Life Channel Magazin Februar/März 2021
Aus alt wird neu
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KOLUMNE<br />
LIFE CHANNEL MAGAZIN ı 02/03.<strong>2021</strong> ı 31<br />
Ruedi Josuran<br />
Jedem Neuanfang geht eine Erschütterung voraus<br />
Bilanz ziehen. Standortbestimmung<br />
machen. Nicht wenige meiner Talk-<br />
Gäste im «Fenster zum Sonntag»<br />
oder Radio <strong>Life</strong> <strong>Channel</strong> fragen sich an<br />
einem bestimmten Punkt im Leben, ob<br />
sie alles richtig gemacht haben. Ob sie<br />
gelebt haben, nicht nur gelebt wurden.<br />
Im Lebens-Drehbuch dieser Menschen<br />
war vieles nicht so vorgesehen. Sie<br />
bekamen häufig vom Körper Hinweise.<br />
Diese wurden aber als lästige Störmanöver<br />
verdrängt. Später zeigten sich<br />
gerade solche Signale als wertvolle<br />
Informationen. Sie wurden dann auch<br />
in der Nachbetrachtung zu Kompetenzen<br />
in eigener Sache.<br />
Herausforderungen, Krisen können<br />
Einladungen sein, Altes hinter sich zu<br />
lassen und Neues zu Beginnen.<br />
Das Neue birgt immer<br />
ein grösseres Risiko als Altbewährtes<br />
Wer vom Auswandern träumt, fürchtet zugleich, an einem<br />
neuen Ort keine Freunde oder keinen Job zu finden. Wer seinen<br />
Job kündigen möchte, hat gleichzeitig Sorge, arbeitslos<br />
zu werden. Und wer sich von seinem Partner trennt, befürchtet,<br />
auch auf den verschiedensten Partner-Plattformen nie<br />
mehr fündig zu werden.<br />
In Entscheidungssituationen lassen sich die meisten<br />
Menschen von der Furcht vor dem Scheitern viel stärker beeinflussen<br />
als von der Freude auf Neues. Der Misserfolg hat<br />
ein schlechtes Image. Der amerikanische Soziologe Richard<br />
Sennett bezeichnete das Scheitern einmal als das «grosse<br />
Tabu» der Moderne. Dabei dient gerade das Scheitern, der<br />
absolute Tiefpunkt, als wichtiger Wegweiser: Nur, wenn man<br />
sich ehrlich eingesteht, dass man in eine Sackgasse gelaufen<br />
ist, kann man auch wieder zur richtigen Route zurückfinden.<br />
Jedem Neuanfang geht eine Erschütterung voraus. Das Wort<br />
«anfangen» kommt von anpacken, anfassen, in die Hand<br />
nehmen.<br />
Herausforderungen,<br />
Krisen können<br />
Einladungen sein, Altes<br />
hinter sich zu lassen und<br />
Neues zu Beginnen.<br />
Ich gestalte, mache mutige Schritte.<br />
Ich höre auf, darüber zu jammern, dass<br />
ich durch meine Erziehung oder durch<br />
meine Veranlagung festgelegt bin.<br />
Ich kann immer neu anfangen.<br />
Ich kann das, was mir als «Lebensmaterial»<br />
vorgegeben ist, in die Hand<br />
nehmen und gestalten. Dieses Lebensmaterial<br />
ist meine Lebensgeschichte,<br />
es besteht aus meinen Stärken und<br />
Schwächen, meinen Erfahrungen von<br />
Geborgenheit und Selbstvertrauen,<br />
aber auch meinen Verletzungen und<br />
Kränkungen.<br />
Was mich bei unzähligen Begegnungen<br />
mit TV- oder Radio-Gästen<br />
berührt: Irgendwann haben sie in der<br />
Begegnung mit Jesus Versöhnung<br />
gefunden. Versöhnung mit Gott, mit<br />
anderen und mit sich. Da muss ich<br />
an Thomas denken. Auch bekannt als der Zweifler oder der<br />
Ungläubige. Generell erfahren wir in der Bibel recht wenig<br />
über diesen Mann, der zu den zwölf Jüngern Jesu gehört.<br />
Was mir aber bleibt, ist: Erst, als der Auferstandene ihm die<br />
Wundmale zeigt, vermag er sein Glaubensbekenntnis auszurufen:<br />
«Mein Herr und mein Gott!».<br />
«Verletzt sein» gehört zum «Mensch sein»<br />
Jesus, der Sohn Gottes, hätte nach seiner Auferstehung die<br />
Wunden, also die Erinnerung an seinen grausamen Tod am<br />
Kreuz, verschwinden lassen können. Er hätte die Macht<br />
gehabt, sie wegzuwischen, sie mit göttlicher plastisch-chirurgischer<br />
Kunst unsichtbar zu machen. Gottes Sohn tut es<br />
nicht: Jesus nimmt sein ganzes Menschsein – auch mit seinen<br />
Verletzungen und Verwundungen – mit hinein in die Auferstehung.<br />
Gerade seine Wundmale sind der Beweis, dass<br />
er in seiner Auferstehung alles Menschliche in die Erlösung<br />
mithineingenommen hat. Alles darf sein. Gott kommt klar<br />
damit.<br />
RUEDI JOSURAN<br />
Moderator FENSTER ZUM SONNTAG-Talk<br />
ruedi.josuran@erf.ch