02.11.2020 Aufrufe

Schillers Spiele ... eine Interimsausstellung im Literaturmuseum der Moderne

Schiller, Hölderlin, Kerner, Mörike ... Für das Schiller-Nationalmuseum erarbeiten wir zur Zeit ein neues Ausstellungskonzept. Daher sind kurz vor dem Corona-Lockdown im März 2020 vier Schriftsteller – Schwaben von Geburt und Autoren von Weltrang – vorläufig ins Literaturmuseum der Moderne umgezogen. Wir haben Dinge eingepackt, die ihre poetisch besonderen Seiten zeigen: Friedrich Schillers Spiele, Justinus Kerners Tintenklecksbilder und die eigenwilligen Aufschreibesysteme von Friedrich Hölderlin und Eduard Mörike. Einige dieser Dinge stecken im Museum noch in Umzugskisten und können von den Besucher*innen selbst entdeckt werden. Andere haben wir auf Werkstatt-Tischen ausgepackt, nach Themen sortiert und durch Kommentare vernetzt. Beides – den Inhalt von Schillers Umzugskisten und die vorübergehende Ordnung der Dinge aus seinem Nachlass – haben wir in ein Heft übersetzt, um neugierig auf das reale Museum zu machen und es zugleich für alle auch in den digitalen Raum hinein zu öffnen. #SchillerFreiSpiel Für unser Projekt Fehlt Ihnen / Dir Schiller? (gefördert vom Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst Baden-Württemberg im Rahmen des Impulsprogramms „Kunst trotz Abstand“) suchen wir Ihre und Deine Lieblingsexponate. Über eine Mail an uns mit einer kurzen Begründung (museum@dla-marbach.de) freuen wir uns sehr.

Schiller, Hölderlin, Kerner, Mörike ...

Für das Schiller-Nationalmuseum erarbeiten wir zur Zeit ein neues Ausstellungskonzept. Daher sind kurz vor dem Corona-Lockdown im März 2020 vier Schriftsteller – Schwaben von Geburt und Autoren von Weltrang – vorläufig ins Literaturmuseum der Moderne umgezogen. Wir haben Dinge eingepackt, die ihre poetisch besonderen Seiten zeigen: Friedrich Schillers Spiele, Justinus Kerners Tintenklecksbilder und die eigenwilligen Aufschreibesysteme von Friedrich Hölderlin und Eduard Mörike.
Einige dieser Dinge stecken im Museum noch in Umzugskisten und können von den Besucher*innen selbst entdeckt werden. Andere haben wir auf Werkstatt-Tischen ausgepackt, nach Themen sortiert und durch Kommentare vernetzt. Beides – den Inhalt von Schillers Umzugskisten und die vorübergehende Ordnung der Dinge aus seinem Nachlass – haben wir in ein Heft übersetzt, um neugierig auf das reale Museum zu machen und es zugleich für alle auch in den digitalen Raum hinein zu öffnen.

#SchillerFreiSpiel
Für unser Projekt Fehlt Ihnen / Dir Schiller? (gefördert vom Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst Baden-Württemberg im Rahmen des Impulsprogramms „Kunst trotz Abstand“) suchen wir Ihre und Deine Lieblingsexponate. Über eine Mail an uns mit einer kurzen Begründung (museum@dla-marbach.de) freuen wir uns sehr.

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1<br />

Schiller s<br />

piele<br />

… <strong>eine</strong> <strong>Inter<strong>im</strong>sausstellung</strong><br />

<strong>im</strong> <strong>Literaturmuseum</strong><br />

<strong>der</strong> Mo<strong>der</strong>ne


Vorab und<br />

zuerst


3<br />

Schiller, Höl<strong>der</strong>lin, Kerner, Mörike ...<br />

Für das Schiller-Nationalmuseum erarbeiten wir zur Zeit<br />

ein neues Ausstellungskonzept. Daher sind kurz vor dem<br />

Corona-Lockdown <strong>im</strong> März 2020 vier Schriftsteller –<br />

Schwaben von Geburt und Autoren von Weltrang – vorläufig<br />

ins <strong>Literaturmuseum</strong> <strong>der</strong> Mo<strong>der</strong>ne umgezogen. Wir haben Dinge<br />

eingepackt, die ihre poetisch beson<strong>der</strong>en Seiten zeigen:<br />

Friedrich <strong>Schillers</strong> <strong>Spiele</strong>, Justinus Kerners Tintenklecksbil<strong>der</strong><br />

und die eigenwilligen Aufschreibesysteme von<br />

Friedrich Höl<strong>der</strong>lin und Eduard Mörike.<br />

Einige dieser Dinge stecken <strong>im</strong> Museum noch in Umzugskisten<br />

und können von den Besucher*innen selbst entdeckt werden.<br />

An<strong>der</strong>e haben wir auf Werkstatt-Tischen ausgepackt, nach<br />

Themen sortiert und durch Kommentare vernetzt. Beides –<br />

den Inhalt von <strong>Schillers</strong> Umzugskisten und die vorübergehende<br />

Ordnung <strong>der</strong> Dinge aus s<strong>eine</strong>m Nachlass – haben wir<br />

nun in ein Heft übersetzt, um neugierig auf das reale<br />

Museum zu machen und es zugleich für alle Besucher*innen<br />

auch in den digitalen Raum hinein zu öffnen.<br />

#SchillerFreiSpiel<br />

Für unser Projekt Fehlt Ihnen / Dir Schiller? (geför<strong>der</strong>t<br />

vom Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst<br />

Baden-Württemberg <strong>im</strong> Rahmen des Impulsprogramms „Kunst<br />

trotz Abstand“) suchen wir Ihre und D<strong>eine</strong> Lieblingsexponate.<br />

Über <strong>eine</strong> Mail an uns mit <strong>eine</strong>r kurzen Begründung<br />

(museum@dla-marbach.de) freuen wir uns sehr.


5


7<br />

<strong>Spiele</strong><br />

Schiller s<br />

„Um es endlich auf einmal<br />

herauszusagen, <strong>der</strong> Mensch<br />

spielt nur, wo er in voller<br />

Bedeutung des Worts Mensch<br />

ist, und er ist nur da<br />

ganz Mensch, wo er spielt.“<br />

Eines <strong>der</strong> berühmtesten<br />

Schiller-Zitate stammt aus<br />

den 1794 veröffentlichten<br />

Briefen Über die ästhetische<br />

Erziehung des Menschen.<br />

Aus Friedrich <strong>Schillers</strong><br />

Sicht macht uns die Kunst<br />

frei, weil sie uns bewegt<br />

und verän<strong>der</strong>t, ohne dass<br />

wir die Balance verlieren.<br />

Sie lehrt uns Geist, Seele<br />

und Körper in Einklang<br />

zu bringen. Viele <strong>der</strong><br />

Objekte in <strong>Schillers</strong> Nachlass<br />

thematisieren solche<br />

Bewegungs- und Gleichgewichtsübungen.


Schiller sprach und spielte<br />

s<strong>eine</strong> Texte be<strong>im</strong> Schreiben:<br />

„Wenn er dichtete, brachte er<br />

s<strong>eine</strong> Gedanken unter Stampfen,<br />

Schnauben und Brausen zu<br />

Papier“, will ein Zeitgenosse<br />

beobachtet haben. Man sieht<br />

diesen Körpereinsatz <strong>Schillers</strong><br />

erhaltenen Handschriften an.<br />

Er korrigierte s<strong>eine</strong> Dramen<br />

so lange, bis sie für ihn<br />

gut spielbar waren.<br />

zwei Seiten aus <strong>eine</strong>r von <strong>eine</strong>m<br />

Schreiber schon ins R<strong>eine</strong> geschriebenen<br />

Fassung <strong>der</strong> Piccolomini,<br />

in <strong>der</strong> Schiller noch einmal heftig<br />

korrigierte. Das „Gut, daß Ihrs<br />

seid, daß wir Euch haben! Wußt ichs<br />

doch, / Graf Isolan bleibt nicht<br />

aus, wenn sein Chef / Auf ihn gerechnet<br />

hat“ ersetzte er durch das<br />

einprägsame und symmetrisch gebaute<br />

„Spät kommt Ihr – – Doch Ihr<br />

kommt! Der weite Weg, / Graf Isolan,<br />

entschuldigt Euer Säumen“. Eine<br />

Tisch-Szene spitzte er ebenfalls<br />

symmetrisch zu: „Alles ist in<br />

Bewegung, Spielleute und Terskys<br />

Reg<strong>im</strong>ent ziehen über den Schauplatz<br />

um die Tafel herum. Noch ehe sie<br />

sich ganz entfernt haben, erscheint<br />

Max Piccolomini, ihm kommt Terzky<br />

mit <strong>eine</strong>r Schrift, Isolani mit<br />

<strong>eine</strong>m Pokal entgegen. Beide haben<br />

die Servietten vor.“


9


<strong>der</strong> kleinste erhaltene Schiller-<br />

Manuskript-Schnipsel, kommascharf<br />

ausgeschnitten: „s<strong>eine</strong>s,“<br />

Weil Schiller s<strong>eine</strong> Manuskripte<br />

meist weggeworfen<br />

hat, sobald er <strong>eine</strong>n Text<br />

veröffentlicht hatte, sind<br />

sie selten und nach s<strong>eine</strong>m<br />

Tod begehrte Andenken.<br />

<strong>Schillers</strong> Familie<br />

zerschnitt sogar Blätter.<br />

… ebenso wie s<strong>eine</strong> Locken und<br />

Schreibfe<strong>der</strong>n …<br />

Heute geben diese Schnipsel<br />

Einblick in die Beson<strong>der</strong>heiten<br />

von <strong>Schillers</strong> Texten.<br />

Sie zeigen, wie er Material<br />

suchte, sammelte und ordnete.


11<br />

Für den Wilhelm Tell schrieb<br />

Schiller aus Büchern Stichworte<br />

zur Schweiz ab wie „weiße<br />

Berglilien und purpurfarbene<br />

Alprosen“, „Schneeberge verglichen<br />

mit <strong>eine</strong>r diamantenen Krone –<br />

Glas – grünblausch<strong>im</strong>mernd“, „Berge<br />

sind Erdwogen“ und „milchweißes<br />

Firnwasser“. Aus Letzterem<br />

machte er <strong>im</strong> fertigen Drama <strong>eine</strong><br />

synästhetische Wahrnehmung:<br />

„Sein Auge trinkt <strong>der</strong> Gletscher<br />

Milch“.<br />

Für Die Malteser (ein geplantes<br />

Drama über den Wi<strong>der</strong>stand <strong>der</strong><br />

Ordensritter von Malta gegen die<br />

osmanischen Belagerer) führte<br />

Schiller Listen mit Figuren, Handlungselementen<br />

und Motiven wie<br />

„21. Ein Chor von idealistischem,<br />

ein andrer von Realistischem<br />

Innhalt. Die Macht und Herrschaft<br />

des Gedankens“.


Schiller selbst sammelte<br />

Handschriften als Quellen für<br />

s<strong>eine</strong> Texte.<br />

Alte Handschriften dürften<br />

Schiller auch ästhetisch<br />

fasziniert haben: Sie zeigen<br />

halbe, ganze und ineinan<strong>der</strong><br />

verschlungene Schlangenlinien<br />

und damit jene Linienart, die<br />

er in <strong>eine</strong>m Brief an s<strong>eine</strong>n<br />

Freund Körner gezeichnet hat,<br />

um diesem zu demonstrieren,<br />

was er selbst als schön, weil<br />

frei empfinde. Für ihn sind<br />

Schönheit und Freiheit<br />

wie das Spiel „Verän<strong>der</strong>ung<br />

aus Bewegung“.<br />

für Das Lied von <strong>der</strong> Glocke<br />

historische Zeichnungen<br />

von Gussformen.<br />

<strong>Schillers</strong> Anmerkung in s<strong>eine</strong>m<br />

Exemplar von Immanuel Kants<br />

Kritik <strong>der</strong> Urteilskraft.


<strong>im</strong> Februar 1793: „Folgende Linie<br />

aber ist <strong>eine</strong> schöne Linie,<br />

o<strong>der</strong> könnte es doch sein, wenn<br />

m<strong>eine</strong> Fe<strong>der</strong> beßer wäre“<br />

13


Beson<strong>der</strong>e Manuskripte<br />

verschenkte Schiller<br />

an Freunde.<br />

an Christian Gottfried Körner<br />

den (wie in <strong>der</strong> Poetik des Aristoteles<br />

gefor<strong>der</strong>t) musterhaft<br />

in fünf Akte geglie<strong>der</strong>ten Plan des<br />

Don Carlos („Bauerbacher Plan“)<br />

Einige <strong>der</strong> Gegengeschenke<br />

haben sich ebenfalls erhalten<br />

und zeigen, wie<br />

<strong>Schillers</strong> Freundeskreis mit<br />

den Spannungen zwischen<br />

Geist und Körper, Poesie<br />

und Alltag spielte.


