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Buch VI Nr. 36/2013<br />

Mäander als Kunstprogramm<br />

eine Reise zum Muzej Macura, Belgrad<br />

ein Beitrag von Gerald Kolfer<br />

Nahe und fern gelten räumlich betrachtet als diffizil. Dies verdeutlicht der Mäander.<br />

Zwei augenscheinlich nahe liegende Punkte können nur erreicht werden indem man<br />

ein Vielfaches an Weg zurücklegt. Europa mäandriert. Man wird jäh auf diese Tatsache<br />

zurückgeworfen, sobald man auf der von der <strong>ST</strong>RABAG glatt gebügelten Ungarnroute<br />

Richtung Serbien unterwegs ist.<br />

Wie unendlich fern man sich trotz gut ausgebauter Verbindungsrouten wähnt, verdeutlichen<br />

die Grenzer. Kein Zauber dieser Welt bindet, was die Mode hier in Strenge teilt.<br />

Kein Augenzwinkern oder Zureden hilft, wenn der Pass nicht passt. Eine Mäanderschlinge<br />

zurück nach Budapest steht an, denn noch weilt Serbien nicht unterm sanften<br />

Flügel Europas und der Notpass der diplomatischen Vertretung in Budapest ist in<br />

solch einem Fall der einzige Schlüssel, der die Tür zu diesem Flecken anderes Europa<br />

aufsperrt. Die normalste Sache der Welt. Zumindest für den Grenzer.<br />

In der Natur gibt es keine Grenzen. Und keine Geraden. Der Wassertropfen wird niemals<br />

gerade fließen. Nicht mal wenn man zuvor das Fenster putzt und poliert. Ein Geheimnis<br />

der Hydrodynamik. Am Papier, funktioniert diese Art dritte Dimension nichtmal<br />

fiktiv. Deswegen ist sie im Denken der Technokraten nicht vorhanden. Viel Wasser ist<br />

schon die Donau hinuntergeflossen, zuviel um enge Kurven zu ziehen. Die Donaumäander<br />

beeindrucken durch den Verschub gewaltiger Erdmassen, die ihrer Landschaft<br />

Prägung geben.<br />

Vor Belgrad, auf der Höhe der Ortschaft Novi Panovci, zieht die Donau eine Linkskurve.<br />

Vom Wagram aus hat man eine weite Sicht, hinein in die Auen am anderen Ufer. Die<br />

zahlreichen Fischlokale werden gern von den Belgrader Flaneuren und Wochenendgästen<br />

frequentiert. Monströs anmutende Einfamilienhäuser, fast so überdimensional<br />

wie Hotels im Tirolerhäuslstil säumen, oftmals unverputzt, die Peripherie der Entspannungsdörfer<br />

vor den Toren Belgrads.<br />

Die serbische Binnenmigration hat hier ein Gesicht bekommen. In den Häusern leben<br />

die Großfamilien aus den periphären Provinzgegenden, wo „daham“ einmal gewesen<br />

ist – von den Mäandern der jüngeren Zeitgeschichte hier angeschwemmt. Fremde im<br />

eigenen Land, die hier, am Wagram vor Belgrad, eine neue Normalität suchen und irgendwann<br />

in einer anderen Welt, als der in Stein gefassten erwachen werden.<br />

Am Rande dieser pittoresken Wohnlandschaft der Zeitgeschichte steht das Museum<br />

Macura. Ein dunkler Kubus, der schon von der nahen E 65 her auffällt, wenn man danach<br />

sucht. Schon vom Grundriss her hat der Mäander hier Programm. Seine Existenz<br />

geht zurück auf das mäandrierende Schaffen der 60er Jahre, auf die Kunst des Kroaten<br />

Julije Knifer zurück, der für den Grundriss des Gebäudes Pate stand.<br />

Wenn man das längliche Grundstück betritt, fallen zunächst die Nebengebäude ins<br />

Blickfeld und der Obstgarten, dann der Museumstrakt von dessen Rückseite die Donau<br />

grüßt. Nicht alle Früchte hier am Boden gelten als Fallobst. Immerwieder stößt<br />

man auf Früchte des Schaffens aus den letzten Dekaden, aber auch auf Gegenwärtiges,<br />

denn Artists lieben diese Residence und die besondere Exotik dieses Platzes erst<br />

recht.<br />

Der Name der Künstlergruppe Gorgona stand in den fünfziger- und sechziger Jahren<br />

für unangepasstes Kulturschaffen im blockfreien Staat Jugoslawien. Man duldete,<br />

aber sammlete nicht das Mäandrieren dieser Künstler im alten Vielvölkerstaat Jugoslawien.<br />

Die Gruppe Gorgona ist aber dafür umfangreich vertreten in der Sammlung<br />

Macura. Einer der Grundsätze der Gruppe lautete, dass kein Werk als Resultat der<br />

Kunst erwartet wurde – es ging ums Prozessuale, um den gemeinsamen Austausch,<br />

ums Mäandrieren der Gedanken.<br />

Eine Idee, die bei Macura ihre Fortführung findet. Nicht jeder muss sich verpflichtet<br />

fühlen ein Werk vor zulegen, wenn der Austausch stimmt.<br />

Das Ergebnis ist ein Gesamt(kunst)projekt, dass sich stets von neuem erfindet, dessen<br />

Früchte manchmal im Gras liegen, als Inspiration mit genommen werden oder an<br />

den Museumswänden hängen bleiben. Das Museum Macura ist ein offenes Haus mit<br />

einem artist in residence Programm, geöffnet von Anfang Mai bis Ende Oktober.<br />

Es finden laufend aktuelle Ausstellungen und Veranstaltungen statt.<br />

MUZEJ MACURA - Vladimir Macura, Adresse: Zenit 1, Novi Banovci bei Belgrad<br />

fon: +43 664 423 0657<br />

Fotos: Muzej Macura / Gerald Kolfer

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