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moneyeditorial<br />
EDITORIAL<br />
FRANK MERTGEN<br />
STELLV. CHEFREDAKTEUR<br />
Der digitale Euro –<br />
hoher Negativzins vom Big Brother<br />
FOCUS-MONEY<br />
Das traditionelle Geldsystem hat in mancherlei Hinsicht Konkurrenz<br />
durch Bitcoin & Co. bekommen und die Innovation<br />
findet viel Aufmerksamkeit – auch in der Titelstrecke dieser<br />
Ausgabe (siehe Seite 36), nicht zuletzt in seiner Funktion als Wertaufbewahrer<br />
dank eingebauter Knappheit. Im Hintergrund, noch<br />
kaum beachtet, wird eine viel größere Revolution vorbereitet: digitales<br />
Zentralbankgeld. Haben wir alle bald ein direktes Konto bei<br />
der Europäischen Zentralbank (EZB) – neben dem Konto bei der<br />
Hausbank (die heutzutage oft genug schon eine digitale Direktbank<br />
ist)?<br />
Heute ist es so: Nicht die EZB schafft das meiste Geld via (digitales)<br />
Drucken, das übernimmt der Privatsektor, die Banken bei der<br />
Vergabe von Krediten. Digitale Geldformen stellt derzeit sogar ausschließlich<br />
der Privatsektor zur Verfügung. Denn wie bezahlen wir<br />
immer öfter? Wir halten kurz die EC-Karte an einen Eingabeautomaten<br />
oder wischen mit dem Handy dort vorbei, bestellen im Internet<br />
per Kreditkarte oder PayPal.<br />
Weil nicht zuletzt aufgrund der Pandemie weniger Bargeld verwendet<br />
wird, sinkt der direkte Anteil der Zentralbanken an der<br />
Geldschöpfung (Notenbanken können Privatbanken nur indirekt<br />
beeinflussen) und damit ihr Einfluss, betont der Chefökonom der<br />
UBS, Paul Donovan. Er hat vor zwei Wochen eine Kurzstudie veröffentlicht,<br />
auf die ich mich hier oft beziehe. Nur: Wer verliert<br />
schon gern an Einfluss?<br />
Auch deshalb prüfen Notenbanken weltweit, wie sie ihre eigene<br />
digitale Währung einführen können. Diese Währungen werden<br />
nicht einheitlich sein, jedes Land oder jeder Währungsraum<br />
(Euro-Zone) wird seinen eigenen Ansatz verfolgen.<br />
Heutiges digitales Geld, das sind Verbindlichkeiten privater Banken,<br />
und sie tragen ein Kreditrisiko. Denn das digitale Geld auf meinem<br />
Girokonto ist ein Anspruch von mir gegenüber dieser privaten<br />
Bank und eine Verbindlichkeit des Instituts gegenüber mir. Ein<br />
digitaler Euro dagegen wäre, wie heute schon Euro-Münzen und<br />
Euro-Banknoten, eine Verbindlichkeit der Europäischen Zentralbank<br />
gegenüber mir und ein Anspruch von mir gegenüber der EZB.<br />
Einen solventeren Gegenpart finde ich schwerlich.<br />
Wie wäre der Alltag mit einer offiziellen digitalen Währung? „Jeder<br />
normale Bürger eines Landes kann sie besitzen. Sie kann genutzt<br />
werden, um Dinge zu bezahlen. Sie ist in jeder Hinsicht identisch<br />
mit der offiziellen Währung eines Landes – der einzige<br />
Unterschied: Sie wird digital gehalten, nicht physisch“, schreibt<br />
UBS-Ökonom Donovan. Der einfachste Weg, sich eine offizielle<br />
staatliche Digitalwährung vorzustellen: der Gedanke, dass jeder<br />
Bürger (wie heute Banken) ein direktes Konto bei der Zentralbank<br />
hat. Das werde so nicht kommen, glaubt der Experte, aber der ökonomische<br />
Aspekt sei derselbe. Commerzbank-Chefvolkswirt Jörg<br />
Krämer vermutet dagegen, dass jeder Euro-Land-Bürger tatsächlich<br />
