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ein Reader zum Themenschwerpunkt des Festival Theaterformen ...

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2001). Besonders bei Fragen der „interethnischen“ Sexualität und<br />

ehelichen Bindung nahmen diese Wortgefechte <strong>ein</strong>en unversöhnlichen<br />

Ton an. Neben der Kolonialmigration wanderten auch im Import- und<br />

Exportgeschäft materielle Kultur und Konsumprodukte verschiedenster<br />

Art über transkontinentale Handelsrouten nach Deutschland. Die<br />

ökonomischen Verflechtungen zwischen Peripherie und Zentrum ließen<br />

<strong>ein</strong>en weitverzweigten Wirtschaftskreislauf und <strong>ein</strong>e Infrastruktur für<br />

Kolonialwaren aller Art entstehen. Die Schauplätze dieser Kolonialwirtschaft,<br />

ihre Fabriken, Handelshäuser und Ausstellungsräume wurden<br />

Teil <strong>des</strong> städtischen Raums und der deutschen Alltagswelt. Ökonomische<br />

Interessen begünstigten auch die Entwicklung <strong>ein</strong>er deutschen<br />

Kolonialkultur und Kulturindustrie, die das Konsuminteresse nach exotischer<br />

Fremdheit und rassistischen Stereotypisierungen bediente. 12<br />

Durch Reiseromane, Zeitungsberichte, Fotografien, später auch Filme,<br />

Werbeplakate, Völkerschauen und anderen Medien der Populärkultur<br />

wurden koloniale Phantasien massenhaft erfahrbar gemacht. In diesen<br />

Praktiken der Fremdrepräsentation wurde die koloniale Begegnung<br />

zu <strong>ein</strong>er alltäglichen Ware und gleichzeitig zu <strong>ein</strong>em Raum der hierarchischen<br />

Inszenierung. Diese Repräsentationsräume verbanden die<br />

symbolische mit der realen Welt zu imaginären Projektionsflächen, die<br />

durch den Blick <strong>des</strong> Weißen Subjekts bestimmt wurden und kolonialpädagogisch<br />

aufgeladen waren. Zweifellos hat die koloniale Erfahrung<br />

mit ihren weiterhin hierzulande zirkulierenden Bildern die Konstruktion<br />

von Weißs<strong>ein</strong> und Andersheit wesentlich geprägt. Durch koloniale Zuschreibungen<br />

und rassistische Prozesse der Machtungleichheit wurden<br />

die Möglichkeiten der offenen Begegnung faktisch negiert. Unter diesen<br />

Bedingungen wurden die Selbst- und Fremdbilder rassistisch formatiert<br />

und in <strong>ein</strong> starres Verhältnis von Zugehörigkeit und Fremdheit,<br />

von Über- und Unterordnung gebracht. Solche deformierten Weltbilder<br />

haben sozialdarwinistische Menschenbilder und Überlegenheitsgefühle,<br />

aber auch missionarischem wie kolonialpädagogischem Eifer Vorschub<br />

geleistet. In diesem Prozess hat die wissenschaftliche Wissensproduktion<br />

oftmals weder <strong>ein</strong>e aufklärerische noch emanzipatorische<br />

Rolle gespielt. Statt als kritisches Korrektiv fungierten akademische<br />

Disziplinen wie Botanik, Tropenmedizin, Geographie, Anthropologie und<br />

Sprachwissenschaften häufig als willige Kolonialtechniken. 13<br />

Zwischen Nostalgie, Revisionismus, virtuellen Kolonien und<br />

Größenwahn<br />

Am Ende <strong>des</strong> selbst entfachten Ersten Weltkrieges waren die imperialistischen<br />