15<br />

Christian Gottfried Körner und s<strong>eine</strong><br />

Schwester Dora schenkten Schiller<br />

ein mit Terpsichore und Erato<br />

(den Musen des Tanzes und <strong>der</strong> Liebeslyrik)<br />

verziertes Behältnis für<br />

Zahnstocher und <strong>eine</strong>n mit Hygieia<br />

(<strong>der</strong> Göttin <strong>der</strong> Medizin) bemalten<br />

Schlafrockknopf.<br />

Klick<br />

zur<br />

Transkription<br />

an Johann Wolfgang Goethe das<br />

Rätselgedicht Das Berglied<br />

Johann Wolfgang Goethe schickte<br />

1795 per Post ein Briefchen mit<br />

Stecknadeln, die Schiller als „Symbole<br />

von Gewißensbißen“ interpretierte<br />

– Goethes Antwort: Er könne die<br />

„symbolischen Nadeln gesund brauchen<br />

und verlieren“.


17


Schiller selbst nutzte nicht<br />

nur in s<strong>eine</strong>n literarischen<br />

Texten und Briefen, son<strong>der</strong>n<br />

auch bei Schmuck-, Kleidungsund<br />

Einrichtungsstücken<br />

die Doppeldeutigkeiten von<br />

Gegenständen: Man kann<br />

sie als Zeichen symbolisch<br />

o<strong>der</strong> aber als Dinge konkret<br />

verwenden, sie haben ästhetische,<br />

aber auch wirkliche<br />

Folgen, lassen sich mit<br />

Bedeutungen extrem aufladen,<br />

aber auch als bloßes<br />

Spiel ironisch belächeln.<br />

Ring und Tintenfass mit dem Kopf<br />

des „Dichter-Urvaters“ Homer ...


19<br />

... Ring mit <strong>eine</strong>m Satyr, den Schiller<br />

auf <strong>der</strong> Flucht von Stuttgart nach<br />

Mannhe<strong>im</strong> getragen haben soll, wo er<br />

sich u.a. auf <strong>eine</strong>m Bücherleihschein<br />

als „Dr. Ritter“ ausgab ...<br />

... vermutlich eigenhändige Zeichnung<br />

<strong>eine</strong>s Pferdes, das sein Reiter am<br />

langen Zügel gehen lässt – Schiller<br />

soll <strong>im</strong>mer dann, wenn ihm nichts<br />

einfiel, „Rössel“ gemalt haben.<br />

Brief an s<strong>eine</strong>n Freund Körner, in<br />

dem Schiller zwölf Tage <strong>im</strong> Februar<br />

1782 mit zwölf Gedankenstrichen<br />

inszeniert hat: „diese 12 Tage ist<br />

<strong>eine</strong> Revolution mit mir und in<br />

mir vorgegangen, die dem gegenwärtigen<br />

Briefe mehr Wichtigkeit gibt,<br />

als ich mir habe träumen laßen –<br />

die Epoche in m<strong>eine</strong>m Leben macht“.<br />

Die Folge: „Ich kann nicht mehr<br />

in Mannhe<strong>im</strong> bleiben. In <strong>eine</strong>r unnennbaren<br />

Bedrängniß m<strong>eine</strong>s Herzens<br />

schreibe ich Ihnen m<strong>eine</strong> Besten.<br />

Ich kann nicht mehr hier bleiben.<br />

Zwölf Tage habe ichs in m<strong>eine</strong>m<br />

Herzen herumgetragen, wie den Entschluß<br />

aus <strong>der</strong> Welt zu gehn.<br />

Menschen, Verhältniße, Erdreich und<br />

H<strong>im</strong>mel sind mir zuwi<strong>der</strong>. Ich habe<br />

k<strong>eine</strong> Seele hier, k<strong>eine</strong> einzige<br />

die die Leere m<strong>eine</strong>s Herzens füllte,<br />

k<strong>eine</strong> Freundin, k<strong>eine</strong>n Freund.“


Die Spannungen zwischen Denken und<br />

Fühlen, Geist und Körper sind<br />

auf das Engste mit <strong>der</strong> literarischen<br />

Gattung verknüpft, die <strong>Schillers</strong><br />

Ruhm begründet hat: <strong>der</strong> Tragödie.<br />

Der antike Philosoph Aristoteles<br />

schrieb <strong>der</strong> Tragödie <strong>eine</strong> wichtige<br />

soziale Wirkung zu, weil sich<br />

die Zuschauer durch das ästhetische<br />

Durchleben von Gefühlen wie<br />

Trauer und Angst gerade von diesen<br />

Erregungszuständen reinigten. Der<br />

ausgebildete Mediziner Schiller<br />

interessierte sich beson<strong>der</strong>s für<br />

die körperlichen D<strong>im</strong>ensionen dieser<br />

„Katharsis“. Er promovierte über<br />

die heilende Wirkung des Fiebers,<br />

zeichnete als Schüler die eigene<br />

linke Hand mit roter Kreide, wärmte<br />

s<strong>eine</strong> Hände an Keramikstäben aus<br />

dem Ofen, kurierte sein Kopfweh mit


21<br />

einziges erhaltenes Rezept des<br />

Arztes Schiller – ein stark<br />

dosiertes Brechmittel: drei Gran<br />

Brechweinstein zu lösen in<br />

vier Unzen heißem Wasser, davon<br />

sogleich die Hälfte nehmen.<br />

In <strong>eine</strong>r Selbstrezension <strong>der</strong><br />

anonym erschienenen Räuber 1782<br />

schrieb Schiller über sich:<br />

„Er soll ein Arzt bei <strong>eine</strong>m wirtembergischen<br />

Grenadier-Bataillon<br />

sein […]. So gewiß ich sein<br />

Werk verstehe, so muss er starke<br />

Dosen in Emeticis [Brechreiz<br />

Erregendem] eben so lieben als<br />

in Aestheticis, und ich möchte<br />

ihm lieber zehen Pferde als<br />

m<strong>eine</strong> Frau zur Kur übergeben.“<br />

Hilfe <strong>eine</strong>s roten Tuchs, das er<br />

sich um den Kopf wickelte, damit<br />

<strong>der</strong> Druck und die Farbe die Durchblutung<br />

för<strong>der</strong>ten, wählte die<br />

Dose mit dem reinigenden Schnupftabak<br />

als sein Erkennungszeichen<br />

und kokettierte als junger Schriftsteller<br />

damit, dass s<strong>eine</strong> Texte<br />

ästhetische Rosskuren seien.


23


<strong>Schillers</strong> Texte und Dinge, die<br />

wir als bedruckte Plexiplatten<br />

in Umzugskistengepackt haben –<br />

auf den 47 Plattenhüllen finden<br />

sich jeweils die Kommentare. >>


Schiller<br />

erienedicht<br />

S 1<br />

25


Der 11-jährige Schiller bedankt sich 1771<br />

bei Georg Zilling, s<strong>eine</strong>m Lehrer an <strong>der</strong><br />

Ludwigsburger Lateinschule, für die<br />

Herbstferien auf Latein und mit <strong>eine</strong>r<br />

Pferde-Metapher:<br />

O mein Dekan, den ich wie k<strong>eine</strong>n jemals verehre,<br />

Höre mit heiterer Stirn nun auch den Dank noch von mir,<br />

Dass Du uns die Möglichkeit gabst, von Studium und Arbeit<br />

Auszuruhn […].<br />

Öfters pflegten die Musen, wenn Plektrum und Kithara ruhten,<br />

Blüten von Veilchen und Ros’ bunt zu vermengen <strong>im</strong> Spiel.<br />

[...]<br />

Recht <strong>der</strong> Natur, dass <strong>der</strong> Nacken vom Joch nach <strong>der</strong> Ernte befreit wird,<br />

So wie <strong>der</strong> Reiter dem Pferd lockert die Zügel <strong>im</strong> Sieg.


S1<br />

27


Schiller<br />

notenverwi<br />

cklung<br />

S 2<br />

29


Transkription <strong>eine</strong>r Doppelseite<br />

aus dem <strong>im</strong> April 1783 entworfenen<br />

„Bauerbacher Plan“ zu<br />

Don Carlos:<br />

II. Schritt. Der Knoten verwikelter. A. Karlos Liebe n<strong>im</strong>mt<br />

zu — Ursachen: 1. Die Hin<strong>der</strong>niße selbst. 2. Gegenliebe <strong>der</strong><br />

Königin, diese äußert sich, motivirt<br />

sich: a. Aus Ihrem zärtlichen Herzen<br />

dem ein Gegenstand mangelt. α Philipps<br />

Alter, Disharmonie mit ihrer<br />

Empfindung. β Zwang ihres Standes.<br />

b. Aus ihrer anfänglichen Best<strong>im</strong>mung<br />

und Neigung für den Prinzen. Sie<br />

nährt diese angenehme Erinnerungen<br />

gern. c. Aus ihren Äußerungen in Gegenwart<br />

des Prinzen. Inneres Leiden.<br />

Furchtsamkeit. Antheil. Verwirrung.<br />

d. Einer mehr als zu erwartenden Kälte<br />

gegen Dom Juan, <strong>der</strong> ihr einige Liebe<br />

zeigt. e. Einigen Funken von Eifersucht<br />

über Karlos Vertrauen zu <strong>der</strong><br />

Prinzeßin von Eboli. f. Einigen Äußerungen in gehe<strong>im</strong>. g.<br />

Einem Gespräch mit dem Marquis. h. Einer Szene mit<br />

Karlos. B. Die Hin<strong>der</strong>niße und Gefahren wachsen. Dieses<br />

erfährt man 1. Aus dem Ehrgeiz <strong>der</strong> Rachsucht des verschmähten<br />

Dom Juan. 2. — einigen Entdekungen die die<br />

Prinzeßin v. Eboli macht. 3. — ihrem Einverständniß mit<br />

jenem. 4. — <strong>der</strong> <strong>im</strong>mer wachsenden Furcht und Erbitterung<br />

<strong>der</strong> Grandes, die vom Prinzen bedroht<br />

und beleidigt werden. Complott<br />

<strong>der</strong>selben. 5. Aus des Königs Unwillen<br />

über s<strong>eine</strong>n Sohn, und Bestellung <strong>der</strong><br />

Spionen. III. Schritt. Ansch<strong>eine</strong>nde<br />

Auflösung, die den Knoten noch mehr<br />

verwikelt. A. Die Gefahren fangen an<br />

auszubrechen. 1. Der König bekömmt<br />

<strong>eine</strong>n Wink, und geräth in die heftigste<br />

Eifersucht. 2. Dom Karlos erbittert den<br />

König noch mehr. 3. Die Königin<br />

scheint den Verdacht zu rechtfertigen.<br />

4. Alles vereinigt sich den Prinzen und<br />

die Königin strafbar zu machen. 5. Der<br />

König beschließt s<strong>eine</strong>s Sohnes Ver<strong>der</strong>ben.<br />

B. Der Prinz scheint allen Gefahren zu entrinnen. 1.<br />

Sein Heldensinn erwacht wie<strong>der</strong> und fängt an über s<strong>eine</strong><br />

Liebe zu siegen. 2. Der Marquis wälzt den Verdacht auf<br />

sich, und verwirret den Knoten aufs neue.


S2<br />

31


33


Schiller<br />

Mehrfach-<br />

noten<br />

S 3<br />

35


Friedrich <strong>Schillers</strong> Plan zu Das Schiff, 1798<br />

o<strong>der</strong> 1803/04. Mit Überlegungen zum punctum<br />

saliens, zum ‚springenden Punkt‘ <strong>eine</strong>s Dramas.<br />

Die Aufgabe ist ein Drama, worinn alle interessante Motive <strong>der</strong><br />

Seereisen, <strong>der</strong> außereuropäischen Zustände und Sitten, <strong>der</strong><br />

damit verknüpften Schicksale und Zufälle geschickt verbunden<br />

werden. Aufzufinden ist also ein Punctum saliens (Landen und<br />

Absegeln. Sturm. Seetreffen. Meuterei auf dem Schiff. Schiffjustiz.<br />

Begegnung zweier Schiffe. Scheiterndes Schiff. Ausgesezte<br />

Mannschaft. Proviant. Waßereinnehmen. Handel. Seecarten,<br />

Compass, Längenuhr. Wilde Tiere, wilde Menschen.) aus dem alle<br />

sich entwickeln, um welches sich alle natürlich anknüpfen laßen,<br />

ein Punkt also, wo sich Europa, Indien, Handel, Seefahrten, Schiff<br />

und Land, Wildheit und Kultur, Kunst und Natur, etc darstellen<br />

läßt. Auch die Schiffsdisciplin und Schiffsregierung, <strong>der</strong> Charakter<br />

des Seemanns, des Kaufmanns, des Abentheurers, des Pflanzers,<br />

des Indianers, des Creolen, müssen best<strong>im</strong>mt und lebhaft<br />

ersch<strong>eine</strong>n.


