hand mit Zärtlichkeit
S
S39
Schiller
Räuber
sein
KARL MOOR
S 40
Gegen die
Wand rennen
– Schiller
spielen
auffahrend aus einer schrecklichen Pause
Betrogen, betrogen! da fährt es
über meine Seele wie der Blitz! - [...]
Himmel und Hölle! Nicht du, Vater!
Spitzbübische Künste! Mörder,
Räuber durch spitzbübische Künste!
– voll Liebe sein Herz – oh ich
Ungeheuer von einem Thoren – voll
Liebe sein Vaterherz – oh Schelmerei,
Schelmerei! Es hätte mich einen
Fußfall gekostet – es hätte mich eine
Thräne gekostet – oh ich blöder,
blöder, blöder Thor!
wider die Wand rennend
183
Übung 6:
Der ganze Körper /
Gegen die Wand rennen
Schiller provoziert,
dass man sich seine Texte mit
dem ganzen Körper vorstellt – mit
Bauch und Lunge, Mund und Augen,
Händen, Haltung, Beinen und Füßen
wie hier in Die Räuber.
Schiller
40
185
Gegen die
Wand rennen
KARL MOOR
auffahrend aus einer schrecklichen Pause
Betrogen, betrogen! da fährt es
über meine Seele wie der Blitz! - [...]
Himmel und Hölle! Nicht du, Vater!
Spitzbübische Künste! Mörder,
Räuber durch spitzbübische Künste!
– voll Liebe sein Herz – oh ich
Ungeheuer von einem Thoren – voll
Liebe sein Vaterherz – oh Schelmerei,
Schelmerei! Es hätte mich einen
Fußfall gekostet – es hätte mich eine
Thräne gekostet – oh ich blöder,
blöder, blöder Thor!
wider die Wand rennend
S
S40
Schiller
Räuber
sein
AMALIA
S 41
Wie
angewurzelt
Übung 7:
– Schiller
spielen
im Garten
Du weinst, Amalia? – und das sprach
er mit einer Stimme, mit einer Stimme –
mir war’s, als ob die Natur sich
verjüngte – die genossenen Lenze der
Liebe dämmerten auf mit der Stimme!
Die Nachtigall schlug wie damals – die
Blumen hauchten wie damals – und ich
lag wonneberauscht an seinem Hals - [...]
Du weinst, Amalia? – Ha, ich will ihn
fliehen! – fliehen! - [...]
Räuber Moor öffnet die Gartenthüre.
Amalia fährt zusammen. [...] Sie wird
Karl gewahr und springt auf
Er – wohin? – was? – da hat mich’s
angewurzelt, daß ich nicht fliehen kann –
Der ganze Körper /
Wie angewurzelt
187
Schiller provoziert,
dass man sich seine Texte mit
dem ganzen Körper vorstellt – mit
Bauch und Lunge, Mund und Augen,
Händen, Haltung, Beinen und Füßen
wie hier in Die Räuber.
Schiller
41
189
Wie
angewurzelt
AMALIA
im Garten
Du weinst, Amalia? – und das sprach
er mit einer Stimme, mit einer Stimme –
mir war’s, als ob die Natur sich
verjüngte – die genossenen Lenze der
Liebe dämmerten auf mit der Stimme!
Die Nachtigall schlug wie damals – die
Blumen hauchten wie damals – und ich
lag wonneberauscht an seinem Hals - [...]
Du weinst, Amalia? – Ha, ich will ihn
fliehen! – fliehen! - [...]
Räuber Moor öffnet die Gartenthüre.
Amalia fährt zusammen. [...] Sie wird
Karl gewahr und springt auf
Er – wohin? – was? – da hat mich’s
angewurzelt, daß ich nicht fliehen kann –
S
S41
Schiller
sicht
Welt-
*
¬
¬
¬
¬
S 42
191
Schiller beurteilte den zehn Jahre jüngeren Alexander von Humboldt
zunächst skeptisch: „Über Alexandern habe ich noch kein rechtes Urtheil;
ich fürchte aber, trotz aller seiner Talente und seiner rastlosen
Thätigkeit wird er in seiner Wissenschaft nie etwas Großes leisten. […]
Es ist der nackte, schneidende Verstand, der die Natur, die immer
unfaßlich und in allen ihren Punkten ehrwürdig und unergründlich ist,
schamlos ausgemessen haben will und mit einer Frechheit die ich
nicht begreife, seine Formeln, die oft nur leere Formeln und immer nur
enge Begriffe sind, zu ihrem Maßstabe macht.“
*
Wie sehr Humboldt die Welt auszumessen versucht hat (und wie poetisch
und schön diese Vermessung der Welt aussehen kann), zeigt sein
1805, im Todesjahr von Schiller, gezeichneter Querschnitt durch die
Anden, in dem die gefundenen Pflanzen nach Höhenmetern verortet
sind („Geographie der Pflanzen in den Tropenländern, ein Naturgemälde
der Anden, gegründet auf Beobachtungen und Messungen, welche vom
10. Grade nördlicher bis zum 10. Grade südlicher Breite angestellt
worden sind, in den Jahren 1799 bis 1803“).
