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01/ 2021 SOLVED 19Raubt der Kommerzdem Fußball die Seele?Der deutsche Fußball hat sichlängst zu einem Millionengeschäftentwickelt. Doch derSport muss aufpassen, nichtden wichtigsten Bestandteil zuverlieren: seine Fans.VON OLIVER PFANDERUND SASCHA RENZGeld regiert die Welt. In der Politik, inder Wirtschaft, in der Gesellschaftund seit einigen Jahren auch im Fußball.Die Strukturen und Interessender Fußballvereine entwickeln sichimmer mehr in die von Wirtschaftsunternehmen.Die Fans können sich mit dieser Entwicklung allerdingsnur schwer anfreunden. Der Slogan „Gegenden modernen Fußball“ ist mittlerweile zu einemweit verbreiteten Motto der Fans geworden,die sich nicht mit der zunehmenden Kommerzialisierungim Profifußball identifizieren können.Der steigende Einfluss finanzieller Interessengruppen,explodierende Transfersummen und dieVerteilung der TV-Gelder sind einige Beispiele fürdie momentan stattfindende Entwicklung imFußballgeschäft. Speziell die Verteilung der Fernseh-Geldersteht in diesem Zusammenhang besondersim Fokus. Sie stellt für die meisten Vereinedie Haupteinnahmequelle dar und verursachtso eine erhebliche Abhängigkeit. Die DeutscheFußball Liga (DFL) erwirtschaftete als Organisatorund Vermarkter des deutschen Profifußballs inder vergangenen Saison 1,16 Milliarden Eurodurch nationale TV-Gelder. Zum Vergleich: in derSaison 2016/17 waren es noch 628 Millionen Euro,was einem Zuwachs von etwa 85 Prozent entspricht.Durch den Anstieg an finanziellen Mittelnund die leistungsorientierte Verteilung dieser,ist ein besseres Abschneiden in der Saison vonnoch höherer Bedeutung. „Durch langjährigesgutes Wirtschaften gewinnt man als Verein heutzutagekeinen Blumentopf mehr“, kritisiert JostPeter, Vorstandsmitglied im Fanbündnis „UnsereKurve“, in dem sich 21 Fanorganisationen untereinem Dach vereinigt haben. Der Verein repräsentiertnach eigenen Angaben eine rund sechsstelligeAnzahl von aktiven Anhängern.Dass das viele Geld seinen Preis hat, wirddurch die Pandemie wie unter einem Brennglasans Tageslicht gebracht. Infolge der fehlendenTV-Einnahmen durch die Spielpause, drohte einigenVereinen bereits nach wenigen Wochen derfinanzielle Kollaps. Die „Fanszenen Deutschlands“,ein bundesweiter Zusammenschluss vonFan- und Ultraszenen, bemängeln, die Strukturendes Sports seien vollkommen vom Fluss der Fernsehgelderabhängig. Die Vereine existierten demnachnur noch in totaler Abhängigkeit der Geldgeber.Ein möglicher Lösungsansatz wäre ein anderesSystem zur Verteilung der Gelder. Würdendiese gleichmäßig an alle Vereine ausgezahlt werden,könnten vermutlich alle Vereine Krisen besserüberstehen. Gleichzeitig gäbe es einen gerechterenund spannenderen Wettbewerb, so dieÜberzeugung.Stichwort gerechter Wettbewerb: Kopfschüttelnlösen auch die in den vergangenen Jahren in dieHöhe geschossenen Transfersummen. Die Ablöse,die Vereine heutzutage für Spielerwechsel bezahlen,übersteigen die Summen von vor einigen Jahrenum ein Vielfaches. Lag der Transferrekordkurz nach der Jahrtausendwende noch bei 77,5Millionen Euro (Zinédine Zidane), kletterte er seitdem Jahr 2017 auf die unglaubliche Summe von222 Millionen Euro, die für den brasilianischenSuperstar Neymar gezahlt werden, als er zu ParisSt. Germain wechselte. Das entspricht knapp einerVerdreifachung in etwa 20 Jahren. Vor allemkleinere Vereine geraten durch diese Entwicklungimmer mehr ins Hintertreffen – man kann sagen,die Kluft zwischen finanzkräftigeren und finanzschwächerenVereinen klafft immer weiter auf.Wo soll das noch hinführen?Die