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Dritte Ausgabe der ST/A/R - Zeitung

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Städteplanung / Architektur / Religion<br />

HIMMELSCHWER<br />

Transformation der Schwerkraft<br />

Ein Beitrag von Eleonora Louis<br />

Ausstellungstour: Graz – Odense<br />

Ausstellung im Landesmuseum bei den Minoriten und im<br />

Stadtraum Graz im Zuge der Kulturhauptstadt Graz 2003<br />

Eine Ausstellung, die sich den Transformationen der Schwerkraft<br />

widmet, läßt vermuten, dem Thema des Wunschtraums aller<br />

Kulturen, dem Fliegen, breiten Raum zu widmen. Alle<br />

Ausstellungen und Publikationen der letzten 15 Jahre, die sich zum<br />

Thema Schwerkraft und Kunst rechnen lassen, konzentrieren sich vor<br />

allem auf die Überwindung der Erdanziehung. In jüngster Zeit hat sich<br />

der praktisch-funktionale Umgang mit der Schwerelosigkeit hinzugesellt,<br />

verdeutlicht über das Design, das uns für ein Leben in der<br />

Schwerelosigkeit zur Verfügung gestellt werden soll. Besonders an<br />

Technischen Universitäten und Designhochschulen ist das Thema<br />

'Design für den schwerelosen Zustand' in den letzten Jahren öfters<br />

behandelt worden.<br />

Sicherlich ist eine Bildgeschichte des Flugwunsches engstens mit den<br />

technologischen Errungenschaften verknüpft, der aber dennoch, oder<br />

besser gesagt, gerade deshalb nicht ausgeträumt ist. Wir benötigen<br />

weiterhin Maschinen, die uns in die Höhe bringen, der Flug ins All ist<br />

noch immer nicht Normalität geworden.<br />

Der Himmel ist einerseits scheinbar näher gerückt und zumindest in<br />

Erdennähe praktisch besetzt - nicht mehr mit dem himmlischen<br />

Personal, das sich in den barocken Deckenbildern tummelt, sondern mit<br />

den realen Dingen unserer Technologiegesellschaft wie<br />

Weltraumsatelliten oder -müll, oder mit aus der Ferne des Alls kommenden<br />

Meteoriten etc.<br />

Im Grunde haben sich<br />

die Grenzen aber einfach<br />

nur verschoben, den<br />

unbekannten Himmel,<br />

der nur mit unserer<br />

Vorstellungskraft gefüllt<br />

wird, gibt es weiterhin.<br />

Und auch die religiösen<br />

Vorstellungen eines göttlichen<br />

Kreator sind trotz<br />

der naturwissenschaftlichen<br />

Erkundungsfahrten<br />

in Mikro- und<br />

Makrokosmos keineswegs<br />

verschwunden.<br />

Als quasi anthropologische<br />

Konstante, die uns<br />

an unsere Erde bindet,<br />

Yves Klein, Sprung in die Leere, 1960<br />

die unser alltägliches<br />

Leben bestimmt, ist die<br />

Schwerkraft weder allein über eine Bildgeschichte des Fliegens und damit<br />

einer spezifischen Technikgeschichte zu lesen, noch ist sie abkoppelbar<br />

von gesellschaftlichen Zeitstimmungen, von ihren naturwissenschaftlichen<br />

Erkenntnissen und ihren religiösen Profilen. In ihrer Prägung des<br />

Erdenlebens ist sie dort bildhaft geworden, wo es um existenzielle Fragen<br />

unseres Daseins und dessen metaphysische Gegenwelten geht. Die Textund<br />

Bilderwelt unserer christlichen Religion hat uns die besten Beispiele<br />

geliefert, den Umgang mit unserer physischen Gebundenheit an die<br />

Schwerkraft in der Dialektik von Dies- und Jenseits zu sehen, und uns<br />

die Veränderungen unserer Wahrnehmung in den Transformationen der<br />

ästhetischen Lösungen zu zeigen.<br />

Gerade in der religiösen Bilderwelt läßt sich eine Ordnung finden, die die<br />

Auseinandersetzung mit der Schwerkraft als Orientierung in einem<br />

Raum von oben und unten definiert hat.<br />

So die theoretische Ausgangslage des Ausstellungsprojekts. Und warum<br />

beim Barock beginnen? Zum einen: Das Ausstellungskonzept sollte nicht<br />

abgehoben von dem Ort sein, an dem die Ausstellung stattfand. Graz hat<br />

als gebaute Stadt eine ungeheure barocke Substanz vorzuweisen - und die<br />

im Zentrum gehäufte sakrale Architektur aus dem 17. und 18.<br />

Jahrhundert enthält reiches barockes Inventar, von den Deckengemälden<br />

bis zum Altarbild. Zum anderen: Gerade das Barock hat die Vorstellung<br />

Charles Kaltenbacher, Konzert zum Geburtstag der Zeit,<br />

Performancestill, Kollerschlag 1987<br />

von einem Oben (Himmel) und Unten (Hölle) in unglaublicher Dynamik<br />

bildhaft gemacht. Deutlicher als im 17. Jahrhundert hat wohl keine<br />

Bilderwelt die Schwerkraft auf Erden und ihre Aufhebung im Rahmen<br />

christlicher Heilsgeschichte in Szene gesetzt. Der Schwere des toten<br />

Körpers – wie er in Bildern der Kreuzabnahme oder Pietá-Werken überdeutlich<br />

macht, daß hier kein Leben mehr gegen die Schwerkraft kämpft<br />

– und den stürzenden Engeln stehen die Himmelfahrten von Christus<br />

und Maria, die Rotation des Himmels in den Darstellungen des Jüngsten<br />

Gerichts und die sich im Licht auflösende Christusfigur zur Seite.<br />

Materie wird nicht ihren realen Qualitäten entsprechend dargestellt und<br />

bekommt völlig andere Konsistenz, sobald es sich um nichtirdische<br />

Szenen handelt. Das himmlische Personal sitzt und steht auf Wolken,<br />

kleine Putti heben und tragen - auf Erden eigentlich schwere - Körper<br />

und architektonische Versatzstücke usw. Die realen physikalischen<br />

Gesetze sind in dieser Welt außer Kraft gesetzt.<br />

Transformationen dieses Levitierens und Balance-Haltens, Aufsteigens<br />

und Angezogenseins, Rotierens, aber auch der Schwere und des unvermeidlichen<br />

Absturzes waren<br />

jene Gliederungsbegriffe, die<br />

in der Ausstellung die alten Maria Wirkkala, TIRAMISU II, Leiter<br />

Werke mit jenen der klassischen<br />

Moderne am Beginn<br />

des 20. Jahrhunderts und zeitgenössischen<br />

Werken verbanden.<br />

Durch derartige<br />

Konstellationen von Alt und<br />

Neu, die einer kunsthistorischen<br />

Chronologie das<br />

Konzept vielfältiger Tableaus<br />

von Analogien entgegensetzte,<br />

wurden die Besucher auf<br />

Entdeckungsfahrt geschickt.<br />

Die Klischees zu den alten<br />

Bildern konnten damit ebenso<br />

aufgebrochen werden, wie das<br />

Moderne und Zeitgenössische<br />

in völlig neuen historischen<br />

Beziehungen gesehen werden<br />

konnte.<br />

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