Expansionspläne Deutschlands zunächst gescheitert.<br />

Das Land musste s<strong>ein</strong>e Kolonialterritorien in den Friedensverhandlungen<br />

von Versailles unwillig abtreten. Mit dieser formalen Schlussakte<br />

schien die Kolonialzeit in Deutschland besiegelt zu s<strong>ein</strong>. Tatsächlich<br />

wurde die deutsche Kolonialpolitik lediglich in <strong>ein</strong>e neue, nun revisionistisch<br />

inspirierte Phase überführt. Dieser Kolonialismus ohne Kolonien<br />

erfüllte sich in <strong>ein</strong>em Feld der virtuellen Realität. Indem die nostalgisch<br />

verklärten Kolonialerinnerungen die Zukunftspläne für die Wiedererlangung<br />

außereuropäischer Räume vorbereiteten, drohte die Phantasie<br />

immer real zu werden. Die Reminiszenzen an die „gute alte Zeit“ verstärkten<br />

den Wunsch diesen Zustand möglichst bald wiederherzustellen,<br />

um die deutsche Nation zur alten Stärke zurückzuführen. Bereits im<br />

Mai 1919 wurde in der offiziellen Stellungnahme <strong>zum</strong> Versailler Vertrag<br />

der Verlust der Kolonialgebiete abgelehnt:<br />

„Als <strong>ein</strong> großes Kulturvolk hat das deutsche Volk das Recht und<br />

die Pflicht, an der wissenschaftlichen Erforschung der Welt und an der<br />

Erziehung unterentwickelter Rassen als <strong>ein</strong>er gem<strong>ein</strong>samen Aufgabe<br />

der zivilisierten Menschheit mitzuarbeiten […] Die deutsche Verwaltung<br />

hat dem Land Frieden und Ordnung gebracht […] Die Erschließung <strong>des</strong><br />

Lan<strong>des</strong> durch Straßen und Eisenbahnen für den Weltverkehr und s<strong>ein</strong>en<br />

Handel und die Förderung vorhandener und die Einführung neuer<br />

Kulturen hat das wirtschaftliche Leben der Eingeborenen auf <strong>ein</strong>e höhere<br />

Stufe gehoben.“ (zit. nach Laak 2003: 74)<br />

Der Verlust der „Schutzgebiete“ wurde allgem<strong>ein</strong> als <strong>ein</strong>e schmerzhafte<br />

Amputation empfunden. Er traf das nationale Selbstverständnis<br />

als Weltmacht ins Mark und verunsicherte die deutsche Sehnsucht<br />

nach Weltgeltung. Kolonialrevisionistische Diskurse rekurrierten auf<br />

<strong>ein</strong>e weitverbreitete politische Einstellung in der Bevölkerung: Neben<br />

Massenkundgebungen in vielen Städten beteiligten sich 1919 auch<br />

mehr als 3,8 Millionen Deutsche an <strong>ein</strong>er Unterschriftenaktion, um gegen<br />

den „Raub der Kolonien“ zu protestieren (Rogowski 2003: 244f.).<br />

Die Abwehr der „kolonialen Schuldlüge“ spielt bis in die heutige Zeit<br />

<strong>ein</strong>e wichtige Rolle.<br />

„Vielen Deutschen erschien es, als sei der Unwillen, die Ergebnisse<br />

<strong>des</strong> Krieges anzuerkennen, nirgendwo so berechtigt wie in der Frage<br />

der Kolonien […] Nichts traf die Deutschen nach 1919 so empfindlich<br />

ins Gemüt wie die Behauptung der Alliierten, dass sie sich kolonisatorisch<br />

als unfähig erwiesen hatten.“ (Laak 2003: 71, 74)<br />

Zur Verarbeitung <strong>des</strong> deutschen Kolonialtraum(a)s ersch<strong>ein</strong>en bis<br />

heute Publikationen, die die verm<strong>ein</strong>tlichen Segnungen der deutschen<br />

Kolonialisierung proklamieren und das Bild von dankbaren Kolonialuntertanen<br />

zeichnen, die voller Bewunderung zu den Errungenschaften<br />

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