Schiller<br />

3<br />

37<br />

S<br />

S3


Schiller<br />

Diese Brücke, die von Perlen sich erbaut,<br />

Sich glänzend hebt und in die Lüfte gründet,<br />

erlenrücke<br />

Die mit dem Strom erst wird und mit dem Strome schwindet<br />

Und über die kein Wandrer noch gezogen,<br />

Am H<strong>im</strong>mel siehst du sie, sie heißt - <strong>der</strong> Regenbogen.<br />

S 4<br />

39


Rätsel-Antwort aus <strong>Schillers</strong><br />

Bearbeitung von Carlo Gozzis<br />

Turandot von 1802/03.<br />

Diese Brücke, die von Perlen sich erbaut,<br />

Sich glänzend hebt und in die Lüfte gründet,<br />

Die mit dem Strom erst wird und mit dem Strome schwindet<br />

Und über die kein Wandrer noch gezogen,<br />

Am H<strong>im</strong>mel siehst du sie, sie heißt <strong>der</strong> Regenbogen.


Schiller<br />

4<br />

41<br />

Diese Brücke, die von Perlen sich erbaut,<br />

Sich glänzend hebt und in die Lüfte gründet,<br />

Die mit dem Strom erst wird und mit dem Strome schwindet<br />

Und über die kein Wandrer noch gezogen,<br />

Am H<strong>im</strong>mel siehst du sie, sie heißt - <strong>der</strong> Regenbogen.<br />

S<br />

S4


Schiller<br />

43<br />

S 5<br />

Luftschiff<br />

Dies leichte Schiff, das mit Gedankenschnelle<br />

Mich durch die Lüfte ruhig trägt,<br />

Sich selbst nicht von dem Ort bewegt,<br />

- Das Sehrohr ist’s, das in die Ferne<br />

Den Blick beflügelt bis ins Land <strong>der</strong> Sterne.


Rätsel-Antwort aus <strong>Schillers</strong><br />

Bearbeitung von Carlo Gozzis<br />

Turandot von 1802/03.<br />

Dies leichte Schiff, das mit Gedankenschnelle<br />

Mich durch die Lüfte ruhig trägt,<br />

Sich selbst nicht von dem Ort bewegt,<br />

— Das Sehrohr ist’s, das in die Ferne<br />

Den Blick beflügelt bis ins Land <strong>der</strong> Sterne.


Schiller<br />

5<br />

45<br />

Dies leichte Schiff, das mit Gedankenschnelle<br />

Mich durch die Lüfte ruhig trägt,<br />

Sich selbst nicht von dem Ort bewegt,<br />

- Das Sehrohr ist’s, das in die Ferne<br />

Den Blick beflügelt bis ins Land <strong>der</strong> Sterne.<br />

S<br />

S5


Schiller<br />

S 6<br />

Teufels-<br />

rücke


An dem Abgrund leitet <strong>der</strong> schwindlichte Steg,<br />

Er führt zwischen Leben und Sterben,<br />

Es sperren die Riesen den einsamen Weg<br />

Und drohen dir ewig Ver<strong>der</strong>ben,<br />

Und willst du die schlafende Löwinn nicht wecken,<br />

So wandle still durch die Straße <strong>der</strong> Schrecken,<br />

Es schwebt <strong>eine</strong> Brücke hoch über den Rand<br />

Der furchtbaren Tiefe gebogen,<br />

Sie ward nicht erbauet von Menschen Hand,<br />

Es hätte sichs k<strong>eine</strong>r verwogen,<br />

Der Strom braust unter ihr spat u: früh,<br />

Speit ewig hinauf und zertrümmert sie nie.<br />

Berglied, von Schiller an<br />

Goethe zum „Dechiffrieren“<br />

geschickt, <strong>der</strong> darin die<br />

Teufelsbrücke am<br />

Sankt-Gotthard-<br />

Pass erkannte.<br />

Zurück<br />

zum<br />

Werkstatttisch


Schiller<br />

6<br />

49<br />

S<br />

S6


Punkt-<br />

Schiller<br />

51<br />

os<br />

S 7


Die letzten Verse, die Schiller kurz vor s<strong>eine</strong>m<br />

Tod am 9. Mai 1805 geschrieben haben soll --<br />

ein Monolog <strong>der</strong> Marfa, <strong>der</strong> ins Kloster verbannten<br />

Mutter des Demetrius, <strong>der</strong> ohne Satzzeichen<br />

abbricht:<br />

Ich habe nichts als mein Gebet und Flehn,<br />

Das schöpf ich glühend aus <strong>der</strong> tiefsten Seele,<br />

Das send ich gläubig in die H<strong>im</strong>melshöhen,<br />

Wie <strong>eine</strong> Heerschaar send ich dirs entgegen,<br />

Heerschaaren send ichs mächtig dir entgegen,<br />

Der Mutter Thränen und <strong>der</strong> Mutter Seegen,<br />

Das send ich hinauf in alle H<strong>im</strong>mels Höhen<br />

Send ich wie <strong>eine</strong> Heerschaar dir entgegen!<br />

Die Thränen alle die ich nächtlich weinte


Schiller<br />

7<br />

53<br />

S<br />

S7


Schiller<br />

chwä<br />

bische<strong>im</strong>en<br />

55<br />

S 8


Lebensentwurf des 18-jährigen Schiller,<br />

<strong>der</strong> sich nur auf Schwäbisch re<strong>im</strong>t,<br />

eingetragen in das Stammbuch des Schulfreunds<br />

Johann Christian Weckherlin:<br />

Der Artzt, <strong>der</strong> Dichter, und dein Freund<br />

Auf ewig bleibt mit dir vereint


Schiller<br />

8<br />

57<br />

S<br />

S8


Schiller<br />

59<br />

Schreib<br />

S 9<br />

freiheit


Durchlauchtigster Herzog<br />

Gnädigster Herzog und<br />

Herr, Das Unglük <strong>eine</strong>s<br />

Unterthanen und <strong>eine</strong>s<br />

Sohns kann dem Fürsten<br />

und Vater niemals<br />

gleichgültig seyn. Ich habe<br />

<strong>eine</strong>n schröklichen Weg<br />

gefunden, das Herz m<strong>eine</strong>s<br />

gnädigsten Herrn zu<br />

rühren, da mir die<br />

natürlichen bei schwerer<br />

Ahndung untersagt worden<br />

sind. Höchstdieselbe<br />

haben mir auf das strengste<br />

verboten litterarische<br />

Schriften herauszugeben,<br />

noch weniger mich mit<br />

Auslän<strong>der</strong>n einzulaßen.<br />

Am 24. September 1782, zwei<br />

Tage nach s<strong>eine</strong>r Flucht<br />

von Stuttgart nach Mannhe<strong>im</strong>,<br />

entwarf Schiller <strong>eine</strong>n Brief<br />

an den württembergischen<br />

Herzog Carl Eugen.<br />

Ich habe mir geschmeichelt<br />

E.H.D. Gründe von Gewicht<br />

dagegen vorbringen zu<br />

können, und die gnädigste<br />

Erlaubniß erbeten,<br />

Höchstdenenselben m<strong>eine</strong><br />

unterthänigste Bitte in<br />

<strong>eine</strong>m Schreiben vortragen<br />

zu dörfen. Da mir diese Bitte<br />

bei Androhung des Arrests<br />

verwaigert ward, m<strong>eine</strong><br />

Umstände aber <strong>eine</strong><br />

gnädigste Mil<strong>der</strong>ung des<br />

mir gemachten Verbots<br />

höchst nothwendig<br />

machten, so zwang mich<br />

die Verzweiflung, den<br />

izigen Weg zu ergreifen.


Schiller<br />

9<br />

61<br />

S<br />

S9


Poesie-<br />

Schiller<br />

Ich bin Willens, bei m<strong>eine</strong>m neuen Etablissement in Leipzig<br />

<strong>eine</strong>m Fehler zuvorzukommen, <strong>der</strong> mir in Mannhe<strong>im</strong> bisher sehr<br />

viel Unannehmlichkeit machte. Es ist dieser, m<strong>eine</strong> eigne<br />

Oekonomie nicht mehr zu führen, und auch nicht mehr allein zu<br />

wohnen. Das erste ist schlechterdings m<strong>eine</strong> Sache nicht es<br />

kostet mich weniger Mühe, <strong>eine</strong> ganze Verschwörung und<br />

Staatsaktion durchzuführen, als m<strong>eine</strong> Wirthschaft, und<br />

Poësie, wißen Sie selbst, ist nirgends gefährlicher, als bei<br />

oekonomischen Rechnungen. M<strong>eine</strong> Seele wird getheilt,<br />

beunruhigt, ich stürze aus m<strong>eine</strong>n idealischen Welten, sobald<br />

mich ein zerrissner Strumpf an die wirkliche mahnt. Fürs<br />

an<strong>der</strong>e brauch ich zu m<strong>eine</strong>r gehe<strong>im</strong>ern Glükseligkeit <strong>eine</strong>n<br />

rechten wahren Herzensfreund, <strong>der</strong> mir stets an <strong>der</strong> Hand ist,<br />

wie mein Engel, dem ich m<strong>eine</strong> aufke<strong>im</strong>enden Ideen und<br />

Empfindungen in <strong>der</strong> Geburt mittheilen kann, nicht aber erst<br />

durch Briefe, o<strong>der</strong> lange Besuche erst zutragen muß. Schon <strong>der</strong><br />

nichtsbedeutende Umstand, daß ich, wenn dieser Freund außer<br />

m<strong>eine</strong>n Pfählen wohnt, die Straße passieren muß, ihn zu<br />

ech-<br />

nung<br />

S 10<br />

erreichen, daß ich mich umkleiden muß und <strong>der</strong>gleichen, tödet<br />

den Genuß des Augenbliks, und die Gedankenreihe kann<br />

zerrissen seyn, biß ich ihn habe. Sehen Sie mein Bester, das<br />

sind nur Kleinigkeiten, aber Kleinigkeiten tragen oft die<br />

schwerste Gewichte <strong>im</strong> Verlauf unsers Lebens.<br />

63


Am 25. März 1785<br />

schil<strong>der</strong>t Schiller<br />

dem Freund Ludwig<br />

Huber selbstkritisch<br />

sein Verhältnis<br />

zur Realität.<br />

Ich bin Willens, bei m<strong>eine</strong>m<br />

neuen Etablissement in Leipzig<br />

<strong>eine</strong>m Fehler zuvorzukommen,<br />

<strong>der</strong> mir in Mannhe<strong>im</strong> bisher<br />

sehr viel Unannehmlichkeit<br />

machte. Es ist dieser, m<strong>eine</strong><br />

eigne Oekonomie nicht mehr<br />

zu führen, und auch nicht<br />

mehr allein zu wohnen. Das<br />

erste ist schlechterdings m<strong>eine</strong><br />

Sache nicht – es kostet mich<br />

weniger Mühe, <strong>eine</strong> ganze<br />

Verschwörung und Staatsaktion<br />

durchzuführen, als m<strong>eine</strong><br />

Wirthschaft, und Poësie,<br />

wißen Sie selbst, ist nirgends<br />

gefährlicher, als bei oekonomischen<br />

Rechnungen.<br />

M<strong>eine</strong> Seele wird getheilt,<br />

beunruhigt, ich stürze aus<br />

m<strong>eine</strong>n idealischen Welten,<br />

sobald mich ein zerrissner<br />

Strumpf an die wirkliche<br />

mahnt. Fürs an<strong>der</strong>e brauch ich<br />

zu m<strong>eine</strong>r gehe<strong>im</strong>ern<br />

Glükseligkeit <strong>eine</strong>n rechten<br />

wahren Herzensfreund, <strong>der</strong><br />

mir stets an <strong>der</strong> Hand ist, wie<br />

mein Engel, dem ich m<strong>eine</strong><br />

aufke<strong>im</strong>enden Ideen und<br />

Empfindungen in <strong>der</strong> Geburt<br />

mittheilen kann, nicht aber erst<br />

durch Briefe, o<strong>der</strong> lange<br />

Besuche erst zutragen muß.<br />

Schon <strong>der</strong> nichtsbedeutende<br />

Umstand, daß ich, wenn dieser<br />

Freund außer m<strong>eine</strong>n 4 Pfählen<br />

wohnt, die Straße passieren<br />

muß, ihn zu erreichen, daß ich<br />

mich umkleiden muß und<br />

<strong>der</strong>gleichen, tödet den Genuß<br />

des Augenbliks, und die<br />

Gedankenreihe kann zerrissen<br />

seyn, biß ich ihn habe. Sehen<br />

Sie mein Bester, das sind nur<br />

Kleinigkeiten, aber<br />

Kleinigkeiten tragen oft die<br />

schwerste Gewichte <strong>im</strong> Verlauf<br />

unsers Lebens.


