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ein Reader zum Themenschwerpunkt des Festival Theaterformen ...

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„AfriKAs GEist wuRde zErtreTen“<br />

Boyzie Cekwana probt auf Einladung der <strong>Theaterformen</strong><br />

in Braunschweig<br />

Braunschweiger Zeitung, 14.04.2010<br />

von Heidi Liedke<br />

Gerade noch schallte Gelächter durch den Probenraum. Schlagartig<br />

tritt Stille <strong>ein</strong>, und Boyzie Cekwana ist hochkonzentriert. Der Choreograph<br />

aus Südafrika probt im Staatstheater den zweiten Teil s<strong>ein</strong>er<br />

Trilogie Influx Controls. Es ist die erste Probenphase, und jeder Schritt<br />

wird bedächtig gesetzt, als wäre es <strong>ein</strong> Tanz auf Eierschalen.<br />

Die Atmosphäre ist gespenstisch, <strong>zum</strong>al die drei Akteure weiß geschminkt<br />

sind. „Wir wollen, dass die Leute uns nicht nur über unsere<br />

Hautfarbe identifizieren. Letztlich sind wir doch alle gleich, wir sind alle<br />

Menschen.“<br />

Die riesige Sängerin Pinkie Mtshali trägt <strong>ein</strong> Brautkleid und wird<br />

von Cekwana in blonder Perücke und Netzstrümpfen feilgeboten wie<br />

auf <strong>ein</strong>em Markt. „Ladies and Gentlemen, seht her, die letzte ihrer Art.<br />

Sie ist süß, heiß, glücklich, hier zu s<strong>ein</strong>. In ihrer Heimat will man sie nicht<br />

mehr. Alles, was sie will, ist <strong>ein</strong> weißer Mann. Wer traut sich?“<br />

Die verloren blickende schwarze Braut im weißen Kleid versinnbildlicht,<br />

was Cekwana afrikanischen Identitätsverlust nennt. „Wir müssen<br />

uns bewusst machen, was die Kolonialisierung mit uns gemacht hat.<br />

Ich m<strong>ein</strong>e gar nicht abstrakte Themen wie die Kultur. Es geht mir in<br />

m<strong>ein</strong>em Stück um mich, um m<strong>ein</strong> Befinden. M<strong>ein</strong>e Landsleute fühlen<br />

sich geistig zertreten, nullifiziert, entwertet. Wir haben unser Selbstwertgefühl<br />

verloren.“<br />

Dieses Thema ist zentral in Cekwanas aktuellem Stück. Auf der<br />

Bühne ruft er an <strong>ein</strong>er Stelle: „Ich habe m<strong>ein</strong>e Hose verloren! Wie soll<br />

ich denn ohne Hose auftreten?“ Der Verlust der Hose steht für den<br />

Verlust der Sicherheit. „Ohne Hose dazustehen, wie erbärmlich ist das<br />

denn? Ich möchte zeigen, dass wir unseren Stolz verloren haben, ich<br />

möchte nicht predigen.“<br />

Religion mache ihn rasend. Sie verdumme die Leute, vor allem in<br />

den Entwicklungsländern. Dort klammere man sich daran wie an den<br />

letzten Strohhalm. Doch die Religion verschleiert in Cekwanas Augen<br />

nur die Wahrheit. „Sie vergiftet den Realitätssinn der Menschen. Das<br />

macht mir wirklich Angst.“<br />

Zornige Worte! Aber Cekwana ist es auch wichtig, herumzualbern.<br />

Überhaupt lacht er viel. Auf der Bühne wird viel getanzt und gesungen.<br />

Die Sängerin Mtshali jagt allen <strong>ein</strong>en Schrecken <strong>ein</strong>, als sie so tut,<br />

als würde sie hyperventilierend zusammenbrechen – um anschließend<br />

schallend zu lachen.<br />

Der Name <strong>des</strong> Stücks, das im Juni auf dem Braunschweiger <strong>Festival</strong><br />

„<strong>Theaterformen</strong>“ s<strong>ein</strong>e deutsche Erstaufführung hat, lautet übersetzt<br />

