moneytitel INTERVIEW Der Anstieg geht weiter“ 8 FOCUS-MONEY <strong>15</strong>/<strong>2021</strong>
Warum es weiter aufwärtsgeht. Jens Ehrhardt, Altmeister der deutschen Vermögensverwaltung, spricht über seine Prognose für den Dax und den gesamten Aktienmarkt, über Niedrigzinsen und Spekulationsblasen. Außerdem: wie er jetzt 10000 Euro anlegen würde Interview von MARIO LOCHNER ÜBER 50 JAHRE ERFAHRUNG bringt Ehrhardt in seine Arbeit mit und zu nahezu jedem Thema hat er Zahlen parat. Vita Dr. Jens Ehrhardt Geboren am 17. März 1942 in Hamburg Ab 1969 war Ehrhardt für fünf Jahre Partner der Vermögensverwaltung Portfolio Management. 1974 hat er seine eigene Vermögensverwaltung DJE Kapital AG gegründet. Außerdem gibt er seit 1974 den wöchentlich erscheinenden Börsenbrief „Finanzwoche“ heraus. Die Fondsmanager-Umfrage der Bank of America zeigt: Die Profis sind so stark investiert wie seit Jahren nicht. Haben die Großanleger ihr Pulver schon verschossen? Dr. Jens Ehrhardt: Ich glaube nicht. Es ist zwar richtig, dass es nach der Fonds-Umfrage nur noch 3,9 Prozent an Barreserven gibt. Zuletzt hatten wir Mitte 2013 eine ähnlich niedrige Barreserve, aber der Aktienmarkt ging das ganze Jahr danach weiter hoch. Außerdem sind viele Institutionelle immer noch stark in Anleihen investiert. Wenn die jetzt in Aktien gehen, dann macht es auch nichts, dass die Fondsbarreserven niedrig sind, weil einfach im Hintergrund noch so viel Geld wartet, das aus anderen Anlagen in den Aktienmarkt fließen könnte. Noch ein wichtiger Hinweis: Solche Kontraindikatoren wie die niedrige Barreserve wirken besonders gut in der Seitwärts- oder Abwärtsbörse – aber in einem Bullenmarkt wie jetzt versagen sie häufig. Wie sieht dann nach Ihrer Analyse das zutreffendere Bild aus? Ehrhardt: Ich glaube schon, dass der Anstieg im Trend weitergeht, natürlich immer mit Schwankungen. Es gibt ja ein paar Leute, die zuletzt ein bisschen nervös geworden sind, weil die Zinsen steigen, vor allem in den USA, und damit der Dollar an Stärke gewinnt. Das ist manchmal auch ungünstig, gerade für die Schwellenländer. Aber dieser monetäre Druck, den wir im Hintergrund haben, diese Liquiditätswelle, die erschlägt im Grunde diese ganzen antizyklischen Indikatoren, die nach der Contrarian-Methode jetzt eher zur Vorsicht mahnen. Die Bären vergleichen die derzeitige Lage schon länger mit der Internet-Blase, die ihren Höhepunkt im Jahr 2000 erreichte. Jetzt haben wir viele IPOs gesehen, die auch meist durch die Decke gegangen sind. Schrottaktien werden hochgeprügelt, wir erleben den Hype um Gamestop & Co. – was ist heute anders als 2000? Ehrhardt: Bei der vorletzten Fed-Sitzung haben auch einige kluge Leute gefragt: Ähnelt das nicht der Situation im Jahr 2000 und sollte man nicht aus Gründen der Sicherheit des Finanzsystems die- se Blase entschärfen und die Luft rauslassen? Denen hat US-Notenbank-Chef Jerome Powell entgegnet: Eine Notenbank hat noch nie eine Blase zum Platzen gebracht. Er sähe das als ungünstig an für den Finanzmarkt, aber auch für die Wirtschaft – und er hat gleichzeitig gesagt: Alles, was für die Arbeitsplätze gut ist, ist auch für ihn gut. Also ist der Arbeitsmarkt der wichtigste Indikator? Ehrhardt: Die Investoren müssen wirklich darauf achten, wann in den USA wieder Vollbeschäftigung erreicht wird. Das könnte ein Zeitpunkt sein, wo man konstatieren kann: Jetzt kann die Notenbank schlecht noch mehr stimulieren. Und es kommt darauf an, ob die Notenbank das tut oder nicht. Aber nach meiner Meinung dauert es Jahre, bis wir am Arbeitsmarkt das Niveau vor Corona wieder erreichen. Wir müssen vorläufig nicht befürchten, dass die Notenbanken jetzt bremsend eingreifen. Entdecken Sie folglich kaum eine Parallele zum Jahr 2000? Ehrhardt: Die Bewertungen sind zum Teil sehr hoch und es ist schon ein bisschen ungesund, wie Neuemissionen nach oben gejagt werden – ebenso, dass der Großteil der an der Nasdaq gehandelten Aktien Verluste schreibt. Aber ich glaube, dass Spekulationsblasen, die an 2000 erinnern, noch wesentlich größer werden könnten. Warum? Weil die Liquidität eben noch wesentlich größer ist als damals und vor allem, weil die Zinsen heute null betragen und damals sechs Prozent erreichten. Es wird wahrscheinlich einige Volatilitäten, einige Merkwürdigkeiten geben wie zuletzt eben mit Gamestop. Aber insgesamt sehe ich den Hauptbörsentrend weiter deutlich aufwärtsgerichtet. Wenn die Leute jetzt zum Teil verkaufen, weil die Bewertungen hoch sind, was machen sie mit dem Geld am nächsten Tag? Vom Angebots-Nachfrage- Verhältnis an der Börse her ist die Situation weiter günstig. Aber die Gier ist ja gestiegen. Und Privatanleger haben eine ganz schöne Wucht entwickelt, zumindest bei FOCUS-MONEY <strong>15</strong>/<strong>2021</strong> Foto: Heider-Sawall/FOCUS-MONEY 9