Schiller<br />

10<br />

65<br />

Ich bin Willens, bei m<strong>eine</strong>m neuen Etablissement in Leipzig<br />

<strong>eine</strong>m Fehler zuvorzukommen, <strong>der</strong> mir in Mannhe<strong>im</strong> bisher sehr<br />

viel Unannehmlichkeit machte. Es ist dieser, m<strong>eine</strong> eigne<br />

Oekonomie nicht mehr zu führen, und auch nicht mehr allein zu<br />

wohnen. Das erste ist schlechterdings m<strong>eine</strong> Sache nicht es<br />

kostet mich weniger Mühe, <strong>eine</strong> ganze Verschwörung und<br />

Staatsaktion durchzuführen, als m<strong>eine</strong> Wirthschaft, und<br />

Poësie, wißen Sie selbst, ist nirgends gefährlicher, als bei<br />

oekonomischen Rechnungen. M<strong>eine</strong> Seele wird getheilt,<br />

beunruhigt, ich stürze aus m<strong>eine</strong>n idealischen Welten, sobald<br />

mich ein zerrissner Strumpf an die wirkliche mahnt. Fürs<br />

an<strong>der</strong>e brauch ich zu m<strong>eine</strong>r gehe<strong>im</strong>ern Glükseligkeit <strong>eine</strong>n<br />

rechten wahren Herzensfreund, <strong>der</strong> mir stets an <strong>der</strong> Hand ist,<br />

wie mein Engel, dem ich m<strong>eine</strong> aufke<strong>im</strong>enden Ideen und<br />

Empfindungen in <strong>der</strong> Geburt mittheilen kann, nicht aber erst<br />

durch Briefe, o<strong>der</strong> lange Besuche erst zutragen muß. Schon <strong>der</strong><br />

nichtsbedeutende Umstand, daß ich, wenn dieser Freund außer<br />

m<strong>eine</strong>n Pfählen wohnt, die Straße passieren muß, ihn zu<br />

erreichen, daß ich mich umkleiden muß und <strong>der</strong>gleichen, tödet<br />

den Genuß des Augenbliks, und die Gedankenreihe kann<br />

zerrissen seyn, biß ich ihn habe. Sehen Sie mein Bester, das<br />

sind nur Kleinigkeiten, aber Kleinigkeiten tragen oft die<br />

schwerste Gewichte <strong>im</strong> Verlauf unsers Lebens.<br />

S<br />

S10


öße<br />

Schiller<br />

67<br />

Überett-<br />

Aber <strong>der</strong> Minna sage doch daß ich<br />

sie herzlich bedaure wegen ihrem<br />

Schlafen, denn wenn Du es in<br />

<strong>der</strong> Nacht machst wie Huber, so<br />

ligt Dein Kopf <strong>im</strong>mer in ihrem<br />

Bette, und das ist ein verfluchtes<br />

Schlafen, wie ich von mir weiß.<br />

Ueberhaupt bin ich für das Bette<br />

zu groß o<strong>der</strong> es ist für mich zu<br />

klein, denn eins m<strong>eine</strong>r Gliedmassen<br />

campiert <strong>im</strong>mer die Nacht<br />

über in <strong>der</strong> Luft.<br />

S 11


Schiller soll 181<br />

Zent<strong>im</strong>eter groß<br />

gewesen sein - am<br />

5. Januar 1787<br />

schrieb er s<strong>eine</strong>m<br />

Freund Körner:<br />

Aber <strong>der</strong> Minna<br />

sage doch daß<br />

ich sie herzlich<br />

bedaure wegen<br />

ihrem Schlafen,<br />

denn wenn Du<br />

es in <strong>der</strong> Nacht<br />

machst wie Huber,<br />

so ligt Dein Kopf<br />

<strong>im</strong>mer in ihrem<br />

Bette, und das ist<br />

ein verfluchtes<br />

Schlafen, wie ich<br />

von mir weiß.<br />

Ueberhaupt bin ich<br />

für das Bette zu<br />

groß o<strong>der</strong> es ist für<br />

mich zu klein,<br />

denn eins m<strong>eine</strong>r<br />

Gliedmassen<br />

campiert <strong>im</strong>mer<br />

die Nacht über in<br />

<strong>der</strong> Luft.


Schiller<br />

11<br />

69<br />

Aber <strong>der</strong> Minna sage doch daß ich<br />

sie herzlich bedaure wegen ihrem<br />

Schlafen, denn wenn Du es in<br />

<strong>der</strong> Nacht machst wie Huber, so<br />

ligt Dein Kopf <strong>im</strong>mer in ihrem<br />

Bette, und das ist ein verfluchtes<br />

Schlafen, wie ich von mir weiß.<br />

Ueberhaupt bin ich für das Bette<br />

zu groß o<strong>der</strong> es ist für mich zu<br />

klein, denn eins m<strong>eine</strong>r Gliedmassen<br />

campiert <strong>im</strong>mer die Nacht<br />

über in <strong>der</strong> Luft.<br />

S<br />

S11


Schiller<br />

Ich bin auf den Bergen, Dresden<br />

zu, herumgeschweift weil es da oben<br />

schon ganz trocken ist. Wirklich<br />

habe ich diese Bewegung höchst<br />

nöthig gehabt, denn diese paar Tage,<br />

auf dem Z<strong>im</strong>mer zugebracht haben mir,<br />

nebst dem Biertrinken, das ich aus<br />

wirklicher Desperation angefangen<br />

habe, dumme Geschichten <strong>im</strong> Unterleib<br />

zugezogen, die ich sonst nie verspürt<br />

habe. […] und wenn ich, Motion<br />

halber, in m<strong>eine</strong>m Z<strong>im</strong>mer springe, so<br />

zittert das Hauß und <strong>der</strong> Wirth<br />

fragt erschrocken, was ich befehle.<br />

S 12 Z<strong>im</strong>mer-<br />

gymnastik<br />

71


Schiller s<strong>eine</strong>m Freund Körner:<br />

Am 22. April 1787 schrieb<br />

Ich bin auf den Bergen, Dresden zu, herumgeschweift weil es da oben schon ganz<br />

trocken ist. Wirklich habe ich diese Bewegung höchst nöthig gehabt, denn diese paar<br />

Tage, auf dem Z<strong>im</strong>mer zugebracht haben mir, nebst dem Biertrinken, das ich aus<br />

wirklicher Desperation angefangen habe, dumme Geschichten <strong>im</strong> Unterleib zugezogen,<br />

die ich sonst nie verspürt habe. […] und wenn ich, Motion halber, in m<strong>eine</strong>m Z<strong>im</strong>mer<br />

springe, so zittert das Hauß und <strong>der</strong> Wirth fragt erschrocken, was ich befehle.


Schiller<br />

12<br />

73<br />

Ich bin auf den Bergen, Dresden<br />

zu, herumgeschweift weil es da oben<br />

schon ganz trocken ist. Wirklich<br />

habe ich diese Bewegung höchst<br />

nöthig gehabt, denn diese paar Tage,<br />

auf dem Z<strong>im</strong>mer zugebracht haben mir,<br />

nebst dem Biertrinken, das ich aus<br />

wirklicher Desperation angefangen<br />

habe, dumme Geschichten <strong>im</strong> Unterleib<br />

zugezogen, die ich sonst nie verspürt<br />

habe. […] und wenn ich, Motion<br />

halber, in m<strong>eine</strong>m Z<strong>im</strong>mer springe, so<br />

zittert das Hauß und <strong>der</strong> Wirth<br />

fragt erschrocken, was ich befehle.<br />

S<br />

S12


Schiller<br />

S 13<br />

Seelen-<br />

Nur zwey Worte m<strong>eine</strong> Lieben, es ist Posttag<br />

und ich kann ihn nicht vorübergehen<br />

laßen, ohne euch zu grüßen. Der H<strong>im</strong>mel<br />

ist heute so heiter, und m<strong>eine</strong> Seele ist<br />

es auch - eben dacht ich, wie schön es<br />

wäre, wenn ich nur von <strong>eine</strong>m Z<strong>im</strong>mer<br />

ins andre zu gehen brauchte, um bey euch<br />

zu seyn. Ach! wenn es erst so weit<br />

seyn wird! Wenn ich jedes aufgl<strong>im</strong>mende<br />

Gefühl m<strong>eine</strong>r Seele sogleich in euer Herz<br />

überströmen kann! Ich vermuthe euch jezt<br />

<strong>im</strong> Garten, <strong>der</strong> r<strong>eine</strong> H<strong>im</strong>mel über euch<br />

und in euch, vielleicht denkt ihr m<strong>eine</strong>r.<br />

Ja ihr denkt an mich - <strong>eine</strong> leise Ahndung<br />

sagt es mir - unsre Seelen sind einan<strong>der</strong><br />

gegenwärtig.<br />

iebes-<br />

75<br />

brief


Schiller war zunächst in zwei Schwestern<br />

gleichzeitig verliebt, Charlotte (s<strong>eine</strong><br />

spätere Frau) und Caroline von Lengefeld.<br />

Am 29. August 1789 schreibt er beiden:<br />

Nur zwey Worte m<strong>eine</strong> Lieben, es<br />

ist Posttag und ich kann ihn nicht<br />

vorübergehen laßen, ohne euch zu<br />

grüßen. Der H<strong>im</strong>mel ist heute so<br />

heiter, und m<strong>eine</strong> Seele ist es<br />

auch — eben dacht ich, wie schön<br />

es wäre, wenn ich nur von <strong>eine</strong>m<br />

Z<strong>im</strong>mer ins andre zu gehen<br />

brauchte, um bey euch zu seyn.<br />

Ach! wenn es erst so weit seyn wird!<br />

Wenn ich jedes aufgl<strong>im</strong>mende<br />

Gefühl m<strong>eine</strong>r Seele sogleich in euer<br />

Herz überströmen kann!<br />

Ich vermuthe euch jezt <strong>im</strong> Garten,<br />

<strong>der</strong> r<strong>eine</strong> H<strong>im</strong>mel über euch und in<br />

euch, vielleicht denkt ihr m<strong>eine</strong>r.<br />

Ja ihr denkt an mich — <strong>eine</strong> leise<br />

Ahndung sagt es mir — unsre Seelen<br />

sind einan<strong>der</strong> gegenwärtig.


Schiller<br />

13<br />

77<br />

Nur zwey Worte m<strong>eine</strong> Lieben, es ist Posttag<br />

und ich kann ihn nicht vorübergehen<br />

laßen, ohne euch zu grüßen. Der H<strong>im</strong>mel<br />

ist heute so heiter, und m<strong>eine</strong> Seele ist<br />

es auch - eben dacht ich, wie schön es<br />

wäre, wenn ich nur von <strong>eine</strong>m Z<strong>im</strong>mer<br />

ins andre zu gehen brauchte, um bey euch<br />

zu seyn. Ach! wenn es erst so weit<br />

seyn wird! Wenn ich jedes aufgl<strong>im</strong>mende<br />

Gefühl m<strong>eine</strong>r Seele sogleich in euer Herz<br />

überströmen kann! Ich vermuthe euch jezt<br />

<strong>im</strong> Garten, <strong>der</strong> r<strong>eine</strong> H<strong>im</strong>mel über euch<br />

und in euch, vielleicht denkt ihr m<strong>eine</strong>r.<br />

Ja ihr denkt an mich - <strong>eine</strong> leise Ahndung<br />

sagt es mir - unsre Seelen sind einan<strong>der</strong><br />

gegenwärtig.<br />

S<br />

S13


erz-<br />

Schiller<br />

S 14<br />

lumen-<br />

79<br />

schlangen-<br />

linien


<strong>Schillers</strong> Schreibmappe mit<br />

Kritzeleien, um 1795.


Schiller<br />

14<br />

81<br />

S<br />

S14


Schiller<br />

und-<br />

S 15<br />

Winterherz-<br />

So wie das Eis wie<strong>der</strong> anfängt<br />

aufzuthauen, geht auch mein Herz<br />

und mein Denkvermögen wie<strong>der</strong><br />

auf, welches beides in den harten<br />

Wintertagen ganz erstarret war.<br />

Solang <strong>der</strong> Winter nun dauert,<br />

bin ich unaufhörlich von <strong>eine</strong>m<br />

Catarrh geplagt, <strong>der</strong> mich in<br />

<strong>der</strong> That sehr angreift und fast<br />

allen Lebensmuth ertödet.<br />

83


Am 20. Januar 1805 (wenige Monate vor<br />

s<strong>eine</strong>m Tod am 8. Mai 1805) schrieb<br />

Schiller an s<strong>eine</strong>n Freund Körner:<br />

So wie das Eis wie<strong>der</strong> anfängt<br />

aufzuthauen, geht auch mein Herz<br />

und mein Denkvermögen wie<strong>der</strong><br />

auf, welches beides in den harten<br />

Wintertagen ganz erstarret war.<br />

Solang <strong>der</strong> Winter nun dauert, bin<br />

ich unaufhörlich von <strong>eine</strong>m Catarrh<br />

geplagt, <strong>der</strong> mich in <strong>der</strong> That sehr<br />

angreift und fast allen Lebensmuth<br />

ertödet.


