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Autoanalyst Jürgen Pieper von Metzler Capital Markets erklärt im Interview, warum sich<br />
alle Welt auf die VW-Aktie stürzt, der Käfer-Konzern im nächsten Jahr Tesla als Marktführer bei<br />
E-Mobilität ablöst – und welche Rechnung zu einem Kursziel von 400 Euro führt<br />
von JENS MASUHR<br />
Vor zwei Jahren waren Sie mit einem Kursziel für VW von 250 Euro allein<br />
auf weiter Flur. Der Großteil der Schätzungen lag zwischen 90 und 160 Euro.<br />
Mitte März notierte die VW-Vorzugsaktie bei 252,20 Euro! Wie fühlt man<br />
sich, wenn man eine Punktlandung hinlegt?<br />
Jürgen Pieper: Ich ziehe da gern die Parallele zum Sport. Klar kann<br />
man mit dem Fußball ein bisschen hin und her daddeln. Aber wie<br />
viele andere bin auch ich erfolgshungrig und spiele lieber um Punkte.<br />
Denn so gut man über Kurse diskutieren kann – am Ende zählt<br />
immer das Ergebnis. Um beim Bild zu bleiben: Es ist ein Gefühl, als<br />
ob ich das Tor gemacht hätte (lacht).<br />
Komisch ist der plötzliche Hype um die Aktie trotzdem.<br />
Die Argumente, die für VW sprechen, liegen<br />
seit mehr als zwei Jahren auf dem Tisch. Niemanden<br />
hat’s interessiert. Plötzlich eine Rally wie Kai aus der<br />
Kiste. Was ist passiert?<br />
Pieper: Das richtige Timing an der Börse,<br />
also der Zeitpunkt, an dem die Stimmung umschlägt,<br />
bleibt ein Mysterium. Und doch kommen<br />
bei VW einige Punkte zusammen. Zunächst<br />
einmal sind Autohersteller klassische<br />
Frühzykliker, die in der Regel besonders dann<br />
profitieren, wenn sich das Ende einer Krise abzeichnet.<br />
Die Logik dahinter ist, dass der Kauf<br />
eines Autos lange geplant ist und krisenbedingt<br />
bloß vertagt wird – anders als beim Kauf<br />
einer Flasche Sekt, auf die ich vielleicht verzichten<br />
musste, den Kauf aber nicht nachhole.<br />
Der Umsatz ist für den Händler verloren.<br />
Dazu kommt das Ende einer ganzen Reihe von<br />
Belastungsfaktoren für den Sektor, insbesondere<br />
für VW.<br />
Vita<br />
Jürgen Pieper<br />
Die da wären?<br />
Pieper: Zum einen der Dieselskandal, der<br />
langsam wie ein dicker Nebel verschwindet.<br />
Dazu baute sich durch die zahlreichen Umweltregularien, etwa<br />
Fahrverbote in Innenstädten, eine regelrechte Antihaltung gegenüber<br />
der Autobranche auf. Nicht zu vergessen: die Handelskriege,<br />
die Trump seinerzeit losgetreten hat, und die sich ganz bewusst gegen<br />
deutsche Autohersteller gerichtet haben. Das waren die Generalthemen,<br />
die VW am stärksten betroffen haben . . .<br />
Studium der Physik an den<br />
Universitäten Köln und Bonn,<br />
Abschluss als Diplom-<br />
Betriebswirt (FH Bielefeld)<br />
<strong>15</strong> Jahre Analyst bei der<br />
Deutschen Morgan Grenfell,<br />
zuständig für Transportwerte<br />
und deutsche Midcaps<br />
Seit 2017 Director Research<br />
und Senior Advisor bei<br />
Metzler im Kerngeschäftsfeld<br />
Capital Markets, zuständig<br />
für den deutschen Automobilsektor<br />
vierte Quartal nicht besonders positiv. Und dann das! Ich konnte<br />
erst gar nicht glauben, was ich da sehe.<br />
Was denn?<br />
Pieper: Zwölf Prozent Gewinnmarge! Das war bei VW bis vor Kurzem<br />
noch Utopie. Das vierte Quartal hat damit gezeigt, dass eine<br />
zweistellige Marge in Wolfsburg absolut möglich ist.<br />
Was befeuert die Aktie noch?<br />
Pieper: Ganz klar die Fantasie bei einem möglichen Börsengang<br />
von Porsche. Je höher die Sportwagentochter<br />
bei einem möglichen IPO bewertet wird, desto<br />
höher steigt auch der Wert der VW-Aktie.<br />
Als Drittes hat der sogenannte Power Day Mitte<br />
März den Investoren die Augen geöffnet.<br />
Inwiefern?<br />
Pieper: Vorstandschef Herbert Diess präzisierte<br />
dort in bester Tesla-Manier die einzelnen<br />
Schritte der Elektrostrategie und erklärte,<br />
wie man den Rivalen vom Thron stoßen werde<br />
– und zwar ohne Wenn und Aber. Selbst<br />
dem letzten Skeptiker müsste nun klar sein,<br />
dass es VW nicht dabei belassen wird, das<br />
zweite Tesla zu sein, sondern ganz klar die<br />
Nummer eins in der E-Mobilität werden will.<br />
Und das funktioniert wie?<br />
Pieper: Vor allem dank der enormen Finanzkraft.<br />
Da fließen zweistellige Milliardenbeträge<br />
in die Forschung und Entwicklung – eine<br />
ganz andere Liga als bei Tesla. Geplant sind<br />
sechs Gigafactories zur Batterieproduktion.<br />
Auch der Anspruch, selbst reinzuwollen in die<br />
Zelle, um die Eigenschaften der Batterie noch<br />
mal deutlich zu verbessern, spricht für die<br />
Konsequenz, mit der VW an die Spitze will. Dazu kommt die Ansage,<br />
nicht nur in den USA und Europa, sondern auch in China<br />
massiv ins Ladenetz zu investieren. Kurzum: Gigafactories, Batterien<br />
weiterentwickeln, Ladeinfrastruktur und die riesigen Budgets<br />
für Elektromobilität – das ist für mich der Vierklang, mit dem VW<br />
an Tesla vorbeiziehen wird.<br />
. . . aber auch alle anderen deutschen Hersteller. Warum geht gerade die VW-<br />
Aktie ab wie Schmidts Katze?<br />
Pieper: Zum einen wegen der hervorragenden Zahlen fürs<br />
Schlussquartal. Eine echte Überraschung, wenn man bedenkt,<br />
dass die vorangegangenen Quartale für VW-Verhältnisse eher enttäuschend<br />
verliefen. In der Folge waren die Markterwartungen fürs<br />
FOCUS-MONEY <strong>15</strong>/<strong>2021</strong><br />
Wann ist es so weit?<br />
Pieper: Ich glaube, VW ist im nächsten Jahr Marktführer. In den<br />
Augen der Welt dürfte es vielleicht noch ein Jahr länger dauern, weil<br />
Tesla eben diesen Vorsprung bei Image und Marktwert hat. Dann<br />
aber dürften alle realisiert haben, dass die Musik in Zukunft noch<br />
stärker in Wolfsburg spielt als in Kalifornien.<br />
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