ein Konto bei der EZB erhalten wird.<br />
Eine offizielle Digitalwährung dürfte nicht auf der Blockchain<br />
(Erläuterung zuletzt im FOCUS-MONEY-Krypto-Titel in Ausgabe<br />
13/<strong>2021</strong>) basieren. Das erwartet UBS-Fachmann Donovan vorerst<br />
für offizielles Digitalgeld, also auch für einen Digital-Euro. Denn:<br />
Der Bürger kann eine offizielle Digitalwährung in Münzen und<br />
Scheine tauschen und Steuern damit bezahlen – alles Charakteristika,<br />
die Kryptos fehlen – und es wird auch nicht die heftigen Preisschwankungen<br />
gegenüber der offiziellen Fiat-Währung geben, wie<br />
sie Bitcoin & Co. zeigen. Außerdem will eine Zentralbank ja die<br />
Geldmenge jederzeit erhöhen oder senken können.<br />
Ein solche Geld-Revolution hat gleich mehrere potenzielle Fallstricke:<br />
Werden Banken gefährdet, weil Bürger kein Geld mehr oder<br />
weniger Geld bei ihnen halten würden? So würde die Kreditvergabe<br />
und das gesamte Wachstum gebremst. Das spricht dafür, die<br />
Summe an Digital-Euro (hier als Beispiel genommen) zu steuern,<br />
über die der einzelne Bürger verfügen kann. Laut Commerzbank-<br />
Chefvolkswirt Krämer erwägt die EZB, „digitale Euros von mehr<br />
als 3000 Euro je Person mit einem Strafzins zu versehen“.<br />
Zudem könnte schon ab dem ersten Euro gelten: Der Bürger wird<br />
einfach über Negativzinsen auf den Digital-Euro zum Ausgeben<br />
des Euro gezwungen, wenn die Zentralbank den Konsum anzukurbeln<br />
wünscht. Und erfährt der Staat als „Big Brother“ nicht alles<br />
über meine Ausgaben, so wie heute etwa die Kreditkartenfirma?<br />
Werden nicht jetzt schon „auffällige“ Kontovorgänge gestoppt –<br />
wie wäre das dann erst mit dem Zentralbankgeld? Oder erhalte ich<br />
künftig einen Hinweis auf unerwünschten Konsum? Nach dem<br />
Motto: Sie kaufen ja Lebensmittel mit dem ungünstigen Nutri-<br />
Score E!<br />
Es stellen sich aber auch wahre Systemfragen: Während einer Finanzkrise<br />
würde jeder Bürger seine Bankguthaben zur EZB überweisen<br />
wollen. „Denkbar wären in der Ausnahmesituation eines<br />
solchen digitalen Bank-Run Obergrenzen für die auf EZB-Konten<br />
gehaltenen digitalen Euro“, erklärt Krämer.<br />
Sein Fazit hat es in sich: Die EZB könnte künftig „mit Strafzinsen<br />
und Obergrenzen für den digitalen Euro die Gefahren für die<br />
Stabilität des Finanzsystems einhegen und sich gleichzeitig Spielraum<br />
für eine noch expansivere Geldpolitik eröffnen. Das dürfte<br />
Vertretern der hochverschuldeten Staaten im EZB-Rat gefallen.“<br />
Wer übrigens glaubt, staatliches Digitalgeld sei ein Projekt für<br />
die 2030er-Jahre, der täusche sich nicht: In China läuft bereits seit<br />
April 2020 ein erster Versuch in vier Städten mit sechs Banken.<br />
Nahziel: Schon bei der Winter-Olympiade 2022 in Peking soll eine<br />
Variante digitalen Zentralbankgelds genutzt werden können.<br />
Ihr<br />
FOCUS-MONEY <strong>15</strong>/<strong>2021</strong><br />
Foto: S. Ugurlu/FOCUS-MONEY Composing: FOCUS-MONEY<br />
3
moneyinhalt<br />
7. APRIL <strong>2021</strong> www.money.de<br />
moneykompakt<br />
6 Brennpunkt: Rekordjahr für IPOs<br />
– die heißesten Börsengänge <strong>2021</strong><br />
98 Andis Börsenbarometer: Warum<br />
