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Mein Leben Live - Ausgabe 4 Oktober 2020

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Der Hirte und<br />

die weise Eule<br />

von Petra Milkereit<br />

Es war einmal vor langer Zeit, vielleicht auch erst<br />

gestern und es könnte sogar morgen sein, ein braver<br />

Hirte, der seine Herde stets zu den saftigsten Wiesen<br />

führte. Er liebte jedes einzelne seiner Schafe,<br />

kannte alle beim Namen und ließ nie eines zurück.<br />

Er schaute stets ob Ädur, Fringa, Asrun, Einurd, Fenna,<br />

Saida, Halbjörg, Klipa, Lotta, Perla, Rudda, Embla<br />

und wie sie alle hießen, gesund und friedlich am<br />

Grasen waren.<br />

Dabei half ihm sein treuer Hütehund Scauri. Ein Pfiff,<br />

ein Ruf reichte, um dem guten Tier Anweisungen zu<br />

geben wie: „Schau dort nach rechts! Lenke sie alle<br />

geradeaus durch die Senke“ und was es sonst noch<br />

zu sagen gab zwischen Herr und Hund. Vertrauen<br />

war ihr Band und Liebe zueinander ihre unverbrüchliche<br />

Basis.<br />

Eine dieser dunklen, mondlosen Nächte war vorüber,<br />

der Morgennebel hob sich zögernd und gab den Blick<br />

frei auf die lieblich geschwungenen Felder, unterbrochen<br />

von kleinen Hainen, die Schatten boten, wenn<br />

die Sonne ihr Tagwerk verrichtete. Der Hirte stand<br />

ruhig da, fest verankert im <strong>Leben</strong> durch den geerdeten<br />

Stand seiner starken Beine und zählte seine Schafe,<br />

während Scauri voller Tatendrang die Herde umrundete.<br />

„Alle wohlauf und unversehrt“, dachte der Hirte. Er<br />

kannte seine Schäfchen sehr genau und spürte, dass<br />

sie oftmals in der Dunkelheit der Nacht Ängste entwickelten<br />

vor Gefahren, die sich in furchtsame Herzen<br />

schlichen durch Schattenspiele oder rätselhafte<br />

Geräusche. Die größte Gefahr wäre ein Wolf. Obwohl<br />

seiner Herde noch niemals Schlimmes zugestoßen<br />

war, wussten trotzdem alle Tiere von den Geschichten,<br />

die man sich von jagenden und reißenden Wölfen<br />

erzählte und so nährten sie ihre Furcht, ohne<br />

wirkliche Gründe dafür zu haben.<br />

Doch sie waren auch an diesem Morgen alle guter<br />

Dinge und konnten einen neuerlichen Tag gemächlich<br />

weiterziehen zu den nächsten fetten Wiesen.<br />

„Was für ein herrliches <strong>Leben</strong>“, rief der Hirte seinem<br />

Hund freudig zu und dieser antwortete mit einem<br />

fröhlichen Bellen. Bis zum Abend hatten sie mit all<br />

ihren Schafen den Platz erreicht, der ihnen am Rande<br />

eines sattgrünen Haines zum Nachtlager wurde.<br />

Der Hirte setzte sich an den Fuß einer Buche, stützte<br />

seinen Hirtenstab vor sich auf und streichelte Scauri,<br />

der sich neben ihm niedergelassen hatte, liebevoll<br />

durch das Fell. „Braver Junge, bist mir ein starker<br />

Partner und Freund hier in Gottes freier Natur“, murmelte<br />

er in seinen grauen gepflegten Bart.<br />

Es war diese Stunde zwischen Tag und Traum, mit all<br />

ihren Schattengebilden, die sich aus dem Waldsaum<br />

lösten und diesem guten Duft nach Feuchte und segensreichem<br />

Wachstum, als er ein sanftes Rauschen<br />

in der Luft vernahm. Er begann zu lächeln, wusste er<br />

doch genau, wer auf weiten Schwingen fast lautlos<br />

gleitend zu ihm kam. Der Ast knapp oberhalb seines<br />

Kopfes, der von einem breitkrempigen Hut bedeckt<br />

war, geriet in feine doch kurze Bewegung, als seine<br />

Besucherin sich auf ihm niederließ.<br />

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