weihnachtsbeilage_sachsen
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12 WEIHNACHTEN 2020 Donnerstag, 24. Dezember 2020<br />
Christmettekommt ins Wohnzimmer<br />
Tradition Weil die Menschen wegender<br />
Corona-Einschränkungen nicht in die Kirche<br />
kommen, geht der traditionelle musikalische<br />
Gottesdienstzuden Menschen. Dabei<br />
macht moderne Technik auch einen Ausflug<br />
in die Geschichtemöglich.<br />
VonBirgit Keilbach<br />
Hans-Jürgen Kayser hat historische Mitschnitte vonChristmetteund<br />
anderen Gottesdiensten sowie Konzerte Bandfür Band digitalisiert.<br />
Minutefür Minuteder ChristmettehabenPfarrer Martin Meyerund<br />
Jugendleiter Marco Bräunig (l.) für das Videozusammengestellt.<br />
Wenn sich die Heilige<br />
Nacht ihrem Ende<br />
zuneigt, wird in<br />
Luckau eine Tradition<br />
zelebriert, deren Ursprünge<br />
bis ins Mittelalter zurückreichen.<br />
In der ausschließlichvon Kerzen<br />
erleuchtetenHallenkirche wirdin<br />
der Frühe des ersten Weihnachtstagesdie<br />
Christmette nacheinem<br />
überlieferten Ritual gefeiert. Aus<br />
der ganzen Region und weit darüber<br />
hinaus strömen etwa<br />
1000 Menschen heran, um ab<br />
sechs Uhr diesen besonderen und<br />
in Brandenburg einmaligen Gottesdienst<br />
zuerleben.<br />
Dieses Weihnachten wird die<br />
Kirche leer bleiben. Corona<br />
macht eine Aufführung der<br />
Christmette unmöglich. Doch<br />
ganz auf das Erlebnis verzichtet<br />
werden muss nicht. Die Christmette<br />
wirdals Videogottesdienst<br />
im Internet gezeigt.<br />
Das Material dafür haben PfarrerMartin<br />
Meyer,Mitglieder der<br />
Kirchengemeinde und weitere<br />
Luckauer zusammengetragen, bearbeitet<br />
und zusammengestellt.<br />
„Beim Aufräumen im Lager der<br />
Kantorei habenwir ein altes Tonbandgerät<br />
und Bänder mit Aufnahmen<br />
von der Christmette gefunden“,<br />
sagt Hans-Jürgen Kayser.<br />
Die Aufnahmen seien 1956,<br />
1975 und vor allem in den<br />
1960er-Jahren entstanden.<br />
Wiebereits seine privatenTonbänder<br />
digitalisierte erauch die<br />
historischen Aufnahmen der<br />
Christmetten. „Die Aufnahmen<br />
habeich so authentisch gelassen,<br />
mit den Nebengeräuschen inder<br />
Kirche.“ Gut drei Wochen lang<br />
setzte er sich im November<br />
abends hin und überspielte die<br />
Bänder.<br />
Um die Tausend Kerzen erleuchten die großeHallenkirche St.Nikolai<br />
in Luckau zur Christmette. Während desQuempas-Singens bewegen<br />
die Besucher zahlreiche Lichterscheren.<br />
Fotos: Birgit Keilbach<br />
AlteAufnahmen wieder belebt<br />
Ausschnitte davonwerden im Video<br />
von der Christmette ebenso<br />
zu hören sein wie weitereTonaufnahmen<br />
ab1964. Private Videos<br />
aus den Jahren nach 1990 und<br />
zahlreiche Fotos von der Mette<br />
gingen nach einem Aufruf im<br />
Pfarrbüro ein.<br />
Auch das Archiv des Niederlausitz-Museums<br />
erwies sich als<br />
ergiebige Quelle für historisches<br />
Material. „Das ältesteBildist von<br />
1961 und zeigt die dreiSternevor<br />
dem Hochaltar, die für die Heiligen<br />
Drei Könige stehen“, sagt<br />
Pfarrer Meyer. Gemeinsam mit<br />
Jugendleiter Marco Bräunig fügte<br />
er Tonund Bilder sowie Videos<br />
