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gott<br />
ist…<br />
| SERIE<br />
Gott ist …<br />
… überraschend in jeder Beziehung<br />
Vermutlich hat jeder von uns so seine<br />
Lebensthemen. Darunter verstehe ich<br />
diejenigen Themen, die uns ein Leben lang<br />
begleiten. Wir wachsen zwar darin, lernen<br />
und reifen, aber es sind und bleiben die<br />
Themen, die uns am meisten herausfordern.<br />
Mein Lebensthema ist definitiv<br />
meine Tendenz, «stark sein» zu müssen.<br />
Es gibt Situationen, da brauchen Menschen<br />
ein Wunder. Als der Jesuit Alfred Delp nach<br />
dem missglückten Hitler-Attentat vom<br />
20. Juli 1944 wegen seiner Mitgliedschaft<br />
in der Widerstandsbewegung ins Gefängnis<br />
gebracht und schwer gefoltert wurde, bat<br />
er Gott manchmal um ein «Guetzli», würde<br />
man in der Schweiz sagen, um ein kleines<br />
Geschenk als Zeichen seiner Gegenwart.<br />
Er schreibt in seinem Tagebuch, dass er<br />
es jedes Mal bekommen hat.<br />
Das Wunder, vor den Nazis gerettet zu<br />
werden, hat Delp nicht erlebt, am 2. Februar<br />
1945 wurde er hingerichtet. Während er im<br />
Gefängnis seinen Prozess erwartete,<br />
schrieb er zu Weihnachten 1944 eine Meditation<br />
über die Hirten von Bethlehem, die,<br />
anders als die Menschen um sie herum, im<br />
neugeborenen Jesus den Messias erkannten:<br />
«Die Welt ist voller Wunder, keiner sieht<br />
sie, unsere Augen sind gehalten.»<br />
Es überrascht, dass Gott Delp zwar immer<br />
wieder kleine Wunder in seinen Alltag<br />
hinein geschenkt hat – aber ihn nicht vor<br />
dem Tod bewahrt hat. Es ist nicht ohne<br />
Weiteres verständlich, dass Paulus, durch<br />
Handauflegung von Blindheit geheilt, in<br />
Schwäche leben musste, vermutlich mit<br />
einer Erkrankung, die ihn auch bei seiner<br />
missionarischen Arbeit behindert hat.<br />
Meine Augen zu öffnen lässt sich üben – so<br />
dass ich die Wunder sehen kann, mit denen<br />
Gott die Welt für mich gefüllt hat. Seine<br />
Gegenwart zu erkennen, ist vielleicht der<br />
hauptsächliche Zweck von Wundern. Die<br />
grossen Probleme werden selten durch<br />
Wunder gelöst, Gott beseitigt nicht routinemässig<br />
Leiden durch wundersames Eingreifen.<br />
Aber sowohl Paulus als auch Delp<br />
lebten in einer Welt, die angefüllt war mit<br />
Wundern, erfüllt vom Handeln Gottes. Das<br />
ist doch eine Perspektive für uns.<br />
Es gibt Situationen, da bitten Menschen<br />
um ein Wunder. Paulus litt an einer (nicht<br />
näher bekannten) Krankheit, die ihn in<br />
seiner missionarischen Arbeit behinderte,<br />
er schreibt von seiner Bitte um Heilung<br />
(im 2. Korintherbrief, Kap. 12). Und von der<br />
Antwort, die er stattdessen von Gott erhalten<br />
hat: «Meine Gnade genügt, die Kraft<br />
wird in Schwachheit vollendet.»<br />
SERIE «GOTT IST …»<br />
Wie oder wer ist Gott eigentlich? Diese<br />
Frage beschäftigt die Menschen schon<br />
lange. In der Bibel werden unterschiedliche<br />
Bilder gebraucht, um Gott zu beschreiben.<br />
In einer Serie teilen Theologinnen und<br />
Theologen aus unterschiedlichen Denominationen<br />
ihre Vorstellungen, wie Gott ist.<br />
Effizienz ist kein Kriterium Gottes für seine<br />
Wunder. Schon in der Bibel heilt Jesus nicht<br />
nur Kranke, sondern verwandelt auch auf<br />
einer Hochzeit zu später Stunde Wasser in<br />
Wein. Bestellbar, auf sicher, sind Wunder<br />
ebenfalls nicht – so wenig, wie die mal in<br />
Esoterik-Kreisen beliebten «Bestellungen<br />
beim Universum» funktionieren, so wenig<br />
lässt sich Gott auf die Lieferung von Wundern<br />
durch bestimmte Gebete, Personen<br />
oder Veranstaltungen ein.<br />
Er ist kein Automat, der liefert, wenn wir<br />
nur das Richtige tun. Gott bleibt un-berechenbar,<br />
aber immer auf unserer Seite,<br />
wenn wir das Leben suchen. Was ein Wunder<br />
ist, also was ich als ein Zeichen der<br />
Anwesenheit Gottes in meinem Leben<br />
erkennen kann, das entscheidet sich an<br />
meiner Beziehung mit ihm.<br />
ZUR PERSON<br />
Karin Reinmüller ist seit 2018 katholische<br />
Pfarreiseelsorgerin in Pfäffikon ZH. Bevor<br />
sie Theologin wurde, war sie als Physikerin<br />
in der Wissenschaft und als Software-<br />
Ingenieurin in der Industrie unterwegs.<br />
Ihr Herz schlägt dafür, auf der Spur Gottes<br />
zu bleiben, der das Leben liebt. Dabei<br />
helfen ihr ignatianische Spiritualität und<br />
gregorianischer Gesang.<br />
<strong>Life</strong> <strong>Channel</strong> <strong>Magazin</strong> | <strong>Januar</strong> <strong>2021</strong> | 11