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Goethe übrigens hat auf diese Zeichnung
mit einem Strichmännchen reagiert und
Humboldt in den „Höhen der alten und der
neuen Welt“ auf den Chimborazo gestellt.
[Bild: Klassik Stiftung Weimar]
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Schiller
42
193
S
S42
Schiller
ege195
Flucht-
S 43
Im Januar 1782 wurde Schillers erstes
Theaterstück in Mannheim aufgeführt
– für den Herzog von Württemberg eine
Provokation. Ebenso wie Schillers
unerlaubte Reisen ins kurpfälzische
Mannheim. Der 22-jährige Militärarzt
Schiller kam in Arrest, erhielt
Schreibverbot, fürchtete Festungshaft
und entschloss sich allen Gefahren
zum Trotz zu fliehen. In der Nacht vom
22. auf den 23. September 1782, während
der Herzog zu Ehren des russischen
Großfürsten Paul ein Fest mit Feuerwerk
gab, verließ er mit seinem Freund
Andreas Streicher Stuttgart und reiste
zunächst nach Mannheim, dann aus der
Angst vor Verfolgung und Auslieferung
weiter nach Frankfurt am Main,
Oggersheim und dann im Dezember 1782
nach Bauerbach in Thüringen. Er legte
sich den Tarnnamen „Dr. Ritter“ zu und
versuchte seinen Weg zu verschleiern.
Am 19.11.1782 schrieb er an seine
Eltern: „Beste Eltern! Da ich gegenwärtig
zu Mannheim bin, und in 5 Tagen
auf immer weggehe, so wollte ich mir
und Ihnen noch das Vergnügen bereiten,
uns zu sprechen. Heute ist der 19. am
21. bekommen Sie diesen Brief, wenn
Sie also unverzüglich, (das müßte seyn)
von Stuttgardt weggehen, so können
Sie am 22. zu Bretten im Posthauß
seyn, welches ohngefehr halb wegs von
Mannheim ist, und wo Sie mich antreffen.
Ich denke Mama und die Christophine
könnten am füglichsten, und zwar
unter dem Vorwand nach Ludwigsburg
zur Wohlzogen zu gehen, abreisen.
Nehmen Sie die Vischerin und Wohlzogen
auch mit, weil ich beide auch noch,
vielleicht zum leztenmal, die Wohlzogen
ausgenommen, spreche. Ich gebe
Ihnen eine Carolin Reisgeld, aber
nicht bälder, als zu Bretten. An der
schnellen Befolgung meiner Bitte will
ich erkennen, ob Ihnen noch theuer
ist Ihr ewig dankbarer Sohn Schiller.“
Schiller
43
197
S
S43
Schiller
ege199
Flucht-
S 44
Am 6.11.1782 schreibt Schiller an
den Schulfreund Christian Friedrich
Jacobi mit erfundenen Ortsangaben
(„E.“ wie Erfurt) und Reiseplänen
(nach Sankt Petersburg in Russland):
„Mein Schiksal sollst Du erfahren,
sobald es einen wichtigen Schritt
gethan hat. Gegenwärtig bin ich auf
dem Weeg nach Berlin. Gelegenheitlich
bitte ich Dich, in diese Nachricht
weniger Mistrauen als in die Vorige
zu sezen. Ich gestehe Dir, Jene
war Politik, weil ich weniger sicher
war meinen Aufenthalt anzugeben,
als vielleicht izt. Die wirkliche
Nachricht ist ächt. Jedermann, der
nur das geringste von meinem Schiksal
und Plan erfuhr, vereinigte sich
in den Rath, nach Berlin zu gehen,
wohin ich nicht nur vortrefliche
Addressen habe, sondern auch mehrere
bekommen werde, weil ich über Erfurt,
Gotha, Weimar und Leipzig reise,
an welchen Orten ich theils schon
durch Schriften empfohlen bin, theils
auch durch neue Empfehlungen sehr
viele Freunde antreffen werde, die
mir wiederum Berlinerbekanntschaften
machen werden. Vielleicht daß ich
in Berlin meinen Plan verändere, und
durch Unterstüzung wichtiger Personen
nach Petersburg gehe.“
Schiller
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201
S
S44
Schiller
hanta
-
sie-
S 45
203
quelle
Für seine Arbeit an Die Jungfrau von Orleans (uraufgeführt 1801)
verwendete Schiller eine kleine Frankreichkarte. Jede und jeder
von uns kann damit ausprobieren: Was sehen wir auf einer Landkarte
wirklich, was macht unsere Phantasie daraus? Welche Plätze und
Orte hat sich Schiller für sein Drama ausgesucht, das mit dieser
Szenenbeschreibung beginnt: „Eine ländliche Gegend. Vorn zur
Rechten ein Heiligenbild in einer Kapelle; zur Linken eine hohe
Eiche“, und so aufhört: „Ein wilder Wald, in der Ferne Köhlerhütten.