Platin der nächste Star wird<br />
moneytitel<br />
8 Interview: Der Dax bei 16 000<br />
Punkten? Warum Vermögensverwalter<br />
Jens Ehrhardt auf<br />
einen weiteren Anstieg setzt<br />
12 VW, das neue Tesla: Wie Autoanalyst<br />
Jürgen Pieper beim<br />
Autobauer-Primus ein Kursziel<br />
von 400 Euro errechnet<br />
16 Die Favoriten der Profi-Anleger:<br />
FOCUS-MONEY stellt Aktien mit bis<br />
zu 80 Prozent Kurschance vor<br />
20 Agrartitel: Wer jetzt sät, wird<br />
später kräftig ernten. Drei Werte,<br />
die Depots aufblühen lassen<br />
22 UBS-Studie: Jetzt schlägt die<br />
Stunde der Europa-Aktien. Welche<br />
Werte chancenreich sind<br />
26 Dax-Check: Der Leitindex eilt von<br />
Rekord zu Rekord. Doch wie<br />
schaut es bei den Einzeltiteln aus?<br />
Sind Verkäufe dabei? Alle<br />
30 Werte im Analysten-Check<br />
28 Schulden-Wahnsinn: Ökonom<br />
Hans-Werner Sinn über die<br />
Gefahren der zügellosen Gelddruckerei<br />
in Corona-Zeiten<br />
32 Gold: Der Preis je Unze bei 4800<br />
Dollar? Warum Vermögensverwalter<br />
Mark Valek langfristig daran<br />
glaubt. Plus: Die Top-Anlagen<br />
36 Bitcoin: Wieso Fondsmanager<br />
Hendrik Leber einen Kurs von<br />
500 000 US-Dollar für möglich<br />
hält. Plus: Drei Krypto-Investments<br />
moneymarkets<br />
39 Gastkommentar Ken Fisher: Wo<br />
sich Anleger keine Sorgen<br />
machen müssen<br />
40 Spin-offs: Welche Ausgliederungen<br />
absolute Gewinnbringer sind<br />
44 Halbleiter: Welcher Chip-Spezialist<br />
auf Microsofts Spuren wandelt<br />
46 US-Sport: Sieger setzen jetzt auf<br />
die Welt des Sports. Mit welchen<br />
Aktien Anleger Meister werden<br />
49 Unifiedpost: Wie die Belgier den<br />
Postmarkt revolutionieren<br />
50 Eckert & Ziegler: Warum die Aktie<br />
des Bestrahlungsexperten zulegt<br />
51 Voestalpine: Wieso der Stahlkonzern<br />
immer noch 40 Prozent<br />
Kurspotenzial hat<br />
52 Eisenbahnen: Mit diesen Werten<br />
fahren Anleger der drohenden<br />
Inflationswelle einfach davon<br />
54 Tech-Fonds: Welches Hightech-<br />
Investment für Top-Rendite sorgt<br />
56 Einsteigerzertifikat: Mit welchen<br />
zwei Konzepten Anleger ihren<br />
Einstieg optimieren<br />
8<br />
Das Expertenheft<br />
Hendrik Leber, Hans-Werner<br />
Sinn, Jürgen Pieper (v. l.<br />
oben), Jens Ehrhardt, Mark<br />
Valek (v. l. unten) – wie Anlageprofis<br />
und Ökonomen die<br />
aktuelle Lage einschätzen.<br />
Welche Prognosen sie stellen,<br />
wo sich Chancen ergeben<br />
oder Gefahren lauern<br />
4 FOCUS-MONEY <strong>15</strong>/<strong>2021</strong>
58<br />
Öl-Riese mit Multi-Chancen<br />
Für Royal Dutch Shell ist das derzeitige Umfeld so gut wie lange nicht.<br />
Warum die Aktie trotz der Kursrally der vergangenen Monate immer noch<br />
günstig bewertet ist und was Aktionäre in Zukunft erwarten dürfen<br />
62 Seltene Erden: Welche Aktien<br />
bald gesucht sein könnten<br />
66 Musterdepots: Jaenschs Depot<br />
legt ordentlich zu, Frank Fischer<br />
investiert in Medizintechniker<br />
moneyyou<br />
58 Aktienanalyse: Mega-Chance<br />
oder Value-Falle? Royal Dutch<br />
Shell im Check<br />
61 Chartsignal: Warum sich die<br />
Schulter-Kopf-Schulter-Formation<br />
beim MDax zum Einstieg eignet<br />
61 Börsenlexikon: Margin Call<br />