Schiller<br />

15<br />

85<br />

So wie das Eis wie<strong>der</strong> anfängt<br />

aufzuthauen, geht auch mein Herz<br />

und mein Denkvermögen wie<strong>der</strong><br />

auf, welches beides in den harten<br />

Wintertagen ganz erstarret war.<br />

Solang <strong>der</strong> Winter nun dauert,<br />

bin ich unaufhörlich von <strong>eine</strong>m<br />

Catarrh geplagt, <strong>der</strong> mich in<br />

<strong>der</strong> That sehr angreift und fast<br />

allen Lebensmuth ertödet.<br />

S<br />

S15


Schiller<br />

87<br />

chillerschatten<br />

S 161


Zopf, Uniformkragen bis zum Haaransatz<br />

und Spitzenjabot waren Vorschrift:<br />

das früheste Porträt von Schiller, <strong>eine</strong><br />

um 1774 in <strong>der</strong> Karlsschule entstandene<br />

getuschte Silhouette.


Schiller<br />

16<br />

89<br />

S<br />

S16


ot<br />

Schiller<br />

91<br />

S 17<br />

chiller-


Feuerkopf mit<br />

rotblonden Haaren,<br />

geröteten Wangen,<br />

gebogener Nase und<br />

offenem, weit über<br />

die Jacke gelegten<br />

Hemdkragen: ein<br />

s<strong>eine</strong>m an <strong>der</strong> Karlsschule<br />

als Maler<br />

ausgebildeten<br />

Schulkameraden<br />

Jakob Friedrich<br />

Weckherlin<br />

zugeschriebenes<br />

Schiller-Porträt,<br />

auf 1780 datiert.<br />

Eventuell wurde<br />

das stark übermalte<br />

Gemälde erst <strong>im</strong><br />

Nachhinein zu <strong>eine</strong>m<br />

Schiller-Porträt<br />

umgedeutet.


Schiller<br />

17<br />

93<br />

S<br />

S17


Schiller<br />

äuber-<br />

95<br />

porträt<br />

S 18


1783/84 für den Verkauf in Buchhandlungen<br />

entstandene Radierung nach <strong>eine</strong>m Gemälde des<br />

Ludwigsburger Porzellanmalers Friedrich Kirschner,<br />

die Schiller mit Zopf, gebogener Nase und schwerem<br />

Kinn <strong>im</strong> Profil über <strong>eine</strong>r Szene aus den Räubern<br />

zeigt: „[...] <strong>der</strong> Kupferstecher hat mir fünfzehn<br />

Jahre mehr auf die Rechnung gesetzt,<br />

als ich mich erinnre, gelebt<br />

zu haben.“


Schiller<br />

18<br />

97<br />

S<br />

S18


Freund-<br />

chafts-<br />

Schiller<br />

S 19<br />

99<br />

eichnung


1787 kurz vor <strong>Schillers</strong> Abreise aus Dresden entstandene und<br />

als Geschenk für <strong>Schillers</strong> Schwiegermutter 1790/91 kopierte<br />

Silberstift-Zeichnung von Dora Stock.


Schiller<br />

19<br />

101<br />

S<br />

S19


Schiller<br />

ool<br />

Schiller-<br />

S 20<br />

103


Lässig, mit breitkrempigem Hut<br />

und langer Pfeife auf <strong>eine</strong>m Esel:<br />

Schiller, 1787 gezeichnet von<br />

s<strong>eine</strong>m Freund, dem Maler Johann<br />

Christian Reinhart.


Schiller<br />

20<br />

105<br />

S<br />

S20


Schiller<br />

107<br />

chillerschatten<br />

S 21


Schiller auf <strong>eine</strong>m wohl nach 1805 entstandenen<br />

Scherenschnitt von Luise Duttenhofer.<br />

Mit <strong>der</strong> rechten Hand hält <strong>der</strong> Dichter das Buch,<br />

mit <strong>der</strong> linken klopft er das Versmaß. Eine<br />

nächtlich-romantische Szene? Der Uhu in <strong>der</strong> Ruine<br />

hört jedenfalls aufmerksam und verwun<strong>der</strong>t zu.


Schiller<br />

21<br />

109<br />

S<br />

S21


Schiller<br />

111<br />

chillerschatten<br />

S 22


„Schiller’s Apotheose“<br />

-- Scherenschnitt von<br />

Luise Duttenhofer nach dem<br />

Vorbild von Danneckers<br />

Schillerbüste entstanden.<br />

Im Kahn wartet schon <strong>der</strong><br />

Fährmann Charon, um den<br />

Dichter über den Styx ins<br />

Jenseits überzusetzen,<br />

und die Lyra liegt bereit<br />

– das Instrument, das<br />

<strong>der</strong> Götterbote und<br />

Seelenbegleiter Hermes<br />

erfunden und s<strong>eine</strong>m<br />

Bru<strong>der</strong> Apollo, dem<br />

Gott <strong>der</strong> Poesie, geschenkt<br />

hat. Schiller<br />

liest dieweil noch in<br />

aller Seelenruhe. S<strong>eine</strong><br />

Jünger tragen auf dieser<br />

antikisch stilisierten<br />

H<strong>im</strong>melfahrt die Schleppe<br />

und halten ihm den<br />

Lorbeer über den Kopf.


Schiller<br />

22<br />

113<br />

S<br />

S22


Schiller-<br />

locken-<br />

Schiller<br />

S 23<br />

os<br />

115


Schiller, 1804 nach <strong>eine</strong>m Treffen mit<br />

Johann Gottfried Schadow in Berlin<br />

von diesem gezeichnet (hier von Horst<br />

Janssen 1975 in <strong>eine</strong> Radierung<br />

umgesetzt).


Schiller<br />

23<br />

117<br />

S<br />

S23


Schiller<br />

Haus-<br />

S 24<br />

bild<br />

119


Erstmals offenes Haar und die Hand auf<br />

<strong>der</strong> Tabaksdose: Ein von <strong>Schillers</strong><br />

Freund Christian Gottfried Körner bei<br />

dem Dresdner Porträtmaler Anton Graff<br />

1786 in Auftrag gegebenes Porträt in<br />

<strong>der</strong> Kopie von Dora Stock, die 1794/95<br />

das Bild in Pastell kopierte, damit<br />

Schiller ein Exemplar zu Hause hatte.


Schiller<br />

24<br />

121<br />

S<br />

S24


vorbild<br />

123<br />

Schiller<br />

chiller-<br />

S 25


Der Urvater aller Dichter, Homer,<br />

steht über allem <strong>im</strong> Hintergrund:<br />

Schiller auf <strong>eine</strong>m Gemälde, das<br />

die Ludwigsburger Jugendfreundin<br />

Ludovike S<strong>im</strong>anowiz 1793/94 malte.


Schiller<br />

25<br />

125<br />

S<br />

S25


Schiller<br />

127<br />

S 26<br />

Marmorchiller-<br />

locke


Marmorlocke, die Johann Heinrich von<br />

Dannecker angeblich in geistiger Umnachtung<br />

von s<strong>eine</strong>r Schiller-Büste abgeschlagen hat:<br />

„Mit herzlich [sic] Dank für die schöne<br />

Musik / Director v. Dannecker / Stuttgart<br />

d. 20ten Nov / 1838.“<br />

Vermutlich wollte<br />

Dannecker durch<br />

die Reduktion <strong>der</strong><br />

Lockenfülle das<br />

Porträt in <strong>eine</strong><br />

an<strong>der</strong>e Bildtradition<br />

stellen:<br />

vom lockenköpfigen<br />

Apoll hin zu<br />

Christus mit<br />

strähnigen Haaren.


Schiller<br />

26<br />

129<br />

S<br />

S26


Schiller<br />

131<br />

chillerschatten<br />

S 274


Scherenschnitt, den Dannecker<br />

1805 nach <strong>Schillers</strong> Totenmaske<br />

als Grundlage für die Arbeit<br />

an <strong>der</strong> Kolossalbüste fertigte.


Schiller<br />

27<br />

133<br />

S<br />

S27


Schiller<br />

135<br />

chillerschatten<br />

S 28


Schiller offiziell <strong>im</strong><br />

„frac à la française“<br />

auf <strong>eine</strong>m anonymen<br />

Scherenschnitt aus den<br />

1790er-Jahren.


Schiller<br />

28<br />

137<br />

S<br />

S28


Schiller<br />

chillereiche<br />

S 29<br />

139


Entfloh’n <strong>der</strong> Schule bangen Räumen<br />

Las Schiller unter Tannenbäumen<br />

Schiller trägt <strong>im</strong> Bopserwald bei Stuttgart<br />

den Mitschülern die Räuber vor. Der Mitschüler<br />

Victor Wilhelm Heideloff zeichnete die Szene<br />

zuerst, sein Sohn Karl Alexan<strong>der</strong> variierte sie<br />

dann Mitte des 19. Jahrhun<strong>der</strong>ts mehrfach, ein<br />

Exemplar wird von Justinus Kerner kommentiert:<br />

Sein erstes Schauspiel, das von Moor,<br />

Fünf ihm gefolgten Freunden vor.<br />

Bald bald doch unter deutschen Eichen<br />

Sah man ein ganzes Volk ihm reichen,<br />

Ihm, schon umstrahlt vom Dichterglanz<br />

<strong>der</strong> deutschen Eiche Siegerkranz.


Schiller<br />

29<br />

141<br />

S<br />

S29


Schiller<br />

S 30<br />

chillerut<br />

143


Le<strong>der</strong>ner Hut, mit herunterklappbaren Seiten<br />

gegen Wind und Regen. Schiller soll ihn<br />

als Karlsschüler getragen haben; bei s<strong>eine</strong>m<br />

Eintritt 1773 wird ein „ordentlicher Hut“<br />

aufgeführt.


Schiller<br />

30<br />

145<br />

S<br />

S30


Schiller<br />

S 31<br />

chilleranzug<br />

147


Zwei von drei in Marbach überlieferten Westen<br />

<strong>Schillers</strong> und zwei Hosen aus <strong>Schillers</strong> Besitz.


Schiller<br />

31<br />

149<br />

S<br />

S31


Schiller<br />

S 32<br />

chillersocken<br />

151


Seidene Strümpfe mit um 1800 hochmodischen<br />

Längsstreifen, aus <strong>Schillers</strong> Besitz.


Schiller<br />

32<br />

153<br />

S<br />

S32


Schiller<br />

S 33<br />

Kostümparty<br />

155


Schärpe, die Alexan<strong>der</strong> von Humboldt 1804 Schiller<br />

aus Brasilien mitgebracht haben soll, <strong>der</strong> sie<br />

dann -- so wird berichtet -- auf <strong>eine</strong>m Kostümfest,<br />

wohl in Manier <strong>der</strong> französischen Revolutionäre<br />

als bauschigen Gürtel um die Hüfte geschlungen,<br />

getragen hat.


Schiller<br />

33<br />

157<br />

S<br />

S33


Schiller<br />

S 34<br />

Farbenhantasie<br />

159


Wollschal aus dem Besitz von <strong>Schillers</strong> Schwester Christophine.<br />

Das auffällige Muster erinnert an ein Phänomen, das Schiller<br />

1797 Goethe schil<strong>der</strong>t: „Ich betrachtete damit [mit <strong>eine</strong>m gelben<br />

Glas] die Gegenstände vor m<strong>eine</strong>m Fenster, und hielt es so<br />

weit horizontal vor das Auge, daß es mir zu gleicher Zeit die<br />

Gegenstände unter demselben zeigte, und auf s<strong>eine</strong>r Fläche<br />

den blauen H<strong>im</strong>mel abspiegelte, und so erschienen mir an den<br />

hochgelb gefärbten Gegenständen alle die Stellen hell<br />

purpurfarbig [...].“


Schiller<br />

34<br />

161<br />

S<br />

S34


Schiller<br />

Räuber<br />

sein<br />

S 35<br />

Luft holen für<br />

<strong>eine</strong>n langen Atem<br />

– Schiller<br />

spielen<br />

Man nehme dieses Schauspiel für nichts An<strong>der</strong>es, als <strong>eine</strong><br />

dramatische Geschichte, die die Vortheile <strong>der</strong> dramatischen<br />

Methode, die Seele gleichsam bei ihren gehe<strong>im</strong>sten<br />

Operationen zu ertappen, benutzt, ohne sich übrigens in<br />

die Schranken <strong>eine</strong>s Theaterstücks einzuzäunen.<br />

Wer sich den Zweck vorgezeichnet hat, das Laster zu stürzen<br />

und Religion, Moral und bürgerliche Gesetze an ihren<br />

Feinden zu rächen, ein solcher muß das Laster in s<strong>eine</strong>r<br />

nackten Abscheulichkeit enthüllen und in s<strong>eine</strong>r kolossalischen<br />

Größe vor das Auge <strong>der</strong> Menschheit stellen, – er<br />

selbst muß augenblicklich s<strong>eine</strong> nächtlichen Labyrinthe<br />

durchwan<strong>der</strong>n, – er muß sich in Empfindungen hineinzuzwingen<br />

wissen, unter <strong>der</strong>en Wi<strong>der</strong>natürlichkeit sich s<strong>eine</strong><br />

Seele sträubt.<br />

163<br />

Ich habe versucht, von <strong>eine</strong>m Mißmenschen dieser Art ein<br />

treffendes, lebendiges Conterfei hinzuwerfen, die vollständige<br />

Mechanik s<strong>eine</strong>s Laster systems auseinan<strong>der</strong> zu<br />

glie<strong>der</strong>n – und ihre Kraft an <strong>der</strong> Wahrheit zu prüfen.<br />

