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Dritte Ausgabe der ST/A/R - Zeitung

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Städteplanung / Architektur / Religion<br />

Die Stadt<br />

Die Grazer Ausstellung arbeitete auch direkt in der Stadt. Über den Kern<br />

der Schau im Landesmuseum Joanneum hinaus wurden die Räume des<br />

Priesterseminars und dessen Innenhof bespielt: Dort lotete Antony<br />

Gormley (GB) mit seinen Bleiskulpturen, die an der Innenhoffassade hingen<br />

und über Holzbalken mit einem Gegengewicht im Inneren des<br />

Gebäudes in Schwebe gehalten wurden, auch das technische Vermögen<br />

des Aufbauteams heraus. In Erweiterung ihrer Installation im gegenüberliegenden<br />

Dachboden des Doms und des Mausoleumturms ließ die<br />

Finnin Maaria Wirkkala „goldene“ Leitern auf verschiedenen Dächern der<br />

Altstadt plazieren - ebenfalls eine während des Aufbaus unmittelbar zu<br />

erfahrende Arbeit an der Schwerkraft. Während in der Minoritengalerie<br />

Charles Kaltenbacher (A) mit Videos, Installationen und v.a. Fotografien<br />

in ein künstlerisches Universum zwischen Moderne-Rezeption und zeitgenössischer<br />

Wahrnehmung führte, markierte ein am Kalvarienberg vom<br />

Kreuz springender Christus von Werner Hofmeister (A) die Grenze der<br />

Stadt. Durch seine langjährige künstlerische Arbeit an der Schwerkraft<br />

war Kaltenbacher auch ein Impulsgeber zur Wahl des<br />

Ausstellungsthemas „Schwerkraft“.<br />

Das 18. Jahrhundert Der Mensch kann sich seit dem 18.<br />

Jahrhundert (1. Ballonflug 1783 durch die Brüder Montgolfier) in zunehmendem<br />

Maße in eine vertikale Bewegungsrichtung begeben. Diese technischen<br />

Möglichkeiten, mit denen man sich ohne große körperliche<br />

Anstrengung gen Himmel bewegen kann, geben der Säkularisierung des<br />

Himmels, das zugleich auch eine Änderung der<br />

Wahrnehmungsperspektive bedeutet, zusätzlich Vorschub. Erstmals ist es<br />

möglich, die Erde von oben herab zu sehen und damit Gottes<br />

Blickrichtung einzunehmen. Auch in den künstlerischen Aussagen werden<br />

deutliche Innovationen geboten.<br />

Insofern wurden in die Ausstellung Beispiele der Kunst aus dieser Zeit<br />

hineingenommen: Bilder mit religiösen Motiven, die nicht mehr so<br />

leichtfüßig und mit deutlicher Skepsis die Schwerkraftsaufhebungen in<br />

Szene setzen.<br />

Der Abstraktion der ersten Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts war<br />

ein weiterer Schwerpunkt der Zusammenstellung von Kunstwerken<br />

gewidmet. Ihr gelingt letztlich die endgültige Ablösung von der traditionellen<br />

Raumerfahrung, indem der Raum in die Vorstellungskraft des<br />

Betrachters verlegt wird, dort alle möglichen Gestaltungen annehmen<br />

kann (deshalb auch metaphysische oder religiöse Implikationen nicht einfach<br />

gelöscht werden).<br />

Die abstrakt-geometrischen Figuren weisen mit ihren Variationen, ihren<br />

Abweichungen von der Idealform auf eine Bildgestaltung, die<br />

Anthropozentrisches mit Metaphysischem vereint. Mit Hilfe der<br />

Abstraktion tritt der Betrachter in einen kosmischen Raum, was der russische<br />

Schriftsteller Kruchenych durch eine Figur des Bühnenstücks<br />

„Sieg über die Sonne“ euphorisch so imaginiert: „Befreit von der Schwere<br />

der universalen Schwerkraft, ordnen wir unseren Kram so bizarr an, als<br />

würden die Schätze eines Königreichs sortiert.“ ( 2. Akt, 5. Bild, uraufgeführt<br />

im Dezember 1913, St. Petersburg.)<br />

Die Spannweite, innerhalb der sich das neue Raumverständnis<br />

der Moderne bewegt, liegt gleichsam zwischen der Rezeption der naturwissenschaftlichen<br />

Raumtheorien und einer Diskussion um individuelle<br />

geistige Erfahrungsräume. Auf künstlerische Positionen umgemünzt<br />

ließe sich auch sagen: zwischen der konzeptuellen Annäherung, die<br />

unsere Dingwelt in Hinblick auf unsere gewohnte Wahrnehmung irritierend<br />

verschiebt, und Abstraktionen, die die mimetische Abbildung verweigern,<br />

scheinen sich polare ästhetische Verfahrensweisen anzubieten,<br />

innerhalb der sich die unzähligen Varianten des künstlerischen Umgangs<br />

mit unserer Raumerfahrung und dem Raum des Kunstwerks an sich aufspannen.<br />

Moderne und Zeitgenössisches<br />

treiben immer öfter die Statik an ihre Grenze. Das Schweizer<br />

Künstlerduo Fischli/Weiß hat es einmal ironisch so formuliert: „Am<br />

schönsten ist das Gleichgewicht, kurz bevor's zusammenbricht.“ Die<br />

82<br />

Rosemary Laing, bullettproofglass #2, 2002<br />

Werner Hofmeister, Tabula Saltandi, 2003<br />

Domenico Cresti, die Auferstehung, 17. Jhdt.<br />

Dara Friedman, Government Cut Freestyle, 1998<br />

Alfons Schilling, Kosmos Action Painting, 1962<br />

Rui Chafes, Durante o Sono, 2002<br />

Antony Gormley, Capacitor, 2001<br />

Gian Lorenzo Bernini, Verklärung Christi, 16. Jhdt.

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