– warum es eng wird, wenn der<br />
„Anruf“ kommt<br />
moneyanlegerschutz<br />
67 Edtechs: Welche Anlagemöglichkeiten<br />
es bei Bildungs- und<br />
E-Learning-Plattformen gibt<br />
moneyservice<br />
68 App-Studie: Mit welchen Miniprogrammen<br />
aus 55 Branchen<br />
Kunden topzufrieden sind<br />
76 Elektronikware: Die besten<br />
Policen für Smartphones, Smartwatches,<br />
Tablets und Notebooks<br />
moneyanalyse<br />
81 Fonds<br />
82 Deutsche Aktien<br />
90 Internationale Aktien<br />
96 ETFs<br />
97 Zertifikate<br />
moneyrubriken<br />
3 Editorial<br />
80 Leserbriefe · Impressum<br />
98 Termine<br />
40<br />
Attraktive<br />
Mütter . . .<br />
56<br />
Perfekter (Ein-)Tritt<br />
. . . und ihre hübschen<br />
Töchter. FOCUS-MONEY<br />
stellt Konzerne vor,<br />
mit denen sich bis zur<br />
Selbstständigkeit<br />
der Tochter gutes Geld<br />
verdienen lässt<br />
Zertifikate mit einer flexiblen<br />
Anlagesteuerung schützen vor<br />
zu hohen Einstiegskursen.<br />
FOCUS-MONEY nennt zwei<br />
Produkte, die sich für die<br />
Einstiegsoptimierung eignen –<br />
beide setzen auf Nachhaltigkeit<br />
52<br />
Volldampf voraus<br />
Diese Aktien fahren wie auf<br />
Schienen, und zwar nach<br />
oben. Welche nordamerikanischen<br />
Eisenbahnkonzerne<br />
bei der Rendite noch eine<br />
Schippe drauflegen könnten<br />
– und obendrein Inflationsschutz<br />
bieten<br />
FOCUS-MONEY <strong>15</strong>/<strong>2021</strong><br />
Titelfotos: W. Heider-Sawall/FOCUS-MONEY, R. Vinogradova/IFO,<br />
Bankhaus Metzler, UBS<br />
Inhalt: Fotos: L. Dünser, IFO, W. Heider-Sawall/FOCUS-MONEY,<br />
Bankhaus Metzler, Royal Dutch, iStock (3), VectorStock<br />
Composing: FOCUS-MONEY<br />
5
moneytitel<br />
INTERVIEW<br />
Der Anstieg<br />
geht weiter“<br />
8<br />
FOCUS-MONEY <strong>15</strong>/<strong>2021</strong>
Warum es weiter aufwärtsgeht. Jens Ehrhardt, Altmeister der deutschen<br />
Vermögensverwaltung, spricht über seine Prognose für den Dax und<br />
den gesamten Aktienmarkt, über Niedrigzinsen und Spekulationsblasen.<br />
Außerdem: wie er jetzt 10000 Euro anlegen würde<br />
Interview von MARIO LOCHNER<br />
ÜBER 50 JAHRE<br />
ERFAHRUNG<br />
bringt Ehrhardt in seine<br />
Arbeit mit und zu nahezu<br />
jedem Thema hat er<br />
Zahlen parat.<br />
Vita<br />
Dr. Jens Ehrhardt<br />
Geboren am 17. März<br />
1942 in Hamburg<br />
Ab 1969 war Ehrhardt<br />
für fünf Jahre Partner<br />
der Vermögensverwaltung<br />
Portfolio Management.<br />
1974 hat er seine<br />
eigene Vermögensverwaltung<br />
DJE Kapital<br />
AG gegründet.<br />
Außerdem gibt er seit<br />
1974 den wöchentlich<br />
erscheinenden<br />
Börsenbrief „Finanzwoche“<br />
heraus.<br />
Die Fondsmanager-Umfrage der Bank of America<br />
zeigt: Die Profis sind so stark investiert wie seit Jahren<br />
nicht. Haben die Großanleger ihr Pulver schon verschossen?<br />
Dr. Jens Ehrhardt: Ich glaube nicht. Es ist zwar<br />
richtig, dass es nach der Fonds-Umfrage nur noch<br />
3,9 Prozent an Barreserven gibt. Zuletzt hatten<br />
wir Mitte 2013 eine ähnlich niedrige Barreserve,<br />
aber der Aktienmarkt ging das ganze Jahr danach<br />
weiter hoch. Außerdem sind viele Institutionelle<br />
immer noch stark in Anleihen investiert. Wenn die<br />