Übung 1:<br />

Bauch und Lunge /<br />

Luft holen für<br />

<strong>eine</strong>n langen Atem


<strong>Schillers</strong> erstes und zu<br />

Lebzeiten erfolgreichstes Schauspiel<br />

wird in Gang gesetzt, indem <strong>der</strong><br />

hässliche Franz Moor s<strong>eine</strong>n älteren,<br />

schöneren Bru<strong>der</strong> Karl be<strong>im</strong> Vater durch<br />

<strong>eine</strong>n gefälschten Brief verleumdet:<br />

Sein Lieblingssohn werde nach <strong>eine</strong>m<br />

Mord steckbrieflich gesucht. Dem Bru<strong>der</strong><br />

schickt er ebenfalls <strong>eine</strong>n gefälschten<br />

Brief: Der Vater verstoße ihn. Karl,<br />

<strong>der</strong> für die Unterdrückten kämpfen will,<br />

schließt sich daraufhin <strong>eine</strong>r Räuberbande<br />

an; auch das edle Ziel ist auf<br />

schlechte Taten angewiesen: Raub und<br />

Totschlag. Am Ende tötet Franz sich<br />

selbst, Karl dagegen löst durch sein<br />

Geständnis, ein Räuber zu sein, den Tod<br />

des Vaters aus, ersticht s<strong>eine</strong> Geliebte<br />

Amalia und stellt sich, das Todesurteil<br />

vor Augen, freiwillig. An<strong>der</strong>s als <strong>im</strong><br />

Märchen gewinnt am Ende das Gute und<br />

Schöne nicht eindeutig gegen das Böse<br />

und Hässliche. Längst ist die Welt<br />

unter moralischen Gesichtspunkten nicht<br />

mehr so einfach zu fassen.<br />

Die Räuber waren bei ihrer Erstaufführung<br />

am 13. Januar 1782 in Mannhe<strong>im</strong><br />

ein Ereignis: „Das Theater glich <strong>eine</strong>m<br />

Irrenhause, rollende Augen, geballte<br />

Fäuste, stampfende Füße, heisere<br />

Aufschreie <strong>im</strong> Zuschauerraum! Fremde<br />

Menschen fielen einan<strong>der</strong> schluchzend in<br />

die Arme, Frauen wankten, <strong>eine</strong>r<br />

Ohnmacht nahe, zur Thüre. Es war <strong>eine</strong><br />

allgem<strong>eine</strong> Auflösung wie <strong>im</strong> Chaos, aus<br />

deßen Nebeln <strong>eine</strong> neue Schöpfung<br />

hervorbricht!“ Bertolt Brecht deutet<br />

sie an<strong>der</strong>thalb Jahrhun<strong>der</strong>te später<br />

als Sieg des Theatralischen über die<br />

abgebildete Wirklichkeit: „Schiller<br />

arbeitet die dramatischen Szenen aus,<br />

auch die Monologe, legt großen Wert auf<br />

die ›Schönheiten‹ und legt sorgfältig<br />

s<strong>eine</strong> Effekte an. Alles zielt darauf ab,<br />

Begeisterung zu erwecken, mitzureißen,<br />

zu entzücken, moralisch wie ästhetisch,<br />

hochgesinnte Charaktere, spannende<br />

Verwicklungen, rhetorische Explosionen,<br />

Ausstellungen starker Leidenschaften,<br />

Anzettelung atemrauben<strong>der</strong> Kontroversen.“<br />

Wie allein mit <strong>der</strong> Sprache so große<br />

Emotionen erzeugt und so starke Figuren<br />

zum Leben erweckt werden können, steht<br />

<strong>im</strong> Mittelpunkt dieses Ausstellungsexper<strong>im</strong>ents.<br />

<strong>Schillers</strong> Schreiben zielt<br />

auf die Bewegung <strong>der</strong> Seele wie des<br />

Körpers und verwickelt <strong>eine</strong>n von Kopf<br />

bis Fuß, dass <strong>eine</strong>m manchmal um ein<br />

Haar Hören und Sehen vergeht und nichts<br />

mehr zu sitzen scheint, wo es hingehört.<br />

Das prägt sein Leben wie sein<br />

Werk, ist an s<strong>eine</strong>m Nachlass wie an<br />

s<strong>eine</strong>n Texten sichtbar. Vom Satzzeichen<br />

und Wortklang über den Aufbau <strong>eine</strong>s<br />

Satzes hin zur Reihung in <strong>eine</strong>r<br />

längeren Passage, vom Tätigkeitswort<br />

hin zum Begriff provozieren diese,<br />

dass man sie sich m<strong>im</strong>isch vorstellt –<br />

mit Bauch und Lunge, Mund und Augen,<br />

Händen, Haltung, B<strong>eine</strong>n und Füßen.


Schiller<br />

Luft holen für<br />

<strong>eine</strong>n langen Atem<br />

35<br />

165<br />

Man nehme dieses Schauspiel für nichts An<strong>der</strong>es, als <strong>eine</strong><br />

dramatische Geschichte, die die Vortheile <strong>der</strong> dramatischen<br />

Methode, die Seele gleichsam bei ihren gehe<strong>im</strong>sten<br />

Operationen zu ertappen, benutzt, ohne sich übrigens in<br />

die Schranken <strong>eine</strong>s Theaterstücks einzuzäunen.<br />

Wer sich den Zweck vorgezeichnet hat, das Laster zu stürzen<br />

und Religion, Moral und bürgerliche Gesetze an ihren<br />

Feinden zu rächen, ein solcher muß das Laster in s<strong>eine</strong>r<br />

nackten Abscheulichkeit enthüllen und in s<strong>eine</strong>r kolossalischen<br />

Größe vor das Auge <strong>der</strong> Menschheit stellen, – er<br />

selbst muß augenblicklich s<strong>eine</strong> nächtlichen Labyrinthe<br />

durchwan<strong>der</strong>n, – er muß sich in Empfindungen hineinzuzwingen<br />

wissen, unter <strong>der</strong>en Wi<strong>der</strong>natürlichkeit sich s<strong>eine</strong><br />

Seele sträubt.<br />

Ich habe versucht, von <strong>eine</strong>m Mißmenschen dieser Art ein<br />

treffendes, lebendiges Conterfei hinzuwerfen, die vollständige<br />

Mechanik s<strong>eine</strong>s Laster systems auseinan<strong>der</strong> zu<br />

glie<strong>der</strong>n – und ihre Kraft an <strong>der</strong> Wahrheit zu prüfen.<br />

S<br />

S35


Schiller<br />

Räuber<br />

sein<br />

FRANZ<br />

FRANZ<br />

FRANZ<br />

FRANZ<br />

FRANZ<br />

FRANZ<br />

FRANZ<br />

FRANZ<br />

FRANZ<br />

FRANZ<br />

GRIMM<br />

SCHWEIZER<br />

SCHWEIZER<br />

S 36<br />

An die Füße<br />

denken<br />

– Schiller<br />

spielen<br />

unruhig <strong>im</strong> Z<strong>im</strong>mer auf und ab gehend<br />

wild auf ihn losgehend<br />

fällt in <strong>eine</strong>n Stuhl<br />

aufgesprungen<br />

wirft sich in s<strong>eine</strong>m Sessel herum in schrecklichen Bewegungen<br />

umarmt ihn ungestüm<br />

auf den Knieen<br />

auf Brust und Stirn schlagend<br />

steht auf<br />

reißt s<strong>eine</strong> goldene Hutschnur ab und erdrosselt sich<br />

stößt an die Leiche<br />

rüttelt ihn<br />

tritt von ihm weg und schießt sich vor die Stirn<br />

167<br />

Übung 2:<br />

B<strong>eine</strong> und Füße /<br />

An die Füße denken /<br />

Umarmt auseinan<strong>der</strong>laufen


Schiller provoziert, dass<br />

man sich s<strong>eine</strong> Texte m<strong>im</strong>isch vorstellt<br />

– mit Bauch und Lunge, Mund und Augen,<br />

Händen, Haltung, B<strong>eine</strong>n und Füßen wie<br />

hier in Die Räuber.


Schiller<br />

36<br />

169<br />

An die Füße<br />

denken<br />

FRANZ<br />

FRANZ<br />

FRANZ<br />

FRANZ<br />

FRANZ<br />

FRANZ<br />

FRANZ<br />

FRANZ<br />

FRANZ<br />

FRANZ<br />

GRIMM<br />

SCHWEIZER<br />

SCHWEIZER<br />

unruhig <strong>im</strong> Z<strong>im</strong>mer auf und ab gehend<br />

wild auf ihn losgehend<br />

fällt in <strong>eine</strong>n Stuhl<br />

aufgesprungen<br />

wirft sich in s<strong>eine</strong>m Sessel herum in schrecklichen Bewegungen<br />

umarmt ihn ungestüm<br />

auf den Knieen<br />

auf Brust und Stirn schlagend<br />

steht auf<br />

reißt s<strong>eine</strong> goldene Hutschnur ab und erdrosselt sich<br />

stößt an die Leiche<br />

rüttelt ihn<br />

tritt von ihm weg und schießt sich vor die Stirn<br />

S<br />

S36


Schiller<br />

Räuber<br />

Umarmt<br />

auseinan<strong>der</strong>laufen<br />

sein<br />

DER ALTE<br />

MOOR<br />

KARL<br />

Amalia! M<strong>eine</strong> Tochter! Amalia!<br />

hält sie in s<strong>eine</strong>n Armen gepreßt<br />

zurückspringend<br />

Wer bringt dies Bild vor m<strong>eine</strong> Augen?<br />

– Schiller<br />

spielen<br />

AMALIA entspringt dem Alten, springt auf den Räuber<br />

zu und umschlingt ihn entzückt<br />

Ich hab’ ihn, o ihr Sterne! Ich hab’ ihn! –<br />

171<br />

S 37<br />

KARL<br />

sich losreißend, zu den Räubern<br />

Brecht auf, ihr! [...] Reißt sie von m<strong>eine</strong>m Halse!<br />

Tödtet sie! Tödtet ihn! mich! euch! Alles!<br />

Die ganze Welt geh zu Grunde! Er will davon<br />

AMALIA<br />

Wohin? was? Liebe – Ewigkeit!<br />

Wonn’ – Unendlichkeit! und du fliehst?<br />

KARL<br />

AMALIA<br />

Weg, weg! – Unglückseligste <strong>der</strong> Bräute! – Schau<br />

selbst, frage selbst, höre! – Unglückseligster<br />

<strong>der</strong> Väter! Laß mich <strong>im</strong>mer ewig davon rennen!<br />

Haltet mich! Um Gotteswillen, haltet mich! –<br />

Übung 3:<br />

B<strong>eine</strong> und Füße /<br />

Umarmt auseinan<strong>der</strong>laufen


Schiller provoziert,<br />

dass man sich s<strong>eine</strong> Texte mit<br />

dem ganzen Körper vorstellt – mit<br />

Bauch und Lunge, Mund und Augen,<br />

Händen, Haltung, B<strong>eine</strong>n und Füßen<br />

wie hier in Die Räuber.


Schiller<br />

37<br />

173<br />

Umarmt<br />

auseinan<strong>der</strong>laufen<br />

DER ALTE<br />

MOOR<br />

KARL<br />

AMALIA<br />

KARL<br />

AMALIA<br />

KARL<br />

AMALIA<br />

Amalia! M<strong>eine</strong> Tochter! Amalia!<br />

hält sie in s<strong>eine</strong>n Armen gepreßt<br />

zurückspringend<br />

Wer bringt dies Bild vor m<strong>eine</strong> Augen?<br />

entspringt dem Alten, springt auf den Räuber<br />

zu und umschlingt ihn entzückt<br />

Ich hab’ ihn, o ihr Sterne! Ich hab’ ihn! –<br />

sich losreißend, zu den Räubern<br />

Brecht auf, ihr! [...] Reißt sie von m<strong>eine</strong>m Halse!<br />

Tödtet sie! Tödtet ihn! mich! euch! Alles!<br />

Die ganze Welt geh zu Grunde! Er will davon<br />

Wohin? was? Liebe – Ewigkeit!<br />

Wonn’ – Unendlichkeit! und du fliehst?<br />

Weg, weg! – Unglückseligste <strong>der</strong> Bräute! – Schau<br />

selbst, frage selbst, höre! – Unglückseligster<br />

<strong>der</strong> Väter! Laß mich <strong>im</strong>mer ewig davon rennen!<br />

Haltet mich! Um Gotteswillen, haltet mich! –<br />

S<br />

S37


Schiller<br />

Räuber<br />

sein<br />

Sich be<strong>im</strong> Sprechen<br />

allmählich ansehen<br />

FRANZ Ich muß diese Papiere vollends<br />

aufheben, wie leicht könnte Jemand<br />

m<strong>eine</strong> Handschrift kennen?<br />

Er liest die zerrissenen Briefstücke<br />

zusammen.<br />

– Schiller<br />

spielen<br />

175<br />

S 38<br />

Und Gram wird auch den Alten bald<br />

fortschaffen, – und ihr muß ich diesen<br />

Karl aus dem Herzen reißen, wenn auch<br />

ihr halbes Leben dran hängen bleiben<br />

sollte. [...] - Warum bin ich nicht<br />

<strong>der</strong> Erste aus dem Mutterleib gekrochen?<br />

warum nicht <strong>der</strong> Einzige? Warum mußte<br />

sie mir diese Bürde von Häßlichkeit<br />

aufladen? gerade mir? Nicht an<strong>der</strong>s, als<br />

ob sie bei m<strong>eine</strong>r Geburt <strong>eine</strong>n Rest<br />

gesetzt hätte. Warum gerade mir die<br />

Lapplän<strong>der</strong>snase? gerade mir dieses<br />

Mohrenmaul? diese Hottentottenaugen?<br />

Übung 4:<br />

Augen und Mund /<br />

Sich be<strong>im</strong> Sprechen<br />

allmählich ansehen


Schiller provoziert,<br />

dass man sich s<strong>eine</strong> Texte mit<br />

dem ganzen Körper vorstellt – mit<br />

Bauch und Lunge, Mund und Augen,<br />

Händen, Haltung, B<strong>eine</strong>n und Füßen<br />

wie hier in Die Räuber.


