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weihnachtsbeilage_sachsen

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7 WEIHNACHTEN 2020 Donnerstag, 24. Dezember 2020<br />

Wenn im Spreewald<br />

die Fließezufrieren,<br />

wird gefühlt jeder<br />

Einwohner zum Geheimtippgeber<br />

–oder auch zum<br />

Geheimtipp-Geheimhalter –, was<br />

die besten Stellen für freches Flitzen<br />

auf den Flächen angeht. Jahr<br />

um Jahr warntdie Wasserschutzpolizei<br />

vordem Betreten derFließe<br />

–und das ist gut so, denn um<br />

ordentlich zuzufrieren und sämtliche<br />

Eisprinzessinnen, Puckjäger<br />

und andere Kufenfreunde sicher<br />

zu tragen, braucht es schon ein<br />

paar eiskalte Nächte –und auch<br />

Tage.<br />

Ein Traum aus Eis<br />

Doch wenn die Temperatur ausreichend<br />

lange unter null verharrt,<br />

verwandelt sich die Fließlandschaft<br />

in einen majestätischen<br />

Traum aus Eis. Geeignete<br />

Flächen gibt es viele –von der<br />

überschwemmten Wiese über<br />

den zugefrorenen See bis zu den<br />

flachen Fließen mit dicker Eisschicht,<br />

die man sonst als Wasserweg<br />

fürs Kahnfahren nutzt.<br />

Geheimtipp-Kenner dürfen so<br />

manchen Abschnitt an den knackig-kalten,<br />

sonnigen Tagenganz<br />

für sich (und dann dieses Jahr<br />

auch coronakonform) genießen.<br />

Für Freunde des geselligen Eisausflugs<br />

gab es in den vergangenen<br />

Jahren spontane Anlaufpunkte<br />

mit Glühwein und wärmenden<br />

Leckereien.<br />

Eislaufen in der Historie<br />

Historischgesehen warendie zugefrorenen<br />

Fließe im Spreewald<br />

weniger fürsVergnügen, sondern<br />

für die Arbeit wichtig. Im Lübbener<br />

Stadt- und Regionalmuseum<br />

gibt eseinen ganzen Fundus an<br />

Schlittschuhkufen aller Art, die<br />

unter die Winterschuhe geschnalltwurden.<br />

Die Postkartenbildervon<br />

Heutransporten übers<br />

Eis, manchmal handkoloriert,<br />

sind im kollektivenSpreewaldgedächtnis<br />

ebenso verankert.<br />

Undzwargleich neben der vergnüglichen<br />

Seite, den Spreewäldern<br />

mit ihren Stoßschlitten, Kindern<br />

und –ein besonderer Hingucker<br />

–Frauen der FließlandschaftinTracht.Wer<br />

sie erblickt,<br />

fragt sich unwillkürlich, wie<br />

warm (oder besser: wie kalt) das<br />

ist – immerhin entsteht beim<br />

Schlittschuhlaufen ein gewisser<br />

Fahrtwind. Die Vorstellung lässt<br />

Wenn der Spreewald<br />

zur Eislandschaft wird<br />

Winterzeit Aufschnellen Kufenüberzugefrorene Fließe flitzen, klare<br />

Luft undstille Landschaftgenießen –ein Traum, der sich nicht jeden<br />

Winter erfüllt.Doch wasträgt die Spreewälderin, wenn es kalt wird?<br />

VonIngvil Schirling<br />

So sieht’sbei den Spreewälderinnen unterm Rock aus. Die Steinkirchner Trachtenträgerinnen zeigen, wie<br />

sie sich im Winter warmhalten. Die unbedecktenKörperteiledienendann der Abkühlung,wenn es beim<br />

