BACKSPIN Magazin #116
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Oz ist tot. Er starb am Abend des 25. Septembers
2014. Offenbar war er gegen 22:30 Uhr von einer
S-Bahn der Linie S1 auf den Gleisen zwischen
den Stationen Hauptbahnhof und Berliner Tor erfasst
worden. Etwa eine Dreiviertelstunde später
hatte ein Bahn-Mitarbeiter die Leiche gefunden.
Neben ihr soll eine Sprühdose gelegen haben,
auf der Abdeckung einer Stromschiene am Fundort
befand sich zudem angeblich ein frischer Tag
von ihm. Warum Oz die herannahende S-Bahn
nicht hörte, die ihn erfasste, weiß man nicht.
Über einiges an Erfahrung dürfte er ja verfügt
haben. In den Medien ist von rund 120.000 Tags
die Rede, die Oz während seiner Sprayer-Karriere
auf den Wänden Hamburgs hinterlassen haben
soll. Subjektiv betrachtet sind es aber wohl mehr
als eine Million Zeichen wie die typischen Kringel,
Punkte, Smileys, Tags und Striche, die Oz
Mein Graffiti-Papa ist jetzt weg!!! Papa wurde
oft für seine freischaffenden Taten bestraft,
eingesperrt und verprügelt. Ich bin traurig.
Razor
in der ganzen Stadt, in jeder Straße, entlang der
Bahnstrecken und in den Tunnelanlagen hinterlassen
hat.
Seit 1977 soll Oz aktiv gewesen sein, schrieben
die Hamburger Tageszeitungen. Dem Autor
dieses Textes waren irgendwann Ende der
1980er-Jahre in Hamburg zum ersten Mal seine
Smileys aufgefallen, die er auf Verkehrsschilder
im gesamten Hamburger Stadtgebiet gesprüht
hatte – was jedoch nicht bedeuten soll, Oz wäre
nicht auch schon vorher aktiv gewesen.
Als Graffiti im klassischen Sinne wahrgenommen
hatte der Autor dieses Textes die Smileys
seinerzeit nicht. Mit den damals an vielen Wänden
zu findenden Parolen á la „Amis raus aus
Nicaragua“ waren sie aber ebenso wenig zusammenzubringen.
Dazu kam, dass die Smileys ob
Oz war für mich ein absolutes Phänomen, ich war
jedes Mal auf’s Neue fasziniert, wo er überall
seine Spuren hinterlassen hat. Der Einzige, der
den Titel Allcity verdient in Hamburg. Ein großer
Künstler ist von uns gegangen …
CanTwo
Das Erste Bild von Oz, das ich unglaublich fand, sah ich circa 1993 auf dem Weg zur Schule. Es war eine
etwa 30 oder 40 Meter lange Farbwurst, die so skurril war, dass mir fast die Augen rausgefallen sind. Ab
da war ich Fan. Danach wurde Oz visuell immer omnipotenter in Hamburg. Oz ist seit den letzten 20 Jahren
aus dem Hamburger Stadtbild nicht mehr wegzudenken. Jeder kennt seine Bilder! Man stelle sich vor, man
ist das erste Mal als Tourist in Hamburg und fragt sich, wer das macht? Auf Dächern, Brücken, Wänden,
Stromkästen etc. – der reine Wahnsinn. Bei Wikipedia findet man ihn, in den Nachrichten ist er mehrfach
aufgetaucht, man kann Bücher kaufen und es gibt und gab immer Nachahmer. Mehr kann sich ein Sprüher
nicht wünschen. Im eigentlichen Sinne ist er ja kein klassischer Stylewriter, aber dennoch hat er wohl allen
gezeigt, was in ihm steckt. Wholecity zu sein, hat seit Oz wohl eine neue Bedeutung bekommen. Keiner ist
so allcity unterwegs gewesen wie Oz. Zu jeder Zeit, an jedem Ort in Hamburg sichtbar. Das bedarf wohl
keiner weiteren Erklärung. Der tragische, tödliche Unfall war fast zwangsläufig. Mit 64 Jahren kann ein
Graffitikünstler das Pensum und die damit verbundenen Anforderungen einfach nicht mehr bewältigen.
Sprühen ist gefährlich. Some people like him, most people hate him? Ist das so? Möge er in Frieden ruhen.
Cide
ihrer Omnipräsenz schon beinahe amtlich wirkten.
Dass hinter dieser unfassbaren Masse etwas
Illegales stecken konnte, war nicht vorstellbar.