vor der großen Leinwand im<br />
Haus des CVJM zusammen. Minute<br />
für Minute brachten sie Musik<br />
und Bilder stimmig inEinklang.<br />
„Wir haben viele Bilder bekommen<br />
und brauchen sie auch<br />
alle, um die ganz besondere Atmosphäre<br />
der Christmette authentisch<br />
im Video erlebbar zu<br />
machen“, erläutert der Pfarrer.<br />
Der musikalische Gottesdienst<br />
am Weihnachtsmorgen wird in<br />
Luckau schon seitfast 300 Jahren<br />
gefeiert. „Die gesamte organisatorische<br />
Vorbereitung liegt in den<br />
Händen der Kantorei“, sagt Helga<br />
Tucek. Die ehemaligeLeiterin<br />
des Niederlausitz-Museums in<br />
Luckau besucht die Christmette<br />
seit 1974 injedem Jahr und singt<br />
seit vielen Jahren im Kantoreichor.<br />
Zahlreiche spezielle Kerzenständerbestücken<br />
die Sänger<br />
üblicherweise mit Wachslichtern,<br />
darunter 54 Lichterscheren.<br />
Diehistorisch überlieferteBeleuchtung<br />
hatte Kantor Horst<br />
Schinke, der von 1950 bis 1992 an<br />
der Nikolaikirche wirkte, wieder<br />
belebt und sich insgesamt sehr<br />
um die Christmettenkultur verdient<br />
gemacht. Er forschte inalten<br />
Schriften und fand die originale<br />
Handschrift der Luckauer<br />
Christmettenkantate. Siewar 1736<br />
erstmals aufgeführt worden.<br />
Komponiert habe sie Andreas<br />
Müller, von 1726 bis 1775 Kantor<br />
in Luckau. Weil Müller kurz vor<br />
Weihnachten verstarb, wurde<br />
„Festo Nati Christi“ vermutlich<br />
ihm zu Ehren seitdem zum festen<br />
Bestandteil der Christmette.<br />
Aus dem Mittelalter stammt<br />
die Tradition des Quempas-Singens.<br />
An vier verschiedenen Stellen<br />
in der Kirche stehen die Chöre<br />
und singen abwechselnd jeweils<br />
eine Zeile der zwölf Strophen<br />
des Quempas: der<br />
Kantoreichor auf der Orgelempore,<br />
der Altarchor vor dem Hochaltar,<br />
der Soldatenchor auf der<br />
Südempore,der Schusterchor auf<br />
der Nordempore. Dazu bewegen<br />
Chöre und Besucher die Lichterscheren.<br />
Es sei ein erhalten gebliebener<br />
heidnischer Brauch, mit<br />
dem böse Geister vertrieben werden<br />
sollen. Die mit brennenden<br />
Kerzen bestückten Scheren wirkten,<br />
als bewege sich eine Feuerschlange.<br />
300 JahrealteTradition<br />
Eine Stunde dauert die Christmette<br />
mit immer gleichem Ablauf.<br />
Danach gehen die Luckauer<br />
nicht gleich auseinander,sondern<br />
treffen sich inder Familie, mit<br />
Freunden und Bekannten zum<br />
Weihnachtsfrühstück. Auch das<br />
wird indiesem Jahr ausfallen.<br />
„Ich kann es mir noch garnicht<br />
richtig vorstellen, wie es dieses<br />
Jahr ohne Christmette in der Kirche<br />
sein wird“, sagt Hans-Jürgen<br />
Kayser.Auch in Kriegszeiten soll<br />
die Christmette nie ausgefallen,<br />
allerdingsmit verhangenen Fenstern<br />
gefeiert worden sein.<br />
Helga Tucek: „Die Christmette<br />
ist der Höhepunkt des kirchlichen<br />
Lebens in Luckau und der<br />
Inbegriff fürdas Weihnachtsfest.“<br />
Deshalb werden am Weihnachtsmorgen<br />
wie immer die Glocken<br />
der Nikolaikirche läuten. „Zugleich<br />
wird das Christmette-Video<br />
auf dem Youtube-Kanal unserer<br />
Kirchengemeinde freigeschaltet“,<br />
sagt Pfarrer Meyer.