Transfersummenim ProfifußballexplodierenNeben der Verteilung der TV-Gelder und den explodierendenTransfersummen zählt der steigendeEinfluss finanzieller Interessengruppen zu denaktuell größten Baustellen des deutschen Profifußballs.Der Sport wird vermehrt von Außenstehendenals Werbeplattform genutzt. Die Vereineentwickeln sich dadurch immer mehr zu Unternehmen,bei denen allein Profit im Fokus steht.Das kann zum einen durch das Einsteigen einesInvestors als alleinstehende Person erfolgen,wie es beispielsweise mit dem MultimilliardärDietmar Hopp bei 1899 Hoffenheim der Fall ist.Zum anderen können auch Teile eines Vereins ineine Kapitalgesellschaft ausgegliedert werden, sogeschehen bei der Lizenzspielerabteilung von RBLeipzig und dem Unternehmen Red Bull. Beidesging mit einer enormen Finanzspritze einher. DieseEntwicklung hat einen bedeutenden Einflussauf den sportlichen Wettbewerb, was einigenFans missfällt. Sie bangen sowohl um die Identitätihres Vereins als auch um die Kultur der Fanszene.Um dem zunehmenden Einfluss von Geld imFußball entgegen zu wirken, muss sich einiges ändern.Ein Ansatz für das Transfergeschehen wäredie Einführung einer finanziellen Obergrenze beiTransfersummen und Spielergehältern. Um denEinstieg von Sponsoren und Investoren weiterhinzu erschweren, ist die Erhaltung der 50+1-Regelim deutschen Fußball unausweichlich. So wirdverhindert, dass Kapitalgeber die mehrheitlichenAnteile an einem Verein erwerben können. DieFans sind ein elementarer Bestandteil der Vereine,sie sollten auch in Zukunft eine wichtige Rollespielen. Laut Jost Peter wäre ein vernünftig aufgebauterDialog in den Vereinen, in Form von regelmäßigenTreffen mit den Fanbeauftragten odermittels Online-Veranstaltungen mit Mitgliedern,ein Schritt in die richtige Richtung. „Es würde vonalleine dazu kommen, dass Geld zwar Beachtungfindet, aber nicht an erster Stelle steht. Sehr vieleDinge, seit Jahren kritisiert werden, wurden durchCorona wie unter die Lupe gehalten.“ Dass einvöllig verschuldeter Verein wie Schalke 04 weiterin der Ersten Liga spielen dürfe, wäre früher nichtmöglich gewesen. Heutzutage bestehe durch dieAusgliederung (Schalke 04 ist aufgeteilt in mehrals 30 Gesellschaften) die Möglichkeit, Schuldenzu verstecken. Generell sei der Fußball schon immerder Kommerzialisierung ausgesetzt gewesen.Angefangen von Geldflüssen für Spielertransfers,über die Verdienstmöglichkeiten der Vereine, bishin zu Werbung, Sponsorings und Investoren.Die Kommerzialisierung im Fußball muss alsTeil des Wandels akzeptiert werden, da sich derSport – genau wie Gesellschaft und Wirtschaft –immer weiterentwickeln wird. Den Fans fällt dieseAkzeptanz schwer, sie leisten Widerstand in Formvon Protesten. „Die Proteste haben sich zugespitzt“,urteilt Jost Peter. Die Fans votieren nachseiner Aussage allerdings nicht gänzlich gegenVeränderungen, sie wollten nur Teil des Sportsbleiben und verbinden damit weniger Geld undProfit, sondern vielmehr Leidenschaft, Wettbewerbund Gemeinschaft. „Die Kommerzialisierunghat ein Ausmaß angenommen, welches denFußball kaputt macht“, bemängelt der Fan-Beauftragte.Und: Es braucht eine Lösung, die überDeutschland hinausgeht. Andernfalls besteht dieGefahr, dass Spieler ins Ausland wechseln. Generellsollten sich Spieler wieder mehr mit den Vereinenund den Fans identifizieren und weniger dasGeld in den Vordergrund stellen. Auch für Jost Petersind Veränderungen unerlässlich: „Fußball istein Sport, bei dem es um Fairness und Wettbewerbgeht und diese beiden Dinge müssen wieder insZentrum rücken. Es ist keine Option, so weiterzumachenwie bisher.“