Ende der 1980er-, Anfang der 1990er-Jahre, als
der Autor dieses Textes dann etwas tiefer eingetaucht
war in die Graffiti-Welt, hörte er bald erste
Geschichten über diesen schon etwas älteren
Typen, der die Stadt mit seinen Smileys, seinem
Tag „Oz“ sowie seinen etwas surreal anmutenden
Farbflashes überzogen hatte.
Mit dem Graffiti, das einem Bücher wie „Subway
Art“ oder Filme wie „Style Wars“ zeigten,
waren diese Werke für viele damals allerdings
erst mal nicht in Einklang zu bringen. Oz hatte
irgendwie eine Sonderrolle in der Sprayer-Welt
der Hansestadt eingenommen.
Anfang der 1990er-Jahre hatte er außerdem
begonnen, diverse Wände von Gestrüpp und
Der freieste Künstler von allen, keiner hat ein
solch kompromissloses Werk geschaffen wie Oz.
Er hat Hamburg zu etwas Besonderem gemacht.
Tasek
Ästen zu befreien, um anschließend seine bunten
Farbflächen, die einige gerne Pizzateppiche
nannten, darauf zu sprühen. Er hatte sich einfach
neue Wände gesucht, um bestehende Pieces
nicht crossen zu müssen.
Auch suchte er den Kontakt zu den Writern.
Er betrachtete sich als deren Vorarbeiter, sagte er
immer. Damit meinte er, dass andere seine Bilder
gerne als Hintergrund für ihre nutzen könnten.
Auch geschah es manchmal, dass Oz an einigen
Bildern anderer Sprüher weitermalte und diese
mit einem Mal mit Hunderten von Punkten versehen
waren. Bei einigen Writern freilich hatte das
Wut ausgelöst.
Ende der 1990er-Jahre entstanden dann immer
abstraktere Formen, gemalt mit intensiven
Farbtönen, sodass Oz mehr und mehr Zuspruch
bekam – und zwar nicht allein aus der Graffiti-
Szene. Inzwischen bestand er dann auch darauf,
dass seine Bilder erhalten bleiben sollten.
Und auch als Mensch war er vollkommen anders
als die allermeisten Writer. Er war wohl immer
mindestens 20 Jahre älter als all die anderen
Sprayer der Stadt. Wenn man ihn traf, schimpfte
er manchmal über die „scheiß Bullen“ und die
„Sauberpolitik“. Was viele aber nicht wussten: Oz
war ein herzensguter Mensch, umweltbewusst,
Naturfreund mit Ornithologen-Ambitionen, sehr
hilfsbereit und ein guter Netzwerker. Er kannte
alle möglichen Leute in der ganzen Stadt aus
allen möglichen Bereichen. Auch nahm er jede
Veränderung der Stadt wahr. Immer wieder reinigte
er Wände von Moos, er säuberte von Writern
stark frequentierte Spots von leeren Dosen – und
war doch gleichzeitig der Sündenbock der gesamten
Stadt, wenn es um irgendeine Form des
Vandalismus ging.
Seinen Antrieb als Sprüher schöpfte er wohl
weniger aus dem Gedanken des Getting-up. Vielmehr
hatte Oz den grauen Flächen der Stadt seinen
ganz persönlichen Krieg erklärt. Eine graue
Wand schien etwas in ihm auszulösen. Das hieß
auch, dass er offenbar grundsätzlich keine Pieces
anderer Writer übermalte (seine waren dafür
öfter mal den Pieces anderer Writer zum Opfer
gefallen). Zudem war er in der Wahl seiner Spots
schlichtweg krasser als die meisten anderen. So
Ozozoz … Bis der letzte Kringel von der
Oberfläche getilgt ist, werden hoffentlich noch
Jahrzehnte ins Land gehen. Bleibt abzuwarten,
ob der Sell-out seiner Leinwände nicht früher
beginnt. Schützt seine Werke auf der Straße und
unterstützt nicht den Ausverkauf!
Regie, GMS
gut wie keine Wand war vor ihm sicher, egal, wie
unerreichbar sie auch schien. Und dafür, dass Oz
so gut wie nie Züge bemalte, sollte ihm der HVV
eigentlich auf ewig dankbar sein.
Mit der Zeit fanden sich in der Hamburger Writer-Szene
immer mehr Sprüher, die in irgendeiner
Form Kontakt zu Oz hatten. Einige Writer hatten
Winter 2014 / 2015 #116 BACKSPIN 37