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BACKSPIN Magazin #116

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Savas, wenn du von heute aus zurückblickst auf

deine bisherige Karriere, wie ordenst du die dann

für dich ein?

Savas: Das Musik-Ding hat sich immer anders angefühlt

als das wahre Leben. Ich hatte zwei parallele

Sachen am Laufen. Besonders deutlich wurde

das im letzten Jahr. Da hatte ich eine ziemliche

Abfuck-Phase. Ich war erfolgreich, wir gingen gerade

Gold und mit Xavier zusammen Platin. Ich

war überall am Start, hatte mehr Cash als sonst.

Alles lief viel besser. Doch persönlich war ich richtig

abgefuckt. Burn-out war es nicht, aber ich habe

gemerkt, irgendwas stimmt da nicht. Das war

alles überhaupt nicht im Gleichgewicht. Deshalb

schaue ich meine Karriere, überhaupt eine Rap-

Karriere, immer wie ein Film an. Wie zum Beispiel

„8 Mile“ oder „Get Rich or Die Tryin‘“. Ich muss

im Nachhinein sagen, dass der Film bei mir aussah,

als ob alles richtig gewesen wäre. Ich habe

meine Ups, ich habe meine Downs, aber trotzdem

hat es sich in irgendeiner Form immer verbessert.

Vielleicht liegt es auch daran, dass ich künstlerisch

sehr viel Wert auf die Frage lege, was zu tun ich im

Stande bin. Wenn ich merke: Krass, ich komme

dem näher, was ich von mir selber will oder von

einem MC erwarte, dann fühlt es sich für mich

immer besser an. Ich habe Dinger wie „Freunde

der Sonne“, auf die ich nicht übertrieben stolz

bin, aber wo ich sage, das ist Teil meiner Karriere.

Und natürlich denke ich mir bei einigen alten

Musik meiner aktuellen Gefühlslage entspricht.

Natürlich gibt es auch die Trennung zwischen

der Privatperson und dem Rapper, aber trotzdem

habe ich immer versucht, ziemlich nah an dem zu

sein, was in meinem Kopf und meinem Herz vorgeht.

Ich glaube, ich bin wahrscheinlich nicht der

einzige Mensch, der auch mal sprunghaft ist und

sich verändert. Deswegen gibt es da auch manche

Momente, wo man denkt: „Boa, das ist jetzt aber

stilistisch weit von dem usw.“ Aber wenn man die

innere Entwicklung als Richtwert nimmt, dann ist

es sehr stringent. Betrachtet man es hingegen stilistisch,

dann sagt man vielleicht, dass „10 Rapgesetze“

und „Hand hoch“ nicht viel miteinander zu

tun haben. Das ist halt eine Sicht. Bei der inneren

Sicht kann man dann feststellen, dass in den fünf

Jahren zwischen diesen beiden Songs eine Menge

passiert ist. Und wenn du darauf blickst, dann ist

es die logisch nachvollziehbare und auch extrem

ehrliche Entwicklung.

Von außen betrachtet könnte man dir aber auch

eine etwas größere Experimentierfreudigkeit attestieren

als Savas. Einverstanden?

Savas: Am Anfang mit Sicherheit. Er war vielseitiger,

ich hingegen dogmatischer und immer auf

mein Rap-Ding bezogen. Ich war auch experimentierfreudig,

habe irgendwelche Homer-Simpson-

Dinger gesampelt oder irgendein behindertes Zeug

gemacht. Wenn ich ganz kurz diese Anekdote er-

Savas: Diese Werte haben wir alle. Ich denke,

Samy und Azad kannst du das Gleiche fragen. Die

werden auch diese Werteskala haben, auch wenn

die sich mit der Zeit verändert hat und man ein

bisschen loslässt. Das hängt auch mit der Zeit zusammen,

aus der wir kommen.

Formuliert diese Werte doch mal! Was bedeutet

für euch Rap?

Curse: Alter Schwede! Wir kommen ja aus einer

Zeit, in der das technische Handwerk krass großgeschrieben

wurde. Wir kommen aber auch aus

einer Zeit, wo es schon Leute gab wie Public Enemy

oder Big Daddy Kane oder Rakim. Leute, die

technisches Handwerk hatten und krasse Sachen

erzählt haben. Rap hat jedenfalls über Jahre mein

komplettes Leben definiert. Rap und Hip-Hop waren

der größte Lebensinhalt. Das ist auch nicht

weniger geworden, aber es sind mehr Dinge dazugekommen.

