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MEDIAkompakt Ausgabe 29

Die Zeitung des Studiengangs Mediapublishing an der Hochschule der Medien Stuttgart - www.mediapublishing.org

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34 SOLVED

mediakompakt

Eine

männliche

Krankheit

Was bedeutet es, ein Mann zu

sein? Und seit wann ist Männlichkeit

toxisch? Nicht erst seit

der Debatte um #metoo erhält

das klassische Bild des starken

Geschlechts Risse.

VON VANESSA DÖRR

Bild: Unsplash

Trotz des Umbruches in unserer Gesellschaft,

was die traditionellen Rollen

von Mann und Frau betrifft, bleiben so

manche Vorstellungen, wie ein „echter

Mann“ zu sein hat, in den Köpfen der

Menschen haften. Der echte Mann ist wortkarg,

Ernährer der Familie und heizt im Sommer ordentlich

den Grill an. Er liebt Fußball, lacht mit

seinen Kumpels bei einem Bier über sexistische

Witze, Emotionen sind für ihn ein Fremdwort.

Klingt überspitzt? Ja, aber noch heute gelten solche

Ansprüche an Jungen und Männer.

Toxische Männlichkeit finden wir nicht nur

im Alltag: Sie begegnet uns in Medien, im Beruf

und in der Politik. Schon als Kinder werden wir

dazu erzogen, Männer als erfolgreiche Alpha-Tiere

zu sehen. Männlich sein, heißt mutig und vor

allem stark zu sein. Für Anzeichen von Schwäche

oder Emotionen ist kaum Platz. Ausgenommen

der Wut, nimmt jedes andere Gefühl, wie Verletzlichkeit

oder Traurigkeit, dem Mann die

Glaubwürdigkeit. Deshalb muss Männlichkeit

oft unter Beweis gestellt werden. Zur Not mit Gewalt

als adäquatem Mittel. Es ist ein sich ständig

wiederholendes Kräftemessen – beruflich und

privat.

Doch warum ist diese Auffassung von Männlichkeit

so gefährlich? Die American Psychological

Association (APA) erklärte in den 2019 veröffentlichen

Richtlinien für Psycholog:innen zum

Umgang mit Jungen und Männern, dass die traditionelle

Männlichkeit, mit der schon die Jüngsten

aufwachsen, psychisch schädlich sei. Mit Aussagen

wie „Männer weinen nicht“ oder „Sei doch

keine Pussy!“ wird früh in den Charakter von Kindern

eingegriffen. Dadurch wird ihnen vorgeschrieben,

wie sie am besten zu sein, beziehungsweise

nicht zu sein haben.

Ein Leistungsdruck, der zu Homophobie,

Mobbing und Aggressionen führen kann. Männer

sind bei Gewaltdelikten jedoch nicht nur die

wahrscheinlicheren Täter, sondern auch die verschwiegeneren

Opfer. Schwäche zeigen, passt

eben nicht in das Bild des starken Mannes. Und

das ist in konkreten Zahlen messbar: Die Suizidrate

bei Männern ist in Deutschland dreimal so

hoch wie bei Frauen, sie gehen seltener und erst

bei fortgeschrittenen Symptomen zum Arzt und

sind häufiger in gefährlichere Unfälle verwickelt.

Toxische Männlichkeit schadet jedoch nicht

nur Männern, auch Frauen leiden täglich unter

männlicher Gewalt. Jeden zweiten bis dritten Tag

wird in Deutschland eine Frau durch ihren (ehemaligen)

Partner getötet. Deutschlandweit hatten

2018 rund 114.000 Frauen Gewalt in der Partnerschaft

zur Anzeige gebracht. Bei Männern waren

es hingegen 26.000.

Natürlich sind nicht alle Männer toxisch.

Aber solche Ansichten sind in vielen Denkmustern

verhaftet. Der plakative Hashtag #NotAllMen

in sozialen Medien erscheint zuerst wie ein Beschwichtigungsversuch.

Doch das ist er nicht,

denn er erfasst das Problem nicht. Es stimmt,

nicht alle Männer üben zwangsläufig Gewalt gegen

sich und andere aus. Aber ein beachtlicher

Teil tut es, wie aus diesen Zahlen ersichtlich ist.

Die extremsten Auswüchse von toxischer

Männlichkeit finden sich im Internet. Sogenannte

„Incels”, die Kurzform von „involuntary celibate”,

also „unfreiwillig enthaltsam“, schließen sich

in Foren zusammen und tauschen sich über ihre

sexuelle Frustration aus. Schuld daran sind aus

ihrer Sicht Frauen, die ihnen ihren Körper und

somit ihr Recht auf Sex verwehren, und der Feminismus

als solcher. Als besonders gefährlich ist

diese Bewegung deshalb einzustufen, da sie tatsächlich

schon Menschenleben gefordert hat. Beispielsweise

ließ der antisemitische Attentäter von

Halle ein frauenfeindliches, szenebekanntes Lied

während des gestreamten Anschlags am 9. Oktober

2019 laufen.

Offenkundig haben wir haben ein Problem.

Es zieht sich durch unsere gesamte Gesellschaft

und endet nicht selten in Gewaltexzessen. Kein

Mann sollte heutzutage mehr dazu gezwungen

sein, bestimmte Eigenschaften erfüllen zu müssen.

Männer dürfen sein, wie sie sind. Emotional,

verletzlich, wütend. Kindergärtner und Investmentbanker.

Gefühle verschwinden nicht, wenn

man sie unterdrückt. Es liegt nun an uns allen,

toxische Männlichkeit als Problem zu erkennen

und sexistische Strukturen in unserer Gesellschaft

aufzulösen.

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