jetzt in Aktien gehen, dann macht es auch nichts,<br />
dass die Fondsbarreserven niedrig sind, weil einfach<br />
im Hintergrund noch so viel Geld wartet, das<br />
aus anderen Anlagen in den Aktienmarkt fließen<br />
könnte. Noch ein wichtiger Hinweis: Solche Kontraindikatoren<br />
wie die niedrige Barreserve wirken<br />
besonders gut in der Seitwärts- oder Abwärtsbörse<br />
– aber in einem Bullenmarkt wie jetzt versagen<br />
sie häufig.<br />
Wie sieht dann nach Ihrer Analyse das zutreffendere Bild<br />
aus?<br />
Ehrhardt: Ich glaube schon, dass der Anstieg im<br />
Trend weitergeht, natürlich immer mit Schwankungen.<br />
Es gibt ja ein paar Leute, die zuletzt ein<br />
bisschen nervös geworden sind, weil die Zinsen<br />
steigen, vor allem in den USA, und damit der Dollar<br />
an Stärke gewinnt. Das ist manchmal auch ungünstig,<br />
gerade für die Schwellenländer. Aber dieser<br />
monetäre Druck, den wir im Hintergrund<br />
haben, diese Liquiditätswelle, die erschlägt im<br />
Grunde diese ganzen antizyklischen Indikatoren,<br />
die nach der Contrarian-Methode jetzt eher zur<br />
Vorsicht mahnen.<br />
Die Bären vergleichen die derzeitige Lage schon länger<br />
mit der Internet-Blase, die ihren Höhepunkt im Jahr 2000<br />
erreichte. Jetzt haben wir viele IPOs gesehen, die auch<br />
meist durch die Decke gegangen sind. Schrottaktien<br />
werden hochgeprügelt, wir erleben den Hype um Gamestop<br />
& Co. – was ist heute anders als 2000?<br />
Ehrhardt: Bei der vorletzten Fed-Sitzung haben<br />
auch einige kluge Leute gefragt: Ähnelt das nicht<br />
der Situation im Jahr 2000 und sollte man nicht<br />
aus Gründen der Sicherheit des Finanzsystems die-<br />
se Blase entschärfen und die Luft rauslassen?<br />
Denen hat US-Notenbank-Chef Jerome Powell<br />
entgegnet: Eine Notenbank hat noch nie eine Blase<br />
zum Platzen gebracht. Er sähe das als ungünstig<br />
an für den Finanzmarkt, aber auch für die<br />
Wirtschaft – und er hat gleichzeitig gesagt: Alles,<br />
was für die Arbeitsplätze gut ist, ist auch für ihn<br />
gut.<br />
Also ist der Arbeitsmarkt der wichtigste Indikator?<br />
Ehrhardt: Die Investoren müssen wirklich darauf<br />
achten, wann in den USA wieder Vollbeschäftigung<br />
erreicht wird. Das könnte ein Zeitpunkt<br />
sein, wo man konstatieren kann: Jetzt kann die<br />
Notenbank schlecht noch mehr stimulieren. Und<br />
es kommt darauf an, ob die Notenbank das tut oder<br />
nicht. Aber nach meiner Meinung dauert es Jahre,<br />
bis wir am Arbeitsmarkt das Niveau vor Corona<br />
wieder erreichen. Wir müssen vorläufig nicht befürchten,<br />
dass die Notenbanken jetzt bremsend<br />
eingreifen.<br />
Entdecken Sie folglich kaum eine Parallele zum Jahr<br />
2000?<br />
Ehrhardt: Die Bewertungen sind zum Teil sehr<br />
hoch und es ist schon ein bisschen ungesund, wie<br />
Neuemissionen nach oben gejagt werden – ebenso,<br />
dass der Großteil der an der Nasdaq gehandelten<br />
Aktien Verluste schreibt. Aber ich glaube, dass<br />
Spekulationsblasen, die an 2000 erinnern, noch<br />
wesentlich größer werden könnten. Warum? Weil<br />
die Liquidität eben noch wesentlich größer ist als<br />
damals und vor allem, weil die Zinsen heute null<br />
betragen und damals sechs Prozent erreichten. Es<br />