„In der zwölften Nacht <strong>des</strong> Niemals werde ich nicht für schwarz gehalten“.<br />

„Die zwölfte Nacht bedeutet für mich nie. Es wird nie so s<strong>ein</strong>, dass<br />

die Leute mich nicht nur als Schwarzen sehen. Ich bekomme Angst,<br />

wenn ich sehe, wie die Medien das Schubladendenken propagieren. Es<br />

ist wie <strong>ein</strong> Rückschritt in die Vergangenheit.“<br />

Als Kind erlebte Cekwana den Soweto-Aufstand 1976 gegen<br />

das Apartheidsregime. Diese Bilder der Hysterie prägen ihn bis heute.<br />

Deshalb wird Cekwana nicht aufhören, den Finger zu erheben.<br />

PerfoRmanCe-WuNdEr<br />

Kultiversum.de, 10.05.2010<br />

von Thomas Hahn<br />

Die Leitfigur der aktuellen Rencontres chorégraphiques internationales<br />

de S<strong>ein</strong>e-Saint-Denis kommt aus Südafrika, heißt aber nicht<br />

Robyn Orlin, sondern Boyzie Cekwana! Als <strong>ein</strong>ziger Choreograf hat er<br />

dort gleich zwei Stücke im Programm, s<strong>ein</strong>e zwei neusten natürlich.<br />

Die bilden gleichzeitig den Grundstock <strong>ein</strong>er Trilogie, die es jetzt zu<br />

vollenden gilt. Die Messlatte legte Cekwana für sich selbst schon mal<br />

in schwindelnde Höhen, und das sch<strong>ein</strong>bar mühelos. Mit der Uraufführung<br />

von On the 12th night of never, I will not be held black bestätigt<br />

er zurzeit auf den Rencontres, was bereits klar wurde, als er nach<br />

drei Jahren Abwesenheit in Europa den Paukenschlag Influx controls:<br />

I wanna be wanna be landete. S<strong>ein</strong>e Phase <strong>des</strong> Experimentierens ist<br />

nun überwunden, ähnlich wie die Apartheid. Das heißt natürlich nicht,<br />

dass es für <strong>ein</strong>en wie ihn nichts mehr zu bekämpfen gäbe. Fragen von<br />

Gerechtigkeit, Gleichheit, Identität, von Hautfarbe oder Politics of the<br />

body nimmt Boyzie immer ernster.<br />

Nur auf der Bühne, da zeigt er sich als Spaß-Guerillero. Man nehme<br />

nur den jüngsten Titel. Was hat Shakespeares Zwölfte Nacht hier<br />

zu suchen? Was Ihr wollt? Boyzie als Clown, als gehörnter Teufel, als<br />

Showmaster, und dazu <strong>ein</strong>e füllige schwarze Opernsängerin, die neben<br />

Verdi und Mozart auch Zulumelodien schmettert, die sich <strong>ein</strong>e Schafsmaske<br />

aufsetzt und das Publikum sexuell provoziert? Das könnt Ihr<br />

haben! Boyzie ist so frei. «Wenn Ihr mich für <strong>ein</strong>en ernsthaften Künstler<br />

haltet, das bin ich nicht», sagt er hier. Im selben Atemzug erklärt er,<br />

warum er niemals betet, schon gar nicht zu diesem «Gott alles schönen,<br />

der Frauen ohne Zellulitis und der Männer mit großen Schwänzen, der<br />

sympatischen Polizisten, der gerechten Revolver und der Golfplätze.»<br />

Man traut s<strong>ein</strong>en Ohren und Augen nicht. En passant zerlegt er<br />

mal eben den Kapitalismus, so elegant wie ironisch. Jeder Satz trifft ins<br />

Ziel. Und das Ziel ist… Poesie! Cekwana ist <strong>ein</strong> Quer- und Freidenker,<br />

der sich heute auf der Bühne alles erlaubt, das s<strong>ein</strong>em Zweck dient,<br />

der aber auch so frei ist, auf alles überflüssige zu verzichten. Spielerisch<br />

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