07.12.2020 Aufrufe

BACKSPIN Magazin #116

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

Oz ist tot. Er starb am Abend des 25. Septembers

2014. Offenbar war er gegen 22:30 Uhr von einer

S-Bahn der Linie S1 auf den Gleisen zwischen

den Stationen Hauptbahnhof und Berliner Tor erfasst

worden. Etwa eine Dreiviertelstunde später

hatte ein Bahn-Mitarbeiter die Leiche gefunden.

Neben ihr soll eine Sprühdose gelegen haben,

auf der Abdeckung einer Stromschiene am Fundort

befand sich zudem angeblich ein frischer Tag

von ihm. Warum Oz die herannahende S-Bahn

nicht hörte, die ihn erfasste, weiß man nicht.

Über einiges an Erfahrung dürfte er ja verfügt

haben. In den Medien ist von rund 120.000 Tags

die Rede, die Oz während seiner Sprayer-Karriere

auf den Wänden Hamburgs hinterlassen haben

soll. Subjektiv betrachtet sind es aber wohl mehr

als eine Million Zeichen wie die typischen Kringel,

Punkte, Smileys, Tags und Striche, die Oz

Mein Graffiti-Papa ist jetzt weg!!! Papa wurde

oft für seine freischaffenden Taten bestraft,

eingesperrt und verprügelt. Ich bin traurig.

Razor

in der ganzen Stadt, in jeder Straße, entlang der

Bahnstrecken und in den Tunnelanlagen hinterlassen

hat.

Seit 1977 soll Oz aktiv gewesen sein, schrieben

die Hamburger Tageszeitungen. Dem Autor

dieses Textes waren irgendwann Ende der

1980er-Jahre in Hamburg zum ersten Mal seine

Smileys aufgefallen, die er auf Verkehrsschilder

im gesamten Hamburger Stadtgebiet gesprüht

hatte – was jedoch nicht bedeuten soll, Oz wäre

nicht auch schon vorher aktiv gewesen.

Als Graffiti im klassischen Sinne wahrgenommen

hatte der Autor dieses Textes die Smileys

seinerzeit nicht. Mit den damals an vielen Wänden

zu findenden Parolen á la „Amis raus aus

Nicaragua“ waren sie aber ebenso wenig zusammenzubringen.

Dazu kam, dass die Smileys ob

Oz war für mich ein absolutes Phänomen, ich war

jedes Mal auf’s Neue fasziniert, wo er überall

seine Spuren hinterlassen hat. Der Einzige, der

den Titel Allcity verdient in Hamburg. Ein großer

Künstler ist von uns gegangen …

CanTwo

Das Erste Bild von Oz, das ich unglaublich fand, sah ich circa 1993 auf dem Weg zur Schule. Es war eine

etwa 30 oder 40 Meter lange Farbwurst, die so skurril war, dass mir fast die Augen rausgefallen sind. Ab

da war ich Fan. Danach wurde Oz visuell immer omnipotenter in Hamburg. Oz ist seit den letzten 20 Jahren

aus dem Hamburger Stadtbild nicht mehr wegzudenken. Jeder kennt seine Bilder! Man stelle sich vor, man

ist das erste Mal als Tourist in Hamburg und fragt sich, wer das macht? Auf Dächern, Brücken, Wänden,

Stromkästen etc. – der reine Wahnsinn. Bei Wikipedia findet man ihn, in den Nachrichten ist er mehrfach

aufgetaucht, man kann Bücher kaufen und es gibt und gab immer Nachahmer. Mehr kann sich ein Sprüher

nicht wünschen. Im eigentlichen Sinne ist er ja kein klassischer Stylewriter, aber dennoch hat er wohl allen

gezeigt, was in ihm steckt. Wholecity zu sein, hat seit Oz wohl eine neue Bedeutung bekommen. Keiner ist

so allcity unterwegs gewesen wie Oz. Zu jeder Zeit, an jedem Ort in Hamburg sichtbar. Das bedarf wohl

keiner weiteren Erklärung. Der tragische, tödliche Unfall war fast zwangsläufig. Mit 64 Jahren kann ein

Graffitikünstler das Pensum und die damit verbundenen Anforderungen einfach nicht mehr bewältigen.

Sprühen ist gefährlich. Some people like him, most people hate him? Ist das so? Möge er in Frieden ruhen.

Cide

ihrer Omnipräsenz schon beinahe amtlich wirkten.

Dass hinter dieser unfassbaren Masse etwas

Illegales stecken konnte, war nicht vorstellbar.