wird wahrscheinlich einige Volatilitäten, einige<br />
Merkwürdigkeiten geben wie zuletzt eben mit<br />
Gamestop. Aber insgesamt sehe ich den Hauptbörsentrend<br />
weiter deutlich aufwärtsgerichtet. Wenn<br />
die Leute jetzt zum Teil verkaufen, weil die Bewertungen<br />
hoch sind, was machen sie mit dem Geld<br />
am nächsten Tag? Vom Angebots-Nachfrage- Verhältnis<br />
an der Börse her ist die Situation weiter<br />
günstig.<br />
Aber die Gier ist ja gestiegen. Und Privatanleger haben<br />
eine ganz schöne Wucht entwickelt, zumindest bei<br />
FOCUS-MONEY <strong>15</strong>/<strong>2021</strong><br />
Foto: Heider-Sawall/FOCUS-MONEY 9
moneytitel<br />
INTERVIEW<br />
Bei der<br />
VW-Aktie ist<br />
der Knoten<br />
geplatzt“<br />
JÜRGEN PIEPER:<br />
Der Metzler-Analyst gab<br />
inmitten der Dieselkrise<br />
ein Kursziel für die<br />
VW-Vorzugsaktie von<br />
250 Euro aus – und<br />
behielt damit Recht<br />
Krise abgehakt<br />
Dieselgate ist abgehakt. Inzwischen notieren die VW-<br />
Vorzüge wieder über dem Niveau von vor der Krise.<br />
Treiber ist die Aufholjagd im Geschäft mit E-Mobilität.<br />
VW<br />
Aktienkurs in Euro<br />
2014 <strong>15</strong> 16 17 18 19 20 <strong>2021</strong><br />
Quelle: Bloomberg<br />
250<br />
200<br />
<strong>15</strong>0<br />
100<br />
50<br />
Aktie vor Neubewertung<br />
Noch ist die Tesla-Aktie fast viermal so viel wert wie die<br />
VW-Vorzugsaktie. Doch der Dax-Wert steht vor einer<br />
Neubewertung – die Schere beginnt sich zu schließen.<br />
Vergleich VW und Tesla<br />
26.3.2020 = 100<br />
2020<br />
MÄR<br />
Quelle: Bloomberg<br />
<strong>2021</strong><br />
JAN<br />
Tesla<br />
VW<br />
APR<br />
600<br />
500<br />
400<br />
300<br />
200<br />
100<br />
0<br />
–100<br />
12 FOCUS-MONEY <strong>15</strong>/<strong>2021</strong>
Autoanalyst Jürgen Pieper von Metzler Capital Markets erklärt im Interview, warum sich<br />
alle Welt auf die VW-Aktie stürzt, der Käfer-Konzern im nächsten Jahr Tesla als Marktführer bei<br />
E-Mobilität ablöst – und welche Rechnung zu einem Kursziel von 400 Euro führt<br />
von JENS MASUHR<br />
Vor zwei Jahren waren Sie mit einem Kursziel für VW von 250 Euro allein<br />
auf weiter Flur. Der Großteil der Schätzungen lag zwischen 90 und 160 Euro.<br />
Mitte März notierte die VW-Vorzugsaktie bei 252,20 Euro! Wie fühlt man<br />
sich, wenn man eine Punktlandung hinlegt?<br />
Jürgen Pieper: Ich ziehe da gern die Parallele zum Sport. Klar kann<br />
man mit dem Fußball ein bisschen hin und her daddeln. Aber wie<br />
viele andere bin auch ich erfolgshungrig und spiele lieber um Punkte.<br />
Denn so gut man über Kurse diskutieren kann – am Ende zählt<br />
immer das Ergebnis. Um beim Bild zu bleiben: Es ist ein Gefühl, als<br />
ob ich das Tor gemacht hätte (lacht).<br />
Komisch ist der plötzliche Hype um die Aktie trotzdem.<br />
Die Argumente, die für VW sprechen, liegen<br />
seit mehr als zwei Jahren auf dem Tisch. Niemanden<br />
hat’s interessiert. Plötzlich eine Rally wie Kai aus der<br />
Kiste. Was ist passiert?<br />
Pieper: Das richtige Timing an der Börse,<br />
also der Zeitpunkt, an dem die Stimmung umschlägt,<br />
bleibt ein Mysterium. Und doch kommen<br />
bei VW einige Punkte zusammen. Zunächst<br />
einmal sind Autohersteller klassische<br />