Schiller<br />

38<br />

177<br />

Sich be<strong>im</strong> Sprechen<br />

allmählich ansehen<br />

FRANZ Ich muß diese Papiere vollends<br />

aufheben, wie leicht könnte Jemand<br />

m<strong>eine</strong> Handschrift kennen?<br />

Er liest die zerrissenen Briefstücke<br />

zusammen.<br />

Und Gram wird auch den Alten bald<br />

fortschaffen, – und ihr muß ich diesen<br />

Karl aus dem Herzen reißen, wenn auch<br />

ihr halbes Leben dran hängen bleiben<br />

sollte. [...] - Warum bin ich nicht<br />

<strong>der</strong> Erste aus dem Mutterleib gekrochen?<br />

warum nicht <strong>der</strong> Einzige? Warum mußte<br />

sie mir diese Bürde von Häßlichkeit<br />

aufladen? gerade mir? Nicht an<strong>der</strong>s, als<br />

ob sie bei m<strong>eine</strong>r Geburt <strong>eine</strong>n Rest<br />

gesetzt hätte. Warum gerade mir die<br />

Lapplän<strong>der</strong>snase? gerade mir dieses<br />

Mohrenmaul? diese Hottentottenaugen?<br />

S<br />

S38


Schiller<br />

Räuber<br />

DER ALTE<br />

MOOR<br />

AMALIA<br />

Anfassen<br />

sein<br />

DER ALTE<br />

MOOR<br />

AMALIA<br />

träumend<br />

Mein Sohn! mein Sohn! mein Sohn!<br />

ergreift s<strong>eine</strong> Hand Horch, horch! sein Sohn<br />

ist in s<strong>eine</strong>n Träumen.<br />

– Schiller<br />

spielen<br />

Bist du da? bist du wirklich? Ach wie siehst<br />

du so elend! Sieh mich nicht an mit diesem<br />

kummervollen Blick! ich bin elend genug.<br />

weckt ihn schnell Seht auf, lieber Greis! Ihr<br />

träumtet nur. Faßt Euch!<br />

179<br />

S 39<br />

DER ALTE<br />

MOOR<br />

halb wach Er war nicht da? drückt‘ ich nicht<br />

s<strong>eine</strong> Hände? [...] Wo ist er? wo? wo bin ich?<br />

Du da, Amalia? [...] Mir träumte von m<strong>eine</strong>m<br />

Sohn. Warum hab’ ich nicht fortgeträumt?<br />

Vielleicht hätt‘ ich Verzeihung erhalten aus<br />

s<strong>eine</strong>m Munde.<br />

AMALIA<br />

Engel grollen nicht – er verzeiht Euch.<br />

Faßt s<strong>eine</strong> Hand mit Wehmut<br />

Vater m<strong>eine</strong>s Karls! ich verzeih‘ Euch.<br />

DER ALTE<br />

MOOR<br />

Übung 5:<br />

AMALIA<br />

Nein, m<strong>eine</strong> Tochter! diese Todtenfarbe d<strong>eine</strong>s<br />

Angesichts verdammt den Vater. Armes Mädchen!<br />

Ich brachte dich um die Freuden d<strong>eine</strong>r<br />

Jugend – o fluche mir nicht!<br />

küßt s<strong>eine</strong> Hand mit Zärtlichkeit<br />

Hände /<br />

Anfassen


Schiller provoziert,<br />

dass man sich s<strong>eine</strong> Texte mit<br />

dem ganzen Körper vorstellt – mit<br />

Bauch und Lunge, Mund und Augen,<br />

Händen, Haltung, B<strong>eine</strong>n und Füßen<br />

wie hier in Die Räuber.


Schiller<br />

Anfassen<br />

39<br />

181<br />

DER ALTE<br />

MOOR<br />

AMALIA<br />

DER ALTE<br />

MOOR<br />

AMALIA<br />

DER ALTE<br />

MOOR<br />

AMALIA<br />

DER ALTE<br />

MOOR<br />

AMALIA<br />

träumend<br />

Mein Sohn! mein Sohn! mein Sohn!<br />

ergreift s<strong>eine</strong> Hand Horch, horch! sein Sohn<br />

ist in s<strong>eine</strong>n Träumen.<br />

Bist du da? bist du wirklich? Ach wie siehst<br />

du so elend! Sieh mich nicht an mit diesem<br />

kummervollen Blick! ich bin elend genug.<br />

weckt ihn schnell Seht auf, lieber Greis! Ihr<br />

träumtet nur. Faßt Euch!<br />

halb wach Er war nicht da? drückt‘ ich nicht<br />

s<strong>eine</strong> Hände? [...] Wo ist er? wo? wo bin ich?<br />

Du da, Amalia? [...] Mir träumte von m<strong>eine</strong>m<br />

Sohn. Warum hab’ ich nicht fortgeträumt?<br />

Vielleicht hätt‘ ich Verzeihung erhalten aus<br />

s<strong>eine</strong>m Munde.<br />

Engel grollen nicht – er verzeiht Euch.<br />

Faßt s<strong>eine</strong> Hand mit Wehmut<br />

Vater m<strong>eine</strong>s Karls! ich verzeih‘ Euch.<br />

Nein, m<strong>eine</strong> Tochter! diese Todtenfarbe d<strong>eine</strong>s<br />

Angesichts verdammt den Vater. Armes Mädchen!<br />

Ich brachte dich um die Freuden d<strong>eine</strong>r<br />

Jugend – o fluche mir nicht!<br />

küßt s<strong>eine</strong> Hand mit Zärtlichkeit<br />

S<br />

S39


Schiller<br />

Räuber<br />

sein<br />

KARL MOOR<br />

S 40<br />

Gegen die<br />

Wand rennen<br />

– Schiller<br />

spielen<br />

auffahrend aus <strong>eine</strong>r schrecklichen Pause<br />

Betrogen, betrogen! da fährt es<br />

über m<strong>eine</strong> Seele wie <strong>der</strong> Blitz! - [...]<br />

H<strong>im</strong>mel und Hölle! Nicht du, Vater!<br />

Spitzbübische Künste! Mör<strong>der</strong>,<br />

Räuber durch spitzbübische Künste!<br />

– voll Liebe sein Herz – oh ich<br />

Ungeheuer von <strong>eine</strong>m Thoren – voll<br />

Liebe sein Vaterherz – oh Schelmerei,<br />

Schelmerei! Es hätte mich <strong>eine</strong>n<br />

Fußfall gekostet – es hätte mich <strong>eine</strong><br />

Thräne gekostet – oh ich blö<strong>der</strong>,<br />

blö<strong>der</strong>, blö<strong>der</strong> Thor!<br />

wi<strong>der</strong> die Wand rennend<br />

183<br />

Übung 6:<br />

Der ganze Körper /<br />

Gegen die Wand rennen


Schiller provoziert,<br />

dass man sich s<strong>eine</strong> Texte mit<br />

dem ganzen Körper vorstellt – mit<br />

Bauch und Lunge, Mund und Augen,<br />

Händen, Haltung, B<strong>eine</strong>n und Füßen<br />

wie hier in Die Räuber.


Schiller<br />

40<br />

185<br />

Gegen die<br />

Wand rennen<br />

KARL MOOR<br />

auffahrend aus <strong>eine</strong>r schrecklichen Pause<br />

Betrogen, betrogen! da fährt es<br />

über m<strong>eine</strong> Seele wie <strong>der</strong> Blitz! - [...]<br />

H<strong>im</strong>mel und Hölle! Nicht du, Vater!<br />

Spitzbübische Künste! Mör<strong>der</strong>,<br />

Räuber durch spitzbübische Künste!<br />

– voll Liebe sein Herz – oh ich<br />

Ungeheuer von <strong>eine</strong>m Thoren – voll<br />

Liebe sein Vaterherz – oh Schelmerei,<br />

Schelmerei! Es hätte mich <strong>eine</strong>n<br />

Fußfall gekostet – es hätte mich <strong>eine</strong><br />

Thräne gekostet – oh ich blö<strong>der</strong>,<br />

blö<strong>der</strong>, blö<strong>der</strong> Thor!<br />

wi<strong>der</strong> die Wand rennend<br />

S<br />

S40


Schiller<br />

Räuber<br />

sein<br />

AMALIA<br />

S 41<br />

Wie<br />

angewurzelt<br />

Übung 7:<br />

– Schiller<br />

spielen<br />

<strong>im</strong> Garten<br />

Du weinst, Amalia? – und das sprach<br />

er mit <strong>eine</strong>r St<strong>im</strong>me, mit <strong>eine</strong>r St<strong>im</strong>me –<br />

mir war’s, als ob die Natur sich<br />

verjüngte – die genossenen Lenze <strong>der</strong><br />

Liebe dämmerten auf mit <strong>der</strong> St<strong>im</strong>me!<br />

Die Nachtigall schlug wie damals – die<br />

Blumen hauchten wie damals – und ich<br />

lag wonneberauscht an s<strong>eine</strong>m Hals - [...]<br />

Du weinst, Amalia? – Ha, ich will ihn<br />

fliehen! – fliehen! - [...]<br />

Räuber Moor öffnet die Gartenthüre.<br />

Amalia fährt zusammen. [...] Sie wird<br />

Karl gewahr und springt auf<br />

Er – wohin? – was? – da hat mich’s<br />

angewurzelt, daß ich nicht fliehen kann –<br />

Der ganze Körper /<br />

Wie angewurzelt<br />

187


Schiller provoziert,<br />

dass man sich s<strong>eine</strong> Texte mit<br />

dem ganzen Körper vorstellt – mit<br />

Bauch und Lunge, Mund und Augen,<br />

Händen, Haltung, B<strong>eine</strong>n und Füßen<br />

wie hier in Die Räuber.


Schiller<br />

41<br />

189<br />

Wie<br />

angewurzelt<br />

AMALIA<br />

<strong>im</strong> Garten<br />

Du weinst, Amalia? – und das sprach<br />

er mit <strong>eine</strong>r St<strong>im</strong>me, mit <strong>eine</strong>r St<strong>im</strong>me –<br />

mir war’s, als ob die Natur sich<br />

verjüngte – die genossenen Lenze <strong>der</strong><br />

Liebe dämmerten auf mit <strong>der</strong> St<strong>im</strong>me!<br />

Die Nachtigall schlug wie damals – die<br />

Blumen hauchten wie damals – und ich<br />

lag wonneberauscht an s<strong>eine</strong>m Hals - [...]<br />

Du weinst, Amalia? – Ha, ich will ihn<br />

fliehen! – fliehen! - [...]<br />

Räuber Moor öffnet die Gartenthüre.<br />

Amalia fährt zusammen. [...] Sie wird<br />

Karl gewahr und springt auf<br />

Er – wohin? – was? – da hat mich’s<br />

angewurzelt, daß ich nicht fliehen kann –<br />

S<br />

S41


Schiller<br />

sicht<br />

Welt-<br />

*<br />

¬<br />

¬<br />

¬<br />

¬<br />

S 42<br />

191


Schiller beurteilte den zehn Jahre jüngeren Alexan<strong>der</strong> von Humboldt<br />

zunächst skeptisch: „Über Alexan<strong>der</strong>n habe ich noch kein rechtes Urtheil;<br />

ich fürchte aber, trotz aller s<strong>eine</strong>r Talente und s<strong>eine</strong>r rastlosen<br />

Thätigkeit wird er in s<strong>eine</strong>r Wissenschaft nie etwas Großes leisten. […]<br />