Ende der 1980er-, Anfang der 1990er-Jahre, als

der Autor dieses Textes dann etwas tiefer eingetaucht

war in die Graffiti-Welt, hörte er bald erste

Geschichten über diesen schon etwas älteren

Typen, der die Stadt mit seinen Smileys, seinem

Tag „Oz“ sowie seinen etwas surreal anmutenden

Farbflashes überzogen hatte.

Mit dem Graffiti, das einem Bücher wie „Subway

Art“ oder Filme wie „Style Wars“ zeigten,

waren diese Werke für viele damals allerdings

erst mal nicht in Einklang zu bringen. Oz hatte

irgendwie eine Sonderrolle in der Sprayer-Welt

der Hansestadt eingenommen.

Anfang der 1990er-Jahre hatte er außerdem

begonnen, diverse Wände von Gestrüpp und

Der freieste Künstler von allen, keiner hat ein

solch kompromissloses Werk geschaffen wie Oz.

Er hat Hamburg zu etwas Besonderem gemacht.

Tasek

Ästen zu befreien, um anschließend seine bunten

Farbflächen, die einige gerne Pizzateppiche

nannten, darauf zu sprühen. Er hatte sich einfach

neue Wände gesucht, um bestehende Pieces

nicht crossen zu müssen.

Auch suchte er den Kontakt zu den Writern.

Er betrachtete sich als deren Vorarbeiter, sagte er

immer. Damit meinte er, dass andere seine Bilder

gerne als Hintergrund für ihre nutzen könnten.

Auch geschah es manchmal, dass Oz an einigen

Bildern anderer Sprüher weitermalte und diese

mit einem Mal mit Hunderten von Punkten versehen

waren. Bei einigen Writern freilich hatte das

Wut ausgelöst.

Ende der 1990er-Jahre entstanden dann immer

abstraktere Formen, gemalt mit intensiven

Farbtönen, sodass Oz mehr und mehr Zuspruch

bekam – und zwar nicht allein aus der Graffiti-

Szene. Inzwischen bestand er dann auch darauf,

dass seine Bilder erhalten bleiben sollten.

Und auch als Mensch war er vollkommen anders

als die allermeisten Writer. Er war wohl immer

mindestens 20 Jahre älter als all die anderen

Sprayer der Stadt. Wenn man ihn traf, schimpfte

er manchmal über die „scheiß Bullen“ und die

„Sauberpolitik“. Was viele aber nicht wussten: Oz

war ein herzensguter Mensch, umweltbewusst,

Naturfreund mit Ornithologen-Ambitionen, sehr

hilfsbereit und ein guter Netzwerker. Er kannte

alle möglichen Leute in der ganzen Stadt aus

allen möglichen Bereichen. Auch nahm er jede

Veränderung der Stadt wahr. Immer wieder reinigte

er Wände von Moos, er säuberte von Writern

stark frequentierte Spots von leeren Dosen – und

war doch gleichzeitig der Sündenbock der gesamten

Stadt, wenn es um irgendeine Form des

Vandalismus ging.

Seinen Antrieb als Sprüher schöpfte er wohl

weniger aus dem Gedanken des Getting-up. Vielmehr

hatte Oz den grauen Flächen der Stadt seinen

ganz persönlichen Krieg erklärt. Eine graue

Wand schien etwas in ihm auszulösen. Das hieß

auch, dass er offenbar grundsätzlich keine Pieces

anderer Writer übermalte (seine waren dafür

öfter mal den Pieces anderer Writer zum Opfer

gefallen). Zudem war er in der Wahl seiner Spots

schlichtweg krasser als die meisten anderen. So

Ozozoz … Bis der letzte Kringel von der

Oberfläche getilgt ist, werden hoffentlich noch

Jahrzehnte ins Land gehen. Bleibt abzuwarten,

ob der Sell-out seiner Leinwände nicht früher

beginnt. Schützt seine Werke auf der Straße und

unterstützt nicht den Ausverkauf!

Regie, GMS

gut wie keine Wand war vor ihm sicher, egal, wie

unerreichbar sie auch schien. Und dafür, dass Oz

so gut wie nie Züge bemalte, sollte ihm der HVV

eigentlich auf ewig dankbar sein.

Mit der Zeit fanden sich in der Hamburger Writer-Szene

immer mehr Sprüher, die in irgendeiner

Form Kontakt zu Oz hatten. Einige Writer hatten

Winter 2014 / 2015 #116 BACKSPIN 37

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!