Frühzykliker, die in der Regel besonders dann<br />
profitieren, wenn sich das Ende einer Krise abzeichnet.<br />
Die Logik dahinter ist, dass der Kauf<br />
eines Autos lange geplant ist und krisenbedingt<br />
bloß vertagt wird – anders als beim Kauf<br />
einer Flasche Sekt, auf die ich vielleicht verzichten<br />
musste, den Kauf aber nicht nachhole.<br />
Der Umsatz ist für den Händler verloren.<br />
Dazu kommt das Ende einer ganzen Reihe von<br />
Belastungsfaktoren für den Sektor, insbesondere<br />
für VW.<br />
Vita<br />
Jürgen Pieper<br />
Die da wären?<br />
Pieper: Zum einen der Dieselskandal, der<br />
langsam wie ein dicker Nebel verschwindet.<br />
Dazu baute sich durch die zahlreichen Umweltregularien, etwa<br />
Fahrverbote in Innenstädten, eine regelrechte Antihaltung gegenüber<br />
der Autobranche auf. Nicht zu vergessen: die Handelskriege,<br />
die Trump seinerzeit losgetreten hat, und die sich ganz bewusst gegen<br />
deutsche Autohersteller gerichtet haben. Das waren die Generalthemen,<br />
die VW am stärksten betroffen haben . . .<br />
Studium der Physik an den<br />
Universitäten Köln und Bonn,<br />
Abschluss als Diplom-<br />
Betriebswirt (FH Bielefeld)<br />
<strong>15</strong> Jahre Analyst bei der<br />
Deutschen Morgan Grenfell,<br />
zuständig für Transportwerte<br />
und deutsche Midcaps<br />
Seit 2017 Director Research<br />
und Senior Advisor bei<br />
Metzler im Kerngeschäftsfeld<br />
Capital Markets, zuständig<br />
für den deutschen Automobilsektor<br />
vierte Quartal nicht besonders positiv. Und dann das! Ich konnte<br />
erst gar nicht glauben, was ich da sehe.<br />
Was denn?<br />
Pieper: Zwölf Prozent Gewinnmarge! Das war bei VW bis vor Kurzem<br />
noch Utopie. Das vierte Quartal hat damit gezeigt, dass eine<br />
zweistellige Marge in Wolfsburg absolut möglich ist.<br />
Was befeuert die Aktie noch?<br />
Pieper: Ganz klar die Fantasie bei einem möglichen Börsengang<br />
von Porsche. Je höher die Sportwagentochter<br />
bei einem möglichen IPO bewertet wird, desto<br />
höher steigt auch der Wert der VW-Aktie.<br />
Als Drittes hat der sogenannte Power Day Mitte<br />
März den Investoren die Augen geöffnet.<br />
Inwiefern?<br />
Pieper: Vorstandschef Herbert Diess präzisierte<br />
dort in bester Tesla-Manier die einzelnen<br />
Schritte der Elektrostrategie und erklärte,<br />
wie man den Rivalen vom Thron stoßen werde<br />
– und zwar ohne Wenn und Aber. Selbst<br />
dem letzten Skeptiker müsste nun klar sein,<br />
dass es VW nicht dabei belassen wird, das<br />
zweite Tesla zu sein, sondern ganz klar die<br />
Nummer eins in der E-Mobilität werden will.<br />
Und das funktioniert wie?<br />
Pieper: Vor allem dank der enormen Finanzkraft.<br />
Da fließen zweistellige Milliardenbeträge<br />
in die Forschung und Entwicklung – eine<br />
ganz andere Liga als bei Tesla. Geplant sind<br />
sechs Gigafactories zur Batterieproduktion.<br />
Auch der Anspruch, selbst reinzuwollen in die<br />
Zelle, um die Eigenschaften der Batterie noch<br />
mal deutlich zu verbessern, spricht für die<br />
Konsequenz, mit der VW an die Spitze will. Dazu kommt die Ansage,<br />
nicht nur in den USA und Europa, sondern auch in China<br />
massiv ins Ladenetz zu investieren. Kurzum: Gigafactories, Batterien<br />