Es ist <strong>der</strong> nackte, schneidende Verstand, <strong>der</strong> die Natur, die <strong>im</strong>mer<br />

unfaßlich und in allen ihren Punkten ehrwürdig und unergründlich ist,<br />

schamlos ausgemessen haben will und mit <strong>eine</strong>r Frechheit die ich<br />

nicht begreife, s<strong>eine</strong> Formeln, die oft nur leere Formeln und <strong>im</strong>mer nur<br />

enge Begriffe sind, zu ihrem Maßstabe macht.“<br />

*<br />

Wie sehr Humboldt die Welt auszumessen versucht hat (und wie poetisch<br />

und schön diese Vermessung <strong>der</strong> Welt aussehen kann), zeigt sein<br />

1805, <strong>im</strong> Todesjahr von Schiller, gezeichneter Querschnitt durch die<br />

Anden, in dem die gefundenen Pflanzen nach Höhenmetern verortet<br />

sind („Geographie <strong>der</strong> Pflanzen in den Tropenlän<strong>der</strong>n, ein Naturgemälde<br />

<strong>der</strong> Anden, gegründet auf Beobachtungen und Messungen, welche vom<br />

10. Grade nördlicher bis zum 10. Grade südlicher Breite angestellt<br />

worden sind, in den Jahren 1799 bis 1803“).<br />

¬<br />

Goethe übrigens hat auf diese Zeichnung<br />

mit <strong>eine</strong>m Strichmännchen reagiert und<br />

Humboldt in den „Höhen <strong>der</strong> alten und <strong>der</strong><br />

neuen Welt“ auf den Ch<strong>im</strong>borazo gestellt.<br />

[Bild: Klassik Stiftung We<strong>im</strong>ar]<br />

¬<br />

¬<br />

¬


Schiller<br />

42<br />

193<br />

S<br />

S42


Schiller<br />

ege195<br />

Flucht-<br />

S 43


Im Januar 1782 wurde <strong>Schillers</strong> erstes<br />

Theaterstück in Mannhe<strong>im</strong> aufgeführt<br />

– für den Herzog von Württemberg <strong>eine</strong><br />

Provokation. Ebenso wie <strong>Schillers</strong><br />

unerlaubte Reisen ins kurpfälzische<br />

Mannhe<strong>im</strong>. Der 22-jährige Militärarzt<br />

Schiller kam in Arrest, erhielt<br />

Schreibverbot, fürchtete Festungshaft<br />

und entschloss sich allen Gefahren<br />

zum Trotz zu fliehen. In <strong>der</strong> Nacht vom<br />

22. auf den 23. September 1782, während<br />

<strong>der</strong> Herzog zu Ehren des russischen<br />

Großfürsten Paul ein Fest mit Feuerwerk<br />

gab, verließ er mit s<strong>eine</strong>m Freund<br />

Andreas Streicher Stuttgart und reiste<br />

zunächst nach Mannhe<strong>im</strong>, dann aus <strong>der</strong><br />

Angst vor Verfolgung und Auslieferung<br />

weiter nach Frankfurt am Main,<br />

Oggershe<strong>im</strong> und dann <strong>im</strong> Dezember 1782<br />

nach Bauerbach in Thüringen. Er legte<br />

sich den Tarnnamen „Dr. Ritter“ zu und<br />

versuchte s<strong>eine</strong>n Weg zu verschleiern.<br />

Am 19.11.1782 schrieb er an s<strong>eine</strong><br />

Eltern: „Beste Eltern! Da ich gegenwärtig<br />

zu Mannhe<strong>im</strong> bin, und in 5 Tagen<br />

auf <strong>im</strong>mer weggehe, so wollte ich mir<br />

und Ihnen noch das Vergnügen bereiten,<br />

uns zu sprechen. Heute ist <strong>der</strong> 19. am<br />

21. bekommen Sie diesen Brief, wenn<br />

Sie also unverzüglich, (das müßte seyn)<br />

von Stuttgardt weggehen, so können<br />

Sie am 22. zu Bretten <strong>im</strong> Posthauß<br />

seyn, welches ohngefehr halb wegs von<br />

Mannhe<strong>im</strong> ist, und wo Sie mich antreffen.<br />

Ich denke Mama und die Christophine<br />

könnten am füglichsten, und zwar<br />

unter dem Vorwand nach Ludwigsburg<br />

zur Wohlzogen zu gehen, abreisen.<br />

Nehmen Sie die Vischerin und Wohlzogen<br />

auch mit, weil ich beide auch noch,<br />

vielleicht zum leztenmal, die Wohlzogen<br />

ausgenommen, spreche. Ich gebe<br />

Ihnen <strong>eine</strong> Carolin Reisgeld, aber<br />

nicht bäl<strong>der</strong>, als zu Bretten. An <strong>der</strong><br />

schnellen Befolgung m<strong>eine</strong>r Bitte will<br />

ich erkennen, ob Ihnen noch theuer<br />

ist Ihr ewig dankbarer Sohn Schiller.“


Schiller<br />

43<br />

197<br />

S<br />

S43


Schiller<br />

ege199<br />

Flucht-<br />

S 44


Am 6.11.1782 schreibt Schiller an<br />

den Schulfreund Christian Friedrich<br />

Jacobi mit erfundenen Ortsangaben<br />

(„E.“ wie Erfurt) und Reiseplänen<br />

(nach Sankt Petersburg in Russland):<br />

„Mein Schiksal sollst Du erfahren,<br />

sobald es <strong>eine</strong>n wichtigen Schritt<br />

gethan hat. Gegenwärtig bin ich auf<br />

dem Weeg nach Berlin. Gelegenheitlich<br />

bitte ich Dich, in diese Nachricht<br />

weniger Mistrauen als in die Vorige<br />

zu sezen. Ich gestehe Dir, Jene<br />

war Politik, weil ich weniger sicher<br />

war m<strong>eine</strong>n Aufenthalt anzugeben,<br />

als vielleicht izt. Die wirkliche<br />

Nachricht ist ächt. Je<strong>der</strong>mann, <strong>der</strong><br />

nur das geringste von m<strong>eine</strong>m Schiksal<br />

und Plan erfuhr, vereinigte sich<br />

in den Rath, nach Berlin zu gehen,<br />

wohin ich nicht nur vortrefliche<br />

Addressen habe, son<strong>der</strong>n auch mehrere<br />

bekommen werde, weil ich über Erfurt,<br />

Gotha, We<strong>im</strong>ar und Leipzig reise,<br />

an welchen Orten ich theils schon<br />

durch Schriften empfohlen bin, theils<br />

auch durch neue Empfehlungen sehr<br />

viele Freunde antreffen werde, die<br />

mir wie<strong>der</strong>um Berlinerbekanntschaften<br />

machen werden. Vielleicht daß ich<br />

in Berlin m<strong>eine</strong>n Plan verän<strong>der</strong>e, und<br />

durch Unterstüzung wichtiger Personen<br />

nach Petersburg gehe.“


Schiller<br />

44<br />

201<br />

S<br />

S44


Schiller<br />

hanta<br />

-<br />

sie-<br />

S 45<br />

203<br />

quelle


Für s<strong>eine</strong> Arbeit an Die Jungfrau von Orleans (uraufgeführt 1801)<br />

verwendete Schiller <strong>eine</strong> kl<strong>eine</strong> Frankreichkarte. Jede und je<strong>der</strong><br />

von uns kann damit ausprobieren: Was sehen wir auf <strong>eine</strong>r Landkarte<br />

wirklich, was macht unsere Phantasie daraus? Welche Plätze und<br />

Orte hat sich Schiller für sein Drama ausgesucht, das mit dieser<br />

Szenenbeschreibung beginnt: „Eine ländliche Gegend. Vorn zur<br />

Rechten ein Heiligenbild in <strong>eine</strong>r Kapelle; zur Linken <strong>eine</strong> hohe<br />

Eiche“, und so aufhört: „Ein wil<strong>der</strong> Wald, in <strong>der</strong> Ferne Köhlerhütten.<br />

Es ist ganz dunkel, heftiges Donnern und Blitzen,<br />

dazwischen Schießen“?


Schiller<br />

45<br />

205<br />

S<br />

S45


Schiller<br />

Enträtselungs-<br />

S 46<br />

207<br />

ü bung


Luftschiff ist gleich ...?<br />

Die Rätsel-Antwort aus<br />

<strong>Schillers</strong> Bearbeitung von<br />

Carlo Gozzis Turandot von<br />

1802/03 zum Selber-Entziffern<br />

in <strong>der</strong> Handschrift.


Schiller<br />

46<br />

209<br />

S<br />

S46


Schiller<br />

S 47<br />

Noch<br />

einmal:<br />

211<br />

Schiller<br />

pielen


In unserer<br />

<strong>Inter<strong>im</strong>sausstellung</strong> haben<br />

wir jedem Schriftsteller<br />

<strong>eine</strong>n Klang o<strong>der</strong> <strong>eine</strong><br />

Melodie zugeordnet: Mörike<br />

die Windharfe, Kerner<br />

die Maultrommel, Höl<strong>der</strong>lin<br />

s<strong>eine</strong> Lieblingsmelodie und<br />

Schiller? Naheliegend wäre<br />

Beethovens 9. Symphonie<br />

mit <strong>der</strong> „Ode an die<br />

Freude“. Nicht ganz so<br />

naheliegend: die Filmmusik*,<br />

die in den<br />

1960er Jahren Karl Mays<br />

„Winnetou“-Romanen<br />

ihre Wie<strong>der</strong>erkennungsmelodie<br />

schenkte.<br />

Thomas Mann hat an<br />

Schiller s<strong>eine</strong> „Lust am<br />

höheren Indianerspiel“<br />

gelobt. Karl May hat<br />

Schiller wie<strong>der</strong>holt in<br />

s<strong>eine</strong>n Werken zitiert<br />

und verdankt ihm sogar<br />

ein Gedicht – glaubt man<br />

<strong>eine</strong>m Brief, den er<br />

s<strong>eine</strong>r Frau Emma schickte:<br />

*https://www.youtube.com/watch?v=zyMEIHud3UQ<br />

Da gestand ich m<strong>eine</strong>n Lieben, daß<br />

ich ohne ihre Hülfe nicht dichten<br />

könne, und siehe da, mein Friedrich<br />

kam und antwortete: „Setz Dich,<br />

und schreib!“ Ich nahm das erste,<br />

beste Stückchen Papier und den<br />

Bleistift und schrieb. Er<br />

führte mir nicht etwa die Hand<br />

wie be<strong>im</strong> Schreiben <strong>eine</strong>s<br />

Mediums, son<strong>der</strong>n ich schrieb<br />

wie ganz gewöhnlich; er aber<br />

stand bei mir und dictirte mir<br />

jedes einzelne Wort mit<br />

deutlich vernehmbarer St<strong>im</strong>me.<br />

[...] Womit habe ich solche<br />

Engelnähe, solche Führung <strong>der</strong><br />

Hohen, H<strong>im</strong>mlischen, solche<br />

Liebe, Güte und Bereitwilligkeit<br />

<strong>der</strong> Seligen verdient?<br />

Ich habe den Zettel [mit diesem<br />

Gedicht] sofort auf besseres Papier<br />

gezogen und sende ihn Dir, m<strong>eine</strong><br />

Emma, damit er nicht den Zufälligkeiten<br />

<strong>der</strong> Reise unterworfen ist.<br />

Er ist mir ein köstliches,<br />

unbezahlbares Geschenk. Hebe ihn ja<br />

so heilig auf, als ob er mich 10,000<br />

Mark und noch mehr gekostet hätte!<br />

Du mußt nämlich bedenken, mein<br />

Friedrich schrieb in We<strong>im</strong>ar doch.


Schiller<br />

47<br />

213<br />

S<br />

S47


Impressum<br />

Ausgewählt haben die Umzugsstücke<br />

Julia Schnei<strong>der</strong>,<br />

Verena Staack und Heike<br />

Gfrereis, die sie auch<br />

kommentiert und zusammen<br />

mit Diethard Keppler und<br />

Andreas Jung <strong>im</strong> Raum angeordnet<br />

und gestalterisch<br />

gefasst hat. Die Exponatfotografien<br />

stammen von Chris<br />

Korner und Jens Tremmel,<br />

die restauratorische Betreuung<br />

oblag Enke Huhsmann,<br />

Susanne Bœhme und Anaïs Ott,<br />

die Redaktion und Organisation<br />

Vera Hildenbrandt,<br />

Dietmar Jaegle, Lea Kaiser,<br />

Martin Kuhn, Tamara Meyer<br />

und Janina Schindler.<br />

Die Aussttellung „Schiller,<br />

Höl<strong>der</strong>lin, Kerner, Mörike“<br />

wurde <strong>im</strong> Februar 2020 <strong>im</strong><br />

<strong>Literaturmuseum</strong> <strong>der</strong> Mo<strong>der</strong>ne<br />

eröffnet und ist dort bis<br />

zur Wie<strong>der</strong>eröffnung des<br />

<strong>Schillers</strong>-Nationalmuseums<br />

Anfang 2023 zu sehen.<br />

Gestaltung und<br />

Ausstellungsfotografie<br />

dieser Publikation:<br />

Diethard Keppler und<br />

Andreas Jung<br />

Text:<br />

Heike Gfrereis<br />

© 2020 Deutsches<br />

Literaturarchiv Marbach<br />

S

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