Tanzen heißwird. DasFotoentstand vordem Lübbener Haus Burglehn.<br />

Foto:privat<br />

Die Tracht,die AlexandraEhrlich<br />

trägt, wärmt allein schon durch<br />

die Stofflagen. Dennoch gibt es<br />

als KälteschutzWollstulpen.<br />

FOTO: PRIVAT<br />

Undlos geht‘s! Mitviel Glück<br />

bietet sich im Winter dieser<br />

Spreewald-Anblick, wenn die<br />

Fließe zugefrorensind.<br />

FOTO: KATRIN KUNIPATZ<br />

AlexandraEhrlichzeigt dieälteste<br />

Tracht in Steinkirchen. Drunterkommt<br />

der Unterrock,andere<br />

tragen spezielle Unterhosen.<br />

FOTO: INGVIL SCHIRLING<br />

schaudern, dass er<br />

am Ende neben Armen<br />

und Beinenwomöglich<br />

auch noch<br />

tiefer liegende<br />

Schichten auskühlen<br />

könnte.<br />

Betrachten wir also nach den<br />

historischen Schlittschuhkufen<br />

die Etage darüber: Wasträgt die<br />

Spreewälderin unterm Rock, damit<br />

sie nicht auskühlt? Eine junge<br />

Frau, diedas wissen mussund<br />

mit ihren Antworten nebenbeibeweist,dassdie<br />

Trachtentradition<br />

im Spreewald nach wie vorgelebt<br />

wird, kommt aus Lübben-Steinkirchen.<br />

Alexandra Ehrlich trägt die älteste<br />

Tracht des Ortsteils der<br />

Spreewald-Kreisstadtund ist Teil<br />

einer aktivenGruppe vonjungen<br />

Leuten, die Fastnacht, Spinte und<br />

andere Höhepunkte feiern –<br />

selbst wenn sie zwischenzeitlich,<br />

vonBerufswegen, weiter wegtätig<br />

sind. Die Tracht wurde von<br />

der Großmutter ihres Freundes<br />

an sie weitergegeben –eine große<br />

Ehreunter Spreewälderinnen.<br />

„Sie passte wie angegossen“,sagt<br />

die Steinkirchnerin, die in der<br />

Spreewald-Info der TKS Lübben<br />

arbeitet. Sie habe nichts ändern<br />

lassen.<br />

AufschnellenKufen<br />

übers Eis flitzen -dieses<br />

Vergnügen gehört zum<br />

Spreewald wie der Zimt<br />

in den Glühwein. Vonder<br />

Historie, die nicht immer<br />

nur mit der vergnüglichen<br />

Seite,sondern auch viel<br />

mit Arbeit zu tunhatte,<br />

zeugtdie<br />

Kufensammlung im<br />

Museum Schloss Lübben.<br />

Foto:Katrin Kunipatz<br />

Die Tracht istwarm<br />

Grundsätzlich wärmt die Tracht<br />

ohnehin durch die vielen Lagen.<br />

„Wir haben lange Unterbuxen“,<br />

sagt AlexandraEhrlich, „aber wir<br />

tragen sie eher, damit man beim<br />

Tanzen, wenn die Röcke fliegen,<br />

nicht zu viel sieht“, sagt sie<br />

schmunzelnd.<br />

Dass diese Buxen zusätzlich<br />

wärmen, ist auf dem Wegzuden<br />

winterlichen Spinte-Veranstaltungen<br />

recht praktisch.<br />

Die Steinkirchnerinnen<br />

machten sich eine<br />

Gaudi daraus, ausnahmsweise<br />

– im<br />

Lübbener Trachtenfestjahr<br />

bei der bedeutsamen<br />

Auftakt-Spinte–mal die Röckezu<br />

heben und Einblick in die blütenweißen<br />

„Unter“-Welten zu geben.<br />

Die Buxeschützt vorkaltem Luftzug<br />

–und für die Beine gibt es<br />

Wollstulpen, die aufwärts der<br />

Fußknöchel bis zu den Oberschenkeln<br />

reichen. Auch die<br />

Arme können derart bedeckt werden,<br />

und für den Oberkörper über<br />

dem Schultertuch gibt es Boleros<br />

oder Blazer.<br />

„Am besten gleich tanzen“<br />

Alexandra Ehrlichs Geheimtipp<br />

ist aber noch ein anderer: „Am<br />

besten schnell einmarschieren<br />

und gleich tanzen“, beschreibt sie<br />

augenzwinkernd die Strategie bei<br />

den Winterveranstaltungen. Das<br />

macht die Wollstulpen schon<br />

überflüssig.<br />

Dass heutzutage junge Frauen<br />

in Spreewaldtracht auf historischen<br />

Kufen ihre Pirouetten drehen,<br />

ist wirklich sehr selten. Vielleicht<br />

zieht, Pandemiefreiheit<br />

vorausgesetzt, mit der Lübbener<br />

Eisbahn solch ein Postkartenmotiv<br />

auf dem Marktplatz ein. Das<br />

wäre historisch.<br />

Bis dahin greift die Spreewälderin<br />

zu dem Mittel, das alle Fans<br />

des Draußenseins im Winter<br />

schätzen: Funktionsunterwäsche<br />

und Thermohose. Der Jagd nach<br />

dem Eishockey-Puck und dem<br />

Ausflug in die Eislandschaft stehen<br />

dann weder Rock noch Luftzug<br />

im Wege.

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