weiterentwickeln, Ladeinfrastruktur und die riesigen Budgets<br />
für Elektromobilität – das ist für mich der Vierklang, mit dem VW<br />
an Tesla vorbeiziehen wird.<br />
. . . aber auch alle anderen deutschen Hersteller. Warum geht gerade die VW-<br />
Aktie ab wie Schmidts Katze?<br />
Pieper: Zum einen wegen der hervorragenden Zahlen fürs<br />
Schlussquartal. Eine echte Überraschung, wenn man bedenkt,<br />
dass die vorangegangenen Quartale für VW-Verhältnisse eher enttäuschend<br />
verliefen. In der Folge waren die Markterwartungen fürs<br />
FOCUS-MONEY <strong>15</strong>/<strong>2021</strong><br />
Wann ist es so weit?<br />
Pieper: Ich glaube, VW ist im nächsten Jahr Marktführer. In den<br />
Augen der Welt dürfte es vielleicht noch ein Jahr länger dauern, weil<br />
Tesla eben diesen Vorsprung bei Image und Marktwert hat. Dann<br />
aber dürften alle realisiert haben, dass die Musik in Zukunft noch<br />
stärker in Wolfsburg spielt als in Kalifornien.<br />
13
moneytitel<br />
DAX-CHECK: Wie<br />
bewerten die<br />
Analysten die 30<br />
Dax-Konzerne?<br />
DAX<br />
Der Dax im Experten-Check<br />
Impfhoffnung, Inflationssorgen und Finanzspritzen – auch im deutschen Leitindex herrscht reges<br />
Treiben. Wer profitiert? Wo ist Vorsicht geboten? FOCUS-MONEY hat die Einschätzung der Experten<br />
von SINAN KRIEGER<br />
Allzeithoch im Dax! Und die <strong>15</strong> 000-Punkte-Marke im<br />
Visier. Wer anlegt, profitiert mit. Geschichte vorbei. So<br />
oder so ähnlich könnte die momentane Situation am<br />
deutschen Aktienmarkt in einer idealen Welt erzählt werden.<br />
Doch leider ist diese Welt alles andere als das. Mutierte Coronaviren,<br />
die angeblich sogar resistent gegen die Impfstoffe<br />
sein könnten, Ängste vor einer steigenden Inflation, billionenschwere<br />
Finanzspritzen seitens der Politik und<br />
Notenbanken, die irgendwann und von irgendwem wieder<br />
zurückbezahlt werden müssen, das globale Kräfteverhältnis,<br />
welches mehr und mehr kippt – unsere Welt ist voll von Unwägbarkeiten.<br />
Überall lauert ein „aber“.<br />
Ja, die Rekorde im Dax machen Mut, aber sie stehen auf einem<br />
paradoxen Gerüst – hier die Existenzängste der Unternehmer<br />
im Mittelstand, dort die Rendite-Jagd der Anleger.<br />
Was bleibt, sind Fragen. Viele Fragen. Grund genug für<br />
FOCUS-MONEY, Klarheit in jene Geschichte zu bringen, die<br />
auf den ersten Blick so wundervoll beginnt, aber bei näherer<br />
Betrachtung immer komplexer wird. Und am Ende die Entscheidung:<br />
kaufen oder verkaufen? Überwiegen hier die<br />
Chancen oder ist das Risiko zu groß? Wer kann in den kommenden<br />
Monaten und Jahren richtig zulegen? Wer wird sich<br />
strecken müssen? 30 Dax-Unternehmen. 30 verschiedene<br />
Fälle. 30 Urteile. Hier erfahren Sie, wie die Börsenanalysten<br />
die wichtigsten Unternehmen Deutschlands einschätzen.<br />
Die Favoriten und die Sorgenkinder.<br />
Fakten. Fakten. Fakten. Hierfür hat FOCUS-MONEY eine<br />
klare Methodik entwickelt. Zu jedem der 30 Dax-Konzerne<br />
wurden die aktuellen Gewinne und Gewinnprognosen für<br />
<strong>2021</strong> aufgelistet, um etwaige Gewinntrends und das Gewinn-<br />
26 Foto: Bloomberg<br />
FOCUS-MONEY <strong>15</strong>/<strong>2021</strong>