Die DM im Schatten der EM Eine Änderung in den DLV-Nominierungsregularien ermöglichte die vor- und frühzeitige Vergabe von EM-Tickets an 80 Athleten/innen mit erfüllter Norm (in anderen Ländern wird das schon lange so gehandhabt). Von dieser Regel hat der DLV im Vorfeld zur Deutschen Meisterschaft in Nürnberg auch regen Gebrauch gemacht. Anfang Juli, zwei Wochen vor der deutschen Meisterschaft, der traditionellen Deadline für das EM/WM-Ausleseverfahren, hatte der DLV die Zahl erstmals fix vornominierter Athleten mit 54 bekanntgegeben. Zusammen mit den noch früher für „Berlin <strong>2018</strong>“ qualifizierten Mehrkämpfern, Marathonläufern, Gehern und fünf vom Europaverband (EA) gesetzten EM-Titelverteidigern vergrößerte sich der Umfang der Mannschaft auf 80. Und drei Tage nach der DM im Nürnberger Stadion wurden in der letzten Nominierungssitzung noch einmal 50 Prozent draufgepackt. 121 EM-Tickets für die Elite der deutschen <strong>Leichtathletik</strong>! Voluminöser war ein DLV-Team bei einem kontinentalen Championat nie. Musste man sich da angesichts des bemerkenswerten Zuwachses nicht fragen: War das Niveau der „Deutschen“ so hoch oder die EM-Normen zu niedrig? Nun ja, es kommt, wie so oft, auf den Standpunkt an. Normen vom Discounter? Keineswegs, dann wären Hammerwurf (Männer) und 400 m Hürden (Frauen) nicht leer ausgegangen und sechs Disziplinen jeweils nur einfach besetzt worden. Und hohes Niveau? Das war in Nürnberg tatsächlich im Angebot: bei vier von 38 Disziplinen. Aus der Sicht der Weltspitze meisterten den Dreitage-Marathon im Max-Morlock-Stadion (zweimal je acht Stunden am Stück: eigentlich unzumutbar für die Zuschauer) sieben Athleten/innen ohne jegliche Atemnot: die Speerwerfer Andreas Hofmann, Thomas Röhler und Johannes Vetter, David Storl und Christina Schwanitz (kam nur am verregneten Samstag bei einem Autounfall in Bedrängnis) mit der Kugel, Hürdensprinterin Pamela Dutkiewicz und Christoph Harting (Diskus). Sieben Mal Weltklasse bei einer nationalen Meisterschaft, das schaffen nicht allzu viele Länder. Dass sechs der genannten Athleten aus dem sogenannten „Field“- Bereich kommen, ist Beleg für die unveränderte Schlagseite des Disziplin-Kanons im DLV. Positiv auch diese Nürnberger Details: 56 persönliche Bestleistungen zeigen, dass zumindest die zweite Reihe inklusive Nachwuchs den Stellenwert der DM als erstrebenswertes Saisonziel erkennt. Für die Elite mit EM-Ambitionen ist sie das, wenn sie größtenteils bereits EM-nominiert an den DM-Start geht, nur noch bedingt. Aus einem Zustand der Zwanglosigkeit jedoch, das war gelegentlich zu spüren, erwuchs Nachlässigkeit, die nicht allen auf den Rängen gefiel. Belebend die Überraschungssiege der jungen, wenig bekannten Sprinter/ innen Kevin Kranz (100 m) und Bianca Wessolly (200 m) und weiterer neun Athleten/innen, die bisher noch nie ganz oben standen. Stressig für die Betroffenen, aber unterhaltsam fürs Publikum: beide Diskusfinals. Dort waren noch vorhandene Löcher in der Besetzungsliste für Berlin zu stopfen gewesen. Höchst erfreulich zudem für unseren FREUNDE-Verein: Titel für zwei unserer Mitglieder, Timo Benitz (1.500 m) und Gregor Traber (110 m H). Insgesamt fielen die Nürnberger Sieg-Resultate mehrheitlich besser aus als die vor der EM 2016 und der WM 2017. Das hat die DLV-Führung allerdings auf Nachfrage nicht zu handfesten Medaillenprognosen für „Berlin <strong>2018</strong>“ verleiten können. Merke: Da kann man sich schnell die Finger verbrennen. Es sei jedoch ein „breites Medaillenpotenzial vorhanden, aber Werte aus Statistiken gewinnen keine Medaillen“ (Leitender Sportchef Idriss Gonschinska). Apropos Statistik, in der bereinigten Europa-Bestenliste vor der EM waren 13 DLV-Starter/innen unter den ersten Dreien, bei der EM 2016 wurden 17 Medaillen errungen. Immerhin sagte der Leitende voraus, es werde „ein sehr ambitioniertes Team um jeden Zentimeter kämpfen und die Zuschauer begeistern“. Wenn nun die dritte Ausgabe <strong>2018</strong> von „<strong>Leichtathletik</strong> INFORM ationen“ nach der Europameisterschaft veröffentlicht ist, wird der <strong>Leichtathletik</strong>fan derlei Parolen nachträglich sicher auf den Prüfstand stellen, so oder so. Dann lässt sich auch beurteilen, ob das EM-Team eventuell zu großzügig nominiert war. Oder früh strauchelnde EM-Novizen „Berlin <strong>2018</strong>“ doch im Sinne einer perspektivischen Wegmarke Richtung internationales Terrain haben erkennen können. Nürnberger Fazit: Die DM stand extrem im Schatten der EM, so extrem, dass die seit geraumer Zeit aus internationaler Sicht erkennbaren Schwachstellen der deutschen <strong>Leichtathletik</strong> – mehr als ein halbes Dutzend – nur flüchtig zur Kenntnis genommen wurden. Es wird spannend sein zu beobachten, wie der DLV die Baustellen beheben will, wenn erst einmal das schonungslose Potentialanalysesystem (PotAS) der DOSB/ BMI-Leistungssportreform Konzentration auf die Stärken empfiehlt – siehe auch mein Artikel in Heft 02/<strong>2018</strong>, auch abrufbar unter www.fdlsport.de/magazin/<strong>2018</strong>/heft2/mobile.html. Zur Erinnerung: Der DLV gehört zu den Bedenkenträgern der Reform. Michael Gernandt Fotos: Peter Busse (8) Dirk Gantenberg (2) <strong>Leichtathletik</strong> <strong>INFORMationen</strong> 4
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