Und warum hast du angefangen, zu rappen?

Curse: Als ich das erste Mal Rap gehört habe, war

ich fünf. Da war ich im Kindergarten. Wir hatten

einen Zivi, der kam aus Berlin und war in einer

Breakdance-Crew. Er fing dann an, uns Breakdance

zu zeigen. Diese Musik und all das, was da

ablief, war wie eine Klatsche für mich. Dann kamen

die Fat Boys – und mein sechster Geburtstag

war ein Breakdance-Geburtstag. Alle hatten

„DAS MUSIK-DING HAT SICH IMMER ANDERS ANGEFÜHLT

ALS DAS WAHRE LEBEN.“ (SAVAS)

Fotos oder Videos: „Oh, Dicker, was hast du da

gemacht?“ Aber ich glaube, dass ich einer Linie

treu geblieben bin. Und das hat sich für mich immer

ausgezahlt. Das habe ich zum Beispiel bei

„Tot oder lebendig“ gemerkt. Obwohl es nicht so

erfolgreich war, hat sich das im Laufe der Jahre

gefestigt. Für mich fühlt es sich gut an.

Curse, würdest du sagen, dass du deinen Weg

ähnlich konsequent gegangen bist wie Savas?

Curse: Bis auf manche Momente eigentlich

schon. Von heute aus betrachtet gibt es, wie Savas

schon gesagt hat, natürlich Momente, wo

man denkt, das hätte ich anders machen können.

Aber ich hatte die ganze Zeit schon das Gefühl, es

geht konsequent in eine Richtung. Bei mir war die

Richtung halt nie so etwas Festes. Es gibt nicht nur

einen Style oder ein Ziel, auf das ich die nächsten

zehn, 20 Jahre hinarbeite. Mein Ziel war immer

ein sehr Persönliches. Ich versuche, dass meine

zählen darf? Ich war bei Curse in Minden und er hat

mir ein paar Songs von sich gezeigt, so Konzept-

Songs. Und ich habe nie Konzept-Songs gemacht.

Ich habe auch gebraucht, an so einen Punkt zu

kommen wie Curse, dass er zum Beispiel über seine

Ex gesprochen hat. Ich sage das extra so explizit,

weil er ja sehr gerne darauf festgenagelt wurde.

Bei dir hatte man immer den Eindruck, dass du

dein Ding schon recht früh gefunden hast. Die

Leute lieben dich ja auch genau dafür. Und diesen

Weg hast du dann sehr konsequent weiterverfolgt

Savas: Bis dann jemand wie Xavier mir geholfen

hat, auch mal was anderes zu machen. Das hat mir

sehr gutgetan. Für mich ist das Album mit Xavier

sehr wichtig.

Eure Werte in Bezug auf Rap sind aber dennoch

die gleichen, oder?

Schweißbänder und Adidas-Trainingsanzüge an.

Als ich dann neun war, habe ich meinen ersten

Rap-Song geschrieben. Ohne Scheiß, ich war

neun und ich kam mir damals vor wie 15. Für mich

war die Motivation dieser Selbstausdruck. Wie

Graffiti entstanden ist. In einer riesigen Stadt wie

New York. Irgendein Typ, der aus der Anonymität

raus ist, der seinen Namen an die Wand gesprüht

und gezeigt hat: „Hier, ich bin da!“ Bei mir war es

halt eine Kleinstadt in Ostwestfalen, aber trotzdem

war die Motivation die gleiche. Diese Energie, das

war ja Revolution und Aufstand in Musik. Und das

zu atmen, in so einem Alter, wo man sich selber

fragt: „Wer bin ich?“ Dieser Spirit, dieses komplett

Einnehmende, das hat mich geprägt. Ich habe damals

auf Englisch gerappt, aber mein Englisch war

einfach nicht so gut. Die Motivation war aber auch

nicht, dass man jetzt dick Geld machen will. Das

war völlig absurd. Man wollte halt der Erste sein,

sowie Rakim oder Nas.

Winter 2014 / 2015 #116 BACKSPIN 21

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