MEDIAkompakt Ausgabe 29
Die Zeitung des Studiengangs Mediapublishing an der Hochschule der Medien Stuttgart - www.mediapublishing.org
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01/ 2021 SOLVED 39
Einsam im Zeitalter
der Vernetzung
Alte Schulfreunde findet man
plötzlich bei Facebook wieder,
die große Liebe womöglich
über Tinder. Noch nie waren
die Menschen so vernetzt wie
heute. Trotzdem fühlen sich
Millionen Deutsche einsam.
Eine Spurensuche.
VON SANDRA KUTSCHER
UND GRETA KUCH
Jana Zeh, 19 Jahre alt, kennt das Gefühl
von Einsamkeit. Aus der Not heraus, entwickelte
sie die Idee eine alternative
Selbsthilfegruppe für diejenigen zu gründen,
denen es genauso geht. Im Gespräch
berichtet Jana, sie hätte ihren ersten Aufruf anonym
über Facebook gestartet. Das Besondere an
den Zusammentreffen sei, dass alle Krankheitsbilder
und Altersgruppen vertreten sind: von Menschen
mit Lebenskrisen bis hin zu schweren psychischen
Erkrankungen. Viele von ihnen hielten
die Einsamkeit nur schwer aus, sagt Jana.
In Deutschland leiden laut einer Umfrage von
Splendid Research aus dem Jahr 2019 rund ein
Viertel der 18 bis 39-Jährigen ständig, beziehungsweise
häufig an Einsamkeit. Je älter die Befragten,
desto seltener fühlen sie sich einsam. Unter den
60-69-Jährigen sind es nur noch elf Prozent. Betroffen
sind also nicht nur Erwachsene, sondern
zunehmend auch Jugendliche.
Aber was genau unterscheidet Einsamkeit vom
Alleinsein? Einsamkeit ist ein subjektives Gefühl,
auf sich allein gestellt zu sein. Wir können uns
auch dann einsam fühlen, wenn wir von Menschen
umgeben sind. In der Psychologie unterscheidet
man seit den 70er Jahren dieses Phänomen
in zwei Arten: die soziale und die emotionale
Einsamkeit. Laut dem Soziologen Robert Weiss erfasst
die soziale Einsamkeit einen Mangel an sozialer
Integration, während die emotionale Einsamkeit
den Mangel an festen Vertrauenspersonen
definiert. Alleinsein beschreibt dagegen den
physischen Zustand, keine anderen Menschen
um sich herum zu haben.
Einsamkeit ist zum großen Thema unserer Zeit
geworden. Und dass, obwohl unser Alltag von der
Kommunikation durch soziale Medien geprägt
ist. In den sozialen Netzwerken werden wir mit
dem vermeintlich perfekten Leben anderer Menschen
konfrontiert. Das digitale Sozialleben und
die Art und Weise, wie wir uns selbst in den sozialen
Medien präsentieren, wird immer wichtiger.
Dafür rücken die persönliche Kommunikation
und enge soziale Bindungen immer mehr in den
Hintergrund. Beziehungen und Verabredungen
werden unverbindlicher, Freundschaften schnelllebiger.
Insbesondere bei jungen Menschen spielt sich
das soziale Leben immer mehr im digitalen ab.
Dabei kann dies vor allem im jungen Alter zu Problemen
führen. Eine Studie der Université de
Montréal und des Kinderkrankenhauses CHU
Sainte-Justine hat ergeben, dass Jugendliche, die
mehr Zeit auf sozialen Medien verbringen, schwerere
Symptome einer Depression aufweisen. Im
Zuge der vierjährigen Studie wurden fast 4000 Jugendliche
im Alter zwischen 12 und 16 Jahren befragt.
Die Symptome traten insbesondere dann
auf, wenn die Jugendlichen sich vermehrt auf
Plattformen aufhielten, auf denen der Vergleich
mit anderen eine große Rolle spielt. Da psychische
Krankheiten noch immer ein Tabuthema
in unserer Gesellschaft sind, fällt es Betroffenen
oft schwer sich Hilfe zu suchen. Sie ziehen sich
stattdessen meist zurück und verbringen noch
„Unsere Gruppe
lebt von dem
Persönlichen,
dem Vertrauten“
mehr Zeit alleine und auf sozialen Medien, was
die Symptome nur weiter verschlimmert.