Es ist ganz dunkel, heftiges Donnern und Blitzen,
dazwischen Schießen“?
Schiller
45
205
S
S45
Schiller
Enträtselungs-
S 46
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ü bung
Luftschiff ist gleich ...?
Die Rätsel-Antwort aus
Schillers Bearbeitung von
Carlo Gozzis Turandot von
1802/03 zum Selber-Entziffern
in der Handschrift.
Schiller
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209
S
S46
Schiller
S 47
Noch
einmal:
211
Schiller
pielen
In unserer
Interimsausstellung haben
wir jedem Schriftsteller
einen Klang oder eine
Melodie zugeordnet: Mörike
die Windharfe, Kerner
die Maultrommel, Hölderlin
seine Lieblingsmelodie und
Schiller? Naheliegend wäre
Beethovens 9. Symphonie
mit der „Ode an die
Freude“. Nicht ganz so
naheliegend: die Filmmusik*,
die in den
1960er Jahren Karl Mays
„Winnetou“-Romanen
ihre Wiedererkennungsmelodie
schenkte.
Thomas Mann hat an
Schiller seine „Lust am
höheren Indianerspiel“
gelobt. Karl May hat
Schiller wiederholt in
seinen Werken zitiert
und verdankt ihm sogar
ein Gedicht – glaubt man
einem Brief, den er
seiner Frau Emma schickte:
*https://www.youtube.com/watch?v=zyMEIHud3UQ
Da gestand ich meinen Lieben, daß
ich ohne ihre Hülfe nicht dichten
könne, und siehe da, mein Friedrich
kam und antwortete: „Setz Dich,
und schreib!“ Ich nahm das erste,
beste Stückchen Papier und den
Bleistift und schrieb. Er
führte mir nicht etwa die Hand
wie beim Schreiben eines
Mediums, sondern ich schrieb
wie ganz gewöhnlich; er aber
stand bei mir und dictirte mir
jedes einzelne Wort mit
deutlich vernehmbarer Stimme.
[...] Womit habe ich solche
Engelnähe, solche Führung der
Hohen, Himmlischen, solche
Liebe, Güte und Bereitwilligkeit
der Seligen verdient?
Ich habe den Zettel [mit diesem
Gedicht] sofort auf besseres Papier
gezogen und sende ihn Dir, meine
Emma, damit er nicht den Zufälligkeiten
der Reise unterworfen ist.
Er ist mir ein köstliches,
unbezahlbares Geschenk. Hebe ihn ja
so heilig auf, als ob er mich 10,000
Mark und noch mehr gekostet hätte!
Du mußt nämlich bedenken, mein
Friedrich schrieb in Weimar doch.
Schiller
47
213
S
S47
Impressum
Ausgewählt haben die Umzugsstücke
Julia Schneider,
Verena Staack und Heike
Gfrereis, die sie auch
kommentiert und zusammen
mit Diethard Keppler und
Andreas Jung im Raum angeordnet
und gestalterisch
gefasst hat. Die Exponatfotografien
stammen von Chris
Korner und Jens Tremmel,
die restauratorische Betreuung
oblag Enke Huhsmann,
Susanne Bœhme und Anaïs Ott,
die Redaktion und Organisation
Vera Hildenbrandt,
Dietmar Jaegle, Lea Kaiser,
Martin Kuhn, Tamara Meyer
und Janina Schindler.
Die Aussttellung „Schiller,
Hölderlin, Kerner, Mörike“
wurde im Februar 2020 im
Literaturmuseum der Moderne
eröffnet und ist dort bis
zur Wiedereröffnung des
Schillers-Nationalmuseums
Anfang 2023 zu sehen.
Gestaltung und
Ausstellungsfotografie
dieser Publikation:
Diethard Keppler und
Andreas Jung
Text:
Heike Gfrereis
© 2020 Deutsches
Literaturarchiv Marbach
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