Auch im Online-Dating lässt sich ein Widerspruch
zwischen unserer vernetzten Gesellschaft
und der Einsamkeit erkennen. Dating Apps geben
uns die Möglichkeit, innerhalb von wenigen Minuten
von der Couch aus Kontakt zu einem neuen
potentiellen Partner aufzunehmen. Die meisten
Kontakte bleiben jedoch eher unverbindlich
und können unser Bedürfnis nach tiefgründigen,
sozialen Kontakten nicht stillen. In einem Interview
mit dem Online-Frauenmagazin „Libertine“
spricht die deutsche Psychologin, Therapeutin
und Autorin Stefanie Stahl über das Thema Beziehungsunfähigkeit
im Zusammenhang mit Dating-Plattformen.
Der Grund für die Unverbindlichkeit
in vielen Beziehungen und die Beliebtheit
von Dating Apps sei, dass es in unserer Gesellschaft
immer mehr akzeptiert sei, seine Beziehungsängste
auch offen auszuleben. Dating-Apps
sehe sie deswegen eher als „Unterstützer und
nicht als Auslöser“.
Dating Apps und soziale Netzwerke kratzen
nur oberflächlich an dem, wonach wir uns in einem
glücklichen und erfüllten Leben sehnen. Das
Liken und Kommentieren bleibt eine Illusion von
echten sozialen Kontakten und können diese
nicht ersetzen. Die Teilnehmer haben in Zeiten
von Corona keine Lust auf ein digitales Treffen.
„Unsere Gruppe lebt von dem Persönlichen, dem
Vertrauten, dem gemeinsamen herzlichen Lachen
und dem gemeinsamen Tanzen, wenn ich
spontan Musik anmache und anfange durch den
Raum zu springen – online ist das einfach nicht
das Gleiche“, erläutert Jana.
Für einige Menschen kann die Vernetzung
durch digitale Medien jedoch auch ein Weg aus
der Einsamkeit heraus sein. Gerade für ältere Menschen
bieten sich hier viele Möglichkeiten. Sie
können sich durch soziale Medien mit ihren Enkelkindern
in Verbindung setzen, sich in Online
Gruppen mit Gleichgesinnten vernetzen oder
auch Gottesdienste online besuchen. Minderheiten
und Personen mit speziellen Vorlieben können
sich in Foren mit anderen austauschen und
sich als Teil einer Gruppe sehen: Wer beispielsweise
Angststörungen hat und nicht vor die Tür
kann, findet im digitalen Raum Gehör.
Die digitale Vernetzung bietet im richtigen
Maß eine Möglichkeit, um soziale Kontakte zu
pflegen und sich dadurch weniger einsam zu fühlen.
Die Kontaktpflege über große Distanzen fällt
leichter und ein „Gefällt mir“ kann zu einem
wichtigen Symbol der Zuwendung werden. Für Jana
sind soziale Netzwerke eine Möglichkeit mit
ihrer Community zu interagieren. Sie fühle sich
damit nicht mit ihren Problemen alleine und bestärkt
in dem, was sie tue. Durch soziale Netzwerke
habe sie viele Freunde und Mitstreiter für die
gleichen Ziele kennengelernt, die sie auch im echten
Leben getroffen hat.
Das richtige Maß und die richtige Intensität
für die Nutzung von sozialen Medien zu finden,
ist nicht leicht. Wichtig ist es, die Medienkompetenz
schon von klein auf bei Kindern zu fördern
und ihnen einen bewussten Umgang mit digitalen
Medien zu vermitteln. Dabei ist das Trennen
von analoger und digitaler Welt ein wichtiger
Aspekt. Jana erzählt, wie sie bei ihrem Treffen versuchen
das Thema Einsamkeit zu enttabuisieren,
ihm Raum zu geben. Sie selbst sehe die Selbsthilfegruppe
nicht als „goldenen Schlüssel zur Lösung”,
sondern lediglich als Unterstützung. Gegen die
Einsamkeit helfe bei jedem etwas anderes. Sie habe
versucht, den Grund für ihre Gefühle zu finden
und Initiative zu ergreifen, indem sie mehr von
dem macht, was ihr Freude bereitet.
Laut Jana Zeh sei es nicht immer leicht aus der
Einsamkeit herauszukommen. Jedoch lohne sich
die Anstrengung. „Auch heute fühle ich mich
noch oft einsam.“ Jedoch habe sie gelernt damit
umzugehen, „und ich weiß, was ich tun kann, um
mich besser zu fühlen“.